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JürgenTodenhöfer

InsideIS–10Tageim›IslamischenStaat‹

C.Bertelsmann

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1.Auflage©2015byC.BertelsmannVerlag,München,inderVerlagsgruppeRandomHouseGmbHUmschlaggestaltung:buxdesignMünchen

DieFotosimBildteilstammenvonFredericTodenhöfer,bisaufNummer17und47,dieausIS-Videosentnommensind.

DieBildrechteliegenbeimAutor.Karten:PeterPalm,Berlin

Satz:Uhl+Massopust,AalenISBN978-3-641-17552-8

www.cbertelsmann.de

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FürFrederic,deraufderReiseundbeiderGestaltungdesBuchesBeeindruckendesgeleistethat.

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Inhalt

IDieGeburtdes»IslamischenStaats«

IIZieledesWestens

IIIAufderSuchenachderWahrheit

IVFahrtandieIS-Front

VChatmitdemTerror

VIDieMutterdesJihadisten

VIIDieKonkretisierungderReise

VIIIReiseinden»IslamischenStaat«

IX

OffenerBriefandenKalifendes»IslamischenStaats«undanseineausländischenKämpfer

XNachwortzuJihadiJohn

Personenregister

BILDTEIL

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I

DieGeburtdes»IslamischenStaats«

Geradeebenerstscheintder»IslamischeStaat«ausdemDunkelderGeschichteaufgetauchtzusein.UndschonhatersichinsZentrumderWeltpolitikgespielt.Dochesgibtihnschonlänger.EristeinKinddesIrakkriegs2003.ImAugust2007traficherstmalseinenseinerKämpferimumkämpftenRamadi,imIrak.Rami,ein27-

jähriger, fast schüchterner Student der Geschichte, hatte sich den Terroristen angeschlossen, weilamerikanischeGIsseineMutterbeieinerHausdurchsuchungerschossenhatten.VorseinenAugen.»WashättenSiegetan?«,fragteermichbitter,alsersah,dassichdieEntscheidungtrotzseinesLeidsüberhauptnichtverstand.Esseileicht,edleStandpunkteüberWiderstandundTerrorismuseinzunehmen,wennmanselbst inWohlstand und Frieden lebe. Ob ich schon einmal darüber nachgedacht habe, was in einemMenschenvorgegangen seinmüsse, bevor er sich alsSelbstmordattentäter in dieLuft sprenge.Als ichschweige,fügterhinzu:»Hörtauf,unszuüberfallenundzudemütigen.HautabausunserenLändern.DannwirdAlQaidavonalleineverschwinden.«

DerAufstiegvonAlQaidazueinemFaktorimchaotischenirakischenMachtspielhatteschonvierJahrezuvor begonnen. 2003. Personifiziert durch den 37-jährigen sunnitischen Jordanier Abu Musab AlZarkawi.Ursprünglichhattediesernochvorgehabt,mitseiner»ParteidesMonotheismusundJihad«dasjordanischeKönigshauszustürzen.DochdieUS-InvasionimIrakbotplötzlichganzandereMöglichkeiten.EndlichgegendieAmerikanerzukämpfenundeinenJihadgegendieSchiitenführenzukönnen,dieeralsVerräter des Islam, als »Abtrünnige« ansah. Sie hatten nach dem Sturz Saddam Husseins dieuneingeschränkte Macht im Irak übernommen und die früher so einflussreichen Sunniten mit brutalenMethodenausdempolitischenLebendesIrakausgeschlossen.SchonkurznachderUS-InvasionbegannZarkawieine irakischeKampftruppeaufzubauen.Hinzukam

einekleinereZahlarabischerKämpfer,dieerzusammenmitAlQaidaüberSyrienindenIrakschleuste.InsgesamtverfügteZarkawiüberrund2000äußersteffektiveKämpfer.Davon1000inderProvinzAnbar.DerRestkämpftevoralleminDiyalaundineinigensunnitischenViertelnBagdads.ZarkawiprofitiertevomUnmutdersunnitischenBevölkerung.SeinebevorzugtenOpferwarenirakischeSoldaten,PolizistenundbesondersSchiiten.ImAugust2003jagtenseineLeutenachUS-Angabendie ImamAli-Moschee inNajafindieLuft.EineblutigeAnschlagswellefolgtederanderen.Fast jederAnschlag im Irakwurde von denUS-Besatzern großzügig Zarkawi zugeschrieben.Dessen

öffentlicheRolleüberstiegzunehmendseinetatsächlicheBedeutung.DassesnebenAlQaidaauchnocheinen viel mächtigeren »bürgerlichen Widerstand« gegen die US-Besatzung gab, mit erheblich mehrKämpfern,wurde systematisch verschwiegen.An der amerikanischenHeimatfrontwäre das schwer zuverkaufen gewesen. Die US-Führung brauchte nach dem Sturz Saddam Husseins ein einprägsamesdiabolisches Feindbild, um die nicht endenden Kämpfe im Irak vor ihren Wählern zu rechtfertigen.ZarkawischiendieseRolledesomnipräsentenTerroristennichtzumissfallen.Weltbekanntwurdeerdurchdiezynische filmische InszenierungderEnthauptungwestlicherGeiseln.

2004 erschien einVideomit demTitel »AbuMusabAlZarkawi schlachtet einenAmerikaner«.Darin

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wirddemAmerikanerNicholasBergderKopfabgeschnitten.AngeblichalsRachefürdie»Schandtaten«derUSA in Abu Ghraib. Berg und spätere Opfer trugen wie die Abu-Ghraib-Häftlinge orangefarbeneOveralls. Anders als bei den aktuellen Enthauptungen unter Al Baghdadi wurde der blutigeHinrichtungsaktungekürztgezeigt.AnsonstenerinnertAlBaghdadisöffentlichinSzenegesetzteBrutalitätinvielemanZarkawi.

ImHerbst 2004 tratZarkawioffiziellAlQaidabei.Auchdasdürfte denAmerikanerngefallenhaben.SeineTerrorgruppeerhielt inderÖffentlichkeitdenNamen»AlQaidaimIrak«(AQI).Baghdadisaß indieserZeitübrigensgerade inamerikanischerHaft.UnterdessenmordeteZarkawihemmungslosweiter.Sobrutal,dasssichschließlichBinLadensStellvertreterAymanAlZawahirischriftlichbeschwerte,dassbeiZarkawisSelbstmordanschlägenzuvieleZivilistenumkamen.UndmehrSchiitenalsAmerikaner.BinLadenundZawahiristrebten–andersalsZarkawi–eineAussöhnungderSunnitenmitdenSchiitenan.DochZarkawiließsichnichtaufhalten.InkeinemPunkt.Überall,woerauftrat,warerwegenseiner

Brutalität und der Strenge seiner AQI-Shariah umstritten. Auch wenn er diese Shariah nur in wenigenOrtendurchsetzenkonnte.Dannallerdingsgaltenrigide,puritanischeRegeln.Rauchen,TrinkenundMusikwarenverboten.ZarkawisgnadenloseMethodenglicheninvielemdenenderfrühenWahhabitenvorüber200Jahrenauf

der Arabischen Halbinsel. Diese wiederum erinnerten an die Charidschiten, die Mörder Alis, desSchwiegersohnsdesProphetenMohammedvor über 1300 Jahren. Jeder, der nur einenMillimeter vonihrenengenGlaubensvorstellungenabwich,wurdeerbarmungslosundblutigverfolgt.ObFrauen,KinderoderGreise.Extremistendes20.JahrhundertswerdennochheutealsmoderneCharidschitenbezeichnet.Im Juni 2006 gelang es denUS-Streitkräften, Zarkawi bei Baqubah durch einen gezielten Luftschlag

auszuschalten.Mitzwei500-Pfund-Bomben.DieUSAbrauchtenimIrakdringendeinenErfolg.Der Kampf von Al Qaida ging jedoch weiter. Nach der Integration mehrerer kleiner

Widerstandsgruppenrief»AlQaidaimIrak«imOktober2006den»IslamischenStaatimIrak«(ISI)aus.Neuer Führerwurde derÄgypterAbuAyyubAlMasri. Erster geistlicher Emirwurde der IrakerAbuAbdullahAlRashidAlBaghdadi–nichtzuverwechselnmitdemaugenblicklichen»Kalifen«AbuBakrAlBaghdadi.DietatsächlicheExistenzundBedeutungdiesesgeistlichenEmirssindbisheuteumstritten.Noch immer lag die Zahl der ISI-Kämpfer bei etwa 2000. Aus politischen Gründen galten jedochweiterhinfastalleAnschlägeauchandererWiderstandsgruppenalsAktionendesISI/AlQaida.

Die US-Führung war inzwischen durch den wachsenden Widerstand im Irak militärisch und politischerheblichangeschlagen.Undkriegsmüde.WeitundbreitwarennirgendwoMassenvernichtungswaffenzufinden,derentwegenmanangeblich indenKrieggezogenwar.StattdessenstiegdieZahlgefallenerGIsunablässig.DieUSA ändertendaher ihreStrategie.Auch im IrakkommtmanmiteinemSackvollGeldweiter als mit Panzerarmeen. Mit abenteuerlich hohen Millionenzahlungen an die ausgezehrtensunnitischenStämmeerreichtendieUSAschließlicheinmilitärischesStillhalteabkommen.Mangründete»Awakening Councils« und schuf schlagkräftige sunnitische Milizen, die, in Abgrenzung zu denausländischenKämpferndesISI,»SöhnedesIrak«genanntwurden.Motiviert durch die Zusage, später an der Macht und am Wohlstand des Irak beteiligt zu werden,

vertriebendiesunnitischenStämmedenzunehmendunbeliebtenISIausseinenHochburgen.ZwarbliebenkleinereISI-Zellenerhalten,voralleminBagdad,DiyalaundindengroßenStädtenAnbars,FalludschaundRamadi.DochderISIbefandsichineinerexistenziellenKrise.Auchden»bürgerlichenWiderstand«zwangendiesunnitischenStämmezumilitärischerZurückhaltung.DessenMitgliederhatten,andersalsdieISI-Kämpfer,bürgerlicheBerufe,indiesiesichzurückbegebenkonnten.AlsGegenleistungzogensichdieUS-Streitkräfte in ihreStützpunktezurück.Dortgrubensiesichwie

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Maulwürfeein.NurnochseltensahmanGIsaufirakischenStraßen.DieamerikanischeDarstellung,manhabedieIrakerdurchBushsTruppenverstärkungen,densogenannten»Surge«,indieKniegezwungen,isteinePR-Legende.IchwarinjenerZeitbeidengemäßigtenWiderstandskämpfernderProvinzAnbar.UndwenigspäterinBagdad.DieUSAhabendenIrakkriegschlichtundergreifendverloren.AbermithilfeihrerDollargeschenkekonntensiewenigstensihrGesichtwahrenundbeiihremAbzugEnde2011sotun,alshättensiedenKriegmitAchundKrachdochnochgewonnen.Allerdings hielten weder die amerikanische noch die irakische Regierung ihre großen Versprechen

gegenüberdenSunniten.SunnitenundvorallemMitgliederderfrüherregierendenBaath-ParteiwurdenfaktischweitervompolitischenLebendes Irakausgeschlossen.NachderEntmachtungdes ISI erhieltensieauchkeinGeldmehr.VielejungeSunnitenwurdenwiederarbeitslos.Stattbelohntzuwerden,wurdendie Sunniten unterdrückt und durch Todesmilizen gejagt. Iraks schiitischer Ministerpräsident Nuri AlMaliki errichtete ein antisunnitischesTerrorregime.AusRache fürdieharten JahreunterSaddam.DerWestenwusstedasalles.Aberesinteressierteihnnicht.

Nachdemdie ISI-ChefsAlMasriundderersteAlBaghdadiimApril2010durchUS-Luftschlägegetötetwordenwaren,übernahmder38-jährigepromovierteAbuBakrAlBaghdadiimMai2010dieFührungderausgedünntenISI-Zellen.SieunterstandennochimmerAlQaida.2011, während des sogenannten Arabischen Frühlings, schlossen sich verarmte, ehemalige Saddam-

KommandeuredemISIan.Auchsiewaren2003ausdenirakischenStreitkräftenausgeschlossenwordenund hatten nie wieder eine Chance bekommen. ISI wuchs dadurch abermals zu einer kleinen,schlagkräftigenKampftruppeheran.AlBaghdadisetztedenFeldzugZarkawisgegendieSchiitenunddieRegierungMaliki fort.MitdergleichenBrutalitätunddergleichen rigidenAQI-Shariah-Auslegungwiedieser.AlsparallelinSyrienderbewaffneteWiderstandgegenAssadanFahrtgewann,gründeteAlBaghdadi

dortEnde2011unterderFührungdesSyrersAbuMohammadAlJulanidieTerrororganisationJabhatAlNusra.SiekämpfteindenfolgendenMonatenmitzunehmendemErfolggegendassyrischeRegime.DieNähe zum ISI und zu Al Qaida wurde anfangs verschwiegen. Aus gutem Grund: Al Qaida und derirakischeISIwarenunterdenSyrernnichtbeliebt.Der »alawitischeKetzer«Assad entsprach perfekt demFeindbild derRebellen. Säkular, alawitisch,

einer der engsten Verbündeten des schiitischen Iran und angeblich insgeheim prowestlich, ja sogarproisraelisch.DiemeistenRebellen,dieichinSyrientraf,hieltenAssadfüreinenFreundIsraels,obwohlIsrael mehrfach seine Stellungen bombardieren ließ. Gegen Feindbilder ist auch in Syrien kein Krautgewachsen.

IndieAufständeinSyrienwarenmehrereRegierungendesNahenOstensunddesWestensverwickelt,diegroßes Interesse an einem Umsturz in dem Land hatten. Saudi-Arabien, Katar, die USA, Frankreich,England und andere versuchten den Widerstand gegen Assad zu stärken. Durch Geld undWaffenlieferungen und durch eine Öffentlichkeitsarbeit, die in manchem an dieDesinformationskampagnen vor dem Irakkrieg 2003 erinnerte. Wenn ich bei meinen SyrienbesuchenabendsdiewestlicheInternetberichterstattunglas,dachteichoft,diewestlichenMedienschriebenübereinganzanderesLandalsdas,dasichgeradeintensiverlebte.DieWaffen,diedazubeitrugen,ausdenfriedlichenDemonstrationeneinengnadenlosenBürgerkriegzu

machen,wurdenmitfreundlicherZustimmungderUSA inriesigenCargo-ContainernperSchiffoderperFlugzeug in die Türkei gebracht. Von dort wurden sie nach Syrien transportiert und an die Rebellenweitergegeben.KleinereSchmuggelroutenführtendurchdenLibanonundspäterdurchdenIrak.Abgesegnet wurden die Lieferungen von CIA-Offizieren, die an geheimen Orten festlegten, an wen

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welcheWaffengehensollten.SokonntendieAmerikanerangeblichsicherstellen,dassWaffennichtdirektanJabhatAlNusraoderandereextremistischeGruppengeliefertwurden.ObwohlsiediesaufsyrischemTerritoriumnichtmehrunterKontrollehatten.DassdieWaffenspäterauchbei terroristischenGruppenlandenwürden,wusstensie.Wiejeder,derdiemilitärischeLageinSyriennureinigermaßenkannte.Diemilitantesten Rebellengruppen konnten sich hinter der Grenze stets die besten Waffen aussuchen. Oftwurden die ausländischen Waffen von den als gemäßigt geltenden Gruppen einfach an Al Qaidanahestehende Organisationen weiterverkauft. In Syrien kam es zu einem blühenden und lukrativenWaffenhandel.AuchprivateSpenderundOrganisationenausSaudi-ArabienundKuwaitorganisierteningroßemStil

Geld,WaffenundKämpfer.Der größteTeil desGeldes undderWaffenging an radikale islamistischeGruppen.ZwarwardasnachdenGesetzendieserLänderverboten,aberdashindertediewenigsten.Bis2013wuchsJabhatAlNusrazur stärkstenRebellengruppeSyriensheran.Siewurdesomächtig,

dassAlBaghdadisichgenötigtsah,öffentlichzuerklären,dassJabhatAlNusraeigentlichnichtsandereswarals ISI inSyrien.KonsequenterweiseforderterJulaniauf, ihmöffentlichdenTreueidzuschwören.Der aber weigerte sich und schwor seinen Treueid lieber dem Al-Qaida-Führer Ayman al Zawahiri.JulaniwollteFilialederZentrale,abernichtFilialederFilialesein.AlZawahirifordertedeshalbAlBaghdadiauf,AlNusraundISI»wiebisher«getrenntzulassen,damit

jedederbeidenOrganisationensichaufihrejeweiligenGebietekonzentrierenkönne.AlBaghdadilehntedas kategorisch ab und erklärte, Al Nusra sei weiterhin Teil des ISI. Da Zawahiri und Julani nichtnachgaben, brach Al Baghdadi offiziell mit Al Qaida und erklärte Julani zum Abtrünnigen. Über dieHälftederNusra-KämpferverließdaraufhinJulani,liefzuAlBaghdadiüberundschworihmTreue.RakkaundderNordostenSyriensgerietennununterdieKontrollevonAlBaghdadi.ErbenannteISI in

ISIS um (»Islamischer Staat im Irak und Al Sham – die Levante«). Später nannte er ISIS nur noch IS,»IslamischerStaat«.EinegeografischeBegrenzunggabesbeidiesemNamennichtmehr.DerAnspruchvonISistschließlichglobal.AlsAbuBakrAlBaghdadidasKalifat»derIslamischeStaat«ausrief,lebtenbereitsübersechsMillionenMenschenim»IslamischenStaat«.

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II

ZieledesWestens

Undwieder führt derWestenKrieg imMittlerenOsten. Ist es der zwanzigste, der dreißigsteKrieg indieser ölreichen Region? Diesmal geht es gegen den IS, den sogenannten »Islamischen Staat«, dessendemonstrativeBrutalitätdieWelterschauernlässt.DochgehtesdemWestenwirklichinersterLinieumdasZiel,mittelalterlicheBarbareienzuunterbinden?Oderintervenierter,weilderISinzwischenimIrakseine Ölinteressen beeinträchtigt? Immerhin ist es den Kämpfern des IS gelungen, die »StrategischePipeline«desIrakindieTürkeiunterihreKontrollezubringenunddamitdieLebensaderderirakischenÖlindustriezuzerstören.Für dieStörungsfreiheit derÖlförderungunddesÖltransportswarendieUSA stets bereit,Kriege zu

führen.SolangedieIS-KämpfernurinSyrien,fernabdervielgrößerenirakischenÖlfelder,mordetenundköpften,ließendieUSAsiegewähren.Sieunterstütztensiesogarindirekt.ÜberdiemitihnenverbündetenGolfstaaten.Ähnlichwie die anderen großen syrischen Terrororganisationen JabhatAlNusra, IslamicFrontoderAhrarAlSham.WeilsieAssadbekämpfen.DenVerbündetendesIran,derdenUSAdurchdenIrakkrieg2003unddenSturzseinesGegnersSaddamHusseinzumächtiggewordenist.WorumgehtesdemWestenindiesemneuenIrakkriegwirklich?

Dervor500JahrenbeginnendeAufstiegdesWestensberuhtenieaufAltruismus.NieaufzivilisatorischenIdeen für denRest derWelt, sondern auf der konsequentenVerfolgung seiner eigenenwirtschaftlichenInteressen.UndaufderGnadenlosigkeitseinerArmeen.MeistschobendiewestlichenStaatsoberhäupterallerdings edle Motive vor, um sich die Unterstützung ihrer Untertanen oderWähler zu sichern. Ersterschlugen sie die Menschen anderer Kulturen im Namen des Christentums, dann im Namen derMenschenrechteundderDemokratie.DochinWirklichkeitgingesimmernurumGeld,MachtundRuhm.Bis heute.DerAmerikaner SamuelHuntington ist sichmit vielenHistorikern einig,wenn er feststellt:»Der Westen hat die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Werte erobert, sondern durch seineÜberlegenheitbeimAnwendenvonGewalt.WestlervergessendieseTatsacheoft,Nichtwestlernie.«DiewestlicheGewalttätigkeitsprengtealleGrenzen.Siegingsogarüberdashinaus,wasunsderbestialischeIS-Terrorismusheutevorführt.Louis de Baudicour, französischer Schriftsteller und Kolonist, schilderte eine der ungezählten

BarbareienFrankreichsinAlgerien:»HierschnitteinSoldatausSpaßeinerFraudieBrustab,dortnahmeinanderereinKindandenBeinenundzerschmetterteseinenSchädelaneinerMauer.«VictorHugo,einandererFranzose,berichtetevonSoldaten,diesichgegenseitigKinderzuwarfen,umsiemitderSpitzeihrerBajonetteaufzufangen.FürinSalzeingelegteOhrengabes100Sous.Abgeschnittene Köpfe brachten deutlich mehr ein. Bis zum Ende des Algerienkriegs 1962 waren

Enthauptungen algerischer Freiheitskämpfer an der Tagesordnung. Die abgeschnittenen Köpfe wurdenanschließendöffentlichzurSchaugestellt.Wieheuteim»IslamischenStaat«.Den Irakern erging es unter britischerKolonialherrschaft nicht besser.WinstonChurchillwarf ihnen

1920wegenihresAufstandsgegendieKrone»Undankbarkeit«vor.ErsetztechemischeWaffenein,»mitausgezeichnetermoralischerWirkung«,wieerstolzvermerkte.

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In Libyen wurden Stammesführer in Flugzeuge gepackt und aus großer Höhe abgeworfen. LibyscheMädchen wurden für die italienischen Kolonialtruppen als Sexsklavinnen gehalten. HunderttausendeZivilistenwurdeninWüstenkonzentrationslagergesperrt,indenendieHälftekläglichzugrundeging.

AndiesensadistischenGrausamkeitenhatsichbisheutenichtsgeändert.Wirhabensienurniebeachtetoderverdrängt.DiemuslimischeWelthatsienichtvergessen.ImUS-FoltergefängnisBagrambeiKabulging es laut führenden amerikanischenMilitärs barbarischer zu als inGuantanamo. Taliban-GefangenewurdensolangedurchKampfhundevergewaltigt(!),bissieallesgestanden.IchhabedieZeugenaussageeines westlichen Sicherheitsspezialisten veröffentlicht. Niemand empörte sich. Was wäre geschehen,wennamerikanischeGIsdurchHundevergewaltigtwordenwären?Ähnlich brutal gingen diewestlichen »Vorkämpfer fürMenschenrechte« nach 2003 im Irak vor.Die

junge IrakerinManal wurde im Flughafengefängnis von Bagdad gezwungen, der Vergewaltigung einesjungenirakischenWiderstandskämpfersdurcheinenGIzuzusehen.SiehatihreDemütigunghundertfachindieWelt hinausgeschrien, ist vorGericht gezogen.Niemandhat sichdafür interessiert.Eswar ja keinamerikanischesMädchen,dasdazerbrach.InGuantanamowurdennachneuestenBerichtenGefangenevonUS-Beamtinnenmissbraucht.Manchmal

vonzweiFrauengleichzeitig.AlsdiesexuellenÜbergriffeindenUSAbekanntwurden,verwarntemandieBeamtinnen lediglich. Gefangene Araber zu missbrauchen, scheint für denWesten kein Verbrechen zusein.DerSpiegelhatausführlichdarüberberichtet.InteressierthatderSkandalniemanden.WennIS-KämpfervergleichbareVerbrechenbegehen,kenntdieEmpörungdesWestenskeineGrenzen.

Regierungen treten zusammen, Militärstäbe tagen, um Strategien zu finden, wie wir derart schamloseAngriffeauf»unsereWerte«unterbindenkönnen.VonArabernbegangeneVerbrechensindoffenbaretwasanderesalsVerbrechen,diewirbegehen.EigentlichistdasRassismusinseinerwiderlichstenForm.Laut dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre wurden die Araber vom Westen stets als

Untermenschen»aufderStufeeineshöherenAffen«behandelt.Siewaren»Bewohner«Arabiens,abernieechte»Eigentümer«.SelbstdergroßefranzösischePolitikerundPublizistAlexisdeTocquevillestelltedieFrage:»HatmanbeimAnblickderVorgängeinderWeltnichtdenEindruck,dassderEuropäerfürandereRassendasist,wasderMenschfürdieTierebedeutet?ErmachtsieseinemDienstuntertan,undwennersienichtmehrunterjochenkann,vernichtetersie.«

NichteineinzigesMalhatindenletzten200JahreneinarabischesLandeinwestlichesLandangegriffen.Angreifer waren immer die europäischen Großmächte. Millionen arabische Zivilisten wurden dabeibrutal ermordet. Das Gerede von der Grausamkeit derMuslime stellt alle Fakten auf den Kopf. DerWestenwarvielgrausameralssie.Nichtnur indermuslimischenWelt.AlsMahatmaGandhigefragtwurde,waservonderwestlichen

Zivilisation halte, antwortete der Inder: »Ich denke, sie wäre eine gute Idee.« Die erlebte RealitätwestlicherHerrschaftinIndienallerdingsfander»satanisch«.Alsich1975alsjungerAbgeordneterderindischen Premierministerin Indira Gandhi einen unerbetenen Vortrag über die Bedeutung derMenschenrechtefürdiewestlichePolitikhielt,fragtesieerstaunt:»GlaubenSiedaswirklich?«Ex-NATO-OberbefehlshaberWesleyClark berichtete,man habe ihmkurz nach 9/11 imPentagon eine

geheimeListemitsiebenSchurkenstaatengezeigt,dieman indennächstenfünfJahrenangreifenwolle.DarunterIrak,Libyen,SyrienundIran.BushsKriegstreiberwolltensichdieeinmaligeGelegenheitderTerroranschlägedes11.Septembernichtentgehenlassen.SiewolltenindenWortenvonClarkdieGunstder Stunde nutzen, ummitmehrerenKriegen »denMittlerenOsten zu destabilisieren, auf denKopf zustellenunddannzukontrollieren«.EhrenwerteGründewürdemanschonfinden.Die westliche Öffentlichkeit tut sich schwer, ein derart zynisches Spiel der westlichen Politik zu

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durchschauen. Sie glaubtwirklich,wir seien »dieGuten«.Das Feindbild Islam, jahrhundertelang vomWestengezeichnet,hatsichtiefeingeprägt.DochesisteinmanipuliertesBild.EswarenkeineMuslime,dieden»heiligenKrieg«erfandenundaufKreuzzügenübervierMillionen

MuslimeundJudenniedermetzelten.EswarenChristen,dieinJerusalem»biszudenKnöchelnimBlutwateten,bevorsieglücklichweinend«zumGrabdesErlösersschritten.EswarenauchkeineMuslime,die imNamenderKolonisierungAfrikasundAsiens50MillionenMenschenmassakrierten.EswarenkeineMuslime, die denErsten undZweitenWeltkriegmit fast 70MillionenToten anzettelten.Und eswaren keineMuslime, sondern wir Deutsche, die zehnMillionen Slawen und sechsMillionen Juden,Mitbürger, Nachbarn und Freunde, feige und schändlich ermordeten. Wann haben unsere sogenanntenchristlichenPolitikerdemChristentum,dieserwunderbarenReligionderLiebe,Ehregemacht?WannundwohabenwirunsereBruderreligionenJudentumundIslammitRespektundLiebebehandelt?Die vom Westen in den letzten fünf Jahrhunderten eroberten Kontinente und Länder haben unsere

Barbareiennichtwiderstandsloshingenommen.ObwohleingroßerTeilderBevölkerungsichanpasste,gab es fast überall Widerstandsgruppen. Friedliche wie Gandhis »Ziviler Ungehorsam« in Indien.Bewaffnete wie einst die FLN (»Nationale Befreiungsfront«) in Algerien oder der legale irakischeWiderstandgegendievölkerrechtswidrigeInvasionderUSAimJahr2003.Allerdings erkannte schon Jean Cocteau, der französische Schriftsteller: »Die Sauberkeit einer

Revolution dauert höchstens vierzehn Tage.« Legaler Widerstand wird schnell zu mörderischemTerrorismus.NichtnurindermuslimischenWelt.NebenchristlichenTerroristenwieGeorgeHabash,derjüdischeSiedlerbrutalermorden ließ,gabesauchzionistischeTerrororganisationenwiedie IrgunvonMenachemBegin oder die sich selbst terroristisch nennenden »Kämpfer für die Freiheit Israels« vonJitzchak Schamir.DieTerroristenBegin und Schamirwurden späterMinisterpräsidenten ihrer Länder.HeftigumworbenundunterstütztvomWesten.

Terrorismus ist ein weltweites, kein muslimisches Phänomen. Nach Angaben von Global TerrorismDatabase, einem von der US-Regierung offiziell geförderten Exzellenzzentrum, gab es 2013 in derwestlichenWelt239Terroranschläge.NurzweiwurdenvonMuslimenbegangen.ImJahrdavorwarenessechs von 196. Die meisten der 239 Anschläge wurden von Unbekannten begangen, gefolgt vonSeparatisten,Linksextremisten,Rechtsextremisten,Protestantenundsonstigen.DerSatz:»NichtjederMuslimisteinTerrorist,aberjederTerroristeinMuslim«istUnfug.Auchwenn

die»islamistischen«Terroranschlägeüberdurchschnittlichblutigwaren. InDeutschlandwurdeübrigensbis heute nicht ein einzigerDeutscher durch »islamistische«Terroristen getötet.Aber allein seit 1990wurdeninDeutschland29MuslimedurchRechtsradikaleermordet.MandenkeandieNSU-MordeoderandieMordevonMölln undSolingen.AntiislamischeHassprediger lassen sichdurchdieseFaktennichtaufhalten.Der »islamistische«Terrorismus der letzten Jahrewütete allerdings nicht in ersterLinie imWesten,

sondernimMittlerenOsten.AufgeputschtdurchdieAntiterrorkriegederUSAinAfghanistan,imIrakundinLibyen.SiewarenregelrechteTerrorzuchtprogramme.DochdieserTerrorismus,soschrecklicherfürseineOpferinOstundWestwar,störtedieamerikanischenWeltstrategenniewirklich.ImGegenteil,erliefertewichtigeVorwände,ummitZustimmungderUS-WählerimmerwiederaufderAchsedesÖlsunddesErdgases,dersogenanntenAchsedesBösen,zuintervenieren.ÖlwarnunmallautExaußenministerHenryKissingervielzuwertvoll,alsdassmanesdenArabernüberlassenkonnte.Terroristen sind »Schurken«, die die US-Politik schon immer brauchte, um ihren militärischen

InterventionendenAnscheinvonLegitimitätzugeben.BerühmtistderverzweifelteAusrufvonExgeneralColinPowellnachdemZusammenbruchderSowjetunion:»MirgehendieSchurkenaus!«Wenneskeine

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Terroristengäbe,würdendieUSAsieerfinden.Manchmaltunsiedasauch.Vieles über die aggressive amerikanische Erdöl- und Erdgasstrategie kann man in offiziellen

Dokumenten nachlesen. Im Mai 1997 etwa erklärte die US-Regierung, sie sei zu militärischenInterventionen verpflichtet, wenn es um die »Sicherung des uneingeschränkten Zugangs zu denSchlüsselmärkten, Energievorräten und strategischen Ressourcen« gehe. Nur Idioten kapieren nicht,worum es heute in derWeltpolitik geht: »It’s the oil, stupid!« Öl, das schwarze Gold, von dem deramerikanischeWohlstandabhängt.Öl,dashinterhältigsteGeschenkdesTeufels.

TerroristenverstehenihreAnschlägealsberechtigteAntwortaufdieaggressivausbeuterischePolitikderUSA,dieihreLänderalsamerikanischeTankstellenbetrachten.UnddabeibrutalsteMethodenanwenden.JungeMuslimeinDeutschlandundimIraksehenTagfürTag,JahrfürJahr,wieinAfghanistan,Pakistan,im Irak, Jemen, in Somalia oder Palästina muslimische Frauen, Kinder und Männer durch westlicheWaffen,westlicheVerbündeteundwestlicheSoldatenschwerverletztundgetötetwerden.Biseinigevonihnenirgendwannreagieren.NiemandkommtalsTerroristaufdieWelt.HauptleidtragendediesesTerrorismus,derangeblichdenMittlerenOstenbefreiensoll, sinddiedort

lebendenZivilisten.Muslime undChristen gleichermaßen.Genausowie bei denBombenangriffen,mitdenenderWestendiesenTerrorglaubt»bekämpfen«zukönnen.DieüberwiegendeMehrheitderMuslimeundChristenstehtwehrlosundverzweifeltinmittendiesesgrauenvollenKreislaufsderGewalt.DieTerroristendesMittlerenOstenswissen,dasssienureineMinderheitsind.Dassdieerdrückende

MehrheitderMuslimesichauffriedlichemWegeausihremElendbefreienmöchte.DerTerrorismusdesMittleren Ostens ist einMinderheitenphänomen. Doch er sieht die Rettung dermuslimischenWelt alsseinePflichtan,derersichangeblichnichtentziehenkann.Vorallem,wennderWestendasHeiligstederMuslime,ihreReligion,verhöhntundmitFüßentritt.DerWestenverstehtnicht,dasseineVerhöhnungdesProphetenMohammedgenausoverletztwiejederBombenangriff.Esinteressiertihnauchnicht.Esgiltja,unsereWertezuverteidigenundnichtdieWertedermuslimischenWelt.DiemeistenTerroristenwissen, dass siemilitärisch gegen denWesten keineChance haben und vor

allem sich selbst und ihre eigene Welt zerstören. Jean-Paul Sartre hat diese selbstzerstörerischeVerzweiflungschon1961währenddesFreiheitskriegsderAlgerierbeschrieben:»DiezurückgehalteneWutdrehtsichimKreisundrichtetunterdenUnterdrücktenselbstVerheerungen

an. Um sich von ihr zu befreien, schlachten sie sich untereinander ab. Die Stämme kämpfengegeneinander, weil sie den eigentlichen Feind nicht angreifen können, und man kann sich daraufverlassen, dass dieKolonialpolitik ihreRivalitäten schürenwird.Die Sturmflut derGewalt reißt alleSchranken nieder. Das ist der Moment des Bumerangs. Die Gewalt schlägt auf uns zurück, und wirverstehensowenigwiefrüher,dassesunsereeigeneGewaltist.«In der muslimischen Welt wird seit Langem darüber gestritten, ob man den in vielen Bereichen

überlegenen Westen imitieren oder sich stärker auf islamische Werte und Traditionen besinnen soll.Terroristische Organisationen suchen ihr Heil in der Rückkehr zu einem mehr oder weniger»puritanischen« Islamismus.Massiv finanziellunterstütztvomstrengwahhabitischenKönigreichSaudi-Arabien. Wahhabiten sehen im Koran eine Botschaft Gottes, die für alle sozialen, kulturellen undpolitischenFragenaufewigeZeitenklare,unveränderbareAnweisungenbereithält.DieWahhabitensindeine finanzkräftige, kleine Minderheit. Nur zwei Prozent der 1,6 Milliarden Muslime gehören dieserstrengenislamischenKonfessionan.Undauchdasnur,wennmandiesogenanntenSalafistendazurechnenwürde.DieMehrheitderMuslimeunsererWeltversuchtdieBotschaftendesKoranmitdenRealitätenunsererZeitzuversöhnen.Sievertritteinendeutlichmaßvolleren,milderen,modernenIslam.Dieser innerislamischereligiöseKonfliktwirdüberlagertvonderFrage,wiemanaufdieaggressive

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Militärpolitik des Westens reagieren soll. Die radikalste Antwort gibt der IS. Er verbindet denbedingungslosenKampfgegendiewestlicheWeltmiteinemebensoerbarmungslosenKampfgegenalleMuslime,diesichihrerbrutalmittelalterlichenIdeologienichtunterwerfen.FürdenISheißtdieAntwortauf alle Fragen unserer Zeit »Islamischer Staat«. Vorerst nur im Mittleren Osten, langfristig jedochweltweit.AlldassindErklärungen,keineEntschuldigungen.Terrorismuslässtsichnichtrechtfertigen.DerdesIS

schongarnicht.WennZivilistengetötetwerden,handeltessichimmerumMord.DarüberkanneskeineDiskussion geben.Wer diesenAbsatz überliest, hat den Sinn der historischen Einordnung des IS nichtverstanden.

IchbininmeinemLebenvielenMilitantenundTerroristenbegegnet.1960alsStudentKämpfernderFLNinAlgerien, 1971 alsRichterTerroristen derRotenArmeeFraktion (RAF), in den Siebzigerjahren alsAbgeordneter Freiheitskämpfern und Terroristen in Mosambik, Angola und Namibia, 2007 alsMedienmanagererstmalsKämpferndesISimIrak,2010Taliban-FührerninAfghanistan,2012Al-Qaida-Terroristen inSyrienusw.Siebehaupteten,siekämpfteneinenedlenBefreiungskriegfür ihr»inKettenliegendesVolk«.SiewarenderAuffassung,dasVerbot»Dusollstnichttöten«seifürsieaufgehoben.SieargumentiertenundhandeltenallewienacheinerGehirnwäsche.IrgendjemandhatteinihremKopfeinenSchalter umgelegt. Plötzlich war alles erlaubt. Sie kämpften ja für eine gute Sache. Von ihrenideologischen Wahnvorstellungen abgesehen, waren sie meist ziemlich normale Zeitgenossen. UnddennochwarensieMörder.OhneWennundAber.AbersindnichtauchdieHintermännervölkerrechtswidrigerAngriffskriegeTerroristenundMörder–

auchihrereigenenSoldaten?AlQaidatöteteimgesamtenWesten,inAmerikaundEuropa,indenletzten14Jahrenüber3300Menschen.Bushjr. jedochalleindurchdenAfghanistan-undIrakkriegmindestens600000Menschen.ImIrakineinemüberwiegendaufLügenaufgebautenvölkerrechtswidrigenKrieg.IstdaskeinTerrorismus?HattederBritePeterUstinovnichtrecht,alserAngriffskriegeden»Terrorismusder Reichen« nannte? Für ein irakisches Kind macht es keinen Unterschied, ob es von einem»muslimischen«Selbstmordattentäter oder von einer »christlichen«Bombe zerfetztwird.Krieg ist derTerror der Reichen, Terror der Krieg der Armen. Qualitative Unterschiede habe ich bis heute keinegefunden.EdwardPeck,unterRonaldReaganstellvertretenderVorsitzenderderTerrorismus-Arbeitsgruppedes

Weißen Hauses, schildert die Schwierigkeiten, Staatsterrorismus von gewöhnlichem Terrorismusabzugrenzen in einer Mischung aus Sarkasmus und Resignation: »Wir haben sechs Terrorismus-Definitionen vorgelegt. Siewurden alle abgeschmettert. Bei sorgfältigemLesen stellte sich jedesMalheraus,dassdieUSAselbstinderartigeAktivitätenverwickeltwaren.«Terrorismus ist nie religiös. Es gibt inWirklichkeit keinen »islamischen Terrorismus«, so wie der

TerrorismusdernordirischenIRAoderdesNorwegersAndersBreivikniechristlichwar.DerTerrorvonMuslimenwirdvonunsislamistischgenannt.WestlichenTerrorwürdenwirjedochniechristlichnennen–oderchrist-istisch.WirmanipulierendieÖffentlichkeitbereitsdurchdiesprachlicheCharakterisierungunsererFeinde.WersichalsTerroristteuflischerMethodenbedient,kannsichnichtaufGottberufen.DieBehauptung, dassTerrorismusvor allemein religiösesProblem sei, ist eine atheistischeLegende.DieMassenmorde der deutschenNationalsozialisten, der sowjetischen und chinesischenKommunisten sinddertraurigeBeweis,dassderMenschdasgrausamsteallerGeschöpfeseinkann.MitundohneReligion.

DiewestlichenKriegegegendenTerrorwarenimmerFlopsundDesaster.SieheAfghanistan2001undIrak2003.DieZahlderTerroristenimMittlerenOstenexplodiertegeradezu.ZuZeitenbinLadensgabesallenfalls1000internationaleTerroristen,heutedürftenes100000sein.

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Auch die jetzige amerikanische Bombardierungskoalition gegen den »Islamischen Staat« wird ihrangebliches Ziel, demTerrorismus einen tödlichen Schlag zu versetzen, nicht erreichen. Siewird vorallemwieimmermehrZivilistentötenalsTerroristen.Schonheutesinddurchdie»Friedensbomben«aufMosul, Falludscha, Hawija, Al Alam, Saadiah oder Rakka unzählige sunnitische Zivilisten gestorben.Selbst Kinderkrankenhäuser wurden bombardiert. Die Bilder sind grauenvoll. Arabische Medienberichten ausführlich darüber, westliche nicht. Diese Bombardements feuern die sunnitischen IS-TerroristenweiteranundführenihnenimmerneueKämpferzu.JedesdurchwestlicheBombenermordeteKindbringtmindestenszehnneueTerroristenhervor.Der Westen hat aus dem innenpolitischen Desaster, das er durch seine Militäroperationen in

Afghanistan,IrakundLibyenanrichtete,nichtsgelernt.AuchnichtdurchdiegleichzeitigeExplosiondesTerrorismus.KinderverbrennensichinderRegelnureinmaldieFingeraufeinerheißenHerdplatte.DerWestenabersetztseinekontraproduktivenBombardierungsstrategienwiederundwiederein.Einsteinsolleinmal gesagt haben, zwei Dinge seien angeblich unendlich: das Universum und die menschlicheDummheit.BeimUniversumseiersichnochnichtganzsicher.DieUnendlichkeitmenschlicherDummheitlässt sich inzwischen nicht mehr bestreiten. Man muss sich nur die amerikanischen Antiterrorkriegeansehen.Im Grunde können nur Araber arabische Terroristen so bekämpfen, dass daraus nicht erneut

Terrorismusentsteht.ImIrakwirdderISerstbesiegtwerden,wenndieverfeindetenirakischenSunnitenundSchiitenihrKriegsbeilbegrabenundSeiteanSeiteden ISbefehden.DieeinstmächtigesunnitischeMinderheit des Irak war 2003 nach dem Einmarsch der US-Armee rabiat vom politischen Lebenausgeschlossen worden.Wer der früher herrschenden Baath-Partei angehörte, wurde besonders brutalverfolgt. Die Sunniten, auch die Baathisten, haben den Schiiten mehrfach Aussöhnung und Friedenangeboten.GegeneinegleichberechtigteWiedereingliederunginspolitischeLeben.BeizweiGesprächenwarichselbstdabei.EinenationaleAussöhnungdes Irakwürdeden IS entscheidendschwächen.Erstenswürden irakische

Sunniten und Schiiten nicht mehr gegeneinander kämpfen, sondern gemeinsam gegen den IS. Zweitenswürdeder ISvonderBevölkerungderwichtigensunnitischenStädteMosuloderFalludschanichtmehrstillschweigendgeduldet.ErwärenichtmehrdaskleinereÜbelgegenüberdervonSchiitendominiertenRegierung. Der IS würde zum Störenfried, der dieWiedereingliederung der Sunniten in die irakischeGesellschaft gefährdet. 2007 ist der IS im Irak, damals ISI genannt, schon einmal gescheitert, weil diesunnitischenStämmeihmihreUnterstützungentzogen.GegenvielamerikanischesGeld.EswareinerderwenigenUS-Geistesblitze in jenemgeistlosenKrieg.WenndieUSA auch noch beschließenwürden, diegesamte muslimische Welt ähnlich großzügig zu behandeln wie Israel, wäre der Erfolg gegen denTerrorismussogarnachhaltig.AberwollendieUSAdasüberhaupt?Noch einmal: Der IS ist eine mörderische Terrororganisation, für die es Erklärungen, aber keine

Rechtfertigunggibt.DochwenndiewestlichePolitikehrlichwäre,müsstesiezugeben,dassPolitikerwieBushjr.,Cheney,RumsfeldundBlairzumindestnachderZahlihrerOpfernochschlimmereTerroristensind.Woimmersiemilitärischintervenierten,starbenqualvollnichtTausende,sondernHunderttausendeZivilisten. Unzählige wurden gedemütigt, gefoltert und vergewaltigt. Auch die Methoden der USA inGuantanamo,AbuGhraiboderBagramwarensadistischundmittelalterlich.Doch nur selten gibt es Film- oder Fotoaufnahmen vom Tod durch Bomben und Raketen. Der

Augenblick des Todes einer Mutter und ihrer Kinder durch eine auf ihr Haus abgefeuerte US-Raketeerreichtunsdaheremotionalnicht.Wirsehenihnnicht,erbleibtfastimmeranonym.DerIShingegenhatseineMordebewusstentanonymisiert.ErgibtunsdieerforderlicheZeit,eineinnere

Verbindung zu den Opfern aufzubauen.Mit ihnen eins zu werden. Eines Tages sehen wir, wie unsere

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Freunde in einem orangefarbenen Overall in einer trostlosen Wüste sitzen. Neben ihnen ein MesserwetzendesgesichtslosesUngeheuer,dassichdaraufvorbereitet,Menschen,dieunsansHerzgewachsensind, den Kopf abzuschneiden. Oder zu verbrennen. Indem das Ungeheuer sie tötet, tötet es vollerSadismusauchetwasinuns.UndbautAngstauf.UndKriegsbereitschaft.

DiewestlicheReaktionwirdwieimmer»edel«sein.Zumindestglaubenvieledas.DerWestenverteidigtjaangeblichdieWertederwestlichenZivilisation.UndsospendenvieleMenschenBeifall,wennsieindenFernsehnachrichtendenAbschussderersten»moralischgerechtfertigtenRaketen«desWestenssehen.Den todbringenden Einschlag sehen sie nicht. Meist auch nicht die Opfer. Und ob Schuldige oderUnschuldigegetroffenwurden.Der IS wendet bewusst abstoßende Tötungsmethoden an, die nicht auf der Liste der im Westen

akzeptierten Tötungsmethoden stehen. Mit einem Schulterzucken nehmen weite Teile der westlichenÖffentlichkeit den Tod von Zivilisten durch westliche Bomben, Raketen, Artillerie- undGewehrgeschosse zur Kenntnis. Genauso wie gerichtlich angeordnete Hinrichtungen mit Gift oderStromstößen.DieseTodesartensindteilweisegesellschaftlichakzeptiert.DaslangeMesser,mitdemderISmordet, steht nicht auf dieser Liste.Auch nicht das Feuer, in dem der ISmit nicht zu überbietenderBrutalität einen feindlichen Piloten hinrichtet. Dass zahllose Opfer unserer Bombenangriffe ebenfallsqualvoll langsam verbrennen, interessiert nicht. Bombardieren ist ja legitim und der gelegentlicheFlammentodeinunvermeidlicher»Begleitschaden«einerzulässigenMilitäroperation.Dass die vomWesten finanzierte syrische Rebellengruppe FSA ebenfalls Enthauptungen durchgeführt

undunzähligeKehlendurchschnittenhat,wirdunterschlagen.Woestrotzdembekanntwird,findeteskaumBeachtung. Ähnlich wie das Schwert des saudischen Scharfrichters. Die meistenMedien stellen sichdieserManipulationderFaktenleidernichtentgegen.DerISwirdsichdarübernichtbeklagen.Erwillja,dassseinegrenzenloseBrutalitätweltweitbekannt

wird.UmFurchtundSchreckenunterseinenFeindenzuverbreiten.Vorallemdort,woerwaffentechnischunterlegen ist.ErwillvorallemdieUSAprovozieren.Erwill ihre innenpolitischeDiskussion so starkanheizen,dassdieUS-Führungsichdazuhinreißenlässt,Bodentruppenzuentsenden.DerfrühereGeneralsekretärdesEU-RatsJavierSolanasowiedasAmericanJournalofPublicHealth

vom Juni 2014 gehen davon aus, dass 90 Prozent der Toten moderner Kriege Zivilisten sind. Dievölkerrechtswidrigen Angriffskriege desWestens sind daher ebenfalls Terrorismus. Staatsterrorismus.Eine Zivilisation, die nicht zugibt, dass GeorgeW. Bushs Irakkrieg reiner Terrorismus war, ist keineZivilisation.Ichweiß,dassmandasimWesteneigentlichnichtoffenaussprechendarf.DochdasLebenistzukurz,umstetsumdieWahrheitherumzureden.Wir leben in einer verlogenen Welt. Voll mörderischer Kriegstreiber und mörderischer Terroristen.Beidengehtesnichtdarum,unsereWeltlebenswerter,menschlicherzumachen.BeidengehtesumMacht,GeldundRuhm.Dafürsetzensieallesein.DasAnsehenihrerReligionen,diesieschamlosmissbrauchen.UnddasLebenihrerMitmenschen,derenLeidsienichtinteressiert.WenneseineHöllegibt,werdensiesich eines Tages dort wiedertreffen. Weil sie täglich gegen das Grundgesetz menschlichenZusammenlebensverstoßen.GegendasfünfteGebot:»Dusollstnichttöten.«

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III

AufderSuchenachderWahrheit

IndenvielenGerichtsverhandlungen,dieichalsReferendarundspäteralsRichtererlebthabe,gingichoft durch einWechselbad derGefühle.Nach demVortrag des Staatsanwalts hielt ich denAngeklagtenmeistfüreinendurchtriebenenHalunken.DochsobaldderVerteidigersprach,sahallesganzandersaus.Milde erfasste mich. Die Abwägung, wer wie weit recht hatte, gehörte zu den schwierigstenEntscheidungenmeinesLebens.FastniehatteeineSeiteuneingeschränktrecht.FastimmersprachenauchArgumentefürdieandereSeite.SeltenhatteichdasGefühl,dassdieschließlichgetroffeneEntscheidunginjederBeziehunggerechtwar.Ich habe daraus die Lehre gezogen, auf der Suche nach der Wahrheit immer mit beiden Seiten zu

sprechen.Auchwenn dieWelt ihrUrteil bereits gesprochen hatte.Audiatur et altera pars, lautet einwichtiger Grundsatz des römischen Rechts. So zog ich in den Achtzigerjahren mit unterschiedlichenMujaheddin-GruppendurchdasvondenSowjetsbesetzteAfghanistan.AnschließendsprachichzweimalinMoskaumit dem Chef des sowjetischen Generalstabs,Marschall Sergej Achromejew. Obwohl diesowjetischeFührungöffentlichangekündigthatte, falls siemicherwische,werdesiemichauspeitschenund dann erschießen. Stundenlang diskutierten wir, ob es für die Sowjetunion nicht klüger sei, ausAfghanistanabzuziehen.AchromejewwareinsehroffenerMann,derzuhörenkonnte.An Ostern 1975 traf ich mich in Punta Arenas mit Chiles Diktator Augusto Pinochet, um über die

Freilassungvon4500meistmarxistischenpolitischenGefangenenzuverhandeln.Aberauch,umdieLageChilesnachdemSturzSalvadorAllendeszuverstehen.AnschließendflogichindieHauptstadtSantiagodeChile,ummitdenFührernderOpposition,denChristdemokratenEduardoFreiMontalvaundPatricioAylwin,zusprechen.FürdiesenVersuch,mireinobjektivesBildderLagezuverschaffen,wurdeichinDeutschlandwüstbeschimpft. Ichwurdezum»Diktatorenfreund«ernannt.AuchdiespätereFreilassungdervielentausendGefangenenändertenichtsdaran,dassichnochJahredanachaufGroßveranstaltungenmitPinochet-TransparentenundwildenSprechchörenniedergeschrienwurde.TrotzdembliebichbeimeinerSuchenachderWahrheitdabei,möglichst immermitbeidenSeitenzu

sprechen.MeistgefolgtvoneinemAufschreiderEntrüstungvonjenen,diedieWeltausihrenbequemenSesselnherausbeurteiltenundfestdavonüberzeugtwaren,dassnursieimBesitzderWahrheitwaren.IchsprachmehrfachmitdemafghanischenPräsidentenHamidKarsai,aberauchmitFührernderafghanischenTaliban. Für zahlreiche Schreibtischstrategen, wie den früheren Generalinspekteur der BundeswehrHarald Kujat, war ich daraufhin der »Sprecher der Taliban«. Für andere kurz und bündig ein»Terroristenfreund«.DasEtikett»Terroristenfreund«war ichwieder los, als ich inDamaskusmehrfachBasharAlAssad

traf.NichtnurwegeneinesInterviewsfürdenWeltspiegelderARD,sondernvorallem,umeinendirektenKontaktAssadszurUS-Administrationherzustellen. Ichwarder festenÜberzeugung,dassdieUSA überihre Verbündeten Saudi-Arabien und Katar, die die Aufständischen mit Waffen belieferten, eineFriedenslösunginSyrienerreichenkonnten.AssadwarzuweitreichendenZugeständnissenbereit,dieichderamerikanischenRegierungauchweiterleitete.Dochdieweigertesichbeharrlich,mitihmzusprechen.WiederbracheineWellederEmpörungübermichherein.Das»anständige«Deutschlandrümpftedie

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Nase. Wie konnte man mit einem Mann sprechen, der so viel Blut an den Händen hatte, schäumtenPolitikerundPublizisten,dieallesfüreinenTerminmitGeorgeW.Bushgegebenhätten,derunendlichmehrBlutandenHändenhat.DieWeltschrieb:»DasInterviewhatteentfernteÄhnlichkeitmitfrüherensolchen Gesprächen anderer idealistischer Publizisten und Querdenker, die im Krieg den netten,heroischenJoeStalintrafenodervordemKriegdenerstaunlichkenntnisreichenHerrschervomBerghofpriesen,derdocheigentlichnuranstrebe,wasalleanstrebten,zumBeispieldasSelbstbestimmungsrechtderVölkerauchfürDeutsche.«Stalin und Hitler! Kleiner ging es nicht. Dass vor mir wohl nie ein westlicher Publizist mit dem

syrischen Präsidenten ähnlich harte Gespräche geführt hatte, interessierte niemanden. Auch dass ichparallel zahllose Gesprächemit den Gegnern Assads führte, mit Kämpfern von Al Qaida, der FreienSyrischenArmeeundanderenRebellengruppen, interessiertekaumjemanden.DassselbstWillyBrandtseineOstpolitiknurgestaltenkonnte,weilermitdemerbarmungslosenLeonidBreschnewsprach,warfürmeineKritikerkeinRechtfertigungsgrund.

DerWestenteiltdieWeltinGutundBöseeinundhat–wieEx-US-PräsidentJimmyCarteresausdrückte–seitGeorgeW.BusheinegeradezufundamentalistischeAbneigunggegenüberGesprächenmitFeinden.Carterschriebdas,nachdemihmGeorgeW.Bush2005einenbereitsvereinbartenBesuchinDamaskusverboten hatte.Die »Achse desGuten« spricht nichtmit der »Achse desBösen«.Wer es dennoch tut,mussmitgesellschaftlichenSanktionenrechnen.So schrieb mir die Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, Ende Juni 2014 im Bewusstsein hoher

moralischerÜberlegenheit: »LieberHerr Todenhöfer, die taz wird Ihr Textangebot nicht drucken.MiteinersehrgroßenMehrheithatsichdieRedaktiondagegenausgesprochen,AngebotevonIhnenindertazzuveröffentlichen.DabeigehtesnichtumIhreinhaltlicheradikal-pazifistischeThese,sondernumSiealsAutoren,darumalso,wieSiesichindenvergangenendreiJahrenimmerwiederzuAssadundzumThemaVölkermord positioniert haben. Ich respektiere dieseEinschätzungmeinerRedaktion.Mit freundlichenGrüßen!InesPohltazChefredakteurin.«SollteichaufeinensolchpharisäerhaftenBriefantworten?Ichhabegeantwortet,weilichdieHoffnung

nichtaufgebe,dassderverhandlungsfeindlichemoralischeMainstreaminDeutschlandumdenkt.Dassererkennt, dass auch imVerhältnis zuDiktatorenVerhandlungen immer besser sind alsKriege.Dasswirgerade mit unseren Feinden sprechen müssen. Dass unsere Welt sonst im Chaos endloser Kriegeuntergehenwird.Alsoschriebich:»LiebeFrauPohl,ichstaune.Alsjemand,dermehrfachumdiehalbeWelt gereist ist und mit mehreren Regierungen sowie Oppositionsbewegungen gesprochen hat, ummitzuhelfen, eine Friedenslösung für Syrien zu finden. Der Zigtausende Euros ausgegeben hat, um 50kleinensyrischenKriegsopfernProthesenzufinanzieren.DerjedenMonatfürdenLebensunterhalteinerFamilie aus Homs sorgt, die ihren Ernährer durch die Sicherheitskräfte Assads verloren hat. DerdeswegenvompolitischenGeheimdienstSyrienswiederalsStaatsfeindgeführtwirdundbisaufWeiteresauch kein Visum mehr bekommt. Bei so viel Selbstgerechtigkeit der ›sehr großen Mehrheit‹ IhrerRedaktionbleibtmirnur fassungslosesStaunen.EsmusseingutesGefühl sein, ineinemklimatisiertenBüro einen solch herabsetzenden Brief zu schreiben. Gratulation! Ich wollte schon immer mal echteHeldenkennenlernen.Jetztweißich,wosiezufindensind.StaunendausMünchenIhrJT.

DasNaserümpfenmancherMedienundderdeutschenOberklassehatmichniegestört.AuchnichtdiesichhäufendenMorddrohungen.AufdemHöhepunktderSyrien-Diskussion,diederverstorbenePeterScholl-LatouralshemmungsloseKampagneundsystematischeHetzegeißelte,hingeinesTageseinprofessionellgeknüpfterGalgenstrickmitgeöffneterSchlingeamEingangmeinesBüros.EineAnhängerindersyrischenRebellenschriebaufFacebook:»JürgenHodenköter istvomMossadbezahlt!!!ToddemHöfer!!!«Ein

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Soldat schrieb: »So ein Arschloch. Oberst Klein hat über 100 Arschlöcher weggeputzt und deutscheSoldaten gerettet.Hoffentlich zerreißt es denTodenhöfer bei einemSelbstmordanschlag!!!«Neben derisraelischen Nationalflagge stand: »Gott erhalte Todenhöfer. Möglichst bald.« Ein radikaler Muslimwütete:»DuSchwein,DugenießtinunserenLändernvollstesVertrauenundverkaufstunsandieAmis…SiewerdennichtaneinemnormalenTodsterben.«Einanderer:»Dusollstnicht leben!«DerNächste:»Kopf ab, Herr Doofenhöfer!!!« Und ein gekränkter Linksradikaler: »Ich stech dich ab, duDreckschwein.«Alles,was ichweiß, ist, dass ichmich nicht nach diesenLeuten richten darf.DassmeinDrang, dieWahrheitherauszubekommen,vielzugroßist.Undauchwichtiger.

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IV

FahrtandieIS-Front

Sehr frühhatte ichdaraufhingewiesen,dassdieWaffenlieferungenSaudi-ArabiensundKatarszueinerRadikalisierung des Aufstands in Syrien geführt hatten. Den friedlichen, nach Demokratie strebendenDemonstranten in Tunesien und Ägypten hatte meine ganze Sympathie gegolten. Doch der Traum derfriedlichenDemonstrantenSyrienswarzuEnde,alseinTeilvonihnenWaffenerhieltundeinsetzte.Abdiesem Zeitpunkt übernahm ein anderer Menschentyp die Führung des Aufstands. Die friedlichenDemonstrantenwurdenbeiseitegedrängtundzogensichzurück.Die bewaffneten Rebelleneinheiten radikalisierten sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Der

französischePhilosophAndréGlucksmannsagteeinst imSpiegel: »TerroristischeMethodenhabendieZiele fast allermodernenBefreiungsbewegungen vergiftet, vonAlgerien bisVietnam.Wenn dieMittelfurchtbarwerden,zerstörensiediebestenZiele.«ImmerstärkerschobensichTerrororganisationenindenVordergrund. Zuerst die Al Qaida nahestehende Jabhat Al Nusra, dann der ursprünglich aus dem Irakstammende,häufigumbenannteISI,ISIS,ISIL,IS.Meine ständigenHinweise auf das unaufhaltsameErstarken terroristischerOrganisationenwurden in

Deutschland als Verschwörungstheorie abgetan. Ich wollte angeblich die gemäßigten Rebellendiskreditieren. Aber selbst Führer der in den Augen desWestens moderaten Freien Syrischen Armeeberichtetenmir,dassihreKämpferinScharenzudenExtremistenüberliefen.WeilJabhatAlNusraundISISbesserzahltenundtodesmutigerkämpften.DerWestenweigertesich,dieseEntwicklungzurKenntniszunehmen.AlsichderamerikanischenRegierungimMai2013dieBereitschaftAssadsübermittelte,aufderBasisderGegenseitigkeit Informationenüber terroristischeOrganisationeninSyrienauszutauschen,lehntendieUSAab.»MitdemKerlredenwirnicht«,lauteteihrekindlicheAntwort,obwohlGesprächemitderRegierunggarnichtnötiggewesenwären.EindramatischerFehler.Christen,Schiiten, Jesiden,dieganzeWeltmusstedafüreinenhohen,blutigenPreisbezahlen.DerSiegeszugdesIShatdieUSA,dieüberdenTerrorismusinSyriennichtinformiertwerdenwollten,völligüberrascht.

Als im Juni 2014 weniger als 400 IS-Kämpfer im überwiegend sunnitischenMosul 20000 schiitisch-irakischeSoldatenundTausendePolizistenindieFluchtschlugen,beschlossich,Mosulzubesuchen.IchkanntedieZweimillionenstadtvonfrüherenReisenundkonntemirdenErfolgder IS-KämpfergegendiemodernausgerüsteteirakischeArmeenichterklären.IchriefsunnitischeFreundeausMosulanundfragte,obsiemich indievom ISeroberteStadtschleusenkönnten.»KeineChance«, lautete ihreAntwort.SiewarengeradeausMosulgeflohenundtrautensichnichtmehrzurück.Ich riefMitglieder des gemäßigten »SunnitischenWiderstands« an, der erfolgreich erst gegenBushs

Truppen und dann zäh gegen die schiitisch-irakischeMaliki-Regierung gekämpft hatte. Doch auch sieweigertensich,michnachMosulzubringen.DieFurchtvordemISwarzugroß,obwohlder»SunnitischeWiderstand«behauptete,inundumMosul20000KämpferunterWaffenzuhaben.AngeblichhattensiemitihrenKalaschnikows keineChance gegen diemodernenWaffen des IS, die dieser von den geflohenenirakischenDivisionenerbeutethatte.DieLagewarziemlichunübersichtlich.UmLicht indiesesDunkelzubringen,flogichmitmeinemSohnFredericnachErbil,derHauptstadt

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derAutonomenRegionKurdistanimIrak.DieStadtliegt90KilometeröstlichvonMosul.DochauchinErbil, wo wir uns mit hochrangigen Kurden, geflohenen Bürgern von Mosul und Mitgliedern des»Sunnitischen Widerstands« trafen, war niemand bereit, uns in die neue IS-Hochburg zu lotsen. Wirbeschlossendaher,ersteinmalzweiFlüchtlingslagerzubesuchenunddannnachGwerzufahren,wodieFrontzwischendenkurdischenPeschmergaunddemISverlief.Gwerliegt60KilometersüdwestlichvonErbil.Wirschriebenden20.August2014.DieAußentemperaturlagbei43Grad.DieLuftwarangenehmtrocken.

ImerstenLager,daswirbesuchen, sind rund3000Menschen inUNHCR-Zeltenuntergebracht.Sunniten,Schiiten,Jesiden.Esfehltanallem.Dochkeinerklagt,obwohlesnureinmalamTagetwaszuessengibt.Wir sehen selbst gegrabene Abwassergräben, Kleidung waschende Frauen, spielende Kinder. Alleversuchen,dasBesteausihrerLagezumachen.Jederhatetwaszutun.DasLebengehtweiter,egal,wieschweresist.Siehabenalleshintersichgelassen,allesaufgegeben.TeilweisehabensieSchrecklicheserlebt.Werweiß,wannundobsiejemalsnachHausezurückkehrenwerden.DiemeistenvonihnensindausMosulgeflüchtet,dasjetztvomISbesetztist.Solangesichnichtsändert,werdensiehierbleiben.Als wir gehen wollen, sehe ich Kinder, die mit einer leeren Plastikflasche Fußball spielen.

StraßenfußballamEndederWelt,denkeich.SekundenspäterbinichmittenimGetümmelundversuchedieFlaschezuergattern,umsieeinpaarMeterweiterzuschießen.Oderzudribbeln.ImmermehrKindermachenmit.EndlichspieltmaleinErwachsenermitihnen.UndauchnocheinAusländer!FredericerzählteinpaarJungs,die ihnneugierigumringen,dasswirausDeutschlandkommen.»Oh!

Almanya!WorldChampion,Weltmeister!«FredericunddieJungsklatschensichab.DannsiehtFrederic,dass einer der Jungs ein Italien-Trikot trägt.Eigentlichmüsse er jetzt einDeutschland-Trikot anziehen,lachtFrederic.MiteinemItalien-Trikotkönneersichnichtmehrsehenlassen.DochFredericweiß,dassdieKinderhierganzandereSorgenhaben.NacheinerViertelstundebinichnassgeschwitzt.Trotzdemhabendie15MinutenFußballmirgutgetan.

Wir brechen auf. Während wir im Auto über Straßenfußball diskutieren, merke ich, dass ich meinenRucksackmitGeldundPassbeimFußballspielenimCampvergessenhabe.Wirkehrensofortum.Doch plötzlich kommt ein schwerer Sandsturm auf. Er wird immer dichter, bis wir schließlich gar

nichtsmehrsehen.AllesMöglichefliegtgegendasAuto.Steine,Erdbrocken,Dosen,Äste,Sand,Müll!Esknalltundrappeltminutenlang.WirpressenunsandieSitze,haltendieArmeschützendvorsGesicht.Die Gegenstände knallen so laut gegen die Autofenster, dass wir fürchten, die Scheiben brechen. Esbeginntzuhageln,aberdashörtmanbeialldemLärmkaum.WennunsjetztnurkeinentgegenkommendesFahrzeugrammt!Plötzlich ist alles vorbei.DieSicht istwieder klar, nur derRegenprasselt unablässig herunter.Die

Windschutzscheibe ist zersplittert.Vorsichtig fahrenwirzumCampzurück. ImströmendenRegensteigtFredericausundrennt insLager.DieTascheliegtnochimmerdort,woichsievergessenhabe.NebendemBolzplatz.Allesnochdrin.Glückgehabt.UndmitanständigenKindernFußballgespielt.Fredericistpitschnass.IchgebeihmmeineJacke.DaszweiteFlüchtlingslagerbefindetsich ineineraltenSchulegegenübereinerKirche.350Christen

sindhieruntergebracht,insgesamt72Familien.EssenundTrinkenwirdvonderKircheorganisiert.DieMenschensindglücklich,dasssiewenigstensetwasHilfeerhalten.DiemeistensindauchhierausMosulgeflüchtet. Wie die Schiiten, Sunniten, Jesiden, die wir im ersten Camp gesehen haben. NachbedrückendenGesprächenmachenwirunsaufdenWegnachGwer.ZurFront.Auf den Feldern neben der Landstraße sehen wir aufgeschüttete Erdwälle, primitive

VerteidigungsanlagengegendenIS.AneinemdervielenkurdischenMilitär-Checkpointsrätmanuns,nicht

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mehrweiterzufahren.DerISseinochinderGegend.EsgebevieleScharfschützen,besondersrechtsderStraße. Gwer sei von den Peschmerga-Truppen erst vor wenigen Tagen nach einem massiven US-Bombardementzurückerobertworden.DerISseinureinDorfweitergezogen.DiestrategischeLagehabesichnichtwirklichverändert.AmnächstenCheckpointwerdenwirerneutvordemISgewarnt.AberichsehenochimmerPkwsund

Lastkraftwagen auf den Straßen und bitte unseren Fahrer weiterzufahren. Doch urplötzlich sind dieStraßenleer.NurnochganzseltensehenwireinenLastwagen.UnserFahrerwirdimmersorgenvollerundstellteinemSoldatenamStraßenrandverzweifeltallemöglichenFragen.»Dürfenwirwirklichweiter?Istesnichtzugefährlich?WarumsehenwirkeineAutosmehr?WarumsinddieDörferwieausgestorben?WosinddieScharfschützen?«Ichkannmirvorstellen,wasihmdurchdenKopfgeht.Immerwiederatmetertiefdurch,umseineAngstzuüberwinden.Ich beschließe,mich nun strikt nach denAussagen der Soldaten an denCheckpoints zu richten.Die

sagen zu unsererÜberraschung: »Ihr kommt durch.«Doch nach einerWeile ist kein einziges Fahrzeugmehr auf derStraße zu sehen.Weit und breit niemand außer uns.Dawird auchmirmulmig. SindwirschonüberGwerhinausgefahrenundjenseitsderFront?GähnendeLeereaufderStraße,nurhierunddaeinpaareinzelneverlasseneHäuser.Rechtsvonuns,höchstenseinenoderzweiKilometerentfernt,sollsichdasneueLagerdesISbefinden.

