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Insel Verlag Leseprobe Dunant, Sarah Der Palast der Borgia Roman Aus dem Englischen von Peter Knecht © Insel Verlag insel taschenbuch 4333 978-3-458-36033-9

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Insel VerlagLeseprobe

Dunant, SarahDer Palast der Borgia

RomanAus dem Englischen von Peter Knecht

© Insel Verlaginsel taschenbuch 4333

978-3-458-36033-9

insel taschenbuch 4333

Sarah DunantDer Palast der Borgia

S A R A H D U N A N T

RomanAus dem Englischen von Peter Knecht

Insel Verlag

Der PALAST der BORGIA

Die Originalausgabe erschien erstmals 2013 unter dem TitelBlood and Beauty bei Virago Press, an imprint of Little,

Brown Book Group, London.Umschlagfotos: Elisabeth Ansley/Trevillion Images;

Jill Battaglia/Trevillion Images; George Clerk/Getty Images

insel taschenbuch 4333

Deutsche ErstausgabeErste Auflage 2014

© der deutschen Ausgabe Insel Verlag Berlin 2014

© 2013 Sarah DunantAlle Rechte vorbehalten, insbesondere das

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durchRundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagUmschlaggestaltung: Werbeagentur ZERO, MünchenSatz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-36033-9

Der Palast der Borgia

Für Anthony,der die Gegenwart so reich wie die Vergangenheit macht.

F e r r a r a

Ro mAdriana

(Cousine zweiten Grades von Alexander)

Orsini FarneseRodrigo Borgia

Papst Alexander VI.

d´Este

d´Albret

Louise

Laura Romano(von Alexander

anerkannte Kinder)

Juan

Ercole d’Este

SforzaKardinal Ippolito d´Este

Isabella

M a i l a n d

N e a p e l

Vannozza

Alessandro

Ludovico Sforza

Ascanio Sforza

Galeazzo

Costanzo

Rodrigovon Aragon

Sforza von AragonCaterina Sforza

von Aragon(Enkelkinder

Francesco

von Aragon Lucrezia

Re p u b l i k V e n e d i g

H e r z o g t u m M a i l a n d

Re p . F l o r e n z

K i r c h e n -s t a a t

K ö n i g r e i c h N e a p e l

Os m a n i s c h e s Re i c h

Si z i l i e n

K o r s i k a

Sa r d i n i e n

Re p . Si e n a

MailandMantua

Venedig

FerraraBologna

ForlìCesena

Pesaro

Piombino

FlorenzSpoleto

Perugia

Nepi

RomVelletri

Neapel

Imola

Vorbemerkung

Die Landkarte Europas im fünfzehnten Jahrhundert zeigt inmanchen Regionen bereits annähernd Verhältnisse, die demmodernen Auge vertraut sind: Frankreich, England, Schottland,Spanien und Portugal waren dabei, sich zu festen politischenGebilden unter der Herrschaft von Erbmonarchien zu formen.Dagegen bestand Italien noch aus einer Vielzahl von Stadtstaa-ten, was das Land immer wieder zum Ziel ausländischer Inter-ventionen machte. Mit Ausnahme der Republik Venedig warendie meisten dieser Staaten in der Hand regierender Dynastien:In Mailand herrschten die Sforza, in Florenz die Medici, in Fer-rara die Este, und im Königreich Neapel das spanische HausAragon.

Mittendrin lag Rom, wo verschiedene seit Jahrhundertenangesehene Adelsfamilien einander erbittert befehdeten undwo der Oberhirte der Christenheit seinen Sitz hatte. Die Terri-torien, über die der Papst gebot, waren zwar nicht sehr um-fangreich und zudem oft in der Hand von päpstlichen Vögten,dennoch war sein Einfluss immens. Als Oberhaupt der Kirchekontrollierte er ein Netz von Abhängigkeitsstrukturen, das ganzEuropa umspannte, und als Gottes Stellvertreter auf Erden be-saß er eine spirituelle Macht, die er zu strategischen und poli-tischen Zwecken einsetzen konnte. In einer Epoche, in der derKatholizismus unangefochten herrschte und die Korruptionin der Kirche allgegenwärtig war, finden sich zahlreiche Päps-te, die nicht nur persönlichen Reichtum anhäuften, sondernauch ihre Verwandten, mitunter sogar ihre eigenen illegitimenKinder, mit Ämtern und Gütern versorgten.

So standen die Dinge im Sommer 1492, als Innozenz VIII.starb und der Stuhl Petri neu besetzt werden musste.

Erster Teil

Habemus Papam

Er ist in dem Alter, in dem nach Aristoteles Männeram klügsten sind: körperlich stark, geistig frischund energisch, bestens gerüstet für sein neues Amt.

