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Ein Reisebegleiter von Roman Rohde insel taschenbuch Havanna

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Ein Reisebegleiter von Roman Rohdeinsel taschenbuch

Havanna

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»Die Straßen in Havanna«, schrieb Alejo Carpentier, »bieten ein fortw�hren-des Schauspiel: Theater, Karikatur, Drama, Komçdie oder was auch immer.«Pablo Neruda, Max Frisch und Graham Greene ließen sich hier inspirieren,Ernest Hemingway erkor Havanna sogar zu seinem st�ndigen Wohnsitz. Inden pr�chtigen Hotels logierten Jean-Paul Sartre, Josephine Baker oder MarlonBrando, im Gran Teatro wurde Enrico Caruso fast das Opfer eines Attentats. DieStadt wurde von Jos� Lezama Lima in Paradiso verherrlicht, Leonardo Paduradiente sie als Kulisse f�r seine Kriminalromane. Den Soundtrack zum Straßen-geschehen liefern bis heute Rumba und Son cubano, die der Buena Vista SocialClub zu erneuter Bl�te trieb. Neun Spazierg�nge auf den Spuren bedeutenderPersçnlichkeiten f�hren den Leser zu den verborgenen, magischen Orten der»Perle der Karibik«.

Roman Rhode, 1962 geboren, Dr. phil., studierte Soziologie und Hispanistikin Berlin und Madrid. Er arbeitet als freier Journalist und Autor. Kuba, einerseiner Themenschwerpunkte, ist ihm seit 1985 vertraut.

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An dieser Straßenecke stand der verruchte Teatro Shanghai, den GrahamGreene erstmals 1954 besuchte: »Havanna ist eine faszinierende Stadt,sicher die verdorbenste, in der ich je gewesen bin.«

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HavannaEin Reisebegleiter

Von Roman Rhode

Mit farbigen Fotografien

von Julia Alice Treptow

Insel Verlag

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Umschlagfoto: mauritius images/imagebroker/Karl F. SchçfmarKarten: � Peter Palm

insel taschenbuch 3608OriginalausgabeErste Auflage 2010� Insel Verlag Berlin 2010Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung, des çffentlichenVortrags sowie der �bertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelnerTeile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikro-film oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages repro-duziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielf�l-tigt oder verbreitet werden.Umschlag: Elke DçrrSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, SinzheimPrinted in GermanyISBN 978-3-458-35308-9

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Inhalt

»Havanna wird immer Havanna bleiben« 9Einleitung

»Anfangs sah ich mit Groll zur Stadt hin�ber« 19Erster Spaziergang: Auf den Festungen El Morround La CabaÇa

»Nach Ton rochen die nassen Ziegeld�cher« 33Zweiter Spaziergang: Habana Vieja zwischen Hafen,Kolonialpal�sten und Kathedrale

»Sie erstreben den Einsturz mit allen Mitteln« 61Dritter Spaziergang: H�ndlergassen, Konvente,Barbacoas: Habana Vieja zwischen Verfall undSanierung

»Alles spaziert, alles lacht« 83Vierter Spaziergang: B�hnen und Kulissen:�ber den Paseo del Prado bis zum Malec�n

». . . und noch ein paar doppelte Daiquir�s . . .« 111F�nfter Spaziergang: Vom Floridita zum HotelAmbos Mundos: Mit Ernest Hemingway durchdie Calle Obispo

»Ein Atomraketensilo voll afrikanischer Geister« 127Sechster Spaziergang: Mystik in Centro Habana:Santer�a, chinesisches Viertel und Paradiso

». . . und Havanna war reines Licht« 147Siebter Spaziergang: Von der Rumba zur Rampa:In den pulsierenden Stadtteil Vedado

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»Schulmeister der Revolutionen« 167Achter Spaziergang: Durch den gr�nen StadtteilVedado: Vom Malec�n bis zur Plaza de la Revoluci�n

»Das Leben und der Tod spielten sich woanders ab« 193Neunter Spaziergang: Zu Besuch bei Ernest Heming-way auf der Finca Vig�a

Kulturadressen 205Bars 206Bibliographie 207

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»Havanna wird immer Havanna bleiben«