Diehabenunsbestimmtgesehen.VielleichthaltensieunsjafürHändler.Hoffentlich!UnserFahrersagtwiederholt, dass er hier noch nie gewesen sei unddass erAngst habe.Dass er keinenFehlermachenwolle. Mit kleinen Späßen versucht Frederic ihn abzulenken. Irgendwo hier muss doch noch einCheckpointderPeschmergasein.SonsthätteunsderletzteKontrollpunktjanichtdurchgewunken.DochaufLogikkannmansichinKriegsgebietennichtverlassen.WannkommtdernächsteCheckpoint?Wannverdammt noch mal? Ich habe keine Lust, noch einmal wie in Libyen während des heiß umkämpftensogenanntenArabischenFrühlingsineinetödlicheFallezugeraten.Fredericschautmichimmerwiederfragendan.GottseiDanktauchenaufeinmalhundertMetervorunszweiPeschmergaauf.Wirfahrenaufsiezu.Sie

haltenuns ihreKalaschnikowvordieNase. Ich steigeaus,umdieSpannungabzubauenundzuzeigen,dasswirunbewaffnetsind.DienunetwasfreundlicherenPeschmergaberichten,dasssieden ISvoreinpaarTagenvonhiervertriebenhätten.DerISseijetztaufderanderenSeitedesZab.EinenKilometervonhier.EsgibteineBrückeüberdenFluss.Ein Auto, vollgestopft mit weiteren Peschmerga-Kämpfern, kommt angebraust. Am Steuer sitzt ein

betontcooler jungerKämpfermitTuchumdenKopfundgoldenerSonnenbrilleaufderNase. Ichsagefreundlich,dasswirgerneihreBasissehenwürden.UndsteigeeinfachzuihneninsAuto.Dasfunktioniertimmer.Auchhier.ImWagenistesengundunbequem.IchsitzeaufirgendwelchenHandfeuerwaffenundversuche,michmöglichstwenigzubewegen.MitquietschendenReifenfahrenwirlos.UnserFahrerausErbilundFredericfolgenimTaxi.WirfahreneinenHügelhochundsteigenaus.VonhierhatmaneineguteÜbersichtüberdasDorf,die

Brücke,denFlussunddasNachbardorf.Dort,woder ISStellungbezogenhat.Schnellversammeltsichdie ganzeKampftruppe umuns. Sie freuen sich, alswir uns vorstellen.Begeistert schütteln sie unsereHände.ZivilisierteJungs.Gutgenährtundsehrgepflegt.HabendiesesympathischenjungenMännergegendenspartanischenISeineChance?Einige der Peschmerga verschanzen sich mit ihren Kalaschnikows hinter einer Backsteinmauer und

bringenihreWaffenfotogeninRichtungderIS-StellungeninPosition.MartialischblickensieinRichtungFeinde. Geduldig warten sie darauf, dass Frederic sie fotografiert. Ich erzähle ihnen von meinemkurdischenFreundHüseyin,mitdemichjedenSamstaginMünchenFußballspiele.Ichfragesie,warum

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die 100000 stolzen,weltberühmtenPeschmergaHilfe derAmerikaner undEuropäer forderten und denKampfgegendenISnichteigenständigführenwollten.SieseienalsGuerillakämpferdocheineLegende.VerlegenesLächeln.»Was sollenwirmachen?WirhabennurdieseKalaschnikowsundkleineWaffen!DerIShatmodernsteWaffen.Undistverdammtstark.«Entschuldigendergänzensie:»WirhabenauchnochgarkeinenBefehlerhalten,den IS zuvertreiben.

Wenn unser Präsident uns denBefehl gebenwürde, den IS ausMosul zu vertreiben, dannwürdenwirkeineSekundezögern,sondernstolzundohneAngstindenKampfziehen.Undgewinnen!«DochauchdielegendärenPeschmergascheinenAngstvordem ISzuhaben.Wiediegesamte irakischeArmee.Die IS-Strategie,durchmittelalterlichbrutaleHinrichtungenFurchtundSchreckenzuverbreiten,wirkt.DerChefderPeschmergadeutetaufdasDorf jenseitsdesFlusses, indemsichder ISverschanzthat.

Der IS verhalte sich momentan ruhig. Angeblich, um keine weiteren Luftschläge der Amerikaner zuprovozieren. Doch präzise Luftschläge, die Zivilisten verschonen, seien schwer, wenn sich der Feindmitten unter der Dorfbevölkerung aufhalte. Das werde in Zukunft das Hauptproblem der US-Bombenschlägesein.VoralleminGroßstädtenwieMosul.NacheinerStundeverabschiedenwiruns.AufderanderenSeitedesFlusseswehtdieschwarzeFahne

desIS.

Zurück in Erbil, treffe ich mich mit Führungspersönlichkeiten aus dem Umfeld des Präsidenten derAutonomen Region Kurdistan. Sie berichten mir stolz, dass die Kurden ein Drittel des teilweisehochmodernen Kriegsgeräts erbeutet hätten, das die irakische Armee bei ihrer Flucht vor dem ISzurückgelassen hatte. Waffen im Wert von angeblich vier Milliarden US-Dollar. Ich frage, ob ihraufblühendes Land sich weitere Waffen nicht auf dem internationalen Schwarzmarkt kaufen könne.AmüsiertesLächeln.Natürlichkönnemandas.»AberwarumsolltenwirWaffenkaufen,wennwirsievondenEuropäerngeschenkt bekommen.Esmag seltsamklingen, aber der IS ist für uns einGeschenkdesHimmels.NochniewarenwirKurdenunserenpolitischenZielennäheralsheute.«KannmandenKurdenvorwerfen,dasssiedieSituationfürsichnutzen?

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V

ChatmitdemTerror

DerISbeherrschtezunehmenddieMedienderWelt.UndmeinDenken.SeitWochensaßichaneinemBuchüberdenSyrien-undIrakkonflikt.Doch ichkonntekeinausreichendauthentischesMaterialüberden ISfinden.WerwarendieseblutigenTerroristen,vordenenganzeArmeendavonliefen?Die ihregezieltenTötungenselbstanZivilistensadistischzelebrierten?SchonabJuni2014,vormeinerReisenachErbil,hatteichversucht,überdasInternetKontaktmitden

erklärtenFeindenunsererZivilisationaufzunehmen.VorallemdeutscheJihadisteninteressiertenmich.Ich bat meinen Sohn, mir bei der Recherche zu helfen. Hierzu war zähe Überzeugungsarbeit

erforderlich. Wir mussten davon ausgehen, dass jede unserer Aktionen im Internet von westlichenGeheimdiensten beobachtet würde. Und Frederic hatte keine Lust, morgens um fünf Uhr vomVerfassungsschutz aus dem Bett geholt zu werden. Obwohl alles, was wir taten, rechtmäßig war. EsbestandsogareinöffentlichesInteresse,mehrüberdiedeutschenJihadistenzuerfahren.AußerdemwarenFredericundichpublizistischtätig.FreddywarmeinwichtigsterMitarbeiter.Um mit offenen Karten zu spielen, informierte ich das Kanzleramt und ein einflussreiches

Kabinettsmitglied sowie den Chefredakteur der ARD, meinen Freund Thomas Baumann, über meineRecherchepläne. Allerdings ohne genauere Details zu nennen. Ich hatte keine Lust, auch noch als IS-Unterstützerdiffamiertzuwerden,daichschonalsAssad-Freundgalt.

Gleich am ersten Abend unserer Recherchen, am 9. Juni, fanden wir über 80 deutsche Jihadisten imInternet.SiebekamenvonFredericeinenBrief,denichinderNachtzuvorentworfenhatte.FredericfieldieAufgabezu,ihnzuüberarbeitenundzuunterschreiben:

Hallo…MeinNameistFredericTodenhöfer,undichschreibedirimAuftragmeinesVaters,JürgenTodenhöfer.WirhabendichhieraufFacebookgefunden,deineBeiträgegelesenundBildergesehen,worauswirschließen konnten, dass du dich in Syrien befindest. Ichweiß nicht, ob dumeinenVater oder seineArbeitkennst,abererhatsichindenletztenJahrenbemüht,einfairesBilddesIslamzuzeichnen.ErwarvorundwährenddesKriegesmehrmalsinSyrien.ErfindetdiesenKriegwiealleKriegefurchtbar.AberergibtnichtnureinerSeitedieSchuld.Erfindet,dasseskeineanständigenKriegegibt.Erhatdas in vielen Kriegen erfahren müssen. Beginnend mit dem Freiheitskrieg der Algerier in denSechzigerjahren.InSyrienhatermitMitgliedernallernennenswertenRebellengruppenGesprächegeführt.Auchmit

AlQaida-nahenGruppen.UndauchmitderRegierung.ErsprichtinallenKonfliktenimmermitbeidenSeiten. Daher würde er sich gerne auch mit dir oder deinen Freunden unterhalten. Er möchte eureMotivekennenlernen.Grüße,Frederic.

15derAngeschriebenenantworteten.DiemeistenderanschließendenChatsundSkype-Telefonatewarennurkurz.ImmerwiederbrachdieVerbindungab.DieGesprächspartnerbliebenmisstrauisch.MitzweiGesprächspartnernkonntenwirmehrereMonatekommunizieren.Ihnenwarklar,dassichihrepolitische

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HaltungundihrbrutalesHandelnmissbilligte.TrotzdemschienensieeinstarkesInteressedaranzuhaben,ihreSichtderDingemitzuteilen.DieSkype-Unterhaltungenwarentechnischausgesprochenmühsam,weildieInternetverbindungmeistschlechtwar.NachvielenunserermehrstündigenSkype-Telefonatehatteichhöllische Kopfschmerzen. Nicht nur wegen der technischen Schwierigkeiten, auch wegen des InhaltsunsererGespräche.

Salim

Salim,soseinKampfname,isteineinfacher,fastgutmütigwirkender30-jährigerJihadistausFrankfurt.Er kämpfte, als unserKontaktEnde Juli abbrach, für die überwiegend ausländische Jihadisten-GruppeJundAl Aqsa. Davor war er Kämpfer von Jabhat Al Nusra und des IS. Vom IS distanziert er sich inunseremInterviewdeutlich.EristeinJungevollerWidersprüche.InDeutschlandhater,wieersagt,vielMist gebaut. Den will er in Syrien wiedergutmachen, indem er »Muslime gegen das Assad-Regimeverteidigt«.Erwill»einguterMenschwerden«.Fredericundichhabenoftdarüberdiskutiert,obwirihnnichtüberredenkönntenaufzuhörenundwoanderseinnormalesLebenaufzubauen.DochdaderKontaktEnde Juli auf einmal völlig abbrach und er seither auch nicht mehr online war, müssen wir davonausgehen,dasserentwedertotistodergefangengenommenwurde.DasfolgendeGesprächvom19.Juni2014istgekürzt:

Salim: Ichbinhierhergekommen,weil ichdavonüberzeugtbin. Ichweiß,dass icheinesTagessterbenwerde.Esgibtkeinen,derleugnenkann,dasseinesTagesderliebeGottmitihmabrechnenwird.Ichbinvon dem,was ich hier tue, überzeugt.Wegenmeiner Religion. Unabhängig davon, ob sie die richtigeReligion ist.Denn jederbehauptet javonsich,erhabedie richtigeReligion.DerChristsagt,dassdasChristentum die wahre Religion ist. Der Jude behauptet, das Judentum sei die wahre Religion. DerMuslim behauptet dasselbe von seiner Religion. Wenn er das nicht behaupten würde, wäre er keinMuslim.IchbineinFundamentalist,weilmeinFundamentderKoranist.Ichversuchesogutwiemöglich,demliebenGottnachdemKoranzudienen.WennSiealsJournalistversuchen,dieWahrheitdiesesKriegesansLichtzubringen,werdenSienicht

erfolgreich sein. Politik beruht auf Lügen. Diese ganze Demokratie ist ein Schwindel. Sie beruht aufLügen.JederversuchtfürseineneigenenNutzenzulügen.WennSieversuchen,dieWahrheitüberunszuschreiben, kommen schwere Zeiten auf Sie zu. Jeder weiß doch, dass das syrische Regime einverbrecherischesRegimeist.Dasamerikanischeaberauch.DieDeutschensindbereit,nachAfghanistanzugehen,nachKunduzzugehenundsonstwas.Aberhieristkeinerbereitzuhelfen.JederKämpfer,derhierherkommt,istfüreuchgleicheinSalafist.Jeder,derkommt,umzukämpfen,umseineBrüder,umdenIslamundseineWertezuverteidigen.WirsagenimIslam:AlleMuslimesindBrüder.IchwürdegenausofürSiesterben,wennSieMuslimwären.EsmachtfürmichkeinenUnterschied,obichSiekenneodernicht.AbersobaldeinMuslimseingemütlichesZuhauseverlässtundfürAllahkämpft,isterfüreucheinTerrorist.SobaldeinAmerikanerodereinDeutscherinderBundeswehrdasselbemacht,istereinHeld.WennSiedasoffenschreiben,werdenSienichterfolgreichsein.

JT:MirgehtesnichtumErfolg.Ichversuche,dieWahrheitherauszufinden.

IchwollteeigentlichnachAfghanistangehen. Ichbinnurzufällighiergelandet. Ichwarschonaufdempakistanischen Konsulat wegen eines Visums. Leider hat das nicht funktioniert. Wenn ich heute dieMöglichkeit hätte, würde ich sofort nach Afghanistan gehen. Ich träume davon. Ich habe da einigeFreunde. Ich glaube, dass dieMenschen inAfghanistan besser organisiert und freundlicher sind als in

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Syrien.DiemögenunsAusländerhiernicht.IchsagIhnenganzehrlich:Ichhabemichgefragt,hm,warumschreibtihrmirjetzt?Warumwillderein

Interviewhaben?IchwarZeuge,wiedasdannläuft.IchwardamalsinFrankfurtundkennedieseganzenLeute.PierreVogelundalle,dieirgendwieVorträgehalten.ImmerwennirgendeinFernsehteamkamodereineZeitung,habensieetwaserzählt.DochdieMedienhabenallesverdreht.DieWörterwurdendenenimMundumgedreht.DaswurdedanninsFernsehengebracht,unddazueineHorrormusikinszeniert.Allesnur,damitdieLeuteeinschlechtesBildvomIslambekamen.PierreVogel,derehemaligeBoxer,istjetztja Salafist! Der hatte noch nicht mal irgendwas Schlimmes gesagt. Aber die Medien sind daraninteressiert,dassderIslameinschlechtesBildabgibt.GenaudasistauchmeineSorge,dassihrmitmireinInterviewmacht,dasdannzusammenschneidet,unddannheißtes:DerSalimmachtjetztdenJihad,ertötetundso.Dasistdochimmerso.

Ichhabenichtvor,das,wasSiesagen,zuverdrehen.

WashaltenSievondieserganzenIslamhetze?DieMuslimesindimmeranallemSchuld.SindSalafistenschlechteMenschen?

HabenSiemeinVideo»FeindbildIslam«gesehen?

Ichkonnteesnichtöffnen.Dasisthiernichtso,alshättemanechtfreiesInternet.Mankauftsichhier50Megabytefürdrei,vierEuroodersowas.UndmitsoeinemVideoistdasnatürlichruckzuckzuEnde.

Okay.IchstelledanneinfacheinpaarFragen.WarumgibteseigentlichkeinenJihadinSaudi-Arabien?

Weil es Saudi-Arabien nicht gibt, sondern nur Saudi-Amerika.Außerdemmachenwir Jihad nur dann,wennMuslimeangegriffenwerden.DasistinSaudi-ArabiennichtderFall.Allerdingsgibtesdortkeinerichtige Shariah.Wenn dort die Shariah herrschen würde, würde es keine Bordelle geben und keinenAlkohol.

ShariahinSaudi-ArabienalsonurfürdenkleinenMann?

Genau.Daszeigt,dassderKönigvonSaudi-ArabieneigentlichgarnichtsmitIslamzutunhat.Trotzdem:DieMuslimedortsindzufriedenmitdem,wasdapassiert.VielekennendenIslamauchgarnicht,obwohlsie in Mekka oder Medina leben. Aber sie werden nicht unterdrückt. Keiner wird einfach sofestgenommen,wegenseinemBartgeschlagenoderinsGefängnisgeworfen,weiler»LailahaillaAllah«sagt.HierinSyrienpassiertdas.DennhierbestehtdieMehrheitausAlawitenundSchiiten.DieSunnitenwerdenvonBasharAlAssad,derAlawitist,unterdrückt.DamalsgabesDemonstrationeninDaraa.UndwiehatAssad,wiehatdasRegimegeantwortet?DirektmitFeuer.Sohatdasangefangen.ZuerstwardieFSA,die»FreieSyrischeArmee«,da.DaswarendieErsten,diehierJihadgemachthaben.DiehabenmitPumpguns und einfachen Gewehren gekämpft. Dann kam ziemlich früh Al Qaida, und der Jihad hatangefangen. Al Qaida hatWaffen hergebracht, Jabhat Al Nusra ist entstanden. Ahrar Al Sham, dieseganzenGruppensinddannentstanden.SoistderJihadinsLaufengekommen.Ichbinhierhergekommen,weilichversuche,jetztdenwahrenIslamzupraktizieren.Weilichüberzeugt

bin,dass,wennichsterbe,derliebeGottmitmirabrechnenwird.Erwirdmichfragen:Hastdugelogen?Hastdugetrunken?Hastdubetrogenundanderezusammengeschlagen? Ichversuchedeshalb jetztganzeinfach,einbessererMenschzusein.WennMuslimeangegriffenwerden,istderJihadfürjedenMuslimPflicht.

Wiekommtes,dassJabhatAlNusraundISISsoplötzlichaufgetauchtsind?

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Ichbinnichtwirklichintelligent.DieKöpfedieserOrganisationenhabenvieleZiele.MancheverfolgendasZielGeldundverkaufenWaffen.Fürdieistesgut,dassKriegist.SiemachengutesGeld.Manchewollen einen Staat gründen, damit sie später regieren können.Das alles ist nichtmeinDing. Ich denkeinfach nur, wie kann ich meinen Bruder im Islam und meine Schwester im Islam und ihre KinderbeschützenundeinbessererMenschwerden.

GlaubenSie,dassAlQaidahinterdenKulissenetwasmitderAssad-Regierungzutunhat?GibtesdaKontakte,wiemanchebehaupten?

Assad kann Al Qaida niemals, unter keinen Umständen gegründet haben, denn Al Qaida ist so alt.GenausowiederVorstandvonAlQaidaunddieLeute,diedadrinsind…

UndISIS?

Es gibtLeute, die behaupten, dass der ISmit derRegierung arbeitet.Der Führer des IS, Al Baghdadi,bekämpftandauerndMuslime,behältdieganzeKriegsbeuteundmachteinesuperguteWerbung.DiehabenunglaublichvielGeld,abersiemachennurMist.HabendenJihadnichtverstanden,habendieKulturderMuslimenichtverstanden.Diewissennicht,dassmandenLeutenZeitlassenmuss.Diehaben40Jahrelanggeraucht,und jetztkommendie IS-Leutehierher,bekämpfen jeden,der raucht, schneiden ihnendieHändeabundweißichnichtwas.Dasgehtnicht!DasistnichtIslam.DieDeutschen,diehierherkommen,sindtotalaufgehetzt.Diefreuensichunddenken, IS,dasist jetztIslam.DabeihabensiegarnichtsvomIslam verstanden. Die wissen nicht, dass der Islam auch Liebe, auch Weisheit ist. Ich kann einemMenschen, der raucht, seine Zigaretten nicht auf einmal wegnehmen. Er hat vielleicht 40 Jahre langgeraucht. Ichmuss ihndazubringen,dass er anfängt,dieseZigarettenzuhassen,dass er anfängt,dieseZigarettenzulassen.NichtweilerAngstvormirhat,sondernweilerAngsthatvorAllah,seinemHerrn,seinemSchöpfer.

WarumgehendiemeistenDeutschenunddiemeisteninternationalenJihadiszumIS?

WeilISimMedienbereichsostarkistmitWerbungundmitAufrufen.SiesindindiesemBereicheinfachunschlagbar.AußerdemsinddieLeutenaivundgeblendetvondiesenschwarzenFlaggenund»LailahaillaAllah«.Alle tragenBartundvertreteneinehundertzehnprozentigeShariah.Aberalle liegen falsch.AlsAllererstesmussmandenFeindbekämpfen.MankannnichtdieBürgerbekämpfen,bevormannichtdenFeind besiegt hat.EinKalifat hat Pflichten.Das ist das,was dieseLeute nichtwissen.Die seheneinfachnurBart,Bart,Bartunddenken:Wow,Shariah,Shariah.WirsindmitunsererFahneaufjedenFallaufderrichtigenSchiene.Dochsieirren.Manmuss,bevormaneinenMenschenbestrafenkann,ihmerstmaletwasgegebenhaben.Ichkanndochnichthingehen,einKindbestrafen,wennichgarnichtderjenigebin,derdiesesKindversorgt,ihmEssengibt.WennichseinVaterbinundmeinSohnmachtFehler,kannichmeinenSohnstrafen.Dennichbinderjenige,derihnerzieht.Ichbinderjenige,derihmdieKleidung,seinEssen,seinallesgibt,ihmSchutzbietet.AberwennIhrSohnschlechtinderSchuleist,kannichdochnichteinfachkommenundihnschlagen.IchbindochnichtseinVater.IchgebeihmnichtseinEssen,ichgebeihmkeinenSchutz,nichts.DerISgibtdenLeutennichts!DieunterdrückendieBürgermehralsdenFeind.Alsichanfangsbeiihnenwar,habichihnendasallesgesagt.

UndwashabendievomISdazugesagt?

Diesindblind,diesehengarnichts.DiesehennurShariah,Shariah,Shariah.Diehabenimmerrecht,undjeder,dernichtmitihnenistundmitBaghdadi,hatunrecht.Denkensie.

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BaghdadisaßdochdamalsbeidenAmerikanernimIrakimGefängnis.

Richtig.ImIrakhatderISnachdemKrieg2003dochauchnichtsgeschafft.Diewurdenrausgekicktausdem Irak,weil sie nichts erreicht hatten. Sie sind hierher nachSyrien gekommenundhabenden Jihadkaputtgemacht.Diehabenunsgespalten,anstattunsallezusammenzubringen.JabhatAlNusrahattehiersoeinenErfolggehabt,diewarensoerfolgreich.SiehabenvieleGebietevonderRegierungbefreit.Dasswirjetzthierrumlaufenkönnen,essenkönnen,alldieseSachen,dashatallesJabhatAlNusraerreichtundJaishAlHorundAhrarAlShamundandereGruppen.

SiesindjarichtigsaueraufdenIS.

Ich versteh nicht viel, aber ich versuchemeinenVerstand zu benutzen. Ich versuche die Sachen genauanzuschauen.Ichgucknichtnuroberflächlich.Wennichmiteinemzusammenarbeite,versucheich,ihnzuverstehen.WassindseineZiele,warummachterdieseSache?Machterdas,weilerGeldhabenwill,weilerKriegsbeutewill,weilerWaffenverkaufenwill?MitÖlodermitBenzinGeschäftemachenwill?WassindseineZiele? Ichbinhier,umdieMenschenvondiesemunterdrückerischenAssad-Regimezubefreien.DasistJihad.Undwerdabeistirbt,isteinMärtyrer.AberdiemeistenLeute,diebeiISsterben,sterben im Kampf gegen Jabhat Al Nusra. Das ist doch Wahnsinn. Fragen Sie hier ganz normaleJugendliche,normaleAraber,dienichtsmitdieserRevolutionzutunhaben,dieeinfachnurFlüchtlingesind.KeinervondenenfindetdenISgut.

WaswillderIS?

DerISwilldiePower,diewolleneinenStaatgründen.AlBaghdadihatseineeigenenInteressen.DerhatnurMistgebaut.DeshalbsolltenSiealsJournalistdringendhierherkommenundeineReportagemachen.SiewürdendieLeutesokrassaufweckenundaufrütteln,unddieSachewürdemeinerMeinungnachsorichtigeinschlagen.Natürlichnur,wenndasdeutscheFernsehendieSacheauchausstrahlenwürde.WennSiehierherkommenunddiewahrenMujaheddinkennenlernenwürden,dannwürdenSiedieseMenschennichtmehrTerroristennennen.DiewahrenMujaheddin,dieverfolgennurdasZiel,MenschenzuschützenundihnenihrRechtzugeben.

Ja,aberdurchKrieg.SiehabenbestimmtdochauchschonvieleLeutetötenmüssen.

Ja,klar,aberSiesagtenesjaebenschon,esistKrieg.

WieistKriegfürSie?

Tötenist…ImKampfdenkenSienichtvielnach.SiedenkennuranIhreigenesLebenundfunktionieren.SiebekommeneinenTunnelblick.WennSieaufeineOperationrausgehenunddasRegimestehtvorIhnen,unddieknallenaufSieein,mitHubschraubern,mitFlugzeugen,mitPanzernundallem–undSiemitIhrerlächerlichenKalaschnikowversuchenzukämpfen.IndiesemMomentdenkenSienichtnach.SiesindsobeschäftigtmitIhremLeben,IhremTodunddenGeräuschen.SiehabenAngst.MeineAngstistnicht,dassichsterbe.Dennalhamdulillah,inschallah,wennmeineAbsichtreinist,dannsterbeichfürAllah.WennmaneineSachemacht,mussmansiefürAllahmachen,undnicht,damitdieLeutesagen,duwarststarkundduwarstmutig.DannistdieSachenichtswert.WereineSachenichtwirklichnurfürAllahmacht,derkommtindieHölle.DerMujahedhatfürGottundnichtfürsichzukämpfen.AufjedenFallistmanerstmalbeschäftigtmitsichselbstundmitdenBomben.ManhatAngst.Meine

Angstistnichtzusterben,meineAngstist,dassichverletztwerdeunddanneineschlechteBehandlungkriege, oder dass ich einenArm verliere oder sonstwas.Dann kann ich nichtmehr kämpfen.Das ist

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meineAngst.Dann schießtman, tötet auch vielleicht.Manche töten nicht,manche töten. Es ist nicht ganz einfach,

einenimKriegzutöten.Deranderekämpftjaauch.Nehmenwireinmalan,wirwolleneinenCheckpointstürmen.Bevorwir diesenCheckpoint stürmen, beschießenwir ihn stark.Aus 500Metern.Mit allemZeug, was wir haben, bombardieren wir diesen Checkpoint. So kommen wir Schritt für Schritt demCheckpointnäher.BiswirzudemCheckpointkommen,habenwirschonsovielgebombt,dassdasHaussowiesokaputtist.Wirhabensovielplattgemacht,daweißerstmalkeinergenau,werwenumgebrachthat.JederhataufdasHausgefeuert.Manweißnurdanngenau,dassmanjemandengetötethat,wennmanspezielle Operationen durchführt. Wie zum Beispiel Häuser stürmen oder sich in Checkpointseinschleichen,Sprengsätzeanbringen, sich rausschleichenodersolcheSachen. ImnormalenKriegkannkeiner sagen, ich hab einen getötet, denn meistens schießt man aus der Distanz. Keiner kannhundertprozentigsagen,wievieleerschongetötethat,esseidenn,eristineinerSpezialgruppeundmachtSpezialoperationen.Meistsitzenwirhierundschießen500Meter,600Meterweit,jederschießt.Irgendwannmalsindvon

unseinpaartotundvondeneneinpaartot.Aberkeinerweiß,werwenumgebrachthat.WennwirspäterdenPlatzübernehmen,liegensovieleToteda.Keinerkannsagen,ichhabedenumgebracht,esseidenn,eristeinScharfschütze,odererwarsehrnahamFeind.VerstehenSie,wasichmeine?

WievielehabenSieschätzungsweiseumgebracht?

Ichbin,wiegesagt,keintollerKerl,keintollerMujahed.Siesindganzschönneugierig.

Dasstimmt.

Zahlensindunwichtig.Wenn ich jemandengetötethabe,dannnur,weilerMuslimebekämpfthat,michodermeineBrüdertötenwollte.Natürlich,dieserMenschhatauchFamilie.ErhataucheineMutter,dieweint. Er hat vielleicht auchKinder und eineFrau, die jetztWitwe ist.Aber es ist nunmalKrieg. IndiesemFallmussman auchmal ein bisschen egoistisch sein.Natürlich, dasBestewäre,wennwir inFriedenzusammenlebenkönnten.DaswäredasBeste.IchhasseKrieg,undichhassedieseSachen.IchsagIhnenganzehrlich,ichhabsogarEkel.Ichhabe

einenEkelnachdemKampf,nachdemKrieg.DeineSchuhesindvollerBlut.DulatschstdaimBlutrum.Du übernimmst diesen Checkpoint und nimmst den Toten ihre Waffen ab, ihre Magazine, ziehst ihreKampfweste aus. Das ist ekelhaft. Ich habe zum Beispiel einen Schuh, der ist voll von Blut, das istwiderlich. Das ist in deinen Fingernägeln drinnen, zwischen den Fingern und den Händen. Ich bineigentlich ein ziemlich gepflegter Kerl. Ich hasse so was, ich hasse Unordentlichkeit, und ich hasseSchmutzundschlechteGerücheundsolcheSachen.DasistallesnichtmeinDing.Wassollichsagen?IchbinnichtirgendwiegeilaufTöten.AuchbeimBoxen. Ichhabefrühergeboxtundgerungen. IchwarniederTyp,derviel ringenwollte.

Dennichwollteirgendwienicht,dassderanderemichjetztvollschwitzt.IcheklemichvordemSchweißdesanderen.Deswegenhabeichimmerversucht,ihnsoschnellwiemöglichk.o.zuhauenundihnnichtso nah an mich ranzulassen. Ich wollte nicht von dem vollgeschwitzt und vollgesabbert werden. Ambestenwärees,wennwirhierohneKrieglebenkönnten.ImKriegtötetmanhaltoft.

SiehörensichmanchmalnichtgeradewieeinkaltblütigerMörderan.

Binichauchgarnicht.Ichbineiner,dervordemSchlafengehenmanchmalweint.

WievielehabenSieumgebracht?10,20,50?

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50habeichniemalsumgebracht.DawärichjaRambo.IchbinauchkeinScharfschütze.IchhabeeinenKollegen,der tötetandauernd.Andauernd,andauernd. Ichwürdedamitgarnichtklarkommen.Dersitztvollgemütlichda,zieltaufeinenMenschen,drücktabund–wumm–haterdiesemMenschendasLebengenommen.WissenSie,wasichmeine?IchbineinnormalerFighter,ichkämpfemitRPG,alsomitBazooka,mitAK-47,miteinerganznormalen

Kalaschnikow.DieseKalaschnikowschießtmaximal700bis800Meterweit.AbdaistderSchussnichtmehrtödlich.EinSniperodereinPanzerschütze,dietötenganzviele.WennderPanzerschützedraufhält,dafälltdasganzeHauszusammen.

SehenSieauchoftUnschuldigesterben?

Nein.WeilwirkeineBürgerbeschießen.Wirkämpfennurgegendie,diewirimKrieg,inderSchlachttreffen.WirgehennichtirgendwieineinHausrein,sagen,deristAlawitoderSchiit,undbringenihnum.Trotzdemistjeder,dersichamKriegbeteiligt,schuldig.Ichbinauchschuldig.Wennichtöte,binich

schuldig.DennichhabedieWahlmitzugehenodernichtmitzugehen.IchhabedieWahlzukämpfenodernichtzukämpfen.IchhabedieWahl, indieTürkeioder ineinanderesLandzugehen,mireinenneuenPassmachenzulassenundeinneuesLebenzuführen.AberichhabenochnieeinenUnschuldigengetötet.Ichhabeniegesagt:»Hey, jetzt stürmichmaleinHausund töteeinKindodereineFrauundso.«NurCheckpoints,KasernendesFeindes,ebenKrieg.

AberdieSoldatensindjaauchnichtalleAuftragskiller.DassindJungswieSie.DahatdieFamiliegesagt,dugehstzumMilitär.UndesgibtjaMütteraufallenSeiten.

Ja,eben.Deswegensagichdoch,tötenistnichtschön.WeileraucheineMutterhat,dieweint,eineFrauundKinder, die er hinterlässt.Aberwiegesagt, es ist haltKrieg.DasBestewäre,wennkeineMutterweint,wennkeinerweint.WennkeineFraudeshalballeineseinmuss.

Malangenommen,esgäbemorgendieMöglichkeiteinerfriedlichenLösung.WärenSieundLeute,dieSiekennen,bereitzusagen:»WirakzeptierendieLösung,wenneseinehrlicher,fairerFriedenwird«?Akzeptiertihrdasdann?WannistSchluss?Siewissen,dassesauchGegendeninSyriengibt,woAssadvielUnterstützunghat.Was,wennallezusammenkommenundsicheinigenwürden?

DawürdederKrieggleichwiederanfangen.DennallehabenandereAnsichten.EinigeMenschenwollenwirklichFrieden.DiehabenkeineAhnungvomIslam,dieinteressiertesnicht,obhierDemokratieoderShariahherrschtodersonstwas.DiewolleneinfachnurinFriedenleben.Dasverstehichauch.Dasistder Instinkt desMenschen, erwill leben, überleben.DerMenschmacht alles, um zu überleben.Aberwennwirunsjetzt,wieSiesagten,einigenwürdenundesFriedengibt,wäreichvielleichteinverstanden.Aber!DieIslamistenwärenvielleichtnichteinverstanden,denndieserFriedenwürdeaufdenInteressenderAndersgläubigenberuhen.UndeinMuslimstrebtnatürlichdanach,nachderShariah, imKalifat zuleben.DieAmerikaner,dieNATOunddieEU,wasistihreAngst?DieShariah.WeileinegerechteShariahstarkist.

AberinSyrienistesjanichtso,dassalleLeuteSunnitensind.DagibtesauchandereGruppen,auchSäkulare.Wäreesdawirklichfair,wennmansagt:»Shariahfüralle«?OdersagenSie,allemüssenmitderShariahleben?NachIhrerBegründungmüsstenSiejasagen,auchinDeutschlandmussdieShariahgelten,weilhierauchMuslimeleben,diedieShariahwollen.

Der Muslim will nach der Shariah leben. Warum? Die richtig verstandene Shariah beschützt dieMenschenrechte. Sie gibt jedemMenschen sein Recht. Sie beschützt jedenMuslim. Als die Juden inAndalusienverfolgtwurden,wohinsindsiegeflohen?NachMarokko,wosieheutenochlebenundeine

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große Gemeinde gegründet haben. Die Shariah beschützt alleMenschen. Egal, ob Jude,Muslim oderChrist.AllahsagtimKoran:»EsgibtkeinenGlaubenszwang.EucheureReligion,unsunsere.«Jederkannglauben,waserwill.Islamist,dasswirindiesemGeisthandeln.JedemMenschen,derHungerhat,Geldgeben,Menschen,dieunterdrücktwerden,beschützen.VerstehenSie?DasistdiewahreShariah.ShariahistnichtFrauenverstümmelungundBeschneidung,HändeabhackenundKriegundjeden,dernichtMuslimist,abschlachten,nein.DasistnichtunsereAufgabe.WasderISdamacht,hatmitIslamnichtszutun.DiehabendenIslamnichtverstanden.Jemand,derdenIslamwirklichverstandenhat, reißtkeinenSatzdesKoranausdemZusammenhang.

NehmenSiealsBeispieldenSatz:»Tötetsie,woimmerihrsiefindet!«Manmusswissen,warumdieserVersherabgesandtwurde,zuwelcherZeit,wasvordemVersstehtundwasdanach.UndnichteinfachnurdenVers:»Tötetsie,woimmerihrsiefindet!«herumbrüllen.Töteichjetztjeden?TöteichjetztmeineMutter? Nee! Es gibt Leute, die das einfach aus dem Kontext eines damals stattgefundenen Kriegesnehmen.AuchChristenundJuden.Diehabennichtsverstanden.Um zu zeigen, was hier in Syrien los ist, wäre es das Beste, dass ihr irgendwie ein Kamerateam

zusammentrommelt und eine wirklich ehrliche Dokumentation macht. Die alles aus einer anderenPerspektive zeigt.Dieversucht, ehrlich zu sein.Dannwürdet ihr sehen,wiedieMenschenhier leben.Was für eineEinstellung sie haben.Wir sindnicht radikal,wir sindkeineSalafisten.Wirwürden, ichwürdeniemalseinenChristeneinfachsotöten,einenJudeneinfachtötenodereinenBuddhistenodersonstwas.Wir sindMuslime, wir wollen einfach nur Frieden und wünschen diesen Frieden auch anderenMenschen.

WennjetztbeieucheinAlawitdurchdieStraßenläuft,waspassiertdannmitihm?

ErhatseineReligion,ichhabemeineReligion.Ergreiftmichnichtan,ichgreifihnnichtan.DannkannerdochdurchdieStraßenlaufen.Beim ISwäre er sofort tot.Aberwir sind nicht so.Hier sindZigarettenpäckchen. Ich rauche selber

nicht, abermanche rauchen.Hier sindMenschen, die keinenBart haben.Die hören auchMusik. Jederkannmachen,waserwill,solangeerkeinemanderenschadet.JedermussvorAllahalleinRechenschaftablegen.Wasdumachst,dasistzwischendirunddemliebenGott.Duwirstalleinevorihmstehen.DeineAbrechnung wird alleine mit ihm sein. Deswegen kannst du hier machen, was du willst, solange dukeinemanderenMitmenschenschadest.DasistderwahreIslam.Ichwill,dassdieMenschendenwahrenIslam kennenlernen, auch wenn sie Christen sind. Was ich mir wünschen würde, ist, dass Siehierherkommen,eineDokumentationmachenundzeigen,waswirhiermachen.MitwasfürWertenundwelcherMoralwirdenIslamleben.NachdieserMoralkannjederMuslimmitjedemChristenFriedenhabenundmitihmzusammenleben.ManmussdieShariahverstehen.EinenKinderschänder tötet sie.Wenneinerklaut,wird ihm jedoch

nicht gleich die Hand abgehackt. Die Shariah wäre keine Shariah, wenn sie einem Armen die Handabschlägt,derzuHausenichtszuessenhat.DasistkeineShariah.DieArtvonShariah,inderderKönigeinenfettenBauchhatundmeinNachbarhungert,willichauchnicht.DasistkeineShariah.Shariahist,dass jeder essenkann, dass jeder dasRecht hat aufSchutz, aufFriedenunddass jeder dasRecht hat,sicherzulebenundnichtbeklautzuwerden.DerDiebbekommtdieHandnurab,wenneralleshatundtrotzdemeineFraubeklaut.DasistShariah.

HabenSiejemalsinDeutschlandirgendwoetwasgeklaut?

IchhabeinDeutschlandvielMistgemacht(lacht).Ichhaberumgedealt,Schlägeausgeteilt,rumgelogen,alles,wasmansomachenkann,habeichgemacht,außertötenundso.

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UndwennsieIhnendieHändeabgehackthätten?

Ichhättegesagt:»Nein,dabinichdagegen.«Ichhätteesabgelehnt.WeilichdenIslamnichtverstandenhatte. Ichwarnicht armundhattekeinenGrundzumStehlen.Aber jetzt hab ichden Islamverstanden.ShariahistBarmherzigkeitundWeisheit.SieachtetaufdieLebensumständedesEinzelnen.SiegibteinemMenschen,bevorsieihnbestraft,immernochmaleineChance.»Kommzuuns,wenndunichtszuessenhast.Kommzuuns,wennduetwasbenötigst,aberdudarfstdirnichtsnehmen,wasdirnichtzusteht.«

Es gibt angeblich rund 300 Deutsche, die ja nach Syrien gegangen sind. Warum gehen manche wieder zurück nachDeutschlandundmanchenicht?

Manchewürden gern zurück, aber sie habenAngst, dass sie,wenn sie nachDeutschland zurückgehen,direktfestgenommenwerden.Aberwennsienichtsgemachthaben,habensienichtszubefürchten.Aberwenn ich zum Beispiel nach Deutschland zurückgehen sollte, werde ich auf jeden Fall ins Gefängnisgehen.Ichbindochnichtdumm.Ichweißdochganzgenau,dassdiePolizeiunddieBehördenunddasBKA,derGeheimdienstundderVerfassungsschutzmeinGesprächmitIhnenhiergeradeabhören.MeineFacebook-Nachrichtenlesen,meinFacebookhacken.Aberwennsiedasmachen,werdensiesehen,dassich ein ganz normalerMensch bin, der manchmal auch Frauen schreibt und so. Ich schämemich vorniemandem.Wennichmichvorjemandemzuschämenhabe,dannnurvordemliebenGott.WennichaberzurückkommensolltenachDeutschland,werdeichaufjedenFallunheimlichvieleProblemehaben,dennich bin schon so lange hier. Seit anderthalb Jahren. Die machen jedem Ärger und stecken jeden insGefängnis,wenneinernurKontaktmiteinemhat,derinSyrienist.DannistergleichSalafistundextremgefährlich.Egal, ob erwasverbrochenhat oder nicht.DasSystem ist nicht fair inDeutschland.NichtgegenüberMuslimen.VieleFreunde schreibenmirnichtmehr,weil sieAngsthaben,durchmichProblemezukriegen.Sie

rufenmichnichtmehranodergehennichtran,wennichsieanrufe,weiljaganzklarist:DieBehördenhörenallesab.

Aber warum gehenmanche zurück? Gehen die nach Syrien, machen zwei Monate Jihad und dann wieder zurück in dieSchule?GehendieinihreStadtunderzählendenMädchen:»Hey,ichwargeradeaufJihad«?

Ichweißesnicht.Vielleichthabensienichtdasgefunden,was siegesuchthaben.VielleichthabensieUnrechterfahren.Vielleichtsindmanchenurhierhergekommen,umzugucken.Vielleichtwolltenmancheeinfach nur sagen: »Hey, ich war im Jihad«, kommen dann zurück und erzählen, sie hätten 50 Leuteumgebracht,erzählendasdannihrenFreunden,umsichRespektzuverschaffen.

WashabenSiedavoreigentlichinDeutschlandgemacht?

Ichhab’neAusbildungalsSport-undFitnesskaufmanngemacht.DavorbinichimHeimaufgewachsen.IneinerWohngruppe und was weiß ich. Die Deutschen könnten jetzt natürlich sagen: »Boah,Migration,schwereVergangenheit,dasistderGrund,warumerindenJihadist.«Nein.Esstimmtzwar,dassichimHeimwar,nichtgutinderSchulewarunddanurBockmistgebauthabe.Dassichgedealthabeundwasweiß ich nicht alles. Das ist aber nicht der Grund, warum ich hierhergekommen bin. Kurz bevor ichhierhergekommenbin,gingesmirnämlichsuper.IchhabevielGeldgemacht,ichhatteFreundinnenundallesDrumundDran.Ichsaheinigermaßenokayaus.Habgestopft,’nentollenKörpergehabt.Eigentlichhabe ich immernoch einen einigermaßengutenBody.Aber ichwussteganzklar, dass ich einesTagessterbenwerde,undwiegesagt,ichwillnichtindieHölle.IchhabAngst,indieHöllezukommen.Unddann hab ich gesagt, ich muss jetzt einfach meinem Schöpfer dienen, ein besserer Muslim werden,aufhörenzulügen,aufhörenzudealen,aufhören,Frauenzuveräppeln,schlechteSachenzumachen,Leuten

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zuschaden.IchmussmeinLebenändern,ichmusshelfen,ichmussirgendwasGutesmachen.DasistfürmichjetztdasWichtigste.

Aber,Salim,wennSiewasGutesmachenwollten,hättenSienichtwasanderesmachenkönnen,alsindenKriegzugehen?

Ichhätteallesmachenkönnen.AberderechteMuslimwähltnachdemIslam.UnddiebesteTatlautIslam,nach»LailahaillaAllah«,istderJihad.DassdudeinenSchöpfernichtverleugnest.EinMuslimisteinGott-Ergebenerundnichtirgendwer.VorherhatteichjedeWoche’neandereFreundinundSchlägereienundDrogen.AberderrichtigeMuslimisteinGott-Ergebener.Allahistes,derdirdeineMuttergegebenhat,deinebarmherzigeMutter.DerdirdasEssengibtundderdichsehenlässt,deinHerzschlagenlässt,der,ohneGründezunennen,direinfachdeinLebennehmenkönnte.DennderTodbrauchtkeinenGrund.AllahhatmirdieKraftgegeben,arbeitenzukönnen.AllahkönntemirdieKraftwegnehmen.Allahgibtmir die Gesundheit und gibtmir die Krankheit, Allah lenkt alle Sachen.Wer ihm nicht dankt, ist derschlechtesteMensch.DiebesteTatnachdemIslamistderJihad.DerBeweisdafür,dassduAllahliebst.DerMuslimliebtAllahmehralssichselbst.ErliebtAllahmehralsseinenSchlaf.ErliebtAllahmehralsseinEssen.ErfastetamRamadanmehrals14,15Stunden.Esistheiß,ermachtdasnurfürAllah.DeswegenopfertderMuslimseinBlut,ohnedamitzugeizen.IchgeizenichtmitmeinemBlut.IchgeizenichtmitmeinerKraft.IchhabeauchGelüste,ichwürdeauchgerneineinerVillawohnen,vieleFrauenhaben,reichsein,machen,wasichwill.DennichbineinMensch.DerMenschistschwach.DerMenschliebtPartys,Frauen,Alkohol,einfachmalSpaßhaben.DerMuslimdarfauchSpaßhaben,aberinMaßen.DenneinMensch,derzuvielSpaßhat,bekommteinhartesHerz.DiebesteTatistderJihad.Derfaire,gerechteJihad.Manmussfairundgerechtsein.NehmenSieden

11. September! Flugzeuge rasen insWorld TradeCenter undTausende unschuldigeMenschen sterben.DasistnichtJihad.Jihadist,wennmanarmeMenschenschützt,ihnenhilft,nicht,wennmanUnschuldigetötet.

AberwarumgehendannsovielejungeLeutezudemausIhrerSichtverrücktenIS?OderzuJabhatAlNusra?

Sie sagen es. Sie haben dieWahrheit gesprochen, zu diesen Verrückten. Das haben Sie wirklich tollgesagt.WosinddieMenschenrechte?WoistdasSchützeneinesMenschenundihmseineRechtegeben?DerIS töteteinfach.DassindMörder.Undwenndiesagen,sieseienMuslimeundrichtennachAllahsGesetz,woistdasGerichtsverfahren?Dietöten,zack,dieschnappeneinen,derraucht,zack,Handab.

AberAlQaidaistjagenausograuenhaft.

Ichweißnicht.

Ja,aberSiehabengeradegesagt,9/11habenichtsmiteinemgerechtenJihadzutun.Dasseinichtehrenwert.DafürkommtmannichtinsParadies,sondernganztiefindieHölle.

Ichglaubeabernicht,dassdasam11.SeptemberAlQaidawar.Dasmussichganzoffensagen.

BinLadenhatdochselbstgesagt,dasserdieLeutedazuinspiriertundaufgerufenhat.Dannisterdochschuldig.UnschuldigeLeutemassakrierenistunschuldigeLeutemassakrieren.DamacheichkeinenUnterschied,obderTätereineUniformträgtodereineMaskeoderoberesvoneinemComputerausmacht.Das ist fürmich immerMord.Unschuldige tötengehtgarnicht.

Siesindkorrekt.AufjedenFall.

SodenkenSieauch?

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Ja,aufjedenFall.Werimmeram11.Septembergemordethat.IchhabdochAngst.VordemliebenGott.Später,wennAllah sagt:»Ichbinderjenige,derdiesemMenschendasLebengegebenhat,unddubistderjenige,deresihmgenommenhat.Werbistdudenn,dassduihmdasLebennimmst?«

Genau,unddeswegensageichjaauch,ISistähnlichgrausamwieAlQaida.

IchwürdedieseSachenniemalsmachen.WennichbeiAlQaidawäreundmeinChefsagenwürde,weißtdu was, du kommst doch aus Frankfurt. Deine Aufgabe ist es jetzt, zurückzufahren und in dieCommerzbankreinzufliegen.Warumsollteichsowasmachen?VielleichtistandiesemTagmeineMamainderBank,mitmeinemkleinenBruder.VielleichtistandiesemTageineandereMutterdort,undsieistvielleichtChristin.Siegehtmit ihrenkleinenKinderndahochaufdenTurmundwill einfachmalvonobendieAussichtsehenundsieihrenkleinenKindernzeigen.Warumsollichdakommenund…?Nee,daswürde ich nichtmachen. Ich habe kein speziellesWissen über den Islam. Ich sage Ihnen das ganzehrlich.IchhabnureinbescheidenesWissen.IchwilleinfachnurmeinenSchöpferzufriedenstellen.

GehtIhrerMeinungnacheineGefahrvonLeutenaus,dienachSyriengehenunddannzurücknachDeutschlandkommen?

Nee.

DassirgendeineGruppeinSyriensagt,machtdochendlichmalwasinDeutschland?

Ichweißesnicht,keineAhnung.AufjedenFalldarfmankeineUnschuldigen,keineUnschuldigen,keineUnschuldigentöten.IchbineinMuslimundmussdieEhremeinesProphetenverteidigen.Das,wasichjetztsage,kannalles

kaputtmachen,wasichIhnenbishergesagthabe.AberichwillSienichtanlügen.SollteeinMenschdenProphetenbeleidigen,würdeichhartreagieren.DieStrafefürdiesenMenschenistnachdemIslamdieTodesstrafe.

AberSiewissendochauch,dassdieLeute,diedenProphetenbeleidigen,euchprovozierenwollen.Siewollen,dassMuslimedurch die Straßen rennen und schreien: »Blut, Blut, Blut, wir wollen Blut!« Damit am nächsten Tag einige Zeitungen dierichtigenBilderhabenundsagenkönnen:»SchauteuchdieseverrücktenMuslimean.Manbeleidigteinen,undschonflippensieausundtöten.«DasistihrZiel.

IchsageIhnenganzoffen:WennichinDeutschlandwäreundeinermeinenProphetenbeleidigt,würdeichihmwahrscheinlichdieZähneausschlagen.Abervorherwürdeichgucken,hatdieserMenschVerstand?Wenn er ein armer Kerl ist, der nicht weiß, was er macht, dann lass ich ihn laufen. Aber es gibtMenschen, die sind ganz clever, die hetzen, weil sie einen Islam-hass haben. Ich würde sie töten.VielleichthabeichjetztmeinBildbeiIhnenkaputtgemacht.Dasistmiregal,dennichsagealldasnicht,damitichbeiIhnengutdastehe…

WennichanIhrerStellewäre,würdeichbeiderartigenProvokationenweghörenundgehen.EsgibtsovieleIdioten,undvonIdiotendarfmansichnichtprovozierenlassen.

Ichwürdedasselbemachen,wennjemandJesusbeleidigt.Ichglaube,dassichJesusmehrliebealsvieleChristen. Jesus,Abraham,Moses,Noah,Davidund allePropheten, sie kamenmit derselbenReligion.JederdieserProphetenhatgesagt:»BetetdeneinzigwahrenGottan!Undgesellt ihmniemandenbei.«Jesushatnichtgesagt:»Betetmichan.«AllekamenmitMonotheismus.AuchJesus.AberwashabendieChristen aus diesemMonotheismus gemacht? Sie haben drei Götter daraus gemacht: Vater, Sohn undHeiligerGeist.AberJesushatteganzklarinderBibelgesagt:»IchbinnureinfacherHirte,gesandtzumHauseIsraels.«

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SiehabendieheiligeMutterMariavergessen.

(Lacht.)Genau, ichhabdie heiligeMutterMaria vergessen.Aberwiegesagt, sie kamen allemit demMonotheismus,auchMaria.IchliebeJesus.Ichwünschte,ichhätteinseinerZeitgelebt,dannwäreichihmgefolgt.Ichwäregerneeinervondenengewesen,dieihmgefolgtsind.WenneinerJesusbeleidigenwürde oder David oder Abraham oder irgendeinen anderen Propheten, würde ich mich, inschallah,hoffentlichzwischendiesenzweiSachenbewegen,zwischenWeghörenundZähneeinschlagen.Abereswürdemichtiefverletzen.

Ichglaube,Allahwürdedasauchbesser finden.NichtbeachtenwäredieschlauereAntwort.Esgibt keineRegel,diesagt:»BringalleIgnorantenundProvoziererum.«Lassteucheinfachnichtprovozieren!AmEndebeleidigtihrMuslimeeuchselberammeisten. Das ist ja das Schlimme.Wenn Sie in die Medien schauen, überall steht, jetzt schlagen sich die Muslimegegenseitig die Köpfe ein. Sunniten gegen Schiiten und Alawiten. Jeder gegen jeden. Und der Westen schürt und sagt:»Schaut euchdieVerrückten an! Jetztmuss jemandnur nocheineMohammed-Karikatur zeichnen, dann rasten die völligaus.«LassenSieunsdasThemawechseln.WasdenkenIhreElternjetzt?

NachHause,kommnachHause,kommnachHause.

RedenSienochmanchmalmitihnen?

NurmitmeinerMama,meinenVaterkennichnicht.Derhatmichschonvorlanger,langerZeitimStichgelassen. Ichhabenoch einenkleinenBruder. IchhabemeineMamanie, nie traurig gemacht,Gott seiDank. Und immer auf sie gehört. Meine Familie ist sehr arm. Meine Mama hat nur eine vorläufigeAufenthaltsgenehmigung,siehatkeinenPass.Siekriegtnurdiese200Eurounddarfnichtarbeiten.Sieistwirklicharm.IchliebemeineMamaüberalles.

Aberjetztistsiedochbestimmttraurig.

Sieisttraurig,abersiehatmichverstanden.Sieweiß,dassicheinbessererMenschbinalsvorherundnacheinerMorallebe,nachWerten.Sieweiß,dass,wennichinDeutschlandgebliebenwäre,vielleichtkaputtgegangenwäre.DurchdieseganzenschlechtenFreundeundihreEinflüsse,unddassichvielleichtwiederangefangenhätte,Drogenzudealen.VielleichtwäreichimGefängnisgelandet.Sieweiß,dassichhierwirklichhelfeund,wieichhoffe,einandererMuslimbin.Wiegesagt,ichfändeessehrschön,wennSieeinVideomachenkönnten,eineReportage,aberichglaub,davonträumeich.Daswirdniestattfinden,aberdasistjaauchegal.

WoherkommenSieursprünglich?

MeineMamaistMarokkanerin,meinPapaistTürke.

WasistimFußballIhrLieblingsverein?

RealMadrid,imAllgemeinen,aberinDeutschlandhabeichSchalkefavorisiert.

Schalke?

WashabenSiegegenSchalke?SiesindbestimmtfürDortmund.

Nee,Bayern.Dawohneichjaauch.

Bayern?Oh.Na ja, ichmussehrlichzugeben,dieSpielweisevomFCBayernhatsichstarkverbessert.Kurzpassspiel!WasdiejetztfüreinenFußballzelebrieren,istsehr,sehrgut.

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NochmalzuIhremLebenmomentan.WasmüssenSiezumBeispielmorgenmachen?

AlsAllerersteswerdeichjetztwachbleibenbiszumMorgengebet.DaswirdinanderthalbStundensein.UmvierUhr.Dannbeteich,unddannwerdeichmicherstmalhinlegen.Dannschlafichsobisneunoderzehn,dann steh ichauf.MacheeinpaarLiegestützen, einpaarSit-ups.Danngeh ich rausund fragdieJungs,wasesheutezu tungibt.Sindwirangegriffenworden?Momentan istesziemlich ruhig.VoreinpaarTagenwarenwiraufeinerOperation.Gesternundheutewareigentlichnichtslos,außerdassMiG-Flugzeugevorbeigekommensindundgebombthaben.Wenn’snichtszu tungibt,dannbin ichzuHause,essewasodersitzemiteinpaarBrüdernherum.Odertrainiere.MeinHausistganznaheanderGrenzezumFeind.Biszudenensindes60,70Meter.Ichgehvordie

Haustüre und bin schon mittendrin, wo gekämpft wird. Mein Haus ist genau an der Grenze zurNachbarstadt. Zwischen meiner und der anderen Stadt finden die Kämpfe statt. Da fliegen andauerndirgendwelcheKugelnvorbei,Bombenfallenrunter,Scharfschützensindda.Aberichliebees.

AndieserStellewirdunserGesprächfürmehrereMinutenunterbrochen.FalscherAlarm,entschuldigtsichSalim.

Wirsindjederzeitbereit.Wennjetztwasseinsollte,binichsofortbereit.MeineAK-47istimmernebenmir.MeineHandfeuerwaffehabeichauchstetsbeimir.Wirsindalsovorbereitet,wennwasseinsollte.Wennnicht,lebenwireinganznormalesLeben.MankannhiereinganznormalesLebenführen,mankannverheiratet sein, man kann sogar mit Kindern hier wohnen. Nur, dass halt dauernd Flugzeugevorbeikommenundbombardieren.Aber sonst lebenwirhier einganznormalesLeben.Daskönnte ichIhnenalleszeigen,wennSiehiersind.IchkönnteIhnenzeigen,wiewirkämpfengehen.Ichhabe,GottseiDank,vier sichereSchutzwesten.EinevoneinemFreund,derMärtyrergeworden ist. Ichhatte sie ihmbesorgt. Ichhabe ihmallesbesorgt,WaffeundSchutzweste.WennSiehierherkommen sollten, für eineWocheoderso,wirwürdenIhnenalledieseSachenaufjedenFallgeben,damitSiegeschütztsind.

DamitichauchMärtyrerwerde?WasistjetztgeradeeureAufgabe?

UnserevorrangigeAufgabeistes,diesesDorfzuhalten.

Fürwenhaltetihres?

FürdieBürger.DamitdasAssad-RegimenichtkommtunddieLeuteabschlachtet.

Werkoordiniertalles?WermachtdieStadtverwaltung?

Dasistallessehrschlechtorganisiert,superschlechtorganisiert.MussichIhnenehrlichsagen.Abereswird besser. Gott sei Dank haben wir jetzt mehrere Städte. Und in diesen Städten gibt es keinen IS,sondernJabhatAlNusra,AhrarAlSham,JaishAlHorundandereGruppen.JundAlAqsa,dasistdiebesteGruppe,denndieBrüdersindwirklichsuperguteBrüder.Dabinichdabei.UnsereAufgabeisteszuverhindern,dassdieAssad-SoldatendieStadteinnehmen.Unddanneben,dassjedereinigermaßenfreileben kann. Natürlich kann man hier nicht irgendwie Unzucht begehen oder, wie sagt man, einfachunehelichenVerkehrmiteinerFrauhaben.Dasgehtnatürlichnicht.Alkoholgibt’sauchnicht.AberdieLeute rauchen,manchehörenMusik. JedermachteigentlichsoseinDing.Niemandwirdgezwungenzubeten.Dasliegtauchdaran,dassderISnichthierist.DerISwarhier,undinderStadtwarenschwereKämpfe

zwischen dem IS, Jabhat Al Nusra und Ahrar Al Sham. Das waren wirklich krasse Kämpfe. Der ISversucht immerwieder hierherzukommen.Die schaffen es aber nicht. Für den IS sindwir, bin ich ein

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Murtad,einAbtrünniger.

HierbrachdieVerbindungab.Fürimmer.WirhabenniewiederetwasvonSalimgehört.FreddyundichhattenunsHoffnungengemacht,ihnzuüberreden,seinenJihadzubeendenundsichwoanderseineneueExistenzaufzubauen.

AbuQatadah

Nachdem wir im Frühsommer 2014 eine Zeit lang mit mehreren deutschen IS-Kämpfern in Kontaktstanden,wurdeunsereKommunikationvoneinemTagaufdenanderenbeendet.EinerderJungsteilteunsoffiziellmit:»Ichhabemiteinemder›Verantwortlichen‹gesprochen.ErmöchteIhreSkype-Adresse.Ersagt,ihrsollthierniemandenmehrkontaktieren.ErwirdabsofortallesfürSieregelnkönnen.«NacheinpaarTagenmeldetesichAbuQatadah.AbuQatadahistüberdreißig.UndvonbeeindruckenderGestalt.EristetwaeinenMeterachtziggroß

undwiegtmindestens150Kilo.EineJugendausgabevonBudSpenceralsJihadist.EristderintellektuellundideologischversiertesteunsererGesprächspartner.SeinegeschichtlichenKenntnissesindumfassend.SeineAntwortengnadenlosundschneidend.ErhatinderMedienabteilungdesISoffenbareineoffizielleFunktion,dieerjedochnichtnäherdefiniert.ErwarfrüherprotestantischerChrist,ein»Urdeutscher«mitdeutschenElternundGroßeltern.ErstammtausdemRhein-Ruhr-Gebiet.AusSolingen.DiehierwiedergegebenenGesprächemitihmsindgekürzt.Daserstewaram9.September2014.

AbuQatadah:Hallo?DieTonverbindungistrechtschlecht.

JT:IchhöreSiegut.

Gut,probierenwiresmal.

WieheißistesbeiIhnen?

Ichweißnicht,tagsüber30,40Gradungefähr.

Dasistjanochnormal,nichtschlimm.

Nochauszuhalten.

Istesschwierig,überSkypeausRakkarauszukommen?

Wenn wir Internet benutzen wollen, müssen wir zum Internetcafé rausfahren. Aus Sicherheitsgründen.Telefongesprächekönnenwirkeineführen.Deshalbistesschwer,sichmitIhneninVerbindungzusetzen.

Ichwolltenochmalsagen,woranichinteressiertbin.Ichmöchteverstehen,wasSiewirklichwollen,wasIhreOrganisationwillundwasdiemeistenDeutschendortwollen.

Okay.

IchwürdeSiegerneinIhrenKampfgebietenbesuchen.Aberdasistjanichtganzsoeinfach.

Warumnicht?

Wirmüssendaoffenreden.NatürlichgibtesSicherheitsprobleme.DaswissenSieauch.SiekönntenmirvielleichtSicherheitgarantieren,aberwashabichdavon,wennmirdannjemandanderesdieKehledurchschneidet.

IchhabmitmeinemVorgesetztengesprochen.DasSicherheitsproblemwäre absolutkeinProblem.Wir

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würdenfürIhreSicherheitgarantieren.WirwollenderAußenwelteinrichtigesBildvom ISvermitteln.Daistesbesser,wenndieLeuteherkommen.EinSkype-Interviewistschönundgut,aberwirwollenderWeltzeigen,waswirwirklichmachen.WiefunktioniertderStaat,denwirhieraufgebauthaben,undwieist dasLebenmit denEuropäern oderDeutschen.Da ist es besser,wennSie zu uns vorOrt kommen.Bisherwaresso,dassdieMedienversuchthaben,unszubekämpfen.Ichweißnicht,obSiemitverfolgthaben, dass sie unsere Accounts in den sozialen Netzwerken schließen und wir kaum Zugang zurAußenwelthaben.

IchhöreIhnenzu.

Wirsprechenvorherab,wasSiegernesehenwollen,wasSieallesbesuchenkönnen,wirstellenIhnenLeutezurVerfügung,natürlichauchUnterkunft,Haususw.Alles,wasSiebrauchen,wasinunsererMachtist.EskönnenInterviewsorganisiertwerdenmitmehrerenDeutschen,wieSieeshabenwollen.

Ich bin ja kein überängstlicher Mensch und war in vielen Kriegsgebieten. Trotzdem bleibt ein Restrisiko.Wenn ich in einKriegsgebietgehe–ichwarjetztgeradeimGazastreifen–,dannschauichnatürlich,dassichnichtgleichindieLuftfliege.WiekönnenSieüberhauptSicherheitgarantieren?EsgibtdochauchnochandereRebellengruppeninIhrerGegend.

Nein,inunseremBereichgibteskeineanderenGruppen.

WiekannichzuIhnenkommen?

Über die Türkei. Wir haben zwei Grenzübergänge unter Kontrolle. Beim ersten dieser Übergänge istGaziantepdietürkischeSeite–ungefährdort,wodiedeutschen»Patriot«-Raketenstehen–undJarabulusdiesyrischeSeite.BeimzweitenistdietürkischeSeiteUrfaunddiesyrischeSeiteTelAbyad,wennichmichnichtirre.

WieweitistdasvonIhnenentfernt?

Ichbinmirnichtsicher,130,150Kilometeroderso.IchbinjetztinRakka,dasistimNordenSyriens.

Werwürdeunsabholen?

Ichdenke, ichwerdemitdabeiseinalsDeutschsprachiger,undeinigeanderevonunswerdenauchmitdabeisein.WirwerdenSiepersönlichabholen.

Aber wo ist die Sicherheit? Ich komme da hin, und dann finde ich Sie vielleicht – und Sie mich auch –, und dann sagtirgendeiner:»DasistdocheinFeind.DerhatdenISimmerwiederöffentlichangegriffen.«WiekönnenSiegarantieren,dassdasnichtpassiert?

Ich weiß nicht, wie vieleMuslime Sie kennengelernt haben und ob Sie die islamische Gesetzgebungkennen.DieChristen,diehierinRakkaleben,diezahlendiese–ichweißnicht,wiemandasaufDeutschnennt – Schutzsteuer oder wie auch immer, auf Arabisch Jizya. Das sind bei dem heutigen Goldkursungefähr630US-Dollar imJahr.Dasgilt fürreicheLeute,dieArmenzahlenungefährdieHälfte.Dafürsindsiegeschützt.KeinMuslimdarfsieangreifen.Werdastrotzdemtut,wirdvordasislamischeGerichtgestelltundmitdemTodebestraft.Der Shura-Rat – ich weiß nicht, ob Ihnen das was sagt –, also der Rat, der direkt dem Kalifen

untersteht,dergarantiertIhrenSchutzdurchseinWort.Undfallswaspassierensollte(erlächelt)–dummgelaufen.AberdiePersonwirdeinhundertprozentigbestraft.

Dahabichabernichtsdavon.

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Von unserer Seite kann ich Ihnen garantieren, dass es keine Übergriffe oder Sonstiges geben wird.NatürlichliegtesletztendlichanIhnen,obSiemirjetztglaubenodernicht.MehralsanbietenkannichesIhnennicht.

IchwürdewahrscheinlichmiteinemJournalistenkommen,derwirdauchirgendwelcheGarantienverlangen,alsozumBeispieleinenBriefIhresEmirsoderKalifen,indemmüsstestehen:»IchladeSiehiermiteinundgewähreIhnenGastfreundschaftundSicherheit.«DannstehtdieGlaubwürdigkeitdesEmirsaufdemSpiel.DasmüssennurzweiZeilensein.

Okay.

Wennerdaswirklichschreibt,stehtermitseinemWort fürunsereSicherheitein.AufeinsolchesWortverlasseichmich.Wenn esmir dann trotzdem schlecht ergeht, dann ist das auch nicht gut für ihn. Dann würde Ihnen kein Menschmehrglauben.

