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MA-Seminar: „Theorien der Kausalität“ WiSe 2018/19 LMU München Dr. Jörg Noller 1 Stand: 15.2.2019 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung, 1. Sitzung, 17.10.2018: Einführung in den Kausalitätsbegriff ................... 2 Zusammenfassung, 2. Sitzung, 24.10.2018: Metaphysik und Platon ........................................ 4 Zusammenfassung, 3. Sitzung, 31.10.2018: Aristoteles‘ Ursachenlehre ................................... 6 Zusammenfassung, 4. Sitzung, 7.11.2018: David Humes Kausalitätsverständnis .................... 8 Zusammenfassung, 5. Sitzung, 14.11.2018: David Humes Kausalitätsverständnis (2) ........... 10 Zusammenfassung, 6. Sitzung, 21.11.2018: Kants Kausalitätstheorie .................................... 12 Zusammenfassung, 7. Sitzung, 28.11.2018: Kants Kausalitätstheorie (2) ............................... 14 Zusammenfassung, 8. Sitzung, 5.12.2018: Schopenhauers Begriff des Grundes .................... 16 Zusammenfassung, 9. Sitzung, 12.12.2018: Bertrand Russells Kritik des Kausalitätsbegriffs 17 Zusammenfassung, 11. Sitzung, 9.1.2019: J.L. Mackies „INUS-Bedingung“ (1)................... 21 Zusammenfassung, 12. Sitzung, 16.1.2019: J.L. Mackies „INUS-Bedingung“ (2)................. 23 Zusammenfassung, 14. Sitzung, 39.1.2019: Donald Davidsons Kausalanalyse ...................... 24 Zusammenfassung, 15. Sitzung, 6.2.2019: David Lewis und Jaegwon Kim ........................... 26

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MA-Seminar: „Theorien der Kausalität“

WiSe 2018/19

LMU München

Dr. Jörg Noller

1

Stand: 15.2.2019

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung, 1. Sitzung, 17.10.2018: Einführung in den Kausalitätsbegriff ................... 2

Zusammenfassung, 2. Sitzung, 24.10.2018: Metaphysik und Platon ........................................ 4

Zusammenfassung, 3. Sitzung, 31.10.2018: Aristoteles‘ Ursachenlehre ................................... 6

Zusammenfassung, 4. Sitzung, 7.11.2018: David Humes Kausalitätsverständnis .................... 8

Zusammenfassung, 5. Sitzung, 14.11.2018: David Humes Kausalitätsverständnis (2) ........... 10

Zusammenfassung, 6. Sitzung, 21.11.2018: Kants Kausalitätstheorie .................................... 12

Zusammenfassung, 7. Sitzung, 28.11.2018: Kants Kausalitätstheorie (2) ............................... 14

Zusammenfassung, 8. Sitzung, 5.12.2018: Schopenhauers Begriff des Grundes .................... 16

Zusammenfassung, 9. Sitzung, 12.12.2018: Bertrand Russells Kritik des Kausalitätsbegriffs 17

Zusammenfassung, 11. Sitzung, 9.1.2019: J.L. Mackies „INUS-Bedingung“ (1) ................... 21

Zusammenfassung, 12. Sitzung, 16.1.2019: J.L. Mackies „INUS-Bedingung“ (2)................. 23

Zusammenfassung, 14. Sitzung, 39.1.2019: Donald Davidsons Kausalanalyse ...................... 24

Zusammenfassung, 15. Sitzung, 6.2.2019: David Lewis und Jaegwon Kim ........................... 26

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Zusammenfassung, 1. Sitzung, 17.10.2018: Einführung in den Kausalitätsbegriff

Kausalität ist ein Phänomen, das sich durch eine zweistellige Relation R beschreiben lässt.

Die Relata dieser Relation sind Ursachen u und Wirkungen w:

u R w

Es scheint, dass die zweistellige Kausalitätsrelation asymmetrisch ist: Wenn ein Ereignis u ein

Ereignis w verursacht, dann verursacht nicht auch umgekehrt w u.

Hier stellt sich nun die Frage, welchen ontologischen Status Ursachen und Wirkungen haben.

In Frage kommt z.B. Folgendes:

Prozesse

Dinge

Ereignisse

Tatsachen

Ursachen und Wirkungen als Dinge zu verstehen, ist deswegen problematisch, weil wir sie in

ihrer dynamischen Wirkungsweise betrachten müssen. Sobald ein Ding wirkt, handelt es sich

um einen Prozess, der sich als Ereignis beschreiben lässt. Wenn wir aber von Ursachen und

Wirkungen formal nur im Sinne von Tatsachen sprechen, scheint die dynamische

Kraftübertragung und Notwendigkeit, die die Kausalitätsrelation charakterisiert, zu wenig

beachtet zu werden. Das Loslassen eines Stiftes ist die Ursache für sein Auf-den-Boden-

Fallen. Ist das Loslassen des Stiftes ein Ding? Sicherlich nicht. Aber das Loslassen ist auch

mehr als eine bloße Tatsache. Es ist das willentlich-absichtlich von einem (freien) Subjekt

herbeigeführte Auf-den-Boden-Fallen des Stiftes.

Nun kann man fragen, in welcher zeitlicher Ordnung Ursache und Wirkung zueinander

stehen. Gilt, dass die Ursachen immer zeitlich den Wirkungen vorausgehen müssen, oder sind

beide gleichzeitig, oder ist es gar möglich, dass eine Wirkung der Ursache vorausgeht, etwa

dann, wenn man eine Zeitreise in die Vergangenheit unternimmt? Ist es gar möglich, dass

Kausalität zeitlos erfolgen kann?

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Eine weitere Frage betrifft die logische Formalisierung und Modellierung der

Kausalitätsrelation. Sind Ursachen notwendig oder hinreichend für ihre Wirkungen, oder gar

beides zusammen?

Auch kann man fragen, ob es verschiedene Arten von Kausalität gibt. Aristoteles unterschied

vier Ursachen: Wirkursache, Formursache, Stoffursache, Zweckursache. Seit der Neuzeit

tendiert man dazu, nur eine Kausalitätsart anzunehmen, nämlich die Wirkursache (causa

efficiens). Doch stellt sich hier die Frage, welche Art von Kausalität diejenige mentaler

Verursachung ist, die unser Wollen und Handeln betrifft. Immanuel Kant setzte deswegen

neben der Wirkursächlichkeit der Natur noch eine Kausalität aus Freiheit an, der wir unsere

Freiheit außerhalb der Naturgesetze verdanken, da sie unbedingt ist.

Eine weitere Frage lautet, ob es überhaupt Kausalität gibt, und welchen

erkenntnistheoretischen Status diese Relation hat. Ist sie nur eine Ordnungskategorie, die wir

über die Welt stülpen und in sie hineinprojizieren? Gibt es am Ende gar nur Regelmäßigkeiten

und bloße Wahrscheinlichkeiten?

Schließlich kann man nach der Logik der Kausalitätsrelation fragen: Ist Kausalität transitiv,

also nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar über viele Glieder einer Kausalkette

hinweg?