Einleitung

Havanna, Havana, La Habana – ob nun auf deutsch, eng-lisch oder spanisch ausgesprochen, der Name ist klangvoll.Die Stadt selbst wirkt wie eine Kulisse zu Gershwins aufge-w�hlter Kubanischer Ouvert�re: Im Hafen tçnen die Ne-belhçrner der Schiffe wie klagende Posaunen, durch dieGassen der Altstadt hallt der melodiçse Ruf der Erdnußver-k�ufer, und der aufbrausende Atlantik im Winter schl�gtwie ein kr�ftiger Tusch an die Mauern der Uferstraße.»Alle Elemente der Vollkommenheit existieren in Havannanebeneinander«, lobt Alejo Carpentier seine Stadt: »eineUferpromenade, die nur mit denen von Nizza und Rio deJaneiro vergleichbar ist, ein Klima, das Blumen zu allen Jah-reszeiten bl�hen l�ßt, ein Himmel, der die Straßenpflasternicht mit grauem Schmutz �berzieht, eine geographischeLage, die am Ende jeder Straße mit Meer,Wolken oder Son-ne aufwartet.« Doch Carpentier f�gt hinzu: »Havanna istdie Stadt des Unfertigen, des Mangelhaften, des Asymme-trischen, des Verwahrlosten.« Genau in diesem Gegensatz�bt sie ihren Zauber aus, auf Einwohner und Besucher glei-chermaßen.San Crist�bal de La Habana, 1519 an einer gesch�tztenBucht gegr�ndet, stieg rasch zum St�tzpunkt der spani-schen Handels- und Kriegsflotten auf, wurde 1607 Haupt-stadt Kubas und galt fortan als »Schl�ssel zur Neuen Welt«.Der Hafen war Umschlagplatz f�r die Reicht�mer des spa-nischen Kolonialreichs, die von hier aus ins Mutterlandverschifft wurden. Auf diese hatten es rivalisierende Han-delsm�chte im Verbund mit Piraten abgesehen, Havanna

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wappnete sich dagegen mit dem grçßten FestungssystemAmerikas.Neben der Kaufmannschaft bildete sich im 18. Jahrhun-dert eine Zuckeraristokratie heraus, in Havanna entstan-den pr�chtige Pal�ste und Kirchen. Alexander von Hum-boldt,der die Stadt 1800 und 1804 besuchte, fiel die »solideBauweise« der »großen Geb�ude« ins Auge, er bewunderte»schçne Promenaden« und »das Theater, 1803 mit sehrviel Geschmack von dem italienischen K�nstler Perouaniinnen ausgestaltet«. Er sah allerdings auch »eine andereEinrichtung, deren Anblick einen zugleich traurig stimmtund aufbringt: die Baracken, vor denen die ungl�cklichenSklaven zum Verkauf angeboten werden«.Mitte des 19. Jahrhunderts war Kuba der weltweit bedeu-tendste Zuckerproduzent. Doch erst nach dem Ersten Welt-krieg setzte der legend�re »Tanz der Millionen« ein: �ber-hçhte Weltmarktpreise brachten auf der Insel »ein neuesZeitalter und eine neue Welt zur Entfaltung«,wie der çster-reichische Schriftsteller Rudolf Brunngraber schreibt. SeinRoman Zucker aus Cuba (1941) gibt einen vorz�glichenEinblick in jene Zeit: »Man lebte das aufstampfende, ra-sende, woll�stige, trunken johlende Dasein, das Dasein inHochschw�ngen, Lastern und Paraden, in Abenteuern undOrgien, man lebte im Schlaraffenland, und das Schlaraffen-land hieß Cuba.« In den zwanziger Jahren gehçrte Havannazur st�dtebaulichen Avantgarde Lateinamerikas, sein mo-numentales Erscheinungsbild wurde allenfalls von BuenosAires oder Rio de Janeiro �bertroffen. Die Stadt lag nunauch auf der Reiseroute illustrer K�nstler: Im Gran TeatroNacional gab Enrico Caruso 1920 mehrere Konzerte, diechilenische Lyrikerin – und sp�tere Nobelpreistr�gerin – Ga-briela Mistral wurde 1922 im pompçsen Hotel Inglaterrageehrt, sogar Wladimir Majakowski kam 1925 auf Stippvi-site. »Eine geleckt-saubere Stadt, eine der reichsten St�dte