Ja,natürlich.Ichdenke,eineIhrerSicherheiten ist,dassSiedaspublikmachenkönnen, inDeutschlandoder indenMedien,oderwieauchimmer.DamitschaffenSieeinRisikofüruns,wennIhnenwirklichwas passieren sollte – eineRakete, ein Flugzeug oder sonstwas –,wir stehen dann schlecht da.Unsinteressiertnicht,wasirgendwelcheMediensagen,aberleiderwerdenvieleMuslime,andiewirunsinersterLinierichten,vondaangegenunssein.Daswollenwirnatürlichvermeiden.

WennSiemireineGarantiedesEmirsgeben, inderersagt:»DieserMannistfüreineWocheGast,undichgarantierefürseineSicherheit«–dannreichtmirdas.

Ichdenke,das istkeinProblem.WirkönnendenBriefanfertigen.Wirkönnen ihnsignieren lassenundstempeln.Also,beiuns istdasso,dass jedeProvinz ihreneigenenStempelund ihreSignaturhat.Daslässtsicharrangieren.

MitdemEmirmeineichAlBaghdadi.

Ich denke nicht, dass es so weit geht. Mein Vorgesetzter hat in seinem Bereich vollkommeneHandlungsfreiheit,weilsichderEmirpersönlichnichtumsolcheAngelegenheitenkümmert.

Dannhabenwir einProblem. Ichhabenochein bisschenwas imLeben vor.DenkenSiemal darüber nach,wie icheineGarantieIhresEmirsbekomme.UndjetztwürdeichIhnengerneinpaarFragenstellenundsiemitIhnenbesprechen.HabenSieZeit?

Ja,ichhabjetztZeit.

Wirkönnenjasehen,wieweitwirkommen.WiealtsindSie?

31.

WaswarIhrepersönlicheMotivation,nachSyrienzugehen?

Mein persönlicher Weg nach Syrien war lang. Ich bin nicht direkt von Deutschland aus nach Syriengereist.IchwarzuvorineinigenanderenarabischenLändern.ErstdannbinichnachSyriengegangen.

SeitwannsindSieinSyrien?

Hmm.WashabenwirjetztfüreinJahr?2014?

Ja.Soungefähr.

DannwarichAnfang2013inSyrien.

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SindSievonderTürkeiausrein?

IchwargrößtenteilsimRaumHalabundIdlib,alsorechtnahedertürkischenGrenze.

MitwelcherOrganisation?

MitJabhatAlNusra.IndieserZeitgab’sdenISnochnichtinSyrien.

WaswarIhreMotivation?WolltenSieAssadstürzen,wolltenSiemithelfen,einKalifatzuerrichten,hattenSiereligiöseMotive?

DieSacheistnichtganzeinfachzuerklären.SyrienhatVorzügegegenüberanderenLändern.EsgibtvieleprophetischeAussagenüberdieLevante,Syrien,Palästina,TeilevonIrak,TeilederTürkei,Jordaniens,Saudi-Arabiens. Als der Krieg hier anfing, hat man quasi diese Gelegenheit genutzt und sich hierangeschlossen.WeildieRegionfürMuslimehistorischundprophetischwasBesonderesist.

AberworumgingesIhnen?GingesIhnendarum,einenbesondersreinenIslamzuerleben,gingesIhnendarum,eineDiktaturzubeenden?WaswarIhrHauptantriebsgrund?

DerHauptgrundist,zumindestheute,einenislamischenStaatzugründen.Natürlich,amAnfang,alswirhierhergekommen sind,warendie Ideeneines islamischenStaatsnochmehrTheorie alsPraxis.Zuerstging es darum,Muslimen zu helfen und sie von der Diktatur des Bashar Al Assad zu befreien. NachSyrienzugehenistaußerdemsehrvielleichter,alsinandereLänderzureisen.WennmanheutzutagenachAfghanistan gehen will, um gegen die Amerikaner zu kämpfen, kommt man vielleicht nicht mal ausDeutschland raus. In Syrien aber sind viele Auswanderer aus europäischen oder westlichen Ländern,Tausende.Weilesvieleinfacherist,alsnachAfghanistanzugehen.DasLebenhieristdemeuropäischenLebenauchvielnäheralsdasLebeninAfghanistan–undsomitvieleinfacher.NachAfghanistanzugehenistschwer.

WoherausDeutschlandkommenSieeigentlich?

AusdemRuhrpott.IchwareinigeZeitselbstständig2008habeichdieSelbstständigkeitbeendet.SeitdembinichquasiaufReisen.

Selbstständigalswas?

Software-,Hardwarevertrieb.

WelcheRegierunginderarabischenoderislamischenWeltfindenSiegut?

Garkeine.(Lacht.)

Garkeine?

Nein,absolutnicht.

AuchnichtSaudi-Arabien?

Nein,definitivnicht.

DerISistdochvonarabischenLändernfinanziertworden,oderirreichmichda?

DasistPropaganda,umdieStärkevonDouwlaIslamiyya1herabzusetzen.IShatzukeinerZeitfinanzielleHilfe aus dem Ausland bekommen. Vielleicht gab es den einen oder anderen privaten Spender, dervielleicht10000oderauch100000US-Dollarauftreibenkonnte.AberSiewissenselber,mit100000oder

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auchmiteinerMillionUS-DollarführtmankeinenKrieg.DieessenziellenEinkünftekamenzumgrößtenTeilausBeute.

IchwarwährenddesKriegessechsmal inSyrien. IchhabmichmitRebellengetroffen,LeutenvonderFSA,vonJabhatAlNusra,beiderSiejaauchmalwaren.DievonderFSAhabenmirgesagt,siekriegenGeldvondenAmerikanernundausdenEmiraten.

Ja,dasistbekannt.JabhatAlNusrawurde–wasimWestenkaumjemandweiß–ursprünglichvomISimIraknachSyriengeschickt.IhrAnführerAbuMohammadAlJulaniwurdenachSyrienbeordert,umdenIslamischenStaatinSyrienzuvertreten.Docherfingan,GelderausdemAuslandanzunehmen,undhatdasgemeinsameZielverraten.JabhatAlNusrahatsichdannirgendwannvomIslamischenStaatkomplettgetrennt und sich zeitweise mit der Freien Syrischen Armee zusammengetan. Auch um gegen denIslamischen Staat zu kämpfen. Weil ihre Finanziers aus dem Ausland – seien es arabische Länder,AmerikaodereuropäischeLänder–essoverlangthaben.

WerfinanziertJabhatAlNusra?Saudi-ArabienoderAmerika?

Offiziell keiner. Inoffiziell beide. Letztendlich ist das gleich. Saudi-Arabien kann nur jemandenfinanzieren,dessenFinanzierungAmerikazulässt,diesogenannteIslamischeFrontzumBeispiel.

IstderamerikanischeEinflussaufSaudi-Arabiensostark?

Definitiv.DasistkeinGeheimnis.

WievieleLeutehatder»IslamischeStaat«inSyrienundwievieleimIrak?DamiticheingrobesGefühlkriege.

Ist schwer zu sagen. Ich habe einige Führungspositionen gefragt. Die können selbst nur Schätzungenangeben.

IhreSchätzung?

MeinVorgesetzter,deröfterimIrakist,hatmirvoreinpaarTagengesagt,dasssichindenletztenWochenundMonaten allein dieAnzahl unsererKämpfer im Irak verzehnfacht hat. Ich schätze PimalDaumenzwischen15000und20000Kämpfern.

ImIrak.

Nein, Syrien und Irak zusammen. Was die administrative Seite angeht, Richter, Verwaltungsleute,Polizisten,Shariah-Polizeiusw.,kommenwirnochmalaufdieselbeZahl.

Wiestark istdieRolledersunnitischenStämme,derBaathistenundderanderenGruppierungen,mitdenender IS im Irakverbündetseinsoll?UndmitdenenerangeblichSeiteanSeitekämpft.GenausostarkwiederIS?DieSunnitenbehauptenja,sieseienvielmehr.Diesagen,siehättenungefähr20000Kämpfer,undSiesagen,vielweniger.

DasmitdemSeite-an-Seite-Kämpfenstimmtnicht.SeitdemJanuar2014,alsoseitAnfangdiesesJahres,gibteskeineKoalitionmehrmitirgendwelchenGruppen.DerIslamischeStaatverbündetsichmitkeinerGruppemehr.Esseidenn,dieGruppegehtvollständig imIslamischenStaatauf,stellt ihreWaffenundihre Leute zur Verfügung und übergibt uns die Befehlsgewalt. Ansonsten wird keine Koalition mehrgeduldet.

GenausoinSyrien?

GenausoinSyrien.

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WievielDeutsche,schätzenSie,kämpfenbeimIS,undwievieleDeutschegibtesüberhaupt,dieinSyrienkämpfen?PimalDaumen.InDeutschlandsprichtmanvon300.

Ichkannnichtbestätigen,obeswirklich300sind.Ichkönnteauchnichtsagen,obes500sindoder1000.IchdenkeaufjedenFall,dass90ProzentvondenenbeimIslamischenStaatsind.DerRestverteiltsichaufJabhatAlNusra,dieIslamischeFrontundAhrarAlSham.

AberdieGrößenordnungistnichttotalfalsch?

Ichdenke,dassdiedeutscheRegierungbessereAngabenmachenkannalswir.

WollenSieirgendwannwiedernachDeutschlandzurück?

Definitivnicht.(Lacht.)

UndwasistIhrGefühlbeidenanderenMitgliederndes»IslamischenStaats«?WilleinTeilwiedernachDeutschlandzurück,oderwollenallebleiben?

AusislamischerSicht,denkeich,wirdkeinerzurückgehen.Abervielleichtwirderverwundet,bekommtdiesessogenannteHeimweh,vielleichtwillerzuseinerEhefrauzurückoderzudenKindern.DassindandereFaktoren.Deshalbkannessein,dassdereineoderanderewiederzurückgeht.ImJanuar,alsdieKämpfe stattgefunden haben, sind einigewieder in ihre Länder zurückgekehrt.Deutsche, Belgier, aberauchAraber.

InDeutschlandwartetderStaatsanwalt,weilmannichtinausländischenTerrortruppentätigseindarf.Dasiststrafbar.UnddieStrafensindhoch.Dasistjaauchnichtgeradeeinladend,oder?

Nichtwirklich, nein.Aber ichmeine, Sie haben das vielleichtmitgekriegt, ausAfghanistan sind auchetliche zurückgekehrt. Aus den verschiedensten Umständen. Viele von ihnen haben hohe Haftstrafenerwartet.Siehabensieletztendlichauchbekommen,drei,vieroderfünfJahre,vielleichtauchmehr.DasnimmtmandannhaltinKauf,auswelchenGründenauchimmer.

InDeutschlandbestehtdieHauptsorge,dassdiezurückkehrendendeutschenJihadistenhierschwereAnschlägebegehen.IchhabemehrfachmitLeutengesprochen,diezurzeitinmuslimischenLändernkämpfen.Diehabenmirgesagt:»Aberwirsinddoch nicht imKampfmitDeutschland.Wir kämpfen inSyrien gegen die dortigeRegierung und nicht gegen die deutscheRegierung.«WasistIhreMeinung,mussDeutschlandAngsthabenvordenRückkehrern?

Das istschwerzubeantworten. Islamischgesehen,wirdDeutschlandalsFeinddes Islam,alsKämpfergegendenIslamgesehen.

VonIhnenvielleicht,abernichtvonderMehrheitderislamischenWelt.

Die deutsche Außenpolitik gegenüber Israel ist bekannt, die Außenpolitik gegenüber Afghanistan istbekannt,dasTötenderMuslimeinAfghanistanundinanderenLändernistbekannt,dieWaffenlieferungenweltweit –Waffen, die gegen die Muslime eingesetzt werden.Wir haben vorhin über Saudi-Arabiengesprochen. Man weiß zum Beispiel, dass die Truppen in Saudi-Arabien beziehungsweise dieGeheimdiensteinSaudi-ArabienvonDeutschlandausgebildetwerden,dassesWaffenlieferungengibt.Hinzukommt,Siehabendasbestimmtgesehen,dassKurtWestergaard2vonAngelaMerkel fürseine

KarikaturengegendenProphetenpersönlichausgezeichnetundgelobtwurde.Shariah-rechtlichstehtaufsoeinePersondieTodesstrafe.DadurchstelltsichIhreRegierungalsFeinddesIslamdar.

AbernichtdiedeutscheBevölkerung.

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EsgibtkeineUnterscheidung–besonderswennmandasdeutschedemokratischeSystembetrachtet.DieBevölkerung stellt die Regierung, und dementsprechend ist sie zufriedenmit dem, was die Regierungmacht.Oderzumindestteilweisezufrieden.MansiehtdasjaauchanUmfragen.WennmansichimInternetin Foren oder auf Nachrichtenseiten umsieht, sieht man eine große Zustimmung der Bevölkerung zumKampf gegen den Islam. Zum sogenannten Kampf gegen den Terrorismus. Dadurch macht sichDeutschlandzumZielundzumFeind.

DassSiediePolitikderRegierungDeutschlandskritisieren,das istdaseine,das tue ichmanchmalauch.AberSiesehenDeutschlandalsFeindan.Washeißtdas?Heißtdas,dassdiejenigen,diezurückkommen,inDeutschlandAnschlägeverübenundhierweiterkämpfen?MussDeutschlandsichSorgenmachen,wennIS-KämpfernachDeutschlandzurückkehren?MussDeutschlandsichsorgen,dassesAnschlägegibt?

Momentan ist das definitiv nicht unserePolitik.Momentan vertretenwir diePolitik:Wennmanuns inRuhe lässt, lassenwir andere auch inRuhe.WennallerdingsunsereStaatsgrenzen irgendwannmalbisDeutschlandreichen,werdenwirauchdieLeutedortbekämpfen.AberdassesjetztgezieltirgendwelcheAnschlägegibtoderSonstiges,istnichtderFall.Zumindestnichtjetzt…

DassRückkehrerAnschlägeverüben,glaubenSiealsonicht.

Sie haben das vielleicht in Frankreich gesehen. Der Belgier – oder umgekehrt, der Franzose, der inBelgiendenAnschlaggemachthat,oderderBelgier inFrankreich? Ichweißnicht,wodas jetztgenauwar, ichhab’svergessen–derMann,der indieses jüdischeMuseumgegangen ist unddortmit seinerKalaschnikoweinigeLeutegetötethat.Faktist,dassernichtaufBefehlgehandelthat,sondernaufeigeneEntscheidung.Eskanngutmöglichsein,dasssoetwaswiedervorkommt.Ichwürdejetztlügen,wennichsagenwürde,daswirdniemalspassieren.

WassagtderKalifzueinemsolchenAnschlag?

Wiegesagt,momentanistdasnichtPolitikdesIslamischenStaats.Wassollmandazusagen?DieSacheistpassiert.

WiegroßstellenSiesichden»IslamischenStaat«vor?WiegroßsollereinesTageswerden?

Wir wissen von Aussprüchen des Propheten Mohammed, dass der Islam irgendwann die ganze Weltbeherrschenwird.Daswirdgeschehen,dasisteinTeilunseresGlaubens,unddementsprechendkannichsagen:DerIslamischeStaatwirddieganzeWeltbeherrschen.

AberderKoransagt,dasseskeinenZwanginGlaubensfragengibt,dassChristen,JudenihreReligionbehalten.DiekonntenjaauchunterMohammedihreReligionbehalten.

DieSachen,dieSiesagen,sindnatürlichrichtig.Siehabendasjavielleichtmitverfolgt,inRakkagibtesquasieinFriedensabkommenmitdenChristen.Wirhabenvorhindarübergesprochen,dassdieChristeninRakka die Jizya zahlen, diese Schutzsteuer. Die Christen werden ihre Rechte haben, sie können ihreGottesdienste abhalten, sie können in Sicherheit beten usw. In Mosul haben die Christen das nichtakzeptiert.ManhatihnendreiWochenZeitgegeben,sichmitdenLeutenvomIslamischenStaatzutreffen,umdieseDingeauszuhandeln.Dasistnichtpassiert.DannhatmandenChristendreiTageZeitgegeben,entwederdieJizyazuzahlen,dasLandzuverlassenodergetötetzuwerden.

FindenSiedasgut?

Definitiv.Ichmeine,sonstwäreichnichthierundwärenichtbeimIslamischenStaat.Dasistlegitimund

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einRechtdesIslam.DeutschlandsagtdenMuslimenjaauch,wassiezutunundzulassenhaben.GenausomachenwirdasmitdenChristen.

Dasistdochvölligfalsch.DieMuslimeinDeutschland–ichspielejedenSamstagFußballmiteinigen–wählendiePartei,diesiewollen,siesindfürdieRegierungodergegendieRegierung.DergrößteTeilderBevölkerungistzumBeispielgegendenAfghanistankrieg.DieMuslimemüssenkeinerRegierungfolgen.

Dasistnichtganzrichtig.DerBeweisistdieSchließungeinigerMoscheen,diedendeutschenBehördennicht indenKrampassten.Das ist einklarerBeweisdafür, dassdie sogenannte religiöseFreiheit derMuslimeinDeutschlandaufgutDeutschQuatschmitSoßeist.

InMünchen,woichjalebe,wirdgeradeeineneueMoscheegebaut…

SiebezeichnendasalsMoschee.WirimIslambezeichnendasnichtalsMoschee.WennSieimKorandie9.Sureaufschlagen,lesenSieüberMoscheen,indenenLeutesichhinstellen,umbewusstdemIslamzuschaden. Das ist der Fall in denmeistenMoscheen in Deutschland. Die predigen doch keinen Islam.Sondernirgendetwas.IhrepersönlichenGlaubensgrundsätze,vermischtmitGrundsätzenderDemokratie,anderer Religionenwie demChristentum oder irgendwelcher Ideologien. Das verkaufen sie dann denLeutenirreführendalsIslam.

Die Positionen, die Sie da einnehmen, kann ich nicht nachvollziehen. Würden Sie sich als Salafist bezeichnen oder alsWahhabit?

DasProblemist,dieseganzenBegriffe,SalafistoderWahhabit,sindBegriffe,dienichtsmitderReligionansichzutunhaben.AberwennSiefragen,obichMohammedundseinenLehrenfolge,dieerzuseinenLebzeitenvertretenhat,ja,dannbinichSalafist.Dannstimmtdasnatürlich,definitiv.

Siehabenvorhergesagt,SiefindenkeinLandgut.AuchnichtSaudi-Arabien.AberSaudi-ArabienunterstütztdenSalafismusundWahhabismus,sostarkeskann.

DasistauchsoeineoberflächlicheBetrachtung.InSaudi-ArabiengibtesgenaudenselbenmoralischenVerfallwieinanderenLändern.DieShariahwirdnuraufLeuteangewendet,dienichtvomKönigshausabstammenundkeineeinflussreichenPositionenhaben.AlsoaufdenkleinenMann.

Gibt es ein Land, das Ihren Vorstellungen eines Islamischen Staats ein bisschen näherkommt? Gibt es kein einzigesislamischeLand,beidemSiesagen:»Dasistnichtschlecht,wasdiemachen«?

Definitivnicht.EsgibtkeinislamischesLand,dasannähernddieShariahimplementiertodersichdanachrichtet.

BeiIhremweltweitenEroberungszugmüsstenSiejadannalldiesemuslimischenLändereinesTagesangreifen.

Daswirddefinitivgeschehen.

WennSieglauben,dassder»IslamischeStaat«einesTagesdieWeltherrschaft ergreifenwird,wirderausgeografischenGründenerstdieislamischenLänderangreifenmüssen.

DasnächsteLand,dasangegriffenwird,wirdhöchstwahrscheinlichSaudi-ArabienseinoderJordanien,unddanngeht’ssoweiter.

DawirdsichSaudi-Arabienaberfreuen.

Ichdenke,eherweniger.

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WennSiesolchePositionenöffentlichäußern,werdenSievieleFeindehaben.DieWeltwirddadochnichteinfachzuschauen.WarumgreifteigentlichdiesyrischeRegierungSienichtmassiveran?DiehabendochFlugzeuge,diekönntenIhreStellungeninRakkadochvielstärkerangreifen.

Siehabendasbestimmtverfolgt:Wirhabenangefangen,Assad-Stellungenhartanzugreifen.Dadurch,dasswirandereGruppenwiedieIslamischeFrontzurückschlagenkonnten,habenwiretwasLuftbekommen.WirhabendieMilitärbasisvonRakkaangegriffen.WirkonntensieinnerhalbvonzweiTageneinnehmen.NatürlichwerdendieGegenschlägenunheftiger.Tatsacheist,dassAssadjetztmehrRaketenschicktundauchmehrFlugzeuge.Allein inden letzten zweiTagenhatAssadvierScudraketen aufuns abgefeuert,abersiehabennichtsWichtigesgetroffen.

AbererkönntenochmehrFlugzeugeschicken.

Flugzeuge kommen jeden Tag. Das ist nichts Neues. Jeden Tag kommen Flugzeuge und bombardierenirgendetwas. Aber die Treffgenauigkeit dieser Flugzeuge und ihrer Bomben ist gering. Es ist für dieimmeraucheinstarkerKostenpunkt,einFlugzeugzuschickenodermehrere.DasistdasProblemvielerRegierungen.Dass derKostenaufwand, den sie haben, viel zu hoch ist.Krieg ist teuer. Sie haben daswahrscheinlichverfolgtmitAmerika.DerKrieginAfghanistanundderKriegimIrakhabenAmerikafastPleitegemacht.JedenfallsfinanziellinSchwierigkeitengebracht,weilsiesichumihreigenesLandkaumkümmernkonntenundjetzteineriesigeStaatsverschuldunghaben.

Ichwar letzteWoche inGaza, vierTage lang.Dahabendie israelischenFlugzeuge teilweise sehrgenaubestimmteZielegetroffen.AmmeistenallerdingsZivilisten.

Aberdie Israelishaben jaauchGeld.DersyrischeBürgerkriegzieht sichmittlerweileüberdrei Jahrehin.DashatdiesyrischeRegierungMilliardengekostet.SoeinenKriegkannmannichtlangedurchhalten.

AndersalsSie?SiehabenvielGeld.Manhatgelesen,dassderISimIrakgroßeBeutegemachthat.ÜbereineMilliardeUS-Dollar?Stimmtdas?

Ja.

IchkommeganzkurznochmalaufDeutschland.WasbedeutetDeutschlandfürSiepersönlich?WennDeutschlandFußballspielt,interessiertSiedasgarnicht?

Überhauptnicht.Eshatmichvorherauchnichtinteressiert.

AlsSienochinDeutschlandgelebthaben,habenSiedanichtirgendwelcheDingebesondersgeliebt,sichüberDingegefreut,dieesnurdortgibt?

Esistschwer,dieseFragezubeantworten.NatürlichgefälltmirDeutschlandlandschaftlichweitausmehralsmanchearabischenLändermitihrenWüstenundheißenGegenden.DochesgibtDinge,diefüreinenMuslimvielwichtigersind.

WelcheParteihabenSiegewählt?

Ichhabeniegewählt.SelbstalsichnochkeinMuslimwar,habeichnichtgewählt.

WashaltenSievonFrauMerkel?

DerProphetsagte,wenneineFraudieFührungeinesLandesübernimmt,wirdeszugrundegehen.WennmanFrauMerkelkenntund ihrenpolitischenWerdegang,weißman,dasshinter ihrerPolitiknichtsalseigeneInteressenstehen.VorallemandieMachtzukommenunddranzubleiben.

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Da muss ich widersprechen. Ich finde Frau Merkel ungewöhnlich tüchtig. Aber Themawechsel: Was war Ihr schönstesJugenderlebnisinDeutschland?

Ichweißnicht,wie ichaufdieseFrageantwortensoll.Natürlichgibtes inderJugendDinge,diemangernemacht,dieauchislamischvertretbarwaren.AberauchhierbeiunsgibtesErlebnisse,dieschönsindunddiemannichtmissenwill.AuchwenndasfürmancheLeuteschwerzuverstehenist.

SindSieinDeutschlandalsMuslimgutbehandeltwordenoderschlecht?Diskriminiertodernicht?

Definitivdiskriminiert. Ichbin2003zumIslamübergetreten.Kurzdaraufhabe icheineAusbildungalsBürokaufmann angefangen in einem großen Unternehmen. Viele islamische Pflichten wie dasFreitagsgebetkonnte ichdortnichterfüllen.Das istnatürlicheineDiskriminierung.Manhat islamischePflichten, kann sie aber nicht befolgen. Selbst wenn man probiert, mit dem Chef Kompromisseeinzugehen.IchbinnichtderEinzige,demdaspassiertist.

IchhabeeinenmuslimischenMitarbeiter,derbetetfünfmalamTag.Niemandwürdeihnjedaranhindern.Erwürdesichauchnichthindernlassen.

Aberwir sehenhalt dieMehrheit inDeutschland, unddie verbietet dieseSachen.Deutschland erzähltjedemvonDemokratieundFreiheit.Jederkönnemachen,waserwolle,unddieWürdedesMenschenseiunantastbar.ManhatGesetzeüberReligionsfreiheitunddergleichen.DochdanngibtesLehrerinnen,dieeinnormalesKopftuchtragenwollen,wasislamischnichteinmalausreichendwäre,undmanverbietetesihnentrotzdem.DafragenSie,obmandiskriminiertwirdodernicht.

WaswarenSie,bevorSieMuslimwurden?

IchwarChrist,Protestant.AberwiedashaltbeidenmeistenDeutschensoist,ichhatteniewirklichwasmitmeinerReligionzutun.

WokamenIhreElternher?KamendieausislamischenLändern,oderwarendasDeutsche?

MeineElternsindbeidedeutsch.AuchmeineGroßelternwarenDeutsche,auchmeineUrgroßeltern.

WarumsindSiezumIslamübergetreten?WaswardasErlebnis,dasSiebewogenhat,zumIslamüberzutreten?

DaswareinProzessübermehrereJahre,derletztendlichdazugeführthat,dassichMuslimwurde.WeilichmichmitdemIslambeschäftigthabe.

WasfindenSieimIslambesseralsimChristentum?

DieListeistlang.

AberdieReligionensindähnlich.

Ja.

IstAllahnichtderselbeGott,andenauchdieChristenglauben?EsgibtdochnureinenGott.

Ja und nein. Die Vorstellung der Christen von Gott, die Trinität, die Dreieinigkeit, widerspricht demMonotheismus.FürmichwardaseinentscheidenderGrundzuerkennen,dassderIslamrichtigeristalsdasChristentum.

DiemeistenJudenglaubenauchnuraneinenGott.

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Mankönnte jetzt stundenlangüberdieseFragediskutieren.ÜberdieUnterschiedeunddarüber,wasananderenReligionenfalschist.AberdergrößteBeweisfürdieRichtigkeitdesIslamistfürmich,dassdiejüdische Thora, so wie sie ursprünglich war, nicht mehr vorhanden ist. Während der Koran genausovorhandenist,wieerherabgesandtwurde.Wennmanwissenwill,wasGottvoneinemverlangt,brauchtman zuallererst eine Anleitung, die darstellt, was Gott von den Menschen verlangt. Und wenn dieseAnleitungverfälschtodernichtmehrauthentischist,istdasschlecht.

Ich habe den Koran mehrmals gelesen. Mit viel Interesse und mit viel Gewinn. Da steht sinngemäß: Wenn einer einenMenschentötet,soistdas,alshabeerdieganzeMenschheitgetötet.UndwennereinenMenschenrettet,istdas,alshabeerdieganzeMenschheitgerettet. IchhabeeinVideodes»IslamischenStaats«gesehen,dawirdnurgetötet.SiekennendasVideo,eskamvoreinemMonatheraus.DafährteinAutoaufeinerAutobahn,undimmerwenneseinanderesAutoüberholt,wirddieScheiberuntergekurbelt,dieMaschinenpistolerausgeholtundso langegeschossen,bisalle InsassendesanderenAutostotsind.GlaubenSie,dassdasislamischist?

Die InsassenderAutos,dieerschossenwurden,warenalleMilitärangehörigedesMaliki-RegimesausIrak. Somit sind die Leute nicht ganz unschuldig. Sie sind nicht unschuldig daran,Muslime getötet zuhaben,siesindnichtunschuldigdaran,gegendenIslamischenStaatzukämpfen,siesindnichtunschuldigdaran,dieReligionalsGanzesverratenzuhaben,undsiesindnichtunschuldigdaran,gegendieSunnitenim Irak schlimmeVerbrechenbegangenzuhaben.Sogesehenwardas,wiemanaufDeutsch sagt, einegerechteStrafe,diesieeingeholthat.Esistnichtso,dassderIslamischeStaatirgendwohingehtundinderMittagssonne eine unschuldige Person erschießt, die nie gegen den IS gekämpft hat und nie etwasgegendenIslamgemachthat.

AberwusstendieSchützenvorhergenau,werindenAutossaß?

Ja,natürlich.DassindgeplanteAngriffegewesen.

ExtremgrausameAngriffe.IchhabeüberMohammedvielgelesen.MohammedundderGottdesKoranwarenniesograusamwiederIS.Niesobrutal.IchhabedenIslamimmeralseinemenschlicheReligionangesehen.Ichreiseseitüber50JahrenumdieWelt.NirgendwohabeichbishersovielMenschlichkeitundNächstenliebeerlebtwieindermuslimischenWelt.

Esistnichtso,dassderISdenLeutenkeineWahlgibt.Siehabendasvielleichtmitverfolgt,alsimJanuardie anderen Gruppen angefangen haben, in Syrien gegen uns zu kämpfen. Da hat Al Baghdadi eineAudiobotschaftanunsereGegnerveröffentlicht.Erhatgesagt:LegteureWaffennieder.WirakzeptiereneureReue,ihrkönntzuunsübertreten,wirlasseneuchinRuhe,wirbekämpfeneuchnichtusw.WennihrabereureAngriffefortführt,sindwirgezwungen,unsereTruppenvondenanderenFrontenabzuziehenundgegen euch zu kämpfen. Undwir werden euchmit Allahs Erlaubnis vernichten. Sie haben uns weiterbekämpft. Wir sind daraufhin mit Härte gegen sie vorgegangen. Sie wurden aus unseren Gebietenvollständig vertrieben und komplett entwaffnet.Wir habenMillionen anKriegsbeute gemacht:Waffen,GelderunddieÖl-undGasfelder,dieunterihrerKontrollewaren.HundertevonLeuten,wennnichtgarTausendemusstendamalsihrLebenlassen.Abereswarnichtso,dasssiekeineWahlhatten.

DarfmanIhrerMeinungnachZivilistentöten?TötetderISauchZivilisten?

Nein,definitivnicht.Jeder,derdasbehauptet,lügt.

Ichkommedaraufnachhernochzurück.Hiernurgrundsätzlich:WoliegendiewestlichenMedienfalsch?WassindausIhrerSichtdieHauptlügen?

EinBeispiel,dasvoreinpaarTagenindenMedienberichtetwurde.Eswurdebehauptet,dassderISdenFrauenZwangsbeschneidungauferlegthabe.

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Aber das wurde als Falschmeldung ganz schnell zurückgezogen. Eine Menschenrechtsbeauftragte hatte etwas falschübersetztoderaufirgendeinGerüchtgehört.Siewirdjetztheftigkritisiert.

Aber kurz davor war fast genau dasselbe. Dass die Frauen in Mosul mit den Soldaten des ISzwangsverheiratetwürden.AlldaswarQuatsch.AndereMedienbehaupteten,dasswir alleLeute,dieirgendwelcheSündenbegangenhabenodersonstirgendwasfalschmachten,ausdemIslamausschließenund töten würden. So geht das Tag für Tag. Sie können nach Rakka kommen und sich selbst davonüberzeugen,dassdasallesfalschist.Wirmüssten,wennmannachdiesemMaßstabginge,daskomplettesyrischeVolktöten.Jedervondenenraucht,jedervondenenmachtjedeMengeunislamischeSachen,undtrotzdem wird keiner deshalb getötet. Außer es gibt ein ausdrückliches islamisches Urteil, das dieTodesstrafeverhängt.

WasistIhreMeinungzuSchiiten?

DieislamischeMeinungist,dassdieSchiitenAbtrünnigesind.IhreAbtrünnigkeitvomIslambedeutetihrTodesurteil.

Washeißtdaskonkret?

DieSchiitenhabenzweiMöglichkeiten:EntwedersiebereuenundkehrenfreiwilligzumwahrenIslamzurück,odersiewerdengetötet.

Das heißt, wenn 80 Millionen iranische, irakische, syrische Schiiten nicht bereuen und nicht freiwillig zum Sunnitentumübertreten,dannwerdensieallegetötet?

Richtig,definitivja.

80Millionen?

Wenn’sseinmuss.(Lacht.)Ichmeine,dashörtsich,wiesollmansagen,sehrkrassan…

Dashörtsichwirklichkrassan.

Der IS hat versucht, gegenüber den Schiiten auch eine andere Politik zu verfolgen. 2006, als der ISerstmalsGebieteimirakischenAnbarundFalludschakontrollierte.Dahatmanversucht,dieSchiitenausdenStädtenzuweisen.Manhatihnengesagt:SuchteucheinenanderenOrt,dakönntihrweiterleben.AufgutDeutsch,manhatsievertrieben.LeiderhatsichdieseStrategiealsschlechterwiesen.Weiljemand,den man vertreibt, immer mit Macht und mit Kampf versucht zurückzukommen. Dass ist dann auchpassiert.Was viele Leute nicht sehen oder verschweigen, ist: Die Schiiten im Irak und im Iran haben große

VerbrechengegenüberdenSunnitenbegangen.ManhatdasjaauchbeiAssadhierinSyriengesehen:dassMenschen,Babys,KinderenthauptetundgehäutetundFrauenvergewaltigtwurden.WirmachendasmitdenSchiitenundAlawitendahermeistrechteinfach:Wirnehmensieunderschießensie.(Lacht.)

GlaubenSie,dassalleswahr ist,wasüberdieRegierung Irans,überdieRegierungSyriensundüberdieRegierung Iraksgesagtwird?Oderwirddanichtauchvielerfundenundgelogen?

WasdenIranangeht,bezüglichdesAtomprojektsunddergleichen,kannichnichtssagen.AberwasdieVerbrechengegenüberdenMuslimen,gegenüberdenSunnitenangeht,daistdefinitivnichtserfunden.EsgibtleiderTausende,MillionenvonZeugendafür,dasistso.

WashaltenSievonderHisbollah,vonNasrallah?

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Überhauptnichts.(Lacht.)EristjaSchiit.

WashaltenSievonHamas?

Nochvielweniger.DieHamasistnichtsanderesalsdieHisbollah,einedemokratischeParteiunterdemDeckmantel des Islam.Wennman 20, 30 Jahre zurückgeht, dawar dieHamas vielleicht anders.Dochheutzutagekannmanvondenennichtsmehrerwarten.UmdieSacheaufdenPunktzubringen:BrüderausdemGazastreifenhabenunsberichtet:DieHamasistfürunseinschlimmererFeindalsdieIsraelis.

Siehabengesagt,esgebeungefähr15000bis20000KämpferdesISimAugenblick,richtig?

Ungefähr,ja.

UndimGrundeerklärenSie,mitAusnahmederChristenundJuden,dieSiegeradenochduldenwollen,allendenKrieg,dienichtIhrerInterpretationdesIslamfolgen.SiewollendieWelterobern.AlleWeltweiß,dassSiesehrbrutalgegenIhreGegnervorgehen.GlaubenSienicht,dasssichdeshalballeanderenarabischenLändersehrbaldzusammenschließenundsagenwerden,wirkönnendiese20000Mann,dieunsalleumbringenwollen,nichtdulden?

Wirdenken,dassdaspassierenwird,ohneFragewirddaspassieren.WirhabenkeineAngstdavor.Esistmanchmalschwer,dieseSachenzuerklären.WennSievordreiMonatenjemandengefragthätten:»KannderISsolcheSiegeerringen,wieersieimletztenMonatimIrakundinSyrienerrungenhat?«,hättenallehundertprozentiggesagt:»Nein,dasschaffendienie.«DochunserGlaubeistAllah,undwirwissen,dassallesvonihmkommtundvonihmgelenktwird.Deswegensindwirunsdefinitivsicher,dasswirdieserSachestandhaltenkönnen.AuchwennsichdieganzeWeltgegenunszusammenschließt.ManweißdasauchausderGeschichte:AuchderProphetistmeistvonzahlen-undwaffenmäßigüberlegenenTruppenangegriffenworden.Erhatsietrotzdembesiegt.DieGeschichtewiederholtsich.

AberMohammedwareinProphetderBarmherzigkeit.ErkannteGnademitseinenGegnern.SieaberscheinenkeineGnademitIhrenGegnernzukennen.

Dasistfalsch.UmdasbesteBeispielzuzeigen:NachderEroberungvonMosulwurden4500SoldatenderMaliki-Armeefestgenommen.1700vonihnenwurdenhingerichtet.Dieanderen…

WarumhabenSie1700Schiitenhingerichtet?WeilsieSchiitensind?

Nee,warten Sie, die Sache ist die.Die anderen hättenwir normalerweise auch alle hingerichtet.DasislamischeUrteilüberdieseLeutewarklar.SiehabenfürdieRegierunggekämpft,gegendenIslam.Dasbedeutet Abtrünnigkeit. Da sie aber Sunniten waren und geschworen haben, dass sie das nie wiedermachenwürden – sich gegen den IS zu verbünden –, habenwir Gnadewalten lassen. Obwohl es einLeichtes gewesenwäre, sie alle zu töten. Da siehtman, dass die Gnade, die der Prophet gehabt hat,weitergeführtwird.

DasnennenSieGnade?

Ja,dasnenneichGnade.

HabenSieeigentlichmitIhrenElternnochKontakt?MankannjaüberSkypeKontakthalten.

Abundzu,ja.

Undwassagendiedazu,dassSiejetztsoeingnadenloserKämpfergewordensind?

Meine Eltern wissen, dass ich kein Mensch bin, der ohne Grund und ohne Sinn für Gerechtigkeit

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irgendwelcheLeutetötet.

HabenSieMenschengetötet?

Daskannichnichtbeantworten.(Lacht.)Schonmöglich(Lacht.)

HättenSiewasdagegen,wennichirgendwanneinmalauchmitIhrenElternsprechenwürde,siebesuchenwürde?IchbinbeiIhnenmitvielenSachennichteinverstanden.AberichwürdegernemitIhrenElternsprechen.

Dasistmöglich.

GibtesdieMöglichkeit,auchdenKalifenzuinterviewen?

Nein.Definitivnicht.

AberirgendwannmusserjamaleinInterviewgeben.

Ich habemitmeinemVorgesetzten gesprochen, undmomentan – ich denke, daswird sich auch in dennächstenJahrennichtändern–wirderdefinitivkeinInterviewgeben.Vielleichtwirdesdazukommen,dasserirgendwannandieÖffentlichkeittrittinFormeinesVideosoderso.

ErwarinderMoschee,warerdaswirklich?

Ja,daswarer.SiesindderzweiteReporteroderJournalist,mitdemwirüberhauptsprechen.DererstewarvonViceNews.SiesindderersteausdemWesten.DerMannvonViceNewswarMuslim.

KnappzweiWochenspäter,am21.September2014,wurdedasGesprächfortgesetzt:

KeinMenschaufderWeltversteht,warumderISunschuldigenMenschendenKopfabschneidet.Dasistdochpervers.Wasist der Grund dafür, dass das auch noch so demonstrativ gemacht wird? Warum werden diese Menschen öffentlichhingerichtet?Siesindunglaublichgnadenlosundgrausam.NochgrausameralsAlQaida.WasistIhreBegründung?EshatjakeinenSinn,umdieseSachenherumzureden.

SprechenSiejetztüberdieAmerikaneroderüberdieBriten?OderüberdieAssad-Soldaten?

Eigentlichüberalle.AberichfragejetztzuerstnachdenbeidenAmerikanern.

Siehaben jadieVideoswahrscheinlichgesehen.LetztendlichwardiesnichtunsereEntscheidung.DiePolitikerderLänder,ausdenendieseLeutekamen,habenmehralseinmaldieChancegehabt,ihreLeutezubeschützenundrauszuholen.DieseMöglichkeitenhabensiebewusstignoriert.

Siesagen,dass IhreLeitliniederKoran ist. Ichhatte Ihnenmehrfachgesagt,dass ichderAuffassungbin,dassderKoranbarmherzig ist.Wosteht imKoran,dassmanunschuldigeMenschentötendarf?Unschuldige.JamesFoleybeispielsweisewareinJournalist.DerhatteIhnennichtsgetan.DiebeidenJournalistenwarenjanichtIhreGegner,IhreFeinde.

Sie wissen besser als ich, dass die Medien beziehungsweise die Journalisten meistens gefährlichereFeindesindalsdieSoldatenamBoden.

Der Hauptgrund, warum ein Großteil der Menschen auf derWelt die Bombardierungen der USA jetzt akzeptiert, sind dieöffentlichen Hinrichtungen und das öffentliche Abschneiden von Köpfen unschuldiger Menschen. Dass in Kriegen vieleUnschuldigegetötetwerden,weißich.Abersiewerdennichtgezieltgetötet.Siedagegentötengezielt,bewusst,demonstrativUnschuldige.DashatdieStimmunginderÖffentlichkeitvölliggedreht.Keinerakzeptiertdas.

Dasmagsein.AberwirfürchtendenAngriffderAmerikanernicht.EsistnureineFragederZeit.Wennihrnicht zuunskommt,werdenwir zu euchkommen,und ihrwerdetdieKonfrontationdann ja sehen.

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Wennman alles genau betrachtet, sind dieAmerikaner und ihreAlliierten ohnewirklichen Plan, ohnewirklicheStrategieundohneeinewirklicheIdee,wiesiegegendenISkämpfensollen.Was jetzt passiert, ist im Grunde das Resultat dessen, was im Krieg der USA gegen den Irak 2003

passiert ist. Die USA haben den Krieg nicht gewonnen. Sie haben den Irakkrieg klar verloren. Dieschiitische Regierung, die sie zurückgelassen haben, war instabil. Das Land ist zerbrochen. Ob dieEnthauptungen, die Sie kritisieren, notwendig waren oder ob das Erschießen mit der Pistole gereichthätte,seidahingestellt.Faktist,dassdieseProvokationbewusstgemachtwordenist.WirwollenesdenAmerikanernzeigen.

DieganzeWeltfragtsich,warumschneidenSieunschuldigenLeutendenKopfab?DerKorangestattetdasnicht.UndwasistmitdenKindern?EssindjaauchKindergetötetworden.

Esmusserstmalbewiesenwerden,dassvonunsauchKindergetötetwurden.

IchhabeBildereinesMädchensgesehen,dessenKopfabgeschnittenwordenwar.

DieseBilderstammenvondenJesidenundvondenKurden.Die leistenvorzüglichePropagandaarbeit.DassindFälschungen.DerISwürdesolcheBildermitKindernauchniepublizieren.

IchkommjetztnochmalaufdieJournalistenzurück.JamesFoleykannteichpersönlich,weilichmitihminLibyenzusammenwar.WirwarenwährendderAufständetagelang imselbenHotel.Warumistder ISderAuffassung,dassmanJournalisteneinfachabschlachtendarf?

ManmussdasimGesamtzusammenhangbetrachten.EswarenjanichtirgendwelcheJournalisten,sondernsolche, die damals schon gegen den Islamischen Staat im Irak geschrieben hatten. Der zweite, StevenSotloff,hatteauchinderArmeegedient,genauwiederdritte.DaswarennichteinfachJournalisten,diekeinBlutanihrenHändenhatten.

GegendenISgeschrieben.Gutzuwissen.IchhabejaauchgegendenISgeschrieben.UndwurdennichtauchMitgliedervonNGOsgetötet?JetzterstvorKurzem.IchbinnichtIhrRichter,obwohlichentsetztbin.IchsageIhnendasauch,weilesdieöffentlicheMeinungvölligveränderthat.

DieöffentlicheMeinung,diegreiftsichirgendwasheraus.DieistunsimPrinzipegal.DieAmerikaner,und Sie wissen das wahrscheinlich besser als andere, haben allein im Irak über eineMillionKindergetötet. Unschuldige Kinder. Durch die berüchtigten Sanktionen und den Krieg. Das hat keineninteressiert. Jetzt, wegen ein paar Jesiden und wegen drei Reportern, deren Regierungen die Chancehatten,siefreizukaufen,wirdalleshochgepusht.WirhattendochauchnochandereJournalisten.DieFranzosenhaben ihreLeutefreigekauft. Ichweiß

nicht,obSiedasmitbekommenhaben.WirhattenaucheinenDeutschen.DerwurdevonseinereigenenFamilie freigekauft, weil die deutsche Regierung sich einen Dreck um ihn geschert hat. Die deutscheFamilie hat ihn für eine Million Euro freigekauft. Diese Ausländer waren zusammen mit den dreiGefangenen,dieenthauptetwordensind.Obamahatgesagt,dieerstenLuftangriffehabeergemacht,umamerikanisches Personal in Erbil zu schützen. Wir haben ihm die Chance gegeben, seine gefangenenStaatsbürgerzuschützen.Dochdarumhatersichnicht imGeringstengekümmert.WegenirgendwelcherPrinzipien,»wirverhandelnnichtmitTerroristen«,odersowas.

WarumhatmandieEnthauptungengefilmt?

UmsiederWeltzuzeigen.WashabendieseLeutedenngesagt,bevorsieenthauptetwurden?WashatderBrite,jetzthabeichseinenNamenvergessen,David,washatergesagt?»Ichmachedichpersönlichdafür

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verantwortlich,DavidCameron«,hatergesagt,»dassdufürmeinenTodverantwortlichbist.«Warum?WeilderPremierministerdieChancehatte,ihnfreizukaufen.FürdenbritischenStaatwäreeseinLeichtesgewesen,mit einemanderenStaat inVerhandlungenzu treten.DenAmerikanernhabenwirgesagt,wirwollenAafiaSiddiqui3haben.EineFraugegeneinenmännlichenGefangenen.Siehabensichnichtdaraufeingelassen.

SinddieLeute,dieSieöffentlichhingerichtethaben,betäubtworden?HabensieDrogenbekommen?

Natürlichnicht.

Wiekommtes,dasssiebeiderTötungüberhauptnichtreagierthaben?

WeilsiesichmitihremTodabgefundenhatten.JederMenschweißinderletztenSekundeseinesLebens,dasserzuAllahzurückkehrenwird.

InErbilhabeichvonführendenKurdengehört,dasssieGefangenehaben,diefürdenISkämpften.Ichhabegefragt,obsiebereit wären, die auszutauschen. Bei Ihnen gibt es gefangene kurdische und jesidische Frauen und Männer. Wenn SieInteressehaben,sagenSieesmir.Ichwürdegernemithelfen,dasseseinenGefangenenaustauschgibt.AlsichSieneulichgefragthabe,obinDeutschlandmitAnschlägengerechnetwerdenmüsse,habenSiedasverneint.Jetzt

hatesWaffenlieferungenDeutschlandsandieKurdengegeben.HatsichdadurchdieStrategiedesISgeändert?

DaskannichIhnennichtbeantworten.DafürsindandereLeutezuständig.

KönntenSieversuchen,dasinErfahrungzubringen?

WenneinLandwieDeutschlandsichaktivandieserAuseinandersetzungbeteiligt,nichtnurpassivwievorher, sondernWaffen, Ausrüstungsgegenstände und Ausbilder in den Irak schickt oder Kurden nachDeutschlandholt,umsieauszubilden,danndarfmansichnichtwundern,wennauchunserePolitiksichändert.

EsgabstarkenDruckaufDeutschland.DaswissenSie.

MansollteeinfachmaldieCouragebesitzen,Neinzusagen.EinfachNeinzusagen.Deutschlandhatdochgenug eigene Probleme, um die sich die Politiker eigentlich kümmern müssten, statt sich in Sacheneinzumischen, die sie nichts angehen. Und wenn die Deutschen meinen, dass ihre Politiker trotzdemAlliierte spielen müssen, dann müssen sie später auch die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockthaben.WiemanaufDeutschsagt…

Naja,Deutschlandhatsichgeweigert,anBombardementsteilzunehmen.

DawarderSteinmeierhaltschlauer.

DaswarauchdiePolitikvonFrauMerkel.

WasdieSachemitISangeht,solltendieLeutemehraufSteinmeierhören.Auchwennichsonstnichtvielvonihmhalte,wievonderganzendeutschenPolitik.

WashaterRichtigeszuISgesagt?

Dass wir nicht aufzuhalten sind. Sie habenmich gefragt: »Will sich der IS dennmit der ganzenWeltanlegen?«Dashabeichbejaht.2003sinddieAmerikanerindenIrakgegangenund2011musstensiemitgebrochenemRücken,MilliardenVerlustenundTausendengefallenenSoldatenabziehen.Umsichgeradenoch irgendwievorderkomplettenBlamagezuretten.Damalshatteder IslamischeStaatausvielleicht

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5000Mannbestanden,diequasieinenGuerillakriegführtenundkeinerleiPanzeroderschwereArtilleriehatten.NachneuestenCIA-Berichtenbestehenwirjetztaus35000Mann,dieüber100PanzerhabensowieFlugzeuge und schwere Artillerie. Glauben die Amerikaner wirklich, dass sie gegen uns gewinnenkönnen?

StimmendieZahlen,diedieCIAgenannthat?

Es ist schwer zu sagen, ob die Zahlen stimmen. Ich kann Ihnen aber einige Zahlen nennen. Aus demrussischsprachigenRaumkommen50LeuteproTagzuuns.Mansagt,imletztenMonatseienüber6000neueKämpferzuunsgekommen.NachderEroberungvonMosulhatsichdieZahlunsererKämpfer imIrakverzehnfacht.VondiesenZuläufenwürdejedewestlicheArmeeträumen.EinerderPKK-KommandantenhatdasdieserTageebenfallsgesagt.Gegendiekämpfenwirgeradean

der türkischen Grenze. Er hat gesagt, er habe 20 Jahre Kampferfahrung. Er habe gegen die türkischeArmeegekämpft,gegenHubschrauber,gegenFlugzeugeundgegenallesMögliche.AbergegenKämpferwiedievom IShabeernochniegekämpft.WennsieeinAutoabgeschossenhätten, seienzehnweitereAutosvorgestoßen.Dasliegteinfachdaran,dassunsereLeutemehroderwenigergernsterbenwollen.FürdenIslamischen

Staat.DieGeschichtewiederholtsichimmer.EineArmee,diebereit istzusterbenundalleszuopfern,kannmannichtaufhalten.

SindunterdendeutschenJihadistenauchSoldaten,Leute,diefrüherbeiderBundeswehrwaren?

Natürlich!Ichgehedavonaus,dassvielebeiderBundeswehrgewesensind.BesondersdieKonvertiten.RobertB.zumBeispiel,derauchinderBundeswehrwarundsichdanndemISangeschlossenhat.

In manchen Zeitungen wird gesagt, dass diejenigen, die nicht bei der Bundeswehr waren und auch sonst keineKampferfahrunghaben,vorallembeiSelbstmordanschlägeneingesetztwürden,alsKanonenfutter.Weilsieebennichtgelernthättenzukämpfen.

Das ist schlicht falsch. Unsere Leute entscheiden sich ganz allein für eine Märtyrer-Operation. KeinVorgesetzter,keinEmirkommtundbestimmtübereinePerson,dasssiedieseOperationjetztdurchführenmüsseodernicht.DawärenwirwiederbeiderwestlichenMedienpropaganda.Daswirdgeschrieben,umjungeLeutedavonabzuhalten,sichdemISanzuschließen.

SiehabendasletzteMalgesagt,wasderKarikaturistWestergaardgemachthabe,seiGotteslästerung.Erhabedafürvonderdeutschen Kanzlerin auch noch eine Auszeichnung bekommen. Eigentlich stünde darauf die Todesstrafe.Meinten Sie dieTodesstrafefürWestergaardoderfürMerkel?

Sowohlalsauch.

WirhabenvorhinüberGrausamkeitgesprochen.Ichhabegesagt,dassdiedemonstrativeGrausamkeitdesIS,dieteilweiseauchnochgefilmtwird,dieMeinunginDeutschlandvölliggedrehthat.IchschreiberegelmäßiginZeitungenundbezeichnedieBombardementsals falsch.Obwohl ichgegenden ISbin,wieSiewissen.AberdieFilmeund IhreBrutalitätenmachenesschwer, überhaupt noch zu argumentieren. Kinder sind erschossen worden wegen Gotteslästerungen. Köpfe wurdenabgeschnitten. Sie zeigen demonstrativ grausamste Szenen. Da kann man doch nicht sagen, das sei alles westlicheMedienpropaganda.DiePropagandavideossindjavonIhnenselbstgemachtworden.

WaswollenSiedamitsagen?

DassSiehiersotun,alswärenSiegarnichtsograusam.AlsstammtenvieleGrausamkeitengarnichtvonIhnen.

Grausamkeitistimmerrelativ.DieVideosderEnthauptungwurdengeschnitten,weilwirdemZuschauer,

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wennmandassosagenkann,dengrausamstenPartersparenwollten.UndwasdieanderenVideosangeht,zum Beispiel über den Drive-by, wo auf das andere Auto geschossen wird, da handelte es sich umMilitärsundnichtumirgendwelcheunschuldigenLeute.

AberessinddochKinderwegenGotteslästerungengetötetworden.EsgibtFotos,aufdenenMädchenmitabgeschlagenemKopfzusehensind.IchmussSienocheinmalfragen:WiebringenSiedasinEinklangmitdemKoran?

Ich bezweifle stark, dass die Bilder authentisch sind und dass diese Grausamkeiten von uns verübtwurden.EsgibteinesuperFunktionbeiGoogleBilder,ichweißnicht,obSiediekennen.DakannmaneinBildhochladen,undaufgrundderDaten,dieimBildhinterlegtsind,scanntGoogledasBild.FallsesmitanderenBildernderGoogleDatenbankübereinstimmt,zeigtesdieOriginalquelle,denUrsprungdesBildes.Damansehenkann,wanneszuersthochgeladenwurde.MehrereLeutehabendasgemachtundherausgefunden,dassdieseBilderursprünglichausdemGazakriegwarenoderausdemErstenIrakkrieg,oder ausdemKrieggegenAssadusw.Kurz, dassdas alteBilder sind, die jetzt fälschlicherweiseunszugeschriebenwerden.

ManhatBildergefunden,dieirgendwelcheKurdenverbreitethatten.DawirdderEindruckerweckt,dassder IS kurdische Frauen vergewaltigen würde. Doch dann sieht man, das Bild wurde indischenBollywoodfilmen entnommen und nun fälschlicherweise uns zugeschrieben. Das ist die üblichePropaganda,diemannatürlichvonLeuten,diefürihreLügenbekanntsind,nichtanderserwartet.Michwundert,dassausgerechnetSieaufdiesePropagandalügenhereinfallen.

AberdieBilderderabgeschnittenenKöpfeinRakka,diesinddochRealität.

Definitiv. Diese Sache verneine ich auch nicht. Wenn es um Soldaten geht oder um irgendwelchefeindlichen Gruppen wie die Islamische Front, da kann es durchaus vorkommen, dass wir so etwasmachen.DaswerdenwirdannauchmitSicherheitnichtbestreiten.

AberwarumKöpfeabschlagenunddiedannausstellen?WennderGegnergetötetist,mussmanihndochnichtauchnochdemütigenundentehren,indemmanihnverstümmeltzurSchaustellt.

InvielenFällenisteshaltso,dassderGegnersogetötetwurde.Undesnichtandersverdienthatte.IchkannIhneneinenFallschildern.VoretwadreiMonatenistvoreinemHotelhierinRakkaeineAutobombehochgegangen. Siewar vor einemHotel geparkt, das vollermuslimischer Frauenwar.Drei oder vierFrauenwurdenschwerverletztundaucheinigeKinder.VieroderfünfLeutekamenumsLeben.DiefünfTäter haben wir erwischt. Um ein Exempel zu statuieren, wird dann solchen Leuten der Kopfabgeschnitten,odersiewerdengekreuzigt.

Nochmal:WirdauchwegenGotteslästerunggetötet?WerdenauchKinder,JugendlichewegenGotteslästerunggetötet?

Wenn sie das islamische Erwachsenenalter erreicht haben, als zurechnungsfähig gelten und dannGotteslästerungbegehen,definitiv.Daistkeinerdavorgeschützt,nurweilerjetzt16,17odervielleichtsogarnur15Jahrealt ist.AbermirpersönlichistnichteineinzigerFallbekannt, indemirgendwelcheKinderoderJugendlichewegenGotteslästerunggetötetwurden.

ParallelzuunserenGesprächenleseichjetztzumdrittenMaldenKoran.IchhatteIhnenmehrfachgesagt,dassderKoranvielbarmherzigeristalsdas,wasSietun.113der114SurenbeginnenmitdenWorten,daswissenSieauch:»ImNamenAllahs,desAllerbarmers, desBarmherzigen!«Der ganzeGeist desKoran ist anders,milder als dieArt,wieSiePolitikmachen.DeswegenwirddieStimmungIhnengegenüberjedenTagnegativer.NegativersogaralsdamalsgegenüberdenTaliban.

Die Stimmung des Westens gegenüber dem Islam wird immer negativ sein. Das hat man in Bosnien

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gesehen,dashatmaninTschetscheniengesehen,dashatmaninAfghanistangesehen,dashatman2003imIrakgesehen.Dassiehtmannatürlichjetztauch,unddaswirdsoweitergehen.

SelbstJabhatAlNusragiltinzwischennebendemISalsgemäßigt.

(Lacht.)IchhabeigentlichnichtwirklichLust,darüberzureden,umdasGesprächnichtallzupolitischzumachen. Aber wenn Sie die Politik von Jabhat Al Nusra sehen oder von einigen Gruppen, die sichislamisch nennen, wie zumBeispiel die Islamische Front hier in Syrien, dannwirdman ganz schnellfeststellen,dassdiegarnichtsoislamischsind.DasgiltauchfürJabhatAlNusra.AuchwenndiesichAlQaidazuschreiben,sindsienichtweitvonderIdeologiedesDemokratismusundSäkularismusentfernt.

WasistderUnterschiedzwischendemISundAlQaida?

Jabhat Al Nusra wurde vom IS nach Syrien geschickt, um die Muslime im Kampf gegen Assad zuunterstützen.DochsiehabensichsehrschnellgedrehtundihrwahresGesichtgezeigt.Siehabenden ISverratenundhinterunseremRückenmitAlQaidainAfghanistanAbsprachengetroffen.SiehabennochweitereseltsameKoalitionengeschlossen.InderProvinzDeir-ez-ZorzumBeispielmitderFSAundmiteinigenanderenGruppen,dieimSyrischenNationalratsind.SiehabenmitihnenzusammengegendenISgekämpft,unddasistAbtrünnigkeit.

Wenn Sie die Ideologie Osama bin Ladens vergleichen mit der Ideologie Ihres Kalifen, was ist dann aus Ihrer Sicht derentscheidendeUnterschied?

DieAlQaidazurzeitvonOsamabinLadenistunsnäheralsdiejetzigeAlQaida.Abermandarfnichtvergessen, dass Osama bin Laden nie die politische oder militärischeMacht hatte, die Abu Bakr AlBaghdadijetzthat.DeswegenkannmankeinendirektenVergleichziehen.

AberdieIdeologiensindähnlich.

DieIdeologiensindähnlich.Manmussallerdingsdazusagen,dassOsamabinLadensehrstarkvonderdamaligenMuslimbruderschaftbeeinflusstwar.WieesinseinerZeithaltüblichwar,insbesondereindenAchtziger-undNeunzigerjahren.

WiewürdenSieIhrenIslambeschreiben,wennSiedasinzweiSätzentunmüssten?

Unser IslamistderwahreIslam, freivon irgendwelchenVermischungenmitanderenIdeologien,seiesDemokratie,seiesSäkularismus,seiesBuddhismus,seiesChristentumodersonstirgendetwas.

AlsovergleichbarmitderwahhabitischenLehre.

MankanndasnichtwahhabitischeLehrenennen,denndieseLehrehatesschonvorWahhabgegeben,derim17.beziehungsweiseim18.Jahrhundertgelebthat.EsgabzujederZeitLeute,diedenwahrenIslamgelebthaben.Essindhaltdiewenigsten.

MussmannachAuffassungdes ISdenKoranwörtlichnehmen,odermussmandieGrundgedankendesKoranaus ihrergeschichtlichenBindungherauslösen?

Es gibt Sachen im Koran, die man nur geschichtlich verstehen kann. Aber natürlich muss man dieAntworten wörtlich nehmen, frei von jeder Interpretation. Dieses Wörtlichnehmen des Koran ist einwichtiger Bestandteil des Islam. Die Leute, die heutzutage abgeirrt sind und sich in irgendwelchenanderen Ideologienverirrthaben, sindmeistensLeute,diedenKorannichtwörtlichauslegen.Sondernanfangenzuphilosophieren.WiediealtenGriechen.

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WeristmilitärischzurzeitIhrstärksterGegner?

Länder, die eine Luftwaffe haben. Sei es Assad, seien es dieAmerikaner. Aberwas die Fußsoldatenanbelangt,siehtallesandersaus.DieAmerikanerwollenjakeineTruppensenden,dieDeutschenwollenkeineTruppensenden,dieFranzosenwollenkeinesenden,dieAustraliernicht,undalleanderenausderKoalition auch nicht. Warum nicht? Weil sie genau wissen, dass sie keine Chance haben. Und ohneBodentruppenwirdmankeinenKrieggewinnenkönnen.Definitivnicht.

ZweiTagespäter,am23.September2014,wurdedasGesprächfortgesetzt.

Hallo?HörenSiemich?

IchhöreSie,aberichseheSienicht.

WirhabenhierStromprobleme.

Ich habe vorhin eine Mail bekommen, dass ein Journalist der Welt, Alfred Hackensberger, mit dem IS gesprochen hat.WusstenSiedas?

Ja,daswussteich.Die,diemitihmgesprochenhaben,werdenjetztleiderdafürbestraft(lacht),dasieohneErlaubnismitwestlichenMedien inKontakt getreten sind und leider auch ein bisschenBlödsinnerzählthaben.

AberSiewerdensiehoffentlichnichthartbestrafen!

Nein,nichtzuhart,vielleichtzweiMonateGefängnisodersoetwasinderArt.

Ich wollte darüber sprechen, wie wir die Reise nachRakka organisieren. Aber vorher habe ich noch zwei grundsätzlicheFragen,überdieichauchgelegentlichmitFreundenstreite.WasistIhrHauptgrundfürIhrenKampf?SpieltdieTatsache,dassdie Amerikaner in Afghanistan einmarschiert sind, eine Rolle? Spielt die Tatsache eine Rolle, dass die Amerikaner Iraküberfallenhaben,spieltPalästinaeineRolle,spieltdierelativaggressivePolitikdesWestensgegenüberdemMittlerenOstenindenletzten200JahreneineRolle?

DefinitivistdaseinTeilderMotivation,einTeildesAnsporns,warumdieLeutehierkämpfen.Weilsieeinfach über Jahrhunderte diese Aggression des Westens gegen die Muslime oder gegen den Islammiterlebt haben, teilweise damit aufgewachsen sind und immer noch deren Früchte sehen, leider.NatürlichspieltdaseineRolle.AberesistnichtdieeinzigeMotivation.

WenndieAmerikanerjetztnichtinAfghanistaneinmarschiertwärenundnichtimIrak,undwennesdieseganzeVorgeschichtederFranzosenundEngländernichtgegebenhätte,würdenSiedannjetztganzgenausoagieren,wieSieagieren?

DieEtablierungeinesIslamischenStaatsistderTraum,diePflichtderMuslime,seitsieAndalusverlorenhaben. Seit damals, als die Spanier inAndalusien gegen dieMuslime gekämpft haben und angefangenhaben, islamisches Land zu besetzen. Es ist unsere Pflicht, muslimisches Land zu verteidigen oderzurückzuholen. Und irgendwie wäre es passiert, wenn nichtmit Afghanistan, dannwahrscheinlichmitirgendetwas anderem. Es gibt ja auch nochTschetschenien, Somalia und so einige andere Länder,woaktivderKampfmitdemWestengeführtwird.

Habe ich Sie richtig verstanden, dass beides letztlichmiteinander verwoben ist? Der Kampf gegen die aggressive PolitikAmerikas,gegendiePolitikRusslandsgegenTschetschenienundderTraumvoneinem»IslamischenStaat«?

Ja,natürlich.DieEtablierungeinesIslamischenStaatsistvorrangig.DassdieWestmächteoderRusslanddieMuslimeangegriffenhabenoderangreifen,hatdieSachenatürlichintensiviert.

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BeieinemunsererGesprächehattenwirüberdasVerhältnisdes ISzuAlawitenundSchiitengesprochen.Wenn ichmichrichtigerinnere,hattenSiegesagt:DieSchiitensindkeinerichtigenMuslime.DenSchiitenwerdenwirdasAngebotmachen,zumechtenIslamzukonvertieren.Wennsiedasnichtannehmen,dannwerdensiegetötet.Ichhabmalnachgeschaut,esgibt200MillionenSchiitenaufderWelt.DaskannjanichtIhrErnstsein,dassSiediealleausschaltenwollen,wennsiesichnichtzumSunnitentum,zuIhremwahrenIslambekehren.

Wassoll ich Ihnendazu sagen?Letztendlich sinddasZahlen,die sind für jedenvonunsunvorstellbar.AberSiewissen,dieTötungvonsechsMillionenoderxMillionenisteinEinfachesvonderHandhabungher.Sie haben immerwieder gefragt:Warum schlachtenSie dieLeute sograusamab?Fakt ist, dass der

LuftschlagderAmerikanerausgeführtwurde,bevorwirdenerstenAmerikanergetötethaben.LetztendlichsinddieseLeutedieAggressoren,dieangefangenhaben.NichterstjetztimIrak,sondernseitHundertenvonJahren,Siewissendasselber.WirkönneninAndalusienanfangen.DanachdieBesetzungMarokkosundAlgeriensdurchFrankreich.DanndieFranzosenundEngländer inÄgypten,die Italiener inLibyenundteilweiseinTunesienusw.Irgendwann,wennmandieganzeZeitjemandenunterdrücktundaufihmherumhackt,wirddersagen:»JetztistSchlussmitlustig.«

Ichkommenochmalzuden200MillionenSchiiten.Wenndiesagen:»Nein,wirwollennichtkonvertieren,wirwollenSchiitenbleiben«,wasgeschiehtdann?

Ichdenke,SiehabendiegestrigeRedevonAdnani,demSprecherdesIS,nochnichtgelesen.SiewurdeschoninsEnglischeübersetzt.ErhatObamaunddieWestmächtedirektangesprochen.Erhatgesagt:»Ihrkönntgerneallekommen,wirwerdenbereitsein.UnserTodwirddasMärtyrertumsein,undeuerTodwird die Hölle sein.Wir wissen, dass wir siegen werden. Und wenn nicht wir, dann werden unsereKinderdieSiegerseinoderunsereEnkeloderunsereUrenkel.«

Wirhabenvorgesterndarübergesprochen:DieAmerikanerhaben im Irakund inAfghanistanverloren.Siehabenversucht,imIrakmitNuriAlMalikieineMarionetteeinzusetzen.Aucherwurdebesiegt.SeineSicherheitskräfte haben sich quasi in Luft aufgelöst. Wir konnten all das Kriegsmaterial, das dieAmerikanerdiesemSchiitenübergebenhatten,alsBeutenehmen,um jetztgegendenRestvon ihnenzukämpfen.

WaswirdausdenSchiiten?

Ichweiß nicht, ob Sie die letztenVideos gesehen haben, diewir veröffentlicht haben.Wir habenmitwenigerals100Soldatendie17.DivisioninRakkaangegriffen.Siewaren800.Letztendlichhabensiealleaufgegebenundsindgeflohen.DasselbehatsichwiederholtamFlughafenvonTabka.Ichweißnicht,obSiedasverfolgthaben.

Ichhabedasgesehen.

Wirwareneinigehundert,undsiewarenandietausend.SiehabenFlugzeugegehabt,PanzerundschwereArtillerie und was weiß ich nicht alles. Letztendlich sind sie genauso geflohen wie aufgescheuchteHühner,unddaswirdmitdenIranerngenausopassieren.

