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inhalt GRUSSWORT 10 der Staatsministerin für Kultur und Medien GRUSSWORT 11 des Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen VORWORT 12 des Vorsitzenden des Ausstellungsbeirats GELEITWORT 14 des Burghauptmanns der Wartburg Luther und die Deutschen. Eine bewegte Beziehungsgeschichte seit 500 Jahren 15 Joachim Whaley I. luther, das reich und die deutsche nation Einführung 22 Joachim Bauer, Georg Schmidt Luthers Deutschland. Eine Bestandsaufnahme des Reiches um 1500 25 Enno Bünz Luthers Reformation und die deutsche Freiheit 32 Georg Schmidt Reformation von oben. Die Etablierung einer evangelischen Obrigkeit 1526–1580 38 Eike Wolgast Ein Dreißigjähriger Religionskrieg? Deutschland 1618–1648 44 Siegrid Westphal Mehrkonfessionalität. Der deutsche Weg zur Toleranz 1648–1806 50 Dietmar Willoweit Das Luther-Jahrhundert. Luther als deutscher Nationalheld im 19. Jahrhundert 56 Joachim Bauer Von Luther zu Hitler? Luther-Rezeptionen 1883–1945 62 Gunther Mai Der entrückte Konfessionsstifter. Luther-Rezeption in Westdeutschland 1945–1990 69 Martin Greschat

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inhalt

GRUSSWORT 10der Staatsministerin für Kultur und Medien

GRUSSWORT 11des Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen

VORWORT 12des Vorsitzenden des Ausstellungsbeirats

GELEITWORT 14des Burghauptmanns der Wartburg

Luther und die Deutschen. Eine bewegte Beziehungsgeschichte seit 500 Jahren 15Joachim Whaley

I. luther, das reich und die deutsche nation

Einführung 22Joachim Bauer, Georg Schmidt

Luthers Deutschland. Eine Bestandsaufnahme des Reiches um 1500 25Enno Bünz

Luthers Reformation und die deutsche Freiheit 32Georg Schmidt

Reformation von oben. Die Etablierung einer evangelischen Obrigkeit 1526–1580 38Eike Wolgast

Ein Dreißigjähriger Religionskrieg? Deutschland 1618–1648 44Siegrid Westphal

Mehrkonfessionalität. Der deutsche Weg zur Toleranz 1648–1806 50Dietmar Willoweit

Das Luther-Jahrhundert. Luther als deutscher Nationalheld im 19. Jahrhundert 56Joachim Bauer

Von Luther zu Hitler? Luther-Rezeptionen 1883–1945 62Gunther Mai

Der entrückte Konfessionsstifter. Luther-Rezeption in Westdeutschland 1945–1990 69Martin Greschat

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Luthers Karriere vom Fürstenknecht zu einem der größten Söhne des deutschen Volkes 75Siegfried Bräuer

KATALOG 81

II. luthers glaube und sein einfluss auf die deutsche kultur- und geistesgeschichte

Einführung 154Volker Leppin, Christopher Spehr

Sola fide, Sola scriptura, Sola gratia, Solus Christus. Grundpfeiler der Theologie Martin Luthers 156Volker Leppin

Die Lutherbibel. Vorgeschichte, Entstehung, Bedeutung, Wirkung 162Jens Haustein

Wider Papst, Türken und Juden. Luthers Feindbilder und ihre Nachwirkungen 170Thomas Kaufmann

Im Lutherhause. Luthers Familienleben und dessen spätere Idealisierung 176Christopher Spehr

Impulse der Reformation für das Bildungswesen 182Konrad Hammann

Luther und die Anderen. Spielarten des Protestantismus neben und nach Luther 188Anselm Schubert

Im Blick der Dichter und Denker. Zur Luther-Rezeption deutscher Intellektueller zwischen Aufklärung und Romantik 194Albrecht Beutel

Vorbild oder Abbild der Gesellschaft? Einblicke in die Geschichte des evangelischen Pfarrhauses in Deutschland 202Klaus Fitschen

KATALOG 208

III. die lutherstätte wartburg als deutscher erinnerungsort

Einführung 282Günter Schuchardt

Exil im Reich der Vögel. Luthers Aufenthalt auf der Wartburg 1521/22 284Petra Schall, Hilmar Schwarz

Die deutscheste aller Burgen 291Jutta Krauß

Ein nationales Monument. Die Neugestaltung der Wartburg im 19. Jahrhundert 297 Grit Jacobs

KATALOG 304

8 INHALT

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IV. luther-rezeption in den künsten

Einführung 336G. Ulrich Großmann, Harald Wolter-von dem Knesebeck

Was ist lutherisch? Konfessionelle Aushandlungsprozesse in religiösen Bildprogrammen der Frühen Neuzeit 339Margit Kern

Lucas Cranach und seine „Erben“. Das Lutherbildnis in der deutschen Kunstgeschichte 345Günter Schuchardt

„Ein’ feste Burg ist unser Gott“. Luther in der deutschen Musik 352Christiane Wiesenfeldt

Der Nationalheros. Martin Luther in deutscher historischer Belletristik 358Martina Fuchs

Luther im deutschen Spielfilm. Das „Image“ des Reformators in Kino und Fernsehen 365Esther P. Wipfler

Lutherkirchen und andere Beispiele öffentlichen Luthergedenkens in Deutschland 371 G. Ulrich Großmann

V. was bleibt? luther heute

Einführung 386Johannes Schilling

Eine Bibel für alle? Luthers Bibel in der Vielfalt heutiger deutscher Bibelübersetzungen 388Christoph Kähler

Zwischen Abgrenzung und Ökumene. Martin Luther und die römisch-katholische Kirche 394Peter Walter

Katholisch – evangelisch – ökumenisch? Die Christenheit in Deutschland heute – ein Überblick 400 Walter Fleischmann-Bisten

Was ist Luther? 408Johannes Schilling

Luther und die Deutschen. Ein Epilog 414Marc Höchner

ANHANG

Siglen & Abkürzungen 420Literaturverzeichnis 421Register 441

Personenregister 441, Ortsregister 448 Abbildungsnachweis 451Autorenverzeichnis 453Impressum 454

INHALT 9

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bestand aus einem hohlen Stab aus vergoldetem Silberblech,unterbrochen von Ringen und Knäufen und von einer Eichelbekrönt. Dieses Exemplar ging allerdings früh verloren, sodass spätere Nachfertigungen nur in Anlehnung an das ersteZepter entstanden. JK

Katalog: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation (2006), S. 267–

269, Nr. IV. 17 (BEATRIX KRILLER/FRANZ KIRCHWEGER); KIRCHWEGER 2006;

REITHER 2009, S. 38f.

I. 4

Kopie des Reichsapfels

Gerdi Glanzner, Wiesentheid, 1994, Feingold, Silber, Edelsteine,

21,0 cm hoch, Ø 9,5 cm

Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg o. d. T.,

Inv.-Nr. MKM 10326/3

Im Reichsapfel, einer mit juwelenbesetzten Bändern undebensolchem Kreuz geschmückten Kugel aus Goldblech, wur-de mit dem Erdball der Anspruch auf die Weltherrschaft sti-lisiert. Geschichtlich geht die Vorstellung von der Kugelgestaltder Erde auf die antike Geographie des Ptolemaios zurückund findet sich im Globus als Attribut des römischen GottesJupiter wieder. In der Hand des Kaisers sollte dieser die Machtund Gewalt über sein Imperium verkörpern. Das christlichumgedeutete Symbol mit aufgesetztem Kreuz legitimierteden Herrscher als Stellvertreter Christi auf Erden und ent-sprach dem Glauben an das christliche Weltreich unter demKaiser als Oberhaupt. JK

Katalog: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation (2006), S. 267–

269, Nr. IV. 17 (BEATRIX KRILLER/FRANZ KIRCHWEGER); KIRCHWEGER 2006;

REITHER 2009, S. 36f.

I. 5

Kopie der heiligen Lanze

Gerdi Glanzner, Wiesentheid, 1994, Feingold, Silber, 51,0 x 5,0 cm

Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg o. d. T.,

Inv.-Nr. MKM 10326/4

Vom Typ her ist das Original eine karolingische Flügellanze,bei der der ausgebrochene Mittelgrat des Lanzenblattesdurch einen geschmiedeten Eisenstab ersetzt wurde. In derAnnahme, es seien Nagelpartikel vom Kreuz Christi ins Lan-zenblatt eingeschmiedet und der nachträglich eingefügteEisenstab sei ein Nagel vom Kreuz, galt das Stück als Pas-

sions- oder auch „Longinuslanze“ nach dem römischen Sol-daten Longinus, der den gekreuzigten Jesus damit verwun-det haben soll. Als hoch verehrte Reliquie sprach man ihrgöttliche Kraft zu und führte sie als Siegesgaranten mehr-fach in bedeutenden Schlachten mit. JK

WORM 2000, S. 181–187; KIRCHWEGER 2006; REITHER 2009, S. 47f.

KAISER, PAPST UND DEUTSCHE 83

Reichsinsignien

In Alter, Herkunft und zeitbezogenem Umfang verschieden,symbolisierten die als Reichskleinodien bezeichneten Stückespätestens seit dem 13. Jahrhundert die rechtmäßige Herr-schaft des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs DeutscherNation. Da ihr jeweiliger Inhaber den Kronschatz besaß undgegebenenfalls vorweisen musste, wechselten die Aufbewah-rungsorte, bis Kaiser Sigismund die Reichsinsignien 1424 derfreien Reichsstadt Nürnberg zu „ewiger Verwahrung“ übergab.Dieses Privileg, verbunden mit der jährlichen Ausstellung derals Reliquien verehrten Bestandteile, hob das Ansehen derStadt beträchtlich.

I. 2

Kopie der Kaiserkrone

Gerdi Glanzner, Wiesentheid, 1994, Feingold, Silber, Edelsteine,

14,9 cm hoch, Ø 22,5 cm

Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg o. d. T.,

Inv.-Nr. MKM 10236/1

Nach byzantinischem Vorbild war die originale Reichskronezugleich höchste Reichsinsignie, welche aus einem Kronreifmit acht reich, teils auch bildlich verzierten Platten, mit Stirn-kreuz und dem Anfang des 11. Jahrhunderts hinzugefügten

Kronenbügel besteht. Bis hin zu ausgesuchten Materialienoder der Anzahl von Steinen folgte jedes Detail der frühmittel-alterlichen Bildsprache und verkörperte insgesamt die Idee desGotteskaisertums im Heiligen Römischen Reich. Seit Karl IV.ist der Reliquiencharakter der Reichsinsignien belegt; bei so-genannten „Heiltumsweisungen“ öffentlich ausgestellt, de-monstrierten sie zudem die Heiligkeit des Herrschers undden im Reichsgedanken verankerten Identitätsanspruch vonKirche und Staat. JK

Katalog: Kaiser Karl V. (2000), S. 156, Nr. 76 (MARIO KRAMP); REITHER 2009,

S. 24–35; Katalog: Karl der Große (2014), S. 268f., Nr. 299 (FRANK POHLE).

I. 3

Kopie des Reichszepters

Gerdi Glanzner, Wiesentheid, 1994, Feingold, Silber, 61,0 cm lang

Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg o. d. T.,

Inv.-Nr. MKM 10326/2

Als Teil der üblichen Krönungsinsignien war das Zepter infast allen Kulturen Symbol geistlicher oder weltlicher Herr-schaft und galt, biblisch untermauert, als Zeichen der Recht-sprechung. Es legitimierte seinen Träger als obersten Richter.Das ursprüngliche Reichszepter aus dem 13./14. Jahrhundert

82 I. LUTHER, DAS REICH UND DIE DEUTSCHE NATION · KATALOG

I. 2

I. 3

I. 4

I. 5

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KAISER, PAPST UND DEUTSCHE 85

I. 6

Abbildung der Reichskrone

Johann Adam Delsenbach, Nürnberg, 1790, kolorierter Kupferstich,

47,0 x 64,0 cm

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv.-Nr. HB 26832

(Kapsel 1031)

Im insgesamt zwölfteiligen Tafelwerk erfasste der namhafteBildchronist maßstabsgerecht und präzise alle Teile derReichskleinodien. Beginnend mit der Krone, folgen Reichs-und Zeremonienschwert, zwei Zepter, drei Reichsäpfel so-wie goldene Sporen und weitere Heiligtümer wie auch daskaiserliche Ornat mit Krönungsmantel und den dazugehö-rigen Schuhen. 1751 im Auftrag des Nürnberger Magistratsgeschaffen, wurden die Stiche erst 1790 unter dem TitelWahre Abbildung der sämtlichen Reichskleinodien veröf-fentlicht. 1796 wurden die wertvollen Reichskleinodien vorden vordringenden französischen Truppen von Nürnbergnach Wien in Sicherheit gebracht, wobei einige Teile ver-loren gingen. JK

Katalog: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation (2006), S.

267–269, Nr. IV. 17 (BEATRIX KRILLER/FRANZ KIRCHWEGER); KIRCHWEGER

2006.

I. 7 ( Abb. S. 33)

Gravamina Germanicae nationis ad Carolum electu ro. Regem. […] [BESCHWERDEN DER DEUTSCHEN NATION]

Jacob Wimpfeling, Köln, 1520, 20,3 x 15,5 cm

Bayerische Staatsbibliothek München, Sig. Res/4 J.publ.g. 534,

Beibd.1

Das von Kaiser Maximilian I. beauftragte Gutachten JakobWimpfelings über die Ausbeutung Deutschlands durch dierömische Kurie listete 1520 zehn Beschwerden auf, die aberinhaltlich kaum über die Schilderungen der Vorgängerversionvon 1456 hinausgingen. Unberücksichtigt blieb vor allem dieIntention des Kaisers, die Leitung der deutschen Kirche einem„Legatus natus et perpedeus“ zu übertragen, was eine gewisseSouveränität gegenüber Rom mit sich gebracht hätte. Be-merkenswert ist das Dokument als Ausdruck von Nationalge-fühl. Auf dem Wormser Reichstag 1521 wurde die langjährige,von Humanisten wie Ulrich von Hutten unterstützte Debattedurch das soeben veröffentlichte Wimpfeling-Gutachten, vorallem aber durch Martin Luthers Adelsschrift angeheizt. JK

WULFERT 2009, S. 83f.; SPEHR 2010 (Luther und das Konzil), S. 276–

278; KAUFMANN 2016, S. 54.

84 I. LUTHER, DAS REICH UND DIE DEUTSCHE NATION · KATALOG

I. 8

Quaternionen- oder Reichsadlerhumpen

[Sachsen,] 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Glas mit Emailmalerei,

31,0 cm hoch, Ø 14,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KG0012

Als „Traumbild der Reichseinheit auf deutschen Gläsern“ hatStengel (1915) diesen auch als „Adlerglas“ bekannten Typusvon repräsentativen Trinkgefäßen bezeichnet. Kurfürsten,Stände und Städte sind im Vierersystem (,quaternio‘) so inden Adlerschwingen gruppiert, dass sich die Anzahl 40 ergibt.Das Motiv reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Mit der po-litischen Krise des Reiches infolge der Reformation war dasVerlangen nach Einheit und Stabilität groß. Wohl auch des-halb waren solche Humpen in Deutschland seit etwa 1570sehr verbreitet – und wurden dann in der Zeit des Historismushäufig gefälscht. BD

SALDERN 1965, S. 51–67; Katalog: Heiliges Römisches Reich Deutscher

Nation (2006), S. 89, 91 (SVEN LÜKEN); Katalog: Luther und die Fürsten

(2015), S. 198–200, Nr. 130 (DOREEN ZERBE).

