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Leseprobe Dömling, Wolfgang Prag Ein Reisebegleiter Mit Stadtplänen und farbigen Fotografien © Insel Verlag insel taschenbuch 3413 978-3-458-35113-9 Insel Verlag

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Leseprobe

Dömling, Wolfgang

Prag

Ein Reisebegleiter

Mit Stadtplänen und farbigen Fotografien

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3413

978-3-458-35113-9

Insel Verlag

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Prag – die goldene Stadt an der Moldau. Seit je wurde hier Geschichtegeschrieben. Sei es der Prager Fenstersturz als Auslçser des Dreißig-j�hrigen Krieges oder die bewegende Rede des bundesdeutschen Au-ßenministers Genscher im September 1989, die Tausenden DDR-B�r-gern die Ausreise in die BRD ermçglichte. Doch in den Gassen entlangdes Altst�dter Rings gibt es noch einiges mehr zu entdecken als PragerBurg und Karlsbr�cke. Wolfgang Dçmling f�hrt den Leser auf ausge-w�hlten Spazierg�ngen vorbei an prachtvollen Palais und Kirchen zubeschaulichen und denkw�rdigen Orten, stets auf den Spuren großerAutoren wie Franz Kafka, Bohumil Hrabal, Rainer Maria Rilke undvielen anderen mehr.

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insel taschenbuch 3413Prag

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Blick �ber die Karlsbr�cke zum Hradschin

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PRAGLiterarische Spazierg�nge

Von Wolfgang Dçmling

Mit zahlreichen farbigen Abbildungen

und Stadtpl�nen

Insel Verlag

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Dem Andenken Vladimir Karbusickys

insel taschenbuch 3413Erste Auflage 2011

� Insel Verlag Berlin 2011Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,

des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Textnachweise am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag: Michael HagemannVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Satz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN 978-3-458-35113-9

1 2 3 4 5 6 – 16 15 14 13 12 11

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Hinweise zur Aussprache des Tschechischen . . . . . 14

Erster Spaziergang: Altstadt . . . . . . . . . . . . . . . . 17Zweiter Spaziergang: Altstadt . . . . . . . . . . . . . . . 43Dritter Spaziergang: Judenstadt . . . . . . . . . . . . . . 71Vierter Spaziergang: Kleinseite . . . . . . . . . . . . . . 87F�nfter Spaziergang: Hradschin . . . . . . . . . . . . . 119Sechster Spaziergang: Neustadt . . . . . . . . . . . . . . 141Siebter Spaziergang: Neustadt . . . . . . . . . . . . . . . 163Achter Spaziergang: Vysehrad . . . . . . . . . . . . . . . 175

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

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Altst�dter Ring: Niklaskirche und Hus-Denkmal

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Vorwort

Prag – matka mest, »Mutter der St�dte«: reichlich stolznannte es sich so zur sp�tmittelalterlichen Bl�tezeit unterKaiser Karl IV.

Prag ist eine komplexe Stadt, verwirrend wechsel- undereignisreich sind ihre Schicksale in der Geschichte. VieleJahrhunderte hindurch war ihre Kultur, im Unterschiedzu anderen alten europ�ischen Hauptst�dten, gepr�gtvon ihrer Zweisprachigkeit, die nach dem Zweiten Welt-krieg mit der Vertreibung der deutschen Bevçlkerung er-losch.

Am 28. Oktober 1918, kurz bevor der Erste Weltkriegzu Ende ging, wurde die Gr�ndung der Tschechoslowakeiausgerufen; bis heute ist das der Nationalfeiertag. DieStaatsgr�ndung war ein Triumph nicht nur �ber Habs-burg-�sterreich, auch �ber Ungarn, zu dessen Territoriumdie Slowakei (»Oberungarn« genannt) jahrhundertelanggehçrt hatte. Eine Genugtuung f�r Bçhmen, das innerhalbder Monarchie zugunsten Ungarns benachteiligt wordenwar. Ungarn hatte 1867 den sogenannten »Ausgleich« er-stritten, der auf eine Fast-Gleichberechtigung in der Reichs-regierung hinauslief, die jetzt als »Doppelmonarchie« kon-struiert war. Am Ende des Habsburgerreichs stellte nunBçhmen auf seine Weise einen Ausgleich her. Am 8. No-vember 1918 wurde die Mariens�ule auf dem Prager Alt-st�dter Ring als Symbol der çsterreichisch-katholischenHerrschaft zerstçrt, und so blieb – und bleibt bis heute –der Platz dominiert von dem m�chtigen Hus-Denkmal.Als stolzes Bekenntnis zur bçhmischen Reformation wares 1915 errichtet worden, zum 500-Jahr-Gedenken der Tç-

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tung von Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil. So demon-strierte der Platz jetzt, daß Prag eine tschechische Stadtwar.