AberwasmachenSiemitdenSchiitenimIranoderimIrak,dieSchiitenbleibenwollen?

Tja,diewerdenalleexekutiert.

IstIhnenklar,wasSiedasagen?Dassichdamitnichteinverstandenbin,braucheichIhnennichtzuerklären.

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Daskanngutmöglichsein.(Lacht.)DamitsinddieSchiitenauchnichteinverstanden.

Wirwürden,wieschongesagt,gernemalIhreMutterundIhrenVaterbesuchen.Nichtumsiezuvernehmen,sonderneinfach,umsiekennenzulernen.

Damalsbinichdavonausgegangen,dassdasGesprächmitmeinenElternodermitmeinerMutterzustandekommt,nachdemSieunsbesuchthaben.SiewerdenmitSicherheitwissen,dassaufgrundderTatsache,dass ich mit Ihnen telefoniere und dass Sie mit meiner Mutter in Kontakt treten wollen, derVerfassungsschutz bei meiner Mutter mal wieder auf der Matte stehen wird und ihr, auf gut Deutschgesagt,aufdieNervengehenwird.

Ich weiß nicht, ob der Verfassungsschutz unsere Gespräche abhört. Aber ich glaube nicht, dass er Ihren ElternSchwierigkeitenmacht,wenn ichmit ihnenspreche.Wenn ichalsPublizistmit einemdeutschenBürger sprecheundderdeswegenSchwierigkeitenbekäme,dannwürdeeherderVerfassungsschutzSchwierigkeitenbekommen.

Ich habe nichts dagegen, wenn Sie unbedingt wollen. Sie können sich gerne mit meinen Eltern inVerbindung setzen oder mit alten Bekannten oder anderen Familienmitgliedern. Mal sehen, was darauskommt.

KannichdieTelefonnummerhaben,dieAdresse?

IchkannIhnendieE-Mail-Adressegeben.

GibteseinenFreund,beidemSiesagenwürden,derverstehtmich,mitdemsollteichmalreden?

Ich habe keinen großen Freundeskreis gehabt. Diemeisten sindmitmir hierhergekommen oder späternachgekommen,sodassesnichtvielegebenwird,mitdenenSiesprechenkönnen.DieE-Mail-AdressemeinerElternhabeichIhnenübrigensgeradegeschickt.

Siehabenvorhergesagt,wieschlechtdieMuslimeimMittlerenOsten,inArabienbehandeltwordensind.AberSiesinddochDeutscher?Siesinddochnichtwirklichschlechtbehandeltworden.

InDeutschland?

Ja.

HabenSie’neAhnung,Siewissengarnicht,wieschlechtdieBehandlungist,wennumfünfUhrmorgensirgendwelcheVerfassungsschützer auf derMatte stehen und auf einmal dieHälfte IhresHab undGutseinfach so mitnehmen, Computer, Mobiltelefone, Geld und sonst was. Die haben zum BeispielSpendengelderbeschlagnahmt.DiesindbisheutebeiderPolizei.Dannfrageichmich,wasSiemitderAussagemeinen,dassgegenmichnichtwirklichaggressivoderunrechtmäßigvorgegangenwurde.

IndenarabischenLändernistgetötetworden,vergewaltigtworden,bombardiertworden.DaistderSchmerzdesmorgensumfünfGewecktwerdensvergleichsweiseüberschaubar.

Die Kriege in Irak und Afghanistan hat die USA Milliarden US-Dollar gekostet. Sie sind eine derHauptursachen,warumsichAmerikaseiteinigenJahren inderKrisebefindet.GuckenSiesicheinfachmalStädtewieDetroitanoderganzeBundesstaaten,diepleitesind.WodieLeutemitderRegierungodermitderStadtüberTrinkwasserzugangstreiten,obdaseinGutist,dasGeldkostensollteodernicht.WoFamilien davon berichten, dass siemit ihren Kindern in Zelten leben, weil die Häuser weggepfändetwurden.DassindallesDinge,dieaufdieMilliardenausgabenzurückzuführensind,dievonderRegierungfürKriegegetätigtwurden.DaDeutschlandangefangenhat,sichamAfghanistankriegzubeteiligen,jetzt

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die Kurden ausrüstet und weitere Militäreinsätze folgen werden, wird auch in Deutschland die KluftzwischenArmundReichimmergrößerwerden.IrgendwannwerdendieLeute,auchinanderenLändern,dieSchnauzevollhabenundaggressivwerden–gegen irgendeinenSündenbock.HitlerhatdasdamalsmitdenJudengemacht.DieNächstenwerdendieMuslimesein.HabenSiedasgesehenmitderMuslimin,dieimGerichtssaalerstochenwurde?4VonTagzuTaggibtesimmermehrÜbergriffegegenMuslime,diemitMesserstechereien endenodermit sonst irgendetwas.Siehaben inBelgien, inFrankreichgesehen,wievielÜbergriffeesdagab.VonEnglandganzzuschweigen.Dasintensiviertsich.WennesdenLeutenaufgrunddieserKriegeschlechtgeht,wirddasganzschnellausarten.GegendieMuslime.

Themenwechsel:WelcheRollespielendieKurdenindiesemKrieg?

Das sind quasi die westlichen Bodentruppen. Vor zehn Jahren haben sie die PKK zwar noch auf dieTerrorlistegesetzt.JetztbrauchensiesiehaltalsFußsoldaten.DieFSA,dieFreieSyrischeArmee,dasist,wieObamasoschönsagte,einHaufenBäcker,MetzgerundFarmer,diekeineAhnungvonKriegführunghaben.Denenkannmandas tollsteGewehr indieHanddrücken,diewissengarnicht,wiemandamitumgeht.DiemeistenvondenenverstehennichtsvomKrieg.Dafür ist ihreKorruptionunglaublich.DieganzeMunition,diewirbrauchen,kaufenwirvonderFSA.Dafragtmansichnatürlich,wiekanndassein?DieseMunitionkommtdochvondenAmerikanernunddenWestmächten.Tja,dasistdasProblem.DiewirtschaftenindieeigeneTasche.DashabendiePolitikerdesWestensunddieRegierungendesWestensdenenjawunderbarvorgemacht.

SiebekommenjetztschonkräftigMunitionvonderFSA?

Wirkaufensiehalt.NichtWaffen,aberMunition.DieWaffenkriegenwiralsBeute.So istdashalt. InkürzesterZeitwerdenSiemirzustimmen,dawerdenSiedieerstenIS-Kämpfersehen,diemitG36-Waffenhier rumlaufen, mit G3-Gewehren oder anderen deutschen Ausrüstungsteilen, weil die Kurden genaudasselbemachenwiedieFSA.

Dieverkaufenauchweiter?

Ja,natürlich.DasistallesnureineFragedesGeldes.

Ichdachte,dieKurdenunddieFSAwürdenjetztmitdenWaffen,diesievomWestenbekommen,gegenSiekämpfen–nichtdasssieIhnenihreWaffenoderihreMunitionverkaufen.

Ja,natürlichwerdendaseinigevonihnenmachen.BisJanuarwurdediesogenannteIslamischeFrontvonSaudi-ArabienundKatar ausgerüstet,umgegenden IS zukämpfen.DieFSAwurdevonFrankreichundeinigenanderenStaatenausgerüstet,vondenAmerikanernundso.ImJanuarhabenwirangefangen,mitihnen zu kämpfen.Wenn Sie sich das Gebiet angucken, das die noch unter Kontrolle haben, und dasGebiet,daswirseitherunterKontrollehaben,dannwirdmanganzschnellfeststellen,dassdieKämpfe,diediegeführthaben,nichtwirklichkrassseinkonnten.DiehabenvieleGebieteverloren.DiehabendortnurnocheinpaarDörferunterKontrolle.SiehabensichausdenStadtzentrengänzlichzurückgezogen,ausHomshabensiesichkomplettverabschiedet.SiehabennocheinigeGebieteinIdlibundinLatakia,unddaswar’s.

MilitärischistdieFSAalsokeineBedrohungfürSie?

WirsinddieMuhajirin,dieLeuteausanderenLändern.Wirsindgekommen,umeinenIslamischenStaataufzubauen,umdenMärtyrertodzusuchen.DerSyrervonderFSA,derhatangefangenzukämpfen,umein

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schöneresLebenzuhaben.DerhateineganzandereGrundmotivation.DurchdasGeldderAmerikanerunddesWestensistseinLebenannehmlichergeworden.WennerdannnocheinbisschenkorruptseinkannundWaffen undMunition für einen guten Preisweiterverscherbeln kann und dadurch nochmehrGeldbekommt, wird sein Leben noch schöner. Warum sollte er das aufs Spiel setzen, um gegen Leute zukämpfen,diesowiesosterbenwollen?

WannhabenSiedasletzteMalgekämpft?

Ja,dasistschoneinbisschenlängerher.

Wenn ich Sie besuchen würde, wie kommt man da überhaupt über die Grenze? Ich werde doch schon an der Grenzefestgehalten.

VondenTürkenmeinenSie?

Ichweißnicht.Vielleichtvonalldenen,diejetztmithören?

(Lacht.)DasmitdendeutschenBehörden,dasmüssenSieselberklären.DakönnenwirIhnenleidernichthelfen. Aber was den Grenzübergang nach Syrien betrifft, da haben wir natürlich Leute, die dafürzuständigsind.

WasmachtdieGarantie?WürdeindemBriefdrinstehen,dassSiebeiAllahversprechen,dasswirheilzurückkommenundunsnichtsgeschieht?

Ichdenke,daskönnenwirreinschreiben.AberwirsindimKrieg.WennmorgeneineBombeaufdasHausfällt,indemwirunsbefinden,dannwerdenSieumkommen,dannwerdenwirumkommen.DaraufhabenwirkeinenEinfluss.

SchickenSiemirdenBriefzu.SobaldichIhreEinladunghabe,mitdenGarantien,überdiewirgesprochenhaben,werdeichmireinenBegleitersuchen,derfilmenkann.Ichhoffe,dassichjemandenfinde,dermitgeht.Journalistenlebenauchgerne.Ichübrigensauch.

IhreBegleiterbekommennatürlichdenselbenSchutz,denSiebekommen.Ichdenke,dassollteklarsein.Natürlichmüssenwirvorabwissen,wievieleLeutedassind.

Zum Schluss noch eine Frage zur Kampfstrategie von IS. Wie muss man sich das vorstellen? Sie haben früher dochguerillamäßiggekämpft.JetzthabenSiemodernePanzer.GreifenSie jetztwieeinemoderneArmeean,oderkämpfenSieimmernochimGuerillastil?

WennmandieMittelhat,dannnutztmansieauch.WirnennenunsnichtnurStaat, sondernwiragierenauch wie ein Staat. Dazu gehört natürlich auch eine richtige Armee. Jeder, der zu uns kommt, istgleichzeitig auch Soldat. Nicht wie in einer westlichenArmee, wo nur ausgewählte Leute zur Armeegehören.Wirhabenjetztmittlerweileumdie200Panzererbeutet inSyrienundimIrak.Unddiehabenwirnatürlichauchbenutzt.

HabenSieüberhauptsovielePanzerfahrer?

Das ist leider ein Problem.Wir habenmehr Panzer als Fahrer undmehr Flugzeuge als Leute, die siefliegenkönnen.Noch.

WievieleFlugzeuge?

Wirhaben10,15Jetserbeutet,womitwirdannweitüberdenFähigkeitenderirakischenArmeeliegen,

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wasdenLuftkriegangeht.AberandenPilotenhapertesleider.Dagibt’shaltnichtsoviele.

HabenSieinzwischenrausbekommen,obsichdieHaltungdesISgegenüberderdeutschenBundesregierunggeänderthat,nachdemesdeutscheWaffenlieferungenandieKurdengibt?

Ja!GesternhatAlAdnani,derSprecherdesIS,eineneue,offizielleRedeveröffentlicht.SieenthälteinenAufrufdesIslamischenStaatsandieMuslimederwestlichenLänder,dieBevölkerungdortanzugreifen.

Dasheißt,SiewollenauchinDeutschlandangreifen.

DasistdasResultatderEinmischungeinigerdieserLänder,auchDeutschlands.DiegehörenmitzudenAlliierten.

Daskanndazu führen,dass jetztgenerellzumBeispielgegendeutscheSalafistenhartvorgegangenwird.WeilmanunterihnenIhreFreundevermutet.SelbstwenndieseSalafistenausdrücklichGewaltablehnen.

Dasistgenaudas,wovonichgeradegesprochenhabe.EsistnureineFragederZeit,bisvonseitenderRegierung immer härter vorgegangen wird und ein Echo der Muslime erfolgt. Und sich alleshochschaukelt.Mal sehen, was passiert.Wir rechnen schon lange damit, dass der Ton gegenüber denMuslimen inEuropa strafferwird. Letztendlichwird sich jeder entscheidenmüssen.WieBush das soschöngesagthat,entwedermanistmitdenAmerikanernodermitdenTerroristen.UnserEmirhatdiesenSpruchbestätigt.EswirdirgendwannkeinDazwischenmehrgeben.DasssogenanntemoderateMuslimeinDeutschlanddann soeinenQuatschwie eineMahnwachegegenden IslamischenStaatmachen!Wassollenwirdagegensagen?DubistgegeneinenStaat,dernachKoranundSunnah,alsounserenSittenundGebräuchen,handelt?DasistAbtrünnigkeit!AllesogenanntenMuslime,diedateilgenommenhaben,sindvomIslamabgefallen.

Heißtdas,dassesinDeutschlandnundochAnschlägeIhrerLeutegebenwird?

Ich denke nicht, dass jemand zurückgehen und dort Anschlägemachen wird. Sondern ich denke, dassLeute,dienochdortsind,etwasmachenwerden.ObdasAnschlägeseinwerden,Bombenanschlägeodersonstirgendwas,bezweifleich.Ichdenkeeher,dasseseinzelneÜbergriffeseinwerden.

AlleMenschen,diedenIslamrespektierenunddiedenIslamalseinegroßeReligionansehen,alledieseMenschenbedrohenSie jetzt. Diese Menschen werden denken, das kann doch nicht wahr sein. Ich zum Beispiel habe seit Jahren daraufhingewiesen,dassinDeutschlandbisherkeineinzigerDeutscherdurchdensogenannten»islamischenTerrorismus«getötetwurde. Durch Ihren Aufruf kommt jeder Muslim in Deutschland nun unter Generalverdacht. Jeder türkische Student oderGurkenhändlerwird jetzt noch schlimmer angeschaut als vorher. Sie schaffen für vieleMenschen einRiesenproblem.Siemachenwirklichvielkaputt.

Irgendwannwird die Entscheidung kommen. Ichmeine, derGurkenhändler oder auch die sogenanntenmoderatenMuslime,diehabensichschonlängstentschieden.FürdiewirdesnureineKleinigkeitseinzusagen,eigentlichhabenwirdochmitdemIslamgarnichtszutun,wirhabendieganzeZeitnursogetan.

DiemeistenMuslime,dieichinDeutschlandkennengelernthabe,warensehrengagierteMuslime.

Engagiertwofür?

VielleichtnichtfürdenselbenIslamwieSie,aberfürdenGlaubenaneinenGott,denGlaubendaran,dassmanGutestunundBöses verhindern soll.DassmanalsMuslimbestimmtePflichten hat.Das sind schon viele Leute, die ich für ihren tiefenGlaubenbewundere.

Wenn jetzt soeinePersondafür arbeitet,Gutes zu tunundnichtsSchlechtes zumachen,undbehauptet,

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auchfüreinenGottzuarbeitenundsoweiter,aberdannletztendlichwählengehtoderdazuaufruft,sichandemokratischenWahlenzubeteiligenodersichderDemokratiezuunterwerfen,dannhatdiesePersonhaltschonAbtrünnigkeitbegangenunddenIslamverraten.SielebtnichtmehrdenEin-Gott-Glauben.Sonderngibt irgendjemandem das Recht, Gesetze zu erlassen. Aber dieses Recht hat alleine Allah. Das istAbtrünnigkeitvomIslam.DassindkeineMuslimemehr.Wiegesagt,diemeistenLeutehabensichschonlängstentschieden,zuwelcherSeitesiegehören.

1ArabischerAusdruckfürdenIS2DänischerZeichner,dessenumstritteneMohammed-Karikaturen2005vonderdänischenZeitungJyllands-Postenveröffentlichwurden3EineindenUSAzu86JahrenHaftverurteiltepakistanischeTerrorverdächtige4MarwaEl-Sherbini,2009imDresdnerLandgericht

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VI

DieMutterdesJihadisten

Es ist ein grauer Oktobernachmittag. Wir stehen in Düsseldorf am Rheinufer. Ein unscheinbarerKleinwagen fährt auf denParkplatz nebenan.DerBruchteil einerSekundegenügtmir, umzu erkennen,dassdieFahrerinFrauE.ist,ChristiansMutter.IhretraurigenAugensprechenBände.Auchsieerkenntmichsofort.Ichwinkeundgeheaufsiezu.SieistAnfangsechzig,hatgraublonde,gelockteHaare.Siewirkterschöpft.Mansiehtihran,dassdie

letztenJahreschwerfürsiewaren.Wirbeschließen,denRheinentlangzulaufen.Nach200MeternsetzenwirunsaufeineParkbank.FrauE.siehtnichtnurerschöpftaus,sieistesauch.Körperlichundseelisch.WennsieineinerbesserenVerfassungwäre,hättesieihrenSohnlängstbesucht,sagtsieunsverzweifelt.VielleichtwäresieaucheinigeZeitbeiihmgeblieben.Weilsiesich,wiejedeMutter,umihnsorgtundwissen will, wie es ihm geht. Sie hat darüber mit ihm gemailt. Aber momentan wäre eine Reise zugefährlich,sagter.UndFrauE. istgesundheitlichnicht inderLagezureisen,ohneanderenzurLastzufallen,sagtsie.

Hier ist ihreGeschichte. Ichgebesiesowieder,wiesiesieerzählthat.Mit ihrenWorten.Sieerzählt,dasssie inden letztenJahrenundMonatenhäufigvonJournalistenkontaktiertwurde,diewissen,dassChristianinSyrienfürdenISkämpft.Dochsieblocktallesab.SiewillihrenSohnbeschützenundnichtverraten. Außerdem hat die Familie E. eine schwere Zeit durchgemacht. Als bekannt wurde, dassChristianinSyrienfürdenISkämpft,bekamdieFamilieDrohbriefe,Hassbriefe,ihrAutowurdezerkratzt.SiewurdenaufoffenerStraßeoderbeimEinkaufenbeschimpft.FrauE.nenntihrenSohnChristian.Siewillihnnichtandersnennen.FürsieisternichtAbuQatadah,wieersichjetztalsJihadistnennenlässt.FürsiewirderewigihrChristianbleiben.ObwohlFrauE.sonstalleInterviewanfragenablehnt,hatirgendetwassiedazubewegt,sichheutemit

uns zu treffen. IhrGefühl sagte ihr: »Das ist gut. Geh damal hin.« Sie hat natürlich auch ihren Sohnangeschrieben.IneinerE-Mailhaterihrbestätigt,dasssieFreddyundmireinigermaßenvertrauenkönneunddasserunsdeshalbauchihreE-Mail-Adressegegebenhabe.VierStundensitzenwiramRheinuferundredenüberChristian.WährenddesGesprächsweintFrauE.mehrmals.FürsiealsMutter istallesunheimlichschwer.SiewirdihrenSohnimmerlieben,egal,wasgeschehenist.SeitfrühesterKindheitwarChristianextremwissbegierig.»WasistderTod,Mama?«,fragteersiezum

Beispiel.Er stellteFragen, aufdie sie sichdieAntwortenoft langeüberlegenmusste.SieverbrachtenwährendseinerKindheitvielZeitmitLesen.BücherwieWasistwas?warenheißbegehrt.Wasmannichtwusste,musstemaninBüchernnachlesen.AuchseinenLehrernunddemevangelischenPfarrerfielauf,wievieleFragenChristianhatte.Doch inderKirchebekamChristiannieAntwortenauf seineFragen.Christian fand das so enttäuschend, dass er kurz vor seiner Konfirmation beschloss, auf die Feier zuverzichten.AuchaufdieKonfirmationsgeschenke.ErsuchtelieberweiternachAntworten.FrauE.hatihrenSohnimmerermutigt,seinenHorizontzuerweitern.Christianseihochbegabtgewesen.

So sehr, dass er auf eineEliteschulegeschicktwurde, aufderKindermitSonderbegabungengefördertwerden.EinesTageswurdeChristianZeuge,wie ein Schüler von einem älterenSchüler, der ein paar

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Klassenüber ihmwar, auf demSchulhofnachStrichundFadenverprügeltwurde.Christianwarf sichdazwischenundfingan,denälterenSchülerzuverhauen.ObwohlauchervieleSchlägeabbekam,wurdeerderSchuleverwiesen.ErmusstewiederaufeinenormaleSchule.ChristianwarüberallderGruppenführer,wortgewandt,einguterKommunikator.Vorallemabersetzte

ersichstetsfürandereein.DasbrachteihmvieleProblemeein.Als einmal sein Schuldirektor dasHandy einesmuslimischenKlassenkameraden zur Strafe aus dem

Fensterwarf,regteChristiansichunendlichdarüberauf.WarumwurdedieserJungestrengerbestraftalsandereMitschüler?ChristiansagtedemLehrer,ermüssejetzteigentlichauchseinHandyausdemFensterwerfen und auch die der anderen. Der muslimische Junge sei schließlich nicht der Einzige, der imUnterrichtseinHandybenutze.AlsdermuslimischeKlassenkameradwegendesStreitsvonderSchulegeworfenwurde, forderteChristian, dass er danngenauso rausgeschmissenwerdenmüsse.SchließlichhabeersichbeidemLehrerjaammeistenaufgeregt.AlsoflogauchervonderSchule.SeinEinsatzfüranderebrachteihmaberauchvieleFreundeein.Erfeiertegerne,liebtees,grillenzu

gehen, und brachte häufig Freunde nach Hause mit. Dort wurde dann gemeinsam mit der MutterstundenlangüberGottunddieWeltdiskutiert.TrotzdemwarChristianofttraurig.VoreinpaarJahrenkamereinesAbendszuseinerMutter,schaute

sie trauriganundsagte:»Ichliebedich,Mama,aber ichfühlemichmanchmalsoschrecklichalleine.«Ihm fehlte all die Jahre eine positiveVaterfigur. Jemand,mit dem er sich austauschen konnte, der ihnforderteundihmVorbildseinkonnte.ChristianwarzwarimmerwiedermalbeiseinemVater,aberderließihninnerlichallein.Erbeschenkteihnzwar,aberkümmertesichnichtwirklichumihn.InseinerJugendwarChristiansehrsportlich.ErwarjahrelangLeistungssportlerundspieltefürNeuss

imEishockeyverein.ErhattesehrgroßeAmbitionen.ErwollteProfiwerden,undessahdanachaus,dasseresschaffenkönnte.Bisersichmit17beieinemEishockeyspielfastdenDaumenabriss.DieSehnenundBänderwarenab.DieKarrierewarzuEnde.ChristianfielineintiefesLoch.ErhörteganzmitSportaufundwarnunvölligdemotiviert.EinesTagessollteseinbesterFreundMelek inseinHeimatlandabgeschobenwerden.DieBehörden

warenaufderSuchenachihm,dochChristianhatteihninletzterSekundeabgeholtundzuseinerMutternachHausegefahren.»Mama,wirmüssenihmhelfen!«SeinPlanwar,ihnnachSizilienzuschmuggeln.DortsollteererstmalzweiJahreausharren.Dochkurzbevorsielosfahrenkonnten,standdiePolizeivorderTür.SienahmMelekmitundschobihnab.EinpaarJahrespäterzerbrachChristianserstegroßeLiebe.JahrelangwarenSabine5underzusammen

gewesen.AlssieSchlussmachte,verbrachteerzweiTageundNächtebeiseinerMutterundweinte.ErwarvölligamBodenzerstört.SeineMuttererzählt,dasseiderPunktgewesen,derallesveränderthabe.Für ihn war seine ganze kleineWelt zusammengebrochen. Noch nie hatte sie ihn so traurig gesehen.»WäreernochmitSabinezusammen,wärealldas,waskam,niepassiert.«NachdemEndeseinerSportkarriereundderBeziehungmitSabineändertesichChristiantotal.Erbat

seineMutter, ihmeinpaarExemplaredesKoranzubestellen.AuchaufArabisch.Siehattesichvorhermit einer muslimischen Freundin unterhalten und ihrem Sohn gesagt: »Wenn du den Koran lesen undwirklichverstehenwillst,dannmusstduihnaufArabischlesen.«Christianfingsofortan,Arabischzulernen.MitgroßemErfolg.ErsogdieneueSprachegeradezuin

sichauf.BaldkonnteerdenKoraninderOriginalsprachelesen.Christianbegannsichimmermehrfürden Islam zu interessieren und ging häufig in die Moschee. Irgendwann beschloss er, ins ägyptischeAlexandriazugehen,umdortaneinerUniversitätfürAusländerIslamzustudieren.Alsernachmehralseinem halben Jahr zurückkam, lehnte er einen vorzüglich bezahlten Arbeitsvertrag einerVersicherungsfirma ab. Er wollte lieber selbstständig werden und fing an, Hard- und Software zu

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verkaufen. Irgendwann wurde er wegen verschiedener Finanzdelikte angeklagt. Er beteuerte seineUnschuldundkammiteinemblauenAugedavon.FrauE. fing an, sich ernsthaft Sorgen um ihren Sohn zumachen. Er versank immer tiefer in seinem

neuenGlauben.DerBartwuchs,seineBekleidungändertesich.ErtrugnurnochschwarzeKleidungodertraditionellemuslimischeGewänder. Seine neue Freundin kam damit überhaupt nicht klar.Als er sichletztendlichzwischenihrunddemIslamentscheidensollte,dasabernichttat,machteauchsieSchluss.

2011will Christian zusammenmit seinemKumpel Robert B. nach England, um an einem Treffen derMuslimbrüderteilzunehmen.DassolldortjedesJahrstattfinden.Bei ihrer Einreise in Dover werden beide festgenommen. Sie sollen Anschläge geplant haben. Als

BeweisewurdenTexteaufChristiansLaptopangeführt,ArtikelüberdenJihadundübersBombenbauen.Christian beteuert aber, er habe diese Sachen nur ausNeugierde gelesen. Er sei keinTerrorist.BeidewerdenwegenBesitzesvonradikalenSchriftenundAnleitungenzumBombenbauverurteilt.Christianzu16MonatenHaft.Für dieFamilieE. bedeutet das denAnfang einer schwerenZeit.Hausdurchsuchungen in derNacht.

Alles wird leer geräumt. Handys, Laptops, USB, alles wirdmitgenommen. Anfeindungen kommen vonüberall.Eswirdsoschlimm,dassFrauE.ausihrerGegendwegziehenmuss.AlsChristiankurzdaraufausEnglandabgeschobenundinDeutschlandderRestseinerHaftstrafezur

Bewährungausgesetztwurde,zogersichimmermehrzurück.AußerlangezuschlafenundzuabendlichenTreffenzugehen,machteernichtmehrviel.SeineArbeitgaberauf.Erwollteirgendwannetwasvölliganderesmachen.Was,wussteernicht.AllesdrehtesichnurnochumdenIslam.DerSyrienkriegbegann,undseineschrecklichenBilderwarenjedenTagaufallenFernsehkanälenzusehen.DaChristiannichtszutunhatte,außernachArbeitzu»suchen«,hatteervielZeit,sichdieseBilderanzuschauen.OhneeinWortzusagen,verschwindetChristianeinesTagesausDeutschland.KeineVerabschiedung,

nichts.NacheinpaarMonatengibtesdasGerücht,dasserinSyriensei.ErstWochenspäterbestätigteinFreund,dassertatsächlichinSyrienist.NacheinemJahrhältFrauE.esnichtmehraus.Siefängtan,ihrenSohnaufFacebookzusuchen.Sie

überlegtsich,welchenNamenerjetztverwendenkönnte.SieversuchtesmitseinemmuslimischenNamenund dem Namen seines Freundes, der abgeschoben wurde. Tatsächlich findet sie jemanden mit demNamenAbdulMelek,derinSyrienzuseinscheint.EinigeTagelangbeobachtetsieseineFacebook-Seite,dannnimmtsieihrenganzenMutzusammenundschreibt:»Christian,bistdu’s?«EinenTagspäterkommtdieAntwort:»Ja,Mama.«Sie haben sich inzwischen ein paarmal geschrieben. »Komm doch endlich nach Hause, Christian!

KommnachHause!«Dasistdas,wassichFrauE.ammeistenaufderWeltwünscht.SiewillihrenSohnzurück.SiehatseinGesichtnichtmehrgesehen,seiterwegist.»WennichihnnurnocheinmalinmeinenArmenhaltenkönnte.Wennichmichwenigstensrichtigvonihmverabschiedenkönnte.«AlswirsiezumAutobegleiten,weintsie.

5Namegeändert

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VII

DieKonkretisierungderReise

WenigeTage später, am 23.Oktober 2014, rief ichAbuQatadahwieder über Skype an.ÜbermeinenBesuch bei seiner Mutter wechselten wir nur wenige Worte. Ich wollte ihr keine zusätzlichenSchwierigkeiten machen, denn es war doch zu befürchten, dass jedesWort abgehört wurde. Hier dieKurzprotokollemeinerabschließendenGesprächemitAbuQatadahvormeinerReisezumIS:

JT:Siesindzurzeitseltenonline.Sokommenwirnichtvoran.Dasfindeichschade.

AbuQuatadah:Ja,allesdauerteinbisschenlängeralsgeplant.

EswirdbaldschweinekaltinSyriensein.

Das stimmt, aber tagsüber ist es noch richtig angenehm, 25Grad oder so. Haben Sie das Schreiben6gekriegt?

DashatFrederic.IchwollteIhnennochmalsagen:IchhabestarkesInteressezukommen.Michinteressiert,obSienureineterroristischeGuerillagruppesindoderobSiealsErobererwirklichversuchen,einenStaatzugründen.DieseSachenwerdeninderÖffentlichkeitkaumerörtert.AberichbrauchebelastbareSicherheiten.DieeinzigeMöglichkeit,dieichsehe,ist,dassSiedieEinladungsamtGarantieveröffentlichen.SodassSieweltweitöffentlichgebundensind.IchhabekeinspeziellesMisstrauengegenSie.WirhabenjetztungefährachtStundenmiteinandergeredet, ichhabeIhreMutterkennengelernt,Frederichatsiekennengelernt. Aber ich fühle mich trotzdem noch nicht ausreichend abgesichert. So kriege ich auch keinen gutenJournalisten.Wasalsokönnenwirtun?

Das Problem ist, dass wir keine offiziellen Medien mehr haben. Twitter sperrt andauernd unsereAccounts.Wirhabenversucht,aufanderesozialeNetzwerkeauszuweichen,aberdapassiertimGrundedasGleiche.Diewerdentäglich,manchmalauchstündlichgelöscht.MomentanhabenwirkeinMedium,überdaswirIhrenBesuchoffiziellankündigenkönnen.

Gäbe es die Möglichkeit, dass Sie die Einladung samt Garantie irgendeiner anerkannten muslimischen Persönlichkeitübergeben?DiemussjanichtunbedingtinallenPunktenmitIhnengleicherMeinungsein.

ZumBeispiel?

Ichdenkeanjemanden,derdenISkennt,demmandasSchreibenzukommenlässtundderesimKrisenfallveröffentlichenkann.

SiehabeninzwischeneinSchreibenvonderhöchstenInstanz,demBürodesKalifen.DerKalifhatIhreReisepersönlichgenehmigt.WirwerdendiesenVertrageinhalten.SelbstwenneineBombeaufmichfällt.Ichmeine, Ihre Familie, Ihre Freunde, diewissen bestimmt, dass sie all das in denMedienweltweitpublikmachenkönnten,sodassunsdasnichtzugutekäme.

DasHauptproblembleibt,dassniemanddieEchtheitdieserGarantienbeweisenkann.Daskönntejaallesgefälschtsein.HiermussIhnennochetwasÜberzeugendereseinfallen.EsgehtschließlichumKopfundKragen.UndichhabenochzweikurzeSachfragen.Dieerste:MitwievielMannhabenSieMosulerobert?MeineSchätzungenlagen

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bei2000.AberwegendieserangeblichvielzuniedrigenZahlwurdeichöffentlichheftigkritisiert.

2000?Nie! 183Mannhaben an derEroberung vonMosul teilgenommen.VieleLeute können sich dasnichtvorstellen.WirbrauchenkeinegroßenArmeen.SonderndenGlaubenanetwasvielGrößeres.AnAllah.FürSieistesschwer,daszuverstehen.SieredenüberweltlicheDinge.WirredenüberspirituelleEreignisse.IchkannIhnendaGeschichtenerzählen,diefürSieabsolutunvorstellbarsind.WiewirzumBeispielnachAnbarvorgedrungensind.Die irakischeArmeehatversucht,dieBrüderaufzuhalten.Siehatmit schweremGeschütz auf sie geschossen.UnsereKämpferwollten irgendwoSchutz suchen.DasEinzige,wassiesahen,wareneinpaarHäuser.ImVollsprintsindsiedaraufzugerannt,uminDeckungzugehen.UnddieIrakis?Washabensiegemacht?Siehabengedacht,diestürmenaufunszu,habenAngstbekommenundsindabgehauen.Allahwarimmermituns.

DiezweiteFragebeziehtsichaufunser letztesGespräch.DahabenSiegesagt,dassSchiitendieMöglichkeithaben,zumSunnitentumüberzutreten.Wennsiedasnichtmachen,würdensiegetötet.WasistmitChristen,diedieJizyanichtbezahlenwollen?

Dasselbe.

Diewürdenauchgetötet?

Ja.

UnddasselbewürdeauchfürMuslimegelten,dienichtzuIhrerInterpretationdessunnitischenGlaubensübertreten?

Die islamische Rechtslage ist da anders. Die Schiiten werden als Abtrünnige des Islam betrachtet.Aufgrund ihrer Beigesellung, ihrerGrabesanbetung undwas es sonst noch allesKomisches bei denengibt.SiehabennichtdieMöglichkeit,dieJizyazubezahlen.ImGegensatzzudenChristenunddenJudenhaben die Schiiten nur zweiMöglichkeiten. Entweder sie akzeptieren den Islam und zeigen freiwilligReuefürdas,wassiegemachthaben,odersiewerdengetötet.

Und was gilt, wenn man Muslim in Deutschland ist? Sie haben kritisiert, dass Muslime in Deutschland ihre Religion mitDemokratieundSäkularismusvermischen.DiesehensichaberalswahreMuslime.WenndienundemISsagen,euerGlaubeistmirzustreng,habensiedannihrLebenverwirktundwerdengetötet?

Richtig!DieSacheistganzeinfach.Wennjetzteinersagt,ichbinMuslim,aberichbinauchDemokrat,dann ist erkeinMuslim.Muslimseinheißt,Allahergebenzu sein.EinervonAllahs99Namen istAlHakam. Das bedeutet, dass er derjenige ist, der die Gesetze macht. Niemand kann sich das gleicheAttribut zuschreiben, dasAllah sich zugeschrieben hat.Wenn sich jemand anmaßt,Gesetze zumachen,dannhatersicheineEigenschaftvonAllahzugeschrieben.DasbedeutetAbtrünnigkeit!Wiekannjemandbehaupten,dasserMuslimist,wennersichdasgöttlicheAttributanmaßt,Gesetzezumachen.Dannisterdamitabtrünniggeworden.DasisteinganzeinfachesPrinzip.OhnevielPhilosophie.

Werdeichim»IslamischenStaat«dieMöglichkeithaben,dieseFragenmitkompetentenLeutenzubesprechen?

Sicher! Aber gut, dass Sie das ansprechen. Am bestenmachen Sie ein kleines Skript.Was Sie gernemachenwürden.WenSie gerne treffenwürden,was für Institutionen Sie gerne besuchenwürden usw.DannwerdeichdasvorIhremBesuchnochweiterleiten,undwirwerdensehen,waswirmachenkönnen.

WelcheNationalitäthatderChefderMedienabteilung?

DasdarfichIhnennichtsagen.(Lacht.)DerChefderMedienabteilungistaufjedenFallnichtAbuTalhaAlAlmani,wiedasaufWikipediasteht.AbermehrInformationenkannichIhnendazunichtgeben.

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Kannichim»IslamischenStaat«alleinedurchdieStadtlaufen?

Ich denke, Siewerden Personen bei sich haben, die zu Ihrem Schutz da sind.Wirwollen nicht, dassirgendjemand,derSiekenntundgehört hat, dassSieda sind, aufdummeGedankenkommtundunsereganzeAbmachungvermasselt.DaherwerdenzweiLeuteimmerbeiIhnensein.NatürlichwerdendieSienichtaufSchrittundTrittverfolgen.Aberichdenke,wennSierausgehen,werdendieinIhrerNähesein.

Aber ich werde mit der Bevölkerung sprechen können, ohne dass jemand direkt daneben steht und denen dieMaschinenpistoleunterdieNasehält?!

Ja,natürlich.SiekönnenmitderBevölkerungsprechen.SiehabendasjabeiViceNewsgesehen,derhatauchinderMoscheemitLeutengesprochen.

SiehabenübrigensnochmalentgegenIhrerZusagemitWestlerngesprochen.DawurdesogareinInterviewgemacht.

Ja,daswarabernichtoffiziell.DahatjemandwasmitBBCgemacht.ÜberSkype.Ichweißnicht,obSiedasgesehenhaben.DasistleidereinProblem,dassmancheLeutesichinDingeeinmischen,diesienichtsangehen.Diewerdenaberallebestraft.

KannicheigentlichineinemHotelübernachten?DamitwirunsnichtzusehraufderPellesitzen.

DieSacheist,wirhabenkeineHotelsmehr.Wirhattenwelche,aberdiewerdenalleanderweitigbenutzt,alsVerwaltungsgebäudeoderalsWohnung.

WiekommeichandenrichtigenGrenzübergang?

Sie müssen in die türkische Stadt Gaziantep. Mit dem Taxi oder dem Bus. Der Rest wird von unsübernommen.WirholenSieab.

IchmussnochmalaufKobanezusprechenkommen.DasbeherrschtdieMedienhierstark.Eswirdgesagt,dassSiedieStadtnurnochzu30Prozentkontrollieren.

Die werden sich in ein paar Tagen, inschallah, sehr stark wundern. Wenn die ganze Stadt von unsübernommenwird.Esseidenn,dieAmerikanerbombenallesinGrundundBoden.

AberwarumhabenSiesichaufdieseStadtsokonzentriert?SiehabenvieleKämpferverloren.

DiekurdischenPeschmergaimIraksindschonseitSaddamHusseinVerbündetederUSA.UndgeografischgesehenliegtKobanemitteninunseremGebiet.DiekurdischePKKhatsehrzäheKämpfer.Dahabenwirunsgesagt:Okay,jetzthabenwirschonalldieNusairier7ausunseremGebietverjagt.DaswerdenwirmitderPKKgenausomachen,unddannweiter.

IchkannIhreEntscheidungstrategischnichtnachvollziehen.Guerillas,diesovieleKämpferaneinemOrtkonzentrieren,dermassivbombardiertwerdenkann,dasistschonseltsam.

DasiehtmanaberwiederdieheuchlerischeArtdesWestens.DiePKKund ihrsyrischerAblegerYPG8sindjetztwestlicheVerbündete.ObwohlsieüberallaufderWeltoffiziellalsTerrororganisationgelten.Gerade bei den Deutschen und den Amerikanern. Und trotzdem beliefert man sie mit Waffen undAusrüstungundwasweißichnichtalles.Übrigens:Wir haben schon die ersten Handgranaten, die erstenMG36 bekommen, Kriegsbeute! Und

einigeMilan-Raketenwerfer.EureWaffenlieferungenkommenamEndeimmerunszugute.IhrkönntruhignochmehrWaffenabwerfen.Wirerbeutensiegerne.

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Also,daswaresschonfürheute.DasWichtigsteistgesagt.SchauenSie,dasswireineGarantiebekommen,derenEchtheitnachprüfbarist.Dasmusstotalprofessionellsein.IchwerdemichbeiIhnenmelden.WieSiesehen,lasseichmirschoneinenBartwachsen.

EinigeTagespäter,am2.November2014,sprachenwirwiedermiteinander:

WosindSie?

InRakka.

AufmeinemComputerwirdangezeigt,dassSieinderTürkeisind.

Möglich.

AberSiewerdenjajetztnichtauchnochdieTürkeierobernwollen?

Ah,daskommtauchnoch.

AberdassinddochangeblichIhreheimlichenVerbündeten.

WiekönnendasunsereVerbündetensein,wennsiemitdenAmerikanernzusammenhängen?

Das machen die Türken doch nicht freiwillig. Dazu werden sie gezwungen. Sie wollten ursprünglich doch auch keinePeschmergadurchlassen.

JetzthabensiegeradePKK-Kämpferdurchgelassen.

Ja,weilderDruckzugroßwar.DerDruckvonAmerika.DieTürkeiistNATO-Mitglied.IchhabeIhnenaufIhreAnregunghineineMailgeschickt,wiewirdieAuthentizitätIhrerEinladungerhärtenkönnen.Darauf

würdeichjetztgerneIhreAntworthaben.

IchhabedarübermitmeinemVorgesetztengeredet.MitdenvonIhnengenanntenMedienAlJazeeraundAlArabiyagehtesaufjedenFallnicht.WaswirIhnenanbietenkönnen,ist,dasswirdieEinladungüberunsnahestehendeTwitter-Accountspublizieren.

AberIhreTwitter-Accountswechselndochständig.DakönntenSiesagen,dashatirgendeineraufTwittergeschrieben,aberwirwarendasnicht.UndwennichdasSchreibenAlJazeeragebenwürdeunddiedasdannveröffentlichen?

WarumunbedingtAlJazeeraoderAlArabyia?Unsgehtesdarum,dassdienichtdieersteQuelleseindürfen.Wir arbeiten nichtmit denen zusammen.Weil das große Lügner sind, die zu viel Einfluss aufgewissearabischeLeutehaben.WasandereNachrichtenagenturenoderFernsehsenderangeht,dasistkeinProblem.DakönnenSiegerneveröffentlichen.OderauchaufIhrerFacebook-Seite.

WirdesaußermitIhnenauchGesprächemitanderenMitgliederndesISgeben?MichinteressiertnichtdieOberflächeIhrerOrganisation,ichmöchteschildern,waswirklichist.Gibtesdanochandere,diedenDurchblickhaben?

Was bestimmte Bereiche angeht, werden Sie gute Leute treffen können. Was jedoch Abu Bakr AlBaghdadioderAlAdnaniangeht,denkeichnicht,dassesdazukommenwird.

Warumnicht?

Wir sehen für unsda absolut keinenNutzendarin, dass es zu so einemTreffenkommt.Oder zu einemInterview.Was wir wollen und tun, ist klar und offensichtlich. Da braucht man nicht unbedingt nochInterviewsmitderFührung,umirgendetwaszukonkretisieren.

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Ichglaube,dassschonvielePolitikerineinemInterviewDingegesagthaben,diedieWeltvorhernichtverstandenhatte.Unddiedadurchvielbewirkthaben.GibteseineChance,KampfeinsätzeausderNähezubeobachten?

WennSiewollen,ja.VielleichtkönnenSienachKobanefahrenundsichdieSachedagenauerangucken,wennbisdahinnichtallesgeklärtist.

Dakannmaneinfachhinfahren?

Ja,natürlich,dasistinunseremGebiet,aufunsererSeiteistallesbefreitundallesoffen.SiekönnenbisandieFrontliniegehen,wennSiewollen.

WieweitistRakkavonKobane?

Ichweißnichtgenau,aberichdenkeungefähr200Kilometer.ZweieinhalbAutostundenmussmanschonrechnen.

BisherwissenganzwenigeLeute,dass ichzum IS reise.Aberdiesewenigensagenmir immerzweiDinge.Erstens:Siewerdenniefreisprechenkönnen,undSiekriegenauchnieeineoffeneAntwort.Undzweitens:WaswollendievonIhnen?Diewollendochirgendetwas.WiekönnenSiedanurhingehen?

NatürlichwerdenSiemitdenLeutensprechenkönnen,ohnedassirgendjemandunmittelbardanebenstehtoderDruckaufdiesePersonausübt.WennSiehiersind,werdenSieganzschnellsehen,inderStadtsindsehr viele Muhajirin, also ausländische Kämpfer. Selbst wenn Sie alleine sein würden, wäre immerjemandvonunsinderNähe.

DannhatteichnochnachderUnterbringunggefragt.

Wir haben eineWohnung vorbereitet, da ist alles drin, was Sie brauchen. Es ist auf jeden Fall allesvorbereitet. Wie ich Ihnen ja schon gesagt habe, Hotels gibt’s hier leider nicht. Die werden alleanderweitigbenutzt.DieTerrorismusbranche,äh,dieTourismusbrancheisttot.

WashabenSiedageradegesagt?DieTerrorismusbrancheisttot?

Nee,dieTerrorismusbranche,dieblühtgeradeauf.

Also,SiehabennichtvieleTouristenmomentan?

Nee,nichtgeradeviele.

Mankann’sfastverstehen.HabenSieetwasdagegen,dassichKontaktmitdemAuslandhalte,wennichbeiIhnenbin?

Ichdenke,demsolltenichtsimWegstehen.InternetcafésgibteshierohneEnde.

WievieleKämpferhabenSiederzeit?DawerdenunterschiedlicheZahlengenannt.StimmtdieZahlvon35000noch?

Ehrlichgesagt,kannichIhnenkeinegenaueAnzahlsagen.Waswirpersönlichfestgestellthaben,ist,dassdieOrganisationHumanRightsWatch immer recht authentischeZahlenhat.SchonwährenddesganzenSyrien-Konflikts. Ichweiß nicht,wo die das genau herhaben.Aberwas dieToten oder dieVerletztenangeht,sindihreZahlenimmerkorrekt.ObsieauchKämpferzahlengenannthaben,weißichnicht.

Wir sollten jetzt den genauen Termin besprechen. Sie haben in einer E-Mail gesagt, es habe vor ein paar Tagen heftigeBombardementsaufRakkagegeben.BeeinträchtigtdasdieReise?

Nichtwirklich.SiehabenzweiGebäudebombardiert.DiewarenvonmeinemAufenthaltsortnichtallzuweitweg.AusdiesemGrundhabenwirvielZeitverloren.VorallemausSicherheitsgründen.Wasdie

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augenblicklicheLage angeht, ist sienicht anders als vorher.Assadhat gebombt. Jetzt lehnt er sich einbisschenzurückundkonzentriertsichaufAleppo.BeiunsbombardierenjetztdieAmerikanerfürihn.DieSituationistquasidiegleichewievorher.

Mussichaufirgendetwasachten,damitichnichtlokalisiertwerdenkann?

VondenAmerikanern?

Ja.Esistnichtlustig,wenndiemichjedenMeterbegleitenkönnen.DasistauchnichtgutfürIhreSicherheit.

Ich denke nicht, dass Sie auf irgendetwas achten müssen, keine Ahnung. Mobiltelefone und einMobilfunknetzgibtesbeiunsnicht.

ManmussalsozumInternetcafé?

Ja.Ichdenkenicht,dassdieAmerikanerwillkürlichirgendwelcheInternetcafésbombardierenwerden.

DieKritikamISwirdübrigensjedenTaghärter.PolitikerundMedienempörensichüberIhreEnthauptungen,siesprechenvonZwangsverheiratungenundvonVergewaltigungen.GibtesZwangsverheiratungen,undwiereagiertdieFührungdesIS,wenneszuVergewaltigungenkommt?

Die Frage ist immer, was damit gemeint ist. Die Politiker oder die Medien sprechen momentan vonirgendwelchenSexsklavinnen,Enthauptungen oderwie auch immer.Enthauptungen gibt es definitiv. Jenachdem,welchesVerbrechenjemandbegeht,wirdihmderKopfoderdieHandabgeschlagen.Ichmeine,dassindDinge,dieSiemittlerweilekennenmüssten,ausanderen, teilweiseverbündetenLändernodervielleichtausGeschichtsbüchernodersonstwoher.UndSklavereigibtesimIslamnunauchwieder.

BeiIhnenauch?

Ja,natürlich.WirbetrachtenunsalseinenIslamischenStaat.WirhabeneinegewisseMacht,diewiraufunsereGebieteanwendenundaufdieGebiete,diewirerobern.AlleGesetze,diederIslamvorschreibt,werden angewendet.Und in gewissen Fällen erlaubt der IslamSklaverei vonNichtmuslimen.Bei denJesidenbeispielsweisewurdediesesRechtangewandt.

DiewurdenzuSklavengemacht?

Ja.

AuchChristen?

BeiChristenistesso,dasssiedieMöglichkeithaben,JizyazubezahlenunddenIslamanzunehmen,odersiewerdenhaltgetötet.IhreFrauenwerdendannversklavt.

Versklavtoderzwangsverheiratet?

Nichtzwangsverheiratet,dasgibtesnicht.AberimMomentsiehtesfolgendermaßenaus:InRakkazahlendiemeistenChristendieJizya.

WasbedeutetdasinderPraxis,dassmanSklaveist?BekommtmankeinenLohnoderbekommtmanwenigerRechte?

Dasistso,wiedasdamalsauchgewesenist.EsgibtgewisseRechte,undesgibtgewissePflichten,dieeinSklaveauszuführenhat.NatürlichbekommterkeinenLohn,jemandbesitztdiesePersonnunmal.Undmuss fürdenUnterhalt sorgen, fürVerpflegung,Unterkunft,Kleidungusw.ErhatauchdieMöglichkeit,seinenSklavenfreizulassen.WennderBesitzergewisseVergehenbegeht,kannderRichterihnauchdazu

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zwingen,dasserseineSklavinnenoderSklavenzurStrafefreilassenmuss.Manhatmirerzählt,dassimIrakvieleSklavenzumIslamübergetretensind.DieBesitzer,die invieleKämpfeverwickelt sindundwenigZeithaben,habendaraufhinfastallefreigelassen.

Undwasgeschieht,wennesirgendwozueinerVergewaltigungkommt?WirdderVergewaltigerbestraft?

WasverstehenSieunterVergewaltigung?

EineFrauzuzwingen,Verkehrzuhaben.

(Lacht.)Dasistimmerrelativ.Wasbedeutetzwingen?Wasbedeutetzwingen,wenneinemdiesePersonalsSklavingehört?

NachIhrerAuffassungistdieVergewaltigungeinerSklavinalsokeineVergewaltigung.Undwasist,wennSieeinDorferobernundeinerIhrerKämpferdorteineFrauvergewaltigt?DasgibtesjaleiderinKriegen.

WennmandenTäterdabeierwischenwürde,würdedasalsUnzuchtundHurereiklassifiziert.Wennerverheiratetwäre,würdeerzuTodegesteinigt.Wennerunverheiratetist,bekämeer100Peitschenhiebe.WennsieaberseineSklavinwäre,wäredasnatürlicheineandereGeschichte.

WieistdennzurzeitIhrePolitikgegenüberDeutschland.InDeutschlandsprechendieeinzelnenDienste,dasBKA,derBND,derVerfassungsschutz,voneinerhohenAnschlagsgefahr.

SiekennendieRedevonAdnanizudiesemThema.UndSiehabenvielleichtverfolgt,wasgeschehenistinLändernwieKanada,denPhilippinenundauchAlgerien,wosieeinenFranzosengetötethaben.DassindallesReaktionenaufAdnanisAufforderungandieBevölkerung,tätigzuwerden.

SierechnenalsoauchmitAnschlägeninDeutschland?

Wir befinden uns im Krieg, und im Krieg ändert sich alles täglich. Ich dachte ursprünglich, dass inDeutschlandüberhauptnichtspassierenwürde.DannkamdieRedevonAdnani,mitdererzuAnschlägengegenalleaufgerufenhat,dieanderKoalitionbeteiligtsind.Wirhoffenjetzt,dassirgendetwasGroßespassierenwird,seienesBombenanschlägeodersonstirgendetwas.WennderKriegerstmalaufdereinenSeiteist,dannwirderirgendwannauchaufderanderenSeite

ausgetragen.

WerkönntendenndieAusführendensein?Esgibt inDeutschland javieleSalafisten,dieGewaltablehnen.Diekämenalsoschonmalnichtinfrage…

AndieserStellebrachdieVerbindungwiedereinmalab.Nachmehreren,nicht sehr freundlichenE-Mails über Bedingungen und Details der Reise sprachen wir am 13. November 2014, einemDonnerstag,erneutüberSkypemiteinander:

Hallo?AbuQatadah?Ja,jetzthöreichSiegut.SieschreibenjagrantigeE-Mails!DiesenTonkannichnichtakzeptieren.Ichkann doch nichts für dieProbleme einerReise in Ihr Land.Wir sprechen ja schließlich nicht über eineVergnügungsfahrt.Außerdem bin ich nicht allein.Manche Journalisten haben auchWünsche und Bedingungen, und die gebe ichweiter. IchbeschreibeIhnenjetzteinmalmeinepersönlichePosition.IchmöchteIhnengernevertrauen.Ihnenpersönlich.LetztlichhabeichalseinzigeGarantienurdas,waswirbeidepersönlichabgemachthaben.

Richtig,ja.

Ichkönntemirvorstellen,inetwaeineinhalboderzweiWochenzukommen.Siesehenalso:IchvertraueIhnen.

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(Lacht.)

JetztdürfenSiewirklichnicht lachen.Wahrscheinlich freutesSiedoch,dass ich Ihnenvertraue. Ichwerdespätergefragtwerden: »Wieso sind Sie in den ›Islamischen Staat‹ gegangen? Das war doch lebensgefährlich?« Da muss ich meinerFamilie,meinenFreundenklarmachenkönnen,dasswirgründlichüberdieKonditionenverhandelthaben.DasolltenSienichtimmergleichsounfreundlichwerdenwieinIhrerletztenundinIhrerheutigenMail.DazugibteskeinenAnlass.DasstehtIhnenauchnichtzu.

Okay.Das ist allesnichtmeinealleinigeEntscheidung. IchbekommeauchVorwürfe.UndVorschriften,wasichsagensoll.Ichpersönlichwünschemir,dassSiekommenundeinenfairenBerichtmachen.UndwirdadurchunserwahresGesichtzeigenkönnen.SiehabenschoneinegewissePopularitätbeimanchenMuslimen in Deutschland und vielleicht auch in anderen Ländern. Nur, all das ist halt nicht meinealleinigeEntscheidung.IchhabeeinenArbeitgeber,dermirsagt,wasichzutunundzulassenhabe.

Ichsagenurnocheinmal:IchwarimmerfreundlichzuIhnen,undSiesolltendasauchsein.

Daswerdeichweiterhinprobieren.

Eswäregut,wennwiramSonntagDetailsausmachenkönnten.GenaueAnkunftundsolcheSachen.UndwennSiemirdannauchsagenkönnten,wasSiedefinitivaufTwitterveröffentlichenwerden.Undwann.Dassollteichjadannauchwissen.

Ich werde das Schreiben veröffentlichen, das wir Ihnen geschickt haben, und ein, zwei Zeilendazuschreiben.

Wennder»IslamischeStaat«dieseEinladungdannnichtdementiert,geheichdavonaus,dasssieechtundauthentischist.

Okay!

KennenSiedieSoufanGroup?

Sagtmirnichts.Nein.

DasisteinamerikanischerThinkTank.DerhatüberdenISeinen33-seitigenBerichtveröffentlicht,denichgelesenhabe.Sehrinteressant.DiemüssensehrvieleDetailinformationenhaben.Vielesvondem,wasdiegeschriebenhaben,decktsichmitdem,wasSiemirgesagthaben.AmSchlussschreibensie,dasseseinähnlichesPhänomenwieden»IslamischenStaat«inderNeuzeitnochnichtgegebenhabe.DasschreibteineOrganisation,diedirektderamerikanischenRegierungberichtet.DiekriegenihreAufträgehäufigvonderUS-Regierung.Dasfandichinteressant.EineganzandereFrage:LebtderKalifnoch?SeinKonvoi istangeblichimIrakangegriffenworden.Ersolldabeischwer

getroffenwordensein.

Erlebtnoch.

Verletzt?

Nein,er istauchnichtverletzt.WennSiedie irakischenNachrichtenverfolgen,solltenSiewissen,dielügenimmer.EsistjaaucheineetwasdümmlicheMeldung.WelcherIS-FührerfährtschonimKonvoiunddann noch durch einen irakischen Kontrollposten? Es ist seltsam, dass die amerikanische RegierungbeziehungsweisedieamerikanischenMediensoetwasaufgegriffenhaben.Normalerweiselassendiesichaufsowasnichtein.

UndKobane?DieKurdensagen,sieseienaufdemVormarsch.

Ichweißnicht,wasdiemitVormarschmeinen.DieletztenMeldungen,dieichbekommenhabe,waren,dass sie vorgerückt sind, aberwieder zurückgeschlagenwurden.Unddass es einHin undHer ist. Ich

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weißauchnichtwirklich,wasdieKurdendavorhaben.Ichmeine,dieAmerikanerhabenganzeArbeitgeleistetunddieAltstadtdemErdbodengleichgemacht.SelbstwennwirdenKampfverlierenwürden,würden die Kurden nichtmehr viel von dieser Stadt haben.Wir werden trotzdem den längerenAtemhaben,wiedamalsimIrak,alswirunsauchmehrereJahrezurückziehenmussten.SelbstwennwirnocheinJahroderzweioderdreiJahrewartenmüssten.Fürunsistdasirrelevant.EsgibtkeinZurückmehr.

Sie haben gesagt, Sie erwarten von mir eine faire Berichterstattung. Aber ich kann nicht garantieren, dass Ihnen meineBerichtegefallenwerden.

DasisteineandereSache.SolangekeineLügendarinauftauchen,istdasokay.SiewerdendieWahrheitjasehen.WennjemandzumBeispielschreibt,dieDouwlaIslamiyyahabeinRakkafünfMenschengetötet,weil sie Unzucht begangen haben, dann sind wir damit einverstanden. Auch wenn das imWesten einschlechtesBildabgibt.WennSiesichaberirgendwelcheSachenausdenkenoderLügenverbreiten,istdaswasanderes.

Wirhabenmehrfachdarübergesprochen,dassichdenISsehrkritischbeurteile.IchkannIhnenjedochgarantieren,dassichkeinInteressehabe,MärchenüberdenISzuverbreiten.Dashabeichniegemacht.Siewissen,dassichbeidenTalibanwar.UndSiewissen,dass ichwährenddesIrakkriegsderAmerikanerbeimirakischenNationalenWiderstandwar.Dahabe ichübrigensVorgängervonIhnengetroffen.Diehießendamals»IslamischerStaatimIrak«,ISI.

WerhatIhnendamalsdieEinladungausgestellt?

Niemand.DamalswarmeingrößtesProblem,durchdieamerikanischenLinienzukommen. InRamadiwar ichbeieinemirakischenWiderstandskämpfer,einemjungenStudenten.IchhabeeinBuchüberihngeschrieben.Esheißt:Warumtötestdu,Zaid?ZaidwollteüberhauptnichtWiderstandskämpfersein.AbererhatteeinenBruderdurchdieAmerikanerverloren,unddannnocheinenweiterenBruder.ErmusstedieganzeNachthilflosdurchsKüchenfensterzuschauen,wiedieserverblutete.DawurdeerzumWiderstandskämpfer.ErhateinenSchützenpanzer indieLuftgesprengt.BeidiesenLeutenwar icheineWoche.ZuIhnenwirdwahrscheinlichmeinSohnmitkommen.Erwirdfilmen.WirversuchennocheinenDrittendazuzubekommen.

Aberdasistnichtsoleicht.Keinerglaubtmir,dasswirlebendzurückkommen.

AmdarauffolgendenSonntag,den16.November2014,sprachenwirerneutmiteinander:

Hallo!HörenSiemich?

WirhörenSie.Fredericistauchda.

SehenSiemich?

Ja!WieistdasWetter?

Jetztwirdeseinbisschenkalthier.

ZielflughafenbleibtGaziantep?

Ja,ichdenke,dasswirdiesenGrenzübergangnehmenundSiedortrüberbringenwerden.

WieweitistdasvomFlughafenentfernt?

IchhabekeineAhnung.ZwischenGaziantepundderGrenzeistnocheinekleineStadt,Kilis.Ichschätze,dassesbiszurGrenzeeineAutostundeist.

WürdenSiemitrüberkommen?AufdietürkischeSeite?

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Ichpersönlichnicht,aberunsereLeute.

Siesindnichtdabei?

Daswärezugefährlich.IchwerdeSieaufderanderenSeiteempfangen.

Wirdesmöglichsein,nachMosulzugehen?

Reintheoretischistdasmöglich.Ichweißnicht,wievielZeitSiesichnehmenwollen.

Mosulinteressiertmich,weilichdieStadtkenne.IchkönntealsogutdieLagevondamalsmitdervonheutevergleichen.

Grundsätzlichistdasnichtausgeschlossen.DerWegnachMosulistfrei.EssindzirkafünfAutostunden,dassolltekeinProblemsein.

Siewissen,dasswirinvielenPunktenunterschiedlicherMeinungsind.IchbinChrist,undSiesindMuslim.Ichhattetrotzdemgehofft, dass Sie gegenüber dem Konvertiten, den der IS heute hingerichtet hat, Barmherzigkeit walten lassen. Das warimmerhineinKonvertitzumIslam,einEntwicklungshelfer.SoeineHinrichtungkannmandochmitnichtsmehrbegründen.

Wiewar sein Name noch? Peter, glaube ich. Ich habe seinen Namen vergessen. Der Grund für seineHinrichtung ist einfach.UmwirklichMuslim zu sein,mussman bestimmteBedingungen erfüllen. ZumBeispielmussman dasGlaubensbekenntnis kennen:Niemand außerAllah hat das Recht, angebetet zuwerden,undMohammed ist seinGesandter.DieseBedingungmussmanerfüllen.DieserPeterwarniewirklich Muslim und wurde von uns von Anfang an nicht als Muslim angesehen. Es war eineMedienkampagne des Westens, immer wieder zu behaupten, der habe doch den Islam angenommen,nachdem er im Irak gedient hatte. Damit sein angeblicher Übertritt zum Islam hätte akzeptiert werdenkönnen,hätteersichöffentlichvonseinemEinsatzimIrakdistanzierenmüssen.Erhatesniegetan.UnddeshalbhabenwirihnalsUngläubigenbetrachtet.Die französischeRegierunghat für ihreGeiselngezahlt.Die sinddann imFernsehenaufgetretenund

habenbehauptet:»WährendderGefangenschafthabenwirsogetan,alsobwirMuslimegewordenseien.Wirhabenprobiert,mitISISzuspielen.«WasdieFranzosennichtwussten,war,dassdasfrühaufgeflogenwar.DieGefangenenhattensichimBadezimmerNachrichtenzukommenlassen.Dasistrausgekommen,weildieBadezimmerkontrolliertwurden.Siehabensichgeschrieben:»WirnehmendenIslaman,damitsieunsnichtstun.«AufgutDeutschgesagt,manhatversucht,unsfürdummzuverkaufen.DieFranzosenhatten insofernGlück, als ihreRegierungvielKohlegeblecht hat.Aberdie anderenwurdenvon ihrenLändernimStichgelassen.DaraufhinwurdenihreStaatsbürgerhalthingerichtet.

WaswarderVorwurfgegendenEntwicklungshelfer?

Gegen ihn selber lag nichts vor. Aber im Islam ist es halt so, dass das Blut eines Nichtgläubigengrundsätzlich nicht geschützt ist, außer in einigen Ausnahmefällen. Der erste ist: Wenn er in einemIslamischenStaatlebtunddieJizyazahlt.ImJahreinpaarhundertUS-Dollar.DiezweiteMöglichkeitist,dass er von einemMuslim persönlichenSchutz erhält.Oder, drittens,wenn er den Islam annimmt unddadurchseinBlutundseinBesitzgeschütztwerden.Dashabendieallenichterfüllt.Keinervondenenhatte einenwirksamen Schutzvertrag.Man hat zwar bei demNGO-Mann Peter Kassig versucht, diesesSpielzuspielen,undbehauptet,dasseineislamischeSpendenorganisationihmSchutzgewährthätte.DerIrrtumlagdarin,dassdamalsderIslamischeStaatnochgarnichtexistierteundineinemKriegsgebietkeinSchutzgewährtwerdenkann.JederSchutzvertrag,selbstwennervoneinemMuslimstammt,istimKriegnichtig.WeilergarnichtinderLageist,Schutzzugewähren.

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Das isteineseltsameArgumentation.Siesagen,dasseineSchutzgarantieungültig ist, sobaldmannichtwirksamSchutzgewährenkann.AberSiehättenKassigdochnachderGründungdes»IslamischenStaats«Schutzgewährenkönnen.WasistIhreSchutzgarantiefürFredericundmichdannnochwert,wennSiesoargumentieren?

Ichhabegesagt,MöglichkeitendesSchutzessinda)wennineinemIslamischenStaateineSchutzsteuergezahltwird.Oderb)wenneinMuslim,wasinIhremFalljaderFallist,Schutzgewährt.Siebekommenvon uns im Islamischen Staat Schutz, Schutz vomBüro desKalifen.Und das regelt von unserer Seitealles.

AberesistdochgeradeKrieg.HatIhreZusageauchimKriegGültigkeit?

Definitiv.WirsehenunserTerritoriumalsStaatsterritorium.IndiesemSinneherrschthierauchkeinKriegmehr.DereinzigeKrieg,deraufunseremTerritoriumstattfindet,sinddieLuftschlägevonAssadundvondenAmerikanern.WirhabenIhnengesagt:VonunsererSeitewirdIhnenzu100Prozentnichtspassieren.Wenn eine Bombe fällt, dafür könnenwir nichts. Das trifft uns, kann aber auch Sie treffen. NatürlichbringenwirSienichtineinemMilitärstützpunktunter,derdenAmerikanernbekanntist.

TrotzdemherrschtKrieg.Bombenschlägereichenja.KönnendieAmerikanernichtrecherchieren,woichbin?

Ich denke nicht, dass die das recherchieren können. Solange Sie keine GPS-Geräte bei sich haben.Natürlich könnenSie alle technischenGerätemitbringen, dieSie für IhreArbeit brauchen.Siewissenwahrscheinlichbesseralsich,wozudieAmerikanerfähigsindundwozusienichtfähigsind.Wirsehendas an den Anschlägen, die sie machen. Wirklich fähig zu irgendetwas sind sie nicht. Die meistenGebäude,diesiebeschossenhaben,warenleerundschonseitMonatenvonunsnichtmehrbenutzt.Undsovielesinddabeiauchnichtdraufgegangen,wiedieAmerikanergernegehabthätten.

Frederic:IchhättenocheineFrage.DerenglischeGefangeneJohnCantlie,dereinmalproWochedieseTV-Sendungfüreuchmacht,machtderdasimmerweiter?Oderwirderirgendwannfreigelassen?OderexekutiertihrihninseinerletztenSendung?

(Lacht.)IchkanndirdieFragenichtbeantworten.Ichweißnicht,wasdiemit ihmvorhaben.Ichdenkenicht, dass er noch exekutiertwird. Fakt ist, das hat er auch in der ersten Episode erwähnt: Er ist inGefangenschaftundzumTodeverurteilt.MitdieserTV-SeriekannergewisseDingeaufdecken,dashabenwirihmangeboten.ErkannseinLebendamitverlängern.Aberoberletztlichnochexekutiertwirdodernicht,daskannichnichtbeantworten.

WennSieihntötenwürden,würdenSiealles,wasSiemitseinenAuftrittenbeabsichtigthaben,kaputtmachen.Vielleicht noch eine technische Frage: Sie sagen, wir sind vom Büro des Kalifen eingeladen. Sind wir damit von einer

bestimmten Person eingeladen? Also zum Beispiel von Ihnen? Oder von der Person, die unterschrieben hat? Hinterherbehauptetjemand,derwargarnichtzurUnterschriftberechtigt.