I. 9

Kurfürstenhumpen

[Thüringen,] 1602, Glas mit Emailmalerei, 31,0 cm hoch, Ø 14,2 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KG0013

Entsprechend dem „Adlerglas“ ist auch auf dieser typischdeutschen Variante von Gläsern der Frühen Neuzeit „dasReich“ präsent, hier in Gestalt der sieben Kurfürsten. Versetztauf zwei Ebenen und ausgewiesen durch Insignien undSchriftbänder reiten oben nach links die drei geistlichen Kur-fürsten und der böhmische König, unten die restlichen dreiweltlichen Regenten. Zumindest unter diesen stehen der Her-zog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg für dieEtablierung einer protestantischen Macht und Obrigkeit imReich sowie für Souveränität der Fürsten gegenüber demKaiser. BD

SALDERN 1965, S. 68–79; Katalog: Luther und die Fürsten (2015),

S. 200f., Nr. 131 (JULIANE WOLSCHINA).

I. 6

I. 8 I. 9

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I. 11

Erzengel Michael als Seelenwäger

Burgund, 1460/1470, farbig gefasster Sandstein,

107,0 x 34,0 x 35,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Kunstsammlung, Inv.-Nr. P0047

Unter dem Banner des Erzengels Michael und unter Einsatzder Heiligen Lanze ( Kat.-Nr. I. 5) schlug Kaiser Otto derGroße 955 die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld. DieserSieg wurde später als „Geburt der deutschen Nation“ stilisiert.Seitdem sah man in Michael, der nach dem Neuen Testamentder Bezwinger Satans war, den Schutzpatron des Heiligen Rö-mischen Reiches und später Deutschlands. Ikonographisch galter auch als Seelenwäger, worauf sich diese Skulptur bezieht.Am Tage des Jüngsten Gerichts entscheidet der Erzengel Michael durch das Wiegen der Seelen der Verstorbenen überderen Einzug ins Paradies oder in die ewige Verdammnis. Indiesem zeitgenössisch geläufigen Motiv veranschaulichen sichspätmittelalterliche Frömmigkeit und Endzeitfurcht. JK

LCI 1990, Bd. 3, Sp. 255–265 (OSKAR HOLL u. a.); JACOBS 1999, S. 174–

177.

I. 12

Hausaltar mit der Beweinung Christi

Brixener Werkstatt, 1510/1520, Mischtechnik auf Holz, farbig

gefasst, 70,0 x 131,0 x 35,5 cm

Thüringer Museum Eisenach, Predigerkirche, Inv.-Nr. P 106

Das wohl als privates Hausaltärchen dienende Objekt ent-stand aus dem Unterbau eines Schnitzaltars. In angedeuteterFelslandschaft sitzt hinter dem auf ein Tuch gebetteten Chris-tus die trauernde Maria, flankiert vom knienden Johannesauf der linken und Maria Magdalena mit der Salbbüchse aufder rechten Seite. Das Motiv entwickelte sich vermutlich aus

KAISER, PAPST UND DEUTSCHE 87

I. 10

Flügelaltar mit dem Jüngsten Gericht

Lucas Cranach d. Ä. nach Hieronymus Bosch, 1520–1525,

Öl auf Lindenholz, 187,2 x 269,5 cm

Reproduktion

Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 563

In der Zeit um 1500 erwarteten die Menschen das JüngsteGericht, das am Ende der Welt über sie richten sollte. DieseEndzeitstimmung schlug sich auch in der Kunst nieder. In

seinen phantastischen Werken, besonders in seinem Welt-gerichtsaltar, der sich heute in der Wiener Gemäldegaleriebefindet, veranschaulichte der niederländische KünstlerHieronymus Bosch den Kampf zwischen Gut und Böse. DieEindrücklichkeit von Boschs Werk veranlasste Lucas Cra-nach d. Ä. dazu, eine beinahe originalgetreue Kopie zu fer-tigen. Lediglich die Aktfiguren zeigen deutlich den Stil Cra-nachs. MHe

HEYDENREICH 2007, S. 73, 311, Abb. 263–266; HINZ 2010, S. 51f.; SILVER

2016, S. 121f., Fig. IV. 6.

86 I. LUTHER, DAS REICH UND DIE DEUTSCHE NATION · KATALOG

KIRCHE, PAPST UND FRÖMMIGKEIT UM 1500

In kirchlicher Hinsicht war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation Teil des lateinisch-christlichen Europa, dessen geist-liches Oberhaupt der Papst in Rom war. Die Kirche war hierarchisch in Erzbistümer und Bistümer unterteilt und reichte überdie Pfarreien bis in die entlegensten Städte und Dörfer. Die Christen um 1500 waren von der Existenz von Himmel, Hölle undFegefeuer überzeugt und ihr Glaube und ihre Frömmigkeit daher vielfach beherrscht von der Sorge um die Rettung ihres See-lenheils. Als zweckdienliche Mittel galten „gute Werke“ und Stiftungen zugunsten der Kirche; der Erwerb von Ablässen solltedie Leidenszeit im Fegefeuer verkürzen. Die Praxis des Handels mit Ablässen gegen Geldzahlungen wurde schon vor dem Auf-treten Martin Luthers kritisiert. Theologen wiesen darauf hin, dass nicht das äußere Werk, sondern eine demütige Haltung zuGott entscheidend sei. Diese Lehren prägten auch den späteren Reformator Martin Luther.

I. 10

I. 11

I. 12

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I. 14

Sermones: des hochgeleerten in gnadenerleüchten Doctoris Johannis thauleriisannt dominici ordens […]

Johannes Tauler, Augsburg 1508, gedruckt bei Johannes Otmar,

29,3 x 21,0 cm

Ratsschulbibliothek Zwickau, Inv.-Nr. 20.6.12

Für Luther war die Lektüre von Taulers Predigten ein wichti-ger Begleiter seiner theologischen Entwicklung. Er erhieltdiese in der Ausgabe von 1508 vermutlich von seinem Or-

densbruder Johannes Lang zur Leihe. Die zahlreichen Kom-mentare Luthers machen seine intensive Beschäftigung mitdem Inhalt deutlich. Eine besonders ausführliche Bemerkung,die wohl um 1515 entstand, belegt, wie stark der Reformatorvon der Theologie des spätmittelalterlichen Mystikers be-einflusst war. Das ganze Heil bestehe „im nackten Glaubenan Gott“ („nuda fides in Deum“). Damit sind bereits Ansätzeder evangelischen Rechtfertigungslehre erkennbar, besondersLuthers „Sola fide“ („allein durch den Glauben“). JK

GNÄDINGER 1993, S. 413; Luther-Lexikon 2014, S. 675f. (VOLKER LEPPIN);

LEPPIN 2016, S. 22–26.

KAISER, PAPST UND DEUTSCHE 89

der Kreuzabnahme und Grablegung Christi und betont insbe-sondere das mit der Kreuzigung Christi verbundene Leid. Aufden Außenseiten der Flügel ist die Verkündigungsszene mitMaria und dem Erzengel Gabriel dargestellt. JK

LEHFELDT/VOSS 1915, S. 340, Abb. S. 337; LCI 1990, Bd. 1, Sp. 278–282

(WALTER ARTELT).

I. 13

Schmerzensmann

Isserstedt, 1. Hälfte 16. Jahrhundert, Holz mit Fassungsresten,

72,0 x 28,0 x 16,0 cm

Thüringer Museum Eisenach, Predigerkirche, Inv.-Nr. P032

In dem gekreuzigten und wiederauferstandenen Christus fass-ten die Künstler dessen ganzes Leiden jenseits von Raum undZeit zusammen. Ikonographisch zeigte er sich in der deutschenKunstlandschaft seit dem 14. Jahrhundert oft als Lebender miterhobenen Händen, gezeichnet von Wunden und Martermalen.Das auch Erbärmdebild genannte Motiv beanspruchte tiefsteAndacht und Mitleiden. In unzähligen Formen und Variantenverewigt, ließ seine Darstellung die Passion Christi nachfühlenund verband Herrlichkeit und Niedrigkeit in einer Figur. JK

Katalog: Ich Thomas Müntzer (1989), S. 94f.; LCI 1990, Bd. 4, Sp. 87–

95 (WILTRUD MERSMANN); ZIMMERMANN 1997, S. 456f.

88 I. LUTHER, DAS REICH UND DIE DEUTSCHE NATION · KATALOG

I. 12

I. 13

I. 14

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mit dazugehörigen Hütten beteiligt, erhielt Einkünfte durchseine Ländereien und trat als Geldleiher auf. Trotz des wirt-schaftlichen Niedergangs des Bergbaus ab den 1515er Jahren,der zur Verschuldung Hans Luders führte, konnte er sein be-achtliches Privatvermögen retten.4 Die von Lucas Cranach d. Ä.1527 angefertigten Gemälde von Hans und Margarethe Luderermöglichen noch heute eine Vorstellung von Luthers Eltern. In die Fußstapfen des Vaters trat Martins jüngster Bruder Jakob(1490–1571), der nicht nur das Mansfelder Elternhaus über-nahm, sondern sich auch in Mansfeld und Goslar im Bergbauund Hüttenwesen engagierte. Mit seinen Geschwistern undderen Familien blieb Luther zeitlebens verbunden und nahmam Geschick des Mansfelder Bergbaus lebhaften Anteil.Die häusliche und religiöse Erziehung, die Martin und seineGeschwister – sieben Luder-Kinder sind bekannt – erfuhren,entsprach dem zeitgenössisch Üblichen. Abgesehen von spä-teren Äußerungen Luthers liegen hierzu keine Quellen vor, sodass psychologische Gedankenspiele nicht weiterführen. Zwar

äußerte Luther später, er habe eine strenge Erziehung erfahren,welche ihn ins Kloster getrieben hätte, gleichzeitig betonte erjedoch, die elterliche Erziehung habe ihm nicht geschadet.5

DER VATER-SOHN-KONFLIKT

Als ältester (noch lebender) Sohn wurde Martin besondersgefördert und erhielt eine kostenintensive Schulbildung zuerstin Mansfeld, dann in Magdeburg und Eisenach. Ziel des Vaterswar es, dass sein Sohn Jura studiert und in dem aufstrebendenmansfeldischen oder kurfürstlichen Beamtenwesen einewohlsituierte Position erlangt. Anfangs erfüllte Martin dieErwartungen des Vaters und begann nach einem erfolgreichenStudium der Artes liberales (Sieben freien Künste) als Magis-ter an der Universität Erfurt das Jurastudium. Mit dem Klos-tereintritt Luthers im Sommer 1505 zerschlug sich der väter-liche Wunsch. Zwar reiste der Vater 1507 zur Primiz, der ers-ten Messe, des jungen Priesters Martin ins Augustiner-Ere-

Christopher Spehr IM LUTHERHAUSE – LUTHERS FAMILIENLEBEN UND DESSEN SPÄTERE IDEALISIERUNG 177

Im frühen 19. Jahrhundert erlangte die deutsche Weihnachtihren spezifischen Charakter. Kerzen, Kugeln und Engel zo-

gen in die bürgerliche Wohnstube ein und ließen sie in be-sonderem Glanz erstrahlen. Vater, Mutter, Kinder und Ver-wandte versammelten sich um den Lichterbaum, der seit demspäteren 18. Jahrhundert als Christbaum in Mode gekommenwar, hörten die Weihnachtsgeschichte und sangen Weih-nachtslieder. Vom Himmel hoch, da komm ich her oder Gelobetseist du, Jesu Christ waren zwei der Lutherchoräle, die imevangelischen Haushalt nicht fehlen durften. Liebevoll ein-gepackte Geschenke fanden sich unter dem Baum und er-höhten die Spannung an jenem heiter-besinnlichen Weih-nachtsabend. Geprägt wurde die Stimmung durch ein Bild,das zur Verbreitung des Tannenbaums als typisch deutscheErfindung beitragen und seit der Mitte des 19. Jahrhundertsbis nach Amerika vordringen sollte: „Luther im Kreise seinerFamilie zu Wittenberg am Christabend 1536“. 1843 fertigte der Weimarer Maler Carl August Schwerdge-burth den Stahlstich für das Buch Adam und Christus oder derChristbaum in M. Luthers Kinderstube an, welches der Rektordes Erfurter Martinsstifts, Karl Reinthaler, im Augustinerklosterfür seine Waisenkinder verfasst hatte. Künstler wie GustavKönig, Franz August Schubert und Bernhard Plockhorst griffendas Motiv auf. Es vermittelte nicht nur den Eindruck einer ro-mantischen Familienidylle im Hause Luther, sondern auch dieirrtümliche Vorstellung, Luther habe den Weihnachtsbaum er-funden. Die evangelisch-bürgerliche Familienweihnacht hatteihr Vorbild gefunden.1 Doch wie sah das Familienleben im Lu-therhaus des 16. Jahrhunderts tatsächlich aus? Was lässt sichaufgrund der überlieferten Quellen rekonstruieren? Weil Lu-thers Ehe und Familie bereits unter den Zeitgenossen großeAufmerksamkeit erfuhren und Luther selbst sehr auskunfts-freudig war, liegt umfängliches Material vor. Weil nicht nurGegner wie Freunde zu Übertreibungen neigten, sondern auchLuther selbst seine Biographie gern stilisierte, sind die Quellenauf ihren Gehalt hin kritisch zu befragen.

FAMILIE LUDER

Martin Luther wurde als Sohn des Ehepaars Hans Luder(† 1530) und seiner Frau Margarethe († 1531) am 10. No-vember 1483 in Eisleben geboren. 1484 zog die Familie in dieStadt Mansfeld. Sein Vater stammte aus dem Dorf Möhra undwar der Sohn von Bauer Heine Luder († 1510), seine Mutterkam aus der ratsfähigen Familie Lindemann in Eisenach. Überden sozialen Stand der Eltern urteilte Luther später: „MeinVater ist in seiner Jugend ein armer Hauer gewesen. Die Mut-ter hat all ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen.“2 Währenddie Lutherforschung aufgrund dieser Aussagen lange davonausging, dass Luther aus einer einfachen Bauern- und Berg-arbeiterfamilie stammte, in der sich der Vater vom mittellosenBergmann zum Hüttenbesitzer hocharbeitete, ist dieses Bildaufgrund der neusten baugeschichtlichen und archäologischenForschungen in Mansfeld und Eisleben zu differenzieren.3

Großvater Heine Luder gehörte zu den freien Bauern in Möhra,also zur ländlich-bäuerlichen Oberschicht. Den Hof erbte derjüngste Sohn Heinz. Luthers Vater Hans wählte als ältesterSohn den Beruf des Berg- und Hüttenmanns. Dieser Beruf lagnahe, weil bei Möhra Kupferschiefer abgebaut wurde – mög-licherweise auch auf Ländereien der Familie Luder. Es steht zuvermuten, dass der Bauernsohn nicht als einfacher Bergmanndort arbeitete, sondern eine gewisse kaufmännische und berg-bauliche Ausbildung erfuhr. Die Eheschließung mit der Eise -nacher Bürgertochter war standesgemäß und das Holzsammelnwar im Mittelstand durchaus üblich. Weil in der GrafschaftMansfeld der Abbau der Kupferschiefervorkommen 1484 pri-vatisiert worden war, zog Hans mit seiner Familie über Eislebennach Mansfeld und investierte, ausgestattet mit dem notwen-digen Startkapital, erfolgreich im Berg- und Hüttenwesen. Dersoziale Aufstieg des Vaters, den Martin in seiner Kindheit er-lebte und der im Kauf eines größeren Anwesens sichtbar wurde,hatte wirtschaftliche Gründe. Geschickt setzte der Geschäfts-mann auf drei Bereiche: Er war an mindestens fünf Bergwerken

LUTHERS FAMILIENLEBEN UND DESSEN SPÄTERE IDEALISIERUNG

von Christopher Spehr

IM LUTHERHAUSE

III. 16 ( S. 313)Hans und Margarethe Luther (Luder)Lucas Cranach d. Ä., um 1527 (Wartburg-Stiftung Eisenach)

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chen Verhältnisse erfolgt war, die Eheschließung risikoreich;Verfolgung, Armut und Existenznot drohten zahlreichen evan-gelischen Pfarrern und ihren Familien in dieser Phase.