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der Welt«, notierte der Futurist, doch die Risse hinter derglanzvollen Fassade blieben ihm nicht verborgen: »DemWeißen die Dollars, dem Schwarzen der Stock«, heißt esin seinem Gedicht Black and White.Der soziale Gegensatz von Schwarz und Weiß war dieFolge einer massenhaften Einfuhr afrikanischer Sklaven,auf deren Einsatz die Zuckerproduktion bis 1886 beruhte.Daraus resultierte auch eine Vermischung der Kulturen.In ihr sah der Gelehrte Fernando Ortiz schon fr�h einenBaustein nationaler Identit�t, Nicol�s Guill�n trug ihr 1931in seinen »Mulattischen Gedichten« Rechnung. Doch st�r-ker noch als in der Literatur hat sie sich in afrokubanischenMischreligionen wie der Santer�a und in der Musik ge-�ußert. Rhythmen wie Rumba und Son cubano klingen be-reits in Gershwins Kubanischer Ouvert�re von 1932 an,von ihnen ließ sich auch der spanische Dichter FedericoGarc�a Lorca in seinem Gedicht Negersong in Kuba inspi-rieren.Lorca hielt sich im Fr�hjahr 1930 in Havanna auf, von derStadt war er begeistert; im Dezember folgte ihm AlbertEinstein. Zwei Jahre sp�ter kam – erstmals – Ernest Heming-way, der sich ab 1939 dauerhaft in Havanna niederließ; dieMedaille seines Nobelpreises f�r Der alte Mann und dasMeer sollte er der Schutzpatronin Kubas stiften.In den fr�hen dreißiger Jahren bekam Havanna endg�ltigdas Gesicht einer modernen, weltl�ufigen Metropole. Daßdiese Modernisierung ausgerechnet unter Diktator GerardoMachado (1925-1933) vonstatten ging, der im Ruf stand,seine Gegner den Haien zum Fraß vorzuwerfen, ist typischf�r die Geschichte Kubas: Technischer Fortschritt, wirt-schaftliche Prosperit�t und architektonische Spitzenleistun-gen brachten der Insel weder Demokratie, noch waren sief�r die Mehrheit der Bevçlkerung mit Wohlstand verkn�pft.Deshalb wurde die Hauptstadt immer wieder Schauplatz

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von Revolten und Revolutionen. So sind die Aufst�nde ge-gen Machado in die epochalen Romane Le Sacre du prin-temps von Alejo Carpentier und Paradiso von Jos� LezamaLima eingeflossen; sie bilden auch den Hintergrund vonErnest Hemingways Roman Haben und Nichthaben. He-mingway selbst schien der st�ndigen Kleinkriege jedochbald �berdr�ssig zu sein, sein Held Harry Morgan murrt:»Einer betr�gt und verr�t den anderen. Einer verkauft undbeschubst den anderen. Die haben, was sie verdienen. ZumTeufel mit ihren Revolutionen.«Dennoch entwickelte sich Havanna zu einem mond�nen,vibrierenden Ort. Mit seiner Silhouette aus Art-d�co-Bau-ten und Wolkenkratzern an der Uferpromenade,dem Soundvon Mambo und Cha-Cha-Cha, Cabarets wie dem Tropi-cana, Konzerth�usern, in denen Erich Kleiber, Igor Stra-winsky oder Herbert von Karajan dirigierten, aber auchmit seinen literarischen Caf�s, Zirkeln und Zeitschriftenkonnte sich Havanna ab den vierziger Jahren als Kulturme-tropolevon Weltrangbehaupten.»Havannawar keine Stadt,sondern die Luftspiegelung einer Stadt, ein Trugbild«,schw�rmt Guillermo Cabrera Infante in seinem Großstadt-roman Drei traurige Tiger, in dem der Autor vier Intellek-tuelle durchs Nachtleben der f�nfziger Jahre streifen l�ßt:»Es war ein Panorama, wirkliches Cinemascope, das Ci-nerama des Lebens.« Von dieser Vitalit�t war auch MaxFrisch angetan, der 1956 zu Besuch kam. »Ich sitze und rau-che eine Zigarre, Gewitterwolken �ber der weißen Stadt:schwarz-violett, dazu der letzte Sonnenschein �ber denHochh�usern«, schreibt er in Homo faber; f�r den Roman-helden ein einschneidendes Erlebnis: Er mischt sich untersVolk, bestaunt »lauter schçne Menschen« und schçpft –wenn auch zu sp�t – Lebenskraft. Graham Greenes Haupt-figur in Unser Mann in Havanna (1958) ist von der Stadtnicht minder ergriffen: »In Havanna zu leben war wie das