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Zusammenfassung, 2. Sitzung, 24.10.2018: Metaphysik und Platon

1. Metaphysik der Kausalität

Betrachtet man das Phänomen der Kausalität, so kann man zwischen einer ontologischen

Dimension und einer logischen Dimension unterscheiden. Die ontologische Dimension

betrifft die Frage nach der Seinsart der Relata „Ursache“ und „Wirkung“. Hierfür gibt es

mehrere Kandidaten: Substanzen (mit Kräften und Vermögen), Ereignisse, Sachverhalte,

Tatsachen, Situationen oder Eigenschaften.1 In der Regel gelten in der Philosophie Ereignisse

als Kandidaten für Ursachen und Wirkungen. Die logische Dimension betrifft die Frage, in

welchem modalen Verhältnis Ursache und Wirkung zueinander stehen: Sind Ursachen

notwendige oder hinreichende Bedingungen ihrer Wirkungen, oder eine Kombination aus

beiden? Bezüglich der logischen Relation der Kausalität kann man die Frage stellen, ob sie

eine transitive Relation ist: Wenn a die Ursache von b ist und b die Ursache von c, dann ist a

mittelbar die Ursache von c. Problematisch wird die Transitivität dann, wenn man

verschiedene Arten von Kausalität ansetzt. Kann eine ereigniskausale Ursache eine

akturskausale Wirkung hervorrufen? Kann ein physikalisches Ereignis ein mentales

Phänomen bewirken? Und wie verhält es sich, wenn die Kausalkette sehr lang ist, so dass

man die einzelnen Stationen nicht mehr überschaut? Bedarf Kausalität nicht immer einer

bestimmten, einheitlichen Situation, innerhalb derer die kausalen Ereignisse raumzeitlich

benachbart und durch geordnete Relationen situiert sind?

Wichtig ist bei der Behandlung der Kausalitätsproblematik immer auch das Subjekt der

Kausalitätserkenntnis und -Erfahrung. Kausalität scheint ein schwach normativer Begriff zu

sein, der uns Grund-legende Orientierung in der Welt erlaubt, und eine Antwort auf die

Tiefenfrage „Warum?“ verheißt. Besonders deutlich wird dies dann, wenn es um

Akteurskausalität geht, da hier die Frage nach der Schuld und Zurechenbarkeit einer Person

aufgeworfen wird.

1 Vgl. dazu den sehr instruktiven Eintrag der „Standford Encyclopedia of Philosophy“

https://plato.stanford.edu/entries/causation-metaphysics/

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2. Platons Kausalitätsbegriff

Der Begriff der Kausalität tritt bei Platon im Kontext seiner Ideenlehre auf.

Der Platonische Sokrates erwägt in der Schrift Politeia, „daß dem Erkennbaren nicht nur das

Erkanntwerden von dem Guten komme, sondern auch das Sein und Wesen habe es von ihm,

da doch das Gute selbst nicht das Sein ist, sondern noch über das Sein an Würde und Kraft

hinausragt.“ (Pol. 509 b) Die Idee des Guten ist der Seins- und Erkenntnisgrund all dessen,

was in der Welt existiert. Damit sind das Sein und die Erkenntnis nach Platon immer in einem

normativen Kontext situiert. Das, was ist, ist gut, weil es (geordnet) ist (Kosmos), und

insofern es (gut) ist, ist es auch immer (prinzipiell) durch den Menschen erkennbar. Weniger

scheint sich Platon mit dem kausalen Werden und Vergehen der irdischen Welt zu befassen.

Veränderung ist nämlich gemäß der komparativen platonischen Ontologie, die Grade des

Seins kennt, immer ein ontologisch depotenziertes Phänomen, da es prinzipiell unordentlich

(chaotisch) ist.

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Zusammenfassung, 3. Sitzung, 31.10.2018: Aristoteles‘ Ursachenlehre

Alles, was ist, scheint in seinem Werden und Entstehen eine Ursache zu haben. Aristoteles

setzt sich zum Ziel, das „Warum (día tí) bei einem jeden“ zu analysieren. Im Zentrum der

Sitzung stand die Frage, wie nach Aristoteles die vier Ursachen (aitíai) miteinander

zusammenhängen. Ursachen sind nach Aristoteles ganz allgemein Seins- und

Erkenntnisgründe, die eine bestimmte individuelle Substanz in ihrer Genese und in ihren sie

konstituierenden Momenten bestimmen und so verständlich werden lassen. Zunächst

unterscheidet Aristoteles eine Art von Ursache als „dasjenige, aus welchem als in ihm

enthaltenen Etwas wird“ (194b). Als Beispiel führt er das Erz einer Statue und das Silber

einer Trinkschale an. Dies ist die sogenannte Stoff- oder Materialursache, lateinisch causa

materialis. Wir haben darüber diskutiert, inwiefern eine unbestimmte Materie eine Ursache

sein kann. Fest steht jedenfalls, dass eine Statue ohne Materie (welcher Art auch immer) nicht

existieren würde. Die Materie ist also eine notwendige Bedingung der konkreten Statue, und

insofern fundierender Grund oder (Mit-)Ursache ihrer Existenz. Eine zweite Ursachenart stellt

die Form (eídos) oder das Muster (parádeigma) dar. Als Beispiel führt Aristoteles das

Verhältnis einer Oktave an, in dem die Frequenzen zweier Töne in der Relation 1:2

zueinander stehen. Wir haben darüber diskutiert, ob sich Formen oder Muster auch als

komplexe Relationen verstehen lassen. Auf Lateinisch heißt diese Ursachenart „causa

formalis“. Dass eine Form kausal wirksam ist, lässt sich leichter als im Falle der Stoffursache

nachvollziehen. Denn hier wird etwas Unbestimmtes bestimmt, und diese Bestimmung kann

kausal verstanden werden. Eine dritte Ursachenart stellt dasjenige dar, „woher der erste

Anfang (arché) der Veränderung oder der Ruhe ausgeht“. Als Beispiel führt Aristoteles den

Vater als Erzeuger des Kindes an. Diese Ursachenart nennt man auch „causa efficiens“, also

Wirkursache. Sie ist die heutzutage geläufigste Ursachenart, vor allem in den modernen

Naturwissenschaften. Eine vierte Ursachenart stellt schließlich der „Endzweck“ (télos) dar als

„dasjenige, um dessen willen etwas ist“. Als Beispiel nennt Aristoteles das Spazierengehen

als Zweck der Gesundheit. Dies ist die sogenannte causa finalis. Die Zweckursache findet in

den modernen Naturwissenschaften keine Verwendung mehr. Es genügt, zu wissen, was

etwas bewirkt hat und wie bzw. warum es dies getan hat (die Wirkursache ist mathematisch

beschreibbar bzw. quantifizierbar). Zu fragen, wozu es dies gemacht hat, würde bedeuten, der

Natur einen konkreten Zweck zu unterstellen, sie also auf eine gewisse Weise zu

personifizieren.

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Im Falle einer Statue können verschiedene Ursachen zugleich ursächlich für dasselbe

sein, wenn auch auf verschiedene Weise (aber gleicher Beziehung auf die Statue hin).

Aristoteles scheint alle Ursachenarten nach einer bestimmten Entwicklungslogik zu ordnen.