DIE EHEFRAU KATHARINA VON BORA

Luther, der im sich leerenden Wittenberger Augustiner-Ere-mitenkloster wohnen bleiben durfte, befasste sich immer wie-der – so im Sermon Vom ehelichen Leben – mit der Ehe, die erals „äußerlich weltlich Ding“10 und Lebensordnung Gottes lobte.Die Erziehung und Pflege der Kinder rühmte er sogar als ehe-lichen Gottesdienst.11 Doch selbst weigerte er sich jahrelangzu heiraten. Dies änderte sich vor dem Hintergrund des als Ka-tastrophe empfundenen Bauernkrieges. Am Abend des 13. Juni1525 heiratete der 41-jährige Junggeselle im engsten Freun-deskreis Katharina von Bora. Die Trauung im Schwarzen Klosterhielt der Wittenberger Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen. Ei-nige Tage später, am 27. Juni, folgten der öffentliche Kirchgangdes Brautpaares und das üppige Hochzeitsmahl mit Gästen,unter denen sich Luthers Eltern befanden. Katharina, derenAbstammung und Geburtsort bis heute nicht zweifelsfrei er-mittelt werden konnten – vermutlich wurde sie am 29. Januar1499 als Tochter von Katharina und Hans von Bora auf GutLippendorf südlich von Leipzig geboren –, war 1523 zusammenmit acht Zisterzienserinnen aus dem Kloster Mariathron inNimbschen bei Grimma nach Wittenberg geflüchtet.12

Die Eheschließung des Mönchs mit der Nonne sorgte für er-hebliches Aufsehen. Schon vorher soll der Wittenberger JuristHieronymus Schurf diesen Schritt als Ansehensverlust der Re-formation mit den Worten kritisiert haben: „Wenn dieserMönch ein Weib nehme, so würde die ganze Welt, ja derTeufel selbst, lachen.“13 Dass die Hochzeit heftige polemischeAttacken der altgläubigen Gegner auslöste, störte die Eheleutewenig. Als evangelische Gegenmaßnahme wurden in der Cra-nachwerkstatt zwischen 1525 und 1528 zahlreiche Doppel-porträts von Luther und Katharina angefertigt. Über seineneue Erfahrung als Ehemann äußerte sich Luther später:„Wenn einer am Tisch sitzt: Sieh, denkt einer, eine Weile warstdu allein, jetzt beieinander. Im Bett, wenn einer sich umsieht,sieht er ein Paar Zöpfe, die er vorher nicht gesehen hat.“14

Während Luther die soziale Rolle der Frauen auf den privatenBereich konzentriert sehen wollte und behauptete, dass sievon Geburt an unfähig zum Predigtamt seien, schrieb er ihnenvom Evangelium her volle Gleichheit mit den Männern zu.Aufgrund des Priestertums aller Getauften seien Männer undFrauen zur Verkündigung des Evangeliums berufen. In der Früh-zeit der Reformation griffen Frauen diese Argumentation aufund beeinflussten als Predigerinnen oder Autorinnen öffentli-che Diskurse. So beteiligte sich beispielsweise die fränkischeAdelige Argula von Grumbach an der Kontroverse um den re-

formatorisch gesinnten Ingolstädter Magister Arsacius Seeho-fer. Allerdings wurden diese Initiativen von männlicher Seiteschon bald wieder zurückgedrängt.15 Dass Mädchen wie Jungeneine gute Schulbildung erhalten sollten, freilich mit unter-schiedlichen Bildungsinhalten, blieb eine zentrale ForderungLuthers. Wie von seiner Katharina praktiziert, eignete Lutherder Frau als Gefährtin und Mitregentin des Ehemanns die ei-genverantwortliche Leitung des Haushaltes zu. Katharina führtedas Schwarze Kloster und entwickelte sich zu einer exzellentenGeschäftsfrau, die nicht nur die Kinder betreute, Gäste bewir-tete, Verwandten und Flüchtlingen Unterschlupf gewährte unddie Angestellten anleitete, sondern auch Studentenzimmer ver-mietete, die Bauarbeiten am Hause kontrollierte, Bier braute,die Landwirtschaft betrieb und – anders als ihr Ehemann – dieFinanzen zusammenhielt. Voller Respekt und Zuneigung schrieber über sie als „meiner liebsten Käthe“, „meiner Herrin und Ge-bieterin Käthe“ oder „mein Herr Catharin“.16 Luthers Wert-schätzung und Liebe gipfelten in dem 1542 von ihm aufgesetz-ten Testament, indem er sie gegen geltendes Recht zur Allein-erbin einsetzte und zum Vormund der Kinder bestimmte.17

Christopher Spehr IM LUTHERHAUSE – LUTHERS FAMILIENLEBEN UND DESSEN SPÄTERE IDEALISIERUNG 179

mitenkloster nach Erfurt, doch blieb das Verhältnis ange-spannt. Auch Luthers auf der Wartburg 1521/22 verfassteSchrift De votis monasticis (Über die Mönchsgelübde), die erin lateinischer Sprache dem Vater zueignete,6 sorgte nichtfür eine Besserung des Verhältnisses. Inwiefern der Vater sieüberhaupt lesen konnte, bleibt eine der vielen offenen Fragen.Erst Luthers Heirat 1525 und die Geburt des Enkels Johannes1526 sollten den jahrelangen Konflikt beenden.7

EHE UND ABSAGE ANS ZÖLIBAT

Mit der wachsenden Entdeckung der christlichen Freiheit unddem Voranschreiten des kurialen Prozesses gegen ihn, begannLuther, kirchliche Normen von der Bibel und der altkirchlichenTradition her zu problematisieren. Eines dieser Themen warder Priesterzölibat, der in der Praxis nicht selten gebrochen,in der römischen Kirche aber intensiv verteidigt und juristischgeahndet wurde. Kritik am Eheverbot für Priester kam vor-nehmlich aus humanistischen Kreisen, von denen nicht zuletztder Priestersohn Erasmus von Rotterdam herausragte.8

Luther hingegen verteidigte noch im Januar 1519 den Zölibatund urteilte über die Ehe, diese sei nur der Fortpflanzungwegen von Gott eingesetzt worden. Wenige Monate späteräußerte er sich im Sermon von dem ehelichen Stand bereitsdeutlich positiver: „O wahrlich ein edler, großer, seliger Standist der eheliche Stand, so er recht gehalten wird.“9 Die Pries-terehe thematisierte er erstmals im Februar 1520 allerdingsnoch im Irrealis; dies sollte sich bis Sommer 1520 ändern. Inseiner berühmten Schrift An den christlichen Adel deutscher

Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) wid-mete er sich der Priesterehe unter dem 14. Reformpunkt.Hier kritisierte Luther die theologische und kirchenrechtlicheBegründung der Ehelosigkeit durch den Papst, kontrastiertesie mit dem biblischen Vorbild eines Bischofs (1Tim 3,2; Tit1,6f.) und übertrug dies auf die Berufung eines Pfarrers durchdie Gemeinde. Diese habe dem Pfarrer freizustellen, ob erehelich werde oder nicht. Die Forderung nach Freilassung derPriesterehe war für den Reformator weder Selbstzweck nochmoralische Verpflichtung, sondern diente der Konzeption desevangelischen Pfarrstandes, der von Gott zur Predigt und Sa-kramentsverwaltung in der Gemeinde eingesetzt sei. Zum Ei-genschutz riet er den im Konkubinat lebenden Priestern nochvon einer öffentlichen Eheschließung ab. Nichtsdestotrotz:Durch die Adelsschrift avancierte der Ruf nach Aufhebungdes Priesterzölibats zu den signifikantesten Forderungen derreformatorischen Bewegung.Im Sommer 1521 schritten die ersten Pfarrer zur Tat und hei-rateten öffentlich. Zu ihnen zählte der Kemberger Propst Bar-tholomäus Bernhardi, der mit seiner Ehefrau das evangelischePfarrhaus in Kursachsen gründete. Seit 1522 stiegen die öf-fentlich inszenierten Eheschließungen als Bekenntnisakt zurevangelischen Lehre signifikant an. Beispielsweise heirateteim Januar 1522 der Wittenberger Theologieprofessor AndreasBodenstein, genannt Karlstadt, Anna von Mochau. In Straßburgehelichte im Dezember 1523 der Münsterprediger MatthäusZell die Bürgertochter Katharina Schütz, die zur Flugschriften-autorin und zum Prototyp der selbstbewussten Pfarrfrau wurde.Allerdings blieb, solange keine rechtliche Regelung der kirchli-

178 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · ESSAYS

II. 71 ( S. 250)Ein Christennliche schrifft einer erbarn frawen vom Adel, darinn sie alleChristenliche stendt und obrikeiten ermant […]Argula von Grumbach geb. von Stauf, Bamberg 1523 (Wartburg-StiftungEisenach)

II. 67 ( S. 248)Vom eelichen lebenMartin Luther, Wittenberg 1522,fol. 2v/3r (Wartburg-Stiftung Eisenach)

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auswärtige Gäste und Studenten. Die Schreiber stammten meistaus dem Wittenberger Schülerkreis und konzentrierten sich aufmarkante Aussagen Luthers. Der Gesprächskontext und das Da-tum wurden in der Regel nicht notiert.24 1566 veröffentlichteJohannes Aurifaber, Luthers letzter Famulus, die Colloquia oderTischreden, die schon bald zu den populärsten Luthertextenzählen sollten. Ebenso populär wirkte Luthers von Veit Dietrichbearbeitete Hauspostille (1544), die aus zwischen 1531 und1534 gehaltenen Predigten vor der Hausgemeinde hervorging.Wie sich das Miteinander im christlichen Haus gestalten sollte,skizzierte Luther in der dem Kleinen Katechismus beigegebenenHaustafel. Diese entwickelte der Eisenacher Superintendent Jus-tus Menius in seiner Schrift Oeconomia Christiana (1529) weiter,in der er das Haus als lebendige Glaubens- und Liebesgemein-schaft in den Dienst des Evangeliums stellte und als Keimzellevon Gesellschaft und Kirche in den Mittelpunkt rückte.

DIE LUTHERFAMILIE ALS VORBILD

Von den Kindern Luthers existieren keine zeitgenössischenPorträts. Von Zeitgenossen wurden die Lutherkinder zwar er-wähnt, die entscheidenden Bezugspunkte bildeten aber ent-weder Luther und Katharina oder das ganze Haus. Lediglichin der antilutherischen Polemik hielten sich Gerüchte überein vorehelich gezeugtes Kind des Ehepaares. Größte ökono-mische Schwierigkeiten entstanden Katharina und ihren Kin-dern nach Luthers Tod, so dass das Bild eines idyllischen Fa-milienlebens keineswegs den historischen Fakten entspricht.Immerhin konnte sich aber Paul aus dem Schatten des Vatersbefreien und als Mediziner Karriere machen.Von Interesse war die Lutherfamilie auch im 18. Jahrhundert.Neben antilutherischen Spottbildern gewann sie in pietisti-schen wie aufklärerischen Kreisen an Resonanz. Zu Beginn des19. Jahrhunderts avancierte sie schließlich zum Idealbild einerevangelischen Pfarrfamilie und zum Vorbild der christlichen

Familie überhaupt. Die biedermeierlichen Vorstellungen wurdennun auf Luther und seine Familie übertragen und bereits vordem Weihnachtsbaumbild durch Illustrationen von Luther alsVorleser oder als Lautespieler im Kreise seiner Familie verbreitet.Für Generationen von Protestanten boten diese volkstümlichenBilder unhinterfragt ihr anzustrebendes Familienideal.

Christopher Spehr IM LUTHERHAUSE – LUTHERS FAMILIENLEBEN UND DESSEN SPÄTERE IDEALISIERUNG 181

DIE LUTHERKINDER

Auf seine Kinder war Luther besonders stolz. Mit unterschied-licher Intensität erwähnte er seine Söhne und Töchter in Brie-fen an seine Frau, an Freunde und Kollegen sowie in denTischreden.18 Der erste Sohn wurde am 7. Juni 1526 geborenund erhielt vom Taufpaten Johannes Bugenhagen den NamenJohannes († 1575), wodurch zugleich Großvater Hans geehrtwurde. Mit „Hänschen“ öffnete sich für den einstigen Mönchnun der väterliche Erfahrungshorizont. Am 10. Dezember 1527gebar Katharina die erste Tochter Elisabeth, welche allerdingsbereits ein Jahr später starb. Als Ersatz für das kleine „Elslein“freuten sich die Eheleute über die Geburt der Tochter Magda-lena am 4. Mai 1529. Ihren Namen erhielt sie vermutlich vonKatharinas Tante, Magdalena von Bora, die als Muhme Lehned. Ä. Anfang der 1530er Jahre im Haus mitwohnte und sichum die Belange der Kinder sorgte. Zum großen Kummer derEltern starb „Lenchen“ nach kurzer Krankheit 1542. Am 9. No-vember 1531 wurde der nach dem Vater benannte Martin(† 1565) und am 28. Januar 1533 Paul († 1593) geboren.Schließlich erblickte am 17. Dezember 1534 Margarete(† 1570) das Licht der Welt, welche als einzige Luthertochterdas Erwachsenenalter erreichen sollte. Von einer lebensbe-drohlichen Fehlgeburt im Januar 1540 erholte sich die an-sonsten gesundheitlich robuste Katharina nur langsam.Die Kindheit seiner Kleinen nahm Luther intensiv wahr undentwickelte ein Gespür für das eigenständige Sein des Kindes.So konnte er beispielsweise hervorheben, dass die Kinder ein-fach wie im Paradies lebten und die „feinsten Spielvögel“seien.19 Die vielfältigen Vatererfahrungen übertrug der Re-formator auf den Glauben, indem er einerseits nach Mt 18,3die Kinder als von Christus eingesetzte Lehrer für die Er-wachsenen bezeichnete, andererseits das Verhältnis der Elternzu ihren Kindern als Beispiel für die bedingungslose Gottes-beziehung hervorhob. „Wie hast du’s verdient, oder warumsoll ich dich so lieb haben, dass ich dich zum Erben dessenmache, was ich habe? Mit Scheißen, Pinkeln, Weinen, unddass du das ganze Haus mit Schreien erfüllst [...]?“20

Als vornehmste Aufgabe der Eltern hatte Luther die Erziehungim christlichen Glauben nicht nur in seinen Schriften früh ge-fordert, sondern praktizierte sie als Vater auch selbst. Zeugnisvon Luthers pädagogischem Geschick gibt ein Brief von derVeste Coburg an sein Hänschen im Sommer 1530, in welchemer im Bild eines kindlichen Paradiesgartens den vierjährigenKnaben zu gutem Lernen und fleißigem Beten ermutigte.21 Zuden christlichen Lern- und Erfahrungsfeldern zählten die über-lieferten Tischrituale, die Luther der klösterlichen Gemein-schaft entlehnte. Vor der Mahlzeit hatten Luthers Kinder Texteaus dem Evangelium vorzulesen. Ebenfalls diente sein KleinerKatechismus, den Luther 1529 auch im Blick auf seine eigenen

Kinder verfasst hatte, als Elementarbuch des christlichen Glau-bens und wurde vor der Mahlzeit gelesen. Zudem bildetenneben dem Singen und Musizieren geistlicher wie weltlicherLieder das Morgen- und Abendgebet grundlegende Bestand-teile der kindlichen Glaubensexistenz.Hinsichtlich der Erziehungsmethode betonte Luther, dass nebender Rute stets der Apfel liegen müsse, und verhielt sich gegen-über seinen Söhnen strenger als gegenüber seinen Töchtern.Als sich bei seinem Sohn Johannes, der vom Hauslehrer Hiero-nymus Weller unterrichtet wurde, Disziplinprobleme einstellten,klagte der verzweifelte Vater 1536: „Ich will lieber einen totenSohn als einen ungezogenen haben.“22 Einige Zeit späterschickte er Johannes zu einem Bildungsaufenthalt außerhalbWittenbergs und 1542 auf die Lateinschule nach Torgau. Vä-terliche Fürsorge und Strenge bestimmten auch Luthers Vor-stellungen von den künftigen Berufen seiner Söhne. Jurist – soLuther beharrlich – dürfe keines seiner Kinder werden. Nichts-destotrotz wurde der Älteste nach Luthers Tod Jurist.

ALLTAGSLEBEN IM LUTHERHAUS

Das Schwarze Kloster, das Kurfürst Johann 1532 Luther zumfreien Eigentum ohne Abgabenlasten übertragen hatte, wardas Zentrum des durch Katharina geführten lebendigen Pro-fessorenhaushaltes und offenen Hauses. Neben der Versor-gung der eigentlichen Familie waren bis zu zehn Hausange-stellte sowie Freunde und Gäste zu beherbergen und zu be-wirten. In der Burse standen zudem bis zu 20 Studenten undMagister in Kost und Logis. Zudem kümmerte sich das Ehe-paar Luther um insgesamt zwölf Pflegekinder, von denensechs von Luthers verstorbener Schwester und SchwagerKaufmann aus Mansfeld stammten.23

Um diesen 35 bis 50 Personen umfassenden Haushalt auf-rechterhalten zu können, reichten der Klostergarten sowiedas auf dem Klosterhof gehaltene Vieh nicht aus. Katharinaveranlasste ihren Mann (Frauen galten damals nicht als ge-schäftsfähig), die landwirtschaftliche Nutzfläche um Gärten,Äcker, das Pachtgut Boos, das Familiengut Zülsdorf, das ansKlostergelände angrenzende Haus von Bruno Bauer in Wit-tenberg sowie das Gut Wachsdorf zu erweitern. 1542 besaßLuther unter den Wittenberger Bürgern den größten Grund-besitz. Seine erhaltenen Hausrechnungen veranschaulichendie Facettenhaftigkeit der ökonomischen Tätigkeiten und be-legen, dass der Bedarf des Haushalts durch Katharinas Land-wirtschaft nicht vollständig gedeckt werden konnte.Zu den überlieferten Besonderheiten im Lutherhaus gehörtendie Tischgemeinschaft sowie die Gespräche, die seit Anfang der1530er Jahre bei oder im Anschluss an kleinere oder größereMahlzeiten mitgeschrieben wurden. Teilnehmer waren häufigWittenberger Kollegen, Angehörige des kurfürstlichen Hofes,

180 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · ESSAYS

II. 70 ( S. 249)Martin Luthers eigenhändige Hausrechnung6. Januar 1542 (Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden)

1 Vgl. NAGY 2003.

2 WA TR 3, 51,8–13 (Nr. 2888a).

3 Vgl. KNAPE 2007; JUNGHANS 2008.

4 Vgl. FESSNER 2007.

5 WA TR 3, 415,28–416,2 (Nr. 3566 A), WA TR 3, 416f. (Nr. 3566 B),

WA TR 2, 134,5–8 (Nr. 1559).