Das ist sie in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhundertsin raschem Tempo geworden. Und dazu hatten ja, welchIronie der Geschichte, vor allem die Deutschen und dieseit der Jahrhundertmitte aus dem Ghetto entlassenen Ju-den beigetragen. Ihnen verdankte sich der lebhafte Auf-schwung von Handel und Industrie, Bçhmen wurde diewirtschaftlich f�hrende Region des Habsburgerreichs. Die-ser Aufschwung aber lçste enorme Zuzugsbewegungentschechischer Arbeiter und Handwerker in den GroßraumPrag aus. Vor 1850 betrug der Anteil der Deutschen nochzwei Drittel in der Stadtbevçlkerung; um 1900 lag ihr An-teil schon unter einem Zehntel; seit 1922 dann waren esnoch weniger. »Groß-Prag« wurde per Gesetz zum 1. Ja-nuar 1922 geschaffen, bestehend aus den alten f�nf Prager»St�dten«, den f�nf Vororten und nunmehr zahlreichenweiteren ehemaligen Stadt- und Dorfgemeinden – eine Me-tropole von etwa 700 000 Einwohnern, die sechstgrçßteStadt Europas.

Die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts wurden zumentscheidenden Jahrzehnt der tschechischen »Wiederge-burt«. Das sogenannte Wiener Oktober-Diplom von 1860,eine Folge der milit�rischen Niederlagen des Vorjahres,brachte eine Lockerung des absolutistischen Regimes. InBçhmen �berst�rzten sich daraufhin die Aktivit�ten. 1861verloren die Deutschen erstmals die Mehrheit im PragerStadtparlament. Im selben Jahr wurde der tschechischeGesangsverein Hlahol (»Klang«) gegr�ndet, und BedrichSmetana kehrte von Gçteborg wieder heim nach Prag undbegann seinen Aufstieg als tschechischer Nationalkompo-

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nist. 1862 wurde der tschechische Turnerbund Sokol (»Fal-ke«) gegr�ndet – eine demokratisch-freiheitliche Organisa-tion, die die �sterreicher verboten (wie sp�ter die deutschenOkkupanten und dann die Kommunisten). Gleichfalls 1862konnte das erste tschechische Theater erçffnet werden,und im Jahr darauf wurde die f�r alle tschechischen K�nst-leraktivit�ten in Prag wichtige Umeleck� beseda (»Kunst-verein«) ins Leben gerufen. (Sie bestand bis 1973.) 1880wurde in Bçhmen die Doppelsprachigkeit der Justiz an-geordnet, und neue Wahlmodalit�ten f�hrten eine tsche-chische Landesmehrheit herbei, die dann 1907 durch dasallgemeine Wahlrecht noch verst�rkt wurde. Die altehr-w�rdige Prager Universit�t teilte sich 1882 in eine deut-sche und eine tschechische. 1891 entfernte man in Prag diemeisten deutschen Straßenschilder. Seit Ende des 19. Jahr-hunderts waren vor allem in Prag Streitigkeiten und t�t-liche Auseinandersetzungen – nicht zuletzt unter Studen-ten – zwischen Tschechen auf der einen, Deutschen undJuden auf der anderen Seite an der Tagesordnung.

Das spannungsgeladene Zusammenleben der Tschechen,Deutschen und Juden in Prag war offenbar schwieriger alsbei vergleichbaren Situationen etwa in Rustschuk/Ruse,der Geburtsstadt Elias Canettis, oder in Czernowitz. Hier-zu gibt es reichlich Zeugnisse. Egon Kisch etwa schreibt inseinen Lebenserinnerungen: »Mit der halben MillionTschechen der Stadt pflog der Deutsche keinen außerge-sch�ftlichen Verkehr. Niemals z�ndete er sich mit einemStreichholz des Tschechischen Schulengr�ndungs-Vereinsseine Zigarre an, ebensowenig wie ein Tscheche die seinigemit einem Streichholz aus einem Sch�chtelchen des Deut-schen Schulvereins. Kein Deutscher erschien jemals im tsche-chischen B�rgerclub, kein Tscheche im Deutschen Kasino.