Er beginnt mit der Stoffursache als bloßer Möglichkeit (gr. dýnamis; lat. potentia) und

Unbestimmtheit. Die Formursache komplementiert die Unbestimmtheit zur Bestimmtheit und

individuiert die Materie zu einer Substanz, dem sogenannten sýnholon („Zusammen-

Ganzes“), die konkret ist (ein „Dieses-Was“, tóde tí). Form und Materie sind dabei nicht

unabhängig von einander existent, sondern nur als ein Ganzes konstituierende Momente. Das

Bilden einer Einheit, also das Zusammenbringen von Form und Stoff, scheint Aristoteles auf

einer dritten Stufe als causa efficiens zu verstehen, wenn er von der „statuenbildende Kunst“

im Sinne von etwas spricht, „wovon die Bewegung ausgeht“ (195a). Die causa finalis

schließlich lässt sich als der (kulturelle oder lebensweltliche) Gesamtkontext verstehen,

innerhalb dessen die Erschaffung der Statue situiert ist. Somit ergibt sich ein deterministischer

Aufstieg von der relativen Unbestimmtheit (Materie) zur höchsten Bestimmtheit (Zweck) der

Statue.

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Zusammenfassung, 4. Sitzung, 7.11.2018: David Humes Kausalitätsverständnis

In der Philosophie des schottischen Empiristen David Hume (1711-1776) findet sich eine

scharfsinnige Analyse der Kausalitätsrelation, die konsequent aus einer

erkenntnistheoretischen Perspektive entwickelt wird. Hume versteht die Kausalitätsrelation

als eine „Denkbeziehung“ („comparison“) von Vorstellungen, die Hume wiederum als

schwache, erinnerte Abbilder von unmittelbaren Sinneseindrücken versteht. Einzelne,

individuiebare Eindrücke oder Vorstellungen bezeichnet Hume auch als „Gegenstände“

(„objects“). Die Kausalitätsrelation ist insofern ausgezeichnet, als „wir aus der Existenz oder

Tätigkeit eines Gegenstandes die Gewißheit schöpfen können, es sei ihr eine andere Existenz

oder Tätigkeit gefolgt oder vorangegangen.“ (100) Wenn wir glauben, etwas sei eine Ursache,

dann assoziieren wir damit aufgrund unserer Gewohnheit eine bestimmte mögliche Wirkung.

Die Vorstellung der Ursache enthält also bereits die Vorstellung der Wirkung. Gemäß Humes

reduktionistisch-empiristischer Erkenntnistheorie müssen wir, um zu verstehen, was eine

Ursache ist, diese Vorstellung auf einen Eindruck zurückführen, von dem sie stammt: „Die

Untersuchung des Eindrucks bringt Klarheit in die Vorstellung und die Untersuchung der

Vorstellung bringt in gleicher Weise Klarheit in das Denken.“ (101) Hume untersucht nun

unsere möglichen Eindrücke von Gegenständen und stellt fest, dass „Ursächlichkeit“ keine

Eigenschaft oder kein Eindruck ist, der einem Gegenstand anhaftet. Kausalität besteht

deswegen nicht an den Gegenständen und Eindrücken, sondern zwischen ihnen, in etwas

Drittem. Hume richtet also das Augenmerk auf das Verhältnis zwischen zwei Gegenständen

der Eindrücke, um das Phänomen der Kausalität besser zu erklären. Entscheidend ist dabei die

raum-zeitliche Nähe oder auch „Kontiguität“, also „Berührung“ der Gegenstände. Auch wenn

entfernte Gegenstände kausal durch Transitivität verbunden sind, gibt es doch immer wieder

Glieder der Kausalkette, die diese verbinden, indem sie sich berühren. Doch genügt die

raumzeitliche Nähe noch nicht, um die Notwendigkeit der Kausalitätsbeziehung zu erklären.

Hume erklärt diese notwendige Beziehung zwischen zwei Erkenntnisobjekten, die sich kausal

bedingen, durch unsere Erfahrung und Gewohnheit. Wenn wir nur oft genug beobachten, dass

auf einen Sinneseindruck der Art A ein Sinneseindruck der Art B folgt, dann schließen wir

daraus, dass A die Ursache von B ist. Diese Auffassung von Kausalität wird auch als

„Regularitätstheorie“ der Kausalität bezeichnet. Natürlich ist eine solche Auffassung von

Kausalität nicht objektiv. Denn ihr liegt stets ein Induktionsschluss von einer endlichen

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Anzahl von Erfahrungen auf eine zukünftige, die demselben Muster folgt. Wir haben also

nach Hume von der Kausalität nur wahrscheinliches, aber kein absolutes Wissen.

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Zusammenfassung, 5. Sitzung, 14.11.2018: David Humes Kausalitätsverständnis (2)

David Humes Analyse der Kausalrelation setzt an ursprünglichen Sinneseindrücken, die er

auch „Gegenstände“ bzw. „Objekte“ nennt, an. Diese stellen für seine Erkenntnistheorie die

nicht mehr weiter hintergehbaren Elemente unseres Vorstellens dar. Hume untersucht davon

ausgehend „den ursprünglichen Eindruck; zweitens: den gedanklichen Übergang zur

Vorstellung der damit verbundenen Ursache oder Wirkung; drittens: die Natur und

Eigenschaften dieser Vorstellung.“ (107) Die Notwendigkeit der Kausalrelation zwischen

zwei Gegenständen A und B (nennen wir sie C) ist selbst wiederum kein Sinneseindruck. Wir

nehmen immer nur bestimmte Gegenstände in ihrem „Wie-Sein“ wahr, nicht aber in ihrem

„Weil-Sein“. Deswegen besitzt die Kausalitätsrelation, in welcher wir A und B zu erkennen

glauben, allein subjektiven und keinesfalls objektiven oder generellen Charakter: „Wir

erinnern uns, daß wir wiederholt die Existenz einer bestimmten Art von Gegenständen erlebt

haben; wir erinnern uns zugleich, daß Beispiele einer anderen Art von Gegenständen stets mit

ihnen verbunden, und ihnen hinsichtlich der Beziehungen der räumlichen Nachbarschaft und

zeitlichen Folge in bestimmter Art zugeordnet waren.“ (111) Kausalität ist nichts objektiv

Gegebenes, sondern Resultat eines Schlusses, den wir selbst in die Dinge durch Erfahrung

hineinlegen. So etwas wie einen Eindruck der Notwendigkeit C, der zwischen A und B

existiert, kann noch so viel Erfahrung von A und B nicht bewirken: „Aus der bloßen

Wiederholung eines früheren Eindrucks, selbst wenn die Wiederholung ins Endlose

fortgesetzt würde, kann niemals eine neue originale Vorstellung, wie es die Vorstellung einer

notwendigen Verknüpfung ist, entstehen; die Vielheit der Eindrücke hat in diesem Fall keine

weitere Wirkung, als auch die Beschränkung auf einen einzigen Eindruck haben würde.“

(113) Es folgt daraus nach Hume, „daß die Notwendigkeit der Verknüpfung [von Ursache und

Wirkung] durch den Schluß, nicht aber der Schluß durch die Notwendigkeit der Verknüpfung

bedingt ist.“ (113) Ebenso können wir nach Hume keine kausalen Kräfte erkennen. Denn

Kräfte sind Potenzen oder Vermögen, die sich nicht als solche zeigen, sondern immer nur

anhand anderer Eindrücke. Logisch betrachtet schließt kein Eindruck einen anderen in sich.