6 WA 8, 573–576.

7 Vgl. insgesamt LEPPIN 2006, S. 8–16.

8 Zum Folgenden vgl. SPEHR 2013.

9 WA 2, 170,3f.

10 WA 30,3, 205,12 u. ö.

11 WA 10,2, 301,16–28.

12 Vgl. TREU 2006, S. 6–21.

13 WALCH 1752, S. 153.

14 WA TR 2, 165,14–17 (Nr. 1656).

15 Vgl. KAUFMANN 2009, S. 439–451; SCHMIDT-FUNKE 2015.

16 BORNKAMM 1996, S. 70f.

17 WA BR 9, 572 –574 (Nr. 3699).

18 Vgl. ausführlich SPEHR 2010 (Reformatorenkinder).

19 WA TR 4, 262,1–6 (Nr. 4364).

20 WA TR 1, 505,9–12 (Nr. 1004).

21 WA BR 5, 377f. (Nr. 1595).

22 WA BR 7, 467,34–30.

23 Vgl. STRAUCHENBRUCH 2010, S. 142–166.

24 Vgl. BÄRENFÄNGER/LEPPIN/MICHEL 2013.

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ten es für hinreichend, dass die Laien das Wort Gottes in derdeutschen Sprache vernehmen und das Wirken des HeiligenGeistes inwendig erfahren könnten. Angesichts solcher Bil-dungsverachtung mussten Luther und Melanchthon dem be-sorgten Erfurter Humanisten Eobanus Hessus eigens versi-chern, dass für ihre reformatorische Theologie und für dasVerständnis der Bibel der Dienst der Wissenschaft, besondersdas Studium der Sprachen, unverzichtbar war.5

Vor diesem Hintergrund appelliert Luther 1524 An die Rat-herren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulenaufrichten und halten sollen. Er nimmt hier vor allem diekommunale Obrigkeit in die Pflicht, sich der von Gott gebo-tenen Bildungsaufgabe anzunehmen, zumal dann, wenn dieEltern und die Kirche ihrem Bildungsauftrag nicht nachge-kommen seien. Luther sieht im Rahmen seiner Unterscheidungzwischen den beiden Reichen und Regimenten Gottes in derBildung ein wesentliches Element des weltlichen RegimentesGottes, das das geschöpfliche Leben erhalten und fördernwolle. Deshalb tue die städtische Obrigkeit etwas für das Ge-meinwohl, wenn sie die durch die Verminderung der kirchli-chen Abgaben eingesparten Gelder in das kommunale Bil-dungswesen investiere.In der Ratsherrenschrift schlägt Luther zur Verbesserung desBildungswesens vor, gute Schulbibliotheken einzurichten, so-wohl Jungen als auch Mädchen den Schulbesuch zu ermög-lichen und die schulische Bildung zweistufig anzulegen. Einebegrenzte Unterrichtszeit genüge, um auf einfache häuslicheund ökonomische Tätigkeiten vorzubereiten. Die Ausbildungdes theologischen und administrativ-juristischen Nachwuch-ses dagegen solle sich an gehobenen humanistischen Bil-dungsstandards orientieren. Für die Auslegung der HeiligenSchrift seien breite sprachliche und philologische Kompeten-zen erforderlich, für das Handeln in der Gesellschaft könnedie gesamte historische, politische und ökonomische Erfah-rungsweisheit der Antike fruchtbar gemacht werden. So sehrLuther die schulische Bildung 1524 funktional begründete,reduzierte er sie doch nicht utilitaristisch auf die Vermittlungvon Berufsqualifikationen. Vielmehr hob er die Eigenbedeu-tung der Bildung für das einzelne Individuum hervor. Es geltealso, die Zeichen der Zeit zu erkennen und „die gnade Gottisnicht vergeblich [zu] empfahen“,6 denn „Gottis wort und gna-de ist ein farender platz regen, der nicht wider kompt, wo ereyn mal gewesen ist“.7

Im Umfeld Wittenbergs kam es schon 1524 zu ersten Schul-reformen in Gotha, Halberstadt und Nordhausen. Im selbenJahr übernahm der Melanchthon-Schüler Caspar Crucigerdas Rektorat der neuen Lateinschule in Magdeburg. Die Gra-fen von Mansfeld gründeten 1525 in Luthers GeburtsstadtEisleben eine Lateinschule, deren erster Rektor Luthers Schü-ler Johannes Agricola wurde. Die Eislebener Schulordnung

sah drei Klassen vor, eine Elementarklasse zum Lernen desLesens im Lateinischen, eine zweite Klasse für das Üben derGrammatik und eine dritte Klasse für das Studium der Dia-lektik, Rhetorik und Geschichte sowie fakultativ zum Erlernender griechischen Sprache. Mathematik, Musik und Religionvervollständigten den Fächerkanon. Die vom Rat der Reichs-stadt Nürnberg 1524 beschlossene Gründung eines akademi-schen Gymnasiums wurde unter maßgeblicher MitwirkungMelanchthons bis 1526 ins Werk gesetzt. Aus dieser bedeu-tenden Gelehrtenschule ging später die reichsstädtische Uni-versität Altdorf hervor. Eine ähnliche Entwicklung vom aka-demischen Gymnasium zur Universität vollzog sich in einemlängeren Prozess bis 1622 auch in Straßburg. Luther undMelanchthon unterstützten verschiedene Städte und Territo-rien bei der Konsolidierung ihres Schulwesens durch Gutach-ten und vermittelten ihnen immer wieder auch geeigneteLehrkräfte.8

Konrad Hammann IMPULSE DER REFORMATION FÜR DAS BILDUNGSWESEN 183

A ls Luther im Juni 1520 den Kaiser und den deutschenAdel, die vornehmsten Repräsentanten des christlichen

Laienstandes, zur Reformation der Christenheit aufrief, bezoger in seine Reformvorschläge auch das Bildungswesen mitein. An den Universitäten solle die Lektüre der Bücher desAristoteles, abgesehen von seiner Logik, Rhetorik und Poetik,eingestellt, den alten Sprachen, der Geschichte und der Ma-thematik hingegen verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt wer-den. An der Juristischen Fakultät möge man das GeistlicheRecht abschaffen und den Wildwuchs im weltlichen Rechtbeschneiden. Die Theologen sollten anstatt der Sentenzendes Petrus Lombardus die Heilige Schrift in das Zentrum ihresStudiums rücken. „Fur allen dingenn solt in den hohen unndnydern schulen die furnehmst und gemeynist lection sein dieheylig schrifft, unnd den jungen knaben das Evangely“.1 Aberauch Mädchen sei der Schulbesuch zu ermöglichen. Denn je-der Christ müsse schon in jungen Jahren das Evangeliumkennen. Insbesondere die weltliche Obrigkeit hätte ihrer Ver-antwortung für das Schulwesen gerecht zu werden.Einen Teil dieser Forderungen hatte bereits die von dem Theo-logenkreis um Luther angestoßene Universitätsreform in Wit-tenberg 1518 erfüllt. Die Neuordnung des Studienbetriebs inder artistischen Fakultät, die Einrichtung von Anfängerkursenin den drei alten Sprachen, die Etablierung zweier neuerLehrstühle für Griechisch und Hebräisch sowie die Aufwer-tung der Geschichte und der Mathematik brachten die fürWittenberg charakteristische Verbindung zwischen humanis-tischen Vorstellungen und der neuen „reformatorischen“Theologie Luthers zum Ausdruck.2 Für die weitere Reformati-onsgeschichte sollte sich die Berufung Philipp Melanchthonsauf die Wittenberger Professur für die griechische Spracheund Literatur als überaus bedeutsam erweisen. Melanchthonfügte sich mit seiner Antrittsvorlesung De corrigendis adu-lescentiae studiis (Über die Studienreform) nahtlos in dieWittenberger Reformbestrebungen ein und entwickelte eige-

ne Gedanken zur Neuausrichtung des artistischen Grundstu-diums, zur Bedeutung des Studiums der Geschichte für dasöffentliche und private Leben sowie zur Notwendigkeit desmit dem humanistischen Ruf „ad fontes“ konvergierendenStudiums der Bibel in ihren ursprünglichen Sprachen.3 Me-lanchthon engagierte sich nicht nur bei der weiteren Reformder Universität Wittenberg, sondern darüber hinaus in sämt-lichen Bereichen des Bildungswesens in zahlreichen Städtenund Territorien, die sich der Reformation angeschlossen hat-ten. Insbesondere durch seine Lehrbücher übte er einen star-ken Einfluss auf die schulische und universitäre Bildung im16. Jahrhundert aus. Man hat ihm nicht von ungefähr denEhrentitel „Praeceptor Germaniae“ beigelegt.Die Reformation konnte mit ihren Bildungsinitiativen an denAufschwung des Bildungswesens im 15. und frühen 16. Jahr-hundert anknüpfen. Im Mittelalter war das niedere und hö-here Schulwesen überwiegend in der Obhut der Kirche ge-wesen, die in Elementar- und Domschulen die zukünftigenWeltgeistlichen und in den Klosterschulen die Ordensleuteausbilden ließ. Im späten Mittelalter kam es dann zur Grün-dung von Lateinschulen in kommunaler Trägerschaft und vondeutschen Schulen, die dem Nachwuchs der Handwerker undKaufleute berufsbezogene Kenntnisse vermittelten. Diese de-mographisch und ökonomisch bedingte Dynamisierung desBildungswesens hauptsächlich in den Städten führte zu einemsignifikanten Anstieg des Alphabetisierungsgrades auf etwa30 Prozent der reichsstädtischen Bevölkerung.4

Trotz dieser günstigen Voraussetzungen wurde die Bildung inder frühen Reformation vereinzelt infrage gestellt. Währendder Wittenberger Unruhen 1521/22 stellte die lokale Kna-benschule den Unterricht zeitweilig ein. Die Immatrikulatio-nen an den deutschen Universitäten gingen mit AusnahmeWittenbergs spürbar zurück. Radikale Prediger sprachen sichunter dem Einfluss Andreas Karlstadts und Thomas Müntzersgegen das Universitätsstudium aus. Diese Spiritualisten hiel-

IMPULSE DER REFORMATION FÜR DAS BILDUNGSWESEN

von Konrad Hammann

II. 77 ( S. 254)An die Radherrn aller stedte deutsches lands: das sie Christliche schulenauffrichtenn und halten sollen. […]Martin Luther, Erfurt 1524 (Universitätsbibliothek Heidelberg)

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tionen entfallen, so wurden sie 1535/36 als unentbehrlicheBestandteile der akademischen Bildung wieder eingeführt.Bereits bestehende Universitäten in evangelischen Territorienfolgten dem Beispiel Wittenbergs, so Tübingen, Greifswald,Frankfurt an der Oder, Leipzig, Heidelberg und Rostock.15

Unter den evangelischen Universitätsgründungen der Refor-mationszeit ist zunächst Liegnitz zu erwähnen. Da die 1526eingerichtete Hochschule allerdings nur bis 1530 Bestandhatte, gilt gemeinhin die 1527 von Philipp von Hessen ge-gründete Universität Marburg als die erste protestantischeHochschule. In Marburg verzichtete man von vornherein aufdie Kanonistik und auch auf eine päpstliche Bestätigung.Philipp der Großmütige erlangte für die hessische Universitätallerdings erst 1541 die für die Anerkennung der akademi-schen Grade erforderlichen kaiserlichen Privilegien. Die vonihm 1529 in Marburg eingerichtete Hessische Stipendiaten-anstalt sollte mittellosen Landeskindern das Studium ermög-lichen.16 Dem Marburger Beispiel folgend, gründete HerzogUlrich von Württemberg 1536 das Stift in Tübingen, um dieAusbildung evangelischer Pfarrer für sein Land sicherzustellen.

Die Zahl der in den folgenden Jahrhunderten aus dem Tübin-ger Stift hervorgegangenen bedeutenden Theologen, Philo-sophen, Gelehrten und Schriftsteller ist Legion.17

Die übrigen Universitätsgründungen des Reformationszeital-ters, die mit der 1544 eröffneten Universität Königsberg ihrenAnfang nahmen, gehören schon in die Phase der zunehmen-den Konfessionalisierung des abendländischen Christentums.Sie dienten weiterhin der akademischen Ausbildung der Pfar-rer, Lehrer, Juristen und Verwaltungsbeamten, trugen zur kon-fessionellen Einheit der betreffenden Territorialstaaten bei,und ihre Theologischen Fakultäten übernahmen die Aufgabe,die eigene Konfessionslehre in der Auseinandersetzung mitden anderen Konfessionen als plausibel zu erweisen. Die 1548gegründete Hohe Schule Jena wurde 1558, nach dem Augs-burger Religionsfrieden, durch Kaiser Ferdinand als Volluni-versität anerkannt. Im norddeutschen Raum gewann die 1576errichtete Universität Helmstedt eine über das FürstentumBraunschweig-Wolfenbüttel hinausreichende Bedeutung. DieUniversität Gießen, 1607 als Gegenuniversität zu der seit1605 reformierten Universität Marburg gegründet, wurde zu

Konrad Hammann IMPULSE DER REFORMATION FÜR DAS BILDUNGSWESEN 185

Die reformatorische Schulreform blieb langfristig nicht aufeinzelne kommunale Initiativen beschränkt. Sie bedurfte frei-lich, zumal in den Territorien, einer verbindlichen Rechts-grundlage. Im Kurfürstentum Sachsen schuf Melanchthon –im Zuge der ab 1526/27 durchgeführten Kirchen- und Schul-visitationen – mit dem Schlussabschnitt Von Schulen in sei-nem Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürs-tentum Sachsen 1528 die Voraussetzungen für die Reformdes Schulwesens. Nach Melanchthons Vorstellungen sollteLatein die einzige Unterrichtssprache sein, die Zahl der Lehr-bücher begrenzt werden und der Unterricht in Klassen („Hau-fen“) der unterschiedlichen Lernentwicklung der KinderRechnung tragen.9 Die Ausführungen Melanchthons im Un-terricht der Visitatoren erlangten für Kursachsen Gesetzes-kraft. Sie wurden auch in anderen reformatorischen Kir-chenordnungen rezipiert, so etwa in der von Johannes Bu-genhagen verfassten Braunschweiger Kirchenordnung von1528 oder in der von Melanchthons Schüler Johannes Auri-faber 1552 erstellten Mecklenburgischen Kirchenordnung.10