Da waren viele involviert. Ein wichtiger Standpunkt im Islam ist: Wir versuchen, Menschen nichtreinzulegen.WennetwasimGesetzAllahsverankertistundwireineZusicherunggeben,dannwerdenwiralles tun,dieseZusagenichtzubrechen.SiesindderErste,dereinensolchenVertragunterdemneuenKalifenbeziehungsweisederneuenislamischenRegierungbekommenhat.Unsliegtnatürlichvieldaran,dassdasnichtindieHosegehtundesindenMedienirgendwannheißt:»Schaumal,diehabenimNamendesKalifenundAllahsetwasschriftlichzugesagtunddanneinfachgebrochen.«

GibtesdieMöglichkeit,dasOriginalschreibenzubekommen?

Sehrschwer,vorallemsokurzfristig.WirhabenleiderkeinefunktionierendePost,dieüberdieGrenzenhinausPaketeausliefert. IchkannIhnendasOriginalschreibengeben,wennSiehierankommen.Dasist

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keinProblem.

Ichwollte Ihnen zumAbschluss sagen, dassSie in demBuch, das ich schreibe, einewichtigeRolle spielenwerden.Wirhabenjavielbesprochen.

(Lacht.)Darübersprechenwirnocheinmal,wennwirunspersönlichsehen,wasSiesoallesschreibenkönnen.

IchwollteesIhnennurnocheinmalankündigen,damitSiegewarntsind.WirmailenIhnen.Daswirdjetztallesziemlichschnellgehen.

AmMorgendes27.November2014 laufenbeiunsdieTelefoneheiß.BBC,CNN, France2und andereausländischeSenderrufenbeiunsan.ISbehauptetangeblichaufTwitter,dassichim»IslamischenStaat«binoderwar.MitunswardieVeröffentlichungnichtabgesprochen.Dasgehtjagutlos.FreddyschautaufTwitternach.TatsächlichkannereinigeEinträgefinden.Dererstescheintvoneinem

RamiAlLolahzukommen.EinundurchschaubarerTyp.ErscheintnichtnursehrguteKontaktezum ISzuhaben, sondernveröffentlicht auch immerwiedervertrauliche InfosvonGeheimdiensten.Er behauptet,vieleisraelischeLuftschläge»geleaked«zuhaben.KurzvorachtUhrmorgenshateraufTwitterfolgendeNachrichtveröffentlicht:

»ISISbehauptet,dasssiedemdeutschenJournalistenJürgenTodenhöferundseinemTeamerlaubthaben,ReportagenausdemIrakundSyrienzubringen,unddasssiesiebeschützenwerden…«

IneinemweiterenTweetschreibter:

»Sehr verlässliche ISIS-Quellen haben dieseNachricht bestätigt. Es gibt jedoch noch kein offiziellesStatement,wedervonTodenhöfernochvonISIS.«

Sehr schnell folgen hämische Kommentare. Viele wünschen sich, mich bald im nächsten IS-Enthauptungsvideo zu sehen. »Ich hoffe, der kommtnie zurück.« – »Obdie ihnwieder in einemStückzurücklassen?«, fragt ein anderer. Ein klasse Trick, so der Tenor: mich einladen, verarschen undenthaupten.RamiAlLolah und andere, die die Meldung auf Twitter veröffentlicht hatten, werden von meinen

GegnernbeimISmitmeinenArtikelnzumThemaISzugemüllt.»Hastdugesehen,wasTodenhöfernochimJanuar über Assad, ISIS und Nusra geschrieben hat?« Auch viele Links zum Assad-Interview werdengeschickt. »Wisst ihr wirklich, wen ihr da eingeladen habt? Todenhöfer ist ein Terroristenfeind undAssad-Freund.« Beim IS schien sich vorerst niemand um die Twitter-Kontroverse zu kümmern. AbuQatadahaberwarnichtzuerreichen.Fredericwarwütend.Erhattemichmehrfachgewarnt,dassderISmichhereinlegenwerde.Erhieltdie

IdeeeinerReise inden»IslamischenStaat«vonAnfangan fürWahnsinn.Jetzt lasermirstündlichdiekrassestenKommentareausdemInternetvor.ParallelriefallepaarMinuteneineFernsehanstaltan.EineverstörendeTwitter-MeldunglasFredericmirnochkurzvorunsererEinreiseinden»IslamischenStaat«vor. Ein weiblicher IS-Fan aus Syrien hatte geschrieben, sie habe geträumt, dass ein westlicher VIPgefangenwurde.NunwartesieaufdiebaldigeErfüllungihresTraums.Zornig schrieb ich AbuQatadah eineMail. Und tatsächlich gelang uns am 30. November 2014 ein

Skype-Gespräch:

Ichdachteschon,SiewärenvoneineramerikanischenBombeerwischtworden.Odervoneinersyrischen.

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Nein,GottseiDanknochnicht.

WirdRakkamomentanstarkbombardiert?

ZurzeitbombardiertAssadinRakkasehrstark.JedenTag.VordreiTagenwaresziemlichheftig.NeunBombenoderso.AberandenanderenTageneineoderzwei.Abermomentanistessehrstark.

HieristleiderauchdieHöllelos.SiehabenjanundochohneAbspracheunsereReiseaufTwitterveröffentlicht.DasistgroßerMist.IchhabeIhnendeswegengeschrieben.JetztwissendieMedienvonmeinerReise,undichkanneigentlichnichtmehraufdie Straße. Wie soll ich denn reisen, ohne dass es auffällt? Ich habe nicht nur die Medien, sondern alle westlichenGeheimdiensteimKreuz.IchfindeübrigensdieOriginal-Twitter-Meldungnicht.

Ichhabegeradeprobiert,denErstenzufinden,derdarübergeschriebenhat.IchhabeIhnenjaschonfrühergesagt, dass wir keine offizielle Twitter-Seite mehr haben. Sondern nur Leute, die unsere Sachenverbreiten.DapassierenhaltauchPannen.…

DieVerbindungwirdunterbrochenundspäter,amselbenTag,fortgesetzt:

DasInteressederMedienscheintgroßzusein.Daskannichjetztgarnichtgebrauchen.CNN,BBC,Bild,Spiegel,allerufenan.DasfranzösischeFernsehenhatnachtsumdreibeimeinenKindernangerufen.

Frederic:MeinVaterhatleiderauchFeinde.WennmaninkriegerischenKonfliktenmitbeidenSeitenredet,waserjaimmerwiedergemachthat–inAfghanistanmitdenTalibanunddemPräsidenten,inSyrienmitdenRebellenunddemPräsidenten–,istdiejeweilsandereSeitegleichsauer.JetztgibtesjedeMengeLeute,diesagen:»Was?DenTodenhöfer,diesenArschhabtihreingeladen?DerwardochbeiAssadundhatmitdemgeredet.«Alsonicht,dass ihr jetzt imNachhineinsagt,aberdaswusstenwirjagarnicht.

Quatsch.Unsistdasallesbewusst.IchpersönlichundauchmeineVorgesetztenhabensichnatürlichmitdeinemVaterbeschäftigt.Unsistklar,dassnichtimmerdasgeschriebenwird,wasunsgefällt.Dashabenwirjaschondurchgekaut.Wirwolleneinfach,dassdieWahrheitberichtetwird.

AberderPunktist–wirmüssendaoffenmiteinanderreden–,ichhabedenISstarkkritisiert.DaswissenSieja,oder?Ichfragedasnochmalausdrücklich.

Ja,natürlich,ichweißdas.IchkenneIhreVeröffentlichungen.IhrekritischeSeite.Aberichdenke,dassvieleMuslimeSiealswahrheitsgetreuenReporterbetrachten.UnddasistaucheinGrund,warumwirSieakzeptierthaben.WasSiesehen,könnenSieberichten.SiehabengeradedieseTwitter-Seite»Raqqaisbeing slaughtered silently« erwähnt. Die haben Leute, die leben in Rakka. Sie schießen Fotos undschreibenBerichte.UndobwohlsiesichvorOrtbefinden,erfindensieLügen.Ichdenke,dassSienichtkommenwollen,umirgendwelcheMärchenzuerfinden.Daswollenwirauchnicht.

GeschichtenerfindenkönntenwirauchinDeutschland.Dafürmüsstenwirnichtextrarübergehen.

DasistderPunkt.Wirwissen,dassSienichtausunsererSichtberichtenkönnen.EsgibteinfachSachen,dieNichtmuslimenichtverstehenkönnen.WarumsetztsichjemandinsAutoundsprengtsichindieLuft?EinNichtmuslimwirddasniemalsverstehenkönnen.UnddeswegenwerdenauchSiesolcheDingeniesoberichtenkönnen,wiewirdaswollen.Aberesgehtdarum,dieWahrheitzuberichten.AusIhrerSicht.

Ichhabedasimmerversucht.AlsichbeiderTaliban-Führungwar,habenwirüberSelbstmordanschlägegesprochen.Ichhabegesagt, ich kann das nicht verstehen und bin da völlig andererMeinung. Das haben sie akzeptiert. Und sie habenmeinekritischenAnmerkungenauchsoweitrespektiert,dasssiemichspäternocheinmaleingeladenhaben.Ichhabefairübersieberichtet.Diehabenakzeptiert,dassichmitsoetwaswieSelbstmordanschlägeneinfachnichtklarkommenkannundesauchniemalswerde.

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ImHintergrundhörtmanlauteExplosionen.Qatadahwirdnervös.

Es tut mir leid, dass ich unser Gespräch jetzt schnell beenden muss, vielleicht können wir zu einemspäterenZeitpunktodermorgennocheinmalsprechen?WirhabenhierwiederBesuchbekommen.EsgibthiereinpaarFlugzeuge,dieganzinunsererNähedurchdieGegendfliegen.

Okay!Dannganzkurz:WiesiehtdiePlanungaus?WannkönntenSiemichabholen?Wannkönnenwirlosfahren?

Siekönnenstarten.NormalerweisekönnenwirSieamselbenTag,andemSieinderTürkeiankommen,überdieGrenzebringen.

Daskönntealsoabmorgengeschehen?

Ja.Siemüsstensichdannnurbeimirmelden,telefonischoderperE-Mail,dasssieangekommensindunddassSiebereitsind,überdieGrenzezugehen.WirwerdenSiedortabholen.

IchmussSiealsojetztgarnichtmehrinformieren,wannichfliege?IchmussSieimGrundegenommennurnachderLandunganrufen?WievieleTage,meinenSie,solltenwireinplanen?

ImHintergrundkrachtesgewaltig.

BringenSiesichinSicherheit.

Okay.AufWiederhören.

6 »Übersetzung einer Sicherheitsgarantie aus dem Arabischen in die deutsche Sprache: Islamischer Staat – Im Namen Allahs, desBarmherzigen,desGnädigen,LobseiAllah,demHerrnderWelten–FriedeundSegenaufdemImamderMujaheddin,unserenProphetenMohammed und seine Familienangehörigen und Weggefährten. Dies ist eine Sicherheitsgarantie für den deutschen Journalisten JürgenTodenhöfer,damiterdieTerritoriendesIslamischenStaatesmitseinemHabundGutundseinenBegleiternsicherbereist.DaherwerdendieSoldaten des IslamischenStaates dieseGarantie respektieren und ihm sicheres freiesGeleit gewähren, bis er seineMission erfüllt hat undwiederausgereistist.UndmögeAllaheuchreichlichbelohnen–20.DhulHidschra1435(entsprichtdem19.Oktober2014)–SekretariatdesKalifen–SiegeldesKalifen«7Alawiten8Kurdisch:YekîneyênParastinaGel(Volksverteidigungseinheiten)

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VIII

Reiseinden»IslamischenStaat«GrobeSkizzeneinesAlbtraums

Die Würfel waren gefallen. Es gab kein Zurück mehr. Sieben Monate hatte ich jeden Tag mit mirgerungen.WarmeinPlan,den»IslamischenStaat«zubereisen,verantwortbar?FasttäglichsahichneuebarbarischeGrausamkeitendes IS oder las darüber.VordemEinschlafenhatte ichoft dieEmpfindung,jemandfahremirmitderstumpfenSeiteeinesMessersüberdieKehle.Meiststandichdannauf,gingandasFensterimWohnzimmerundstarrteindieNacht.Würdenwirzurückkehren?WaswardasWortdieserTerroristen wert? Von irakischen Freunden in Anbar wusste ich, dass es Verhandlungen mit dem ISgegeben hatte. Mit der ausdrücklichen Zusicherung freien Geleits. Niemand aus der Delegation dersunnitischenStämmekehrtejemalszurück.AufderanderenSeitewarmeineNeugier,dieWahrheitüberden IS herauszubekommen,groß.Diese

NeugiernachderWahrheithattemichmeinganzesLebenlangangetrieben.DurchdieSkype-GesprächeunddieGarantiedesKalifatswareineSituationgeschaffenworden,inderunsereGefangennahmeoderunserTod auch dem IS geschadet hätte. Erwollte als Staat ja ernst genommenwerden.Außerdem, somerkwürdigesklingt:IchvertrauteAbuQatadah.IchvertrautederpositivenSeite,dieesauchbeiihmgab.Odereinmalgegebenhatte.Ammeistenbedrücktemich,dassmein31-jährigerSohnbeidiesemHarakiri-Unternehmendabeiwar.

DieganzeFamiliehattemichangefleht,ihnnichtmitzunehmen.Erwäre,wennmiretwaspassiertwäre,dereinzigeManninderFamiliegewesen.Diebrauchteihn.VorallemseinejüngsteSchwesterNathalie.SieisteinbildhübschesMädchen.DochunsichtbarhängtüberihrdasDamoklesschwertihrerMultiple-Sklerose-Erkrankung.Als ich Frederic am Tag vor unserer Abreise noch einmal bat, doch bei der Familie zu bleiben,

antwortete er: »Du weißt, ich bin gegen diese Reise. Total. Wenn man dich umbringt, hast du alleszerstört,wofürdujahrzehntelanggekämpfthast.FürRespektvordermuslimischenWelt.ManwirddeinenTodalsBeweissehen,wiesehrdudichgeirrthast.DieReiseistWahnsinn.«»Vielleicht«,sagteich.»Unddeshalbbitteichdichhierzubleiben.«Frederic schautemichzornigan:»Ich lassdichdanichtalleinehin.Wirziehendas jetztgemeinsam

durch.Wennduheimlichabreist,kappeichalledeineInternet-undSkype-Verbindungen.Duwirstnichtsundniemandenmehrfinden.IchlöschealldeineKontakte.«Ichwarchancenlos.Fredericließsichnichtumstimmen.

Natürlich hatte ich für denFall, dass der IS seinWort brach,Vorkehrungen getroffen. Ich kenne einigeeinflussreichePolitikerundIntellektuelledermuslimischenWelt.SchonlangevorunsererAbreisehatteichKontaktzuihnenaufgenommen.Siehattenmirversprochen,sichimNotfallmitihrenRegierungeninVerbindungzusetzen,diesichdannüberihreKontaktezum IS,zumBeispielüberirakischeStämme,füruns eingesetzt hätten. Zumindest vielleicht. Auch das Kanzleramt in Berlin würde, sobald ich im»IslamischenStaat«war,schriftlichinformiertwerden.AußerdemwussteichvonEinzelkämpfern,dasssiebeigefährlichenSondereinsätzenofteintödliches

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Medikamentbeisichtragen.BeiGefangennahmeunddrohenderFolteroderqualvollerHinrichtungsetzensieesein,umnichtzumSpielzeugsadistischerMörderzuwerden.ImHinterzimmereinerApothekeimkurdischenErbilhatte ichmir imSommervierEinheiteneinesMedikamentsbesorgt,das inÜberdosistödlichwirkt.NebenAspirinundImodiumsahensieinmeinemMedikamentenkastenrechtunauffälligaus.IchbineinGegnerderSelbsttötung.Aberdarumgingeshiernicht.Esgingdarum,imFalleeinessicherbevorstehenden Todes die Chance zu haben, Folter und eine demütigende öffentliche Hinrichtung zuverhindern.Wennichschonsterbenmusste,wollteichdasDrehbuchmeinesTodesnichtvomISschreibenlassen.AmTagvorunsererAbreiseerzählteichFredericvondenMedikamenten.Erstarrtemichüberrascht

an, doch er nickte. Fast erschien er erleichtert. Wir waren plötzlich nicht mehr ganz so hilflos demwillkürlichenGoodwilldesISausgeliefert.WirhatteneineGegenwaffe.Leiderwarsietödlich.Dann schriebenwirAbuQatadah, dasswir uns amnächstenTag auf denWegmachenwürden.Und

begannenmitdemKofferpacken.DasWichtigstenebendemMedikamentenkastenwarendieSchlafsäcke.

BiskurzvorderGrenze

DIENSTAG,2.DEZEMBER2014

Um7:00UhrklingeltmeinWecker.Gutgeschlafenhabe ichnicht.Abervon jetzt an ist allesRoutine.Aufstehen, fertigmachen,alleUnterlagen,allesGepäcknochmalüberprüfenundlos.Aberdennoch istallesanders.IchhabenichtdasGefühl,eineReiseanzutreten,sondernmichaufeineschwereOperationimKrankenhausvorzubereiten.UnterVollnarkose. IchhabedenGeruchvonDesinfektionsmitteln inderNase.EinseltsamesGefühlvoreinerlangenReise.Kurzvor10:00UhrstehtFredericmitseinemaltenSchulfreundMalcolm9inmeinerWohnung.Erhat

kurzfristigbeschlossen,Malcolm,derihnseitWochenbedrängte,mitzunehmen.ErwirdProtokollführen,Frederic wird filmen. Meine älteste Tochter Valerie ist auch schon da. Sie hat uns Kopien derSicherheitsgarantiedesKalifatsmitgebracht.Jedererhälteine.Wirfaltensiezweimalundsteckensieinunsere inneren Jackentaschen. Dieses Papier ist also unsere einzige Garantie, aus dem »IslamischenStaat«wiederlebendherauszukommen!FallsesnichtnureinTrickwar,umunsgefangenzunehmen.Ich bitteMalcolm, in einem kleinenLaden nebenan frischeLebkuchen zu kaufen.AlsGastgeschenk.

Valerie hat außerdemGummibärchen, Schoko-Bons undMilka-Schokolade eingepackt. Frederic nimmtdieTüteansich.Erfragt,obmanTerroristenüberhauptetwasschenkendürfeoderobdasstrafbarsei.Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Ich antworte, Höflichkeit sei nie strafbar. Nur dieGummibärchen werden entsorgt. Sie werden aus Gelatine gemacht, und die besteht meist ausBestandteilenvonSchweinen.Dannerfolgteinelange,innigeUmarmung.Valerieistsehrtapfer.

AufdemWegzumFlughafenmeldetsichaufmeinemHandyeinVertreterdesBundeskriminalamts.Manhabeerfahren,dassichvorhätte,denISzubesuchen.Manratemirdringenddavonab.Immerhingebeeseine Reisewarnung desAuswärtigenAmts. Ein paar Beamtewürdenmich gerne besuchen und zu derSachebefragen.IchteilemeinemGesprächspartnermit,dassichleiderkeineZeithabe.Ichbedankemichundverabschiedemichhöflich.AmFlughafenverläuftalleserfreulichproblemlos.WirwollenmitTurkishAirlinesnachIstanbulund

von dort nach einem kurzen Zwischenaufenthalt nach Gaziantep. Wir werden weder an der Ausreisegehindertnochvon irgendwelchenSicherheitsleutenbefragt.Businessasusual.MalcolmundFredericwitzeln,dasssichderdeutscheStaathütenwerde,meineReise inden ISzuverhindern.Leichterkönnemanmichjagarnichtloswerden.AuchdieTürkenscheinensichnichtfürunszuinteressieren.

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Unsere Maschine nach Istanbul hat leider etwas Verspätung. Den Gaziantep-Flug können wir alsovergessen. In Istanbul hastenwir trotzdemzudenAbflugschaltern.Aber derFlug istwegen schlechterWetterbedingungen in Gaziantep ohnehin gestrichen. Allerdings gäbe es um Mitternacht noch einenverspätetenFlugnachAdana,dasnurzweiAutostundenvonGaziantepentfernt liegt.Realistischwärenwir dann um vier Uhrmorgens imBett. Das istmir zu spät. Also ziehenwir für heuteAbend in einFlughafenhotel.

MITTWOCH,3.DEZEMBER2014

AmnächstenTag beimMittagessen bringtMalcolm die Frage vonmöglichenLösegeldforderungen insGespräch.WerwürdeeigentlichseinLösegeldzahlen?SeineFamiliekönnesichsoetwasnichtleisten.Ergehtdavonaus,dassichdasübernehmenwürde.Icherkläreihm,dassichselbernichtwüsste,wohermein etwaiges Lösegeld kommen solle. Ich sage ihm, dass er jetzt noch immer zurückreisen könne.Malcolmwirdnachdenklich.Erschwankt.DannschöpfterwiederetwasHoffnung.VielleichtwürdeihnjaderdeutscheStaat rausholen.»Träumweiter!«,sage ich.DochMalcolmwillnichtsmehrvoneinemRückflughören.DannkauftersicheingroßesNotizbuch,dasfortanseinProtokollbuchseinwird.Auchder heutige18-Uhr-FlugnachGaziantepwirdwegen schlechtenWetters gestrichen. Ich sprinte

zumSchalterfürdenFlugnachAdana,dergeradeschließenwill.MitvielMühekannichnochumbuchen.FredericundMalcolmhatten schonPläne für eineBesichtigung Istanbulsgeschmiedet.AberAdana istauchokay.

ImFliegersitzteineganzeSchulklasse.DieStimmungistheiter.ObwohlAdanaeigentlichrechtnahedersyrischenGrenzeliegt.UnddortKriegherrscht.DochdieJungsundMädelsscheinenglücklichzusein.Aufgeregterzählenmirzweietwa18-jährigeMädchen,wieschönihreStadtsei.ManmussnuraufderrichtigenSeitederGrenzeleben.Siestrahlen,alswirinAdanadasRollfeldbetreten.EsistnebligundriechtnachverbranntemHolz,Diesel,nachGeneratoren.EineStadtimSmog.BeieinemAutovermietermieteicheinAutoundeinenFahrer,derunsnachGaziantepbringensoll.Für

weniger als 100 US-Dollar. Unser Fahrer heißt Erdogan. Er erzählt uns während der Fahrt, dass diemeistenausländischenIS-KämpferüberHatay,UrfaoderGaziantepnachSyriengelangen.VonGaziantepausmüssemanbeiKilisüberdieGrenzegehen.WeiternördlichbeiKahramanmaraş sinddiedeutschen»Patriot«-Abwehrraketen stationiert.Was sie

abwehrensollen,weißkeinersorecht.SyrienkämpftnichtinderGewichtsklassedesNATO-StaatsTürkei.Und so überqueren die zukünftigen IS-Terroristen die türkische Grenze quasi im Schutz deutscherAbwehrraketen. Die Piloten der völlig veralteten syrischen Luftwaffe werden sich hüten, in dieserGegendIS-Kämpferanzugreifen.EineschlechtgeflogeneKurve–undsiewärenimFadenkreuzdeutscherRaketen.ImGrundeschützenunsere»Patriots«denungestörtenZustromvonangehendenTerroristendes»IslamischenStaats«.Alswirgegen23:00UhrendlichimHotelinGaziantepankommen,schmunzelnwirüberdiepompös-

kitschigeEingangshalle.InderLobbysitzenwieMafiosiaussehende,offenbargutbetuchteMänner,dieunsmisstrauischeBlickezuwerfen.WievielederGästehier, eineStundevonderGrenzeentfernt,mitdemISzutunhaben,könnenwirnurmutmaßen.Trotzdemschlafenwirruhig.Erstmorgengehtesrichtiglos.

DONNERSTAG,4.DEZEMBER2014

AbuQatadahhatsichimmernochnichtgemeldet.Wiesooft.WirstellenunsaufeinelängereWartezeit

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ein.Nachmittagsbeschließenwir,indieAltstadtzufahren.EinbisschenüberdenMarktzuschlendern,etwas Leckeres zu essen.Wir überlegen uns auch schon mal ein Alternativprogramm, falls sich AbuQatadah in den nächstenTagen nichtmelden sollte.Die türkischeGrenzstadtKilis kommt inBetracht,abervondortsindschoneinigeAusländerverschlepptworden.DaraufhabenwirnichtunbedingtLust.WirkönntenallerdingseinenseriösenSicherheitsdienstengagieren.Abergibteshiersoetwas?Wir gehen in eine romantische, versteckte Moschee, um zu beten. Ich liebe die oft mystische

AtmosphäretürkischerMoscheen.SpäterlaufenwirüberdenMarkt,kaufeneinpaarRosinen,Pistazienund Bananen. In vielen der kleinenWerkstätten wird gearbeitet, hart gearbeitet. GroßeMetallschalenwerdenkunstvollbeklopftundbehämmert.FredericsiehtplötzlichaufseinemHandy,dassAbuQatadahonlineist.Erschreibt,dassergleichmit

uns skypen könne. Eine halbe Stunde später sprechen wir mit ihm. Laut Abu Qatadah ist dieSicherheitslage in Rakka momentan stabil. Assad habe die Stadt in den letzten Tagen nicht mehrbombardieren lassen. Das habe mit dem schlechten Wetter zu tun. Da könnten Assads Piloten keineBombenabwerfen.SiemüsstenmitihrenaltenMaschinenunterderWolkendeckefliegenundgerietensoselbstinAbschussgefahr.AußerdemseiensienichtinderLage,ihreZielepräzisezutreffen.DaherdievielentotenZivilisten.BeidenAmerikanernseidasanders.Dieseiengefährlicher,aberauchsiewürdennichtsehen,obsichKämpferoderZivilisteninbestimmtenGebäudenaufhielten.Wir wollen unsere Unterbringung und den Zeitpunkt unserer Abholung besprechen. Doch auf die

meistenunsererFragenhatAbuQatadahnochkeinegenauenAntworten.Wirvereinbaren,amnächstenNachmittagum15:00Uhrwiedermiteinanderzusprechen.DerÜbergangnachSyrienwürdesowiesoerstspätabendsodernachtsstattfinden.Wirsolltenunsjedochschonmaldaraufvorbereiten,dassesmorgenAbendlosgehenwerde.Oderübermorgen.ZeitspieltfürdenISerkennbarkeineRolle.WirsprechenmitAbuQatadahüberdiesichhäufendenTwitter-Kommentare,indenenmeineKritikam

ISinbemerkenswerterAusführlichkeitwiedergegebenwird.AbuQatadahwiederholt,dasssiedamitkeinProblemhätten.UnsereSicherheitsgarantiehabeGültigkeit,undnichtskönnedaranetwasändern.Esseidenn, einer von unswürde auf die Idee kommen, im »Islamischen Staat« den Propheten oderGott zubeleidigen. Dann würde uns auch die Sicherheitsgarantie nicht vor der Todesstrafe retten können. Abwannbei ihmGotteslästerungbeginnt, sagternicht.»Ziemlich früh«,meintFrederic später. IhmgraustschonvormeinerundiplomatischenGesprächsführungmitExtremisten–auchinAfghanistanhatteichnieeinBlattvordenMundgenommen.

NachdemGesprächfahrenwirwiederindieAltstadt,umwenigstensnocheinmalguttürkischzuessen.Wir finden ein altes, traditionelles Kebab-Haus. Wir bestellen alles, was wir kennen: verschiedeneLamm-Kebabs, Huhn-Kebabs und noch ein paar Vorspeisen, Lahmacun, Salate usw.Währendwir unsüber das Essen hermachen, besprechen wir, ob wir vor dem Grenzübertritt die Reise auf Facebookankündigensollenodernicht.MiteinerKopiederGarantiedesKalifats.Einiges sprichtdafür, einigesdagegen.Dagegensprichtvorallem,dassichmichindendarauffolgendenTagennichteinereventuellenöffentlichenKritikstellenkann.Soentscheidenwirletztendlich,dieReiseerstnachunsererRückkehrzubestätigen.Würdenwirgefangengenommen,würdeValeriedieGarantiedesKalifatsveröffentlichen.VordemSchlafengehenwollenwirnochetwasFernsehenschauen.DochdieBerichteaufAlJazeera

über50ToteimIrak,überGefechtedesISinSyriensowieüberweitereEntführungenstimmenunsnichtwirklichenthusiastisch.WirschaltendasGerätaus.

FREITAG,5.DEZEMBER2014

AmnächstenTagwartenwirum15:00UhrvergeblichaufeinenAnruf.MicherinnertdasanSomalia.

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DorthatteicheinmalvorvielenJahreneineWochemiteinemFernsehteamundeinemFAZ-Journalistenaufeinen Termin beim damaligen Präsidenten Siad Barre gewartet. Als der Termin dann eines Tagesspätabendsstattfand,wardasTV-TeamunauffindbarinirgendwelchenNachtklubsverschwunden.NurderFAZ-JournalistGünterKrabbehattetapferausgeharrt.FredericundMalcolmwarenähnlichgeduldig.SiehattenauchnichtwirklichEile,inden»IslamischenStaat«zukommen.

Warten,warten,warten.UndwiederzumEssenindieAltstadt.AberdannmeldetsichAbuQatadahdoch.Er gibt uns eineNummer, diewir anrufen sollen. Eswird Ernst. Ichwähle. Auf der anderen Leitungmeldetsichjemand,dergutDeutschspricht.Ichsageihm,dasswirbereitseien.Erverspricht,sichin15Minutenwiederzumelden.UndtatsächlichrufternacheinerViertelstundezurück,ummirzusagen,dassdie Grenze heute Abend nicht passierbar sei. Das Ganze würde sich auf morgen früh 9:00 Uhrverschieben.Wirsolltenunsdannnochmalbeiihmmelden.Ichbeginne,ungeduldigzuwerden.Warumistdasallessokompliziert?GibtesProbleme?

ZehnTageimIS

ERSTERTAGSAMSTAG,6.DEZEMBER2014

Es ist 8:55 Uhr. Mein Wecker klingelt. Ich schaue auf das Papier neben meinem Bett und gebe dieNummerinmeinHandyein.Esklingeltein-,zweimal,dannantwortetjemand.»HabenSiegutgeschlafen,HerrTodenhöfer?«IchbejahedieFrageunderkundigemichnachdemTerminderAbreise.»IchwerdeSieinfünfMinutenzurückrufen.DanngebeichIhnengenaueAnweisungen«,sagtdieStimmeamanderenEndederLeitung.EinpaarMinutenspäterklingeltmeinTelefonerneut.Wirsollen ineinbiszweiStunden ineinTaxi

steigenundeinebestimmteTelefonnummeranrufen,wirdmirmitgeteilt.DannmüsseichderangerufenenPersoneinPasswort(»Ali«)nennenunddasTelefondemFahrerreichen.Demwürdedannmitgeteilt,wogenau er hinzufahrenhabe.Dortwürdenwir abgeholt.UnserKontaktmann sagt das allesmit äußersterHöflichkeit und in sehr freundlichem Ton. Irgendwie unerwartet. Aber sie können ja auch nicht allebrüllenddurchdieGegendrennen,alswärensieauseineranderenZeit.Ich informiereFrederic undMalcolm, dass es innerhalb der nächstenStunde losgeht.Endlich.Noch

kurzfrühstücken,dieSachenrunterbringen,auschecken.Wirsteigen insnächstbesteTaxi. IchwähleaufmeinemHandy die angegebeneNummer. Keine Antwort. Ich wähle nochmal.Wieder keine Antwort.Nochmal.»Ja?Hallo?«JemandmeldetsichaufTürkisch.IchschirmemitderHandmeinenMundabundsagemehrmals leise,aberdeutlichdasPasswort:»Ali!«Dannsage ich:»Iwillpass thephone to thedrivernow« und drücke unserem Fahrer dasHandy in dieHand.Der nickt ein paarmal, gibtmir dasHandy zurückund fährt los.Es ist 10:44Uhr.Wir fahren etwa fünfMinuten.Dannhaltenwir in einerSeitenstraße,nebeneinerkleinenMoschee.KurzeZeitspätererscheinteinweißerMinivan.ImBussitzendreiJungs.SiescheinenausOsteuropa

zusein.WirwerdenalsomitneuenKämpfernreingeschmuggelt.WirkommenmitdenJungsinsGespräch.Siewollenwissen,woherwir sind. Einer von ihnen ist ausAserbaidschan, die anderen stammen ausTurkmenistan.Siesind22,24und28JahrealtundscheinenaufdenerstenBlicknichtdieHellstenzusein.EinervonihnensprichtimmerwiederNachrichteninseinHandyoderhörtwelcheab.Irgendwannfindendiedreiesseltsam,dassMalcolmständiginseinNotizbuchschreibt.Siewerdennervös.Malcolmversuchtzuerklären,dasserTagebuchschreibe.Irgendwieglaubtihmkeiner.Diedreifangen

an, hektisch zu telefonieren. Die Stimmung in dem Auto ist plötzlich ausgesprochen gereizt. Fast

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aggressiv.IchwähledieNummerunseresKontaktmannsundbitteihn,dasGanzeaufzuklären.Danachreicheich

dasTelefonaneinenderJungs.NachwenigeralseinerMinutedrehtsichdieStimmungimBusvöllig.Allesokay,allelächelnunsnurnochan.DaumenhochvonjedemderJungs.

NachetwazehnMinutenFahrthaltenwiran.EinweitererJungeundeinegroße jungeFraumitblauenAugen und hellem Teint steigen ins Auto. Sie ist Deutsche. Sie trägt einen schwarzen Umhang, eineAbaya.SiehatleichtgeschwolleneHandgelenke.WirfahreneinpaarhundertMeterundbleibenwiederstehen.VorunshabenzweialteTaxisgeparkt.EinweitererJungeundzweiältereHerrenstehenwartenddaneben.Wirsteigen ineinesderbeidenTaxis.Fredericsitztvorne,umfilmenzukönnen,wennwirüberdie

Grenze fahren.DochderFahrer schaut ihnan, zeigt aufFredericskurzenBartundbittet ihn, sichnachhintenzusetzen.Dasseiunauffälliger.Hintenwirdesjetztsehreng.Zusammengequetscht fahrenwir los.DocheinpaarMinutenspäterhaltenwir schonwiederaneiner

unscheinbarenKreuzung an.Der andereWagenwurde von der Polizei angehalten, sagt uns der Fahrernervös.Dann fährt er plötzlich los. Ohne mit uns zu reden. Frederic ruft geistesgegenwärtig unseren

Kontaktmannan.Derklärt dasProblem.UnserFahrerwollteuns zuroffiziellenGrenzebringen.Dochjetzthaterverstanden,dasseszumSchmugglerüberganggeht.ZurgrünenGrenze.DaszweiteTaxihatunsinzwischeneingeholt.RichtungKilisherrschtfastkeinVerkehr.NacheinpaarMinutenSchnellstraßegehtesurplötzlichüber

holprigeFeldwege.Unsere zweiTaxis rasennunaufdieGrenzezu!Manmuss sichdasmalvonobenvorstellen!Auffälligergehtesnicht.AufeinemHügelvorunswehtdietürkischeFahne…IstdasschondieGrenze?!WirbiegenplötzlichrechtsabundfahrenaufeinenBauernhof.Allemüssenganzschnellumsteigen.In

einemMinivanohneSitze,aufdemBodenliegendoderinderHocke,gehtesnunüberStockundStein.Wir fahren inzwischennichtmehr überFeldwege, sonderndirekt über dieFelder.Es holpert so stark,dassalledurcheinanderfallen.DieFrauschautunsimmerhäufigeran.Obsiemichnichtvonirgendwoherkenne?MeinGesichtkommeihrbekanntvor.KeineAhnung,sageichfreundlich.EinerderMännervornimVandrehtsichum.IngebrochenemEnglischerklärteruns,dasswirgleich

auf sein Kommando mit all unserem Gepäck losrennen sollen. Kurz danach hält der Minivan. DieSchiebetürgehtauf,allestürzensichnachdraußenundrennenlos.HundertMetervorunsstehteinMannamGrenzzaun.ErhebtaufgeregtdenStacheldrahthoch,sodass

alledurchkommen.Jederrennt,soschnellerkann,weiter.Aberesistschwer,mitGepäckquerfeldeinzulaufen. Frederic trägtmeinenKoffer, ich schleppemeinenRucksack und denRucksack derDeutschen.EinigehundertMeterweiterstehenfünfAutosversteckthinterBäumen.FünfmaskierteMännernehmenunsinEmpfang.DieverschleierteFraustammtausBerlin.SiedürfteMittedreißigsein.Sieerzählt,sieseizumIslam

übergetretenundnachMekkagereist.DanachseisieinsFadenkreuzderSicherheitsdienstegeraten.AmSchlusshabemanihrihrsechsjährigesKindweggenommen.SeitMekkahabemanihrkeineChancemehrgegeben.JetztsetztsieihreganzeHoffnungaufden»IslamischenStaat«.NachDeutschlandwillsieniemehrzurück.Ichsage,etwas ratlos,dasbedeutedochdenendgültigenVerlust ihresKindes.»Ichhabeschonalles

verloren«,antwortetsie.»Ichkannnichtsmehrverlieren.«UnserGesprächwirdunterbrochen.AusirgendwelchenGründensollenMalcolm,Freddyundichsofort

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inSicherheitgebrachtwerden.WirsteigenineinenweißenPritschenwagen.ZweibewaffneteIS-Männersitzenvorne.DerFahrerhateinenlangenschwarzenBart.ÜberdieSchulternträgtereineKalaschnikowundeinGewehr.WirstemmenunserGepäckaufdieLadeflächeundsteigenein.DerFahrerbraust los.Wir fahren durch eine karge Landschaft. Gelegentlich kommen wir durch ländliche Dörfer. Wirunterhalten uns mit den beiden IS-Männern. Eisbrecher ist wie üblich der Fußball. Wir zählen allemuslimischenFußballerauf,diewirkennen.AlswirvoreinemHauskurzanhalten,fragteingrimmigerMannmitKalaschnikow,obwirvonderBBC

seien.FredericverneintundzeigtzumerstenMalunsereSicherheitsgarantie.StaunendliestderMannsiedurch.Danngibtersiezurückundmeintfastehrfürchtig,allesseiinOrdnung.DieFrauenindemOrtsindvoll verschleiert. Wie überall auf der Welt spielen Kinder auf der Straße Fußball. Bevor wirweiterfahren,gibtderFahrerjedemvonunseinenApfel–eineGestederGastfreundschaft.

Vor einem altenHaus steigenwir aus.Wirwerden durch einenRaum geführt, in demLeute beten. ImZimmerdahintersollenwirwarten.Es riechtnachDieselöl.EinedunkelgrüneTafelanderWand lässtdaraufschließen,dasshiervorherwohleineSchulewar.AufeinemRegal liegenkleineHandgranaten.HinterdemSchreibtischmehrereKalaschnikows.AufdemSchreibtischeinPlayStation-Controller.DieLeute hier sind sehr freundlich zu uns.Einer unsererGesprächspartner istMarokkaner.Mit ihm

unterhaltenwirunsaufFranzösisch.DerfreundlicheIS-Kämpfererzählt,dassesinzwischenüber50000ausländische Kämpfer im »Islamischen Staat« gebe. Er kennt die genaue Zahl nicht, aber es seienbestimmtmehr als 50000, sagt er.Aus allerWelt. Sein Job sei es, die neu ankommendenKämpfer zuregistrieren.Ihmistwichtig,dasswirnichtsverdrehen.ÜberdenIslamwerdebeiunsimWestenschongenugMüll

erzählt.WirkönntenmorgenalleStädtebesuchen,diewirsehenwollen,undunseineigenesBildmachen.DerKoranseischwierigzuverstehen.AuchvieleMuslimeverstündenihnnichtwirklich.ManbraucheeinenLehrer.DouwlaIslamiyya(IS)seiderechteIslaminderPraxis–gelebterIslam.DerWestenführeeinenKrieggegendenIslam.»UnsereReligionistfriedlich«,sagter.DiePropagandavideosdesISseienbewusstschockierend.SiesolltendenFeindenAngstmachen.Sie

seieneineAntwortaufdiegenausobrutalenKriegedesWestensgegendenIslam.DerganzeLuxusdesWestensseinurmöglich,weildieserdieRohstoffederDrittenWeltausbeute.ArabermüsstenihrÖlzuvielbilligerenPreisenverkaufenalsdieRussen,behaupteter.»WirsindkeineWilden.Wirwollennurleben.ImKriegdesWestensgegendenIslamistAmerikaderMetzger,unddieMuslimesinddieSchafe.Über50Länderhabensichgegenunsverschworen.Abersiekönnenunsnichtschlagen.UnsereStärkesindnichtunsereWaffen,GeldoderunsereKämpfer,sonderndieTatsache,dasswiraufdemrichtigenWegsind.«HierimOrtgebeesnurgelegentlicheLuftangriffe.WirmüsstenunsalsokeineallzugroßenSorgenmachen.DiePräsidentenderarabischenWeltseiennichtdiePräsidentenderMuslime,sonderndesWestens.Sie

hätten zwar viel Geld, seien aber auf dem falschen Weg. Ich könne den arabischen Widerstand ingewissem Sinn verstehen, erwidere ich. Aber die Gräueltaten des IS machten es schwer, unterdrücktemuslimische Völker zu verteidigen.Weil das inzwischen wie eine Verteidigung des IS klinge. Ich seientschieden gegen Gewalt, daher verabscheute ich das zelebrierte Töten des IS. Gandhi hätte in derarabischen Welt mit Sicherheit erfolgreichere Strategien gefunden. Ohne Gewalt. Wo stehe denngeschrieben,dassmanseineberechtigtenZieleimLebennurmitGewalterreichenkönne?DerfreundlicheMarokkanerantwortet,siewürdensichstetsandiegöttlichenGesetzehalten.Wirim

WestenseienmoralischkorruptundaufdemfalschenWeg.MitDrogen,Huren,KriegundGeldgeilheit.IcherzählevonderGüteundMildedeskurdisch-arabischenHeldenSalah-ud-Din,mitderdiesernach

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der Eroberung Jerusalems den Christen begegnet sei. Unser marokkanischer Gesprächspartner erklärt,dassauchsiemildeundgütigwären,wennsiedenKriegerstmalgewonnenhätten.SielebtennachderShariahunddemKoran.Daherseiensiegerecht.Erwiederholt,dasswirhiersicherseien,undzwarnur,weilsienachderShariahlebtenundniemals

Gesetze oder Verträge brächen. Man habe uns Schutz versprochen, und dieses Versprechen werdeeingehalten. InRakka undwohl auch inMosulwürdenChristen leben.Die könnten ein ganz normalesLeben ohne Einschränkungen führen. Unser Gesprächspartner wird nie wieder nach Marokkozurückkehren.DortkämeersofortinsGefängnis.

EinJungemitweißenTütenindenHändenkommtinsZimmer.GegrilltesHühnchen,Pommes,syrischesFladenbrot,Knoblauchjoghurt,PepsiunddasJoghurtgetränkAyran.Allesschmecktvorzüglich.Währendwir essen, sitzenwir auf demBoden.Auf dünnenMatratzen.DieBrathähnchen schmecken unheimlichlecker.VondenPepsi-FlaschenwurdenvordemEssendieEtikettenentfernt.

UnsereSituationistnunetwasklarer.Wirwerdenbishergutbehandelt.NacheinerEntführungsiehtdasallesvorerstnichtaus.ImGegenteil,allescheinenumunserWohlbefindenbesorgtundbietenunsdauerndirgendetwasan.Decken,Kissen.»SollenwirimOfenFeuermachen,nochetwaszuessenvielleicht?«ImNebenraumbetenIS-Kämpfer.SechsIS-KämpferineinerReihe.Einerstehtvorihnenundbetetvor.

AllehabensichinRichtungMekkaaufgestellt,wieimKoranvorgeschrieben.NachdemGebetkommenwirmit drei von ihnen insGespräch. Sie sindMitte zwanzig und aus Frankfurt. »Wasmacht ihr dennhier?«,wollensiewissen.Siesindüberrascht,freuensichaberirgendwie.Vorallem,dasswirnichtalsKämpferhiersind,sondernalsJournalisten.DasswirmitGenehmigungvonganzobenreisen,imponiertihnen.BisherkanntensiedasausdenPropagandavideosdesISganzanders.Ein etwas korpulenter IS-Kämpfer kommt ins Zimmer. Er hat eine Pistole und eine Kalaschnikow

umhängen. Um die Taille trägt er einen Sprengstoffgürtel. Der junge Marokkaner zeigt uns, wie derSprengstoffgürtel gehandhabt wird. Weniger Sportliche, sie vor feindlichen Soldaten nicht rechtzeitigfliehenkönnen,würdenihnwohlbeimEinsatzimmertragen.SokönnensiesichinletzterSekundeindieLuft sprengen und noch viele Feinde mit in den Tod reißen. Der Gürtel tötet, nach Aussagen derDeutschen, jeden,der sich imUmkreisvon30Meternbefindet.Auch»besondersmutigeKämpfervonSpezialeinheiten«erhaltenden tödlichenGürtel.WennsievonFeindenumstellt seien, seier ihre letzteWaffe.IchlegedenbraunenGürtelan.Undbinüberrascht,wieleichtundunscheinbarerist.Erwiegtnurein

paarKiloundschmiegtsichperfektdemKörperan.UntereinemPulliwäreernichtzuerkennen.IchhattemirdasDingvielklobigervorgestellt.Fredericwirdziemlichnervös,alsichvorsichtiganeinemkurzenschwarzen Kabel herumnestle und wissen will, wo der Abzug sei. Auch die IS-Kämpfer sind leichtbeunruhigt.AlsichdenGürtelwiederausziehe,sindallespürbarerleichtert.

WirmachenunsfürdieAbfahrtbereit.Wirglauben,dasswirjetztnachRakkafahren,umAbuQatadahzutreffen.ZweijungeMännerholenunsab.DochsiefahrennichtnachRakka,sondernersteinmalzueinemetwa40MinutenentferntliegendenHaus.Dortsollenwirübernachten,ummorgenabgeholtzuwerden.Mann,habendieseLeuteZeit!SeitfasteinerWochesindwirschonunterwegs.WirnehmenunsereKofferundgehenmitunserenzweineuenAufpassernzueinemschwarzenSUVund

steigen ein.Hier ist auf jeden Fallmehr Platz als auf der letzten Fahrt.Die beiden IS-Kämpfer sitzenvorne,wirhinten.Es ist richtiggemütlich.DasRadiowirdangemacht.Es laufensogenannteNasheeds.DassindreligiöseundteilssehrkriegerischeA-capella-Gesänge.Sieklingenkeineswegsbrutal,sonderndurchihrevielenHarmonieneigentlichrechtschön,teilweisefasthypnotisch.

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Freddyund ich unterhalten uns jetzt aufDeutsch.Aber sowohl der IS-Kämpfer, der aussiehtwie einjungerbinLaden,alsauchderetwaskorpulentere,ganzvermummteFahrerkönnennichtnurEnglischundFranzösisch, sondern auch etwasDeutsch.Der IS ist eben einemultinationale Truppe,meint Frederic.Aber vielleicht hat man unsere Begleiter einfach nur clever ausgewählt. Woher die Jungs wirklichkommen,wollensieunsnichtsagen.WosiedieSprachengelernthaben,auchnicht.

Es ist inzwischen dunkel, und so wissen wir nicht, wohin wir fahren. Ab und zu ist vage einVerkehrsschild oder ein kleines Ortsschild zu erkennen. Aber wirklich lesen können wir nichts.Irgendwannhaltenwiran.RechtsvonunssehenwireineetwazweiMeterhoheGrundstücksmauer.EinToröffnetsich.EinjungerMannkommtherausundgibtunserenAufpasserneinZeichen.Wirsteigenaus,nehmen unser Gepäck und gehen in den Innenhof, der nicht größer als acht mal acht Meter ist. DasmächtigeHaus,daswirneugierigbetreten,isteinnichtmehrganzfertiggewordenerRohbau.AußereinemDieselofenundeinpaardünnenschwarzenGummimatratzenistinunseremZimmernichts

drin.HierwerdenwiralsoheuteNachtschlafen.Derschlaksige,junge»binLaden«zeigtunsnebenandasPlumpsklo,dasBadezimmerundeineArtKüche.GegenüberunseremZimmeristeinweiteres,welcheswirabernichtbetretensollen.DortschlafendieIS-Kämpfer,diehierwohnen.Allesistsehrspartanischund gewöhnungsbedürftig. Über die Toilette will ich nicht sprechen. Aber das war uns im Grundegleichgültig.EsgibtSituationen,indenenKomfortkeineRollemehrspielt.Nachdemwir in unseremZimmer auf demBodenPlatz genommenhaben, erklärt uns der jungeOBL,

dass jetzt erst wir selbst durchsucht würden und dann unser Gepäck. Das sei eine reineRoutinesicherheitsüberprüfung.IchdenkeanmeinSpezialmedikamentundhaltekurzdieLuftan.Ichunterhaltemichmitdem jungen IS-KontrolleurüberGottunddieWelt.Sehrkontrovers.Frederic

raunt mir etwas nervös zu, ich solle die Warnungen von Abu Qatadah vor Gotteslästerungen nichtvergessen.Niemandwissegenau,wobeim ISdieGotteslästerunganfange.Fürden IS-Kämpfer istnichtAmerikaeineSupermacht,sondernGott.UndandessenSeitekämpfeer.DaherhabeerkeineAngstzusterben.GottbestimmedenZeitpunktseinesTodes.Irgendwannbittetmichderandere,korpulentereKämpferaufzustehen,undwirgeheneinpaarSchritte

ansandereEndedesZimmers.IchhebemeineArmehochwiebeiderFlughafenkontrolleundlassemichabtasten. So gründlich abgetastetwurde ich noch nie.Aber ichweiß, erwird nichts finden. Ichmussmeine Taschen leeren. Jedes Papier wird aufgemacht, jede Kaugummischachtel untersucht, jeder Stiftgeöffnet.JederMillimeterdesKoffersundseinesInhaltswirdabgetastet,abgeklopftunduntersucht.DerMedikamentenkastenerwecktkeinMisstrauen.»SuchtihrnachetwasBestimmtem?«,frageich.»Spyingdevices,GPSandstufflikethat.«Okay!EinGlück,dassFredericvorunsererAbreiseinMünchenkeineGPS-Gerätegefundenhatte,die

kleingenuggewesenwären,umsiezuverstecken.WirwolltensiefürdenFallmitnehmen,dassmanunsentführen würde. Dann hätte man uns stets orten können.Wie gut, dass wir keine solchenMinigerätegefundenhaben!WirwärenjetztinErklärungsnot.Während wir und unser Gepäck durchsucht werden, gehen die Gespräche weiter. Hier ein paar

StatementsderKämpfer:

ÜberUnglauben»AlleUngläubigensindaufdemWegzurHölle.UnserePflichtistes,euchaufzuwecken.DennUnglaubeist die größte aller Sünden. Wir tun also eine gute Tat. Es ist, wie wenn jemand von einer Klippeherunterspringenwill.Wirwollenihnretten.«

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ÜberFreiheit»DerWestenweißnicht,wasFreiheitwirklichbedeutet.DaherrschtzwischenunsundeucheingroßesMissverständnis. Freiheit im Westen bedeutet, das machen zu können, was man will. Ohne aufirgendjemanden zu hören. Für uns bedeutet Freiheit, frei vonweltlichemVerlangen zu sein.Deswegenkönnenwirauchsoeinfachleben.DennwirsindfreivomVerlangennachmateriellenDingen.«

ÜberdieZukunftdesWestens»Die größten Zivilisationen sind nach einiger Zeit wieder untergegangen. Genauso wird es jetzt denWestentreffen.«

ÜberIS-Strafen»DieBestrafungendesISsindgleichzeitigeineGnade,dennsieverhindernweitereStrafeninderHölle.«

ÜberSchiiten»SchiitensindkeineMuslime.SiesindkeineMonotheisten,dasieihreImameumHilfeanbetenundAliund andere als Heilige ansehen. Die erste Regel im Koran aber ist: ›Du sollst keinen anderen Gottanbeten.‹GötzendienstisteinVerbrechen,aufdasdieTodesstrafesteht.«

ÜberdieSyrer»Die syrischeBevölkerungwardem IslamischenStaat gegenüber anfangsnichtpositivgestimmt.AberwegenderwestlichenundsyrischenBombenändernsiegeradeihreMeinung.«

ÜberdietäglichenNeuankömmlinge»Menschen,dieinihrerHeimatkeineHoffnungmehrhatten.FürsiegabeskeineandereLösungmehr.«

ÜberdieTürkei»SiewirdalsNächsteszerfallen.«

ÜberdieeigeneUhrzeit»WirhabeneinfachdieSommerzeitbehalten.Wirfolgennicht.Wirführen.«

NachübereinerStundepeniblerDurchsuchungenbringteinerderIS-KämpfermehrereTüteninsZimmer.Süßigkeiten,Pepsi und frischgepresstenFruchtsaft ausKiwi,BananenundOrangen.Der JungekönnteAmerikanersein.ErsprichtjedenfallsmitamerikanischemAkzent.ZwarnurwenigeWorte,abergenug,um zu verstehen, woher der Akzent kommt. Passenderweise hat er auch noch eine amerikanischeMilitärhoseundArmy-Bootsan.DazueinendunkelblauenKapuzenpulliundeineschwarzeSkimaskeüberdemGesicht.ErlegtdieTütenabundverschwindetausdemZimmer.EinFranzösischsprechender,gutgelaunter IS-Kämpfer bringt zwei weitere Tüten ins Zimmer. Brot und Lamm-Kebab. Obwohl wireigentlichkeinenHungermehrhaben–schließlichgabesvorherIS-Brathähnchen–,nimmtjedereinStückFladenbrot.Wir legen ein oder zwei Kebab-Stücke drauf, etwas Petersilie und Zwiebeln. Das Ganzerollen wir dann ein. Es schmeckt lecker. Wenn das so weitergeht, werden wir auf der Reise kräftigzunehmen.DerIS-KämpfermitdemfranzösischenAkzenterklärtuns,dasseinsolchesEssenzwargutschmecke,

abernurganzseltenserviertwerde.Sonstkönnemanjanichtmehrrichtigkämpfen.GutesEssenmachemüde.MalcolmziehteinlangesGesicht.DieReisehattegeradeangefangen,ihmetwasSpaßzubereiten.IchkommeaufdieBrutalitätundGnadenlosigkeitdesISzusprechenundnennedasunterdenkritischen

BlickenFredericsauchso.Ichfrage,wiedaszumKoranpasse,dessenSureninderRegelmitdenWortenbeginnen: »Im Namen Allahs des Allerbarmers, des Barmherzigen.« Wo sei beim IS denn die

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Barmherzigkeit?WiekönnederISbeiallseinerGrausamkeitbehaupten,erverrichteGottesWerk?DieseFragewird unsere Reise wie ein roter Faden durchziehen. Der jungeOBL hat eine einfache Antwort:»Mankannnurgnädigsein,wennmanmächtigist.DerSchwachemusseinWolfsein.«Der etwas korpulente IS-Kämpfer unterhält sich mit mir über die Arbeit meiner Stiftungen für

Afghanistan, Syrien, Irak und den Kongo. Er sagt, er sei traurig darüber, dass wir zwar gute Tatenverrichteten, für diese im Jenseits aber nicht belohnt würden. Wenn wir nicht als Muslime sterbenwürden,gebeesfürunskeineRettung.AuchguteTaten imDiesseitszähltendannnicht.FürguteTatenwürdenwirvonGottnur imDiesseitsbelohnt.MitGesundheit,Glückundsoweiter.Aberdanachhaltnicht mehr. Ich erkläre ihm, dass wir gar keine Belohnung wollten und dass das Spenden von Geldselbstverständlich sei,wennmanwelches habe.Vielwichtiger sei,wiemanMenschen behandle.WirkommenzukeinemErgebnis.Dann berichtet er uns, dass inzwischen nichtmehr nur einzelneKämpfer in den »IslamischenStaat«

kämen, sondern ganze Familien. Jeder Kämpfer, der eine Familie habe, könne sie mitbringen undbekommeeinHauszurVerfügunggestellt.EsgebedannaucheinfestesGehalt.FürKrankenhausbesuchezahlten Kämpfer und Staatsbeamte gar nichts. Vieles sei besser, als es in den westlichen Mediendargestelltwerde.EsgebevielNormalität, teilweise fastschonheileWelt.EinigeFamilienkämennurwährendderFerienhierher,umVerwandtezubesuchen.DanachkehrtensiewiederinihreHeimatzurück.WennesnachdemjungenOBLginge,würdeder ISandiegroßeZeitAndalusiensanknüpfenundeine

HochburgderWissenschaftundReligionwerden.DasseizwarnichtseineEntscheidung.Abererglaube,dass es so kommenwerde. Irgendwie ist dieserOBL einer der untypischsten IS-Kämpfer, dieman sichvorstellenkann.ErwarfrüheroftinÖsterreichzumSkifahren,istgroßerFußballfan,kenntsichimSportgutaus.EigentlichhatervieleGemeinsamkeitenmituns.MitdemgroßenUnterschied,dasserfüreinegnadenloseTerrororganisationarbeitet.GegenMitternachtverabschiedensichunsereGastgeber.WirhabendieWahl,entwederunsereLaptops

undHandysabzugebenodereinenderKämpferausSicherheitsgründenbeiunsschlafenzulassen.DerISwill sichergehen, dass wir niemanden kontaktieren. Wir geben unsere elektronischen Geräte ab. Wirwissen noch nicht, dass das Schlafen inGemeinschaftsräumen ab jetzt ganz normalwerdenwird.Unddassmansichsehrschnelldarangewöhnt.

ZWEITERTAGSONNTAG,7.DEZEMBER2014

Es ist 4:00Uhrmorgens.DieKämpfermachen sich für dasMorgengebet bereit. Ich höreSchritte undStimmen.Später bereiten sie in derKüche ihrFrühstückvor. Fürmich ist das viel zu früh. Ich bleibeliegenundschlafeweiter.FünfStundenspäterstehenwirdannauf.DerIS-KämpfermitamerikanischemAkzentklopftsolautandieTür,dassMalcolmdenkt,dieGSG9seida.VölligentsetztsitztersenkrechtimBett.DieTürgehtauf,undderamerikanische IS-Kämpferfragt:»Youguysneedanything?Someeggs?Tea?–BrauchtihrJungsirgendwas?EinpaarEier?Tee?«RoomservicebeimIS.Klar,warumnicht?Als er schließlich zehnMinuten späterwirklichmitRührei,Dosenthunfisch,Marmelade, Fladenbrot

undTeewiederkommt,sindwirdocheinigermaßenüberrascht.»Thereyougo.TypicalISbreakfast«,sagterundwillgleichwiedergehen,nachdemerunsdastypischeIS-Frühstückgebrachthat.Frederic fragt ihn: »Are you from New Jersey?« Der Akzent erinnert Freddy an seine Freunde in

FranklinLakes,NewJersey.Erwarsichdaherfastsicher.»Whatmakesyouthinkthat?–Wiekommstdu da drauf?« – »You sound like you’re fromPaterson, Jersey –Du hörst dich an, alswärst du ausPaterson,Jersey.«–»Close–Fast.«Mehrsagternicht.Erlachtnurundgehtwiederrauszudenanderen

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Kämpfern.AufdemWeginsBadsehe ichfünf IS-Leute imHof inderSonnesitzenundmiteinander reden.Drei

scheinenAnfang,Mittezwanzigzusein,dieanderenzweivielleichtEndedreißig.Irgendwieistdasallesgerade sehr überraschend. Wir sind beim IS und werden richtig gut behandelt. Und das mitten imKriegsgebiet.KeinervonunshättedasvoreinpaarTagenfürmöglichgehalten.KommtdasbittereEndenoch?

Während wir den Vormittag wartend im Hof verbringen und die Sonne genießen, sind in der FerneBombeneinschlägezuhören.Dochdasscheinthierniemandenzuinteressieren.DieKämpfersetzensichzuunsundwollenwissen,waswirvorhaben.WirhingegenwollendasGleichevonihnenerfahren.DochdieIS-Jungssindverschlossenundwollen ihrewahreIdentitätunterkeinenUmständenpreisgeben.NurzaghaftbekommenwiretwasüberihrfrüheresLebenheraus.ÜberdieZukunftredensiegerne,überihreVergangenheit weniger. Der Frühstücksamerikaner gibt dann aber doch zu, dass er aus New Jerseystammt.ErhatinHawthornegearbeitet,20MinutenvonPatersonentfernt.FrederickenntdieGegendwieseineWestentasche.Von dem jungenMann aus New Jersey hören wir Sätze wie: »Wenn die Amerikaner nach Douwla

Islamiyyakommen,dannwerdensieihrzweitesFalludschaerleben.«Oder:»ÜberhundertJahrewurdendieMuslimeunterdrückt.DeswegenwerdenwirjetztbiszumSchlussweiterkämpfen,umdieSchwachenzu schützen.Wir werden auch die Christen schützen, wenn sie bei uns leben wollen.« Immer wiederversuchterunszuerklären,dassdieChristenbeiihnenkeineProblemehätten.SiemüsstennureinekleineSchutzsteuerzahlen.UnddasseidieeinzigeSteuer,dieesim»IslamischenStaat«gebe.VonJudenhälterpersönlichnichtviel.AberdasseietwasganzPersönliches,entschuldigtersich.DasRessentimenthabeernochausseinerZeitindenUSA.Ersagt:»It’sliketheaccent.It’sdifficulttoloseit–EsistwiederAkkzent.Schwerabzugewöhnen.«FredericerzähltvonseinenjüdischenFreundeninNewYork.Docherkannihnnichtumstimmen.DeramerikanischeIS-KämpferistbegeistertüberdieAussicht,wiedermitAmerikaindirektenKontakt

zukommen.Erwünschtsich,dassdieUSAendlichBodentruppenschicken.Gegendiezukämpfen,dasseidas Höchste. Die würden sich bestimmt schon beim Abseilen aus ihren Hubschraubern in die Hosenmachen,meinterlachend.SeinFreund,vondemwirinzwischenherausgefundenhaben,dasserausdemLibanonist,stimmtihmlachendzu.»EinenTeilihrerAusrüstunghabenwirjaschon.DenRestundihreübrigenWaffenhättenwirauchnochgerne.«Malcolm bleibt bei den Jungs im Garten. Ich gehe mit Frederic aufs Dach. Und spreche mit zwei

Kämpfern über den Irak zu Zeiten SaddamHusseins. Ich erzähle vomNationalenWiderstand, den ich2007inRamadibesuchthatte.EinerderbeidenIS-MännerkämpftoffenbarschonsehrlangeimIrak.Ersagt,erseidamalsauchbeimNationalenWiderstandgewesen. Inzwischensei jedochder IS die einzigrichtigeAntwort.WirwürdengernedasGrundstückverlassenunddasetwa500MeterentferntliegendeDorfbesuchen.

DochunsereIS-Kämpfersagen,siehättendenBefehl,unsvorerstnichtausdemAnwesenherauszulassen.AuchaufdemDachsolltenwirnichtallegleichzeitigsein.ManwollekeineunnötigeAufmerksamkeitaufsichziehen.ImHintergrundhörtmanGeschützlärmunddasEinschlagenvonBomben.

Um15:00Uhröffnet sichdasHoftor.Der jungeOBLhatendlichdieNachricht,aufdiewirwarten.Esgeheweiter.WirsolltenunsereKofferbringen.FünfMinutenspätergehenwirmitunserenKoffernnachdraußen.Unddastehter!AbuQatadah!Er istmindestens150Kiloschwer, fastsobreitwiehoch.Miteinem

dichtenrotbraunenBart.ChristianE.aliasAbuQatadah.ErträgteinblauesarabischesGewandundauf

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demKopfeinrotesTuch.Zur Begrüßung breitet er dieArme aus und heißt uns, wie in der arabischenWelt üblich,mit einer

Umarmungwillkommen.»Dabistdu jaendlich!«, sagtFrederic, ironisch feierlich.AbuQatadahspieltdasSpielmitundlacht:»Ja,dabinich.«WirladenunsereKofferaufdieLadeflächedesweißenPick-ups,mitdemAbuQatadahundseinFahrer

gekommen sind. Endlich geht es nachRakka.Der Fahrer hat seinenKopf und seinGesichtmit einemgroßenschwarz-grauenSchalsoverhüllt,dassnurseineAugenunddieKonturenseinerNasezusehensind.ErmurmelteineenglischeBegrüßungsformelmitauffälligrhythmischemAkzent.AusSicherheitsgründenkönnenwirdieHauptstraßenichtbenutzenundmüssengroßeUmwegefahren.

Die Fahrt dauert über drei Stunden. Abu Qatadah behauptet, dass die Wirtschaft im IS boome. DieGeschäfte seien fast alle offen, es werde viel gekauft, vor allem auf den Märkten. Das Leben seiinzwischenfastnormal.Unsfälltauf,dassesvieleneueBauprojektegibt.»WokeineBombenfallen,gehtdasLebennormalweiter.AuchinRakka«,sagtAbuQatadah.Er erklärt uns, dass wir »am Arsch der Welt«, in Al Rai, untergebracht gewesen seien. Am fest

westlichsten Punkt des »Islamischen Staats«. In der Provinz Aleppo, zirka 200 Kilometer von Rakkaentfernt. Die Gegend hätten sie erst seit Mai letzten Jahres in ihrer Gewalt. Dann hält er uns einenteilweiserechtzynischenKurzvortragüberdieShariahdes»IslamischenStaats«.BeiDiebstahlwerde,wennderWertdesgestohlenenGegenstandsüber40US-Dollarliege,dieHand

abgehackt.40US-DollarseiderPreisfüreinGrammGold.ChristenmüsstendieJizyazahlen,eineSchutzsteuer.Siebetrageungefähr300US-DollarproJahr für

Armeund600US-DollarfürReiche.SieseidannaberauchdieeinzigeSteuer.ChristenzähltenzudenwohlhabenderenMenschenimLand.SiemüsstennureinpaarSchafeverkaufen,undschonhättensiedasGeldfürdieSchutzsteuerbeisammen.Muslime zahlten eine Zakat-Steuer, die sich amVermögen ausrichtet. ReicheMuslime zahlten daher

mehrSteuernalsChristen.Armeweniger.DasGeldwerdefürsozialeZweckeausgegeben.InRakkaetwaunterhaltederISdreiKrankenhäuser.DerISfinanzieresichzurzeitvorallemausKriegsbeute,ÖlverkäufenundderZakat-Steuer.DieKämpferdes ISwürdenan ihrerKriegsbeutezuvierFünftelnbeteiligt, einFünftelbekommeder

Staat.DahererhieltendieKämpfernureinkleinesFixgehalt.AbuQatadaherhältvomISfürseineArbeitinderMedienabteilung50US-DollarimMonat.PlusWohnung.Dasreicheihm.InWirklichkeitgebeeskeinenSklavenmarkt,sowiewirihnunsvorstellen.SklavenseienKriegsbeute

undgingendaherentwederandieKämpferoderwürdenverkauft.EineJesidinkostemomentan1500US-Dollar.SovielwieeineKalaschnikow.