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Selbst die Instrumentalkonzerte waren einsprachig, einspra-chig die Schwimmanstalten, die Parks, die Spielpl�tze, diemeisten Restaurants, Kaffeeh�user und Gesch�fte . . .« Diedeutschen und die tschechischen K�nstler und Schriftstel-ler hatten jeweils ihre eigenen Kaffeeh�user – die deut-schen vor allem das Caf� Arco nahe dem Staatsbahnhofund das Caf� Continental am Graben, die tschechischendas Caf� Slavia und die Unionka, beide in der N�he destschechischen Nationaltheaters. Die beiden Literatenkrei-se vermischten sich so gut wie nie, und zweisprachige Ver-mittler waren selten. Rudolf Fuchs, Willy Haas und vorallem der unerm�dliche Max Brod gehçren zu diesen Aus-nahmen.

Als Detlev von Liliencron um die Jahrhundertwende vonPrag als einem »Goldnetz von Gedichten« schw�rmte, h�t-te er damit auch die tschechische Lyrik (wenn er sie �ber-haupt kannte) meinen kçnnen, die sich auf kontinuier-lichen Wegen zu ihren Hçhepunkten befand: Anton�n Hora,Fr�na Sr�mek, Josef Hora, Frantisek Halas, Jir� Wolker,schließlich Vladim�r Holan,V�tezslav Nezval und der No-belpreistr�ger Jaroslav Seifert.

Die Situation der Prager deutschen Literatur hingegenentwickelte sich weniger glanzvoll. Rilke hatte Prag bereits1895 verlassen, einundzwanzigj�hrig; im selben Jugend-alter ging 1912 der als genialisch umschw�rmte Werfel.Gustav Meyer, genannt Meyrink, verließ Prag 1905, wennauch vor allem aus gesch�ftlichen Gr�nden. Ein Jahrzehntsp�ter schrieb er am idyllischen Starnberger See den Go-lem, bis heute ein Kultbuch f�r das sogenannte »magischePrag«. In der Ersten Republik verließen weitere Pragerdeutsche Schriftsteller die Stadt, so Egon Kisch,Willy Haasund andere, weniger ber�hmte. Gr�nde daf�r lagen zum

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einen in antideutschen und antisemitischen Bewegungenvon tschechischen Nationalisten, die trotz Masaryks wei-ser Staatsf�hrung immer wieder f�r Unruhe sorgten. Zumandern war die steigende Attraktivit�t Berlins als deut-sches kulturelles Zentrum nicht mehr zu �bersehen. (SogarKafka siedelte noch im Herbst 1923, ein Dreivierteljahrvor seinem Tod, nach Berlin �ber, mußte freilich nach einpaar Monaten wieder heimkehren.) Nach 1933 fanden be-drohte deutsche und çsterreichische Schriftsteller in Pragf�r wenige Jahre Zuflucht, bis die deutsche Okkupationam 15. M�rz 1939 das Ende der Prager deutschen literari-schen Kultur – die ja ganz �berwiegend eine j�dische Kulturwar – besiegelte. Mit Kriegsschluß und der kommunisti-schen Macht�bernahme 1948 folgte das Ende der Zwei-sprachigkeit �berhaupt. Erst seit dem Fall des Eisernen Vor-hangs, nach vierzig Jahren politischer Blockade, beginntwieder eine gegenseitige Ann�herung. Tschechische Lite-ratur in deutscher �bersetzung stçßt auf immer mehr Inter-esse (allerdings, naturgem�ß, Prosa mehr als Lyrik), undKafkas Werke erscheinen jetzt auf tschechisch.

Der vorliegende »Reisebegleiter« mçchte beim Durch-wandern der Prager Stadt- und Geschichtslandschaft et-was von diesem Reichtum lebendig werden lassen, undvor allem: zum Weiterlesen anregen – wieviel gibt es dazu entdecken! Ich mçchte hier auch insbesondere auf eini-ge neuere Anthologien tschechischer und deutsch-PragerLiteratur hinweisen (Kundera, Sacher, Sudhoff/Schardt)und auf J�rgen Serkes große Sammelbiographie der Pragerund bçhmischen deutschen Schriftsteller.

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Hinweise zur Aussprache des Tschechischen

Die Hauptbetonung liegt unabh�ngig von Wortl�nge undVokalqualit�t stets auf der ersten Silbe.

Vokale: a, e, i = y, o, u sind kurz und offen; �, �, � = y, , uo

(ffl nur als Wortanfang) lang und meist offen (der Strichbzw. beim uo der Kringel ist also ein L�ngungs-, kein Beto-nungszeichen); Diphtonge (z. B. eu, ou) werden immer alshçrbares Nacheinander der zwei Vokale ausgesprochen, ewie dt. j�.