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Leben in einer Fabrik, die menschliche Schçnheit auf demFließband produzierte.«Doch die tropische Schçnheit lockte nicht nur europ�ischeBelesprits an. Havanna geriet zum Am�sierplatz f�r Nord-amerikaner, die sich scharenweise in den Bordellen derStadt verlustierten und in die Spielcasinos der Mafia strçm-ten. General Fulgencio Batista, seit 1952 durch einen Putschan der Macht, stand im Dienst des Mafioso Meyer Lansky,der Havanna in ein karibisches Las Vegas verwandelte. Diekubanische Wirtschaft, das Bankwesen, die Elektrizit�ts-versorgung und die Telefongesellschaften wurden von US-Unternehmen beherrscht, außerdem besaßen diese �ber dieH�lfte aller Zuckerrohrl�ndereien. Kuba selbst diente un-ter Batista lediglich als Rohstofflieferant und Importab-nehmer. »Was ich f�r ein Zeichen des Reichtums ansah,waren in Wirklichkeit die Zeichen der Abh�ngigkeit und

Straßencaf� unter den Kolonnaden der Avenida Sim�n Bol�var (Reina).

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der Armut«, schrieb Jean-Paul Sartre nach seinem Havan-na-Aufenthalt 1960. »Bei jedem Klingeln des Telephons,bei jedem Flackern des Neonlichts verließ ein kleines Dol-larst�ck die Insel und bildete auf dem amerikanischen Kon-tinent mit den anderen St�cken, die es dort erwarteten,einen ganzen Dollar.«Der Sieg der Revolution am 1. Januar 1959 versprach diehistorische Wende: Fidel Castro hatte nicht nur Batistas ge-waltt�tiges und korruptes Regime niedergeworfen, auchdie Abh�ngigkeit von den USA, in der sich Kuba seit Endedes Unabh�ngigkeitskriegs gegen die spanische Kolonial-macht (1895-1898) befand, wollte er �berwinden.Zun�chst wurden Castro und seine b�rtigen Guerilleros alsHoffnungstr�ger gefeiert, es herrschte die Aufbruchstim-mung einer neuen Moral. Schriftsteller aus aller Welt rei-sten nach Havanna, um die Revolution aus der N�he zubetrachten, darunter Pablo Neruda, Jean-Paul Sartre undSimone de Beauvoir. Letztere beobachtete 1960 »wenigerFrçhlichkeit, weniger Freiheit«, doch »in gewissen Punk-ten große Fortschritte«. Nur die Aussagen f�hrender ku-banischer Intellektueller machten ihr Sorge: »Sie verlang-ten, daß man sich den Regeln des sozialistischen Realismusf�ge.«In den folgenden Jahren nahmen Zensur und staatlicheG�ngelung zu. Zahlreiche Kulturschaffende, nicht wenigevon ihnen ehemalige Castro-Getreue, gingen ins Exil. Dersowjetische Weg, den die Revolution im Spannungsfeld derSuperm�chte einschlug, f�hrte Kuba in eine neue Abh�n-gigkeit. In Havanna bestimmten zwar noch die amerikani-schen Limousinen das Straßenbild, zunehmend aber auchLadas und Warteschlangen vor leeren Gesch�ften. In denAußenbezirken entstanden Hochh�user im sowjetischenFertigteilsystem. F�r die schreibende Zunft brachen beson-ders schwere Zeiten an,die Literatur hatte politischen Richt-

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linien zu gehorchen. Der linke Chilene Jorge Edwards er-lebte die »außen s�ße, aber innen bittere Insel« als einenPolizeistaat, Schauprozesse, in denen Schriftsteller çffent-lich »Selbstkritik« �ben mußten, waren in den siebzigerJahren keine Seltenheit. Guillermo Cabrera Infante, litera-rische Leitfigur des Exils, erhob indessen das vorrevolutio-n�re Havanna zu einem Sehnsuchtsort, das er in Drei trau-rige Tiger und zwei weiteren Romanen ebenso glanzvollwie besessen wiederauferstehen l�ßt. Darin folgte ihm sp�-ter Zo� Vald�s: Havanna verkl�rt sie in Dir gehçrt meinLeben zu einer Art Jerusalem, das f�r die kubanische Dia-spora richtungsweisend sein soll: »Es mag zwar in sich zu-sammenfallen, mag an Entt�uschung sterben, aber Havan-na wird immer Havanna bleiben.«Auf der Insel konterte Luis Manuel Garc�a mit Habanecer –einer literarischen Tour de Force in der Tradition von Joyceund Dos Passos, die den Leser an einem Augusttag 1987 invierundzwanzig Stunden durch ganz Havanna f�hrt. DieGegenwart war verlockender geworden, die »graue Peri-ode« stalinistischer Kulturpolitik vor�ber. Doch nach demZerfall der Sowjetunion, die Kuba mit ihrer Wirtschafts-hilfe ein �ppiges Dasein beschert hatte, rief die Regierungeine »Sonderperiode« aus: Die einheimische Produktionwurde auf ein Minimum gedrosselt, die Bevçlkerung sahsich durch einschneidende G�ter- und Lebensmittelratio-nierungen plçtzlich bis an den Rand der Armut gedr�ngt.»Anfang der neunziger Jahre war Havanna eine tote Stadt«,schreibt Antonio Jos� Ponte in Der Ruinenw�chter vonHavanna. Vor allem das historische Zentrum drohte end-g�ltig zu verfallen. »Fr�her hatte die Altstadt von La Ha-bana wie ein Gem�lde von Edward Hopper ausgesehen«,heißt es in Hans Christoph Buchs Tod in Habana, »jetzterinnerte ihn die zerfallende Bausubstanz an die Kulisseeines Tarkowski-Films.«Vor dieser Szenerie ist zugleich eine