Um von A notwendigerweise auf B zu kommen, müssten wir einen Eindruck der

Folgerungsbeziehung A->B haben, die jedoch nicht empirisch gegeben ist. Die Annahme von

Kausalität ist also allein auf die regelmäßige Abfolge von A und B zurückzuführen, die

jedoch nichts Apriorisches, vor der Erfahrung Liegendes ist, sondern nur etwas

Aposteriorisches, durch Erfahrung Gegebenes: „Wir können uns jederzeit eine Änderung im

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Laufe der Natur wenigstens vorstellen.“ (114) Hume formuliert dies folgendermaßen: „Unsere

ganze Kenntnis vom Zusammenhang zwischen Ursachen und Wirkungen besteht in dem

Bewußtsein, daß gewisse Gegenstände immer miteinander verbunden gewesen sind und sich

in allen früheren Fällen als untrennbar erwiesen haben. Wir können in den Grund dieser

Verbindung nicht eindringen, wir beobachten nur die Sache selbst; wir finden zugleich, daß

die beständige Verbindung der Gegenstände stets eine Verknüpfung derselben in der

Einbildungskraft bedingt. Wenn wir uns den Eindruck eines Gegenstandes vergegenwärtigen,

so machen wir uns sofort auch eine Vorstellung von dem Gegenstand, der ihn gewöhnlich

begleitete. Demzufolge dürfen wir in folgendem die teilweise Bestimmung des Wesens des

Fürwahrhaltens oder Glaubens sehen: es ist eine Vorstellung, die mit einem gegenwärtigen

Eindruck in Beziehung steht oder damit assoziiert ist.“ (119)

In seiner später erschienenen Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748) hat

David Hume zwei Definitionen der Ursache gegeben. Wir verstehen darunter

(1) „einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, wobei allen Gegenständen, die dem ersten

gleichartig sind, Gegenstände folgen, die dem zweiten gleichartig sind. Oder mit anderen

Worten:“

(2) „wobei, wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein

getreten wäre.“

Auf den ersten Blick ist die zweite Formulierung logisch falsch. Denn wenn A der erste

Gegenstand ist und B der zweite, dann folgt aus

(1) A → B

keinesfalls logisch

(2) ¬A → ¬B

Hat also David Hume einen logischen Fehler begangen, oder wollte er damit nur zwei

verschiedene Aspekte der Kausalitätsbeziehung bezeichnen?

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Zusammenfassung, 6. Sitzung, 21.11.2018: Kants Kausalitätstheorie

Immanuel Kants Theorie der Kausalität gewinnt ihr Profil in direkter Auseinandersetzung mit

derjenigen von David Hume. Hume hatte die These vertreten, dass uns die Erfahrung keine

absolut gültigen Informationen über kausale Strukturen in der Welt, Naturgesetze oder gar

Notwendigkeitsbeziehungen geben kann. Einzelne Sinneseindrücke, die nach Hume die Basis

all unseres Wissens darstellen, weisen niemals über sich hinaus, etwa dergestalt, dass ein

Eindruck die Ursache eines anderen Eindrucks ist. Wir haben von dem Kausalübergang keine

Erfahrung, sondern nur von der Abfolge zweier Ereignisse. Sind die Ereignisse in der

Vergangenheit regelmäßig aufeinander gefolgt, dann fühlen wir uns genötigt, für die Zukunft

dieselbe Regelmäßigkeit anzunehmen. Doch ist diese Nötigung rein psychologischer Natur

und besitzt keine objektive Geltung.

An diesem Punkt setzt Kants Kausalitätstheorie an. Seine Transzendentalphilosophie

untersucht die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung. Erfahrung bedeutet den

sinnvollen Zusammenhang von Wahrnehmungen, also raumzeitlich und kausal geordneten

Ereignissen. Kants Theorie macht explizit, welche Strukturen wir voraussetzen müssen, um

sinnvolle Erfahrung machen und objektive Erkenntnisse von der Welt haben zu können. Zu

diesen Strukturen gehören die reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit, die Kategorien

der Substanz und der Kausalität. Diese Strukturen lassen sich als Rahmungen verstehen,

innerhalb deren dann die Sinneserfahrung verarbeitet wird. David Hume hatte die Existenz

dieser Rahmenbedingungen bestritten, da sie sich nicht durch Erfahrung rechtfertigen ließen.

Kant argumentiert nun so, dass Erfahrung erst durch diese Rahmenbedingungen möglich ist.

Hume hat nach Kant also an der falschen Stelle gesucht.

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Kant behandelt das Kausalitätsproblem im Rahmen seiner „Zweiten Analogie der Erfahrung“.

Diese besagt: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der

Ursache und Wirkung.“ Eine Analogie der Erfahrung ist nach Kant „eine Regel [...], nach

welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung [...] entspringen soll [...]“ (KrV B 222) In

diesem Zusammenhang interessiert Kant die Frage, wie wir zur Erkenntnis von Kausalität in

der Welt gelangen. Kant versteht Veränderungen als Wechsel der Eigenschaften von

Substanzen, etwa dergestalt, dass ein Tisch einmal die Farbe weiß oder schwarz hat. Dabei

ändert sich nicht die Substanz des Tisches (sie bleibt identisch), sondern eben nur seine Farbe.

Durch die Einbildungskraft werden die Vorstellungen dieser Zustände aufeinander bezogen

und „synthetisiert“, so dass daraus ein Urteil mit Wahrheitsanspruch erfolgen kann. Kant

nennt dies auch die „synthetische Einheit“ der Erkenntnis, die derjenigen eines Urteils gleicht,

in dem ein Subjekt mit einem Prädikat verbunden wird. Kant gibt hier eine direkte Antwort

auf Humes Theorie, wenn er schreibt: „Der Begriff aber, der eine Nothwendigkeit der

synthetischen Einheit bei sich führt, kann nur ein reiner Verstandesbegriff sein, der nicht in

der Wahrnehmung liegt; und das ist hier der Begriff des Verhältnisses der Ursache und

Wirkung, wovon die erstere die letztere in der Zeit als die Folge und nicht als etwas, was bloß

in der Einbildung vorhergehen (oder gar überall nicht wahrgenommen sein) könnte,

bestimmt.“ (B 234) Die Notwendigkeit des kausalen Übergangs stammt nach Kant nicht aus

der Erfahrung und auch nicht aus unserer subjektiven Gewohnheit, sondern aus der Struktur

unserer Vernunft.