Konsonanten: die meisten �hnlich wie im Deutschen; hwie in Heim (und niemals als Dehnungszeichen), ch wiein ach; v wie dt. w (am Wortende wie f). Besonderheiten:

s stimmloses sz stimmhaftes ss sch stimmlos (Schule)z sch stimmhaft (Garage)c wie dt. zc wie dt. tschd, t, n etwa wie d + j, t + j, n + jr der gef�rchtete tschechische Speziallaut: gerolltes r

und z etwa gleichzeitig.Die Konsonanten l und r kçnnen auch die Rolle von Vo-

kalen einnehmen, also Silben- und Akzenttr�ger sein: z. B.Vltava (Betonung auf l) = Moldau, zmrzlina (Betonungauf r) = Speiseeis.

Achtung: ck sind im Tschechischen zwei Laute (c + k),ebenso sch (s + ch).

Das Zusatzzeichen ˇ heißt auf tschechisch hacek, die Di-minutivform von h�k (Haken), ein H�kchen also, und sosieht es ja auch aus.

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Da in der tschechischen Schreibweise fast durchweg je-der Laut durch lediglich einen Buchstaben bezeichnet wird,hat sie sich als die geeignetste Latinica-Transliterations-schrift f�r die kyrillisch-slawischen Sprachen, vor allemf�r das Russische, eingeb�rgert.

Endlich noch eine tschechische Spezialit�t: die obligato-rische weibliche Form von Familiennamen. Was nicht auf-ov� endet oder wenigstens auf -� (dies vor allem bei Na-men, die eigentlich Adjektive sind, wie etwa Vesely = Frçh-lich, die weibliche Form lautet also Vesel�), kann nie undnimmer der Name einer Frau sein. Auch bei nicht-tschechi-schen Namen gibts da kein Pardon: Olga Scheinpflugov�,Anna Kareninov�, Joan Sutherlandov�, Brigitte Bardotov�. . . (und immer die erste Silbe betonen!). Man mag sichnoch damit abfinden, daß jemand Smetana (»Sahne«) heißt;etwas schwerer begreiflich f�r uns sind Namen wie Opra-vil (»Er hat repariert«), Vyslouzil (»Er hat ausgedient«)oder Klestil (»Er hat beschnitten«) und gar erst Nejedly(»Der Uneßbare«), nicht unpassend freilich f�r einen dikta-torischen Parteifunktion�r, wie Zdenek Nejedly einer war.

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Dlouhá

28 íjna

Na píko

p (A

m Graben)

Vze ská

Kaprova

Havels

Michalská

Perlová

Na mstku

Rytísk

åPa

ížská

Dušní

Masná

Provaz

nická

Panská

Celetná

Masná

Dlou

Štupartská

Rybná

Krá

lodvo

rská

Sko epkaHusova

U radnice

Maiselova

Železná

Kožn

á

Karlova

et zová

Betlémská

Starom stskénám.

Široká

Jielská

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Erster Spaziergang:Altstadt

Staromestsk� n�mest� [Altst�dter Ring] – Celetn� [Zeltnergasse] –

Ovocny trh [Obstmarkt] – Zelezn� [Eisengasse] – Kamz�kova [Gem-

seng�ßchen] – Uhelny trh [Kohlenmarkt] – Husova – Melantrichova –

Kozn� [Lederg�ßchen] – Staromestsk� n�mest�

Das Zentrum der Prager B�rgerstadt, der Altst�dter Ring[Staromestsk� n�mest�],war immer wieder Schauplatz gro-ßer politischer Aktionen. Greifen wir nur drei markanteDaten heraus: im Juni 1621, ein gutes halbes Jahr nachdem Sieg der Habsburger und der katholischen Liga inder Schlacht am Weißen Berg, wurden 27 widerst�ndigeBçhmen vor dem Rathaus hingerichtet; im »siegreichenFebruar« 1948 hielt Klement Gottwald, Parteif�hrer unddann Staatspr�sident, seine sogenannte »historische« Redezum Putsch der Kommunisten; von derselben Stelle – demBalkon des Kinsky-Palais – rief V�clav Havel im Februar1990 die Nation zur demokratischen Erneuerung auf.