In Wittenberg folgten die Knabenschule und die auf BetreibenLuthers und Bugenhagens eingerichtete Mädchenschuleselbstverständlich den Unterrichtsprinzipien Melanchthons.Luther schärfte noch einmal 1530 in seiner auf der Veste Co-burg verfassten Predigt, daß man Kinder zur Schule haltensolle namentlich den Eltern ein, die Bildung nicht aus utili-taristischem Kalkül zu verachten, sondern ihren Kindern einegute Ausbildung zukommen zu lassen. Dies sei nicht nur fürderen Entwicklung von elementarer Bedeutung, sondern auchdie unverzichtbare Voraussetzung für die Wahrnehmung dergesellschaftlichen Aufgaben, die sowohl das geistliche alsauch das weltliche Amt, je auf verschiedene Weise, zu erfüllenhätten.11 Mit seinem Kleinen Katechismus hatte Luther 1529im Übrigen das Büchlein geschrieben, das sich über Jahrhun-derte hin als ein Grundbuch evangelischen Christentums er-weisen sollte. Der Kleine Katechismus diente ganzen Genera-tionen von Schülern als erste Einführung in den christlichenGlauben und zugleich als Fibel zum Erlernen des Lesens undSchreibens.Dem religiös begründeten Bildungsanliegen der Reformationentsprach das ausgeprägte Interesse der evangelischen Terri-torien an einem Ausbau des höheren Schulwesens. Denn derfrühneuzeitliche Territorialstaat bedurfte, um seine adminis-trativen, kulturellen, politischen und militärischen Aufgabenerfüllen zu können, gut ausgebildeter Führungseliten. Umgeeignete Schüler auf das Universitätsstudium vorzubereiten,gründete Herzog Moritz von Sachsen 1543 im Zuge der Sä-kularisierung von Klöstern die Fürsten- und LandesschulenPforta bei Naumburg und St. Afra in Meißen, die er 1550 –inzwischen mit der Kurwürde belehnt – noch um die Fürs-tenschule St. Augustin in Grimma ergänzte. Die sächsischen

Fürstenschulen, deren Leistungsfähigkeit sich nicht zuletztdem Wirken ihres ersten Inspektors Johannes Rivius verdank-te, gaben das Muster für weitere Fürstenschulen in Schwerin(1553), Heilsbronn (1582) und Joachimsthal (1607) ab.12

Auch die Gelehrtenschulen, die Philipp der Großmütige 1527in Marburg – dort in enger Verbindung zur neuen Universität– und 1539 in Kassel einrichtete, dienten der Vorbereitungder Absolventen auf das Theologiestudium und damit aufden Pfarrerberuf oder auf ein anderes Studium und die spä-tere Ausübung eines staatlichen Amtes. Ähnliches gilt für dieLandesschule in Korbach, die die Grafen zu Waldeck 1579gründeten.13 In Württemberg wandelte Herzog Christoph1556 dreizehn der vierzehn Männerklöster des Landes inKlosterschulen um. Von ihnen konnten sich langfristig dieEvangelisch-Theologischen Seminare in Maulbronn und Blau-beuren halten, zu denen Anfang des 19. Jahrhunderts nochdie Seminare Schönthal und Urach hinzukamen. Die würt-tembergischen Klosterschulen dienten ebenfalls der Vorbe-reitung auf das Theologiestudium, das anschließend am Tü-binger Stift zu absolvieren war, führten in ihren Ordnungenallerdings Elemente der vorreformatorischen klösterlichenTradition fort.14 Die evangelischen Gelehrtenschulen trugenüber mehrere Jahrhunderte maßgeblich zur Konsolidierungder evangelischen Landeskirchen bei und beeinflussten diekulturelle Entwicklung der betreffenden Territorien nachhal-tig. Sie prägten, wie schon ihre Absolventenlisten mit ihrenzahlreichen illustren Namen zu erkennen geben, die deutscheKultur- und Geistesgeschichte bis in das 20. Jahrhundert hi-nein entscheidend mit.Schließlich zählte auch der Ausbau der universitären Bildungzu den genuinen Anliegen der Reformation. Für die evangeli-schen Pfarrer ergab sich die Notwendigkeit eines Universi-tätsstudiums aus dem besonderen Profil ihres Berufes. Nachdem Verständnis der Reformatoren bestand die Kernaufgabedes Pfarrers in der Predigt des Wortes Gottes, in der Auslegungeines biblischen Textes in die Lebenswelt der Hörer hinein.Um diese Aufgabe sachgemäß erfüllen zu können, benötigteder Pfarrer exegetische und theologische, hermeneutische undrhetorische Kompetenzen, die er am besten durch das Theo-logiestudium erwerben konnte. Anders als die spätmittelal-terlichen Priester, die nicht studiert haben mussten, hatte dieüberwiegende Zahl der evangelischen Pfarrer bis gegen Endedes 16. Jahrhunderts ein Theologiestudium absolviert.Die Universität Wittenberg, eine Keimzelle der Reformation,avancierte zum Vorbild der Universitätsreform in den luthe-rischen Territorialstaaten. Die Leucorea erhielt zwischen 1523und 1536 durch mehrere Reformen ihre einstweilen maß-gebliche Gestalt. Die neuen Statuten der Theologischen Fa-kultät von 1533 verfasste Melanchthon. Waren in Wittenbergnach 1525 im Studienbetrieb die Disputationen und Promo-

184 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · ESSAYS

II. 75 ( S. 253)Unterricht der Visitatorn an die pfarhern Im Kurfurstenthum zu SachssenPhilipp Melanchthon, Wittenberg 1528 (Wartburg-Stiftung Eisenach)

II. 33 ( S. 226)Deudsch catechismusMartin Luther, Wittenberg 1529 (Wartburg-Stiftung Eisenach)

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der straff organisierte Jesuitenorden eine seiner Hauptauf-gaben in der Modernisierung des katholischen Bildungswe-sens sah. Die Societas Jesu vermochte durch die Reform undNeugründung zahlreicher Gymnasien, Kollegien und Univer-sitäten, durch die Verbindung von Spiritualität, katholischerLehre und religiös fundierter Ethik sowie nicht zuletzt durcheine Pädagogik, die sich zur Bildung der ganzen Persönlichkeitinnovativer didaktischer Methoden bediente, das Bildungsni-veau der katholischen Territorien im Reich dem der beidenkonkurrierenden protestantischen Konfessionskulturen we-nigstens partiell anzugleichen.19 Freilich war auch diese Ent-wicklung eine Folge der Reformation.Die Reformation war nicht nur eine Bewegung, die sich derErneuerung der Kirche verschrieb, sondern ebenso eine Bil-dungsbewegung. Ein Christentum, das aus der Quelle der

Heiligen Schrift schöpfte, musste schon deshalb eine Religionder Bildung sein. Ein Christentum, das sich in der Verantwor-tung für das öffentliche Gemeinwohl wusste, musste auchdeshalb eine Religion der Bildung sein. Religiöse Bildung istein unentbehrlicher Bestandteil des christlichen Glaubensund der ihm eigentümlichen Gottes- und Selbstgewissheit.Bildungsverantwortung ist zugleich eine die Glaubenden aufihren Dienst am Nächsten und an der Gesellschaft verpflich-tende Aufgabe. Beides ist ein Erbe der Reformation, das bisheute fast unbestritten in Geltung steht. Fast – nur der Teufelmag die Bildung gar nicht. Er will nämlich, dass wir „nichtslernen noch wissen sollen“.20 Aber – so fragte Luther schon1530 – „wo die schrifft vnd künst untergehet, Was will dableyben ynn deudschen landen, denn […] ein sewstall vndeine rotte von eitel wilden thieren?“21

Konrad Hammann IMPULSE DER REFORMATION FÜR DAS BILDUNGSWESEN 187

einer Heimstatt der lutherischen Orthodoxie. Auch die 1620errichtete kleine Universität Rinteln stand vorerst unter demEinfluss der lutherischen Orthodoxie, sie erwies sich allerdingsauf Dauer als nicht überlebensfähig.Bezeichnend für die Bildungsanstrengungen der SchweizerReformation war die auf Ulrich Zwingli zurückgehende Pro-phezey in Zürich (1525). In dieser Bibelschule legten philolo-gisch versierte Theologen – neben Zwingli unter anderemLeo Jud, Heinrich Bullinger, Theodor Bibliander und KonradPellikan – in fortlaufenden Vorträgen die Bibel aus und leite-ten auf diese Weise viele reformierte Prediger zum herme-neutisch reflektierten Umgang mit der Heiligen Schrift an.Aus diesen im Chorraum des Zürcher Großmünsters gehalte-nen Lectiones publicae ging als Gemeinschaftswerk die Zür-cher Bibel hervor, die bereits 1530 vollständig erschienenereformierte Bibelübersetzung, die nächst der Lutherbibel diewirkmächtigste Übertragung der Bibel in die deutsche Spra-che wurde. Von der Zürcher Prophezey gingen aber auch Im-pulse für die Entwicklung eines neuen Typus der reformiertenHochschule aus, der an der Universität Basel ab 1532 sowie

in den Neugründungen Bern (1528), Lausanne (1637) undGenf (1559) sowie in Deutschland in Zerbst (1581/82) undHerborn (1584) Gestalt annahm. Diese Hochschulen musstenauf die kaiserlichen Privilegien verzichten, denn die Refor-mierten in der Schweiz gehörten nicht zum Heiligen Römi-schen Reich Deutscher Nation, und das Reformiertentum inDeutschland war bis 1648 reichsrechtlich nicht anerkannt;sie erreichten gleichwohl in der Entfaltung der reformiertenLehre und in der Ausbildung der reformierten Pfarrerschaftein höchst beachtliches Niveau.18

So signifikant der Vorsprung auch war, den die lutherischewie auch die reformierte Konfession im Bereich der Bildunggegenüber den Altgläubigen erreicht hatten, vermochte dierömisch-katholische Kirche doch auf der Basis der Beschlüssedes Konzils von Trient (1545–1563) seit der Mitte des16. Jahrhunderts zunehmend Boden wiedergutzumachen. DieAnstrengungen des tridentinischen Reformkatholizismus, inder Katechese der Kinder und Laien sowie in der Ausbildungder Geistlichen neue Wege zu gehen, trugen bald Früchte.Dabei kam der römisch-katholischen Kirche zustatten, dass

186 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · ESSAYS

1 LUTHER 1520 (An den christlichen Adel), WA 6, S. 461,11–13.

2 Vgl. KRUSE 2002, S. 139–153.

3 Vgl. SCHEIBLE 1997, S. 31f.

4 Vgl. KAUFMANN 2009, S. 98–102; SCHEIBLE 2010, S. 152–157.

5 Vgl. BRECHT 1986, S. 140; HAMMANN 2014, S. 19f.

6 LUTHER 1524 (An die Ratherren), WA 15, S. 31,8f.

7 LUTHER 1524 (An die Ratherren), WA 15, S. 32,7f.

8 Vgl. BRECHT 1986, S. 143; SCHEIBLE 1997, S. 44–49; SCHEIBLE 2010, S. 157–

162.

9 Vgl. SCHEIBLE 1997, S. 43f.; SCHEIBLE 2010, S. 162f.; HAMMANN 2014, S. 29f.

10 Vgl. SCHEIBLE 2010, S. 163f.

11 Vgl. LUTHER 1530 (Eine Predigt); dazu HAMMANN 2014, S. 30–32.

12 Vgl. FRIEDRICH 1983.

13 Vgl. FLÖTER/WARTENBERG 2004.

14 Vgl. EHMER/KLUMPP/OTT 2006.

15 Vgl. SCHEIBLE 2010, S. 168–172.

16 Vgl. HEINEMYER 1977.

17 Vgl. SCHÖLLKOPF 1986.

18 Vgl. KAUFMANN 2009, S. 410, 561; SCHEIBLE 2010, S. 166–168.

19 Vgl. KAUFMANN 2009, S. 675, 705f.

20 LUTHER 1530 (Eine Predigt), WA 30 II, S. 523,6f.

21 LUTHER 1530 (Eine Predigt), WA 30 II, S. 523,8–11; vgl. dazu HAMMANN

2014, S. 31.

II. 80 ( S. 255)Stiftungsprivileg König Ferdinands I. für die Universität JenaWien, 15. August 1557 (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena)

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II. 28 ( Abb. S. 168)

Luthers Brief an Spalatin wegen derÜbersetzung von Namen einiger Edelsteine

Wittenberg, 15. Mai 1522, Handschrift, 21,0 x 14,5 cm

Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, Z8 Luther-Hand-

schriftensammlung, Nr. 151

II. 29

Luthers Brief an Spalatin wegen derÜbersetzung von Tiernamen

Wittenberg, 12. Dezember 1522, Handschrift, 21,0 x 14,5 cm

Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, Z8 Luther-Hand-

schriftensammlung, Nr. 177

Um manches Wort habe man tage- und wochenlang gerungen,bekannte Luther bezüglich der Bibelübersetzung. Belegt sindseine Sammlung spezieller Begriffe, regional üblicher Redewen-dungen oder die darauf abzielenden Anfragen wie hier an Spa-latin. Ihn bat er um Definition und Namen verschiedener Tiere,insbesondere von Raubvögeln, die er nicht zu unterscheidenwisse, sowie um Aufklärung über Juwelen aus den kurfürstlichenSchatzkammern. Um das Neue Jerusalem ganz konkret in Farbenund Leuchtkraft zu veranschaulichen, wollte Luther die kostbaren

Exemplare sogar selbst in Augenschein nehmen, was wiederumdie Präzision seiner Übersetzungsarbeit beleuchtet. JK

WA BR 2, S. 526–529, 630–632; STOLT 2000, S. 99–100; KRAUSS 2009, S. 81.

II. 30

Biblia: das ist: die gantze heiligeschrifft: Deudsch auffs new zugericht

Martin Luther, Wittenberg 1541, gedruckt bei Hans Lufft,

40,0 x 29,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Bibliothek, Sig. 2212-50, Vorsatz

Nach rund 12-jähriger Übersetzungsarbeit, die sich in zahl-reichen Teilausgaben niederschlug, erschien 1534 erstmalsdie vollständige Lutherbibel. Doch auch weiterhin waren Lu-ther und sein Wittenberger Kollegium um ständige Verbesse-rung bemüht, worüber protokollierte Revisionsgänge Auskunftgeben. An diesen beteiligten sich mit Philipp Melanchthon,Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger, Johann Forster undJustus Jonas jene, die sich im vorliegenden Exemplar direkthinter Luther und auf den Vorsatzblättern eintrugen. Dieseals „Wartburgbibel“ bekannte Ausgabe weist außerdem einefast lückenlose Besitzgeschichte auf. JK

Luther-Lexikon 2014, S. 110f. (STEFAN MICHEL); BUBENHEIMER 2016,S. 110–120; MIKSCH 2016, S. 54f., Nr. 6.

DER AUFENTHALT AUF DER WARTBURG 223

II. 26

Das naw Testament

Hieronymus Emser, Dresden 1527, gedruckt bei Wolfgang Stöckel,

30,5 x 21,5 cm

Bayerische Staatsbibliothek München, Sig. Res/4 B.g.cath. 150 i

Luthers Neues Testament wurde viel bewundert, stieß aberauch auf heftige Ablehnung. Besonders rieben sich die altgläu-bigen Kritiker an frei verdeutschten Textstellen, so etwa andem Satz, dass der Mensch allein durch den Glauben gerechtwerde. Den Vorwurf, Luther sei der sanktionierten Fassung derVulgata nicht gerecht geworden, teilte auch Herzog Georg vonSachsen, der alle Exemplare aus seinem Land zu verbannensuchte. In seinem Auftrag verfasste Luthers Widersacher Emsereine „korrekte“ Übersetzung, die sich allerdings am geschmähtenText orientierte, so dass sie der Wittenberger als Plagiat be-zeichnete. Emsers Neues Testament von 1527 eröffnete dieFolge der sogenannten katholischen Korrekturbibeln. JK

METHUEN 2008, S. 130–135; Luther-Lexikon 2014, S. 110 (STEFAN MI-CHEL); KAUFMANN 2016, S. 474f.

II. 27

Ein sendbrieff D. M. Luthers. Von dolmetzscheñ und fürbit der heiligenn

Martin Luther, Nürnberg 1530, gedruckt bei Georg Rottmaier,

19,0 x 15,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Bibliothek, Sig. Th 973

Entstanden im September 1530, als Luther von der sicherenVeste Coburg aus die Geschehnisse auf dem AugsburgerReichstag abwartete, ist dieser Text gleichermaßen Überset-zungsanleitung, Rechtfertigung seiner Übersetzungsarbeitund Brief an einen Freund. Für das Übersetzen entscheidendsei es, den genauen Sinn des Satzes eingängig in den Wortender Zielsprache wiederzugeben, so Luther. Das Deutsche müs-se man dabei ebenso gut beherrschen wie die Quellspracheund zusätzlich in der Lage sein, die zuweilen schwierige bib-lische Sprache für die breite Masse verständlich zu machen.In selbstsicherer Manier spricht Luther aber genau diese Fä-higkeiten seinen, im Text als Esel dargestellten altgläubigenKritikern Emser und Eck ab. DM

KRAUSS 2009; Katalog: Luther und die Fürsten (2015), S. 272, Nr. 200

(JOCHEN VÖTSCH); SPEHR 2016, S. 83–93.