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Zusammenfassung, 7. Sitzung, 28.11.2018: Kants Kausalitätstheorie (2)

Kants Philosophie sieht sich vor die Herausforderung gestellt, zwei verschiedene Arten von

Kausalität – die Kausalität der Natur und die Kausalität aus Freiheit (bzw. Akteurskausalität)

– als miteinander kompatibel zu denken. Alles, was sich ereignet, unterliegt nach Kant dem

Kausalitätsprinzip und hat damit eine wirkursächlich beschreibbare Ursache. Auch

menschliche Handlungen lassen sich vollständig naturkausal analysieren, wenngleich sie

darüber hinaus durch Vernunft- bzw. Freiheitskausalität überdeterminiert sind. In der Dritten

Aninomie der Kritik der reinen Vernunft (B 427 ff.) behandelt Kant die Frage, inwiefern

beide Arten von Kausalität kompatibel sind

Man kann sich nach Kant »nur zweierlei Kausalität in Ansehung dessen, was geschieht,

denken [Hervorh. J. N.]«. Ereignisse können gemäß dieser vollständigen Disjunktion

»entweder nach der Natur, oder aus Freiheit« hervorgegangen sein. Während die Kausalität

der Natur »die Verknüpfung eines Zustandes mit einem vorigen in der Sinnenwelt« bedeutet

und als »Kausalität der Erscheinungen auf Zeitbedingungen beruht«, versteht Kant unter

Kausalität aus Freiheit im negativen Sinne die »Unabhängigkeit von allem Empirischen und

also von der Natur überhaupt«. Im positiven Sinne versteht Kant darunter die »Freiheit, im

kosmologischen Verstande«, d. h. »das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen,

deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache

steht, welche sie der Zeit nach bestimmte«. Welche Argumente lassen sich für die Thesis

anführen? Wenn es nur Naturkausalität gäbe, so der Argumentationsgang des Vertreters der

These, dann könnte auf diese Weise niemals eine »Vollständigkeit der Reihe auf der Seite der

von einander abstammenden Ursachen« bzw. eine »hinreichend a priori bestimmte Ursache«

zu einem beliebigen Ereignis angegeben werden, weil jedes vorhergehende Ereignis

wiederum eine Ursache hätte usw. ad infinitum. Es gäbe so gesehen »nur einen subalternen,

niemals aber einen ersten Anfang«. Durch diese Unvollständigkeit innerhalb der Reihe der

Ursachen ist aber gerade das »Gesetz der Natur« verletzt, wonach »ohne hinreichend a priori

bestimmte Ursache nichts geschehe«. Damit ein Ereignis hinreichend bestimmt werden kann

und »die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen« vollständig ist, müsste

demnach »eine Kausalität angenommen werden, durch welche etwas geschieht, ohne daß die

Ursache davon noch weiter durch eine andere vorhergehende Ursache nach notwendigen

Gesetzen bestimmt sei«; es müsste also eine »absolute Spontaneität der Ursachen« bzw.

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»transzendentale Freiheit« angenommen werden, welche ohne vorhergehende Ursachen ein

Ereignis hervorbringt. Die Pointe der Argumentation der These besteht also nicht vorrangig

im Aufzeigen der Notwendigkeit von Freiheitskausalität gleich einem »ersten Beweger« für

freie Handlungen, sondern der Notwendigkeit einer kausalen Einheit der Natur selbst, welche

durch den Begriff der Naturkausalität allein nicht geleistet werden kann. Die hierbei zugrunde

gelegte Argumentationsstrategie ist also die einer immanenten Kritik, die auf Basis der

Prämissen der Gegenthese einen Widerspruch aufzeigt und die Form eines apagogischen

Beweises annimmt. Der Argumentationsgang für die Antithese verläuft auf analoge Weise

immanent und apagogisch (eine reductio ad absurdum): Wenn es so etwas wie

Freiheitskausalität – also eine »besondere Art von Kausalität«, also »Freiheit im

transzendentalen Verstande« – gäbe, dann würden wir in der Zeit und in der Natur einen

spontanen Kausalanfang annehmen müssen. Dies würde jedoch eine ›Lücke‹ in der Erfahrung

mit sich bringen und damit ein Moment der Gesetzlosigkeit, gleich einer nicht stetigen und

differenzierbaren mathematischen Funktion, deren Graph eine ›Lücke‹ bzw. einen ›Knick‹

aufweist. Ein solches Ereignis einer Freiheitskausalität würde im Kontext der

zusammenhängenden Naturursachen wie ein Wunder erscheinen müssen, insofern es »zwar

auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt«. Freiheit könnte so nur im Sinne eines »gesetzlosen

Vermögens« gedacht werden. Wie im Falle der These besteht auch die Pointe des

Antithetikers darin, den Thetiker auf seinem eigenen Feld zu schlagen: Absolute Freiheit stellt

sich als eigentliche Unfreiheit heraus: »Die Freiheit (Unabhängigkeit) von den Gesetzen der

Natur ist zwar eine Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln«, sie ist

völlig willkürlich: »Natur also und transzendentale Freiheit unterscheiden sich wie

Gesetzmäßigkeit und Gesetzlosigkeit«. Transzendentale Freiheit wäre so nur »das Blendwerk

von Freiheit«, eine Freiheit, die »selbst blind ist«. Freiheit, so die Einsicht des Antithetikers,

darf also gerade nicht in gänzlicher Gesetzlosigkeit bestehen, sondern erfordert eine

spezifische Gesetzmäßigkeit. Da diese jedoch auf derselben Ebene wie der Naturkausalität

nicht widerspruchsfrei denkbar ist – da, wenn die Kausalität der Freiheit »nach Gesetzen

bestimmt wäre, sie nicht Freiheit, sondern selbst nichts anders als Natur« wäre –, »so würde

dieses Vermögen doch wenigstens nur außerhalb der Welt sein müssen«, was allerdings den

theoretischen Rahmen eines transzendentalen Realismus sprengen würde.

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Zusammenfassung, 8. Sitzung, 5.12.2018: Schopenhauers Begriff des Grundes

Schopenhauer versucht in seiner Schrift Über die vierfache Wurzel des Satzes vom

zureichenden Grunde, Kants Kausalitätsbegriff noch tiefer zu fassen. Er bestimmt diesen Satz

folgendermaßen: „Nihil est sine ratione cur potius sit quam non sit. Nichts ist ohne Grund

warum es sey.“ (III,7) Nun lässt sich der Satz vom Grunde jedoch nicht beweisen. Ein solches

Unternehmen wäre zirkulär, denn es würde bedeuten, dabei selbst wieder den Satz des

zureichenden Grundes vorauszusetzen: Die Frage nach dem Grund des Satzes vom Grunde

verlangt schon die Gültigkeit dieses Satzes. Deswegen gehört dieser Satz zu den

„Bedingungen alles Denkens und Erkennens“, „aus deren Anwendung alles Denken und

Erkennen besteht, so daß Gewißheit nichts ist als Uebereinstimmung mit ihnen, folglich ihre

eigne Gewißheit nicht wieder aus andern Sätzen erhellen kann.“ (III,15) Schopenhauer

argumentiert dafür, dass der Satz des Grundes nicht durch das Prinzip der kausalen

Geschlossenheit erschöpfend erklärt werden kann. Wirkursächlichkeit ist nur eine von vier

Klassen (oder Arten) des Gattungsbegriffs des allgemeinen Satzes vom zureichenden Grund.