Wir fahren durch Landschaften, die an die Toskana erinnern. Nur ist alles viel karger. Auf manchenGebäudensindriesige IS-Fahnenaufgemalt.Auchsonst tauchensie immerwiederauf.Selbstaufeinemabgestürzten,schräginderErdesteckendensyrischenKampfjetwurdedieIS-Flaggegehisst.50KilometervorRakkawerdenwiraneinemCheckpointangehalten.Einzirka15-jährigerJungewinkt

unsmitseinerKalaschnikowdurch.UnsertiefvermummterFahrersprichtkeinWort.Nureinmalbeschwertersich,alsFredericeinFoto

voneinemObststandschießt.Wirhattenangehalten,umGetränkeundeineKleinigkeitzuessenzukaufen.Sprite,Mirinda, Pepsi und Snickers – daswar der Reiseproviant, denAbuQatadah für sich und unsaussuchte.AlswirinRakkaankommen,istesschondunkel.DochaufdenStraßenistnocheinigeslos.Wirfahren

aneinemkreisrundenPlatzvorbei,denwir schonoft indenMediengesehenhaben.EineisernerZaun

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umgibt ihn. Hier wurden die Köpfe enthaupteter Feinde aufgespießt. Ich hatte mir den gespenstischenPlatzvielgrößervorgestellt.FredericdarfkeineFotosmachen.EntscheidungdesvermummtenFahrers,deroffenbarvielzusagenhat.AbuQatadahmurmeltverlegen,daswerdespäter,mitdenanderenDetailsderReise,nochbesprochen.Laut Abu Qatadah ist Rakka gar nicht die Hauptstadt des IS. Das werde nur in den Medien so

aufgebauscht.Fürden IShabedieseStadtkeineherausragendeBedeutung.MosulalsMillionenstadtseifürdenISvielwichtiger.WirhaltenaneinerKebab-Bude,umetwasEssenzubesorgen.Wirschauenunsum.Essiehtsoaus,als

wäre das Leben in Rakka ganz normal. Man kann sich nicht richtig vorstellen, dass hier eineTerrororganisationregiert.DasswirunsimZentrumdesTerrorsbefinden.Wirwarenjaauchnichthier,alsdieKöpfeaufgespießtunddieMenschengekreuzigtwurden.Fredericfragt,waseigentlichmitdenLeichendergetötetenGeiselngeschehe.MitJamesFoleyundall

den anderen. »Die wurden einzeln begraben beziehungsweise verscharrt. Irgendwo«, antwortet AbuQatadahungerührt.DasKopfabschneidenalsTodesstrafeseiübrigenseinepolitischeEntscheidungdesISgewesen.Vonganzoben.IchsprecheAbuQatadahnochmalsaufdenBegriffderGnadeimKoranan.Undbeginneauchihmvon

Salah-ud-Din zu erzählen. Doch Abu Qatadah bezweifelt die Wahrheit der Geschichte. Das liegemöglicherweise an der Übersetzung, an der einiges verfälscht wurde. Oft seien in derGeschichtsschreibungBerichteüberdenJihadundüberdieShariahweggelassenoderzensiertworden.AuspolitischenGründen.VondenZeitendesProphetenbisheute.Ichwill Zweifel anmelden, da fährt hupend eineAutokolonne an uns vorbei.Winkend lehnt sich im

ersten Wagen ein Junge aus dem Fenster. Im Wagen dahinter sehen wir einen Kameramann, der dasnachfolgendeAuto filmt, in dem einHochzeitspaar sitzt. EineHochzeit! InDeutschlandwirdmir daswahrscheinlich keiner glauben. Aber bei 200000 Einwohnern gibt es eben von Zeit zu Zeit auchHochzeiten.Wir fahren weiter.Wir halten vor einem unscheinbaren mehrstöckigenWohnhaus. In dieser Gegend

stehenfastnursolcheHäuser.UnsereWohnungistimzweitenObergeschoss.EsgibtkeinenStrom.AlsogehtunserFahrernocheinmallos,umTaschenlampenoderKerzenzubesorgen.AußerdembrauchenwirnochDecken. Sowie es aussieht, werdenwirwieder alle auf demBoden schlafen. In kalten kleinenSchlafräumen.DieWohnunghatsogarein»Wohnzimmer«direktamEingang,einekleineKüche,einBadohnefließendesWasserundwiedereinziemlichschmutzigesKlo.Allesistsehreinfach.AbermiteinemgutenSchlafsackistjedeNachteineguteNacht.UndguteSchlafsäckehabenwir.

Wir setzen uns insWohnzimmer, um ein paarDinge zu besprechen und die Sandwiches zu essen.DieWohnung ist stockdunkel. Es wird immer kälter. Die Fenster lassen sich nicht richtig schließen. AbuQatadahfindetseinenSesselvielzueng,wiedeninseinemBüro.Dortwerdeerdemnächsteinenneuenerhalten.ErhabeihnsichausdemUS-KonsulatinMosulbesorgenlassen.Kriegsbeute.DannschauteransichherabundlachtkräftigüberseinebeeindruckendeLeibesfülle.Abu Qatadah erzählt, dass ich eingeladen worden sei, weil einige meiner Bücher auf Arabisch

erschienen sind.Dashabemir einengewissenVertrauensvorschussverschafft.Außerdemhätte ichhaltsehrfrühmitdemISKontaktaufgenommen.Dann gehen wir meine »Wunschliste« durch. Bekannte Jihadisten wie Deso Dogg und ähnliche

»Terrorstars«könntenwirnichtsehen.DerISfindetdenteilweiseentstandenenPersonenkultnichtgutundwill versuchen, die Kämpfer in Zukunft aus den Medien herauszuhalten. Damit ihre persönlicheGeschichteundihrSchicksalnichtmitdemdesISgleichgesetztwerden.DerISsiehtesnichtmehrgerne,

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wenn seine Kämpfer auf eigene Initiative Bilder und Videos von sich hochladen. Dann beginnt AbuQatadahzuerzählen.Malcolm,dersichmeistdiskretimHintergrundhält,schreibtmit,soschnellerkann:KalifAbuBakrAlBaghdadiwerdemöglicherweiseniewiederinderÖffentlichkeitauftauchen.Dafür

gebeeseinigeGründe.EinerdavonseidasSicherheitsrisiko.Wennichihninterviewenwürde,wissedieCIA,woAlBaghdadi sich zumindest zeitweise aufhalte.Außerdemwolleder IS auchumAlBaghdadikeinenPersonenkult.Der öffentliche Auftritt des Kalifen in der Moschee sei drei Monate lang geplant und vorbereitet

worden.Dasseieinfachzuaufwendig.EsherrscheschließlichKrieggegen60Nationen.Die»Lügenkampagne«desWestenserstauneallestetsaufsNeue.SoseiendieExfrauAlBaghdadisund

ihr Sohn nie im Libanon festgenommen worden, wie westliche Medien berichtet hätten. Auch derangeblicheAnschlag aufAlBaghdadisAutokolonne sei reinePropagandagewesen, erklärt ermir zumdrittenMal.»Glaubendieecht,AlBaghdadiseisodumm,dasserineinerAutokolonneherumfahre,ummöglichstvielAufmerksamkeitzuerregen?«DasBürodesKalifenseibefugt,alleszuorganisieren.AllegroßenEntscheidungengingenaberüber

den Kalifen persönlich. Auch die Entscheidung, uns in den »Islamischen Staat« zu lassen und unsereSicherheitzugarantieren,habeergetroffen.InRakkagebeesnurnochwenigeChristen.IhreKirchenseienumfunktioniertworden.Nichtvom IS,

sondernvondenanderenRebellengruppen,dievordemISRakkabeherrschten.Assads Luftwaffe bombardiere nur tagsüber, nie nachts. Seine Maschinen seien überaltert. Bei

schlechtemWetterkönneAssadgarnichtbombardierenlassen.DieAmerikanerbombtenauchnachts.Jabhat Al Nusra und die FSA seien Abtrünnige. Wenn sie sich allerdings öffentlich für ihre Taten

entschuldigten,könntenSiezumISübertreten.EswerdenunwohlauchinDeutschlandAnschlägegeben.DazuhabeAlAdnani,derSprecherdesIS,

bekanntlichaufgerufen.DiedeutschePolitikseiraffiniert.SiemachevielüberihreGeheimdienste,damitdas deutscheVolk nichtsmitbekomme.ZumBeispiel soll der deutscheGeheimdienst inSaudi-ArabienbeimBaueinerGrenzmauermitgeholfenhaben.VonderAusbildungdessaudischenGeheimdienstes,dersaudischenPolizei und von denmassivenWaffenlieferungen ganz zu schweigen.DieUnterstützung derKurdenunddieUnterstützungdesamerikanischenKriegesgegendenISseienweitereGründedafür,dassder IS Deutschland nun definitiv als Feind des Islam ansehe. Dazu kämen noch die Auszeichnung desKarikaturisten Westergaard durch Merkel, die Waffenlieferungen an Israel und vieles mehr. »Es gibtLänder, die sich aus all diesenKriegen heraushalten, die sich an diesenMorden nicht beteiligen. BeidenenwirdesnieAnschlägegeben.«WirkommenaufdasgeplanteumfassendeInterviewmiteinemKämpferdesISzusprechen.Wirhaben

darüber nachgedacht und sagenAbuQatadah, dasswir das InterviewmitRücksicht auf seine Familienichtmitihmführenwollten.FürseineMutterwäredaseinzuharterSchlag.AbuQatadahwerdeindemInterview ja nicht nur zumKoran, sondern zum Töten befragt. Doch das ist ihm egal. »Das wird sieüberleben.Dasistjetzthaltso.«Wirschauenihnschweigendan.»WassollichIhnensagen?«,sagtAbuQatadahgenervt.»MachenSiesichübermeineMuttermalkeineSorgen.HierkannnichtjedereinfacheinInterviewgeben.Dasistvorbei.DiePerson,diedasmacht,mussschonkompetentseinundgenauwissen,wasrichtigistundwasnicht.«Morgensolles–wievonmirausdrücklichgewünscht–nachMosulgehen.WeilichMosulnochaus

denZeiten vonSaddamHussein kenne.UndVergleiche ziehenwill.UnsereHandys, dieAbuQatadahinzwischeninVerwahrunggenommenhat,bekommenwirerstmalnichtzurück.InRakkagibtesohnehinkeinNetz,daAssadesabgestellthat.InMosulgibteskeinNetz,weilderISesabgestellthat.DaunsereiPhonesGPS-Systemehaben,diemannichtausbauenkann,wärensieinMosuleinSicherheitsrisiko.Wir

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sollenunterkeinenUmständengeortetwerdenkönnen.DaherbleibendieGerätevorersthier.SpätestensbeiunsererAbreisesollenwirsiewiederbekommen.Abu Qatadah erklärt uns, dass am Ende unserer Reise unser gesamtes Video- und Fotomaterial

kontrolliert werde. Das sei in Kriegen normal. Wir machen eine grimmige Miene. So sei das nichtabgemacht gewesen. Wir versuchen, eine Kompromisslösung zu finden. Doch unser noch immer vollvermummter Fahrer, der offenbar deutlich mehr Autorität hat, als wir zunächst dachten, spricht dieBedingung noch einmal aus, schroff, klar und deutlich. Mit schneidender Kälte. Und mit seinemmerkwürdigen britischen Akzent, den ich nie vergessen werde. Dabei schaut er uns mit nach vornegebeugtem Kopf tief in die Augen und fragt, ob wir das nun endlich verstanden hätten. Sein rechtesOberlid scheint ein wenig zu hängen. Aber vielleicht will er auch nur besonders lässig-entschlossenaussehen.EsherrschteisigeStille.TonundStimmunghabenumgeschlagen.VonderHerzlichkeitdesEmpfangsim

IS-Rekrutierungslager ist nichts mehr übrig geblieben. Ich weiß, ab jetzt ist alles sehr ernst. Für denFahrersindwirFeinde.Todfeinde.DieReisestehtaufderKippe.AberwirhabenimAugenblicknichtvieleAlternativen.AlsobeantworteichdieruppigeFragedesVermummtenerstmalnicht.AbuQatadahscheintdasGanzeziemlichunangenehmzusein.

Frederic darf nach heftigem Drängen eine letzte E-Mail aus Rakka verschicken. Vom Internetcafé. InBegleitung von Abu Qatadah. Das Internetcafé ist um die Ecke. Abu Qatadah geht kurz hinein, gibtFrederic einen Code, den dieser in ein Handy eintippt, und schon ist er online. »Du hast jetzt zweiMinuten«,sagtAbuQatadah.FreddyschicktseinerMutter,seinenSchwestern,derFamilieMalcolmsunddenwenigenEingeweihteneinekurzeNachricht.Erkündigtan,sichinZukunftregelmäßigzumelden.Auf dem Rückweg erzählt Abu Qatadah, dass die Araber sehr faul seien und es mit ihnen viele

Problemegebe.ErhältnichtvielvondenArabern.»Seid ihrhierbeliebt?«,fragtFrederic ihn.»Nichtwirklich«,antwortetAbuQatadahlachend.»WirsindhierhaltAusländer.Vielemögenunsnicht.Aberdiewerdensichschonnochanunsgewöhnen.«InunsererzugigenWohnungstößtkurzdanacheinetwa25-jähriger,drahtigerKämpferzuuns.Erträgt

einen kurzen Bart und Brille und hat lange, dunkle Haare. Mit seiner schwarzen Pluderhose, seinemblauen Kapuzenpulli und seiner schwarzen Zipfelmütze erinnert er mich an einen mittelalterlichenSpielmannoderanBänkelsänger.SeinKampfnameistAbuLoth.»WoherkommtderName?«,frageich.»LothhatgegendieHomosexuellengekämpft.Ichweißnicht,obSieihnkennen.Ichfindegut,wasersogemachthat,wofürerstand.ErwargegendieVersautheit,gegendieHomosexualität,unddeshalbhabeichmirdiesenNamenausgesucht.«MalcolmundFreddymüssen sich anstrengen,nicht zu lachen.Obder sich immer sovorstellt?Loth,

sage ich, ist eine berühmte Gestalt des Alten Testaments und des Koran. Er floh aus Sodom undGomorrha,kurzbevordiebeidenStädtevonGottbestraftwurden.NurseineFraukonntesichnichtretten,weilsiesichbeiderFluchtnocheinmalumdrehte,obwohlGottdasausdrücklichverbotenhatte.AbuLothistDeutschermitmarokkanischenWurzeln.MomentanlebterinRakka.VorherwarAbuLoth

lange in Aleppo gewesen. Das sei sehr heftig gewesen. Er erzählt uns, dass hier auch ab und zuPlayStation gespielt werde oder Billard. Jihadisten aus dem Maghreb spielten bevorzugt Fußball.Besonders imSommerwerdeaneinigenOrtenvielgespielt.Er scherzt, dass sievielleichtbaldKatareinnehmenwerden,umdannauchdieWeltmeisterschaft auszutragen.Trotzdemhabeder IS immernochkeineeigeneFußballnationalmannschaft.»Aberdaskommtauchnoch.«

DRITTERTAG

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MONTAG,8.DEZEMBER2014

Gegen8:00Uhrstehenwirauf.AbuLothundAbuQatadahhabenimWohnzimmergeschlafen,wirindenZimmern daneben. Nachts begegneten wir uns gelegentlich auf dem Weg zur Toilette. Einige hattenoffensichtlichzuvielfrischgepresstenObstsaftgetrunken.ZumFrühstückhatAbuQatadahverschiedenePizzenundFladenbrotegeholt.WirmüsstenjetztnochmaldiePlanungdernächstenTagedurchgehen,sagter.Erscheintangespanntzu

sein. Unsere Bitte nach einer völlig freien Berichterstattung ohne jede Zensur wurde von seinenVorgesetzten inzwischen kategorisch abgelehnt. Das Sicherheitsrisiko ist ihnen offenbar zu groß. EineDrohnebenötigenureineinzigesFotoeinerPerson,umdiesetötenzukönnen.Ichsage,dassicheineZensurnichtakzeptierenkönne.DiewestlichenMedienwürdenmirdasumdie

Ohrenschlagen.Natürlichweißich,dassdieForderungdesISinKriegsgebietennichtunüblichist.Aberich denke: Wehret den Anfängen. Wenn ich jetzt nicht hart protestiere, wird der IS mit immer neuenBedingungen kommen. Ich sage daher, wenn sich die Zensur nicht auf wenige nachvollziehbareAusnahmefällebeschränke,seiesbesser,wiederabzureisen.DerStreiteskaliert.AbuQatadaheröffnetuns,wirdürftenheuteauchnichtmehrdurchRakkagehen.

WirmüsstenbiszurAbfahrtnachMosulinderWohnungbleiben.JetztdürftenwirhaltnurMosulsehen,sonstnichts.Das sei jaauchmeinWunschgewesen,dorthinzukommen. Ich frage,obwirvorunsererAbfahrt wenigstens die englische Geisel, den Journalisten John Cantlie, oder den berüchtigtenKopfabschneider»JihadiJohn«sehendürften.DieAntwortAbuQatadahs lautet:»Nein.«Was istdennjetztbloßlos?

DieTürgehtauf.AbuLothundunser»Fahrer«,derseinGesichtimmernochhintereinemgroßenSchalversteckt,erscheinen.DerVermummtemitdemenglischenAkzentübernimmtsogleichdasGespräch.»Youarefreetoleave!–Siesindfreizugehen«,fährterunsan.ErvertraueJournalistengrundsätzlichnicht,undwennwirdasnichtakzeptierenwollten,dannkönntenwirgehen.»Doyou think it is smart to letsomebodycome,thatyoudon’tknow,toinvitehimtoyourstate, thestatethateverybodyis fightingagainst.Andthenyoudon’tcontrolhim?«10ErschlägtunseinenKompromissvor.ErwirdunsaufdieserReiseeinpaarSachenzeigen,diewir

sehen wollen. Wenn wir uns dann als vertrauenswürdig erweisen, könnten wir ja ein andermalwiederkommen. Dann würden alle Einschränkungen aufgehoben sein. Wir hätten sowieso schon vielerreicht und könnten uns glücklich schätzen. Wir seien die ersten nichtmuslimischen Journalisten, diehierhergekommenseien,ohnegeköpftzuwerden.»Weeven tellyou,youcancomeagain –Wir sagenIhnensogar,dassSiewiederkommenkönnen.«Ichantwortezunehmendzornig:»Dasistnicht,waswirausgemachthaben.Ichhabemichniezensieren

lassen und werde das auch jetzt nicht zulassen. Ich sage immer, was ich denke, und freie ReportagebedeutetnunmalfreieReportage.«Warumwirsoandiesem»JihadiJohn,asyoucallhim«undanJohnCantlie interessiertseien,will

derVermummtewissen.WarumwirunsnichtfürdieleidendenMuslimeimLandinteressierten?WarumwirunsaufdiesezweiPersonenkonzentrieren,woesdochsovielWichtigeresgebe?DochdasThemaJohnCantliescheintihntrotzdemsehrzuinteressieren.Ermachteinenverblüffenden

Vorschlag. EinenBesuch bei JohnCantlie könne er sich unter folgendenBedingungen vorstellen: JohnCantliehabeeinenBriefanseineMutterundeinenanDavidCamerongeschrieben.DieseBriefewürdeJohnCantliemirübergeben.WirkönntenbeidieserGelegenheitauchmitihmselbstsprechen.WirdürftenaberkeineFotosmachenundauchnichtfilmen.DasTreffenunddieÜbergabederBriefewürdenvomISgefilmtundveröffentlicht.

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Ichweiß,dassichdiesemVorschlagnichtzustimmendarf.IchwerdenichtineinerIS-Propagandashowauftreten.DaswürdemirjedeGlaubwürdigkeitnehmen.SogernichJohnCantlietreffenundihmhelfenwürde.Ichschlagedahervor,dassbeideSeitenaufdasFilmenverzichten.AusirgendeinemGrundscheintdervermummteFahrerimFallCantlieüberraschendflexibelzusein.Er

willnochmalmitseinemVorgesetztensprechen,umherauszufinden,obwirnichtdochRakkabesichtigendürftenundobdasTreffenmitJohnCantlienichtauchohneKamerasmöglichwäre.AbuQatadahfolgtihm.Erscheintoptimistischzusein.Erflüstertmirzu,erglaube,dassmaneinevernünftigeLösungfindenkönne.AbuLothmeint,dasVerhaltenderbeidenseiimGrundenormal.UnserBesuchseieinExperimentfür

denIS,beidemvielschiefgehenkönne.DieInternetreportagemitdemmuslimischenReportervonViceNewsseivonderlokalenIS-MedienabteilunginRakkaarrangiertworden,unserBesuchhingegenvonderzentralenMedienabteilungundvomBürodesKalifen.DawollekeinereinRisikoeingehen.DannerzähltAbuLoth,warumerindenJihadgezogenistundjetztimISlebtundarbeitet.Hiereinige

seinerzentralenArgumente:»EinMuslimbrauchtdieShariahwiedieLuftzumAtmen.«»Die Lebensweisen des Propheten und der ersten vier Kalifen sind ein Vorbild für unsere

Lebensweise.«»Sie imWesten haben eine falsche Vorstellung von Freiheit. Bei Ihnen bedeutet sie: Freiheit ohne

Grenzen,ohnePrinzipien.Dasistnichtgut.SokanneinMuslimnichtleben.«»DasWertesystem imWesten zerfällt…dieVerharmlosungderHomosexualität…dieses exzessive

Leben…DasbringteinenMusliminständigeSchwierigkeiten.«»AuchdieDemokratiestehtmitdemIslaminKonflikt.MandarfdieGesetzevonMenschennichtüber

dieGesetzeGottesstellen.«»Theoretischisteszwarüberallmöglich,eingottgerechtesLebenzuführen.AberjederMenschbraucht

eineGemeinschaft.IndiesemKalifatzuleben,istfürmicheinLebenstraum.«»DiemeistenAggressionenaufunsererWeltgeschehengegenMuslime,inmuslimischenLändern.Jede

muslimischeFrauistmeineSchwester.Ichmusssieverteidigen.JederMuslimistverpflichtet,zuHilfezukommen,wennmuslimischesBlutvergossenwird.«»Wir leben in einer Zeit des islamischen Erwachens…Abkehr von Demokratie… Rückkehr zum

Ursprung.«»Egal,wiewenigKämpferwirsind,wirwissen,dasswiramEndegewinnen.«»WirwerdenineinbiszweiJahreneinenFriedensvertragmitdemWestenabschließen.Denwirdder

Westendannbrechen.DashatderProphetMohammedvorausgesagt.«

BeimStichwort»ProphetMohammed«wendeichein,dassMohammedheuteeingroßerReformerwäre,derFortschrittpredigenwürde.Genausowiedamals.AbuLothversucht zuerklären,dassdieGesetzeAllahsvor1400JahrenfüralleZeitGültigkeithätten.DahergebeeskeinenReformbedarf.MansollesichendlichanGottesGesetzehalten.

AbuQatadah und der »Fahrer« kommenwieder durch dieTür.Beide schauen äußerstmürrisch drein.HabensieeineAbfuhrerhalten?Der»Fahrer«setztsichwiederaufdenSesselmirgegenüber.»MosulorTurkey.That’sit!–MosuloderTürkei,nichtsanderes«,blafftermichunfreundlichan.AuchinSachenJohn Cantlie bleibe es bei dem, was er gesagt habe. Ich bin über die Aussage und den Ton völligverblüfft.IstdasseinErnst?Sokannernichtmitmirreden.Ichsteheaufundsageihmdassehrdeutlich.SchließlichhabenwirkeineSäuezusammengehütet.WasbildetderKerlsichein?AberdervermummteFahrersagtnurnochautoritärer,dassernichtmehrmitsichredenlasse.Unddass

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wir entwedermorgen nachMosul fahren oder jetzt zurück in die Türkei. Er ist sehr angespannt. AbuQatadahauch.DiebeidenmüsseneinenfürchterlichenAnpfiffvonobenbekommenhaben.Bisherschnittmanim»IslamischenStaat«JournalistendenKopfab.Jetztlässtmaneinenrein,undderstelltauchnochBedingungen. Der Vermummte legt nach. Auch inMosul werde es Einschränkungen geben. Er sprichtwiedersehraggressiv.Mirreichtes.Ichsageihmruhig,abersehrbestimmt,dassdasVerbot,dieWohnungzuverlassen,eine

Unverschämtheit sei. Das sei mir noch nie passiert, nicht einmal bei den Taliban. »Wir sind keineTaliban«, faucht der Vermummte zurück, von dem man jetzt nur noch das Auge mit dem halbgeschlossenenOberlidsieht.FredericstarrtdenEngländerinzwischenvölligentgeistertan.Ichhole dieEinladungdesKalifats ausmeinerTascheund sage: »Sie habenunsmit großenWorten

feierlicheingeladen.StattdessenhabenSieunszuIhrenGefangenengemacht.WennwirdiesenRaumnichtverlassen dürfen, sindwir IhreGefangenen.« – »Sie sind keineGefangenen«, bellt derVermummte inseinemrhythmischenDialektmichan.»GefangenekönnensichihrFrühstücknichtaussuchen.«Irgendwann reicht esmir. Ich darfmir von demMann nicht alles gefallen lassen. »Sie ändern jetzt

sofortIhrenTon«,brülleichihnsolautan,dasserleichtzusammenzuckt.AbereshatkeinenSinn,mitdiesemplötzlichsowütendenMannweiterzudiskutieren.Sowiederuns

anschaut, würde er uns ohnehin am liebsten den Kopf abschneiden. Wo stammt diese plötzlicheAggressivitäther?GiltdieGarantiedesKalifatsüberhauptnoch?Wirmüssenversuchen,ausdiesemStreitohneallzugroßenGesichtsverlustherauszukommenundvor

allem das Gesetz des Handelns wieder mitzubestimmen. Ich sage dem Engländer daher so ruhig wiemöglich, wir würden uns jetzt in unser Zimmer zurückziehen, um zu entscheiden, ob wir nachMosulfahren oder umkehren wollen. Wir würden ihnen unsere Entscheidung zu gegebener Zeit mitteilen.FredericstarrtdenVermummtenweiterfassungslosan.Irgendwasistihmaufgefallen.Danngehenwir.Malcolmmeint, wenn wir die Reise jetzt beendeten, könne es gut sein, dass der IS seine Meinung

ändereund ineinerEntführungoderEnthauptungeinengrößerenNutzensehe.Dassei fürsieauchkeinschlimmerer Gesichtsverlust, als wenn wir nach unserer Rückkehr schilderten, dass IS-Zusagen nichtswertseien.Miristdasalleszukompliziert.IchwilldieReisenichtwegenHöflichkeitsfragenabbrechen.AußerdemwirdinKriegsgebietenvonwestlichenStaatenFilm-undFotomaterialausSicherheitsgründenebenfalls kontrolliert. Wir beschließen daher weiterzufahren, aber auf einem anderen Umgangston zubestehen.

IrgendwanntrittAbuQatadahzuunsinsZimmerundfragt,oberunsirgendetwasbringenkann.ErwillerkennbargutWettermachen.Ichfindedasokay.Erwollekurzeinkaufenundkönneunsetwaszuessenmitbringen.Mitgehenkönntenwirleidernicht.MancheEntscheidungenseinerVorgesetztenkönneernichtimmerverstehen,sagter.»Aberesistnunmal,wieesist.«AlserzusammenmitMalcolmdasZimmerverlässt, setztsichFrederickreidebleichnebenmichund

flüstertfastlautlos:»Ichbinmirnichtganzsicher,weilichohnePChiernichtsnachprüfenkann.Aberichglaube,dervermummteEngländeristJihadiJohn.DiehalbgeschlossenenAugen,diekühngeschwungeneAdlernase, der rhythmisch raue britische Dialekt. Ich habe mir seine Stimme in München ein halbesDutzendMalangehört.Ichwerdesienievergessen.Wassollenwirjetzttun?«MirbleibtfastdasHerzstehen:DerHenker,derJamesFoleyundwohlauchandereenthauptethat,soll

unser Aufpasser sein? »Sag Malcolm nichts. Ob deine Vermutung stimmt, können wir erst zu Hauseüberprüfen. Damüssen wir jetzt durch.« Ich lassemirmein Entsetzen nicht anmerken. Aber ich habewiederdasGefühl,ineinennachDesinfektionsmittelnriechendenOperationssaalgeschobenzuwerden.Indenichnichthineinwill,sondernausdemichrauswill.Alleswarbisherdochsoglattverlaufen.Lange

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sitzenwirschweigendzusammenundstarrenunsan.

AlswirinsWohnzimmerzurückkehren,teilenwirunsererIS-Truppemit,dasswirweiterfahrenwürden.AllerdingserwartetenwireinenanderenUmgangsstil.SchweigendnehmendiedreiunsereEntscheidungzurKenntnis.AbuQatadah undAbuLoth versuchen, die schlechte Stimmung durchBerichte über den»IslamischenStaat«aufzulockern.FolgendePunktesindberichtenswert:

Rauchen ist im»IslamischenStaat«verboten.AngeblichwurdedasVerbotnicht vonheute aufmorgendurchgesetzt, sondern schrittweise. Zuerst wurde der Verkauf von Zigaretten verboten, dann, ein paarWochenspäter,dasRaucheninderÖffentlichkeit.Schließlichwurdeeskomplettverboten.WasjemandinseineneigenenvierWändenmache,könneder ISallerdingsnichtkontrollieren,soAbuQatadah.»WennSie also zu Hause rauchen wollen, dann ist das Ihr Ding. Der IS kontrolliert das nicht. Wer beimöffentlichenZigarettenrauchenerwischtwerde,bekommtalsStrafe30Peitschenhiebe.«Musik istauchverboten.AbuQatadahversuchtunszuerklären,dassesStudiengebe,diebeweisen,

dassbestimmteMusikEinflussaufdasGemüthabeundDepressionundTraurigkeiterzeugenkönne.ErselbstverstehtdasGesetz,obwohlerfrühernatürlichauchMusikgehörthat.AmliebstenHip-HopundDeutsch-RapvonGruppenwieDeichkindoderFettesBrot.Das syrische Volk sei ein nationalistisches Volk. Der IS sei jetzt schon seit einem Jahr in Rakka.

TrotzdemwerdensiealsAusländernochimmerkritischgesehen.ManchesehendenISsogaralsBesatzer.SchleuserverlangtenvonSyrernfüreineAusreisenachEuropamindestens600US-Dollar.Generell seiwichtig, dass der IS für dieBevölkerung gut sorge. Er erlaube Studentinnen ausRakka

sogar, Universitäten in von Assad beherrschten Gebieten zu besuchen. Davon machten zahlreicheMädchen Gebrauch. Der IS müsse der Bevölkerung ein normales Leben ermöglichen. Der finanzielleAspektseidabeienormwichtig.GeldöffnealleTüren.DiegrößteGeldeinnahmequellefürdenISseimomentandasÖlgeschäft.EinBarrelverkaufederISfür

zwölf US-Dollar. Auch Gasfelder seien vorhanden. Das meiste Gas werde aber für die eigeneBevölkerunggenutzt.Die zukünftigeWährung des ISwerde nicht an denUS-Dollar gebunden sein, sondern anGold. Eine

eigeneGoldwährungseiinVorbereitung.AngeblichgebeesschonersteGoldmünzen.Der IS bestehe seit 2006 im Irak. Er habe bei der Bevölkerung der irakischen Gebiete inzwischen

Akzeptanz gefunden. »Die Leute wissen, dass sie ungestört leben können, solange sie nicht gegen dieGesetzeAllahsverstoßen.«InSyrienbesteheder ISaus70ProzentAusländernund30ProzentSyrern. ImIrakbesteheeraus30

ProzentAusländernund70ProzentIrakern.Jeder IS-Neulingmüssezuerst ineinTrainingslager.DasTrainingbesteheauszweiTeilen. Imersten

TeillernemandieShariah,dieGrundzügedesIslam.DerKursdauerezweibisvierWochen.DortwerdedenNeulingenbeigebracht,wasgutundböseseiundwiesiesichandieGesetzeAllahszuhaltenhätten.Der zweite Teil umfasse diemilitärischeAusbildung. Hier würden sie zuKämpfern ausgebildet. DasKämpfenundBedienenderWaffenwerdevondenNeulingenschnellgelernt.Soschwerseidasjaauchnicht.Ein großerVorteil sei dieEntschlossenheit der neuen IS-Kämpfer. Jederwolle lernen, und jederwolle dem IS so gut wie möglich helfen. Jeder wolle kämpfen. »Eine Stunde in der ersten Reihe zukämpfen,istwie60JahreGottesdienst.«Esdürfeabernichtjedersterben.WennzumBespieleingutausgebildeterSpezialistsichunbedingtim

Kampf in dieLuft sprengenwolle,würde derKalif das nicht zulassen.DerMannmüsseweiter seinewichtigenAufgabenerfüllen.Im»IslamischenStaat«arbeitetenimStaatsdienstauchvieleFrauen.AbernichtalsKämpferinnenwie

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beidenKurden.DiePeschmergaseien–andersalsdiePKK–solche»Flaschen«,dasssogarFrauenandieFrontmüssten.Der IS bringedenKindern inderSchulevor allemdreiDingebei:Koran,RechtundKämpfen.Das

seiendiedreiHauptzweigeseinesSchulsystems.DiePKKseimomentanderstärksteFeindmitdenbestenBodentruppen.AberohnedieLuftangriffeder

AmerikanerhättederISauchKobaneeingenommen.DieUSAhättenKobanederartzerstört,dassesfürdieKämpfer des IS keine Verstecke mehr gegeben habe. Die Stadt sehe aus wie Nagasaki nach demAtombombenabwurf.Wenn das die Anti-IS-Strategie der Amerikaner sei, stünden der arabischenWeltschlimmeZeitenbevor.AbuQatadahschätzt,dassinKobaneetwa500IS-Kämpfergetötetwurden.UndzahlloseZivilisten.DiemeistendurchLuftschläge.Die Jesidenmüssten den Islam annehmen, oder siewürden getötet, da sie, soAbuQatadah, an den

Teufel glaubten und diesen sogar anbeteten.Viele Jesiden in Sinjar seien zum Islam übergetreten. EinGroßteilihrerFrauenseiversklavtworden.

AbuQatadahwarbisEnde2001»totalerUSA-Fan«.NachdenAnschlägenvom11.Septemberhabeersich sogar in einKondolenzbuch eingetragen.Doch kurze Zeit später fing er an, alles zu hinterfragen.WarumwurdeAmerikaangegriffen?Malcolmwillwissen,waservondenVerschwörungstheorienüber9/11hält.AbuQatadahschmunzeltundsagt:»Ja,wirbezweifelndasauch.Abertotal.«IchschüttledenKopf.DieWeltliebeVerschwörungstheorien.EsgebesogareinigeMenschen,sageich

zuAbuQatadah, diebehaupten, dassdie IS-Enthauptungsvideos gefälscht seien.Er entgegnet, dass dieVideos bewusst so geschnitten werden, dass Platz für Spekulationen bleibe. Das wirklicheKopfabschneidenwollederISdemWestenersparen.ImÜbrigenhättelautAbuQatadahauchMohammedJames Foley geköpft. Vor Mohammed sei es nämlich nicht Brauch gewesen, richtig zu köpfen. ErstMohammedhabeentschieden,dassderKopfganzabgetrenntwerdenmüsse.DerProphet,dersichseitfast1400Jahrennichtmehrwehrenkann,mussbeim IS fürallesherhalten.

Wenn der IS eines Tages Frankreich erobern sollte, wird man bestimmt behaupten, die Guillotine seiebenfalls eine Erfindung Mohammeds. »Der Grund, dass wir enthaupten«, sagt Abu Qatadah, »istAbschreckung.«AbuQatadah fährt fort:MohammadAl Julani, derAnführer derTerrortruppe JabhatAlNusra, habe

zehnMillionenUS-Dollarveruntreut.DasseiabernureinerderGründegewesen,dassmansichvonihmgetrennthabe.DasjugendlicheBild,dasindenMedienkursiert,zeigewirklichAlJulani.InPakistanfindetAbuQatadahdie radikalenpakistanischenTehreek-e-Talibangut.Dieafghanischen

Talibanbezeichnet er hingegen als ein»Desaster«.MullahOmar sei »eine richtigePfeife«.Außerdemkönne er gar nicht Emir einesKalifats sein, da er nicht vom Stamm derQuraish abstamme. »Der hatüberhauptkeinen islamischenMaßstab.«TrotzdemhabeerGeschichtegeschrieben,weil erOsamabinLadennichtausgewiesenhabe.

IS-Rückkehrer nach Deutschland würden von ihnen als Abtrünnige angesehen.Wenn sie keine Reuezeigten,erwartesiedasTodesurteil.AlsichihnwiederholtnachmöglichenAnschlägenvonRückkehrernin Deutschland frage, lacht er nur. »Werweiß?Aber eigentlich haben sie schon hier nichts Richtigeszustandegebracht.«AbuQatadahbehauptet,dassdie44UN-BlauhelmsoldatenvondenFidschi-Inseln,diediesenSommer

angeblichvonJabhatAlNusraentführtwurden,inWirklichkeitvonderFSAgekidnapptwordenseien.DieFSAhabeaberausRücksichtaufihrewestlichenSponsorenschlechtbeiderUNLösegeldfordernkönnen.AlsohättensiedieGeiselnanJabhatAlNusraweitergegebenundsichdieKohlegeteilt.

ZumAbendessenhatAbuLotheinegroßeReisplattemitHuhnbesorgt.DazugibtesetwasJoghurtund

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Pepsi.Malcolmwollte unbedingt wieder frischen Fruchtsaft. Freddy und ich haben versucht, ihm dasauszureden.EsgabschließlichnureineToilette.Docherwolltesichdanichtreinredenlassen.ErhabeeineneisernenMagen.Weilunser»Hausarrest«morgenvorüberist, istdieStimmungetwaslockerer.AbuQatadahundAbu

Loth geben sich große Mühe, den Zwischenfall mit dem vermummten Fahrer zu überspielen. Undprotestierennicht,wennwir trotzVerbots immerwieder aufdenkleinenBalkon treten,umetwasvomStraßenlebenmitzubekommen.IchziehemichheutefrühzurückundzwängemichinmeinenSchlafsack.FredericbleibtbeiAbuLoth

undAbuQatadah. Der armeMalcolm hingegen schleppt sich immer wieder Richtung Toilette. GegenmanchefrischearabischeFruchtsäftesindselbsteiserneMägenchancenlos.

GegenMitternachthörenwirextremlautesGeknatter.Schüsse.Sehrnahe.AbuQatadah,dererstziemlichnervöswar,istsichnacheinigenbangenMinutensicher,dassesFreudenschüssesind.Irgendetwaswirddadraußengefeiert.AbuLothgehtnachdraußen,umsichzuerkundigen.NacheinpaarMinutenkommterstrahlend zurück und erzählt, dass der IS eine wichtige Zone nahe dem Flughafen Deir-ez-Zoureingenommenhabeunddie»Brüder«jetztfeierten.Schießen und Freudenfeuer sind allerdings beim IS auch bei derartigen Ereignissen nicht erlaubt.

Besonders in Gegenden, wo Familien mit Kindern leben. Als Abu Loth später ebenfalls in die Luftschießt,nimmtihmeinIS-PolizistseineKalaschnikowab.IneinerWochekönneersiewiederabholen.

VIERTERTAGDIENSTAG,9.DEZEMBER2014

Um 8:20 Uhr sitzen wir vor unserem Haus in einem kleinen Minibus. Es geht nach Mosul. Freddy,Malcolmundichsindziemlichverschlafen.Aberdasistwohlnormal.Keinervonunsdreienkannhierwirklich gut schlafen.Unserwieder total vermummter Fahrer ermahnt Frederic, dass er auch aus demAutoherausinRakkakeineFotosmachendürfe.ErstinMosulkönntenwirfilmenundfotografieren.WirfahrenwiederandemPlatzvorbei,andemderISmanchmalabgeschlageneKöpfezurSchaustellt.

Douwar Naeem heißt er. Irgendwie ist alles wie in einem Albtraum. Kommen wir aus diesem Landwirklichlebendheraus?NureinStückPapierschütztunsvordemtödlichenDamoklesschwert,dastrotzaller Versprechen über uns schwebt. Der schneidende Auftritt des Vermummten gestern, den Zusagenüberhaupt nicht zu interessieren scheinen, stecktFrederic undmir noch immer in denKnochen.BisherhabenkeinwestlicherJournalistundseinTeamden»IslamischenStaat«lebendverlassen.Warumsolltees bei uns anders sein? Der gestrige Streit hat erstmals auch bei mir erhebliche Zweifel an unsererSicherheitgeweckt.DerFahrerscheinteineeiskalteWutaufunszuhaben.

AufdenStraßenistweniglos.DadieMenschenAssadsBomberfürchten,habensieinzwischenihrLebennachderenFlugzeitengerichtet.BeigutemWettergehendieLeutenurseltenausdemHaus.Erstwennesdunkel wird, fühlen sie sich sicher. Obwohl dann die Amerikaner bombardieren. Die Schulen sindangeblichoffen.EsgebeeineMädchenschulemit8000Schülerinnen.WasfüreinegroßeMädchenschule.UndmehrerePrivatschulen.VieleKindermüssenjedochihreFamilienunterstützen.Siearbeiten,stattzurSchulezugehen.Erstaunlich,wievieleBauprojekteesinRakkagibt!DiemeistenwurdensicherlichnochunterAssad

gestartet.ObsiejemalszuEndegebautwerden?WirsehenvieleVillen.Werhierwohljetztwohnt?DerFahrerfragt,obwirnochirgendwelcheiPads,TabletsoderHandysbeiunshätten.Ichhabenoch

einiPad.AusschließlichzumSchreiben.»Abgeben«,rauntderVermummte.Fredericschautmichbittend

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an. Keine Auseinandersetzung mit dem Fahrer, sagt sein fast flehender Blick.Wir halten kurz an undübergebendasGeräteinemjungenIS-Kämpfer.Während wir uns bei dieser Gelegenheit ein wenig die Beine vertreten, kommt eine alte Frau und

breitet auf dem staubigenBoden ihr frisch gebackenesFladenbrot aus, umes abzukühlen. IhreTochterhilftihr.JedesBrotwirdeinzelnindenStaubgelegtunddanngewendet.AbuQatadahfragt,obwiretwasvondemBrothabenwollten.DochwirhabenandiesemMorgenwenigAppetitaufstaubigesBrotundfahrenweiter.Zwischen den Obst- und Gemüseständen sind überall Zerstörungen durch Bomben zu sehen. Einige

Gebäudesindtotalzertrümmert.AnanderenfehltnurdasobereStockwerk.»DasistvonAssadsBomben.Wenn die Amerikaner bombardieren, ist das ganze Haus weg.« Wir kommen an einer schiitischenMoscheevorbei.DiewurdewedervondenAmerikanernnochvondenSyrernbombardiert.DerIShatsiezerstört.Undistsehrstolzdarauf.NureineFrontmitFreskeniststehengeblieben.ObwohlesinRakkaangeblicheinefunktionierendeMüllabfuhrgibt,liegenMüllhaufenherum.Einige

von ihnen brennen. Laut Abu Qatadah hat das nichts mit der IS-Müllabfuhr zu tun, sondern mit derUndiszipliniertheitderlokalenBevölkerung.An einem Checkpoint mit bewaffneten IS-Kämpfern werden wir angehalten. Unser Fahrer zeigt ein

Papier,undwirwerdendurchgelassen.DanngehtesdurchdieWüsteinRichtungdersogenanntenSykes-Picot-Linie,mitderEngländerundFranzosennachdemErstenWeltkriegdenIrakundSyrienuntersichaufteilten. Nach ein paar KilometernWüste taucht ein zweiter Checkpoint auf. Hier wehen besondersvieleIS-Flaggen.Auchhierkommenwirproblemlosdurch.

WirbefindenunsaufderStraßenachAl-Hasakah.ZusehengibtesinderWüstenichts.AußereinpaarHirtenmit ihrenSchafenundhier undda einerkleinenLehmhütte.Nach etwaeinerStundebiegenwirrechtsaufeineandereWüstenstraßeab.DerIShathierbereitseigeneStraßenschilderaufgestellt.EsgehtweiternachAl-Shadadi,wowirkurzaustretenwollen.Dochmanlässtunsnicht.»Forsecurityreasons«,murmeltderFahrer,»ausSicherheitsgründen«,undholtGetränke.AbuLothverstehtdasjetztauchnichtmehr. Doch er meint, es sei besser, den Anweisungen zu folgen. Frederic meint, dass der Fahrerwenigstensfreundlichseinkönne.Wirhättenihmjanichtsgetan.AbuLotherwidert,derFahrerseinurschlechtdrauf.Wirsolltendasnichtpersönlichnehmen.AberAustreten istnunmaletwasganzPersönliches.Mirwirddas jetztzudumm. Ichsteigeausund

verschwinde hinter einer alten Baracke. Soll der Fahrer toben, wenn er will. Frederic undAbu Lothfolgenmir. Nach demWasserlassen steigenwir wieder in denWagen. Ich bedankemich herzlich beiunseremvermummtenFahrerfürdiefrischenGetränke.Verdutztschauterunsan.Offensichtlichwollteergeradeloslegen.

In Al-Shadadi scheint es einen tüchtigen Motorradverkäufer zu geben. Die Straßen sind voll mitMotorrädern.Hieristrichtigwaslos.EsistderlebhaftesteTeildes»IslamischenStaats«,denwirbishergesehenhaben.Außer Abu Loth spricht keiner im Auto mit uns. Unser vermummter Fahrer sowieso nicht. Sein

Beifahrer,der seinenKopfuntereiner schwarzenSkimaskeversteckt,auchnicht.UndAbuQatadah istentwedermüdeoderinGedankenwoanders.DieFahrtistholprigundgehtstarkaufsKreuz.Wirkommenan einer großen, total zerstörten Autowerkstatt vorbei. Sie wurde angeblich von amerikanischenFlugzeugenbombardiert:»DamitderISseineFahrzeugenichtmehrsoleichtreparierenkann.«ImmerwiedersehenwirverrosteteMetallfässer,ausdenenschwarzerRauchaufsteigt.Danebenstehtin

einer ölig-dunklen Pfütze ein schwarz verdreckter Mann. Alle paar hundert Meter. Ein-Mann-Ölraffinerien,meintAbuLoth.

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WährendAbuQatadahinGedankenversunkenzuseinscheint,berichtetAbuLoth,wersoalleszumISkommt:Der jüngstedeutsche IS-Kämpferwar16Jahrealt.Er ist inzwischen tot.ErwarDeutschermitbosnischenWurzeln.ErwarnochSchüler.AneinemCheckpointwurdeervonderFSAerschossen.Burak, ein anderer deutscher IS-Kämpfer, war Jugendnationalspieler des DFB. Auch der Sohn eines

bekanntenenglischenBankerskämpftfürdenIS.Ein»BruderausTexas«istauchda.SeinVateristbeimamerikanischen Militär. Auch eine Handvoll israelischer Staatsbürger kämpft für den IS. ArabischeIsraelismitisraelischemPass.UnserFahrerübergibtdasSteuerseinemBeifahrer.15Minutenspätermachtes»wrumms«.Wirsind

einem Lkw draufgefahren. »He just went on his fucking brakes – Der hat gerade voll auf seineverdammteBremsegetreten«, flucht dieser unter seiner Skimaskemit einem noch stärkeren englischenAkzentalsunsermürrischerHauptfahrer.»YouareBritish?–BistduBrite?«,frageichihn.Erantworteterstnicht,sagtdannaufArabisch,erseiausNewYork–woernieundnimmerherkommt–,undsteigtaus,umsichdenSchadenzubesehen.DerrechteKotflügelunseresWagenshängtherunter.Allepackenan, und unter großenMühen könnenwir das Teil entfernen. BisMosulwird es gehen.Dortmuss derWagenrepariertoderausgetauschtwerden.BevorsicheinezugroßeMenschenmengeumdenUnfallortbildet,fahrenwirweiter.NacheinerhalbenStundeerreichenwirdieSykes-Picot-Grenze.Esgibtnichtmehrvielzusehen.Die

stolzenGrenzgebäudevoneinst sindvölligzerstört, alles liegt inTrümmern.AufeinemMastwehtdieFlaggedesIS.EineaufSteingemalteIrak-FahneistschwarzmitdenSymbolendesISübermalt.

EineZeitlangfahrenwiramSinjar-Gebirgeentlang,indaswährenddesSommersdieJesidengeflüchtetwaren.DieLandschaftistimmergleich:karg,fastleer,nurabundzukleineDörfer.Plötzlichsehenwirvieleausgebrannte,zerschosseneAutos,dieamStraßenrandodereinigeMeterimFeldliegen.AlswärehierdasPropagandavideodesISgedrehtworden,indemderISeinAutonachdemanderenbeschießt,bisalleInsassentotsind.SpäterbestimmenmehrundmehrzerstörteGebäudedieLandschaft.FredericdarfnochimmerkeineFotosmachen.»ErstinMosul«,heißtesstets.AbuLoth, soerfahrenwir jetzt, ist zusammenmitAbuQatadahundachtanderenJungsausSolingen

ausgewandert.Zweisindinzwischentot.EinerdavonwarRobertB.MitihmsaßAbuQatadahschonimGefängnis.AbuLothundAbuQatadahhieltenvielvonRobertB.Erseimutigundvollkommenüberzeugtgewesen. Er wollte unbedingt eine »Märtyrer-Operation« machen. Er musste sich mehrere Monategedulden,biserendlichdrankam.160andereMärtyrerwarenvorihmaufderWarteliste.Sogroßist,lautAbuLoth,derAndrang.Mitseiner»Märtyrer-Operation«habeB.über50MenschenindenTodgerissen.DieListen seien auch schon länger gewesen.Damals inAleppo, erzähltAbuLoth, hätten schonmal

über600NamenaufderWartelistegestanden.Erfragtmich,obwirvoreinigenMonatennichtmitPhilipB. gesprochen hätten. Der habe sich ebenfalls inzwischen in die Luft gesprengt. Irgendwann diesenSommersolldasgewesensein.

Noch 60 Kilometer bis Mosul. Wieder ein Checkpoint. Wieder kein Problem. Wir werdendurchgewunken.DieerstenVorortesindzusehen.WirfahrenaneinemgroßenGefängnisvorbei.EinederMauern ist zerstört. Der IS hat hier eine »Märtyrer-Operation gemacht und alle Gefangenen befreit«,erklärtunsAbuQatadahstolz.ErundAbuLothkommenzumerstenMalnachMosul.DementsprechendgroßistihreVorfreude,auchwennsiedasunsgegenübernichtwirklichzeigenwollen.WirkommenaneinerÖlraffinerievorbei.SiescheintinBetriebzusein.Sicherheitspersonalstehtam

Eingangstor,MenschensindaufdemGrundstückzusehen.DieGegendistvollerÖlfelder.Mankannsienichtnursehen,sondernauchriechen.AuchaneinemFlüchtlingslagerfahrenwirvorbei.UnzähligeMenschenlebenhierinZelten.Wohersie

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wohl kommen, warum sie zum IS geflüchtet sind? Uns wird gesagt, sie kämen aus umkämpften oderzerstörtenGebieten.

ZweiweitereCheckpoints,dannistesendlichsoweit.Mosul!EingroßerdunklerTorbogenspanntsichüberdiemehrspurigeStraße.DerTorbogenistIS-getreugestaltet:schwarzmitweißemSchriftzugundderIS-Flagge.AbhierdarfFredericendlichfilmen.JetztalsosindwirinderMillionenstadtMosul.ImHerzendes»IslamischenStaats«.5000IS-Kämpfer

kontrollierendieseStadtmitschätzungsweisezweiMillionenEinwohnern.Wenigerals400Mannwarennötig,umüber20000irakischeSoldaten,zweiDivisionen,indieFluchtzuschlagen.AbuQatadahmeintsogar,esseiennur183Manngewesen.MosulmachteinenverdammtnormalenEindruck.WieandereGroßstädteimNahenOsten.Nichtssieht

nach»IS-Steinzeit«aus.ImGegenteil.Mosulisteinevibrierende,lebendigeGroßstadt,mitvielVerkehrund unzähligen Menschen auf den Straßen. Sind wir gerade an einem IS-Verkehrspolizistenvorbeigefahren?Ichbinmirnichtsicher,essahabersoaus.NatürlichvergesseichindiesemMomentnicht,dasshierunzähligeSchiitenundJesidenermordetoder

vertriebenwurdenundZigtausendeChristengeflohensind.MosulistjetzteinereinsunnitischeStadt.DasLeidderErmordetenundVertriebenensiehtmannicht.WirbiegenineineSeitenstraße,umjemandenvonderMedienabteilungzutreffen,derunsdenweiteren

VerlaufunsererReiseerklärensoll.DurcheineGlastürwerdenwirineinenkleinenLadengeführt.HierbefindetsichderVertriebdes»IS-Verlags«.WashierstapelweiseanBüchernundBroschürenlagert,wirdbald indenMoscheendesganzen IS-Gebietsverteiltwerden. IneinerVitrine liegendieneuestenFlyerundInfo-broschüren.ZumBeispiel:

WiemanseineSklavenbehandelnsollWiemandemKalifendieTreueschwörtWiemansichalsFrauzubenehmenundanzuziehenhatWiemansichumdieArmenkümmernsollWiemaneinguterIS-Kämpferwird

AusgestelltistauchdasersteBuch,dasderISoffiziellverlegthat:AlFiqhalJihad.DasVerständnisdesJihad.DerVerfasseristAbuAbdullahAlMuhajir,derspirituelleMentorvonZarkawi.ErhatZarkawidavon überzeugt, dass Selbstmordattentate nicht nur akzeptabel, sondern der richtigeWeg seien. AbuQatadahmeint,wenndiesesBuchinDeutschlandbeimirgefundenwerde,würdeichmindestenssiebenJahreinsGefängniskommen.Wir lassen uns die einzelnenBroschüren, so gut es geht, erklären.Auch das Buch.AufmeineBitte

erhalteichvonjedemeinExemplar.IS-Flaggenwerdenmirauchangeboten.EsgibtsieinverschiedenenGrößen.FredericundMalcolmsindhungrig.Wirbeschließen,späternocheinmalzukommen,undfahrenweiter

RichtungStadtzentrum,umetwaszuessen.InMosulgibtessogarnochHotels.DiebesserensindseitderEroberungMosulsallerdingsgeschlossen,esgibtnichtgenugStrom.WirdürfennatürlichnichtinsHotel.Der ISwill uns nicht aus denAugen lassen und ganz nahe bei sich haben.Nachmehreren erfolglosenÜberredungsversuchenfügenwiruns.DasRestaurant,daswirbesuchen,siehtvonaußenwiedieglamouröseVersioneineramerikanischen

Fast-Food-Kette aus. Doch nur zwei Tische sind besetzt.Wir, AbuQatadah,Abu Loth, ein irakischerFahrerausMosul,Freddy,Malcolmundich,gehenindenerstenStock.AbuQatadahbestelltersteinmalquerbeetdiehalbeKartedesRestaurants.AlsVorspeisenwerdenverschiedenekleineSalateaufgetischt.

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AlsHauptgang: frittiertesHühnchen,gegrilltesHühnchen,Lamm-Kebab,Lammkoteletts,Pizza,PommesundBrot.Zutrinkengibtesstandesgemäß,wiefastimmer,Pepsi,SpriteundWasser.AngeblichsolldasEsseninMosulvielbesserseinalsdasEsseninRakka.AbuQatadahlässtsichdasnichtentgehen.AbuLoth erzählt uns,was seineMotivationwar,Deutschland zu verlassen und in den »Islamischen

Staat« zu ziehen.Erwar inSolingen,wieAbuQatadah, oft inderMillatu-Ibrahim-Moscheegewesen.AllewarenvonihremdamaligenImambegeistert.VonMohamedMahmoudaliasAbuUsamaAlGharib.NachdenPredigtensaßensiezusammenunddiskutierten.WarereinSalafist?AbuLothmagdenBegriff»Salafist« nicht.Auf einmal gab es großenMedienrummelumdiesen Imamund seinePredigten.VielebezeichnetenihnalsHassprediger.AbuLothmieddaraufhineineZeitlangdieMoschee,daerAngstvordemVerfassungsschutzhatte.Dochbalderkannteer,dassdas,»wasdieser Imampredigte,der richtigeWegwar«!ErgingmitseinenFreundenwiederoftindieMoschee.SieverbrachtenvielZeitmiteinander,diskutierten,spieltenFußball,grillten.Dann,2012, zogen sie alle zusammenalsGruppe inden Jihad.Sie sahendas jetzt als ihregöttliche

Pflicht an. Trainiert wurden sie in Libyen. Fast zwei Monate lang. Größtenteils gab es zwarReligionsunterricht,dochauchTrainingmitderWaffeundtaktischeÜbungen.AbuLothmeint,imWestengebeeskeineklarenWerteundkeineOrientierung.JedenTagwerdedasschlimmer.Wiees imWestenzugehe,könnenichtvonunseremSchöpfergewolltsein.»DasganzeLebenistohnehinnureinTest,unddazubrauchtmaneinenklarenLeitfaden.«

Eine hitzige Diskussion entsteht, als ich frage, was denn der ProphetMohammed heutzutage predigenwürde. Ob er nicht, wie damals, seiner Zeit weit voraus wäre und sich für fortschrittliche Reformeneinsetzenwürde.EinerdergrößtenReformerderGeschichtewürdesichmitSicherheitnichtfürdieSittenundBräuche von vor fast 1400 Jahren einsetzen. Für den zornigenAbuQatadah ist dieAntwort klar:»Mohammedwürdeheutegenausolebenwiedamals.WeilAllahnachdemKorannichtsmehroffenbarthat.UndMohammednurgetanhat,wasAllahihmgesagthatte.EsgehtnichtumReformen,sondernumden richtigenWeg.DenWegderPropheten.Mohammedhatunsdas richtigeLebenvorgelebt.«–»DasrichtigeLeben in seinerZeit,vorüber tausendJahren«,antworte ich.»WennwirheutenochnachdemAltenTestamentlebenwürden,müsstenwirjaauchjedenTagtöten«,sageich.»Dastutihrdochauch«,antwortetAbuQatadahkühl.DiewichtigsteBotschaftsei,dassmannuraneinenGottglaubendürfe.Allesanderelassesichdavon

ableiten.AuchHinrichtungenundSklaverei.Gottjemanden»beizugesellen«,seidiegrößteSünde.Daherseien auch alle, dieDemokratie und ihreGesetze akzeptierten, auf dem falschenWeg.Sie stellten vonMenschengemachteGesetzeüberdieGesetzeGottes.Die»gemäßigten«demokratischenMuslime,vondenenichsogernespreche,gebeesinWirklichkeitnicht.DasseienkeineMuslime,sondernAbtrünnige.Für einen Muslim gebe es niemanden neben Allah. Das Recht, Gesetze zu erlassen, gebühre nichtirgendwelchenParlamenten,»sondernnurAllah«.IchfrageAbuQatadah,warumGott,wennersogroß,barmherzigundmächtigist,wieauchichglaube,

vonunsWinzlingenvorallemangebetetwerdenwill.Wärees ihmnichtvielwichtiger,dasswirnachseinenVorgabenguteTatenvollbringen?FürmichseiGottvielgrößerundgroßzügiger.Gottkönnenichtsokleinlichsein,wiesieihnsichvorstellten.Miristklar,dassichmichhierganznaheanderGrenzedessenbefinde,wasAbuQatadahvorunserer

Reise als tödliche Gotteslästerung bezeichnet hatte. Aber kann es Gotteslästerung sein, wenn ichfeststellte,dassGottgrößer ist,alssiealledenken?AbuQatadahschautmichverächtlichan.InseinenAugenhabeichdieIdeedesMonotheismuseinfachnichtverstanden.»Sieirren«,sagter.»EinschlechterMuslim,derlügt,betrügtundtötet,istAllahlieberalseinNichtmuslim,derdenganzenTagGutestut.«

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HierendetdieDiskussion.DerFahrerausMosulteiltAbuLothundAbuQatadahüberFunkmit,dasswirjetztfahrenkönnten.Dieanderenseienjetztda.Welcheanderen?UnserebeidenFahrerausRakka?

WirfahrenzurückzudemGeschäftmitdenPropagandabroschüren.DaunsereGastgebergemeinsamihrGebet verrichten, warten wir im Eingangsbereich. Neben uns sitzt ein junger Kämpfer und schaut AlJazeera-Nachrichten.Ein IS-Mann betritt den Laden und begrüßt uns freundlich. Er ist etwa einMeterfünfziggroßundsiehtaus,alswäreernichtälterals13Jahre.Ersagt,ersei21undstammeausSaudi-Arabien.Beidenirakischen IS-Kämpfern,dienachundnachvomGebetzurückkommen,scheintersehrbeliebtzusein.Jederfreutsich,ihnzusehen.IchüberredeAbuLoth,mitunsaufdieStraßezugehen.»Abernurkurz«, sagt er.Er scheintgroßen

Respekt vor dem englischen Fahrer zu haben. Ich will eine Uhr kaufen, da man uns unsere Handysabgenommenhat.Wenn ich aufwache,will ichwenigstenswissen,wie vielUhr es ist.Draußen ist esschon dunkel.Die gut beleuchteteUniversitätsstraße, diewir entlanglaufen, ist sehr belebt. Fast jederLadenhat geöffnet.Nüsse,Rosinen,Trockenfrüchte,Eis,Kaffee,Teeund allenmöglichenKrimskramsgibteszukaufen.SogareinStandmitZuckerwattestehthier.NichtgeradedasBildeinerTerrorstadt,wiewir sieunsvorstellten. Ich findeeineArmbanduhr.Diebilligste imAngebot.AbuLothbestehtdarauf,dass er siebezahlt.Siekostet umgerechnet zehnEuro.Eskommenicht infrage, dasswir alsGäste fürirgendwasbezahlten.»IchwerdeIhnendieUhramEndederReisewiedergeben«,sageich.»MachenSiesichdakeineSorgen.Siekönnensiegernebehalten«,lachtAbuLoth.AufdergegenüberliegendenStraßenseitehat sicheineMenschentraubegebildet.Schätzungsweise50

LeutedrängensichvoreinemStand,andemeinegroßeIS-Flaggehängt.Wirgehenrüber,umnachzusehen,wasdortlosist.ÜbereinmittelgroßesFernsehgerätwerdendieneustenPropagandavideosdesISgezeigt.Kampfszenen, aufgenommen mit Nachtsichtgeräten. Auch Kinder befinden sich unter den Zuschauern.Frederic filmt.Eigentlicherstaunlich,dass sichMenschenmitten ineinemKrisengebiet freiwilligauchnoch solche Videos anschauen. Einer der vielen bärtigen Männer, die in der Menge stehen, schautFrederickritischan.Irgendwanngehterzornigaufihnzu:Warumerhierfilme,willerwissen.ErstößtFredericvorsichher.InnerhalbvonSekundenistFredericvoneinemRudelaufgeregterMännerumstellt.Erruftimmerwieder»noproblem«undsuchtAbuLoth.DerstehtaufderanderenStraßenseite.»Loth!«,brülltermehrfachwütend.DieganzeZeitstehenunsdie IS-LeuteaufdenFüßen,aber jetzt,wowirsiebrauchen,habensieunsausdenAugenverloren.IchwühlemichmitMalcolmdurchdasRudel.WirversuchendieMänner,dieFredericerkennbaran

den Kragen wollen, zu beruhigen und wegzudrängen. Malcolm wirft sich geradezu todesmutigdazwischen. ZumGlück ist auch Abu Loth schnell zur Stelle und klärt die Leute auf.Wir seien vom»Chef«persönlicheingeladen,umzuberichten,wiees im»IslamischenStaat«wirklichsei.WirhättendieErlaubniszufilmen,waswirwollten.DiefinsterenBlickeverwandelnsichinfreundlichesLächeln.»Sorry,myfriend!Welcome…«Keiner

willjetzteinenschlechtenEindruckhinterlassen.DergrantigeMannhatangeblichFamilieinBagdadundwill daher nicht gefilmt werden. Seine Angehörigen würden Probleme bekommen, wenn er erkanntwürde.Wirversichernihm,dassersichkeineSorgenmachenmüsse.FredericwerdedieAufnahmenvonihm löschen.Vorsichtshalber gehenwir jedochwieder auf die andere Straßenseite.Volksaufläufe sindstetsgefährlich.WirbegegnendreijungenKämpfern.Siesindnichtzuübersehen.Dennzweivonihnensindblond.Ein

FinneundeinSchwedemiteinemKurdeninMosul.Das istnichtderAnfangeinesWitzes,sondern IS-Realität.DerSchwedenenntMosul»meinParadiesaufErden.DiebesteZeitmeinesLebens«.Als FredericmeineUnterhaltungmit ihnen filmenwill, ziehen sich alle drei ihreMasken über den

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Kopf.Siewollennichterkanntwerden.Abersiesindäußerstinteressiert,warumwirhiersind.AlswirihnendenGrundnennen,werdenwirnochinteressanterfürsie.Sieredennochmehralszuvor.Siewollenerklären,wiegroßartigdasalleshierist.SiewollenihreBotschaftverkünden.VoneinemTeeverkäuferwirdunsTeeangeboten.Sehrsüß,abersehrlecker.

Es ist schon recht spät, alswir bei unsererUnterkunft ankommen.UnserBilligbungalow liegt in einerFerienanlage,dieauchvonIS-Kämpferngenutztwird.WieeinkleinesDorfsiehteshieraus.FerienbeimIS.Allerdings istdie Inneneinrichtungbescheidenundziemlichheruntergekommen.ZweiSchlafzimmer,einWohnzimmer,eineKücheundeinBad,diesmalmitKloschüssel.Bevor wir schlafen gehen, will Abu Qatadah noch etwas Überraschendes loswerden. Er meint, es

werde zu Verhandlungen zwischen dem IS und demWesten kommen. Es könne sogar sein, dass demWestenangebotenwerde,dassder IS seineExpansionfüreinegewisseZeiteinstelle.Dassei ineinemHadith, einem Ausspruch Mohammeds, prophezeit worden. Die Prophezeiungen dieses Hadith seienbisheralleeingetreten.ManwerdesichmitdemWestengegeneinengemeinsamenFeindverbündenundhierzu einen Friedensvertrag schließen. Der natürlich zeitlich begrenzt sei. Doch wer soll diesergemeinsameFeindsein?Russland?Iran?DieZeitwerdeeszeigen.Ichantworte,dassmanimWestenmiteinem solchen Verhandlungsangebot ausgelacht würde. Keine westliche Regierung werde mit dem ISsprechen,keineeinzige.AbuQatadahlächeltwissend.»EswirdeinAngebotdes ISgeben.Siewerdensehen.«

FÜNFTERTAGMITTWOCH,10.DEZEMBER2014

Gegen 9:00Uhr werdenwir vonAbuQatadah geweckt. Es ist sehr kalt, besonders im Bad.WarmesWassergibtesnicht.WirwaschenunsmiteiskaltemWasser.Angenehmistdasnicht,abereshilftbeimAufwachen.ZumFrühstückgibtesFladenbrot,Kiri-KäseundTee.NurAbuLothfrühstücktmituns.AbuQatadahistineinenanderenBungalowgegangen,indem IS-Kämpferuntergebrachtsind.ErscheintvonunserenDiskussionenziemlichgenervtzusein.Draußen ist es nicht nur kalt, es regnet auch noch leicht. Neben unserem Grundstück gibt es einen

SpielparkfürKinder.DenhattenwirgesternAbendinderDunkelheitnichtgesehen.ImSommersollhiereiniges los sein. Mit drei Autos und inzwischen sechs bewaffneten Begleitern, einschließlich AbuQatadah und Abu Loth, machen wir uns auf denWeg in ein Krankenhaus, das wir besuchen wollen.Frederic sitztvorneaufdemBeifahrersitz,damit erbesser filmenkann.OberdasSchiebedachöffnendürfe,umvonobenausdemAutoherauszufilmen?Erdarf.ErstelltsichaufdenBeifahrersitzundsitztirgendwannsogaraufdemAutodach.AufdenStraßenherrschtregerVerkehr.WirfahrendurchViertel,die äußerst belebt sind. Viele schauen uns verblüfft an. Ein IS-Straßenpolizist ruft Frederic aufgeregtetwashinterher.AmEingangdesKrankenhauseswerdenwirvonIS-KämpferninEmpfanggenommen.DasGebäudeist

mitvielen IS-Fahnenbemalt.AmEinganghängteinegroße IS-Flagge.DieWartesäledesKrankenhausessind voller Menschen. Auf TV-Geräten werden Propagandavideos von karitativen Aktivitäten des ISgezeigt: IS-Kämpfer beimVerteilen von Spielzeug und Schulsachen anMädchen, von Essen an Arme.DieseArtvonIS-Videoskanntenwirbishernicht.Ichhättenichtgedacht,dassessiegibt.AberhierwillmanjaauchnichtFurchtundSchreckenverbreiten.

