Interdisziplinäre operative Therapie von Tumoren der frontalen Schädelbasis

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S58 Tumoren der Frontobasis entwickeln sich im Grenzgebiet von Hirn- und Ge- sichtsschädel. Meist sind mehrere Schädelregionen extra- und intrakrani- al betroffen. Um eine möglichst radi- kale Tumorentfernung bei Schonung der funktionell wichtigen Strukturen zu erreichen, haben sich komplexe Zu- gangswege mit frontotemporaler Kra- niotomie, Orbitotomie und zusätzli- chen Osteotomien im Bereich des Ge- sichtsschädels bewährt. Solche kombi- nierten Zugangswege werden von ei- nem interdisziplinären Operationsteam aus Neurochirurgen und Kiefer- und Gesichtschirurgen durchgeführt. Diese Art der operativen Kooperation hat sich in unserer Klinik auch bei der Behand- lung kraniofazialer Dysmorphien und bei traumatischen Läsionen der Fron- tobasis und des Gesichtsschädels be- währt. In dieser Zusammenstellung be- richten wir über unsere Erfahrungen mit der Behandlung von Tumoren der frontalen Schädelbasis. Die operativen Komplikationen und die Behandlungs- ergebnisse werden einer kritischen Würdigung unterzogen. Patienten und Methode In den letzten 10 Jahren wurden 58 Patienten mit Raumforderungen der frontalen Schädelbasis von einem gemeinsamen Operationsteam der neurochirurgischen Klinik und der Klinik für Gesichts- und Kieferchirurgie über verschiede- ne kraniofaziale Zugangswege operiert. Alle Pa- tientendaten wurden prospektiv gesammelt und hinsichtlich der operativen Radikalität, der Früh- und Spätkomplikationen und der funktio- nellen Ergebnisse dokumentiert. Bei 2 Patienten mußte wegen eines Tumorrezidivs ein Zweit- eingriff vorgenommen werden, so daß insge- samt 60 Operationen durchgeführt wurden. Das Alter der 34 weiblichen und 24 männlichen Pa- tienten lag im Bereich von 1,2–81,1 Jahren und betrug im Mittel 24,3 Jahre. Die präoperative Diagnostik umfaßte neben den Röntgennativaufnahmen eine Computerto- mographie des Hirn- und Gesichtsschädels in allen Fällen. Mit zunehmender Verfügbarkeit wurde die Diagnostik in den letzten Jahren durch eine kernspintomographische Untersuchung er- gänzt. Bei vaskularisierten Tumoren, insbeson- dere bei Meningeomen, wurde präoperativ eine Angiographie durchgeführt. In Fällen mit einer relevanten Gefäßversorgung des Tumors über Äste der A. carotis externa erfolgte präoperativ eine Embolisierung des Tumors durch den Neu- roradiologen. Bei einer Tumorinfiltration des Si- nus cavernosus und Hinweisen auf eine Beteili- gung der A. carotis interna im Kernspintomo- gramm wurde präoperativ eine Probeokklusion der A. carotis interna unter neurophysiologi- schem Monitoring durchgeführt, um die Risiken eines intraoperativen Gefäßverschlusses zu eva- luieren. Tabelle 1 ergibt eine Übersicht über die histologische Klassifizierung der Tumoren. Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S58–S62 © Springer-Verlag 1998 Interdisziplinäre operative Therapie von Tumoren der frontalen Schädelbasis H. Wiedemayer 1 , C. Mohr 2 , V. Seifert 1 , D. Schettler 2 1 Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie (Prof. Dr. D. Stolke), Universitätsklinikum Essen 2 Klinik und Poliklinik für Gesichts- und Kieferchirurgie (Prof. Dr. Dr. D. Schettler), Universitätsklinikum Essen Dr. H. Wiedemayer, Universitätsklinikum Es- sen, Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Hufelandstraße 55, D-45 122 Essen Zusammenfassung Tumoren der frontalen Schädelba- sis entwickeln sich im Grenzgebiet von Hirn- und Gesichtsschädel häufig mit einer Ausbreitung nach intra- und extrakranial. Bei der operativen Behandlung wird die- sen anatomischen Gegebenheiten durch kombinierte kraniofaziale Zugangswege Rechnung getragen, die von einem interdisziplinären Operationsteam durchgeführt wer- den. Um die Effektivität und Kom- plikationen dieses Behandlungs- konzepts zu überprüfen, wurden die Daten von 58 Patienten aus den letzten 10 Jahren zusammen- gestellt. Bei diesen Patienten wur- den mit 2 Rezidiveingriffen 60 Operationen durchgeführt. Bei 38 Eingriffen gelang eine vollständi- ge Tumorexstirpation. Durch eine Lungenembolie ereignete sich ein postoperativer Todesfall. Funktio- nell relevante neurologische Defi- zite traten bei 3 Patienten auf. Postoperative Komplikationen und funktionelle Beeinträchtigungen wurden v.a. durch eine intradura- le Tumorinvasion verursacht. Mit der Anwendung mikrochirurgi- scher Operationstechniken bei der Resektion der intraduralen Tumor- anteile läßt sich meist eine radika- le Tumorexstirpation bei akzepta- bler Morbidität erreichen. Rekon- struktive Maßnahmen bei Defekten im Bereich der Dura und des Kno- chens tragen entscheidend dazu bei, postoperative Komplikationen zu vermeiden und ein zufrieden- stellendes kosmetisches Behand- lungsergebnis zu erzielen. Schlüsselwörter Schädelbasistumor · Kraniofazia- ler Zugang · Frontobasis ORIGINALIEN Tabelle 1 Histologische Befunde Meningeom 16 Karzinom 9 Metastase 4 Sarkom 4 Verschiedene 25 Benigne 38 Maligne 20