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neue, durch die »Sonderperiode« gepr�gte Literatur ent-standen, die sich strikter Politisierung verweigert: PedroJuan Guti�rrez liefert in seinen schonungslosen Romanendie Topographie eines »schmutzigen Havanna«, Ponte istder Chronist einer »Barackisierung«,und Leonardo Padural�ßt den Helden seiner Krimis entt�uscht zwischen »tod-m�den Fassaden« und sozialen Konflikten durch die Stadtstreifen.Seinen Zauber hat Havanna auch in Krisenzeiten nicht ver-loren. »Zwar verf�llt sie St�ck f�r St�ck, diese verdammteStadt, in der ich so sehr geliebt und gehasst habe, abertrotzdem ist sie herrlich«, gibt Guti�rrez unumwunden zu.Und die Mehrheit der Touristen, die seit Ende der neun-ziger Jahre wieder in die Stadt kommen, ist vom morbidenCharme der alten Gem�uer geradezu hingerissen. Dazu hatnicht zuletzt Wim Wenders’ Kinoerfolg Buena Vista SocialClub beigetragen. Sein Film versçhnt die brçckelnde Ge-genwart des Tropensozialismus mit der glamourçsen Zeitvor der Revolution. Daß es das gleichnamige betagte Or-chester vorher nie gegeben hat, zeigt wiederum, wie sehrHavanna noch immer f�r Phantasiebildungen taugt. Com-pay Segundo, der alte Barde des Buena Vista Social Club,pr�gt das ausw�rtige Bild Havannas inzwischen ebensowie die Oldtimer oder Hemingways zum Markenzeichenerhobene Trinkst�tten. Bei der aufwendigen Restaurierungder Altstadt – seit 1982 Weltkulturerbe – stellt sich aller-dings die Frage, ob es den Behçrden gelingen wird, eine hi-storische Inszenierung zu vermeiden, die allzusehr auf devi-sentr�chtige Touristen ausgerichtet ist.Havannas wechselvolle Geschichte, seine vielf�ltigen Ge-sichter und Gegens�tze lassen sich in beinahe jedem Win-kel aufsp�ren. Die Spazierg�nge in diesem Reisebegleiterbeschr�nken sich – mit Ausnahme des letzten – auf den Kernder ausgedehnten Zweieinhalbmillionen-Stadt und bauen

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historisch aufeinander auf. Sie f�hren – oft abseits der tou-ristischen Pfade – durch Straßen, �ber Alleen und Pl�tze,deren Bezeichnungen hier im spanischen Original belassenwerden, es ist also jeweils von »Calle«, »Avenida« und»Plaza« die Rede. Auch die Auswahl der – zumeist literari-schen – Persçnlichkeiten, die in der Stadt gelebt, gelitten,sie besucht, beschrieben oder erfunden haben, ist nat�r-lich nicht erschçpfend, sondern exemplarisch. In jedemFall sind ihre Zeugnisse ein gleichermaßen atmosph�rischerwie persçnlicher Wegweiser durch jenes Havanna, das ander kulturellen Schnittstelle zwischen Europa, Afrika undden USA zu den aufregendsten Metropolen der Welt z�hlt.