Der ersteArzt,mit dem ich spreche, der aber leider nicht gefilmtwerdenwill, beklagt, dass es einengroßen Medikamentenmangel gebe. Das Hauptproblem sei der Medikamentenboykott aus Bagdad.

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BesondersseitdieRegierunginBagdadkeineMedikamentenlieferungenmehrnachMosulzulasse.Schonvor derMachtübernahme durch den IS sei dieVersorgung schlecht gewesen. Jetzt aber sei sie fast soschlimm wie während der Sanktionen des Westens gegen Saddam Hussein. Außerdem habe sich dieWasserversorgung verschlechtert.DasLeitungswasser ist nichtmehr trinkbar.Mit dem IS habe er keinProblem,dieZusammenarbeitseiokay.Wassollerauchsonstsagen.AufderSuchenacheinemArzt,derbereit ist,mitunsvor laufenderKamerazusprechen,findenwir

einenverletztenIS-Kämpfer.ErhateinefrischeSchusswundeamArm.EinjungerArztmitlangenHaarenkümmert sich um ihn. Zu unserer Überraschung spricht der Arzt Deutsch. Auch er will nicht gefilmtwerden.EristausEuropa,mehrwillernichtsagen.Ichbitte ihntrotzdemumeinekurzeBeschreibungderLage.ErüberlegtundziehtsichplötzlichschmunzelnddieSkimaskeeinesunsererBegleiterüber.Soist er bereit, mit uns zu sprechen. Ein weiterer verletzter Kämpfer wird auf einer Liege an unsvorbeigerollt.ErwillunsunbedingtdieHandschütteln.EinkleinerJungeistbeiihm.ImAC-Milan-Pulli.AufderMützedieIS-Flagge.EinskurrilesBild.DerArztführtunsdurchdasKrankenhausundstelltunsmehrerePatientenvor.Einervonihnenheißt

Ahmed und kommt aus Ramadi. Er wurde durch Panzerbeschuss der irakischen Armee verletzt. VomlinkenBeinistnurnochderOberschenkelübrig.DasrechteBeinistsooftgebrochenundsovonSplitterndurchsiebt,dassesniemehrrichtigfunktionierenwird.Ahmedscheintdasnichtsauszumachen.EristalsKämpferverletztwordenundwillalsKämpferzurückaufsSchlachtfeld.DazubrauchterBeinprothesen.Auf die wartet er jetzt. Sie werden aus Holz sein. Ich bin ziemlich verblüfft: »Sie werden wiederkämpfen?OhneBeine?«»Inschallah!Wennichwiederlaufenkann,werdeichbiszumletztenAtemzugkämpfen;sobaldichlaufenkann,inschallah!«AuchAbuMariamist IS-Kämpfer.ErhatebenfallsschwereBeinverletzungen.Er ist32Jahrealtund

wurdebeieinemBombenangriffderirakischenLuftwaffeverletzt.ErwarfrüherHändleraufdemMarkt.Jetzt kämpfe er für den IS, um seineReligion zu verteidigen, sagt er.Währendwirmit denVerletztensprechen, stehen sicherlich zehn Mann um uns herum. Das macht es nicht leicht, eineGesprächsatmosphäreaufzubauen.AberdieNeugierdederSchaulustigenistwieimmergroß.NachdemMotto:Wogefilmtwird,mussesetwas Interessantesgeben. IchhättemichgerneausführlichermitdenVerwundetenunterhalten.DerletztePatient,mitdemwirsprechen,isteinetwasältererHerr.EristvonBerufLastwagenfahrer.

Erwurde letztenSamstagbeieinemDrohnenangriffschwerverletzt.ÜberallamKörperhaterSchnitteund Wunden. Auch sein Gesicht ist mit Verletzungen übersät, seine Augen sind aufgequollen. AnOberkörper,BauchundandenBeinenhatermehrereRaketensplitterabbekommen.ZwanzigLeuteseienbeidemAngriffgetötetworden.LautihmwarensiealleZivilisten.AucherhabemitdemISnichtszutun,sagterbitter.Eintunesischer IS-Kämpfer,mitdemwirsprechenwollen,möchtesichnichtmitunsunterhalten.Eine

für den IS kämpfende Holländerin, die bei einem Angriff verletzt wurde, dürfen wir nicht filmen.Ansonstensindhierallerechtkooperativ.ZweiFotos,dieFredericvoneinerBettlerinamEingangdesKrankenhausesgemachthat,musserallerdingslöschen.BevorwirdasKrankenhausverlassen,erzähltunsderArzteineGeschichte,diesichvorknappzwei

Wochen inMosulereignethabensoll.EineUS-Drohnehabeam27.NovemberaufzweiKrankenwagendesKrankenhausesgeschossen.AlsdieNotärzte fliehenwollten,wurdensiedurch»GeschützfeuerderDrohne«erschossen.Allesechswurdengetötet.SiewarenkeineKämpfer,sondernKrankenhauspersonalaufdemWeg,Verletzteabzuholen.AlswirwiederinunsereAutossteigenwollen,hälteingroßerschwarzgrauerMercedesderE-Klasse

vor demEingangsbereich desKrankenhauses.Auf dem schwarzenNummernschild prangt das IS-Logo:

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»KalifatdesIslamischenStaats«.JetzthatderISsogarschoneigeneNummernschilder!AusdemWagensteigt ein bewaffneter jungerMann. Er bittet Frederic, dieKamera in eine andereRichtung zu halten,währenderdreiFrauenausdemMercedesaussteigenlässt.DanngehtermitihneninsKrankenhaus.Alserzurückkommt,bedanktersichfürdieDiskretion.

Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Langsam kommt die Sonne zwischen denWolken hervor. VomKrankenhaus geht es in die Innenstadt, zu jenerMoschee, in derAbuBakrAl Baghdadi vor ein paarMonatenseinePredigtgehaltenhat.DieMoscheemitdemschiefenMinarett,nebendemderTurmvonPisa fast senkrecht aussähe, ist rechtklein.Trotz ihrergrünenVerzierungen ist siebeiWeitemnicht soschön wie andere Moscheen der muslimischen Welt. Ihre Bedeutung jedoch ist enorm. Hier wurdeGeschichtegeschrieben,wennauchkeineschöne.AufdemMinarettwehtdieschwarzeFlaggedesISmitdemSiegeldesProphetensowiedemerstenSatzdesislamischenGlaubensbekenntnisses:»EsgibtkeinenGottaußerGott.«WasGottwohlüberdieTatendesISdenkt?ZuunsererÜberraschungdürfenwirdieMoscheenichtbetreten.IchbinohneStrümpfeschoneinpaar

Meterhineingelaufen,alsmanmichauffordertumzukehren.Bisherwurdeichinüber50JahrennochnievomBetreteneinerMoscheeabgehalten.NichteinmalinderAlAqsa-MoscheeinJerusalem.AberderäußersterregteQatadah lässtnichtmit sich reden.»Dasmagwohl sein,dass irgendwelcheAbtrünnigeIhnendasanderswomalerlaubthaben.AbereinrichtigerMuslimwürdeSiehierniereinlassen.«WasfüreinSchwachsinn!WirbleibenalsoamEingangstehen,knienunsniederundbetendemonstrativvondortaus.Sehrlange,

ganzinRuhe,jederfürsich.EinerunsererBegleiterläuftwährenddessenmitFredericsKameradurchdieMoschee und filmt für uns.Während unserer »Besichtigung« derMoschee sind wir drei die einzigenPersonen,diebeten.UnsereIS-MännerbetenwohlnurzuvorgeschriebenenZeiten.Danach sehen wir uns in der Gegend ein wenig um. Wir beobachten die Menschen in ihrem

Alltagsleben.Alleswirkt normal.Wennnicht überall IS-Fahnenund IS-Wandbemalungenwären, könntemannichterkennen,dasswirunsineinervomISbesetztenundregiertenStadtbefinden.AberistdasnichtinallentotalitärenStaatenso?HerrschtnichtauchdortbleierneNormalität?AbuLotherklärt:»SolangedieLeutesichandieGesetzeGotteshalten,könnensietunundlassen,was

sie wollen. Die Menschen hier haben ein einfaches, normales Leben.« Der freundliche und oft auchnachdenklicheAbuLothistinzwischenunserHauptansprechpartner,nachdemdieanderenunsgegenüberimmerschweigsamergewordensind.VieleLeutebetrachtenunsverblüfft.WieWesenvoneinemanderenStern.BesonderswennFrederic

filmt. Journalisten wird doch sonst der Kopf abgeschnitten. Wieso dürfen wir filmen? Unser IS-Kommandoisterfreulicherweisewiedermalweitweg.IchseheamStraßenrandeinenkleinen,vielleichtvierJahrealtenJungenstehen.ErschautmichmitgroßenAugenan.Ichlaufeaufihnzu,gehevorihmindieHockeundtueso,alswürdeichihmdieNaseklauen.AlsderJungeseine»Nase«zwischenmeinenFingernsieht,fasstersicherstauntinsGesicht.ZumGlückistsienochda.BewohnervonMosul,diedasmitbekommenhaben,freuensichdiebisch.

DieEinkaufsstraße, durchdiewirgehen, füllt sich.Wir seheneinen jungenMann im rotenFC-Bayern-Trikot. Er versteht nicht, warum wir uns freuen, ihn zu sehen. Bis er erfährt, dass wir ausMünchenkommen.AufseinemRückenstehtdieNummer7und»Ribéry«.Bayern-Fansim»IslamischenStaat«!WirsprechenmitzweijungenVerkehrspolizistendesIS.Dereineist24Jahrealt,seinKollegeerst15.

Derältereerklärtuns ihreAufgabe.Erbehauptet,dassdieVerkehrspolizei sehrangesehenundbeliebtsei,dasieeinengutenJobmache.UndwasistihreAufgabe?DenVerkehrsogutwiemöglichzuregeln.»Wirsindhier,umzuhelfen.«

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EinpaarSchritteweiter an einemFischstand liegenDutzende lebendigeKarpfen, die immerwiedernassgespritztwerden,damitsieamLebenbleiben.DieSzenelässtmichandasirakischeVolkdenken,dassseitG.W.BushsEinmarschimIrakbisheutesovielNotundLeiddurchlebenmusste.EinigenehmensichihrenFischlebendigmit,anderelassenihngleichausnehmen.Masgouf,dieser imFeuerofengegrillteKarpfen, isteineberühmteSpezialitätBagdads.Fredericund

ichsind2002amTigrisuferzumerstenMalindenGenussdieserKöstlichkeitgekommen.Damals,inderZeit der Sanktionen, hatte sich derRestaurantbesitzer so über unserenBesuch gefreut, dass er uns dasganzeAbendessenschenkte.AußerKarpfenundkleinerenFischenwirdhiernocheinFischangeboten,denichnochniegesehenhabe.Ersiehtauswieeindicker,grauerAal.AbuLotherklärtunslachend,dassdieSchiitendiesenFischhassen,daerAlibeimGebetaneinemFlussgestörthabe.»Siehassenihn.DieSunnitenaberliebenihn.JetztsinddieSchiitenweg,undderFischistwiederda.«MirbleibtdasLachenimHalsstecken,daichandievieleninMosulermordetenSchiitendenke.Dawirhungrig sind, schlage ichvor, ineinesderkleinenFischrestaurantszugehenundMasgoufzu

essen.»SindSiesichdasicher?«,fragtAbuQatadahungläubig.»Dieschmeckeneinmalig«,sageich.DieEinheimischenunterunserenBegleiternfindendieIdeesuperundzeigenuns,woesihrerMeinungnachdenbestenundfrischestenKarpfengibt.WirgehennachobenindenerstenStockdesvorgeschlagenenRestaurants.Esistzwarnichtgeradeder

saubersteOrtderStadt.Aber solangeesgut schmeckt, istunsdas egal.Zu trinkengibt esWasserundnatürlichPepsi.AllenschmecktderunbeschreiblichknusprigeundinnensehrsaftigeFisch.AußerAbuQatadah.Derbestellt sicheinenanderenFisch,der ihmaberauchnichtwirklichschmeckt.Obwohlerrecht viel davon isst. »Daswar ja ’ne ganz tolle Idee von Ihnen«, sagt er,während er sichdenMundabwischtundmichverständnislosanschaut.SohartundaufopferungsvollhatteersichdieReisemitunswohlnichtvorgestellt.Als ich auf demWeg zur Toilette durch einenNebenraummuss, sehe ich unsere beiden Fahrer aus

RakkaunvermummtmitzweieinheimischenBegleitern.Ichentschuldigemichundgeheweiter.Diekühngeschwungene Nase unseres strengen Cheffahrers bleibt mir im Gedächtnis. Ebenso seine langenschwarzenLocken,diebisindenNackenfallen.

AufderältestenBrückederStadtüberquerenwirdenTigris.AufderanderenSeitegabesvorKurzemeinen Luftangriff der Amerikaner. Ein paar Überreste der Explosion sind noch zu erkennen. Auch einausgebranntesPolizeiautoistnochda.WirnähernunseinerPolizeistation.MindestenseinDutzendschwarzgekleideter IS-Kämpferstehtauf

demPlatzdavor.Iraker,aberaucheinigeAusländer.Siemacheneinenruhigen,diszipliniertenEindruck.WieMänner,die ihrenBerufsehrernstnehmenund ihnmitStolzundWürdeausüben. IstdasderneueStaat?WirwerdenzumPolizeichefgebracht,dernichtälteralsAnfangvierzigzuseinscheint.Erträgteine

neue,olivgrüneUniform,darübereinebeigefarbeneamerikanischeSchutzweste,einenMunitionsgurtmitWaffeundamerikanischeArmy-Boots.AufdemKopfeineschwarzeMütze.MitseinemBartsiehterauswie ein junger Jamaikaner in US-Uniform. Er hat sich bereit erklärt, unsere Fragen zu beantworten.FredericfilmtdasGespräch.AbuLothübersetzt.HinterunsstehenwährenddesgesamtenGesprächselfweitereIS-Männer.DieAtmosphäreistziemlichgespannt.Für IS-Leute istdasallesneu.Warumkönnenwir uns so frei bewegen?Bisher kannten sieWestler nur inGefangenenuniformoder tot.Einer der IS-Leutestarrtmichausgesprochengrimmigan.Ersiehtaus,wieichmirimmerdieMärchenfigurAliBabavorgestellthabe.VonimposanterGestalt,einMuskelpaketmitausgeprägtemBartund tiefen,schwarzenAugenringen. Quer über seinen Oberkörper trägt er zwei schwarze Gürtel. In ihnen stecken mehrere

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HandfeuerwaffenundjedeMengeMagazine.Erschautmichan,alswollteermichinStückereißen.DerPolizeicheferklärtunsinblumigenWorten,dieLageinderProvinzNinivehundihrerHauptstadt

MosulseidurchdiePräsenzderIS-KämpferundderIS-Polizeiruhig,sicherundstabil.DieProvinzhabein ihrer langen Geschichte noch nie so viel Frieden erlebt. Nach Jahren der Anarchie könnten dieMenschen endlichwieder beruhigt aus ihrenHäuserngehen.OhneAngst vorÜberfällenoder vor demTod.Zwar gebe es hin undwieder nochDiebstähle.Aber die gebe es auf der ganzenWelt. IhreZahl sei

drastisch zurückgegangen.Manchmal vergehe eine ganzeWoche ohne eine einzige Strafanzeige. DankAllahundderislamischenPolizei.DasmitdenDiebstählenwillichgenauerwissen.Ichfrage:»Angenommen,SieschnappeneinenDieb,

deretwasgestohlenhat,wasmehrals40US-Dollarwertist.WirdderdannvoreinislamischesGerichtgestellt?Undwielangedauertes,bisihmdieHandabgeschnittenwird?DerPolizeichefantwortetauf»Beamtenarabisch«:»NachdemeinHaftbefehlgegendieentsprechende

Personausgestelltwurde,musssiezueinerStationderislamischenPolizeiderProvinzNinivehgebrachtwerden.Dort bleibt die Person ein, zwei Tage.Nicht länger.Dannwird sie zum islamischenGerichtgebracht,woihrFallregistriertwird,damitdasVerfahrenbeginnenkann.WennderWertdesgestohlenenGegenstandsüberdemMindestbetrag fürHandamputationen liegt,wirddieHandamputiert.Sowie esdas islamischeGesetz vorschreibt.« In den nächstenTagen sei keineHandamputation vorgesehen.DiedurchgeführtenAmputationenseiensehrabschreckend,Diebstahllohnesichnichtmehr.IchfrageihnnachderMeinungderBevölkerungzurPolizei.DerPolizeichefmeint,nachdenJahrender

AnarchieakzeptieredasVolkvonNinivehdiePolizeinichtnur,esliebesie.AnTagen,andenensienichtaufdenStraßenpräsentsei,vermisstendieMenschensieregelrecht.DieLeutehättenkeineLustmehraufdie Anarchie der letzten zehn Jahre. Ich erlaube mir, Zweifel anzumelden, aber die Begeisterung desPolizeichefsüberseineTruppeistnichtzubremsen.Außerdem arbeiteten Söhne aus sehr vielen Familien bei der Polizei. Das führe zu einer starken

VerbundenheitmitderBevölkerung.UnterdemaltenRegimehättendiesejungenLeuteallekeineChancebekommen. Die frühere Polizei sei eben nicht islamisch gewesen. Sie habe die Menschen schlechtbehandelt,abgekanzelt,beschimpftundsogargeschlagen.DieseZeitenseiennunvorbei.

Als wir sein Büro verlassen, kommen wir an zwei Zellen vorbei. Ich bleibe stehen, um mit denGefangenenzusprechen.DerPolizeichefhatteesmirausdrücklichgestattet.IneinerderZellensitzteinjungerMann,Mittezwanzig.Eristpeinlichberührt.Sein»Vergehen«:ErwurdemitseinerFreundinbeimRendezvous erwischt. Jetztmuss er dafür einenTag imGefängnis absitzen. Ich frage ihn, ob sie dennwenigstenshübschsei.DerjungeMannlächeltundnickt.Fredericunterbrichtmich.»Papa,hörauf,sonstbekommternochmehrProbleme!«IchfolgemeinemweisenSohn.ObderjungeManndieneuePolizeiwirklichsoliebt,wiederPolizeichefmeint?In der anderen Zelle sitzt ein alter Mann. Sein Vergehen ist der Besitz einer größeren Menge von

SchlaftablettenundAntidepressiva.EinerganzenPlastiktütevoll.Manzeigtsieuns,alsobmanunsdamitüberzeugen könnte. »Und Zigaretten hatte er auch«, sagt mir einWärter. Ein paar Tage wird er hierverbringenmüssen,dannkommterwiederfrei.ErtutFredericundmirschrecklichleid.Mansiehtihman,dasserseineTablettenbraucht.Erscheintsehrdepressivzusein.LeiderkönnenwirkeineChristentreffen.SieseienalleausMosulgeflohen.Siehättenangeblichnur

denSchutzvertragunterschreibenunddieJizyazahlenmüssen.Dannhättensiebleibenkönnen.Dochdiedrei christlichen Führer sollen sich dagegen entschieden haben. Sie seien von Al Baghdadi zu einemTreffeneingeladenwordenundeinfachnichterschienen.InnerhalbdernächstendreiTageseiensiedann

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mitdenanderenChristenausMosulgeflohen.Angeblich130000ChristenhättensoMosulverlassen.Siewolltennichtim»IslamischenStaat«leben.IndenFlüchtlingslagernvonErbilsindwirimAugusteinigenvonihnenbegegnet.AlswirdasGebäudeverlassen,nimmtAbuLothFredericaufdieSeite.Etwasverlegen fragter,ob

Frederic mich nicht daran hindern könne, immer nachzufassen. Einige wichtige Persönlichkeiten des»IslamischenStaats«–wieetwaderPolizeichef–seiendasnichtgewohnt.SiewürdenmeinständigesNachfragenalsunhöflichauffassen.Fredericreagiertabweisend.DaranmüsseAbuLothsichgewöhnen.Wirseienhierhergereist,umzurecherchierenundumAntwortenzubekommen.NichtumHöflichkeitenauszutauschenundTeezutrinken.WeitervertieftFredericdieKontroversenicht.

WirwerdenaufeinePatrouillenfahrtmitgenommen.DochwirkommennurbiszueinergroßenKreuzung,wenigeKilometer von der Polizeistation entfernt. Dort ist gerade eine größere Einheit der Polizei imSondereinsatz.DutzendeVerkehrspolizistenmitKalaschnikows kontrollierenAutos undPassanten.Diemeistenwerdendurchgewunken.»Esgehtdarum,vonZeit zuZeitdemonstrativPräsenzzuzeigen.Wirwollen, dass die Leute sehen, dass hier jetzt Recht und Ordnung herrschen«, erklärt Abu Loth. DerPolizeichef betont, dass seineMänner auch bei derartigenEinsätzen respektvoll auftretenmüssten. Sietätendasauch.AufeinemderPritschenwagenentdeckenwireindeutschesMG3.EsistmiteinemSchutzschildaufder

Ladefläche des Fahrzeugs montiert. Das MG3 stammt, nach Aussagen des stolzen Kämpfers, der esbedient,ausdendeutschenWaffenlieferungenandiePeschmerga.Erhatespersönlicherbeutet.SolandendiedeutschenWaffenlieferungenamEndeebendochindenfalschenHänden.Oftbeidem,derammeistenzahlt.DieKämpferfragenlachend,obwirdenKurdennichtnochmehrWaffenschickenkönnten.Wassienichterbeuteten,müsstensiespäteraufdemSchwarzmarktkaufen.

Auf der Rückfahrt zu unseren Bungalowsmerkenwir, dassmit unserem »Fahrer« etwas nicht stimmt.Irgendetwas muss ihm total missfallen haben. Seine Haltung uns gegenüber ist wieder ausgesprochenerbostundaufeinemneuenTiefpunktangelangt.Angeblich,weilichihnohneMaskebeimEssengesehenhabe. Aber der Weg zur Toilette führte nun mal an ihm vorbei. Außerdem hatte ich ihn nur flüchtigangeschaut.UndwarumistdassoeingroßesProblem?HatteFreddymitseinerdunklenVermutungdochrecht?Nachdemwirgeparkthaben,gibtdervermummte»Fahrer«FredericmitdemKopfeinunfreundliches

Zeichen,ihmzufolgen.SiegeheneinpaarSchritte,dannbleibensiestehen.Leichtnachvornegebeugt,denKopfetwasschräg,mitseinemhalbgeschlossenenOberlidschautder»Fahrer«Fredericstrengundgebieterischan:»I’mgoing to tell you somethingnowand youwill doas I say.Do youunderstandme?« – »Yes!« – »Alright. I am not going to discuss this. You’re gonna do as I tell you«, sagt erbedrohlich.»Youwill goandget your camerasnow, includingall yourmemory cards.Youwill givethemtome.Iwilllookateverything.MakeacopyforyouandIgiveyouyourcamerasbacktomorrowmorning.Areweclear?«11Fredericversuchtihmzuerklären,dasserdamitgarnichteinverstandenseiunddasserdieOriginal-

Memory-Cardswiederbrauche.Esseiauchnichtverabredet,dassderISKopienseinesMaterialsmache.DasgehesounterkeinenUmständen.Unser »Fahrer« ist kurz davor zu explodieren. Er bebt vorWut.Wir haben keine Ahnung, warum.

Fredericsieht,dassdieLagejederzeiteskalierenkann,undzucktdieSchultern.DannholterdieKamerasundgibtsieunseremgiftigenCheffahrer,bevoreszumtotalenBruchkommt.ZiemlichverwirrtgehenwirzuunseremBungalow.KurzvordemEingangentfachtsichdanneinStreit

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zwischenAbuQatadahundmir,weilichmichüberdasVerhaltendes»Fahrers«beschwere.Aufeinmalfängt Abu Qatadah an, laut zu werden. »Das ist uns scheißegal, wie Sie in anderen Ländern dermuslimischenWeltempfangenundbehandeltwurden.DiekriechenIhnendochallenurindenArsch.Wirkriechen Ihnen nicht in denArsch!«, schimpft er und hältmir die Faust vorsGesicht,während ermitseiner anderen Hand demonstrativ beleidigend auf seine Armbeuge schlägt. »Sie sind nie zufrieden.StellenimmerwiederFragen.HinterfragenunsdieganzeZeit,alles,waswirtun.SiegehenhiereinigenLeutenmächtigaufdenSack,wennichIhnendassosagendarf.Dasakzeptierenwirnicht.«DieNervenunseresIS-Kommandosliegenblank.Unsereeigentlichauch.AnstattmitunsindieWohnungzukommen,gehtAbuQatadahdemonstrativzudenanderenIS-Kämpfern

undlässtFrederic,MalcolmundmichdienächstenStundenallein imBungalow.DerandereBungalowfüllt sich mit unserem Begleitkommando und weiteren IS-Kämpfern. Was die wohl jetzt besprechen?War’s das jetztmit der Sicherheitsgarantie?Wo kommt diese ständigwachsendeAggression her?WirhabeneinsehrunangenehmesGefühl.

EinigelangeStundenspäterkommtAbuLothzuuns.Der»Fahrer«sei tatsächlichsauerundkaumnochansprechbar,weil ich ihnbeimEssenohneVollmaskierunggesehenhabe.Aberwarum soll das so eingroßesProblemsein?Ichhabeihnjanichtfotografiert.EinesoüberzogeneReaktionhabeichnochnieerlebt.»MancheMenschen wollen eben nicht erkannt werden. Ihr müsst das respektieren«, sagt Abu Loth.

Außerdem sei ich in ihren Augen nun mal extrem kritisch und würde bei jeder Gelegenheit dieVereinbarkeitihresHandelnsmitdemKoranbestreiten.DamitkämenvieleLeutehiernichtklar.Niemandwageesim»IslamischenStaat«,somitihnenzusprechen.DieStimmungseizurzeitebengereizt.Sorgenmüsstenwirunstrotzdemkeinemachen.Diewürdensich

schonwieder beruhigen, undmorgen sei ein neuerTag. So denke ich eigentlich auchmeist.WennmirFredericsVerdachtnichtimmerwiederdurchdenKopfginge.WarummachtderMannsoeinenAufstand,nurweilichihneinigeSekundenlangunmaskiertgesehenhabe?Waswirdhiergespielt?WennFredericrechthat,dannhabenwirjetzteinRiesenproblem.

SECHSTERTAGDONNERSTAG,11.DEZEMBER2014

Wieschongestern,frühstücktauchheutenurAbuLothmituns.FladenbrotundKiri-Käse.ZuunsererFreude scheintdieSonne.AbuQatadahkommtmitundurchdringlicherMieneherein:»Es

könnte heute Probleme geben. Es sind Drohnen in der Luft.Wir müssen heute vorsichtiger sein.Malsehen,obwirunserProgrammdurchziehenkönnen.Ichbinmirnichtsicher.«Danngehterwieder.»IhrhabtzehnMinuten«,sagter,ohnediegeringsteGefühlsregungzuzeigen.Einer unserer einheimischen Fahrer hat seinen neunjährigen Sohn dabei. So gefährlichwird es dann

wohl doch nicht sein. Unser erstes Ziel ist das Gericht. Hier wollen wir uns anschauen, wie dieGerichtsbarkeitinderPraxisfunktioniert.Voreinemblau-gläsernenHochhausbiegenwirvonderStraßeab.WirfahrendurchzweiSicherheitskontrollen,ehewiraufeinemParkplatzanhalten.Im Gerichtsgebäude sind viele Menschen. In der Eingangshalle ist kein Platz mehr frei. Über der

Rezeptionhängt einegroße IS-Fahne. 50Menschen undmehr sitzen oder stehen herum undwarten aufihrenTermin.ÜbereinegroßeWendeltreppemitgoldfarbenemGeländergehenwirindenerstenStock.Dorttreffen

wireinenRichter,derunteranderemfürStrafsachenverantwortlichist.AucheristkomplettinSchwarzgekleidetundträgteinenlangen,schwarzenBart.DadiesesGesprächaufFredericsKameraspätervon

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unserem»Fahrer«gelöschtwurde,hiereinigePassagenausMalcolmsReiseprotokoll:

JT:ÜberwelcheAngelegenheitenurteilenSie?

Richter:Strafrecht,Familienrecht,Schuldrecht,Erbrecht.

HabenSievielzutun?

Ja.Ichbearbeitezurzeitzirka30bis40Fälle.AuchinzweiterInstanz,wennnötig.

WohabenSieJurastudiert?

InverschiedenenMoscheen.

InMoscheen?

Ja,ichwarPredigerineinerMoschee,bevorderIShierhergekommenist.

ArbeitenhierauchRichter,dievorderMachtübernahmedesISschonRichterwaren?

Nein, die wurden alle getötet. Sie haben die Gesetze derMenschen über die Gesetze Gottes gestellt.Außerdemwarenvielevonihnenkorrupt.DieMenschensindmitdenneuenGesetzenundunsRichternzufrieden.WirwendenjaeinfachnurdieShariahan.Wirinterpretierennichtherum,sondernverfügennur,wasgeschriebensteht.AlleFällewerdendaherauchzügigerbearbeitet.

SindfürdienächstenTageirgendwelcheExekutionen,AuspeitschungenoderHandamputationengeplant?

Nein.

WelcheHandwirdeigentlichabgehackt?GibtesdaeineRegel?

Ja,immerdieHand,mitdergestohlenwurde.

Geschiehtdasoft?

IchselberhabenurzweimaldieHandabhackenlassenmüssen.IndergesamtenProvinzkamdasindenletzten vierMonaten nicht mehr vor. Es gab lediglich einen Fall von Hurerei. Die Verurteilte wurdegesteinigt.GlaubenSiemir,dasschrecktdieLeuteab.Außerdem, jetztwodieBestechungderRichternichtmehrmöglich ist, überlegen sichdieLeutegenau,ob sie eineStraftatbegehenodernicht.Früherkonntemansichfreikaufen.Dasgehtheutenichtmehr.GleichesRechtfüralle.

AbuQatadahfragt,obwiraneinerExekution teilnehmenwollten,das ließesichorganisieren.EsgebegenügendGefangenemitentsprechendenStraftaten.»Siemüssenesunsnursagen.WirhabendamitkeinProblem. Ich kann das auch selber für Sie machen. Was hätten Sie gerne? Einen Kurden oder einenSchiiten?«Erlächelt,währenderunsExekutionenundAmputationenanbietet.Ichlehneziemlichschroffab.Fredericistvölligschockiert.WasfüreinZynismus!Wirgehennachdraußen.

WirfahrenzueinemehemaligenStützpunktderirakischenArmee.InzwischenistereinStützpunktdesIS.Von hier aus wurde Mosul überrannt. Hier sind Tausende irakischer Soldaten vor den IS-Kämpferngeflohen.Siehabenallesstehenundliegenlassen.UnsereinheimischerFahrerhatkeinMitleidmitihnen.Eristvonihnengefoltertworden.EineWochelangbekamerElektroschocks,dievieleNarbenaufseinenBeinenhinterlassenhaben.DanachsaßermehrereMonate imFlughafengefängnis,eheersichfür5000US-Dollarfreikaufenkonnte.

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AmEingangderehemaligenMilitärbasiswartenwiraufeinanderesAuto.AmHimmelentdeckenwireinFlugzeug.»Americans!«,meintunserFahrer.EsseijedochnureinBeobachtungsflug,glaubter.Wieberuhigend! Wir fahren weiter auf das Gelände. Die Basis dient inzwischen als Trainingsgelände,GefängnisundWaffenstützpunktdesIS.DasGeländeistriesig.WirstoppenaneinemPanzerfriedhof.Sosiehtesjedenfallsaus.Hierstehenmindestens50bis100Panzer,alte,neue,russische,amerikanische.Ichverliere einwenig denÜberblick.Ein apokalyptischerAnblick.Auf einemder Panzer ist einGraffitoangebracht:»I’msorry!«AngeblichwerdenwirgleichKämpferbeimTrainingsehen,vielleichtauchGefangene.DochüberunsistaufeinmaldasSurrenvonDrohnenhörbar.UnsereDelegationwardenAmerikanern

wohldochzugroß.Hektikkommtauf.WirmüssendasProgrammabbrechen.WirfahreninverschiedeneRichtungen,umeinenAngriffzuerschweren.DieStimmungistangespannt.Immerwiederkommunizierendie IS-Kämpfer über ihreFunkgeräte.UnserFahrer drückt aufsGaspedal. ImVorbeifahren zeigt er unsEingänge,diezuGeheimgefängnissenführen.WirkommenaneinemFußballfeldvorbei,dannankomplettzerstörtenBaracken.Hieristnichtvielübriggeblieben.DannsindwirwiederamEingangstor.HierstehteinhalbesDutzendschwarzgekleideterMännerund

Kinder mit roten Mützen. Sie sind mit Maschinengewehren, amerikanischen M16 und russischenKalaschnikows bewaffnet. Sie gehören einer Spezialeinheit der Polizei an. Während ich mit ihnenspreche,wirdFredericmehrfachvoneinemuniformiertenKerlangerempelt,erschubstihnvorsichher.NurmitMühegelingt esAbuLoth zu schlichten.Einige derKämpfer scheinenunter großemStress zustehen.DieantiwestlichePropagandadesISzeigterkennbarWirkung.DiedreiJüngstenderEinheitsindangeblichzwölfunddreizehn,sehenaberehernoch jüngeraus.Siebehaupten,auchschonanKämpfenbeteiligtgewesenzu sein.Siewürden für ihrenKampfund ihre täglicheArbeit abernichtbezahlt.Siemachten es für die Ehre. Zwei von ihnen gehen nebenbei zur Schule.Wir können das Gespräch nichtvertiefen.DieDrohnen sind noch immer in derLuft.DiePolizisten rufen uns hinterher, dass sie keineAngst vor Drohnen oder Flugzeugen hätten. Sie fürchteten nur Allah. »Wir werden Obama zu Hausebesuchen«,lautetderSatz,mitdemsiesichverabschieden.

WirfahrenzueineranderenBasis.DavorstehteinegoldenangemalteamerikanischeHaubitze.Obendraufeine IS-Flagge. Wir steigen aus und werden freundlich begrüßt. Einer der IS-Kämpfer sieht aus wieGeorgeClooney.ÜberseinerCamouflageträgtereinegrüneWeste.»US«stehtgroßaufseineSchulter.ErträgtdasamerikanischeEmblemerstaunlicherweisemitgroßemStolz.DiemeistenKämpferhierscheinenmitamerikanischenM16-Gewehrenausgerüstetzusein.VorderHaubitzeführeicheinkurzesInterviewmiteinemKämpfer:

JT:WoherkommenSie?

Kämpfer:Ägypten.

WowarenSiewährendderägyptischenRevolution?

IchhabeinMekkagearbeitet.

WasdenkenSieüberden»IslamischenStaat«?

DerProphet,Friedeseimitihm,kammitderReligionAllahs.EretabliertedieReligiondurchdenJihadund nicht durch Wahlen und Beratungen, wo jeder seine Meinung sagen kann, ob er mit dem Islamübereinstimmtodernicht.WahlenbedeutenUnglaubeundKampfgegenAllahundseinenPropheten.

DeshalbkämpfenSiefürden»IslamischenStaat«?

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Ja,weildie IS-Anhängerberücksichtigen,dassAllahderSchöpfer ist.Siedistanzierensichvonjedem,derAllahundseinenGesandtenbekämpft.

Einer der Kämpfer, der das Interview interessiert beobachtet hat, zeigt mir stolz sein amerikanischesSniper-Scharfschützengewehr.Wir schauen durch sein Zielfernrohr auf eine etwa 500Meter entfernteRuine.DerBlickdurchdasFadenkreuzistbeeindruckend.Mankönnte jemandemvonhiereinenLöffelausderHandschießen.

WirfahrenineinRestaurant.WährendwirLamm-Kebab,ReisundBrotessen,erzähltAbuLoth,dassernichtglaubt,dassderISzubesiegensei.ErpersönlichhabeallseinenBesitzaufgegeben,seineFamilieverlassen,umhierimISsterbenzukönnen.DieMotivationseisogroß.Jederhierseibereit,seinletztesHemdzugeben.»WirziehenmitSprengstoffgürtelnindenKampf.WirwollenbiszumSchlusskämpfen.Ihr nicht.« Er wünscht sich, bald dem eigentlichen Feind gegenüberzustehen. Den Amerikanern. »WirmusstensovielLeiddurchsieertragen.InGefängnissenwieAbuGhraib,inGuantanamo,inAfghanistan,hier.«Obamaseidochratlos.ErwollenurseinVolkbesänftigen.DaherdiezögerlichenLuftschläge,mitdenenerinMosulfastnurZivilistentreffe.DasseijedesMalfeigerMordanUnschuldigen.AberdemISwürdendieBombardements immermehrZulaufbescheren.UndneueMotivation, dieAmerikanerbaldrichtigzubekämpfen.IchfrageAbuLothwiedernachdembritischenJournalistenJohnCantlie.AbuLothsagt,dassergehört

habe,dassdieser inzwischenbete.Wievorgeschrieben fünfmalamTag.Wenndas stimme,dannseierjetztdefactoSklaveundkeinGefangenermehr.WiekannichdiesemMannbloßhelfen?

Freddy macht sich jeden Tag mehr Sorgen.Weil er unsere Familie und die vonMalcolm nicht mehrerreichen kann. Er hatte versprochen, sich regelmäßig zumelden. Aber seine letzte E-Mail liegt eineWochezurück. Ihm istklar,dasszuHause langsamPanikausbrechenmuss. Inden letztenTagenhattenunsereBegleiterimmerneueAusreden,warumwirnichtzueinemInternetcaféfahrenkonnten.JetztabersagtAbuQatadah,dassesinMosulkeinInternetgebe.IchfragedenRestaurantbesitzer,undsieheda,esgibtnatürlichInternet.Sogarbeiihm.Wirkönntenes

nutzen,wennwirwollten.AbuQatadah ist darüber gar nicht erfreut.Er regt sichdrüber auf, dass ichseineAusredenichtakzeptierthabeundwiedermalDruckausübe.WenigstensendetdieDiskussionnichtwie gestern Abend mit Drohungen. Abu Qatadah verspricht, dass wir heute Abend eine E-Mailverschickenkönnten.Es istGebetszeit.DerRestaurantbesitzerschließtseineJalousienunddieTür.Das ist im ISwährend

derGebetszeitenverpflichtend.NachdemGebetfahrenwiranjenemOrtvorbei,andembeiderEroberungMosulszwei IS-Kämpfer

mitihrenAutosmehrereCheckpointsdurchbrachen.AnschließendsprengtensiesichvoreinemHotel,indem gerade die irakische Generalität ihre Abwehrstrategie gegen den IS beriet, in die Luft. SechsGenerälestarben,dieanderenflüchteten.IhreDivisionenimGefolge.Wir halten an einem Kreisverkehr an. Ohne zu wissen, warum. Zehn schwer bewaffnete, schwarz

gekleidete, maskierte Männer tauchen auf. Ein kräftiger Mann führt einen Gefangenen mit kurzgeschorenen Haaren und langem rotbraunem Bart in unsere Richtung. Der Gefangene, der eine gelbeHäftlingskluftträgt,wirdnuraneinemFingergeführt.Erscheintvölliggebrochenzusein.AufderStraßeereignet sich krachend ein Auffahrunfall. Preis der Neugierde. Zögernd gehen wir in die Mitte desRondells.»DasisteingefangenerPeschmerga.Siekönnenihnjetztbefragen.«SpezialeinheitenumstellenunswährenddesGesprächs.DieanderensicherndenPlatzab.AlleAutoswerdenzumStehengebracht.Nichtsbewegtsichmehr.

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DerGefangene sagt kaumhörbar zumir: »Danke, dass Sie sichZeit fürmich genommen haben.« InseinenAugenliegtvölligeHoffnungslosigkeit,Resignation.

JT:WannwurdenSiegefangengenommen?

Gefangener: Im Sommer.Wir waren 13Männer. Eine Gruppe wohnte in der Nähe des Dammes, diezweiteinderNähedesTabadul-Platzes.DiedritteGruppehattesichverlaufen.WirkamenbeiSitmarkhoan.Dortwurdenwirfestgenommen.

SeitwannseidihrinHaft?

Seitdem15.Juni2014,seitsechsMonaten.

WieistderISmitIhnenumgegangen?

DieBehandlungistnichtsoproblematischfüruns.WirsorgenunsumunsereAngehörigen.AmAnfangkonntenwirnichtzwischenTagundNachtunterscheiden.WirwusstennichtsüberunsereZukunft,obwirfreigelassenwürdenodernicht.Wirwusstennur,dasswirüberlebthatten.

AbuLoth:ErfragtdichüberdenUmgang!Erkläreesihm!

DieBehandlungwarinOrdnung,noproblem.

WaswarenSievonBeruf?

Soldat,einfacherSoldat.

SindSieMuslim?

Ja.

Habensiegesagt,wassiemitIhnenmachenwerden?

Sie sagten, wir seien für sie Austauschgefangene. Wir appellierten an die Regierung Kurdistans, anPräsident Barzani, bei diesem Austausch mitzumachen. Die Regierung reagiert nicht. Sie zeigt keinInteresse.

AbuLoth:Erfragt,wiewurdestduvomISbehandelt?Hastdugutgegessen,gutgetrunken?

DieBehandlungwargut,sehrgut,problemlos.

SindSieverheiratet?HabenSieKinder?

Nein,ichbinnichtverheiratet,ichhabeaberGeschwister.SiesindWaisen,deshalbmussteichmichumihrenLebensunterhaltkümmern.

WeißIhreFamilie,dassSieinIS-Gefangenschaftgeratensind?

Ja, sie wissen es seit sechs Monaten. Wir wurden im Fernsehen interviewt. Wir appellierten an dieRegierung,anBarzani.UndauchanunsereFamilien,aberohneAntwort.Nunwissensienicht,obwirnochlebenodernicht!Siewissennichtsmehrüberuns.

WieheißenSie?

HasanMohammadHashim.

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AuswelcherRegionkommenSie?

AusQada’Khabat;inderNähevonErbil.

HabenSiegegendenISgekämpft?

Wirwaren13.Wirhabennichtgekämpft.

SeineStimmestockt.ImmermehrSchaulustigedrängensichaufdenPlatz.DerMannundseineöffentlicheZurschaustellung tun mir unendlich leid. Die Hilflosigkeit von Kriegsgefangenen hat mich immererschüttert.Ichwillabbrechen.PlötzlichwirdeineDrohnegesichtet.ZumerstenMalfreueichmichüberdiese tödliche Bedrohung. Ich drücke dem Peschmerga lange und fest die Hand. Dann wird erweggebracht.UnterwegswirdihmeineStofftüteüberdenKopfgezogen.Wirwerdenaufgefordert, schnell inunsereAutoszusteigen.WieaufKommandokommtderVerkehr

wiederinsRollen.WirfügenunseinundverschwindenimdichtenVerkehr.AbuLotherklärt,dassesmitdenTürkenbereitseinengrößerenGefangenenaustauschgegebenhabe.49TürkenseienausdemKonsulatin Mosul freigelassen worden. Die genauen Details will er uns nicht erklären. Die Türken würdenerzählen,esseieineBefreiungsaktiongewesen.Ergrinst.Mit den Kurden habe es noch keinen Austausch gegeben, der IS erhoffe sich dies aber. Die zwölf

anderenPeschmergasollenauchausgetauschtwerden.AbuQatadahstelltsicheinVerhältnisvonhundertIS-KämpferngegeneinenPeschmergavor.SowiebeidenPalästinensernunddenIsraelis.

WirfahrenzumMashki-Gate.VorbeianFußballspielendenJugendlichen.AmGatetreffenwirunsmitIS-Kämpfern,dieanderEroberungMosulsbeteiligtwaren.Siesindzwischen25und35JahrealtundnichtgeradeHünen.VordemMashki-GateunterhalteichmichmiteinemderKämpfer:

JT:SiewarendieerstenKämpfer,dieMosuleroberthaben.Stimmtdas?

IS-Kämpfer:Ja.

WievieleTagehabenSiegebraucht,umMosulzuerobern?

ÜbervierTage.

WievielMannwarenSie?

DieGesamtzahlderKämpfer,dieMosuleroberten,betrugnichtmehrals300Kämpfer.

Wieviele?!

300!Vielleichtweniger.

UnddieirakischenTruppen,IhreFeinde,warenwieviele?10000,20000,30000?

Rund24000.

WasglaubenSie?Warumsinddieweggelaufen?Warumsind24000vor300Manndavongelaufen?

Warumdievorunsweggelaufensind?DasistdieStärkeunseresGlaubens.WirerobernnichtwegenderStärke unserer Waffen. Allah ist es, der Allmächtige, der uns den Sieg verleiht. Wir haben diesesSprichwort:»DieFurchtdesFeindesgewährtdenschnellenSieg.«

WaswarenIhreWaffen?HattenSieKalaschnikows?

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DiestärksteWaffe,diewirhatten,wardie23-mm-Flak!

UndwaswarendieWaffendesGegners,derirakischenTruppen?

Flugzeugewarenüberuns, aberdankAllahkonnten sieunsnicht schaden.SiehattenauchMörserundKanonen.VieleverschiedenestarkeWaffen.AberdankAllahhabendieseWaffenunsnichtAngstgemachtoderunszurückgehalten.DankseiAllah,derunsgeholfenhat!

AuchHelikopter?

Ja,dawareinHubschrauberüberuns,umaufunszuschießen.

UndHubschrauberkonntennichtsgegenSieausrichten?KonntennichtgegenSiegewinnen,gegen300Personen?!

DerHubschrauberschossaufuns.Aber,dankAllah,verpasstensieuns.Sieschossenhinteruns,voruns,nebenuns.Siemusstensehrhochfliegenundkonntennichttieferkommen.

Siesagen,nachvierTagenschlugenSiedieArmeeindieFlucht.

Ja.Wir haben vier Tage auf der rechten SeiteMosuls gekämpft. Doch als unserMärtyrer-Bruder dieBrücke in die Luft jagte, bekamen sie, Dank sei Allah, Angst. UndMosul wurde mithilfe von Allahinnerhalbvonwenigerals24StundenerobertundwarindenHändendesIslamischenStaats.

Diesindeinfachweggerannt?

Ja,sieliefenvonihrenStandortenweg.SieließensogarihreschwereAusrüstung,ihrePanzer,Hummer-Geländewagen,Waffenundalles zurück.DankAllahhabenwirvon ihrer zurückgelassenenAusrüstungprofitiert.SiehinterließensogarihreKanonenundFlugzeuge.

UndwiekönnenSiesicherklären,dassmitwenigerals300Leuten24000indieFluchtgeschlagenwerden?WieerklärenSiesichdas?

Wirhabennicht24000getötet.WirtöteteneineReihevonihnen.Abersieerschrakenundliefenweg.Wirsindnichtweggelaufen.AllahderAllmächtigehatunsdenSiegversprochen,wennwirkämpfen.Undsogewährte Allah uns den Sieg. Unsere Feinde hatten keine Lehre, für die sie kämpften. Sie kamen ausfinanziellenGründenundumeinenTyrannenzuunterstützen.

GabeseineBelohnung?HabenSienachdemSiegGeldbekommen?

Wir haben einen Teil der Beute ausMosul bekommen. Die Abtrünnigen hatten viel Beute, viel Geldzurückgelassen.Also bekamenwir einen Teil davon. EtwasGeld. Es entsprach vielleicht demGehalteinesderAbtrünnigen.EinGehalt.Vielleichtauchmehr.

UndSiedenken,SiewerdendenKrieginganzIrakundSyriengewinnen?

Zunächst einmal sindwir sicher,dassAllahunshelfenwird, alleLänder zugewinnenundzuerobern.Rom,auchKonstantinopelundAmerika,wirwerdensiealleerobern.Wirsindunsabsolutsicher.

WieistIhrName?

Ahmad.

Dankeschön!

DannreicheichdemjungenKämpferzumAbschieddieHand.DocherverweigertdenHandschlagund

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schautmichabfälligan.ErundseinKumpel,deraussiehtwieRambo,wollenmirnocheinpaarSätzemitaufdenWeggeben.Dinge,dieihnenamHerzenliegen,wiesiesagen.WennsienachDeutschlandkämen,wärenwirdieErsten,diesietötenwürden.Siewürdenunszufindenwissen.DabeifährtersichmitdemZeigefingervonlinksnachrechtsüberdenHals.WirsindebenFeinde.DaranändertauchdieGarantiedesKalifennichts.Wir gehen zum Auto. Mein »Kameramann« Frederic bittet Abu Loth, ausnahmsweise ein paar

Erinnerungsfotosvonihmundmirzumachen.AlsFredericdieFotosdanachimAutoanschaut,siehter,dassderRamboihmwährendderAufnahmenvonhintenseineM16andenKopfhält.

AlsNächstesstehtdasInterviewmitAbuQatadahaufdemProgramm.EssolleinetwasgrundsätzlicheresGesprächüberdieZieledesISwerden.WirsuchenunseinenPlatzaufeinemHügel.VonhieraushatmaneineguteSichtüberMosul.Hinter

mirundAbuQatadahpositionierensichdreiderschwarzgekleideten,maskiertenMosul-Kämpfer.DasInterview findet unter ziemlichemStress statt, es herrscht dicke Luft.Deutlicher als die Eroberer vonMosul, die sich nun um uns herum aufbauen, kann man seine Abneigung uns gegenüber kaum zeigen.LässighaltensieihreMaschinenpistoleninunsereRichtung.DasInterview,dasspätervom»IslamischenStaat«ausdrücklichfreigegebenwurde,istnichtüberarbeitet:

JT: Abu Qatadah, was ist die Motivation dafür, dass Sie heute nicht in Deutschland sind, sondern hier als Kämpfer im»IslamischenStaat«?

Abu Qatadah: Der erste Grund der Motivation, warum ich und auch alle anderen Deutschen oderEuropäerhiersind,istalsErstesAllah,subhanahuwata’ala.Also,umIhmzugehorchen,dennesisteinBefehlvonAllah,subhanahuwata’ala,unddarübersindsichdieGelehrteneinig,dassdieHijra12zumIslamischenStaatPflicht ist.UnddassdieAuswanderungvon jedemvollzogenwerdenmussunddassdieserStaatvon jedemunterstütztwerdenmuss.UnddeswegensindwirdiesemAufrufnachgekommenundhabendieAuswanderunghierhinvollzogen.Undnunsindwirhier.

SindSieinDeutschlanddiskriminiertwordenalsMuslim?

Ich denke, jeder kann sagen, oder jeder hat seine eigeneGeschichte, und natürlich auch ich, dass dasZusammenlebenmit denKufar13 in Deutschland nicht möglich ist.Weil der einzige Grund, dassmanvielleicht imLanddesKufr seinkann, ist,dassmanseineReligion freiauslebenkann.UndderGrundeinerfreienAuslebungistnichtdasfünfmaligeGebetamTagoderdasFastenimRamadan,sondernistdas Schlachten beispielsweise und die islamische Heirat und so weiter. Und dies wird alles inDeutschlandnichtanerkannt,undsomitistjederMuslimdiskriminiert,ja,undnichtnurichselber.AbernatürlichhabenwirauchDiskriminierungvonderPolizeiodervonStaatsmächtenerfahren.

WassinddieZieledes»IslamischenStaats«,wennSyrien,großeTeilevonSyrien,undIrakerobertsind?Istdasalles,odergehtesdannweiter?

DasZieldesIslamischenStaatsinersterLinieist,dieShariahvonAllahzuetablieren.SeiesimIrak,inSyrien.WirhabenjetzteinigeExpansionenerlebtnachLibyen,nachSinai, inÄgypten,nachJemenundaufdieArabischeHalbinsel imsogenanntenSaudi-Arabien.Undnatürlich,wir sagen,wirhabenkeineGrenzen,sondernwirhabennurFronten.Dasheißt,dieExpansionwirdnichtstoppen.

Dasheißt,SiewolleneinesTagesauchEuropaerobern?

Nein,nein,wirwerdeneinesTagesEuropaerobern!Nichtnurwirwollen,wirwerden,dasindwiruns

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sicher.

WieistdieRolledereinzelnenReligionenim»IslamischenStaat«?WelcheRechtehabenChristenundJuden?

Juden undChristen, undmancheGelehrten sagen, auch die Feueranbeter, haben dieMöglichkeiten, imIslamischenStaatdieJizyazuzahlen,dieKopfsteueroderdieSchutzsteuer.Undwennsiediesezahlen,siehabennatürlichSchutzvorunsundauchSchutzinihrerReligion.Alles,wasinihrerReligionist,darfausgelebt werden. Natürlich darf nicht dazu aufgerufen werden. Aber Fakt ist, sie haben Schutz, siekönneninRuheleben.Wennnicht,werdensieallegetötet.

Getötet?

Ja,odervertrieben.WieinMosulbeispielsweise.SiehattendreiTageZeit,dieSchutzsteuerzuzahlen,siehabensichdagegenentschieden,undsiesindalleabgehauen.

UndwasgiltfürSchiiten?Wirhabenmindestens150MillionenSchiiteninderWelt,imIrak,imIran,wasgeschiehtmitdenen?

DieSchiiten,wirbetrachtendiealsRafidah,alsoMurtadin.

Abtrünnige?

Abtrünnige.Richtig.UnddiehabeneineMöglichkeit.AbuBakrAlBaghdadihatzujedemgesagt,derindieRidda,dieAbtrünnigkeit,gefallenist.SolangewirkeineMachtüberihnhabenunderTaubamacht,alsowennerReuezeigt,wirwerdenseineReueakzeptieren.Egal,wievieleervonunsgetötethat,auchwennerHundertevonunsgetötethat.WirwerdenseineReueakzeptieren.Wirwerden ihnalsBruderaufnehmen,alsMuslim.Wennerdasnichtmacht,wirwerdenihntöten.UndfürdieSchiitengibteskeineMöglichkeitderSchutzsteuerodersonstirgendwas,sondernnurdenIslam,oderdasSchwert.

UndwennsichdieSchiitenIraksunddieSchiitenIrans,die150Millionen,dieesaufderWeltgibt,weigernzukonvertieren,dannheißtdas,siewerdengetötet?

Ja,genausowiewirdas…

150Millionen?

150Millionen,200Millionen,500Millionen,unsistdieAnzahlegal.

WerdenSiedannalleMuslimeinEuropa,diesichIhremGlaubennichtanschließen,töten?

Der,dersichunseremGlaubennichtanschließt,derschließtsichdemIslamnichtan.UndwenneraufseinenIrrwegenbeharrt,danngibtesnatürlichauchkeineandereWahl–außerdasSchwert.

Töten?

Definitiv.

DassindsehrharteAussagen,dieSiedatreffen.

DassindnichtdieAussagen,die ich treffe,sonderndas istdasUrteildesIslam,wasüberdieseLeutegesprochenwird,unddasUrteilderAbtrünnigkeit,undjederAbtrünnigewirdgetötet.

InDeutschlandgibtesvieleSorgen,und inAmerikaund inEngland,dassesAnschlägevon IhrenAnhängerngebenwird.AnschlägegegendeutscheChristen,deutscheMuslime.IstdamitzurechneninnächsterZeit?

Obdamitzurechnenist,daskannichIhnennatürlichnichtsagen.Deutschland,Amerika,Europa,England,

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wiedieganzenLänderauchheißen,bekämpfendenIslamischenStaat.SiewissenvonderKoalition.AlledieseLändersindklassifiziertalsDaral-Harb,LänderdesKrieges,mitdenenwirimKriegstehen.Unddie müssen damit rechnen, dass dort auch gekämpft wird. Hitler hat den Kampf in die Sowjetuniongetragendamals,unddanachhatdieSowjetuniondenKampfnachDeutschlandgetragen.UnddasistwasganzNormales.

Also,alssosehrnormalsehenwirdasnichtan.MussmaninabsehbarerZeitmitAnschlägendes»IslamischenStaats«inDeutschlandrechnen?

Die Sache ist, ob Sie das normal ansehen oder nicht, das interessiert uns herzlich wenig. Weil Siebekämpfenuns,derdeutscheStaatbesondersbekämpftuns.ErhatWaffenlieferungenandiePeschmergagemachtundhatdieMurtadininetlichenRegierungenausgestattetundsoweiter.UndbekämpftdenIslamschonseitsehr,sehrlangerZeit.MindestensseitNurad-DinZengioderseitSalah-ud-DinAyubiundsoweiterundsoweiter.Unddeswegen,diemüssensichdaraufgefasstmachen.Definitiv.

DassesAnschlägegibt?GrößereAnschlägeoderAnschlägevoneinzelnenPersonen?

WieAbuMohammadAlAdnanigesagthat,unseroffiziellerSprecherdesIslamischenStaats.ErhateinenAufrufanMuslimeimWestengemacht,dieunterdenKufarlebenundsoweiter.ÜberprüfteureLoyalitätundeureLossagung.DieLossagungvondenKufarunddieLoyalitätzudenMuslimen.WiekönntihrdortinRuheschlafen,währendwirhierbebombtwerdenvondenAmerikanern?UndwiedieRegierungendenKampfgegendenIslamunterstützenundsoweiter.Deswegensagter,ungefähr,nehmtBomben,sprengtsie in die Luft oder stecht sie ab mit demMesser, und wenn ihr das nicht könnt, dann spuckt ihnenwenigstensinsGesicht.

Sind das eher Rückkehrer, die jetzt vom »Islamischen Staat« nach Deutschland zurückkehren, die die Attentatemachenkönnten?

ObdasRückkehrer sind,weiß ich nicht. Fakt ist, dieRückkehrer sollten auf jedenFallReuemachen,wegenihrerRückkehrvomIslamischenStaat.

Also,dieRückkehrersindnichtIhreengstenVerbündeten?

Obdas unsere engstenVerbündeten sind…Was ihreRückkehrgründe sind, dasweiß ich ja nicht. Ichhoffenicht,dasssiesich losgesagthabenvomIslamischenStaatunddasssie ihreReligionüberprüfen.Unddasssie,wiegesagt,ReuemachenvonderRückkehr,vonderAbreisevomIslamischenStaat.Undwirhoffennatürlich,dasssiesichbesinnenundweiterfürdenIslamkämpfen,egal,wosiesind.

SiesindumstandenvonKämpfern,dieMosulimAugustmiteroberthaben.Eswarenfast30000irakischeSoldaten.Wieviele»IslamischerStaat«-Kämpfer,IS-Kämpfer,ISIS-Kämpferhabendieseknapp30000irakischenSoldatenbesiegt?

Also,wievieledasgenausind,ichglaube,daskannkeinerletztendlichgenausagen.

Größenordnung?

WirhabenZahlenvon183bis200,bis300,bis500.Selbstwennes1000warenoder2000.DieZahlistimmernochsehr,sehrgering,umgegendieseLeutezukämpfen.WirgewinnennichtdurchWaffenoderAnzahlvonMännern,sondernwirgewinnendurchAllah,subhanahuwata’ala,unddurchdieFurchtindenHerzenunsererFeinde.

KämpftderKalifandenFronten,andenenSiezurzeitkämpfen,kämpftIhrKalifmit?

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Natürlich.EsgibtFronten,woAbuBakrAlBaghdadimitkämpft.DennwirhabenAnführer,dieihrVolknichtbelügen,sondernwirhabenAnführer,diedazustehen,wassiesagen.UndnatürlichAbuMohammadAdnaniundandereFührer,AbuBakrAlBaghdadiundsoweiterundsoweiter,kämpfennatürlichindenSchlachtenmit,unddasauchanvordersterFront.Weil siewollen,genausowiealleanderenKämpferauch,dieSchahadahaben,dasMärtyrertum,undzuAllah,subhanahuwata’ala,zurückkehren.

Sie,der»IslamischeStaat«,habeninteilweisespektakulärerFormMenschengeköpftundhabendasgefilmt,SiehabendieSklavereieingeführt,habenJesidenversklavt.FindenSie,dassdasKöpfenvonMenschenunddieSklavereieinFortschrittsindfürdieMenschheit?

EinFortschrittoderwieauchimmer.Ichdenke,eswirdniemalseineMenschheitgeben,ohnedassdieseSachenpassiertsind.UnddasisteinTeilvonunsererReligion,umdenKufardieAngstzulehren,diesievorunshabensollten.UndwirwerdenweiterhinMenschenköpfen.Egal,obdasSchiitensind,obdasChristenoderJudensindodersonstirgendetwas.Wirwerdendasweiterhinpraktizieren.UnddieLeutesollten darüber nachdenken. James Foley und wie sie alle heißen sind nicht gestorben, weil wir denKampfangefangenhaben,sondernsiesindgestorben,weilihreignoranteRegierungihnennichtgeholfenhat.

EmpfindenSieSklavereialseinenFortschritt?

(Lacht.)Definitiv.EinFortschritt,eineHilfeundsoweiter.Sklavereihatesimmergegeben.HatesunterJudenundChristengegeben.

Aberwurdeabgeschafft.

NurweilirgendwelcheignorantenMenschensichdenken,dassesabgeschafftwurde.ImWestengibtesimmer noch Sklaverei, das wissen die Leute immer noch. Da gibt es Prostitution mit Frauen, diegezwungenwerden,undsoweiter.UnterübelstenBedingungen.DieSklavereiimIslamhatRechte,undwenndieSklavenzumBeispielzumIslamübertretenodersoweiter,esgibtviele,diebefreitwurden.UndwirlehrendenIslam,undwirlehrensieeineguteSache,undwirhabenMoral,und…wirhaben…(stockt)

…Glauben?

NichtnurGlauben,natürlichauchGlauben,aberhaltauchvieleandereDinge,dieunsanRegelnhaltenlässt.UndeineSklavin,eineKafira,indenHändenvonMuslimenistbesseralseineKafira,dieeinfachfreiirgendwodraußenrumläuftundmacht,wassiewill,rumhurtodersonstirgendetwas.

SiewarendeutscherProtestant.SiewurdenMuslimundsindjetzthierim»IslamischenStaat«.WirsindhierinMosul,dasSieeroberthaben.MeineFrageist:WerdenSieeinesTagesnachDeutschlandzurückkehren?

Dank sei Gott. Allah hat mich rechtgeleitet und hat mir die Hijra gewährt, die Auswanderung ausDeutschland. Wir haben das mehrere Male probiert. Letztendlich hat es geklappt. Nach Sham, zumIslamischen Staat. Und wir sind ein Teil des Islamischen Staats, um diesen aufzubauen. Ob ichzurückkehre nach Deutschland, das weiß ich nicht. Das weiß nur Allah. Aber wir werden definitivzurückkehren,unddaswirdnichtmitFreundlichkeitenseinodersonstirgendetwas,sonderndaswirdmiteinerWaffeseinundmitunserenKämpfern.UndwerdenIslamnichtannimmtoderdieJizyanichtzahlt,denwerdenwirtöten.

Das also war das Interview. Abu Qatadah blickt triumphierend auf die anderen IS-Kämpfer, die ihn

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beglückwünschen. Vor allem die zwei jungenMosul-Eroberer, die uns vorhin am liebsten an Ort undStelle enthauptet hätten, strahlen ihn an und heben den rechten Daumen. Abu Qatadah ist für sie eintapfererDeutscher.WirabersindFeinde.

Frederic,Malcolm und ich sind erschöpft. Eigentlich haben wir inzwischen genug vom IS gehört undgesehen.Wir könnten uns gut vorstellen,morgenwieder zur türkischenGrenze zu fahren.Doch leiderhabenunsereGastgeberdaandereVorstellungen.Siebehaupten,dasswirfürdieFahrtzurücknachRakkaeinenanderenBeifahrerbräuchten.Bismorgenseidasjedochnichtmöglich.»Ihrkönntmit300MannMosuleinnehmen, aber ihrkönntbismorgenkeinenFahrerorganisieren?«,

maultFrederic.AbuLoth,derewigGelassene,antwortet,esgebekeinenGrund,ausfälligzuwerden.Wirsollteneseinfachakzeptieren.

Wir fahren zu unseren Bungalows. Keiner hatte damit gerechnet, dass wir so lange unterwegs seinwürden, deshalb haben wir auch keine saubere Wäsche mehr. Also waschen wir unsere Wäsche imWaschbeckenundhaltensiedannfasteineStundevordenHeizungsventilator,umsiezutrocknen.AbuQatadahundAbuLoth lassenunswieder stundenlangallein.ZumAbendessenholenwerdenwir

allerdingsmitgenommen.Wirgehen ineinenSupermarktundkönnenaussuchen,waswirwollen.Aberwir sind in Gedanken ganz woanders. Abu Qatadah kauft mit unserer Zustimmung eine Pizza, dieentsetzlichschmeckt.SogarderKetchup,denesdazugibt,kannsienichtretten.

NachdemMalcolmundichschlafengegangensind,bleibtFredericklugerweisenocheinwenigmitAbuQatadahsitzen.DasVerhältniszwischenunsunddem IShat sichvonTagzuTag ingefährlicherWeiseverschlechtert.Freddyversucht,dasetwasaufzufangen.Werweiß,wozudasnochgutist.FreddyundAbuQatadah sprechenüberKorruptionsvorwürfedes IS gegenüber JabhatAlNusra, die

einstmächtigsteRebellenorganisationSyriens.Undüberdie»wahre«GeschichtedesEinsatzesderUS-Navy Seals in Abbottabad gegen Osama bin Laden. Als das Gespräch in Verschwörungstheorienabzugleitendroht,gehtauchFredericschlafen.

SIEBTERTAGFREITAG,12.DEZEMBER2014

Am Morgen schlagen ganz in unserer Nähe schwere Bomben ein. Wir liegen noch in unserenSchlafsäcken. Fünf laute Explosionen. Das ganze Haus wackelt. So musste es ja kommen. Statt nachHausezufahren,sitzenwirjetzthierfest.UnddieAmerikanerbombardieren.Heute ist Freitag, Feiertag der islamischenWoche.Wirwollen zumFreitagsgebet.Vorher gehenwir

jedochnocheinmalüberdenMarkt.DenMarktwerdendieAmerikanerjahoffentlichnichtbombardieren.Zwischenneunund elf ist hier immer ammeisten los.Wir kaufen unsNüsse,Kaffee undRosinen. Ichunterhaltemichmit einem Jungen über Fußball.Umuns bildet sich eineMenschentraube.Bevor es zuvielewerden,gehenwir.Allewinkenunslächelndhinterher.KurzbevordasGebetanfängt,schließenalleLäden ihreTürenund lassendieRolllädenrunter.Alle

machen sichauf zurgroßenMoschee.Die ist sovoll, dassvieleMenschenaufderStraße ihre JackenoderKopfbedeckungenaufdenBodenlegen,umdaraufzubeten.BaldsindesmehrereHundert.Darunterwieder ein jungerMann mit einem Trikot des FC Bayern. Es trägt die Nummer 10, die Nummer des»Ungläubigen«ArjenRobben.DieWeltistsoklein.EinpaarBetendestörtoffenbar,dassFredericfilmt.Siestarrenihnfragendan.AbuLothsagtihnen,sie

sollten sich auf dasGebet konzentrieren. Frederic steigt auf dasDach einesMinibusses, um von dortbesseraufnehmenzukönnen.

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DieBetendenmüssensicheinekriegerischeIS-Predigtanhören.IchzitiereeinigePassagen:

»WirwerdenDamaskus erobern.Wirwerden die Bewohner vonMekka undMedina sein.UndwirwerdenKonstantinopelerobern.Heuchlerhabenallesversucht,umdenIslamischenStaatzuzerstören.Weil sich alle im Klaren sind, dass der Islamische Staat nun entsteht. Deswegen haben sie keinenVersuchunterlassen,diesenStaatundseineKämpferzubekämpfen.Abersiewarennichtfähig,etwasandereszutun,alsübleGerüchteinUmlaufzusetzen.