222 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · KATALOG

II. 27

II. 29

II. 26

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REFORMATION DES GLAUBENS 225

II. 31

Biblia: das ist: die gantze heiligeschrifft: Deudsch auffs new zugericht [ZERBSTER PRUNKBIBEL]

Martin Luther, Wittenberg 1541, gedruckt bei Hans Lufft, 42,5 x 30,0 cm

Stadt Zerbst/Anhalt, Sig. So. 546 a, So. 546 c

Die Prunkbibel des anhaltinischen Fürsten Georg III. ist einerepräsentative und kunstvoll ausgearbeitete Version der Lu-therbibel von 1541, die in dieser besonders schmuckvollenAuflage vor allem von protestantischen Landesfürsten erworbenwurde. Auch als Cranachbibel bezeichnet, weist sie prächtigekolorierte Holzschnitte des unbekannten Werkstattmeisters MSauf und ist durch reiche Vergoldungen und ein spezielles Wap-pentitelblatt gekennzeichnet. Die Pergamentblätter wurden indrei Bände eingebunden. Georg von Anhalt brannte nach seinerKonvertierung für die lutherische Lehre und führte sie im Jahre1534 auch in seinen Landen ein. DM

KREISSLER 2008, S. 122; LEPPIN 2008, S. 24–26; JACOBS 2009 (Mein Gott

nicht), S. 68–70, Abb. 17.

224 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · KATALOG

REFORMATION DES GLAUBENS

Allein durch den Glauben werde der Mensch vor Gott gerechtfertigt, lautete Luthers Grundsatz. Weder gute Werke oder Ver-dienste seien vor dem himmlischen Vater von Belang noch der eigene Wille. Vielmehr habe Gott den Glauben an Versöhnungswerkund Erlösertod Christi geschenkt und gebe dem Gläubigen so das ewige Leben. Diese Gottesgnade fand Luther in Paulus’ Rö-merbrief, ebenso ergaben sich für ihn die Sakramente aus dem Neuen Testament. Alleinige Richtschnur des Glaubens sollte dieBibel sein. Seine reformatorische Theologie führte nicht nur zu einer neuen christlichen Konfession, sondern brachte wichtigegesellschaftliche Folgen mit sich, so die mögliche Eheschließung für Pfarrer oder wesentliche Impulse für das Bildungswesen.Vieles davon, was als „protestantisch“ gilt, wird auf Luther zurückgeführt, oft ohne die programmatische Mitarbeit seiner Weg-gefährten wie Philipp Melanchthon, Justus Jonas oder Johannes Bugenhagen zu berücksichtigen. Allerdings blieb Luther diebestimmende Autorität innerhalb dieses Kreises und neigte zu scharfer Polemik gegen Andersdenkende.

II. 32 ( Abb. S. 340)

Sündenfall und Erlösung

Georg Lemberger, 1535, Öl auf Lindenholz, 66,9 x 80,2 cm

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Inv.-Nr. Gm 1601

Vor lichter Waldkulisse im Stil der Donauschule ist ein Grund-pfeiler in Luthers Glaubenslehre wirkungsvoll in Szene ge-setzt: Gesetz und Gnade. Der sündige Mensch im Mittelpunktlässt die alttestamentliche Welt der Gebote hinter sich, um

sich Christus und der lebendigen Botschaft des Neuen Testa-ments zuzuwenden. Er findet Erlösung und ist gerechtfertigtallein durch den Glauben und die Gnade Christi. Georg Lem-berger, sonst vor allem als Holzschnittillustrator für die neueBibel tätig, schuf ein lutherisches Lehrbild, eine Glaubensal-legorie mit didaktischer Botschaft als Variante zu den be-kannteren Cranach-Versionen. BD

REINDL 2010, Bd. 1, S. 238–272, Bd. 2, Nr. M 6; http://objektkatalog.gnm.de/objekt/Gm1601 (18. August 2016).

II. 31

II. 30

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II. 35

Concordia Christliche widerholete einmütige bekentnues nachbenanterChurfuersten, Fuersten und StendeAugspurgischer Confession und dersel-ben zu ende des buchs underschriebenertheologen lere und glaubens. […]

Martin Luther, Dresden 1580, gedruckt bei Matthes Stöckel,

30,5 x 21,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Bibliothek, Sig. Th 435

Bereits zu Luthers Lebzeiten bestehende Differenzen überLehrinhalte setzten sich nach dessen Tod 1546, nach demSchmalkaldischem Krieg 1546/47 und dem Augsburger Inte-rim 1548 fort und teilten das protestantische Lager in soge-nannte Gnesiolutheraner, die sich streng an Luther orientier-ten, und Philippisten, die wie Philipp Melanchthon eine ge-mäßigte Form des Luthertums vertraten. In Sorge um dieLehreinheit und damit einhergehend um politische Machtdrängten die Landesfürsten auf eine für alle verbindliche Ba-sis. Daraus ging 1577 die Konkordienformel hervor und –fünfzig Jahre nach der Confessio Augustana – das Konkor-

dienbuch, worin der Grundbestand der lutherischen Lehrefestgeschrieben wurde. JK

JUNG 2012, S. 193–202; Katalog: Luther und die Fürsten (2015),

S. 155, Nr. 87 (ATHINA LEXUTT); KAUFMANN 2016, S. 704f.

II. 36

Luther und Hus spenden das Abendmahlin beiderlei Gestalt

Cranach-Schule, 1550–1560, Holzschnitt, 27,4 x 24,1 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Kunstsammlung, Inv.-Nr. G1434

Gemäß Christi Forderung „Trinket alle daraus!“ war die Kelch-kommunion ein wichtiger Grundsatz des neuen Glaubens. WieLuther hatte der tschechische Theologe Hus, der 1415 in Kon-stanz als Ketzer verbrannt wurde, den „Laienkelch“ gefordertund sich geweigert, seine Thesen zu widerrufen. Auf dem Wegzum Scheiterhaufen soll Hus von sich als einer Gans gespro-chen haben, aus der noch ein schöner Schwan entstünde.Dieses Bild wurde auf Luther übertragen und führte zu Dar-stellungen Luthers mit einem Schwan. Hier spenden beideReformatoren der sächsischen Kurfürstenfamilie Brot undWein. Ein Rebstock entwächst dem Altar als Brunnenschaft,bekrönt von Christus als Quelle des Sakraments. BD

Katalog: Aller Knecht und Christi Untertan (1996), S. 270, Nr. 237;

Katalog: Glaube und Macht (2004), S. 211, Nr. 331 (ANGELICA DÜLBERG);

Katalog: Fliegende Blätter (2016), S. 158f., Nr. 231.

REFORMATION DES GLAUBENS 227226 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · KATALOG

II. 33 ( Abb. S. 185)

Deudsch catechismus

Martin Luther, Wittenberg 1529, gedruckt bei Georg Rhau, 19,3 x

15,8 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Bibliothek, Sig. Th 964

Ursprünglich als mündlicher Unterricht für die Taufbewerberverstanden, entwickelte sich der sogenannte Katechismusunter Luthers Einfluss zum Standardlehrwerk für den „neuen“christlichen Glauben. Als solcher trat er 1529 erstmals alseigenständiges Werk auf und beinhaltete mit den Zehn Ge-boten, dem Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser sowieden Sakramenten Taufe und Abendmahl das nötige theolo-gische Grundwissen für die Laien. Als Kleiner und als aus-führlicherer Großer Katechismus rasch verbreitet, wurde erzudem als didaktisches Lehrmittel genutzt, um Lesen undSchreiben zu lehren. DM

GENTHE 1996, S. 227f.; BUCHHOLZ 2014, S. 166–168; JUNG 2016,

S. 104.

II. 34

Bedenken auf den tag zu Schmalkalden,der anno 1540 gehalten wordenSchmalkaldische artickel so da hettensollen auffs Concilium zu Mantua […]uberantwortet werden und was wirannemen oder geben Koenten oder nicht[SCHMALKALDISCHE ARTIKEL]

Martin Luther, Wittenberg 1536, 31,7 x 21,6 cm

Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches

Gesamtarchiv, Sig. Reg H 124, Bl. 1–38

Mit Blick auf das Konzil in Mantua, zu dem der sächsischeKurfürst von Papst Paul III. eingeladen worden war, aber auchwegen Luthers heiklen Gesundheitszustandes hatte JohannFriedrich I. den Reformator mehrfach um eine detaillierteBekenntnisschrift ersucht. Luther widmete sich dem AuftragEnde 1536, nannte darin zuerst das Gemeinsame beider Glau-bensrichtungen, legte dann ausführlich das grundsätzlichTrennende dar, erläuterte das Verhandelbare und endete miteinem persönlichen Glaubensbekenntnis. Die Artikel fandenallerdings nicht den Zuspruch aller Bündnispartner. LuthersTestament wider Rom, ergänzt und mit einer Vorrede verse-hen, wurde ab 1538 im Druck verbreitet, fungierte vielerortsals Lehrnorm und ging in das Konkordienbuch ein. JK

FÜHRER 2009, S. 7–20; Luther-Lexikon 2014, S. 620f. (KLAUS BREUER);

KAUFMANN 2016, S. 615–618.

II. 34

II. 35

II. 36

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II. 40

Taufschüssel mit Sündenfalldarstellung

1. Hälfte 16. Jahrhundert, getriebenes Messing, 7,4 cm hoch,

Ø 29,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KL0127

Die konsequente Durchsetzung der durch Martin Luther neugeprägten Auffassung von den Sakramenten bewirkte, dasskirchliches und liturgisches Gerät für den veränderten Gebrauchangepasst werden musste. In der Reduktion der katholischenGanzkörpertaufe deckte man die großen mittelalterlichen Tauf-becken ab und bestückte sie mit einem flachen Gefäß. Genutztwurden so auch die Schüsseln aus den Werkstätten der Be-ckenschläger, die zuvor noch mit einer Kanne als Lavabogarnitur,Prunkgeschirr oder Reflektoren für Wandbeleuchtung gedienthaben könnten. Eines der beliebtesten Motive dieser aus Mes-sing getriebenen Schüsseln war die Sündenfalldarstellung. SM

Katalog: 450 Jahre Reformation in Osnabrück (1993), S. 310, Nr.

16.5 (ROLF BECKER); Katalog: Aller Knecht und Christi Untertan (1996),

S. 172, Nr. 67 a.; TIEDEMANN 2015, S. 10f.

REFORMATION DES GLAUBENS 229

II. 37

Abendmahlskelch

16. Jahrhundert, Silber vergoldet, 19,0 cm hoch, Ø 11,0 cm

Wartburg-Stiftung Eisenach, Kunstsammlung, Inv.-Nr. KL0024

Die Eucharistiefeier der katholischen Kirche und deren Trans-substantiationslehre – die Wandlung von Wein und Brot zu Blutund Leib Christi – wurden im lutherischen Glauben durch dieFeier des Abendmahls als Symbol des Opfertods Christi ersetzt.Durch diesen Wandel und die Austeilung des Abendmahls inbeiderlei Gestalt an die gesamte Gemeinde änderte sich auchdas Erscheinungsbild des Altargeräts. Die zuvor kleinen Cuppaeder Kelche wurden erweitert, die Patenen durch Schalen ersetzt.Zierformen änderten sich hingegen kaum. Am ausgestelltenKelch trägt der Sechspassfuß eine gitterförmige Verzierung, derNodus ist rhombenförmig ausgearbeitet, die Cuppa glatt. MHe

MEINZ 1993, S. 313f.; Katalog: Aller Knecht und Christi Untertan

(1996), S. 270, Nr. 236a; Katalog: Alltag und Frömmigkeit (2013),

S. 56f. (HARTMUT KÜHNE).

II. 38

Taufe Christi in Gegenwart des Kurfürsten Johann Friedrich des Grossmütigen und Luthers

Lucas Cranach d. J., um 1545/48, kolorierter Holzschnitt,

27,6 x 38,7 cm

Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Aus den Sammlungen der

Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst

und Wissenschaft, Inv.-Nr. G42,1

Die Taufe Christi, von der nach Luther die christliche Erlösungihren Ausgang nimmt, findet im Zentrum der wie ein mittel-alterliches Triptychon angelegten Szene vor den Augen Lu-thers – posthum – und des Kurfürsten statt. Diese knien undbeten Jesus an, während der Jordan in die felsige, burgenrei-che Landschaft Mitteldeutschlands versetzt ist. Die Darstel-lung ist ein frühes Beispiel für die ab Mitte des Jahrhundertseinsetzende Gewohnheit, Reformatoren und Herrscher als„Zeitzeugen“ und Bekenner in beabsichtigt anachronistischerWeise ins biblische Geschehen einzubringen. BD

Katalog: Bild und Botschaft (2015), S. 318f., Nr. 121. (ULRIKE EYDINGER);

SLENCZKA 2015, S. 165f., Abb. 7; Katalog: Fliegende Blätter (2016), S. 158, Nr.

230.

II. 39

Lasset die Kindlein zu mir kommen

Lucas Cranach d. Ä., nach 1537, Mischtechnik auf Holz,

70,6 x 121,3 cm

Angermuseum Erfurt, Inv.-Nr. 7414

Christus liebt die Kinder – nach Luther soll deshalb der Glaubenicht auf dem Verstand, sondern auf kindlichem Gottvertrauengründen. Dies wird gut sichtbar an den unbedarften Kleinen,ob als Säuglinge an der Mutterbrust, im Gewand Schutz su-chend oder in spielerische Händel vertieft. Vor zeitgenössischerLandschaft umlagern die Mütter Christus und erhalten trotzAblehnung der Apostel seinen Segen. Das Thema war als „Er-findung“ Cranachs um 1530 fester Bestandteil eines protes-tantischen Bildkanons und existiert in etwa 25 Versionen, hierals eine von drei ganzfigurigen Darstellungen. BD

Katalog: Cranach (2005), S. 309; Katalog: Bild und Botschaft (2015),

S. 200f., Nr. 56. (BENJAMIN SPIRA).

228 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · KATALOG

II. 37

II. 40

II. 38

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II. 39

REFORMATION DES GLAUBENS 231230 II. LUTHERS GLAUBE UND SEIN EINFLUSS AUF DIE DEUTSCHE KULTUR- UND GEISTESGESCHICHTE · KATALOG

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Auf die Bannandrohungsbulle Exsurge Domine reagierteLuther im Sommer 1520 mit seiner Hauptschrift Von

der Freiheit eines Christenmenschen. Ein Exemplar sandteer zusammen mit einem rechtfertigenden Sendbrief im No-vember an Leo X., am 10. Dezember verbrannte er die päpst-liche Urkunde in aller Öffentlichkeit. Anfang 1521 erhielt erdie auf den 3. Januar datierte Bannbulle Decet RomanumPontificem, mit der er exkommuniziert wurde. Auch nachneuem Recht, das Karl V. den Reichsfürsten in seiner Wahl-kapitulation zugestanden hatte, folgte nach dem vom säch-sischen Kurfürsten erwirkten Verfahren anlässlich desWormser Reichstages die kaiserliche Ächtung. In dieser Zeitentstand ein erstes authentisches Porträt Martin Luthers(1520): ein Kupferstich, 14 cm hoch und 10 cm breit. Auf-traggeber war wahrscheinlich Kurfürst Friedrich der Weise,der Lucas Cranach d. Ä. aufgefordert haben muss, ein le-bensnahes Porträt des aufrührerischen Mönchs anzufertigen;man kannte Luthers Schriften, nicht aber sein Antlitz. So istauch das dualistische Epigramm angelegt, dessen deutscheÜbersetzung „Das unvergängliche Abbild seines Geistesdrückt Luther selbst aus, Lucas dagegen zeichnet die sterb-liche Gestalt“ lautet. Cranach gibt sich hier eindeutig alsAnhänger Luthers zu erkennen; neben dem Schlangenzei-chen liest sich sein Name als Autor des Blattes. Beide warenseit einigen Jahren miteinander bekannt, der Künstler hattebereits 1516 Luthers erste deutschsprachige DruckschriftEyn geystlich edles Bucheleyn mit einem Titelholzschnittdes Gekreuzigten versehen.An dem Cranachschen Porträt Martin Luthers fand der Kurfürstallerdings keinen Gefallen. Luthers asketische Erscheinung undsein beinahe zorniger Blick mögen ihm nicht geeignet er-schienen sein, mit diesem Bildnis für ihn in Worms zu sprechen.Georg Spalatin, der Geheimsekretär des Kurfürsten, veranlasste

jedenfalls die Überarbeitung des Porträts, worauf Cranachnoch im gleichen Jahr nach derselben Entwurfszeichnungeinen weiteren, geringfügig größeren Kupferstich schuf. Stirn,Wangen und Kinnpartie sind nun geglättet, das Brustbild ist