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Bahía de la Habana

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Plaza de laCatedral

Plazade Armas

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O’ReillyObispo

Av. Carlos Manuel de Céspedes

z1 Castillo del Morro z2 Castillo de San Salvador de la Punta z3 Castillo de la RealFuerza z4 Castillo de San Carlos de La CabaÇa z5 Casa del Che z6 Cristo de LaHabana z7 F�hre Casablanca – Havanna

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»Anfangs sah ich mit Groll zur Stadt hin�ber«

Erster SpaziergangAuf den Festungen El Morro und La CabaÇa

»Der Anblick Havannas ist bei der Ankunft im Hafen einerder reizvollsten und malerischsten, dessen man sich an derWestk�ste von Amerika nçrdlich des quators erfreuenkann.« Alexander von Humboldt, der mit diesen Wortenseinen Essay �ber Kuba beginnt, traf am 19. Dezember1800 in Havanna ein. Hinter ihm lag eine beschwerlicheReise: Sein Schiff, das von Venezuela kam, war in einenschweren Sturm geraten, außerdem hatte es an Bord einenBrand gegeben. Der Naturwissenschaftler und Entdeckerkonnte also aufatmen.hnlich begeistert von der Stadt am Meer zeigte sich AlejoCarpentier, als er 1939, nach elf Jahren Exil in Paris, aufdem Dampfer Rotterdam wieder in seine Geburtsstadt zu-r�ckkehrte: »Havannas Hafeneinfahrt wirkt wie das Werkeines raffinierten B�hnenbildners. Denn dieser Hafen mitseiner schmalen Einfahrt, besch�tzt von Festungsanlagenvon unbestreitbarem dekorativen Wert, gehçrt zu den ganzwenigen, die so weit vordringen bis ins Herz einer Stadt.«Das Wahrzeichen dieser Festungsanlagen beschreibt Gra-ham Greene in seinem Roman Unser Mann in Havanna –allerdings vom Festland aus betrachtet: »Der Castillo delMorro lag wie ein vom Sturm festgehaltener Dampfer aufder anderen Seite des Hafens.« Als Greene im September1954 erstmals nach Havanna kam, stieg er nicht, wie nochdie meisten Besucher vor ihm, von Bord eines Schiffes, son-dern landete auf dem Flughafen.Das gilt auch f�r die Mehrzahl der Reisenden heute. F�r

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einen ersten, eindrucksvollen Rundblick �ber Stadt undHafeneinfahrt empfiehlt sich daher ein Ausflug zu den bei-den Festungsanlagen am Ostufer der Hafeneinfahrt. Einekurze Fahrt mit dem Taxi zur Festung El Morro f�hrt durchden rund siebenhundert Meter langen, im Mai 1958 fertig-gestellten Tunnel unter der Bucht. Den Zuschlag f�r dasseinerzeit ambitionierteste Bauvorhaben Kubas erhielt �bri-gens die Societ� des Grandes Travaux aus Marseille – nach-dem die Franzosen eingewilligt hatten, einen Teil der ver-einbarten Summe von insgesamt f�nfunddreißig MillionenDollar in Zucker ausbezahlt zu bekommen.El Morro erhebt sich auf einem Felsvorsprung, der direktin den Atlantik ragt. »Eine Festung von majest�tischem Aus-maß, best�ckt mit Kanonen, Flaggen und milit�rischen At-tributen, die unter der strahlenden Sonne ein beeindruk-kendes und wahrlich ritterliches Schauspiel bietet.« Als derbritische Marineoffizier Robert Francis Jameson diese be-wundernden Worte 1820 zu Papier brachte, hatte der Ca-stillo de los Tres Santos Reyes del Morro jedoch seine mili-t�rische Vormachtstellung bereits eingeb�ßt.Aber n�hern wir uns den Ereignissen chronologisch. DieFestung wurde ab 1589 unter der Leitung des italienischenMilit�ringenieurs Bautista Antonelli ausgebaut. Der arbei-tete nicht nur auf Kuba, sondern war vom spanischen Kç-nig Philipp II. beauftragt, große Festungsbauten in der Ka-ribik zu entwerfen: in Puerto Rico, Santo Domingo, Florida,Cartagena de Indias, Panama und Portobelo. Havanna aberbildete den Mittelpunkt des spanischen Verteidigungssy-stems: Als »Schl�ssel zur Neuen Welt« war der befestigteHafen St�tzpunkt f�r die karibischen Schutzflotten Spa-niens, da er die schmale Ein- und Ausfahrt des Golfes vonMexiko an der Floridastraße flankiert. Doch vor allembot er den spanischen Handelsflotten Schutz, die sich hierjedes Fr�hjahr sammelten, bevor sie, mit Silber und Gold

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