Daneben führt Schopenhauer Sätze der Geometrie an, wie etwa, dass, „weil die Winkel gleich

sind, auch die Seiten gleich seyn müssen“ (III, 16) Dieses Verhältnis von Winkel und

Seitenlänge ist nach Schopenhauer weder kausal noch logisch-analytisch zu verstehen, „denn

im Begriff von Gleichheit der Winkel liegt nicht der von Gleichheit der Seiten“ (III, 17). Ein

weiterer Fall des Satzes vom Grunde ist eine bestimmte motivierte Handlung, die nach

Schopenhauer ebenfalls weder rein kausal noch logisch beschrieben werden kann. Folgende

vier Wurzeln des Satzes vom zureichenden Grunde und ihre epistemischen Vermögen

unterscheidet Schopenhauer:

(1) In unserm Verstande liegt der Satz vom Grunde des Werdens als Gesetz der

Kausalität;

(2) in unsrer Vernunft, als dem Vermögen der Schlüsse, der Satz vom zureichenden

Grunde des Erkennens;

(3) in unsrer reinen Sinnlichkeit der Satz vom Grunde des Seyns;

(4) und endlich den Willen leitet das Gesetz der Motivation. (III,89 f.)

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Zusammenfassung, 9. Sitzung, 12.12.2018: Bertrand Russells Kritik des

Kausalitätsbegriffs

In seinem 1904 erschienenen Aufsatz „On the Notion of Cause“ argumentiert der britische

Philosoph Bertrand Russell (1872-1970) dafür, dass der Kausalitätsbegriff so ambivalent und

missverständlich sei, dass er aus dem philosophischen Wortschatz gestrichen werden sollte:

„The law of causality, I believe, like much that passes muster among philosophers, is a relic

of a bygone age, surviving, like the monarchy, only because it is erroneously supposed to do

no harm.” (1) Russell betrachtet nun die Ontologie der Relata der Kausalitätsrelation.

Ursachen können keine Prozesse sein, da Prozesse selbst wiederum kausale Relationen

voraussetzen, die sie konstituieren. Aber Ursachen scheinen auch nicht statisch ausgedehnt zu

sein, und dann in Art einer sich entladenden Explosion unmittelbar zu Wirkungen zu führen.

Ebenso stellt sich nach Russell das Problem, inwiefern Ursachen Ereignisse sind. Sofern

Ursachen Ereignisse sind, müssen sie Instanzen oder Fälle (e) von Ereignis-Typen (E) sein,

wie etwa das Anzünden eines Streichholzes, oder das Einwerfen einer Münze in einen

Automaten. Damit sich Ereignisse nach dem Prinzip oder Prinzip der Kausalität, welches

besagt „Auf gleiche Ursachen folgen gleiche Wirkungen“, wiederholen können, dürfen sie

also nicht zu individuell feinkörnig bestimmt werden, so dass etwa die Temperatur oder das

Prägejahr der Münze eine Rolle spielen: „An ‚event‘ then, is a universal defined sufficiently

widely to admit of many particular occurrences in time being instances of it.“ (7) Wirkungen

müssen sich nach Russell zeitlich von ihren Ursachen separieren lassen, da sie ansonsten als

ein übergreifender Prozess verstanden werden könnten. Es muss deswegen ein endlicher,

winziger Zeitraum zwischen Ursachen und Wirkungen gedacht werden. Doch besteht

aufgrund der zeitlichen Lücke zwischen Ursachen und Wirkungen immer die Möglichkeit,

dass sich ein anderes Ereignis ‚dazwischen schiebt‘. Wir müssten demnach immer in die

Ursache die äußeren Umstände und Randbedingungen (r) mit einbeziehen. Dadurch aber

ginge der generelle Charakter des Ereignisses verloren. Wir hätten es im Extremfall nur mit

Singularitäten-Ursachen zu tun, die sich aufgrund der hochgradig komplexen

Randbedingungen r nie wiederholten können:

U ∧(r1 ∧ r2 ∧ r3 ∧... rn ) → W

Es liegt deswegen nahe, anstatt von Ereignissen von Situationen zu sprechen, wenn wir die

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Ontologie von Ursachen bestimmen wollen. Denn eine Ursachen-Situation (Su) ist nicht an

einen bestimmten Zeitpunkt gebunden, sondern umfasst vielmehr alle Randbedingungen, die

kausal hinreichend für die Wirkung sind: Su = U ∧(r1 ∧ r2 ∧ r3 ∧... rn ).

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Zusammenfassung, 10. Sitzung, 19.12.2018: Hans Reichenbachs Kausalitätstheorie

Hans Reichenbach (1891-1953) entwickelt seine Kausalitätstheorie im Zusammenhang

neuerer naturwissenschaftlicher, insbesondere physikalischer Entdeckungen zu Beginn des

20. Jahrhunderts. Hierzu gehören Albert Einsteins Relativitätstheorie sowie die

Quantenphysik. Das Verhalten kleinster Teilchen kann im Rahmen der Quantenmechanik

nicht mehr rein kausal erklärt werden. Vielmehr rückt an die Theorie der Kausalität die

Wahrscheinlichkeitstheorie. Reichenbach argumentiert nun dafür, dass die Notwendigkeit

einer wahrscheinlichkeitstheoretischen (probabilistischen) Erklärung physikalischer

Phänomene gerade keine Krise für die Naturwissenschaft bedeutet, sondern aus einer

gewissen Notwendigkeit der naturwissenschaftlichen Entwicklung folgt. Reichenbach

argumentiert gegen die Auffassung, wonach dem Wahrscheinlichkeitsbegriff „der Makel des

Unvollkommenen und Spielerischen zugleich“ anhafte (159). Weder ist Wahrscheinlichkeit

etwas nur „Behelfsmäßiges“, noch ist Kausalität der „große Bruder“ der Wahrscheinlichkeit.

Nach Reichenbach existiert eine „Parallelität von Wahrscheinlichkeitsgesetzen und

Kausalgesetzen“ (160), beide sind also auf derselben Ebene angesiedelt. Denn

Wahrscheinlichkeiten lassen sich als Wahrscheinlichkeitsfunktionen mathematisch herleiten,

wie im Falle eines Rouletterads, welches aus roten und schwarzen Felder gleicher Anzahl und

Größe besteht. Die Wahrscheinlichkeit von 0,5 ergibt sich also aus der mathematisch

beschreibbaren Struktur des Rades.