Sigismondo de’ Conti, päpstlicher Sekretär,1492

Erstes Kapitel

11. August 1492

Die Dämmerung färbt den Nachthimmel blassblau, als im Pa-last ein Fenster aufgeht und ein Gesicht erscheint, die Zügeverzerrt vom Feuerschein der Fackeln an der Wand. Die Solda-ten auf der Piazza schlafen. Aber sie fahren auf, als vom Fens-ter der Ruf erschallt:»HABEMUS PAPAM!«

Die Luft im Gebäude ist abgestanden, es riecht nach dem sau-ren Schweiß von alten Leibern. Der August ist drückend heißin Rom, ein Monat hoher Sterblichkeit. Seit fünf Tagen sind drei-undzwanzig Männer in der großen Kapelle des Vatikanpalastseingesperrt, allesamt mächtige, reiche Herren, die es gewöhntsind, von silbernen Tellern zu essen und jederzeit über ein Dut-zend Diener zu verfügen. Und nun müssen sie sich mit einemeinzigen Kammerdiener begnügen, müssen ohne Schreiber undSekretäre auskommen und ohne Köche, die Speisen für großeBankette zubereiten, müssen vorliebnehmen mit einfachen Mahl-zeiten, die durch eine hölzerne Klappe gereicht werden. Tages-licht fällt durch schmale Fenster hoch oben an den Wändenein, bei Nacht flackern zahlreiche Kerzen unter dem gemaltenSternenhimmel des Deckengewölbes, der so weit wie das Fir-mament erscheint. Ständig sind sie in Gesellschaft der ande-ren, außer wenn sie bei den Wahlgängen die Stimmzettel aus-füllen oder in der Latrine, und selbst dort haben sie oft genugkeine Ruhe und müssen, während sie tröpfelnd ihr Wasser rin-nen lassen, noch Verhandlungen führen. Wenn sie schließlichzu müde zum Reden sind oder Zwiesprache mit Gott haltenwollen, können sie sich in ihre Zellen zurückziehen, eilig ge-zimmerte Abteile, die an den Seiten der Kapelle aufgestellt wur-

den und, karg möbliert mit einem Stuhl, einem Tisch und ei-ner Pritsche zum Schlafen, ohne Zweifel daran erinnern sol-len, dass der Weg zur Heiligkeit mit Entbehrungen und Kas-teiungen gepflastert ist.

Heilige sind freilich rar in diesen Zeiten, erst recht im römi-schen Konklave.

Die Türen wurden am Morgen des 6. August verriegelt. ZehnTage zuvor hatte Papst Innozenz VIII. nach jahrelangem Siech-tum endgültig die Kraft verlassen, sich noch weiter ans Lebenzu klammern. In ihren Gemächern im Vatikanpalast hatten seinSohn und seine Tochter geduldig darauf gewartet, an sein Ster-bebett gerufen zu werden, aber er war umgeben von streiten-den Kardinälen und Ärzten gestorben. Sein Körper war nochwarm, als die Nachricht von seinem Tod sich wie Kloakendüns-te in der Stadt ausbreitete. Die Meute der Gesandten fremderHöfe und Diplomaten sogen sie begierig ein und schicktendann Kuriere aus, die ihre je eigenen Versionen der Geschichtein die Welt hinaustrugen: Dass der Leichnam Seiner Heiligkeitganz verschrumpelt war, obwohl man dem Patienten vorhernoch auf den Rat seines jüdischen Leibarztes hin Blut von rö-mischen Straßenjungen eingeflößt hatte; dass die blutleerenKörper jener Knaben nun als Fischfutter im Tiber schwammen,während der Jude aus der Stadt geflohen war; dass der Günst-ling des Papstes, der cholerische Kardinal della Rovere, undder Vizekanzler Kardinal Rodrigo Borgia im Sterbezimmer sodamit beschäftigt waren, einander anzugiften, dass es keinerbemerkte, als der Heilige Vater zu atmen aufgehört hatte. Dererbitterte Krieg zwischen den beiden dauert schon seit Jahrenan – wahrscheinlich ist Innozenz gestorben, um endlich Ruhevor ihnen zu haben.