Nächstenliebe – Aufmerksamkeit erregt. Traditionell wird die-se Personifikation als liebende Mutter mit ihren Kindern ge-zeigt. Auch in Pirna haben wir eine Mutter mit Kind vor uns.Deren Beziehung hat sich jedoch grundlegend gewandelt.Caritas sitzt hier auf einer leicht geöffneten Geldtruhe undsie tadelt ihr Kind, droht ihm mit der ausgestreckten Rechten.Die Inschrift „pura et operosa“ erläutert die nicht leicht ver-ständliche Gestaltung. Die reine und tätige Liebe schielt nichtauf den Lohn Gottes. Die Haltung Luthers zu den guten Wer-ken in eingängige Bildformeln zu übertragen und die seman-tische Verschiebung in der Konzeption der Tugend der Nächs-tenliebe deutlich zu machen, gelang dem Maler jedoch au-genscheinlich nicht: Die ikonographische Neuerung blieb fol-genlos und konnte sich nicht weiter durchsetzen.17

Neben der Ausdifferenzierung der Bildthemen wurde immerwieder diskutiert, ob sich nach der Reformation eine konfes-sionsspezifische Ästhetik entwickelt hat. Heute besteht weit-gehend Einigkeit: Ähnlich wie es keinen „Stil der Gegen -reformation“ gab, den die ältere Forschung noch entdeckt zuhaben glaubte, gibt es auch keinen Stil der Reformation.Dennoch können nicht nur Ikonographien, sondern auch for-male Aspekte in einem konfessionellen Aushandlungsprozesseine wichtige Rolle spielen.18 Ein Anschauungsbeispiel, daszeigt, wie Zitate in relationalen Bildgefügen konfessionelleAussagen generieren können, ist die 1703 geweihte Kanzelvon Andreas Schlüter in der Berliner Marienkirche. Zwei Engelscheinen den Kanzelkorb mühelos emporzuheben. Die schwe-bende Inszenierung mit flankierenden Figuren erinnert explizit– bis hin zur Ausgestaltung der Trageschlaufen – an die Ka-thedra Petri im Petersdom in Rom. Diese deutliche Anspielung,

mit der die ältere Forschung haderte, nutzte Schlüter jedochvor allem, um konfessionelle Unterschiede deutlich zu ma-chen: Während in Rom der leere Stuhl Petri, eine Reliquie, imZentrum steht, ist es in Berlin das Wort Gottes, das von derKanzel verkündet wird.19 Schlüter zitiert die Lösung Berninisin Rom und orientiert sich in seiner Gestaltung deutlich andem Vorbild, dennoch dient vor allem die Ähnlichkeitsbezie-hung dazu, die beiden Konfessionen aneinander zu messenund die Unterschiede in den theologischen Aussagen sichtbarzu machen. Schlüter schuf so ein Beispiel kirchlicher Innen-ausstattung, das gerade aufgrund seiner unmittelbaren An-leihen am römischen Vorbild als dezidiert „lutherisch“ zu be-zeichnen ist.Dass die wiedererkennbare Übernahme von formalen Struk-turprinzipien nicht nur konfessionelle Differenz unterstreichenkann, sondern auch die gemeinsame Fundierung der ver-schiedenen Konfessionen in der biblischen Lehre, belegt einBlick zurück zum Ausgangspunkt dieses Aufsatzes: In Neuzellewurde zwischen 1751 und 1753 ein Heiliges Grab geschaffen,das sich markant von süddeutschen Ostergräbern unterschei-det.20 Zahlreiche Inschriften mit Bibelzitaten und typologi-schen Bezügen ergänzen die figürlichen Szenen. Die Textlas-tigkeit der Bildkomposition lehnt sich an lutherische Bildfor-mulare wie etwa Gesetz und Gnade an. Die Komplexität derBibelauslegung und die Verwobenheit von Wort und Bildscheinen auch in Neuzelle die Legitimität und Schrifttreueder Passionsszenen zu unterstreichen. Der Raum konfessio-neller Aushandlungsprozesse wird so immer wieder neu kon-turiert und vermessen – Ähnlichkeiten und Unterschiede inrelationalen Bildgefügen erzeugt.

344 IV. LUTHER-REZEPTION IN DEN KÜNSTEN · ESSAYS

1 Zur Mariensäule vgl. TIPTON 1995.

2 Zu diesem Begriff vgl. THALI 2007.

3 TIPTON 1995.

4 ROBERTSON 1998.

5 WA 10 III, 21, 26f.

6 HEIDELMANN/MEISSNER 2001; WIECKOWSKI 2005.

7 Taufengel in Brandenburg 2006, S. 20.

8 TRIPPS 2000.

9 Die Analysen transkultureller Aushandlungsprozesse können hier

wichtige Anregungen geben, wie die Konfiguration konfessioneller

Bildprogramme zu denken ist, vgl. KERN 2013.

10 CUVELAND 1991, S. 76.

11 STIRM 1977, S. 47f.

12 CUVELAND 1991, S. 77.

13 Taufengel in Brandenburg 2006, S. 21.

14 Zum Passional Christi und Antichristi vgl. HOFFMANN 1978, bes. S.

208; GROLL 1990.

15 EHRESMANN 1966/67.

16 Monogrammist BP, Das Spottwappen des Papstes, Holzschnitt

mit Text von Hans Sachs, um 1538, Coburg, Kunstsammlungen

der Veste Coburg, vgl. Katalog: Martin Luther 1983, S. 235f., Nr.

296.

17 KERN 2002, S. 173–181.

18 Vgl. ROSEN 2015.

19 Geschichte der bildenden Kunst 2008, Bd. 5, S. 214, Nr. 27.

20 Katalog: „Sein grab“ 1998; Das Heilige Grab Neuzelle 2004.

DAS LUTHERBILDNIS IN DER DEUTSCHEN KUNSTGESCHICHTE

von Günter Schuchardt

LUCAS CRANACH UND SEINE „ERBEN“

II. 4 ( S. 210)Martin Luther mit Doktorhut, Lucas Cranach d. Ä., Wittenberg 1521(Stiftung Schloss Friedenstein Gotha)

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Werkstatt entstanden. Diese Doppelbildnisse zeigen, dasssich die reformatorische Bewegung einerseits gefestigt hatte,sich aber andererseits in akuter Gefahr befand, weil derenBekenntnisschrift vom Kaiser abgewiesen und das WormserEdikt erneuert worden war. Cranachs erster Sohn Johannes (Hans), geboren um 1513,war spätestens im Alter von zwanzig Jahren in die väterlicheWerkstatt eingetreten. Auf einer Studienreise nach Italienstarb er bereits 1537. In einem lateinischen Trauergedichtauf seinen Tod hebt der Wittenberger Poet Johann Stigelhervor, dass Hans Cranach ein guter Porträtist gewesen seiund eintausend Lutherbildnisse gemalt habe. Selbst eine sol-che dem Anlass geschuldete Übertreibung muss einen wahrenKern enthalten, lebte der Dichter doch vor Ort und kanntedie Cranach-Familie gut. Wenn also Hans Cranach als Lu-therporträtist in Erscheinung getreten ist, kann es sich nurum diesen Bildnistyp Luthers gehandelt haben. Auch der zweite Sohn, Lucas Cranach d. J. (1515–1586), warmittlerweile in der Werkstatt tätig. Auf ihn geht die letzte

Porträtvariante Luthers zurück, auf der der gealterte Refor-mator ab 1539 barhäuptig und mit Buch oder Bibel in denHänden dargestellt ist. Erstmals überschneiden sich die Bild-nistypen, denn 1543 werden noch einmal Diptychen mit Me-lanchthon produziert. Gerade diese letzten Porträts prägenunser Bild und Bildnis von Luther bis heute. Da Cranach d. J.das Druckgeschäft wieder aufnahm, entstanden zahlreichegrafische Varianten der beiden letzten gemalten Porträttypen.Wie schon bei den ersten Druckgraphiken nutzten verschie-dene Künstler die Gelegenheit, die vielverbreiteten Exemplareals Vorlagen für eigene Lutherbildnisse zu übernehmen. Nebensüddeutschen Graphikern wie Georg Pencz aus Nürnberg fer-tigten beispielsweise Heinrich Aldegrever in Soest oder Mel-chior Lorck in Flensburg Lutherporträts nach Vorbildern derCranach-Werkstatt. Letzterer nahm sich den Erasmus-Kup-ferstich von Albrecht Dürer zum Vorbild.Antilutherische Polemik und Karikatur ließ nicht lange aufsich warten. Vor allem der aus Fulda stammende Hans Bro-samer ist hier als Akteur zu nennen, der Schriften von Lu-

Günter Schuchardt LUCAS CRANACH UND SEINE „ERBEN“ – DAS LUTHERBILDNIS IN DER DEUTSCHEN KUNSTGESCHICHTE 347

zum Hüftbild erweitert, der linke Arm ergänzt und ein Teil desaufgeschlagenen Buches hinzugefügt. Den Hintergrund bildeteine rundbogige Nische – so wie sie von Heiligendarstellungenauf Retabeln oder in Bildstöcken bekannt ist. Abzüge dieserKupferplatte sollen – so wird immer wieder vermutet – nochvor Luthers Eintreffen nach Worms gelangt sein.Ein weiterer Bildnistyp Luthers, nämlich das Porträt mit demDoktorhut, wurde 1521 in Wittenberg, noch vor seiner Abreisezum Reichstag, fertiggestellt. Im Gegensatz zum asketischenMönch erscheint Luther hier in kräftiger Gestalt; seine wis-senschaftlich-theologische Leistung wird wirkungsvoll durchdie auffällig große, akademische Kopfbedeckung betont. Dasin den Zeilen vertauschte Epigramm enthält dieselbe Aussagewie auf den ersten beiden Porträts. Ungeachtet dessen, dasssich Luther in den wenigen Monaten zwischen der Entstehungdes ersten und des zweiten Bildnisses körperlich kaum soverändert haben kann, scheint der Kupferstich vom Frühjahr1521 noch wesentlich besser geeignet gewesen zu sein, aufdie Seriosität dieses Mannes und die Ernsthaftigkeit seinesHandelns zu verweisen.Beide Blätter, das Nischenporträt und das mit Doktorhut,sind frühe, zweckbestimmte Lutherinszenierungen, denen fünfweitere Porträttypen folgen sollten, die immer einen be-stimmten Sinn verfolgten und den reformatorischen Zielennutzen sollten.1

Vermutlich gab es von keinem anderen Menschen in der ers-ten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehr Bildnisse als von MartinLuther. Alle gehen sie auf eine einzige Quelle zurück – aufdie Wittenberger Cranach-Werkstatt. Rückblickend war siedie einzige, die Luther „Auge in Auge“ porträtierte; zeitlebenssaß er nie anderen Künstlern Modell. Doch der Bedarf an sei-nen Bildnissen war so immens und weit verbreitet, dass wie-derum andere Graphiker und Maler auf die gedruckten Vor-lagen der Cranachs zurückgriffen und ihrerseits Lutherbild-nisse schufen. Zunächst konzentrierten sich diese im Druckseitenverkehrten Reproduktionen auf den süddeutschenRaum. Daniel und Hieronymus Hopfer wirkten in Augsburg,Hans Baldung in Straßburg, Albrecht Altdorfer in Regensburgund Hans Sebald Beham in Nürnberg. Allen war gemeinsam,dass sie sich zu Luther bekannten und die Cranach-Vorbilder„überhöhten“, indem sie dessen Haupt mit einem Strahlen-kranz umgaben, die Taube des Heiligen Geists über ihmschweben ließen oder, wie Altdorfer, sein Porträt mit einerArt Siegerkranz umrahmten.Während des Wartburgaufenthalts trug Luther einen Vollbartund ließ seine Tonsur zuwachsen, um nicht erkannt zu werden.Als er die Burg im Dezember 1521 für wenige Tage verließund nach Wittenberg eilte, um zu zeigen, dass er tatsächlichnoch am Leben sei, porträtierte ihn Cranach d. Ä. in seinemungewohnten Habit. Hierbei kann ausgeschlossen werden,

dass der Kurfürst als Auftraggeber agierte.2 Vielmehr mussdie Initiative vom Porträtisten ausgegangen sein. In jedemFall aber dürfte Einigkeit darüber geherrscht haben, das Porträtso lange nicht zu verbreiten, bis Luther wieder in Sicherheitwar. Luther als „Junker Jörg“ mit Schwert vermittelt ein ganzanderes Bild des Reformators als die Porträts als Mönch oderTheologe und bleibt singulär unter den sieben Bildnistypen,die künftig den Ehemann, den Reformator, den Gelehrten undschließlich den gerade Verstorbenen abbilden sollten. Nachdem Entwurf des „Junker Jörg“ vom Dezember des Vorjahresentstanden nach Luthers Rückkehr von der Wartburg ein gro-ßer Holzschnitt sowie die ersten gemalten Lutherbildnisse desJahres 1522. Der Holzschnitt war das letzte graphische PorträtLuthers von der Hand Lucas Cranachs d. Ä. Drei Jahre spätergab er seine Druckwerkstatt auf, unter anderem auch deshalb,weil sein Drucker Melchior Lotter d. J. wegen Gewalttätigkei-ten aus Wittenberg ausgewiesen worden war. Anders als beiden vorausgegangenen Kupferstichen hat offenbar nur HansSebald Beham noch im Jahre 1522 einen „Junker Jörg“-Holz-schnitt nach Cranachs Vorlage geschaffen.1525 entstanden anlässlich der Heirat Martin Luthers mitKatharina von Bora Doppelporträts als vierter Bildnistyp invier gemalten Varianten: zunächst als 10 Zentimeter kleineTondi, Medaillons, die beider Köpfe wiedergeben. Im Folge-jahr erscheinen kleinformatige, hochrechteckige Porträts vonderselben Vorlage, die bis zur Hüfte reichen. Zwei Jahre spä-ter muss das Ehepaar Luther noch einmal Modell gesessenhaben; Luther trägt auf den Diptychen des Jahres 1528 seinGelehrtenbarett, Katharina, mit heller Haube, erscheint alsstolze Gemahlin und Bürgersfrau. Im Jahr darauf weilte of-fensichtlich nur Katharina im Atelier und Luthers Porträtwurde unverändert übernommen. Ihr Stolz ist gewichen, siescheint gealtert, trägt nur noch ein Haarnetz und ein Ober-gewand mit Pelzbesatz. Als Auftraggeber für diese Bildnisse,zumindest für die ersten kleinformatigen Serien, käme Lutherselbst infrage, nachzuweisen ist das jedoch nicht. Die Bot-schaft, die diese Bilder vermittelten, richtete sich gegen Zö-libat und Konkubinat der Geistlichkeit und besaß Vorbild-wirkung für das im Entstehen begriffene evangelische Pfarr-haus. Der Bedarf muss groß gewesen sein, weltweit existierennoch mindestens dreißig dieser Hochzeits- und Ehebildnisse,die in den Jahren 1525 bis 1529 entstanden. Graphische Ent-sprechungen gibt es aus dieser Zeit nicht, da Cranach keineDruckerei mehr betrieb und daher anderen Künstlern druck-graphische Vorlagen fehlten. Auffällig ist, dass die Porträt-typen einander ablösen und sich zeitlich noch nicht über-schneiden. Das gilt auch für den fünften Bildnistyp: Einzel-porträts Luthers oder Diptychen mit Philipp Melanchthon,die etwa ab 1530, dem Jahr des Augsburger Reichstages, zudem der Geächtete nicht reisen konnte, in der Cranach-