Nach Reichenbach bedeuten „Wahrscheinlichkeitsgesetze und Kausalgesetze nur

verschiedene logische Aufspaltungen der einen Naturgesetzlichkeit“ (176). Wie ist diese

Aussage zu verstehen? Reichenbach setzt an der epistemologischen Problematik an, dass die

Ursachen eines Ereignisses in der Naturwissenschaft faktisch niemals vollständig für die

Erklärung der Wirkung bekannt sind. „wir können stets nur eine Anzahl überwiegender

Faktoren des Geschehens herausgreifen und für die Berechnung verwerten, während daneben

ein unauflöslicher Rest von Faktoren immer geringeren Einflusses zurückbleibt.“ (177). Diese

Situation ähnelt den von Russell beschriebenen Randbedingungen r, die zu einem bestimmten

Typ von Ereignis hinzutreten müssen, um zusammen das Antecendens einer Implikation zu

bilden, welche zu einer bestimmten Wirkung führt. Wirklichkeitsaussagen (W) über

physikalische Ereignisse lassen sich nach Reichenbach nur in Kombination von Hypothesen

bezüglich der Kausalverbundenheit (K) der Ereignisse (E) und Hypothesen bezüglich der

Wahrscheinlichkeit (P) der Restfaktoren (R) sinnvoll formulieren, was man etwa

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folgendermaßen formalisieren könnte: K(E) ∧ P(R) → W

Wahrscheinlichkeits- und Kausalitätsaussagen verhalten sich demnach komplementär.

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Zusammenfassung, 11. Sitzung, 9.1.2019: J.L. Mackies „INUS-Bedingung“ (1)

Sind Ursachen notwendige oder hinreichende Bedingungen für ihre Wirkungen, oder sogar

beides zusammen? Und inwiefern müssen wir noch Randbedingungen zu einer Ursache

hinzudenken, um zu ihrer Wirkung zu gelangen – ein Problem, auf das Bertrand Russell

hingewiesen hat? In der analytisch-angelsächsischen Philosophie hat der australische

Philosoph J.L. Mackie versucht, die komplexe Bedingung eines Kausalverhältnisses zu

formalisieren und das Verhältnis von Ursache und Wirkung zu präzisieren. Um seine Theorie

der Kausalität zu illustrieren, wählt Mackie das Beispiele eines Hausbrandes (H), der durch

einen bestimmten elektrischen Kurzschluss (K) verursacht wurde. Sicherlich ist ein

bestimmter Kurzschluss nicht notwendig für einen Hausbrand, denn es gibt andere mögliche

Ereignisse, die ebenfalls zu einem Hausbrand führen können, wie z.B. ein Blitzschlag oder ein

anderer Kurzschluss. Ebenso ist der Kurzschluss nicht hinreichend für einen Hausbrand, denn

es hätten sich feuersichere Gegenstände oder eine Sprinkler-Anlage in seiner Nähe befinden

können, so dass sich der Hausbrand sich nicht ereignet hätte.

Ursachen scheinen also weder (1) hinreichend noch (2) notwendig für ihre Wirkungen zu

sein:

(1) ¬ (K→H)

(2) ¬ (¬ K→¬ H)

Wir müssen also insgesamt eine komplexe Bedingung B annehmen (brennbares Material,

keine Sprinkler-Anlage, ...), die zusammen mit dem Kurzschluss K hinreichend für den

Hausbrand H waren:

(K∧B)→H

K ist unverzichtbar (bzw. notwendig), sofern die Bedingungen B gegeben sind, zusammen

mit denen K erst den Hausbrand auslöst (hier kann man freilich fragen, ob nicht auch ein

anderes Ereignis L zusammen mit B den Hausbrand verursachen könnte, so dass K für die

Bedingung nur hinreichend ist).

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Mackie bezeichnet die Ursache K insofern als nicht-hinreichenden aber notwendigen Teil

einer Bedingung, die ihrerseits nicht-notwendig, sondern hinreichend für das Ergebnis H ist.

Auf Englisch ist eine Ursache ein

Insufficient but

Necessary part of a condition which is itself

Unnecessary but

Sufficient for the result,

woraus sich das Akronym INUS-Bedingung ergibt.

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Zusammenfassung, 12. Sitzung, 16.1.2019: J.L. Mackies „INUS-Bedingung“ (2)

Mackie versucht mit seiner INUS-Bedingung das Problem kausaler Antezedens-Bedingungen

in einer logischen Implikation zu lösen:

A→B

Russell hatte zuvor darauf hingewiesen, dass Ursachen niemals hinreichende Bedingungen für

ihre Wirkungen sind, sondern immer verschiedene Randbedingungen benötigen, mit denen

zusammen sie dann hinreichend für die Wirkung sind. Nach Russell sind diese

Randbedingungen jedoch so vielfältig und speziell, dass es mitunter sehr schwierig wird, eine

Art Kausalgesetz der Abfolge zu formulieren, welches nicht nur singuläre Ereignisse, sondern

generelle Typen von Ereignissen betrifft. Mackie analysiert nun die Antezendens-Bedingung

der Implikation weiter, indem er auf drei Momente verweist, die diese konstituieren:

(A) Ein auslösendes Ereignis (z.B. ein Kurzschluss)

(B) Eine förderliche Umgebungsbedingung (z.B. brennbares Material in der Nähe)

(C) Eine förderliche Vermeidungsbedingung (z.B. die Abwesenheit einer Feuerlöschanlage)

In der Konjunktion der drei Momente ist das Ereignis des Kurzschlusses eine notwendige

Bedingung, ohne die B und C nicht zu einem Brand geführt hätten. Sie müssen also durch ein

zusätzliches auslösendes Moment hinreichend für die Wirkung gemacht werden (wobei dieses

auslösende Moment auch etwas anderes als der Kurzschluss sein könnte, z.B. ein Kugelblitz,

so dass es mit Blick auf seine ‚syntaktische‘ Stellung innerhalb des Antezendens zwar als

notwendig, mit Blick auf seine ‚paradigmatische‘ Stellung jedoch als austauschbar, d.h. nicht-

notwendig erscheint). Ebenso kann man an Mackies Ansatz die kritische Rückfrage stellen,

ob nicht auch wiederum der Kurzschluss von anderen Faktoren verursacht war. Gegen einen

unendlichen Regress der Bedingungen könnte man das Argument der kausalen Ausdünnung

vorbringen: Im Kurzschluss fanden bestimmte Umstände zusammen, die ihn erst auslösten.

Freilich kann dies wiederum im Sinne der INUS-Bedingung analysiert werden: Was war der

Auslöser für den Kurzschluss usw. Das Problem des Regresses der Bedingungen lässt sich

dann lösen, wenn man als Auslöser eine freie Person denkt, die sich für eine bestimmte

Handlung aus eigenem Antrieb entschlossen hat, ohne dass ihre Handlung von

vorhergehenden Ereignissen notwendig gemacht worden war).

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Zusammenfassung, 14. Sitzung, 39.1.2019: Donald Davidsons Kausalanalyse

In seinem Aufsatz „Causal Relations“ (1967) geht es Donald Davidson um die Frage, „welche

logische Form singuläre kausale Aussagen haben“ (79). Unter singulären Aussagen versteht

Davidson solche Sätze wie „Der Fall von der Leiter verursachte Herrn Meiers Beinbruch“.