OhAllah,zerstöredieUngläubigenunddieAtheistenunddieManipulierer.OhAllah,zerstöreAmerikadurchetwas,dasesausdenHimmelnundvonderErdetrifft.OhAllah,zerstöredieamerikanischenFlugzeuge.OhAllah,versenkedieamerikanischenKriegsschiffe.OhAllah,hilfdeinendienendenKämpfern,Amerikazuzerstören.OhAllah,tötedieUnterdrückerundAtheisten.OhAllah,tötealleUngläubigenundlassekeinenvonihnenaus.«

Nach der Predigt und dem rituellen Freitagsgebet gehen alle wieder ihrer Wege. Die malerischeChoreografiederbetendenMengelöstsichauf.WirsucheneinenSaftstandauf.EinjungerMannsetztsichzuuns.SeinehellbrauneUniformweistihnalsReligionspolizistenaus.EristeinFreundAbuLoths.UndsprichtfließendDeutsch.Sogut,dasserbestimmtebenfallsausDeutschlandkommt.Darüberwillerabernichtsprechen.Ergehtgleichwieder,ehewirihmzuvieleFragenstellen.

UnsereBegleiterbringenunsanschließendzueinerfastvölligausgebombten,einstelegantenVilla.Alssie von US-Bombern angegriffen wurde, hätten sich nur Zivilisten darin aufgehalten. In der NäheallerdingssollsicheinIS-Stützpunktbefinden.DerAngriffhatoffenbardasfalscheHausgetroffen.AuchdasnächsteHaus,dasunsgezeigtwird,seivonAmerikanernbombardiertworden.AuchhierseiennurZivilistenumsLebengekommen. InzwischenhättendieAmerikaner jedoch ihreStrategiegeändert.SiewürdenfastnurnochanderFrontbombardieren.

BeiderWeiterfahrtkommenwiraufPierreVogelzusprechen.»Das isteinkomischerMensch«,urteiltAbuLoth.VogelgebesichgernealsSalafistundwahrerMuslim,seiaberinWirklichkeitgarkeiner.Erversuche,IslamundDemokratiezuverbinden.»DasaberistBeigesellung.DersollseinePflichterfüllenundauswandern!EsgibtkeinenhalbenWeg,esgibtkeinen IslammitKompromissen!«Vogelhabedasentwedernochnichtverstanden.OderergefallesichinderRollealsderbekanntestedeutscheSalafistundwollelieberimgemütlichenDeutschlandbleiben.AbuLothglaubtLetzteres.AbuLoth,AbuQatadahunddieanderenhabenHunger.SiewollenCheeseburger.Wirsinddavonnicht

angetan,gehenabermit.ObwohldieLädenfreitagsnachdemGebetgeschlossenhabensollten,gibtesfürKämpferAusnahmen.Läden,dieCheeseburger,PommesundColaverkaufen.»IchkanneurenamerikanischenFast-Food-Fraßnicht so richtigmitderLebensweisedererstenvier

Kalifenvereinbaren«,sageich.AbuLothlächeltschweigend.»Youarewhatyoueat!«,legeichnocheinsdrauf. »Du bist, was du isst.« Doch dann halte ichmich zurück. Der IS scheint meine Kritik ja nichtübermäßigzuschätzen.Frederic,MalcolmundichwartenvordemLaden.Cheeseburgeristnichtsfüruns.

UnserheutigesProgrammscheintbeendet.WirfahrenzuunserenUnterkünftenzurück.Ichmacheunseremeinheimischen Fahrer einKompliment: Er sei immer sehr freundlich zu uns. Er entgegnet, dass er nurseinePflichttue,mehrnicht.Ichfrageihn,wasermachenwürde,wenndieirakischeRegierungdievomISerobertenGebietewiederunterihreKontrollebrächte.

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ErwürdesichmitseinenBrüdern indieWüstezurückziehen,antworteter.Dortwürdensiesichneuformieren,aufdenrichtigenAugenblickwartenunddannzurückkehren.SohättenesdieVorgängerdesIS,derISI,auchgemacht.Sieseienstärkerzurückgekommenalsjemalszuvor.Siewürdennieaufgeben.Alswir bei unserenBungalows eintreffen, entsteht unter unserenBegleiterngroßeUnruhe.ZweiUS-

BomberkreisendirektüberderFerienanlage.Siefliegenziemlichniedrig.So,alswolltensienurnochihre Ziele auswählen.Ganz in derNähewird geschossen.Die IS-Kämpfer schauen sich hektisch nachDeckung um. Aber es gibt keine. Die billigen Bungalows bieten keinen Schutz. Auch Abu Qatadahschleicht um die Bungalows herum. Ganz nah an denWänden entlang, immer wieder in den Himmelschauend.DannentschwindeterausunseremBlickfeld.DiePilotenhabenuns längst entdeckt.Als frühererPilotvonSportmaschinenweiß ich,wiegutman

selbstmit bloßemAuge von oben sieht. Und die da oben habenmodernste Fernsichtgeräte. Unswirdmulmig.IchdenkeandenSatz:»WenndudieRaketehörst,bistdutot.«DiePilotendrehenihreKreiseimmerenger,immertiefer.Frederic,Malcolmundauchichsindbleich.Undratlos.DieBomberbesatzunghatmitSicherheitbeobachtenkönnen,dassausunseremWagenWaffenausgeladenwurden.Wastun?AufeinemnichtweitentferntenFußballplatzspielenjüngereundältereMännerFußball.Siekümmern

sichnichtumdieBomber.DaskönnteunsereRettungsein.FußballplätzewerdendieAmerikanerwohlnichtbombardieren.WirhastenzudemSportplatz.ErleichtertlassenwirunsamSpielfeldrandnieder.EinerderBomber fliegt seineKreise trotzdem tiefer.Direktüberuns.Äußerstbeunruhigt schaue ich

immerwiederhoch.BeiAnbruchderDunkelheitgehenwirinunsereBungalows.ÜberunsdasGeräuschdes Bombers. Und dann noch das bedrohliche Surren mehrerer Drohnen. Wann hauen dieseTodesmaschinenendlichab?

SeiteinigenStundenhabenwirkeinenKontaktmehrzuunseren IS-Begleitern.Malcolmgehthinüber indenNachbarbungalow,umzufragen,waswir jetztmachensollen.Er trifftnurAbuLothundeinenderFahrer an. Die anderen sind in die Innenstadt gefahren. Auch keine schlechte Idee, um Bombern zuentgehen.AngeblichjedochplanensiediemorgigeRückfahrt.WirsolltenimBungalowbleiben,rätAbuLoth.AuchwegenderverdammtenDrohnen.DerenDröhnenistsolaut,dassesselbstdieHeizungsventilatorenübertönt,diewirnureingeschaltet

haben, um die Drohnen nichtmehr zu hören. So werdenwir ständig daran erinnert, dass es jederzeitvorbei sein kann. Wir haben ein Gefühl großer Hilf- und Wehrlosigkeit. Irgend so ein Feigling imComputerraumeinesfernenLandeshatunserLebeninderHand.DannkommtAbuLothundgibtunsRatschlägefürdenFalleinesAngriffs.Wirsolltenbloßnichtaus

dem Bungalow gehen. Neulich seien sechs Frauen getötet worden, weil sie in Panik auf die Straßerannten. Die Drohnen konnten sie mit ihren Wärmekameras sofort ausmachen und erschießen. WeißeigentlichdiewestlicheWelt,washierpassiert?Ich frageAbuLoth,wieso sich in den letztenTagen eine so großeDistanz zwischen uns entwickelt

habe. Es sei doch vonAnfang an bekannt gewesen, dass ich die Taten des IS nicht billige. Abu LothversuchtunsdenStandpunktdesISklarzumachen:»AmEndeseidihrhaltUngläubige.Ihrglaubtnichtanden richtigen Islam. Aber ihr habt nicht irgendwelche Fehler begangen, Beleidigungen oder so.« VielstörendernochalsmeineKritikseidieBarrierederReligion.Diewerdeimmerdasein.Ersagt,dassersogar gegenüber seinen Familienmitgliedern Hass empfinde, weil sie nicht den wahren Glaubenannähmen.»DieLiebezuAllahistdasGrößte,dasWichtigste.«SeinVaterdenke,erseiMuslim.Abergleichzeitig sei er von der Demokratie überzeugt. »Das geht so nicht. Du kannst dich nicht demGrundgesetz unterwerfen und sagen, dass du anAllah glaubst, der etwas ganz anderes fordert als dasGrundgesetz.«

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AußerdemseidasMisstrauenimISgroß.Mangehedavonaus,dassesGeheimagentengebe,diedenISsystematisch unterwanderten. Sie kämenvor allem ausSyrien.Daher sei es schwierig, in den engerenVertrauenskreiszugelangen.NurdurchFürsprachenkommemanweiter.AuchdieBevölkerungwürdedenISmanchmalverraten.IneinemVorortvonAleppohättensichdieBürgermitderFSAzusammengetanundausdemNichtsangefangen,den ISzubekämpfen.Sehrviele IS-Leuteseiendort festgenommenworden.ManhabevieleFeinde.AuchichseieinFeind.SiehättenmeineAussagenüberdenISjaschwarzaufweißnachlesenkönnen.

DenFeindjedenTagbeisichzuhaben,mitihmzureisen,zuessenundaufdemselbenBodenzuschlafen,seinichtganzleichtzuverarbeiten.AbuLothwäreeinfeinerKerl,wennerandereFreundegefundenhätte,wennerder IS-Ideologienie

begegnetwäre.SoabervertritteralldenideologischenSchrott,denihmseineFreundeeingeredethaben.ÜberFrauenzumBeispiel.SiehättenzwarauchguteEigenschaften,seienaber letztlichkörperlichundgeistigbegrenzt.Deshalbzähltenim ISzweiZeugenaussagenvonFrauensovielwiedieAussageeinesMannes.Frauen sollten ambesten zuHausebleiben.Dort seien sie ambesten aufgehoben.Das sei imWestenbisvoreinpaarJahrzehntenjaauchsogewesen.

ZumAbendessengegen22:00UhrbringtunsAbuQatadahwortlosgegrilltesHühnchen.Erversucht,dieRolledesGastgebersbiszumEndedurchzuhalten.Soschweresihmfällt.Immerhin.Alsergeht,sagterzuFrederic,dasserdieE-Mail,diedieser ihmaufeinenZettelgeschriebenhatte,anValeriegeschickthabe. Wie wir später erfuhren, ist die E-Mail niemals angekommen. Zu Hause war längst Panikausgebrochen.

ACHTERTAGSAMSTAG,13.DEZEMBER2014

Um8:00UhrgehtdieRückreiselos.Wennallesgutläuft,könntenwirinfünfStundeninRakkasein.DortwollenwirdieHandyssowiemeiniPadabholen.UnddannabzurtürkischenGrenze,diewirhoffentlichvorAnbruchderDunkelheiterreichen.DasisteineetwasoptimistischeRechnung,dochichhoffe,siegehtauf.EigentlichwolltenwirjaschonvorzweiTagenlos.DieAbreiseverzögertsichumeinehalbeStunde,dawirmeinenlinkenSchuhnichtfindenkönnen.Wir

hattendieSchuhegesternAbendwieimmervordieEingangstürunseresBungalowsgestellt.Docheinerfehlt.IchsuchemitFredericdasGrundstückrundumunserenBungalowab.DerSchuhistnichtzufinden.Vielleicht hat ihn ja eine Katze weggetragen. Will uns jemand einen Streich spielen? Es sind meineLieblingsschuhe, mit speziellen Wandereinlagen. Ohne die hätte ich 2011 in Libyen nie densiebenstündigenNachtmarschdurchdieWüstegeschafft,derunsvordenTruppenGaddafisrettete.ZumGlückhabeicheinzweitesPaarSchuhedabei.

Unsere Truppe wird auf zwei Fahrzeuge aufgeteilt. Freddy,Malcolm, ich, Abu Loth und unsere zweivermummtenFahrerausRakkafahrenineinemMinibus,AbuQatadahundeinirakischer IS-Kämpfer ineinem grauen Geländewagen. Ein drittes Fahrzeug, ein kleiner gelber Lastwagen, begleitet uns. ZurTäuschungderDrohnen, die auch heutewieder in derLuft sind. Jeder fährtmal vorn,mal hinten,wirwechselnständigdiePositionen.MeistenshaltenwireinenAbstandvonmehrerenhundertMetern.Wirmüssenextremvorsichtigsein.FahrerundBeifahreröffnenhäufigdasSeitenfensterundschauenbesorgtnachoben.Esregnet,dochdashältDrohnennichtauf.Allesindrechtschweigsam.NurabundzuunterhaltenwirunsmitAbuLoth.Erwundertsich,dassin

Deutschland ausgerechnet der Bundespräsident für mehr Militäreinsätze eintrete. Seine Botschaft an

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JoachimGauck:»Wennduüberlegst,hiereinzumarschieren,hebschonmaldieGräberfürdieSoldatenaus!«Zumirsagternachdenklich.»Siehabenrecht,wirsindbrutal.Aberwirmachendasoffen,ihrmachtes

heimlich.DerIShatvielleicht30000Irakerumgebracht.Bush500000.«ImIrakwerdeder ISvonderBevölkerungsehrgutakzeptiert. InRakkaseidasnochnichtso.Assad

habe noch immer mehr Unterstützung als der IS. Wenn es jetzt Wahlen gäbe, würde Assad in Rakkagewinnen. Er zahle klugerweise weiter Gehälter und Pensionen nach Rakka. Außerdem hätten dieMenschenlieberwenigerPflichtenundRegeln,alsderISsienuneinmaleinfordere.Daherseiesnormal,dass sieAssad bevorzugten. Ich höre staunend zu.Wie gut, dass ich Freddy undMalcolm als Zeugenhabe!DieEroberungvonMosulseieinelanggeplanteOperationgewesen.»JahrelanghabenwirinMosulso

viele Märtyrer-Operationen durchgeführt, bis sich niemand in Mosul mehr sicher gefühlt hat.« Immerwieder habe es Anschläge gegeben. »Sogar auf ihre Trauerfeiern haben wir Selbstmordattentätergeschickt.«DieSchiitenhättenamEndenurnochAngstgehabt.»DeswegenkonntenwirMosulsoleichterobern.«DannwirdAbuLothernst:»IhreEinladungwurdeanhöchsterStelleentschieden.WirwollenmitIhrem

BesuchdasTorzumWestenaufmachen.Siewerdenvielleichtschonbalderkennen,warum.«Icherkläre,dass ichfürVermittlungendenkbarungeeignetsei.UnsereAuffassungenlägenzuweitauseinander.Dasschadeüberhauptnicht,meintAbuLoth.DaserhöhenurmeineGlaubwürdigkeit.»Bei Ihnenvielleicht,aber nicht imWesten«, antworte ich. Das hätte ich bei früheren Vermittlungsversuchen immer wiedererlebt.Wermitdem»Feind«rede,gelteimWestenschnellalsVerräter.Als»Feind-Versteher«,wiedasneueWortdafürheiße.»So,wieichSiekennengelernthabe,istIhnendasegal«,sagtAbuLoth.SpäterschaltetsichüberraschendderBeifahrerinunserGesprächein:Erwillwissen,warumichden

Islam nicht annehme. Ich sei schlimmer als jederChrist.Diewüssten es ja nicht besser. Ich hingegenwüssteesbesserundwürdemichtrotzdemnichtfürdenIslamentscheiden.

Beim Versuch unseres wie immer vermummten Fahrers, einen Stau auf einem lehmigen Seitenweg zuumfahren,bleibenwirimSchlammstecken.WirsteigenausundschiebenmitvereintenKräften.ErstnachübereinerStundeschaffenwires,denBusfreizukriegen.BeiderAuffahrtzurHauptstraßebleibtderWagenerneutstecken.Wirversuchen,Hilfezuorganisieren.

EinältererHerrbrülltmitlauterStimme:»WirsindhierimIslamischenStaat.Dahaltenallezusammen.Zusammen sind wir stark. Wir schaffen das.« Er solle lieber sein Abschleppseil holen, statt hier soherumzubrüllen, meint ein anderer. Das macht er, und irgendwann geht es dann weiter. Doch dieHeimreiseziehtsich.

UnserBeifahrerverliertdenFunkkontaktzuAbuQatadah.WirwartenamStraßenrand,dochderzweiteWagentauchtnichtauf.Wirmüssenzurück,vielleicht ist ihnenetwaszugestoßen.ImmerwiedersprichtderVermummteinseinFunkgerät:»AbuQatadah,AbuQatadah!«KeineAntwort.ErnimmtseinePistoleundentsichertsie.Wasdasjetztsoll?PlötzlichsehenwirAbuQatadahsWagenamStraßenrand:ErhateinenplattenReifen.Wiederwartenwir.Abu Loth erzählt von einem Freund, der sich eine Sklavin gekauft hatte. »Eine junge Jesidin. Nicht

besondershübsch.«Der»Bruder«gabihralsNotelediglicheineVier,ausreichend.Obwohlsiesoteuerwar,dasserdafürseineKalaschnikowverkaufenmusste.1500US-Dollarhattesiegekostet.Daerschonso viel investiert hatte, schickte er sie zum Zahnarzt, um ihre Zähne richten zu lassen, zu einemKosmetiksalon,zumFriseuretc.ErhatrichtigGeldinvestiert.Undalssierundum»erneuert«war,gaberihreineEinsbisZwei.Undwiehatsiedaraufreagiert?»Sieistihmabgehauen.«AbuLothlachtlautüber

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seine Geschichte. Obwohl sie eigentlich eine geschmacklose und traurige Geschichte ist.»Scheißgeschichte!«,sagtFrederic,derdemISdieSklavereiungemeinübelnimmt.NurdasVerhaltenderSklavinfindetercool.SiehabedemTypendierichtigeAntwortgegeben.UnserBeifahrerwillmitdemFahrerdeskleinengelbenLkwssprechen.Dochderbrettertsognadenlos

durch die Landschaft, dasswir ihn nicht einholen können.Wir kommen nur bis auf zehnMeter an ihnheran.UnserFahrerversuchtesmitderLichthupe,dochderLkw-Fahrerreagiertnicht.Immerwennwirihnüberholenwollen, zieht er seinenLaster nach links.Wir hupenundhupen.Vergeblich! IrgendwanngehtunseremBeifahrerdieGeduldaus.ErkurbeltdieScheibeherunter,hältseinPistolerausundschießteinpaarmalindieLuft.KeineReaktion.Wirmüssenlachen.WiederschießtunserBeifahrereinpaarmalindieLuft.Nichtsgeschieht.Dochdiesmalschaffenwires

fast,denLasterzuüberholen.WirsindaufgleicherHöhe,alsunserBeifahrererneutmehrfachindieLuftschießt, bis der Lkw-Fahrer endlich merkt, wer da neben ihm fährt. Er hört sehr genau hin, was derPistolenmannihmzusagenhat,währendernebenihmweiterrast.

Esistbereits20:00Uhr,alswir inRakkaankommen.HeutegehtesdemnachnichtmehrindieTürkei.DerVermummtesagt,morgenfrühumsechswürdenwirweiterfahren.InunsererWohnungerwartetunsChaos.TürenundFenstersindzerbrochen.ÜberallliegenGlassplitter.

Wasisthierpassiert?AbuLothschlägtdieHändevorsGesicht.Dannrennterlos,umsichzuerkundigen,obwirnichtirgendwoandersschlafenkönnen.EinNachbarkommtundbietetunsBrotan.Wirlehnendankendab.EinpaarMinutenspätertauchter

wiederauf.DiesmalmitdemBesitzerderzerstörtenWohnung.Erfragtuns,waswirhiermachten.UnserFreundkommegleichwieder,sageich.Erkönnealleserklären.DasgenügtdemEigentümerderWohnungjedoch nicht. Eswird richtig unangenehm.ObwirMuslime seien?Malcolm antwortet »no problem«,dochderWohnungsbesitzersiehtdasanders.»Younomuslim,bigproblem…«DannzeigtermitseinemDaumenaufseineKehleundsimulierteinenSchnitt.DerWohnungsinhaberistjetztrichtigaufgeregt.Ich hole unsere Sicherheitsgarantie aus der Brusttasche und halte sie ihm unter die Nase. Der

Wohnungsbesitzer liest das Dokument aufmerksam durch und zeigt dann ehrfürchtig auf den Stempel.»Diwane-Al-Khalifa,Oooh.Noproblem!«ErschütteltunsdieHände.Dann erklärt er uns, was hier passiert ist. Vor zwei Tagen hat die syrische Luftwaffe dieWohnung

nebenanbombardiert.Undbuchstäblichweggefegt.EsgabzweiTote.WirgehenaufdenBalkon,woerunsdenAngriffgenauerklärenkann.DieFassadenebenanistrußgeschwärzt,dasobersteStockwerkistweg.Wäre es nach unserer Planung gegangen, dann wären wir vor zwei Tagen hier gewesen. Glückgehabt.MehralsdiesyrischenNachbarn.

NachzweiStundenkehrtAbuLothzurück.Erhatnichtsanderesgefunden.AlsowerdenwirdieNachthierverbringen.EnttäuschtzwängenwirunsindieSchlafsäcke.DurchdiezerbrochenenFensterkriechtfeuchteKälte indieWohnung.Bevorwir einschlafen, erzähltAbuLoth,wie»krass«er9/11 finde.Erhoffe,denAmerikanernauchbaldsoeineOperationverpassenzudürfen.JetztistauchAbuLothbeimirvölliguntendurch.

NEUNTERTAGSONNTAG,14.DEZEMBER2014

Alswiraufwachen,istesbereitskurznachacht.EigentlichsollteesdochumsechsUhrlosgehen.DochunserFahrerhatsichnochnichtgemeldet.AlsAbuLotheineStundespäterKaffee,BohnenundHummusserviert,werdenwirnochungeduldiger.Wannkönnenwirendlichlos?

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Ich frageAbu Loth abermals nach derMöglichkeit einer Befreiung des britischen Journalisten JohnCantlie.AbuLothverspricht,darübernocheinmalmitdenZuständigenzusprechen.DannerinnertermichandieGründe,warumderISmeinerReisezugestimmthabe.Manhabemicheingeladen,weilmanzeigenwollte,dassder»IslamischeStaat«nichtnurStaatheiße,sondernaucheinStaatsei.DasseshiereinganznormalesLebengebe.DassVerletzteundKrankegutbehandeltwerden.DassderStaatsichumdieArmenkümmere.DassmanbeiGerichtseinRechtbekomme.»DieMenschenfühlensichbeiunssicher.Auchwennmancheunsnichtmögen,mögensieunsereSicherheit.WirwolltenIhneneinfachzeigen,wiewirleben.UnddassmanmitderShariahlebenkannunddasssiefunktioniert.«»Wo,umHimmelswillen,stehtimKoran,dassmanUnschuldigendenKopfabschlagendarf?«,frage

ich.AbuLothsieht,dassichnichtüberzeugtbin.

Inzwischen ist es 14:00 Uhr.Wir sitzen immer noch in unsererWohnung in der Nähe derMasjid AlFirdaus.AbuLothziehtlos,umsichschlauzumachen.FünfMinutenspäterkommtauchAbuQatadah.Esgehegleichlos.ErgibtFredericseinFoto-undBildmaterialzurück:Zehnvon800Fotosseienbeiderabschließenden Überprüfung gelöscht worden. Außerdem das Interview mit dem Richter. Um dieSicherheit der betroffenen Personen oder ihrer Familien nicht zu gefährden, heißt es. Außerdem sollFrederic eine Frage und eine Antwort zum Thema »moderate Muslime« aus dem Interview mit AbuQatadahherausnehmen.DemISseienAbuQatadahsAussagenandieserStellezuallgemeingewesen.DieübrigenAussagenhabeder ISgebilligt.Fredericisterleichtertundstimmtzu.AllewichtigenFilmeundFotoshabendieZensurüberstanden.

AbuLothistzurück,völligaußerAtem.ErhabemitseinemVorgesetztengesprochenundzweiwichtigeNachrichten fürmich. Ichmöge den britischen PremierministerDavidCameron bitten, einAngebot zumachen.JohnCantliekönnesehrschnellfreikommen.DerISseigesprächsbereit.Manerwarteeinfaires,realistisches,keinutopischesAngebot.AbuLothnimmtmich zurSeite.DieFührungdes IS könne sich vorstellen, JohnCantlie gegenAafia

Siddiquiauszutauschen.DaskönneauchohneoffizielleBeteiligungderbritischenRegierunggeschehen.Ich solleesmitNachdruckversuchen.Vonseitendes IS seidaseinedemonstrativeGeste.AbuLoth istganzaufgeregt.ErhatdochnocheinemenschlicheSeite.Was mich betreffe, so stünden mir alle Türen offen, vorausgesetzt, dass ich dieWahrheit über den

»IslamischenStaat«berichte.WirwürdendannjedenTerminbekommenundkönntenallesbesichtigen.Wirverabschiedenuns.AbuLothundAbuQatadahgebenunsdieHand.»Passtaufeuchauf!«,sagtAbu

Loth.IchdrückeihmdieUhrausMosulwiederindieHand.AbuLothschautmicherstauntan.Ichmusslachen.UnservermummterFahreristauchda.ErwirdunsandietürkischeGrenzebringen.

Als wir vier Stunden später, um 18:30 Uhr in der Nähe der türkischen Grenze anhalten, ist es schondunkel.EinMann steht an derStraße vor demRekrutierungscenter.Es ist der kräftige, grummelige IS-KämpfervomerstenTag.UnserFahrer sagt,wirmüssten jetztdenWagenverlassenundunserGepäcknehmen.InwenigenAugenblickenwerdeeinAutokommenundunsindieTürkeibringen.Erdrehtsichum,steigtinsAuto.Danngibterdemkräftigen IS-MannunsereHandys.EinenAugenblickzögerter,alswollteerunsetwassagen.Dochdannfährtergrußlosweg.Nach zweiMinuten taucht einAuto auf.Unser IS-Mann spricht kurzmit dem Fahrer. Das Ergebnis:

HeutekönnenwirnichtmehrüberdieGrenze,esgibtzuvieletürkischeSoldaten.Morgenfrühsollessoweit sein. Im Orient hat man einen anderen Zeitbegriff als in Deutschland. Daran hat sich auch im»IslamischenStaat«nichtsgeändert.WirwerdenineinenkargenRaumgebracht, indemgeradegebetetwird.Wirsollenesunsgemütlich

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machen,meintunserBegleiter.Zuessengibtesleidernichts.AußereinerkleinenTasseTeekannerunsauch nichts zu trinken anbieten. Trotzdem sitzen wir recht lange mit dem Kämpfer zusammen undunterhaltenuns.Er erzähltüberden Islam.Wirhören ihmzu,biswir inunserenSchlafsäckenaufdemkalten Boden einschlafen. Die letzte Geschichte, die ich mitbekomme, handelt von der Spaltung desMondes.

ZEHNTERTAGMONTAG,15.DEZEMBER2014

Ab9:30Uhr sitzenwir da undwarten. Zu essen oder trinken gibt es leider immer noch nichts.Nichteinmal einGlasWasser.Angeblichhalten sichweiterhin türkischeSoldatenanderGrenzeauf.Keinerdarfdurch.Etwaalle20MinutenbringtjedocheinMinibusvonderanderenSeitederGrenzeneue,jungeKämpfer.Siewerdenregistriert,fotografiertunddurchsucht.Einreisekontrolle, IS-Zoll.JungeAfrikaner,Russen,vieleTürken,aucheinDeutschersindunterdenNeuankömmlingen.Eingroßer,muskulöserjungerMannausTrinidadundTobagobeeindrucktuns.ErträgteineKhakihose

mitBügelfalten,einbuntkariertes,frischgebügeltesHemdundeineRay-Ban-Sonnenbrille.Erstvoreinpaar Wochen habe er in seiner Heimat das juristische Staatsexamen bestanden und sei bei Gerichtzugelassen.Jetzt isterhier.Warum?»ZuvielPromiskuität,zuvielOne-Night-Stands.Jedermit jedem.DaskannnichtderSinndesLebenssein.«ErfindetdiewestlichenWerteleer,öde.UndwaswillerjetztimISmachen?»Ichmache,wasvonmirverlangtwird.Wennichkämpfensoll,werdeichkämpfen.WennichalsJuristarbeitensoll,dannwerde ichdas tun.DerEmirwirdentscheiden.«ErfreutsichaufseinneuesLeben.Endlichisterim»gelobtenLand«.

UnsereUngeduldwächst.Alswirum15:00Uhrnochimmernichtrausgelassenwerden,geheichindenHofundfangean,mitdenSchmugglernzuverhandeln.IchwillhiernichtnocheinpaarTageherumsitzen.EsmüssedocheinenWeggeben,unsüberdieGrenzezubringen.DochdiemeistenSchmuggler trauensichnicht.WegenderSoldaten.IchfragedenChefderSchmuggler,wievielGelderwolle.»WaszahlenSie?«,fragter.»500Euro«,antworteich.Erlacht:»EinguterPreis.IchbringeSieumsonstraus!SiesindunserGast.«Fredericistmisstrauischundverärgert.IchwürdedenManndochgarnichtkennen.AberdieIS-Leutehierkennenihn.Unddiesindeinverstanden.WirerhaltenunsereHandys.SiesindinAluminiumfolieeingewickelt.WirsollensieerstinderTürkei

auspacken.Dannsteigenwirineinenkleinen,klapprigenPritschenwagen.FredericundMalcolmsetzensichaufdieLadeflächezuzweiBenzinkanistern.Esstinktgewaltig,undesistunheimlicheng.Ichsitzeausnahmsweisevorne.WirhabenunserePresseausweiseundReisepässegriffbereit.Esgehtlos.

ZuunseremErstaunenfahrenwirnureinpaarhundertMeterüberholprigesFeld.Dannbiegenwirnachrechts ab und halten zwischen Olivenbäumen. Von hier aus sehen wir einen türkischen Wach- undSchießturm. Der wirkt nicht gerade beruhigend. Drei Schmuggler hinter einem Baum zeigen in eineRichtung:Damüssenwirhin.Wirsollensofortaussteigenundlosrennen.UnserHerzrast.

Wir reißen dieTüren auf, nehmen unsereKoffer undRucksäcke und rennen los.Auf einemgepflügtenAckermit schwerenKoffern zu rennen, ist nicht leicht.Rechtsvonuns istSchilf. »Wenn sie schießen,sofort rechts ins Schilf und weiterrennen«, ruft einer der Schmuggler. Etwa noch 300Meter bis zumGrenzzaun.Der Schmuggler, der voranläuft, hebt den Stacheldrahtzaun hoch: »Yalla, Yalla! Vorwärts!« Freddy

bleibtmitseinemrechtenArmamStacheldrahthängen;erreißtsichlos,seineJackeisthinüber.Weiter!InderFernestehtderweißeVan,mitdemwirhergekommensind.Schneller!Keinerwillaufdenletzten

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MeternvontürkischenGrenztruppenerschossenwerden.Noch50Meter.DieTürendesVansstehenweitoffen.Wirwerfenunshinein.DerFahrergibtVollgas,ehewirdieTürenrichtigschließenkönnen.Geschafft!Wir sind völlig außer Atem, nass geschwitzt. Mein Herz rast. Eine Tonnenlast fällt von

meinenSchultern.WirhabendenganzenWahnsinnüberlebt.NachzweiMinutendürfenwirunsereHandysauspacken.IchrufesofortzuHausean.Nathalieschreitvor Wut. Warum wir uns nicht gemeldet hätten! Dann schluchzt sie nur noch. Françoise, Valerie undMalcolmsMutterweinenauchhemmungslos,alssieunsereStimmenhören.ÜbereineWochehattensienichtsvonunsgehört.Jetztistalleswiedergut.»Wirsinddraußen!Unsgeht’sgut!«

9Namegeändert10»GlaubenSie,dassesschlauist,jemandenkommenzulassen,jemanden,denSienichtkennen.IhninIhrenStaateinzuladenundihndannnichtzukontrollieren?«11»Ichwerdedirjetztwassagen,unddumachstgenaudas,wasichdirsage:Verstehstdumich?«–»Ja.«–»Okay,ichwerdedarüberjetztnichtmitdirdiskutieren.Dumachstdas,wasichdirsage…DuwirstjetztdeineKamerasholen,inklusivealldeinerSpeicherkarten.Duwirstsiemirdanngeben.Ichwerdemirallesanschauen.DireineKopiedavonmachenunddirdeineKamerasmorgenfrühwiederzurückgeben?Habenwirunsverstanden?«12Auswanderung13Nichtmuslime.ImWestenhäufigundfalschals»Ungläubige«übersetzt

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IX

OffenerBriefandenKalifendes»IslamischenStaats«undanseineausländischenKämpfer

WiehöflichoderdistanziertdarfeinsolcherBriefsein?MahatmaGandhischrieb1939,einenMonatvorKriegsbeginn, »im Namen der Menschlichkeit« an Adolf Hitler. Das Schreiben begann mit »LieberFreund«undendetemit»IhrehrlicherFreundM.K.Gandhi«.Sofreundlichkonnte ichnichtsein.Aberunhöflichwollteichauchnichtsein.Soschriebich:

SehrgeehrterKalifIbrahimAwwad,AbuBakrAlBaghdadi!

Als Erstes bedanke ich mich für die korrekte Einhaltung Ihrer Sicherheitsgarantie während unseresAufenthalts im »IslamischenStaat«. Sie sollten häufiger freie Publizisten aus allerWelt einladen, stattJournalistenhinrichtenzulassen.NachneuerenUntersuchungendreierUS-amerikanischerundeinerirakischenUniversitäthatalleinder

völkerrechtswidrige Irakkrieg GeorgeW. Bushs mindestens eine halbeMillion unschuldigeMenschengetötet. Ich kann jedenAraber verstehen, der sich der seit Jahrhunderten nicht endendenmilitärischenInterventionspolitikdesWestenswidersetzt.IchbinnichtblindgegenüberdemUnrechtdesWestens.SiehabeninSyrienundimIrakeinenmilitärischteilweiseungewöhnlicherfolgreichenFeldzuggeführt,

denniemandfürmöglichgehaltenhätte.ObwohlauchSieerlebenwerden,wielaunischdasKriegsglückist.DieMethoden,dieIhreOrganisationallerdingsbeiihrenkriegerischenAktionenanwendet,sindnachdenGebotendesKoranunislamischundkontraproduktiv.SieschadendergesamtenmuslimischenWelt.VorallemdemIslam,indessenNamenSiezukämpfenvorgeben.TerrorhatmitIslamsowenigzutunwieVergewaltigungmitLiebe.SieundIhreKämpfersinddeshalb

auchkeine»Gotteskrieger«.Wennessoetwasüberhauptgibt.VielleichtwollenSiedasauchgarnichtsein.DerBegriffstammtjaausderZeitderKreuzzügeundist»christlich«.IchhabedenKoranmehrfachmitgroßemGewinngelesen.DenGeistderBrutalität,denSieundIhreKämpferbewusstverbreiten,habeichdarinnichtgefunden.Esseidenn,manreißtdieDarstellungenderAngriffskriegederMekkanergegendasmilitärisch unterlegeneMedinaMohammeds in den Jahren 623 bis 630 aus ihrem geschichtlichenZusammenhang.DieFeindedesIslammachendasgerne.DieMythen und geschichtlichen Passagen des Alten Testaments beschreiben übrigens viel blutigere

KriegealsderKoran.DerjüdischeEvolutionsforscherStevenPinkernenntdaherdasAlteTestamentein»einzigeslangesLobliedderGewalt«.DennochsinddieseSchlachtenbeschreibungennurfürIgnorantender Wesenskern des Alten Testaments. Das Alte Testament ist ein Buch der Gerechtigkeit undNächstenliebe.WiederKoran.Der Kerngedanke des Islam, sein für die damalige Zeit revolutionärer Aufruf zu Gerechtigkeit,

GleichheitundBarmherzigkeit,scheintIhnenleiderfremdzusein.ObwohldiesezentraleBotschaftdenKoranwieeinroterFadendurchzieht.KeinWort taucht imKoranalsBeschreibungGotteshäufigeraufalsdasWort»Barmherzigkeit«.113

der 114 Suren des Koran beginnen mit dem Satz »Im Namen Allahs, des Allerbarmers, desBarmherzigen«.Von nichts ist IhreKriegführung allerdingsweiter entfernt als vonBarmherzigkeit. Sie

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führen Ihre Feldzüge zur Ausdehnung des »Islamischen Staats« in der Tradition der unchristlichenGewaltorgien desMittelalters sowie derHordenDschingisKhans undPol Pots. Sie planen außerdemganz konkret die größte »religiöse Säuberungsaktion« der Geschichte, die Tötung von HundertenMillionen»UngläubigerundAbtrünniger«. Immerwieder frage ichmich,wodas imIslamgeschriebensteht.

1. Im Islam gibt es keinen Zwang in Glaubensfragen (Sure 2, Vers 256). Sie aber lassen Menschenbestialisch ermorden, nur weil sie Schiiten, Alawiten, Jesiden oder demokratiefreundliche Sunnitensind. Es sei denn, sie konvertieren freiwillig zu Ihrer gnadenlosen Ideologie. Das heißt: vor ihrerEroberung. Religiöse Toleranzwar über Jahrhunderte eine dermeistgerühmten Tugenden islamischerHerrscher.Wo,sehrgeehrterKalif,istIhreToleranz?

2.ImIslamgibteseinklaresVerbotvonAngriffskriegen(z.B.inSure22,Vers39).DerProphethatnieAngriffskriege geführt. Er wurde immer nur angegriffen – von den militärisch weit überlegenen,andersgläubigenMekkanern.Sieallerdings,HerrKalif,überfallenhemmungslosganzeRegionen,StädteundDörfer,dieIhnennichtsgetanhaben.

3. Im Islam ist dieTötungvonZivilisten,Frauen,Kindernund altenMenschenverboten.AnmehrerenStellen des Koran wird das unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Ihre Anhänger aber richtenunschuldige Menschen auf widerlichste Art und Weise hin. Ja, sie vergewaltigen Frauen, eineAbscheulichkeit,diederKoranaufsSchärfsteverurteilt(Sure24,Vers33).Dassollislamischsein?

4. Im Islam istdieZerstörung religiöserStättenuntersagt (Sure22,Vers40).Sie aber lassenKirchen,Synagogen,schiitische,jasogarsunnitischeMoscheenzerstörenundschänden.Auchdasistvollkommenantiislamisch.

DieListeIhrerfastdemonstrativenVerstößegegendenKoranließesichbeliebigverlängern.ImGrundeistbisaufÄußerlichkeitenalles,wasSietun,antiislamisch,einGegenprogrammzumIslam.

IchbinChrist.MeineReligionkenntdurchdasJohannesevangeliumdieFigurdes»Antichristen«.DurchIhre Taten und Ihre Existenz lerne ich, dass es offenbar auch die Figur des »Antimuslims« gibt.DassdieserAntimuslimsich»KalifdesIslamischenStaats«nennenwürde,habenselbstdiegelehrtestenKöpfedes Islam nicht vorausgesehen. Sie ahnten nicht, dass jemand die islamische Geschichte und dieislamischeReligion so grenzenlos verspotten könnte. Eigentlichmüssten Sie Ihre erobertenGebiete in»AntiislamischerStaat–AIS«umbenennen.Was Sie sagen und tun, ist nicht nur ein Gegenprogramm zum Islam, sondern auch zumWirken des

Propheten.Mohammedwar barmherzig, doch sie sind erbarmungslos.Mohammedwar ein nach vorneblickenderRevolutionär.SiesindeinrückwärtsgewandterReaktionär.Zuunterstellen,dassMohammed,einer der dynamischstenReformer derGeschichte, 1400 Jahre nach seinemTod noch immer nach denSittenundBräuchendesAltertumslebenwürde, istabsurd.GroßeRevolutionärepflegensichnichtaufihren Erfolgen auszuruhen. Sie, Abu Bakr Al Baghdadi, mögen ein beachtlicher Feldherr sein. EinReformer,einMannGottes,des»AllerbarmersundBarmherzigen«,sindSienicht.Viele Terrororganisationen vor dem IS haben gegen den Islam verstoßen und ihn als Maske für

unislamische Taten missbraucht. Auch manch verblendeter Herrscher und Religionsgelehrter hat sichdiese große Religion zurechtgebogen. In der Geschichte des Christentums hat es vergleichbare Fällegegeben. Viele teuflische Taten wurden im Namen des Christentums begangen. Auch Sie, Herr AlBaghdadi,predigeninWirklichkeitnichtdenIslam,sondernIhrePrivatreligionundIhrePrivat-Shariah.

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IhreAnhängerverweisendarauf,dassGeorgeW.BusherheblichmehrMenschenumgebrachthabealsSie. In einem völkerrechtswidrigenKrieg sogar.Das dürfte zurzeit noch stimmen, zumindestwenn IhrVormarsch nicht bald gestoppt wird. Ich habemehrfach gefordert, dass sich die Verantwortlichen desIrakkriegsvordemInternationalenStrafgerichtshofverantwortenmüssten.AuchBushundBlair.DochSieunterscheidensichvonBushvoralleminvierPunkten:

1.DerdamaligeUS-Präsident,derschwersteKriegsverbrechenbegangenhat,hatsichderFolterungenundDemütigungen in Abu Ghraib, Guantanamo oder Bagram wenigstens nicht öffentlich gerühmt undgebrüstet.AuchnichtdervonGIsaußerhalbvonKampfhandlungenbegangenenschändlichenMordeundVergewaltigungen.ErhatdiesebeschämendenTatennichtzumMittelpunktseinesProgrammserhoben.Auch nicht zum Mittelpunkt des Christentums. Sieht man von einigen rhetorischen Entgleisungen zuBeginndesKriegesab,alsersichaufeinen»Kreuzzug«begebenwollteundsichzeitweisefürJesajahielt.

2. Er hat nie wie Sie absichtlich, gezielt, genussvoll inszeniert und zelebriert, unschuldige Zivilistenermordet.Journalisten,MitarbeitervonHilfsorganisationenusw.

3. Er hat nie eine religiöse »Säuberung« geplant wie Sie, der Sie die Auslöschung allernichtabrahamitischen Religionen anstreben. Eine Auslöschung, bei der viele hundert MillionenMenschensterbenmüssten.SieplanendengrößtenVölkermordallerZeiten,deralles indenSchattenstellt,was dieMenschheit bisher erlitten hat. Siemissbrauchen dafür denNamen des Islam!Das istGotteslästerung.

4. Gleichzeitig haben Sie offiziell die Sklaverei wieder eingeführt, die die Menschheit in mühsamenKämpfen inzwischen überwunden hatte. Sie existierte einst in allenKulturen. Doch alle haben dieseHerabstufung von Menschen zur Ware, zu Wesen zwischen Mensch und Tier, längst beschämtabgeschafft. Die Juden, die Christen, die muslimischeWelt. Auch wenn heimlich noch immer vieleMenscheninkriminellerWeisewieSklavenundLeibeigenebehandeltwerden.Mohammedhatte,andersals Sie, immer nachWegen gesucht, wie er Sklaven zu vollberechtigten Bürgernmachen konnte. SomachteerBelal,einenschwarzenExsklaven,zumerstenGebetsruferdesIslam.

Sie richten Menschen öffentlich hin, um deren Heimatländer zu militärischen Gegenschlägen zuprovozieren.DurchdiewiedervorallemMuslimesterbenwerden.SiewollenKrieg.SowiebinLadendie USA durch 9/11 in die afghanische Kriegsfalle lockte. Ist das islamisch? Ich kannte denamerikanischenJournalistenJamesFoleyausdenrevolutionärenTagenvonBengasipersönlich.Erwarein liebenswerter, in sich gekehrter Kollege. Wenige Tage nachdem ich mit Freunden in einenmilitärischenHinterhaltGaddafisgeratenwar,warervondessenLeutenfestgenommenworden.DeranBrutalitätschwerzuübertreffendeGaddafihatihntausendmalbesserbehandeltalsIhrebrutalenKämpfer.EinigeIhrerausländischenKämpferhabeichpersönlichkennengelernt.Ichhabestundenlange,intensive

Gesprächemitihnengeführt.AuchandiesewendeichmichmitdiesemoffenenBrief.

IchforderealleausländischenJihadistenauf,sichvom»IslamischenStaat«zulösen,inihreHeimatländerzurückzukehren und sich denBehörden zu stellen. Siewerden faire Prozesse erhalten.Und hoffentlichklugeIntegrationsprogramme.Diesen ausländischen Kämpfern rufe ich zu: Manchen von euch nehme ich ab, dass ihr euch aus

Unwissenheit, aus jugendlicher Naivität, aus Überzeugung, aus Idealismus und manchmal auch ausberechtigterEmpörungdemISangeschlossenhabt.DochwennihrmitoffenenAugendurchdieWeltgeht,

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musseuchinzwischenklargewordensein,dasssichnichtjeder20-JährigemiteinerKalaschnikowodermiteinemSchlachtermesserBewaffnetezummörderischenRichterüberdenRestderWeltaufschwingenkann.FürdasgezielteErmordenUnschuldigerundfürreligiöseVölkermordekannesnieeineEntschuldigung

geben.IhrhabtnichtdasRecht,dasAnsehendergroßenReligionIslamdurchperverseMordtatenunddieAuslöschung anderer Religionen zu beschädigen. Niemand freut sich mehr über eure Untaten als dievielen Feinde des Islam auf dieser Welt. Hat der Islam nicht schon genug Feinde? Fast könnte manmeinen,der»IS/AIS«seiderenErfindung.WerdenIslamwirklichliebt,darfdiesesvölkermörderischeSpielnichtlängermitspielen.AbuBakrAl

BaghdadihatEure Idealemissbraucht.Wenn IhrwahreMuslimeseid,müsst IhrdiesemSpukeinEndebereiten und dem menschenverachtenden Anti-Islamismus des »IS/AIS« entgegentreten. Notfalls unterLebensgefahr.DannwäretIhrwahreHeldendesIslam.FehlerzukorrigierenerfordertmehrMut,alswiedieLemmingeblutigeIrrwegeeinfachweiterzugehen.NichtfürdiewestlicheWeltseidIhreineGefahr,sondernfürdiemuslimischeWelt.InGazafragte ichwährenddesKrieges imSommer2014einenPalästinenser,derfastallesverloren

hatte,waservomIShalte.Erschautemichfassungslosanundfragte:»MüssenwirdafürjetztauchnochdenKopfhinhalten.«

Ihnen,sehrgeehrterKalifIbrahim,wünscheich,dasssichdieverfeindetenParteienimIrakundinSyrienendlicheinigenunddadurchIhrenmilitärischenAktionendenNährbodenentziehen.Möge Allah Sie stoppen! Dem wahren Islam und den 1,6 Milliarden gemäßigten Muslimen aber

wünsche ichvielErfolg.Der tolerante Islamgehört nicht nur zuDeutschland, sondern auch zurKulturunsererWelt.AlsAnlagefügeichzehnPassagenausdemKoranbei,diediesesgroßeBuchinmeinenAugenbesser

charakterisierenalsalles,wasSie inden letztenJahrengesagtundgetanhaben.SiesolltenwenigstenseinmaleinenBlickdaraufwerfen,bevordieGeschichteüberSiehinweggeht.

ZehnKernaussagendesKoran,dieSienichtzukennenscheinen:

1.StreitetnichtmitdemVolkderSchrift.EsseidennaufbesteArtundWeise.Sprecht:»Wirglaubenandas,waszuunsundzuEuchherabgesandtwurde.UnserGottundEuerGottistEiner.«29:46.

2.Wir glauben an Gott und an das, was uns und wasMoses und Jesus gegeben wurde.Wir machenzwischen ihnen keinenUnterschied. 2:136. Es gibt keinen Zwang imGlauben. 2:256.WillstDu dieMenschenzwingen,Gläubigezuwerden?10:99.

3.WennGottgewollthätte,hätteerEuchzueinereinzigenGemeindegemacht.ErwollteEuchjedochaufdieProbestellen.DarumsolltIhrumdiegutenDingewetteifern.ZuGottwerdetIhrallezurückkehren.DannwirderEuchkundtun,worüberIhruneinswart.5:48.Diejenigen,dieglauben–Muslime,Juden,ChristenundSabäer–werdenihrenLohnvonGotterhalten.2:62.

4.IhrsolltglaubenundguteWerketun!25:70.Gottgebietet,gerechtzuhandelnunduneigennützigGuteszutun.Erverbietet,wasschändlich,abscheulichundgewalttätigist.16:90.

5.WehrtdasBösedurchdasGuteab!13:22.Wetteifertmiteinander ingutenWerken.2:148.Gott liebtdiejenigen,dieGutestun.2:195.SeidgutzudenEltern,denVerwandten,denWaisen,denArmen,demNachbar. Gott liebt nicht die Geizigen. 4:36.Was Euch an Dingen gegeben wurde, ist nur für einezeitweiligeNutznießungwährendEuresirdischenLebens.28:60.Dem,dereineguteTatvollbringt,soll

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sie zehnfach vergolten werden. Derjenige, der eine böse Tat verübt, soll nur das Gleiche als Lohnerhalten.6:160.

6.DienerGottessinddiejenige,diesanftmütigaufderErdeschreiten.WennUnwissendesieansprechen,sprechensiefriedlichzuihnen.25:63.DämpfeDeineStimme.DiewiderwärtigstederStimmenistdieStimmedesEsels.31:19.

7.WerGutestut,tutesfürseineeigeneSeele.WerUnrechtbegeht,begehtesgegensichselbst.45:15.

8.RichtetaufErdenkeinUnheilan.2:60.StiftetFriedenzwischendenMenschen.2:224.

9.DieVergeltungfüreineÜbeltatsolleinÜbelgleichenAusmaßessein.Werabervergibt,ruhtsicherbeiGott.42:40.Versöhnungistgut.4:128.

10.UndhierdieSure,gegendieSie sichammeistenversündigthaben:Wenn jemandeinenMenschentötet,soistes,alshabeerdieganzeMenschheitgetötet.UndwennjemandeinemMenschendasLebenrettet,soistes,alshabeerdieganzeMenschheitgerettet.5:32.Ihrsolltniemandentöten,dessenLebenGottunverletzlichgemachthat.6:151.

Danachlohntessichzuleben.AbernichtnachIhrergnadenlosen,antiislamischenIdeologie.

NochmalsdankefürIhreGastfreundschaft!UnddassSiemirdieGelegenheitgegebenhaben,dasLand,das Sie beherrschen, relativ frei zu besuchen. Ich hätte gerne einmal einenwirklich islamischen Staatbesucht.ErhättesichruhiggegenwestlicheUngerechtigkeitenundAnmaßungenzurWehrsetzenkönnen.DassichamEndenureinenAntiislamischenStaatkennenlernte,bedaureichsehr.

HochachtungsvollIhrJürgenTodenhöfer

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X

NachwortzuJihadiJohn

EinpaarTagenachunsererRückkehrruftFreddymichan.»KennstdudieseStimme?«,fragter.IchhöreeinundeutlichesRauschen.AberderRhythmus,indemdagesprochenwird,kommtmirbekanntvor.»Dasist unserFahrer.Hast du ihnbeimFilmenheimlich aufgenommen?«, frage ich.Freddyantwortet ernst:»DasistJihadiJohn,derHenker.Kannichbeidirvorbeikommen?«

WenigspätersitzenwirinmeinerWohnungvorFreddysLaptop.FreddyspieltmirdasVideovor,indemJihadiJohnmitderEnthauptungderzweientführtenJapanerdroht.IchbinwievordenKopfgeschlagen.Die rhythmische, stoßende Art zu sprechen, die meist nur halb geöffneten Augen, dieser eindringlichstarrende Blick, die Körpersprache – war das unser »Fahrer«? Obwohl die Stimme auf dem Videoelektronisch verzerrt, heruntergepitched ist, besteht fürmich fast kein Zweifel.Wirwaren zu langmitunserem Fahrer zusammen. Seine ruppigen Interventionen, seine Befehle hatten zu starke Spuren inunseremGedächtnis hinterlassen. Immerwieder schüttle ich verdutzt denKopf.Warenwir tatsächlichtagelangmitJihadiJohnunterwegsgewesen?Frederic ruft ein weiteres Video auf. Dieses Mal spricht Jihadi John neben dem gefesselten US-

Journalisten James Foley. Kurz vor dessen Hinrichtung. Wieder dasselbe Déjà-vu. Auch hier sprichteindeutig unser Fahrer. Frederic hat noch eine Überraschung. Auf YouTube hat er ein Video vonAnonymous,derberühmt-berüchtigtenHackergruppe,gefunden.AngeblichsollhierdieechteStimmevonJihadiJohnzuhörensein.WomöglichhatteAnonymousdieStimmeJihadiJohnsaufihrnormalesNiveauhochgepitched.Wirkönneneskaumfassen:DieStimmeindembearbeitetenVideohörtsichgenausoanwiedieStimmeunseresFahrers.Fredericsagtleise:»GenausohatermitdiramerstenTaginRakkageredet,alsersowütendwar.Und

genausohatermitmirgesprochen,alsermirinMosulmeineKamerasabgenommenhat.Niewerdeichdasvergessen.«Auch die Fotos, die inzwischen von Jihadi John veröffentlicht wurden, zeigen eine verblüffende

ÄhnlichkeitmitdemMann,denich–wennauchnurkurz–ohneMaskegesehenhatte.UndsiepassenzudermaskiertenSilhouette,dievieleTageimAutoschrägvormirgesessenhatte.Hundertprozentige Beweise sind das nicht. Ich werde sie auch nicht als solche ausgeben. Unser

»Fahrer« hatte sich ja nicht fotografieren lassen. Aber unterdrücken kann ich unsere verblüffendenErkenntnisseauchnicht.Alles passte zusammen. Sein offenbar leichter Zugang zu dem Journalisten John Cantlie. Seine

Verärgerung, als ich mich weigerte, in der Propagandashow mit Cantlie mitzuspielen. Seine absurdeVermummungzujederTages-undNachtzeit.SeinAusrasten,alsichihnzufälligeinmalohneVermummunggesehenhatte.

FredericliestmireineMeldungdesFBIvomSeptember2014vor,wonachJihadiJohneinerTerrorzelleangehörte,die»TheBeatles«genanntwurde.NachAussagenfreigelassenerGeiselnhabeerdieAufgabegehabt, dieGeiseln zubewachenundmit ihrenFamilien zukommunizieren.Undgenaudashatteunser

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»Fahrer« ja versucht, als er die Übergabe zweier Briefe John Cantlies an seine Familie und an denenglischenPremierministerarrangierenundfilmenwollte.Erwarder»Star«derbrutalenIS-Enthauptungsvideos,diedasBilddes»IslamischenStaats«weltweit

tief geprägt hatten. Auch wenn es möglicherweise weitere Henker neben ihm gab, die ihn manchmalersetzten.VielleichtwollteerdeshalbbeimeinerReisedurchden»IslamischenStaat«dabei sein.Umsicherzusein,dasswirdasBilddesIS,dessenblutigeChoreografie,nichtverfremdeten?IchberichteFredericvoneinemGesprächmiteinemAntiterrorspezialisten,denichamVortagzufällig

nach auffallenden Körpermerkmalen Jihadi Johns gefragt hatte. »Ausgeprägte Adlernase«, hatte ergeantwortet.UndausgeprägteralsdieAdlernaseunseres»Fahrers«konnteeineNasenichtsein.SelbstdieVermummungkonnte,wennersichgelegentlichimAutozuunsumdrehte,denkühnenSchwungseinerNasenichtverbergen.Menschen,dieJihadiJohninseinerJugendkannten,berichtenvonseinerdunklenLockenpracht.Auchunser»Fahrer«hattedichteLocken,diebistiefinseinenNackenfielen.

Frederic ruft Malcolm an und bittet ihn, kurz vorbeizukommen. Eine halbe Stunde später spielt erMalcolmdiezweiVideosvor.OhneeinWortzusagen.MalcolmreißtdieAugenweitauf.Immerwiedermurmelter:»Dasgibt’sdochnicht.«Alserdurchist,schauterunsvölligverwirrtan:»Daskanndochallesnichtwahrsein.DasistunserFahrer.«Wortlosundaucheinwenigratlos trennenwiruns.Ratlos,weilwirunsichersind,obichinmeinem

Buch erwähnen soll, dass wir im »Islamischen Staat« wahrscheinlich jeden Tag mit dem brutalstenHenkerderWeltzusammenwaren.Unswarklar,dassder ISallesdementierenwürde.SchließlichwarJihadiJohneinerderammeistengesuchtenTerroristenderWelt.Freddy klappt seinen Computer zu. Am nächsten Tag schickt er das vonAnonymous veröffentlichte

AudiomitderangeblichenEchtstimmeJihadiJohnsanAbuQatadah.Erfragt,obdieStimmeihnnichtanunseren»Fahrer«erinnere.DieAntwortkommtumgehend.Sieistkurzundbündig:»Nein.«»Sicher?«,fragtFreddyzurück.»Natürlich!«,antwortetAbuQatadah…

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Personenregister

AAbraham(Prophet)AbuLoth(BegleiterimIS)AbuMariam(IS-Kämpfer)AbuQatadah,sieheauchChristianE.(dt.SprecherimIS)AbuUsamaAlGharib,sieheauchMohamedMahmoud(österr.Islamist)Achromejew,Sergej(Marschall)Adnani,AbuMohammadAl(SprecherdesIS)Ahmad(IS-Kämpfer)Ahmed(IS-Kämpfer)Almani,AbuTalhaAl(IS-Kämpfer),sieheauchDesoDoggAllende,SalvadorAssad,BasharAlAylwin,Patricio(chilenischerPolitiker)

BBaghdadi,AbuAbdullahAlRashidAlBaghdadi,AbuBakrAl(IS-Chef)Barre,SiadBarzani,MasudBaudicour,LouisdeBaumann,ThomasBegin,MenachemBelal(GebetsruferdesIslam)Berg,Nicholas(getöteteUS-Geisel)BinLaden,OsamaBlair,TonyBrandt,WillyBreivik,AndersBreschnew,LeonidBurak(dt.IS-Kämpfer)Bush,GeorgeW.

CCameron,DavidCantlie,John(brit.Korrespondent,vomISentführt)Carter,JimmyCheney,DickChristianE.,sieheauchAbuQatadahChurchill,WinstonClark,WesleyClooney,George

DDavid(König)DesoDogg,sieheauchAbuTalhaAlAlmani(IS-Kämpfer)

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DschingisKhan(GroßkhanderMongolen)

EEduardoFreiMontalva(chilenischerPolitiker)Einstein,Albert

FFoley,James(hingerichteterUS-Journalist)

GGaddafi,MuammarAlGandhi,IndiraGandhi,MahatmaGauck,JoachimGlucksmann,AndréGoto,Kenji(vomIShingerichteterjap.Journalist)

HHabash,GeorgeHackensberger,AlfredHashim,HasanMohammad(GefangenerdesIS)Hitler,AdolfHugo,VictorHuntington,SamuelHüseyin(FreunddesAutors)Hussein,Saddam

JJesusJihadiJohn(Terrorist)Julani,AbuMohammadAl(AnführerderJabhatAlNusra)

KKarsai,HamidKassig,PeterKissinger,HenryKrabbe,GünterKujat,Harald

MMaliki,NuriAlManal(irak.US-Gefangene)Masri,AbuAyyubAl(ISI-Chef)Melek,AbdulMerkel,AngelaMessi,LionelMohamedMahmoud,sieheauchAbuUsamaAlGharib(österr.Islamist)Mohammed(Prophet)Moses(Prophet)Muhajir,AbuAbdullahAl(IS-extremistischerJihad-Ideologe)MullahOmar

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NNoah(Prophet)Nurad-DinZengi(syrischerRegent)Nasrallah,Hassan

OObama,Barack

PPeck,EdwardPhilipB.(dt.Selbstmordattentäter)Pinochet,AugustoPohl,InesPolPotPowell,Colin

RRami(IS-Kämpfer)RamiAlLolahReagan,RonaldRibéry,FranckRobben,ArjenRobertB.(Bundeswehrsoldat,Konvertit)Ronaldo,CristianoRumsfeld,Donald

SSalah-ud-DinAyubi(BefreierJerusalems)Salim(ausländischerKämpfer)Sartre,Jean-PaulSchamir,JitzchakScholl-Latour,PeterSherbini,MarwaEl(inDresdenermordeteMuslimin)Siddiqui,Aafia(pakistanischeTerrorverdächtige)Solana,JavierSotloff,StevenStalin,JosefSteinmeier,Frank-Walter

TTocqueville,AlexisdeTodenhöfer,FrançoiseTodenhöfer,NathalieTodenhöfer,Valerie

UUstinov,Peter

VVogel,Pierre(Salafist)

W

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Westergaard,Kurt(dän.Karikaturist)

YYukawa,Haruna(jap.GeiselvomIShingerichtet)

ZZarkawi,AbuMusabAl(irakischerTerrorist,AlQaida-Mitglied)Zawahiri,AymanAl(BinLadensStellvertreter)

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BILDTEIL

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1UnsereLebensversicherung–UrkundevomBürodesKalifen:»DiesisteineSicherheitsgarantiefürdendeutschenJournalistenJürgenTodenhöfer,damiterdieTerritoriendesIslamischenStaatesmitseinemHabundGutundseinenBegleiternsicherbereist.

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DaherwerdendieSoldatendesIslamischenStaatesdieseGarantierespektierenundihmsicheres,freiesGeleitgewähren,biserseineMissionerfüllthatundwiederausgereistist.«

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2DieerstenMeterim»IslamischenStaat«.HinterdenOlivenbäumenwartendiverseSchmuggler,umunsunddieanderen»Einreisenden«abzuholen.

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3IS-KämpfermiteinemSprengstoffgürtelumdieTailleals»VerteidigungswaffederUnsportlichen«

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4JungerIS-KämpferineinemAuffanglagerfürNeuankömmlinge

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5SchwarzeIS-FlaggenaufsyrischemGebiet.NirgendwoistindiesemLandesteilnocheinPorträtvonSyriensStaatspräsidentBasharAlAssadzusehen.

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6EinvonIS-TruppenabgeschossenersyrischerKampfjet.AuchaufihmwurdedieschwarzeFlaggegehisst.

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7»Eingangstor«vonMosul.DieZwei-Millionen-Stadtwirdvon5000IS-Kämpfernkontrolliert.

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8IneinerVitrinedes»IS-Verlags«inMosulliegenu.a.Broschürendarüberaus,wiemanSklavenbehandeltodereinguterIS-Kämpferwird.

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9Religions-bzw.SittenpolizistendesISaufabendlichemKontrollgangdurchMosul

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10GesprächspätabendsaufeinerbelebtenStraßeimZentrumvonMosul.DerVermummteisteineuropäischerIS-Kämpfer,dieSkimaskehatersichvorherübergestreift.

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11AmEingangzueinemKrankenhausinMosulwerdenwirvonIS-KämpferninEmpfanggenommen.AlsStaatleitetderISauchKrankenhäuser.

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12EinverletzterIS-KämpferwollteunsunbedingtdieHandschütteln.EinJungemitIS-MützeundAC-Milan-Sweatshirtistbeiihm.

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13EinbeinamputierterIS-KämpferwartetaufseineProthese:»Sobaldichwiederlaufenkann,werdeichbiszumletztenAtemzugkämpfen!«

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14ZuunsererÜberraschungsprichtderArztimKrankenhausDeutsch.DamitseineFamiliekeineProblemebekommt,lässtersichnurmitMaskefilmen.

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15IndergroßenMoscheevonNur-al-DinwurdeGeschichtegeschrieben.DasBetretenderMoscheewirdunsalsNichtmuslimenabervomISverboten.

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16DasAl-Habna-MinarettistschieferalsderTurmvonPisa.JetztwehtamhöchstenPunktdieschwarzeFlagge.

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17DerIS-KalifAbuBakrAlBaghdadihieltimJuli2014seineberüchtigtePredigtvonderKanzeldergroßenMoscheevonNur-al-Din.

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18DawirdenInnenraumderMoscheenichtbetretendürfen,machteinerunsererBegleiterfürunsAufnahmen.

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19AufdemschwarzenNummernschilddesMercedes-BenzprangtdasIS-Logo:»KalifatdesIslamischenStaats«.

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20AlsderkleineJungeseineNasezwischenmeinenFingernsieht,fasstersicherstauntinsGesicht.

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21InMosulhatmansichmitdenneuenMachthabernarrangiert–AlltagsszeneaneinemObst-undGemüsestand

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22SogarimIS-kontrolliertenMosulhatderFCBayernFans.WirfreuenunsüberdasRibéry-Trikot,wasanfangsaufUnverständnisstößt.

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23DielokalenVerkehrspolizistendesISkontrolliereninMosulmitKalaschnikowsAutosundPassanten.

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24Ein15-JährigeralsIS-Polizist.»Wirsindhier,umzuhelfen.«

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25MitgliedereinerSpezialeinheitderIS-Polizei.»Wirwollen,dassdieLeutesehen,dasshierjetztRechtundOrdnungherrscht.«

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26StraßenkreuzunginMosul.Immerwiedergehtesdarum,Präsenzzuzeigen.

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27EinlokalerPolizeichefvonMosulistdavonüberzeugt:»NachJahrenderAnarchiesindwirsehrbeliebt.«

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28EinIS-Richtererklärt,dassimmerdieHandabgehacktwird,mitdergestohlenwurde.Und:DiefrüherenRichterwurdenallegetötet.

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29EinalterMannineinerZelle.SeinVergehen:derBesitzeinergrößerenMengevonSchlaftablettenundAntidepressiva

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30SiefolgenunsaufSchrittundTrittimAuftragdes»IslamischenStaats«:jungeMännermitBärtenalslokale»Bewacher«.

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31PanzerfriedhofaufeinerehemaligenMilitärbasisinMosul.»Sosiehtesaus,wennbiszu25000SoldatenvordemISdieFluchtergreifen.«

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32VoreinergoldenangemaltenamerikanischenHaubitzeerzählteinägyptischerIS-Kämpfer,warumergegenWahlenist.

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33EinIS-KämpferzeigtsichmiterbeuteteramerikanischerWeste.Erträgtdas»US«-EmblemerstaunlicherweisemitgroßemStolz.

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34IS-KämpferundseinamerikanischesSniper-GewehrmitZielfernrohr

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35AuchdieserkurdischeKämpferhateineUS-Waffe.

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36InterviewaneinemKreisverkehrmiteinemkurdischenGefangenendesIS–»siewolleneinenGefangenenaustausch«.

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37NichtgeradeHünen:BeideIS-KämpfergehörenzudenErsten,dieMosulimSommer2014eroberthaben.

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38AbuQatadahaliasChristianE.inMosul.NachdieserAufnahmedarfichdenbärtigenDeutschenvorderFilmkamerainterviewen.

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39Wernichtkonvertierenwill,soAbuQatadah,derwirdgetötet.»100Millionen,200Millionen,500Millionen,unsistdieAnzahlegal.«

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40EinMannaufdemMarktvonMosulerklärt:»JetztwerdenwirmitdenGesetzenAllahsregiert.Werkannsichdabeschweren?«

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41DasThemaFußballistimmereinEisbrecher.WirzählenallemuslimischenFußballerauf,diewirkennen.

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42InfalschenHänden:AuchdeutscheWaffensindimBesitzdesIS.ManfreutsichschonimVorausüberneueWaffenlieferungenandieFeinde.

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43WasmannichtaufdemSchwarzmarktkaufenkann,wirderbeutet.DiesesdeutscheMG3wurdevonderBundesregierungandiePeshmergageliefert.

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44PersonenkultistimISverboten.CristianoRonaldoundLionelMessihabenausdiesemGrundihrGesichtverloren.

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45FreitagsgebetinMosul.HunderteMenschenbetenvoreinerüberfülltenMoschee.

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46DerIShatdiealteSykes-Picot-GrenzeaufgelöstundwillseineeigenenGrenzendefinieren–natürlichmitdenSymbolendes»IslamischenStaats«.

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47ScreenshotauseinemIS-Video:diejapanischenGeiselnKenjiGotoundHarunaYukawamitihremspäterenHenkerJihadiJohn

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48FredericundichinMosul,demlandestypischenErscheinungsbildangepasst.