Auf diesem Platz sind die Spuren der großen Geschichtedeutlich zu sp�ren. Die empfindlich stçrende L�cke zwi-schen Rathaus und Niklaskirche markiert den Verlust desgroßen Rathaus-Ostfl�gels, den die Deutschen noch am8. Mai 1945 zusammenschossen – einen Tag vor dem Ein-marsch der Roten Armee. Das ausladende Hus-Denkmal,von dem Rodin-Sch�ler Ladislav Saloun 1915 geschaffenzum F�nfhundertjahr-Gedenken der Tçtung von Jan Husauf dem Konstanzer Konzil, war nat�rlich ein Politikum –selbstbewußtes Zeichen, daß Prag nun endg�ltig eine tsche-chische Stadt geworden war, und auch eine Opposition des

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tschechischen Reformators gegen das katholische Habs-burg. Opposition auch wçrtlich: schr�g gegen�ber auf demPlatz stand seit 1650 eine Mariens�ule, und dieses Symbolder katholischen Unterdr�ckung ist dann zum Kriegsende,am 8. November 1918,von einer aufgebrachten Volksmengein St�cke gehackt worden. Mit etwas Gl�ck findet man aufdem jetzigen permanenten Touristenjahrmarkt die Stelle.Seit 1995 verk�ndet eine im Pflaster eingelassene Bronze-plakette mehrsprachig, daß hier die Mariens�ule stand undwieder stehen werde. Geblieben jedenfalls ist Marias Herr-schaft in der Teynkirche (katholisch nat�rlich, seinerzeitaber die Prager Hauptkirche der Hussiten): die vom Mittel-giebel der Fassade goldleuchtende Muttergottes im Strah-lenkranz haben die Sieger von 1620 umgeschmolzen auseiner Statue des Jir� von Podebrady – des letzten genuin bçh-mischen Kçnigs, 1458 im Prager Rathaus gew�hlt – undeinem großen goldenen Kelch, dem hussitischen Symbol.

Aus Podebrady – etwa f�nfzig Kilometer çstlich vonPrag – stammte Rudolf Fuchs, Sohn einer j�disch-tschechi-schen Familie. Er war einer der wenigen Prager Schrift-steller, die sich aktiv, durch �bersetzungen insbesondere,um Vermittlung zwischen tschechischer und deutscher Li-teratur verdient gemacht haben. (Max Brod, Willy Haas,Johannes Urzidil sind in diesem Zusammenhang noch zunennen. Fuchs schrieb selbst �berwiegend auf deutsch.)Ein Jahr vor seinem Tod – in der kriegsverdunkelten Stadt�berfuhr ihn ein Autobus – verfaßte Fuchs 1941 im Londo-ner Exil ein großes symbolisches Gedicht. Er verkn�pftden Figurenzug der Prager Aposteluhr – der astronomi-schen Uhr an der S�dseite des Rathauses – mit dem Lebens-lauf, auch seinem eigenen. Das Gedicht schließt mit Melan-cholie und Trauer des Heimatlosen:

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Der zwçlfte – bin ich selbst? Erregten Sinnsbetracht ich mich und staun, allein ich bin’s.So wie ein Maler aus der alten Zeitim Haufen oft sich selber konterfeit,ist’s mir geschehn. So steh ich eben dortund �berblick vom Fenster aus den Ortund find mich unten in der Menge stehn,den Hals gereckt, um besser mich zu sehn,wie ich als letzter meine Reihe f�hr.Die Stunde wechselt, andre stehn dann hier.Jetzt kr�ht der Hahn. Das Fenster ist verstellt . . .Ich lebe fern, in einer fremden Welt.

Rudolf Fuchs erinnerte sich an Franz Kafka:»Man konnte Kafka oft allein begegnen, in den Straßen,

in den Gartenanlagen Prags. Er war nicht im geringsten al-teriert, wenn man sich ihm zugesellte. Er vermied es gern,von sich zu sprechen, und war, wenn man erz�hlte, ganzOhr. Selbst als ihn schon seine Krankheit qu�lte, behielter seinen l�chelnden Gesichtsausdruck. Es war etwas �gyp-tisch R�tselhaftes in seinem Ausdruck.

Er war immer diskussionsbereit, das heißt: bereit, sichzu verst�ndigen, sei es auch mit wenigen, kurzen, oft ha-stigen Worten, sei es mit einem beredten Schweigen, dasnicht mißzuverstehen war. Das Leben und Wirken seinerFreunde verfolgte er mit großer Aufmerksamkeit. Er warvieler Leute Freund, wiewohl er nur ganz wenigen gestat-tete, seine Freunde zu sein. Dankbar erinnere ich mich anFolgendes: Ich begegnete ihm in der Herrengasse. Tags vor-her war ein Gedicht von mir im ›Tagblatt‹ erschienen. Eshieß ›Villa Milde Ruh‹. Er lobte es. Mir selbst wollte esnicht mehr ganz so gefallen. Es war �lteren Datums. Ich

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Altst�dter Rathaus mit Astronomischer Uhr