346 IV. LUTHER-REZEPTION IN DEN KÜNSTEN · ESSAYS

II. 66 ( S. 248)Martin Luther und Katharina Luther, Lucas Cranach d. Ä., 1526 (Wartburg-Stiftung Eisenach)

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Bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstandengrafische Zyklen, die Luthers Leben illustrierten, im Vergleichzu den Luther-Bildnissen jedoch eine weitaus geringere Tra-dition entwickelten. Als ein frühes Beispiel dürfen die beidenRadierungen von Johann Baptist Paravicinus gelten, die alsFrontispiz der Altenburger Lutherausgabe von Christfried Sa-gittarius 1661 Verwendung fanden und neben einem Ganz -figurenporträt des Reformators sechzehn Szenen aus seinerVita enthalten. Den Auftakt zu den bald zahlreich produzier-ten Blattfolgen schuf der Stecher Johann Samuel Ringk fürdas Pantheon der Deutschen. Johann David Schubert hattedafür 1793 die Vorzeichnungen angefertigt, die sich heute inden Kunstsammlungen der Veste Coburg befinden. Zu denverbreitetsten Lebenfolgen Luthers zählen im 19. Jahrhundertder 15-teilige Zyklus, den der Stuttgarter Oberstleutnant Wil-helm Baron Löwenstern nach 1827 in seiner Lithografie-An-stalt veranlasste, und acht Stahlstiche von Carl AugustSchwerdgeburth, die nach 1843 entstanden. Am bekanntesten

und beliebtesten wurde seinerzeit die 48-teilige GraphikfolgeGustav Königs, des sogenannten Lutherkönigs, die seit etwa1840 in Einzelblättern erschien.14

In dieser Zeit wurden auch die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt wiederentdeckt; sie waren nun in den mittlerweileöffentlich zugänglichen fürstlichen Sammlungen zu besich-tigen, wie dem 1869 eröffneten Großherzoglichen MuseumWeimar. Die dadurch eingeleitete Rückbesinnung auf das16. Jahrhundert als Epoche der Reformation schlug sich vorallem in der Historienmalerei nieder, die um das Jubiläumsjahr1817 einsetzte und ein Jahrhundert anhielt. Sowohl grafischeals auch gemalte Einzelwerke und Zyklen näherten sich nunwieder meist den Vorbildern aus Wittenberg an. Henrike Hol-sing hat die Werke aufgelistet.15 Unter den zahlreichen Künst-lern lassen sich so bekannte Namen wie Carl Friedrich Lessing,Julius Hübner, Julius Schnorr von Carolsfeld, Friedrich Mar-tersteig, Hugo Vogel oder Heinrich Stelzner finden.Ähnlich verhält es sich mit den Denkmälern im öffentlichenRaum. Das erste Lutherdenkmal – die von Gottfried Schadowgeschaffene, freistehende Figur des Reformators – war 1821auf dem Wittenberger Markt eingeweiht worden. Ernst Riet-schels großes Denkmalensemble in Worms wurde 1868 ent-hüllt. Eines der letzten Lutherstandbilder stammt von OttoLessing und wurde 1912 vor der Michaeliskirche in Hamburgaufgestellt.Eines der prominentesten Beispiele ist der für das „Denkmalder Reformation“ auf der Wartburg geschaffene Gemälde-zyklus zu Luthers Leben. Großherzog Carl Alexander vonSachsen-Weimar-Eisenach verpflichtete vier Professoren sei-ner eigenen Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Wei-mar, wesentliche Episoden bildnerisch festzuhalten. In zweiStaffeln, ab 1872 und nach 1880, schufen Ferdinand Pau-wels, Paul Thuman, Willem Linnig d. J. und Alexandre Struysachtzehn Gemälde für drei neu eingerichtete sogenannteReformationszimmer neben der authentischen Lutherstube,die allerdings für die allgemeine Öffentlichkeit nie zugänglichwaren.16

Das eher kleine, aber bekannteste Objekt dieses Zyklus, Pau-wels’ „Reformator mit dem Hammer“,17 das den vermeintli-chen Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirchentürwiedergibt, zählt heute zu den wichtigsten, gleichzeitig aberauch umstrittensten Luthermotiven im Zusammenhang mitdem Reformationsjubiläum 2017. Eine Ausnahme scheintdie von Eduard Kaempffer bis 1895 geschaffene siebenteiligeLuther-Folge für das Erfurter Rathaus darzustellen, die bio-grafische Ereignisse bis zum Reichstag 1521 schildert. DerKünstler wandte sich offenbar ganz bewusst von den be-kannten Vorbildern ab.Nach 1917 entstanden kaum noch Lutherporträts undStandbilder. Allein Karl Bauer und Otto von Kursell schufen

Günter Schuchardt LUCAS CRANACH UND SEINE „ERBEN“ – DAS LUTHERBILDNIS IN DER DEUTSCHEN KUNSTGESCHICHTE 349

thers erbittertstem Gegner Johann Cochläus illustrierte.1529 setzte sich Brosamer beispielsweise bildnerisch mitLuthers Wandel in der Haltung zu den Türken auseinander.Er entwarf einen doppelköpfigen Palinodus Lutherus, einenWiderrufer,3 dem im selben Jahr in Anspielung auf die Sa-kramente ein siebenköpfiger Luther folgte.4 Erhard Schönsbekannte Karikatur Des Teufels Dudelsack aus der Zeit nach1530 hingegen ist keine – aber häufig so interpretierte –Polemik gegen Luther, sondern kritisiert vielmehr dasMönchtum schlechthin.Einen Sonderfall bilden die letzten Lutherporträts der Cra-nach-Werkstatt, an der die Meister selbst nur noch bedingtbeteiligt waren: die Totenbildnisse. Die Porträts des im Februar1546 in Eisleben Verstorbenen basieren auf Entwürfen vonLucas Furtennagel und einem unbekannten, vor Ort ansässi-gen Maler. Auch diese Bildnisse besaßen einen propagandis-tischen Zweck: Noch 1545 hatte Luther auf eine römischeHetzschrift, die seinen angeblichen Tod schilderte, aufs Hef-tigste reagiert.5 Darin hatte es unter anderem geheißen, dassman Gepolter aus seinem Grab gehört habe. Als es geöffnetwurde, sei es leer gewesen und habe nach Schwefel gestun-ken. Die Totenbildnisse sollten bezeugen, dass Luther friedlicheingeschlafen war.Bei Cranach d. J. gingen gerade nach Luthers Tod regelmäßigBestellungen von Lutherbildnissen ein. Dabei handelte es sichum gemalte Porträts, sogar lebensgroße Doppelbildnisse wiemit dem protestantischen Fürsten Georg III. von Anhalt,6 denLuther als Bischof von Merseburg eingesetzt hatte, sowie umFrontispize oder Titelholzschnitte von Druckschriften und Bi-beln. Bis zu seinem Tod 1586 fühlte sich Cranach d. J. der re-formatorischen Bewegung verpflichtet. Seine Altäre in Weimarund Dessau oder die zahlreichen Epitaphe in der WittenbergerStadtkirche enthalten immer wieder auch Darstellungen Luthersinnerhalb biblischer und allegorischer Szenen. Weitgehend sin-gulär ist das 1572 von Veit Thiem geschaffene Luther-Tripty-chon in der Weimarer Stadtkirche.7 Nach dem 1555 fertigge-stellten Gesetz-und-Gnade-Altar Cranachs d. J., der mehr nochden eigenen Vater als Luther selbst würdigte und die herzogli-che Familie auf die Flügel verwies, schuf Thiem ein Andachtsbildim Sinne eines biographischen Retabels: Luther als Mönch undals Junker Jörg auf den Flügeln, der sieghafte Reformator aufdem Mittelteil. Daran konnte man seine Lebens- und Wir-kungsgeschichte beinahe lückenlos nacherzählen.Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden kaum noch gemaltePorträts des Reformators. Vermutlich anlässlich der Einhun-dertjahrfeier der Reformation 1617 wurden wenige anonymeGemälde nach grafischen Vorlagen der Cranach-Werkstattgeschaffen, so Luther als Mönch oder Luther mit dem Dok-torhut.8 Lutherporträts findet man in dieser Zeit vor allem inder Druckgraphik. Auffällig ist, dass die bis dahin aus Wit-

tenberg vorgegebenen individuellen Gesichtszüge nach undnach schwinden, die Bildnistypen an sich jedoch beibehaltenwerden. Auch ihre Botschaft wandelte sich vom scheinbarunmittelbar-authentischen Porträt hin zur Symbolfigur derReformation im Sinne der weitreichenden Auswirkungen derprotestantischen Lehre. Die größte Verbreitung fand dabeidas Altersporträt mit Schaube, unbedecktem Haupt undBuch. Die Säkularfeier bot ebenso Anlass für Gedächtnis-blätter, die beispielsweise Luther mit Melanchthon, Friedrichdem Weisen und Georg von Sachsen unter dem Kruzifix zei-gen. Vor allem zu Jubiläen des Thesenanschlags, der Augs-burger Konfession und zu Luthers Geburtstag erschienen bisins 19. Jahrhundert hinein allegorische Darstellungen, dieden Reformator als Lichtbringer mit Verweis auf das Mat-thäus-Evangelium oder im Kreise seiner Familie inszenieren.Luther-Bildnisse, die im Zusammenhang mit geistigen Re-formbewegungen, wie dem Pietismus oder der Aufklärung,entstanden sind, zeigen den Reformator entweder lächelndverklärt oder markant sachlich.Zu einem beliebten Motiv innerhalb der Darstellungen MartinLuthers entwickelte sich das um 1600 aufkommende Schwa-nenattribut, das bis in das späte 18. Jahrhundert seine Bildnissein protestantischen Kirchen, auf Frontispizen und Einblattdru-cken maßgeblich prägte.9 Der Reformator hatte erstmals 1531in einer Glosse den Vergleich zu Jan Hus gezogen; das tsche-chische Wort „Husa“ bedeutet Gans: „S. Johannes Hus hat vonmir geweissagt, da er aus dem gefengnis ynn behemerlandschreib, Sie werden itzt eine gans braten (denn Hus heißt einegans) aber uber hundert iaren werden sie einen schwanensingen horen, Den sollen sie leiden […].“10 Sowohl die Lei-chenpredigten von Justus Jonas und Johannes Bugenhagenals auch die verbreitete erste Luther-Biographie von JohannesMathesius (Erstausgabe 1566) nahmen darauf Bezug.11

Das 1603 von Jacob Jacobs geschaffene Gemälde des ganzfi-gurigen Luthers, das sich in der Hamburger Petrikirche befindet,wird häufig als das früheste mit der Darstellung eines Schwansgenannt. Doch bereits 1597 fertigte der niederrheinische MalerReinhard Roggen ein ähnliches Bild für eine Rückwand desgotischen Chorgestühls in der Brüdernkirche in Braunschweig,wo es sich noch heute befindet.12 1601 ließ der aus Böhmenstammende und zum lutherischen Glauben konvertierte Predi-ger Gottfried Rabe vermutlich durch den StempelschneiderValentin Maler eine Medaille prägen, auf deren horizontal ge-teilter Vorderseite sich oben Gans und Schwan gegenüberste-hen und unten ein Rabe auf einem Messbuch sitzt, auf demdie Tiara liegt. Die Rückseite beschreibt die Verbrennung vonJan Hus 1414 [sic!], datiert Luthers Auftritt beim WormserReichstag 1521 und Rabes Bekenntnis im Jahr 1601.13 SelbstJohann Gottfried Schadows Entwurf für das Wittenberger Lutherdenkmal (1805) weist einen Schwan am Sockel auf.

348 IV. LUTHER-REZEPTION IN DEN KÜNSTEN · ESSAYS

Martin Luther, Lucas Cranach d. J., Holzschnitt aus: Martin Luther, Einweyhung eines Newen Hauses zum Predigtampt Gottlichs Worts erbawet, Im Churfurstlichen Schloss zu Torgaw, Wittenberg 1546 (Wartburg-Stiftung Eisenach, Inv.-Nr. G1488)

Page 22: inhalt - Michael Imhof Verlag · 2017-04-13 · I. 11 Erzengel Michael als Seelenwäger Burgund, 1460/1470, farbig gefasster Sandstein, 107,0 x 34,0 x 35,0 cm Wartburg-Stiftung Eisenach,

Günter Schuchardt LUCAS CRANACH UND SEINE „ERBEN“ – DAS LUTHERBILDNIS IN DER DEUTSCHEN KUNSTGESCHICHTE 351

bis in die 1940er Jahre Bildnisse, die den „Nationalhelden“Luther im Sinne des aufkeimenden, völkisch geprägten Na-tionalismus propagierten. Erst 1967, zum 450. Jahrestag desBeginns der Reformation, und 1983, anlässlich des 500. Ge-burtstages Martin Luthers, mehrten sich entsprechende Re-flexionen in der bildenden Kunst, die das quantitative Niveauvergangener Jahrhunderte jedoch bei weitem nicht erreichten.Mit Hilfe des staatlich verordneten Auftragswesens in derehemaligen DDR entstanden bis 1989 graphische Zyklen, Ge-mälde und Skulpturen, die in zahlreichen Ausstellungen prä-sentiert wurden. Zu den bedeutendsten staatlichen Vorhabenzählte das von Werner Tübke geschaffene Bauernkriegspano-rama in Bad Frankenhausen. Der Reformator ist hierauf gleichviermal zu finden. Insbesondere auffällig dabei ist eine ja-nusköpfige Darstellung Luthers, die bereits 1978 in der „Vor-fassung mit Kogge“ angelegt worden war.

In der alten Bundesrepublik hielten sich die Künstler eher be-deckt; ein vom Landesmuseum Mainz für 1983 initiierter Aufrufzur bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit Luther und derReformation blieb hinter den erhofften Erwartungen zurück.18

Literatur GLASER 1923. – STUHLFAUTH 1927. – BAUER 1930.– FICKER 1934. –THULIN 1941. – JAHN 1953. – DIECK 1962. – KRUSE 1980. – Kata-log: Martin Luther und die Reformation in Deutschland (1983).– SEIB 1983. – WARNKE 1984. – KRUSE 1985. – STREHLE 1992. –JOESTEL 1993. – EIDAM/SEIB 1996. – KRAUSS/SCHUCHARDT 1996. –KRUSE 1996. – SEIB 1996 (Luther). – SEIB 1996 (Lutherbildnisse).– SÖRRIES 1996. – STREHLE/KUNZ 1998. – KOHNLE 2002. –JOESTEL/STREHLE 2003. – SCHUCHARDT 2004. – Katalog: TREU 2008.– STEIGER 2008. – HESS/MACK 2010. – RONGE 2010. – SCHÄFER

2010. – Luthers Bilderbiografie (2012). – ZERBE 2013.

350 IV. LUTHER-REZEPTION IN DEN KÜNSTEN · ESSAYS

I. 127 ( S. 150)Martin Luther inwendig voller Figur, MichaelMathias Prechtl, 1983 (Wartburg-Stiftung Eisenach)

Luther verbrennt die Bannandrohungsbulle, Paul Thumann, 1872, Öl auf Leinwand (Wartburg-Stiftung Eisenach, Inv.-Nr. M0156)

1 Vgl. SCHUCHARDT 2015 (Privileg), S. 53–137.

2 Anders als Martin Warnke bezweifelt Heinz Schilling zu Recht, dass

der kursächsische Hof Auftraggeber für sämtliche Porträttypen

Luthers war; vgl. WARNKE 1984, S. 61; SCHILLING 2013, S. 242.

3 COCHLÄUS 1529 (Dialogvs), Titelholzschnitt.

4 COCHLÄUS 1529 (Sieben Köpffe), Titelholzschnitt.

5 LUTHER 1545 (Eine Wellische Luegenschrifft).

6 Kunstsammlungen der Veste Coburg, Bildnisse Martin Luthers und

Georgs III. von Anhalt von Lucas Cranach d. J., 1575.

7 Vgl. HOFFMANN 2015; JACOBS 2015 (Widerhall), S. 138–140.

8 Beispiele im Bestand der Museumslandschaft Hessen Kassel und

auf der Wartburg, vgl. SCHUCHARDT 2015 (Privileg), S. 76f., 88f.

9 Vgl. JACOBS 2015 (Widerhall), S. 147–149.

10 WA 30,3, S. 387, 6–9; vgl. JOESTEL/STREHLE 1996, S. 9–12.

11 JONAS/COELIUS 1546; BUGENHAGEN 1546; MATHESIUS 1566.

12 Es ist nicht ausreichend belegt, dass das angeblich noch ältere

Wandgemälde Luthers mit dem Schwan in der Evangelischen Kirche

im württembergischen Brettach (Bretzfeld) am Kocher tatsächlich

aus dem Jahr 1591 und von dem Neuenstadter Maler David Eber-

mann stammt.

13 Erstmals beschrieben und abgebildet in JUNCKER 1706, S. 362–364.

14 Vgl. KRUSE 1998, S. 30–49.

15 HOLSING 2004, S. 828-840.

16 Vgl. JACOBS 2012 (Schlaglichter).

17 Vgl. JOESTEL 1992; HOLSING 2007, S. 162–172.

18 Katalog: Wie sehen Künstler Martin Luther (1983).