Davidson interessiert sich also nicht so sehr für die Ontologie und die Modalität der

Kausalrelation, sondern nur für die Frage, „welche logische oder grammatische Rolle die

Wörter (oder Satzteile) in den Beispielsätzen spielen“ (ebd.). Davidson stellt sich nun die

Frage, welche sprachliche Form Ursachen haben. Davidson zieht in Erwägung, dass Ursachen

nicht so sehr Ereignissen, sondern vielmehr Sätzen entsprechen. Dies hat den Vorteil, dass

dann das Antecedens und das Konsequens wahrheitsfunktional werden, und sich die

Gesamtaussage aus den Wahrheitswerten der Elemente ergibt. Aus dem Satz

(1) „Der Fall von der Leiter verursachte Herrn Meiers Beinbruch.“

würde dann folgender komplexer Satz

(2) „Die Tatsache, dass Herr Meier von der Leiter fiel (= p), verursachte, dass er sich sein

Bein brach (= q).“

Hier ist nun die Frage, wie man den Ausdruck „verursachte“, also das „Kausal-Konnektiv“,

verstehen soll.

Wir könnten versuchen, das Konnektiv im Sinne einer materialen Implikation zu verstehen:

p → q

Doch drückt eine materiale Implikation wirklich einen Kausalübergang aus? Betrachten wir

dazu die Wahrheitswerttabelle:

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Wir können aus der Falschheit des Antecedens (¬ p) auf die Wahrheit der Implikation p → q

schließen. Dies ist in unserer natürlichen Sprache durchaus nicht intuitiv einleuchtend. Man

spricht deswegen von der sogenannten „Paradoxie der materialen Implikation“.

Davidson argumentiert nun gegen die Auffassung, kausale Aussagen im Sinne einer

materialen Implikation zu verstehen. Denn man kann die Formel

p → q

logisch durch Kontraposition folgendermaßen umformen

¬ q → ¬ p

Wenden wir dies auf den Satz (2) an, so ergibt sich Folgendes:

„Die Tatsache, dass sich Herr Meier nicht das Bein brach, verursachte die Tatsache, dass er

nicht von der Leiter fiel“.

Dieser Satz ist offenkundig unsinnig. Es scheint also, dass die materiale Implikation, schon

aufgrund der zeitlichen Logik des kausalen Übergangs, nicht geeignet ist, um kausale

Sachverhalte logisch zu modellieren.

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Zusammenfassung, 15. Sitzung, 6.2.2019: David Lewis und Jaegwon Kim

In seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748) hatte David Hume zwei

Definitionen der Ursache gegeben. Wir verstehen darunter

(1) „einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, wobei allen Gegenständen, die dem ersten

gleichartig sind, Gegenstände folgen, die dem zweiten gleichartig sind. Oder mit anderen

Worten:“

(2) „wobei, wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein

getreten wäre.“

Auf den ersten Blick ist die zweite Formulierung logisch falsch. Denn wenn A der erste

Gegenstand (bzw. das erste Ereignis) ist und B der zweite, dann folgt aus

(1) A → B

keinesfalls logisch

(2) ¬A → ¬B

Hat also David Hume einen logischen Fehler begangen, oder wollte er damit nur zwei

verschiedene Aspekte der Kausalitätsbeziehung bezeichnen? Die erste Formulierung betrifft

die Regularitätstheorie der Kausalität. Doch besteht das Problem der Regularitätstheorie

darin, dass damit nicht nur Kausalrelationen, sondern ganz generell alle Korrelationen

charakterisiert sind. Aus der Tatsache, dass alle Arbeiter eine Fabrik verlassen, sobald die

Kirchturmuhr 18 Uhr schlägt, folgt nicht, dass das Schlagen der Kirchturmuhr ihr Verlassen

der Fabrik verursacht hat. Auch ist es möglich, dass die Folgen nicht wirkliche Wirkungen

sind, sondern nur Epiphänomene, die keine kausale Kraft auf weitere Ereignisse haben.

Insofern könnte die zweite Formulierung so gelesen werden, dass hier eine notwendige

Bedingung für das Eintreten der Wirkung angegeben wird. In eben diesem Sinne liest auch

David Lewis die Hume’sche Definition, um die Regularitätstheorie durch eine andere Theorie

zu ersetzen. Lewis nennt die zweite Formulierung Humes die „kontrafaktische Analyse der

Kausalität“. Damit soll der Intuition entsprochen werden, dass eine Ursache immer „einen

Unterschied bewirkt, und zwar einen Unterschied zu dem, was ohne die Ursache passiert

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wäre“. Kontrafaktische Konditionale sind „Aussagen über mögliche Alternativsituationen“,

die uns das Phänomen der Kausalität zusätzlich zur bloßen Regularität erschließen (dies

versucht auch die INUS-Bedingung, die sowohl Momente des Hinreichenden wir auch des

Notwendigen einer Ursache berücksichtigt).

Lewis formuliert die konditionale Analyse im Rahmen seiner Theorie möglicher Welten und

fasst dazu die Relata der Kausalität zunächst als Propositionen, auch wenn er wie Donald

Davidson die Auffassung vertritt, dass Ursachen und Wirkungen im Grunde Ereignisse sind.

Eine mögliche Welt ist eine umfassende Situation, die in sich logisch widerspruchsfrei ist.

Mögliche Welten lassen sich im Sinne einer dreistelligen Relation miteinander vergleichen,

was Lewis als „komparative Gesamtähnlichkeit“ bezeichnet: „Welt w1 ist näher an Welt w als

Welt w2“.

Die Wahrheit eines kontrafaktischen Konditionals besteht dann darin, dass man in einer

anderen möglichen Welt als der wirklichen soweit von ihr abweichen kann, dass A wahr ist

und auch C, und nicht soweit, dass zwar A noch der Fall ist, aber nicht mehr C. Lewis

vergleicht die kontrafaktischen Konditionale mit der Wirkungsweise eines Barometers. Der

Barometerstand ist kontrafaktisch vom Luftdruck abhängig. Von der kontrafaktischen

Abhängigkeit unterscheidet Lewis noch die kausale Abhängigkeit im engeren Sinne. Lewis

unterscheidet von der kausalen Abhängigkeit auch noch die Kausalität als solche. Kausale

Abhängigkeit impliziert zwar Kausalität, aber Kausalität nicht kausale Abhängigkeit. Dazu

betrachtet Lewis die Folge der Ereignisse c, d, e. Auch wenn d von c und e von d

kontrafaktisch abhängig sind, folgt daraus nach Lewis noch nicht notwendigerweise, dass e

kontrafaktisch von c abhängig sein muss. Denn c kann auch dann die Ursache von e sein,

wenn e auch ohne c geschehen wäre. Kausalität ist nach Lewis dagegen immer transitiv, so

dass c, falls es d verursacht hat, auch mittelbar e verursacht haben muss.

Im Gegensatz zu Lewis unterscheidet Jaegwon Kim noch weitere Abhängigkeits- und

Determinationsbeziehungen, die zwar kontrafaktisch, aber nicht kausal sind. Kim führt dazu

folgendes Beispiel an:

„Als Sokrates in Athen im Gefängnis starb, wurde Xanthippe Witwe.“

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Wie ist das Verhältnis beider Ereignisse genau zu bestimmen? Es handelt sich deswegen nicht

um eine Kausalbeziehung, da beide Ereignisse zum selben Zeitpunkt geschehen, und ferner

auch räumlich sehr weit entfernt stattfinden können. Das Verhältnis gehorcht keinem Gesetz

und erfolgt auch nicht durch die Ausübung einer Kraft, sondern aus einer logisch-

begrifflichen Notwendigkeit.