Natürlich muss jeder selbst entscheiden, was von all demKlatsch er glauben will, und je nach persönlichem Geschmackmögen die Herrscher nun einmal die Nachrichten, die ihre Ge-sandten schicken, ebenso wie das Fleisch, das auf ihre Tafel

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kommt, mehr oder weniger scharf gepfeffert. Dass die Kardi-näle scharfe Krallen haben, wird kaum einer bezweifeln, dieGeschichte mit dem Blut dagegen wird da und dort auf Skep-sis stoßen, zumal allgemein bekannt ist, dass Seine Heiligkeitwochenlang nichts anderes zu sich genommen hatte als Milchvon einer Amme, die in einem Vorzimmer in ständiger Bereit-schaft stand und pro Tasse bezahlt wurde. Von Muttermilchberauscht ins Paradies – was für ein Abgang!

Was das anschließende Konklave betrifft, so ist die einzig si-chere Prognose die, dass sein Ausgang ungewiss ist und dassbei der Wahl von Gottes nächstem Stellvertreter auf Erden Be-stechung und Mauschelei eine mindestens ebenso große Rollespielen werden wie fromme Erwägungen über die Eignung derKandidaten.

Am Abend des dritten Tages, als sich die erschöpften Kardinä-le in ihre Zellen zurückziehen, sitzt Rodrigo Borgia, Vizekanz-ler des Papstes und Kardinal von Valencia, mitten in der Kapel-le undgenießtdenBlick,der sich ihmbietet.Überdenprächtigen,täuschend echt gemalten Wandteppichen (es ist schon vorge-kommen, dass neue Kardinäle versuchten, sie beiseitezuziehen)ist eine Szene aus dem Leben des Moses zu sehen: Jethros Töch-ter, junge, frische Gestalten mit schwungvoll gewellten Haarenund wallenden Gewändern, stechen sogar in dem dämmrigenKerzenlicht hervor. Es gibt sechzehn solcher Fresken mit Moti-ven aus der Mosesgeschichte und aus dem Neuen Testament,und die Kardinäle, die genügend Einfluss besitzen, achten beider Wahl ihrer Zelle darauf, unter welcher Stelle des Bilder-zyklus sie gelegen ist. So hat Kardinal della Rovere, um gleichvon Anfang an deutlich zu machen, wonach er strebt, sich un-ter dem Bild Christi, der Petrus die Schlüssel der Kirche über-reicht, eingerichtet, während sein wichtigster Rivale, AscanioSforza, sich mit dem Moses begnügen muss, der die Gesetzes-tafeln trägt (obwohl man meinen könnte, dass ein Kardinal, der

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den Herrscher über das kriegerische Mailand zum Bruder hat,gewiss noch andere Mächte auf seiner Seite weiß als nur dieder Zehn Gebote).

In der Öffentlichkeit hat sich Rodrigo Borgia immer eherbescheiden gegeben. Fünf Pontifikate hindurch hat er das Amtdes Vizekanzlers bekleidet – schon das ein diplomatisches Meis-terstück – und ist, zumal er eine Vielzahl reicher Pfründen be-sitzt, zu einem der mächtigsten und reichsten Kirchenfürstenin Rom geworden. Aber seine spanische Herkunft war ihm im-mer hinderlich, und so blieb ihm der Aufstieg zur allerhöchs-ten Würde verwehrt. Bis jetzt, möglicherweise: Nachdem zweiWahlgänge stattgefunden haben, liegen die beiden wichtigs-ten Bewerber gleichauf und blockieren einander gegenseitig,wodurch sein eigenes bescheidenes Potenzial an Wählerstim-men bedeutend an Wert gewonnen hat.

Er murmelt ein Gebet an die Gottesmutter, setzt seinen Kar-dinalshut auf und geht auf dem marmornen Korridor in derMitte der Kapelle zu einer der Zellen.

Darin sitzt, etwas ermattet von der Hitze und den kompli-zierten Beratungen, ein junger Mann mit einem Bacchusbäuch-lein und einem teigigen Gesicht. Der erst sechzehnjährige Gio-vanni de’ Medici ist der jüngste Kardinal, der je ins SacrumCollegium berufen wurde, und muss erst noch entscheiden, wemer seine Loyalität schenkt.

»Exzellenz!« Der Junge springt auf. Ein Mensch kann sichnur eine begrenzte Zeit lang mit Problemen der Kirchenpoli-tik herumschlagen, und so waren seine Gedanken abgeirrt zuden sahneweißen Brüsten eines Mädchens, das während sei-nes Studiums in Pisa bisweilen das Bett mit ihm geteilt hat.Sie hatte etwas an sich gehabt – war es ihr Lachen, der Duft ih-rer Haut? –, das ihn noch jetzt tröstet und aufmuntert, und da-rum schmiegt er sich in Gedanken gerne an sie. »Entschuldigt,ich habe Euch nicht gehört.«

»Im Gegenteil, ich muss Euch um Verzeihung bitten, weil ichEuch im Gebet gestört habe.«

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