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Tumoren der Frontobasis entwickelnsich im Grenzgebiet von Hirn- und Ge-sichtsschädel. Meist sind mehrereSchädelregionen extra- und intrakrani-al betroffen. Um eine möglichst radi-kale Tumorentfernung bei Schonungder funktionell wichtigen Strukturenzu erreichen, haben sich komplexe Zu-gangswege mit frontotemporaler Kra-niotomie, Orbitotomie und zusätzli-chen Osteotomien im Bereich des Ge-sichtsschädels bewährt. Solche kombi-nierten Zugangswege werden von ei-nem interdisziplinären Operationsteamaus Neurochirurgen und Kiefer- undGesichtschirurgen durchgeführt. DieseArt der operativen Kooperation hat sichin unserer Klinik auch bei der Behand-lung kraniofazialer Dysmorphien undbei traumatischen Läsionen der Fron-tobasis und des Gesichtsschädels be-währt. In dieser Zusammenstellung be-richten wir über unsere Erfahrungenmit der Behandlung von Tumoren derfrontalen Schädelbasis. Die operativenKomplikationen und die Behandlungs-ergebnisse werden einer kritischenWürdigung unterzogen.

Patienten und Methode

In den letzten 10 Jahren wurden 58 Patienten mitRaumforderungen der frontalen Schädelbasisvon einem gemeinsamen Operationsteam derneurochirurgischen Klinik und der Klinik fürGesichts- und Kieferchirurgie über verschiede-ne kraniofaziale Zugangswege operiert. Alle Pa-

tientendaten wurden prospektiv gesammelt undhinsichtlich der operativen Radikalität, derFrüh- und Spätkomplikationen und der funktio-nellen Ergebnisse dokumentiert. Bei 2 Patientenmußte wegen eines Tumorrezidivs ein Zweit-eingriff vorgenommen werden, so daß insge-samt 60 Operationen durchgeführt wurden. DasAlter der 34 weiblichen und 24 männlichen Pa-tienten lag im Bereich von 1,2–81,1 Jahren undbetrug im Mittel 24,3 Jahre.

Die präoperative Diagnostik umfaßte nebenden Röntgennativaufnahmen eine Computerto-mographie des Hirn- und Gesichtsschädels inallen Fällen. Mit zunehmender Verfügbarkeitwurde die Diagnostik in den letzten Jahren durcheine kernspintomographische Untersuchung er-gänzt. Bei vaskularisierten Tumoren, insbeson-dere bei Meningeomen, wurde präoperativ eineAngiographie durchgeführt. In Fällen mit einerrelevanten Gefäßversorgung des Tumors überÄste der A. carotis externa erfolgte präoperativeine Embolisierung des Tumors durch den Neu-roradiologen. Bei einer Tumorinfiltration des Si-nus cavernosus und Hinweisen auf eine Beteili-gung der A. carotis interna im Kernspintomo-gramm wurde präoperativ eine Probeokklusionder A. carotis interna unter neurophysiologi-schem Monitoring durchgeführt, um die Risikeneines intraoperativen Gefäßverschlusses zu eva-luieren. Tabelle 1 ergibt eine Übersicht über diehistologische Klassifizierung der Tumoren.

Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] :S58–S62 © Springer-Verlag 1998

Interdisziplinäre operative Therapie von Tumoren der frontalen Schädelbasis

H. Wiedemayer1, C. Mohr2, V. Seifert1, D. Schettler2

1 Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie (Prof. Dr. D. Stolke), Universitätsklinikum Essen2 Klinik und Poliklinik für Gesichts- und Kieferchirurgie (Prof. Dr. Dr. D. Schettler), Universitätsklinikum Essen

Dr. H. Wiedemayer, Universitätsklinikum Es-sen, Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie,Hufelandstraße 55, D-45 122 Essen

Zusammenfassung

Tumoren der frontalen Schädelba-sis entwickeln sich im Grenzgebietvon Hirn- und Gesichtsschädelhäufig mit einer Ausbreitung nachintra- und extrakranial. Bei deroperativen Behandlung wird die-sen anatomischen Gegebenheitendurch kombinierte kraniofazialeZugangswege Rechnung getragen,die von einem interdisziplinärenOperationsteam durchgeführt wer-den. Um die Effektivität und Kom-plikationen dieses Behandlungs-konzepts zu überprüfen, wurdendie Daten von 58 Patienten ausden letzten 10 Jahren zusammen-gestellt. Bei diesen Patienten wur-den mit 2 Rezidiveingriffen 60Operationen durchgeführt. Bei 38Eingriffen gelang eine vollständi-ge Tumorexstirpation. Durch eineLungenembolie ereignete sich einpostoperativer Todesfall. Funktio-nell relevante neurologische Defi-zite traten bei 3 Patienten auf. Postoperative Komplikationen undfunktionelle Beeinträchtigungenwurden v. a. durch eine intradura-le Tumorinvasion verursacht. Mitder Anwendung mikrochirurgi-scher Operationstechniken bei derResektion der intraduralen Tumor-anteile läßt sich meist eine radika-le Tumorexstirpation bei akzepta-bler Morbidität erreichen. Rekon-struktive Maßnahmen bei Defektenim Bereich der Dura und des Kno-chens tragen entscheidend dazubei, postoperative Komplikationenzu vermeiden und ein zufrieden-stellendes kosmetisches Behand-lungsergebnis zu erzielen.

Schlüsselwörter

Schädelbasistumor · Kraniofazia-ler Zugang · Frontobasis

O R I G I N A L I E N

Tabelle 1Histologische Befunde

Meningeom 16Karzinom 9Metastase 4Sarkom 4Verschiedene 25

Benigne 38Maligne 20

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Operationstechnik (Abb.1, 2)

Für die kraniofazialen Osteotomien wurde einbikoronarer Bügelschnitt hinter der Stirnhaar-grenze ausgeführt, der lateral bis vor den Tragusgeführt wurde. Bei der Präparation des frontalenVisierlappens wurde der Stirnast des N. facialisdurch Präparation der interfaszialen Schicht desTemporalmuskels geschont. Der N. frontaliswurde bilateral identifiziert und erhalten. Einbasal gestielter Galeaperiostlappen wurde ge-sondert zur späteren Deckung der Frontobasispräpariert. Bei der periorbitalen Dissektion wur-den das mediale Lidband und der Tränennasen-gang geschont.

Tabelle 2 zeigt eine Zusammenstellung dervom Tumor befallenen Schädelregionen. Zu-sätzlich zur Frontobasis waren in 27 Fällen dietemporale Schädelbasis und in 26 Fällen der Si-nus cavernosus betroffen. Im extrakranialen Be-reich dehnte sich der Tumor am häufigsten zurOrbita (49 Fälle) und zur Flügelgaumengrube(25 Fälle) aus.

Die Osteotomien wurden individuell nachder Tumorausdehnung gestaltet. Bei mittellini-ennahen Tumoren wurde über eine bifrontaleKraniotomie mit freiem Knochendeckel nachDissektion der Periorbita und der frontobasalenDura ein bifrontoorbitales Knochensegmentosteotomiert. Auf diesem Weg gelingt ein Zu-

gang zur gesamten Frontobasis, zur Siebbein-region, zur Keilbeinhöhle und zum intraorbita-len Raum bis zur Orbitaspitze. Der Optikuska-nal läßt sich auf intra- oder extraduralem Wegzur Dekompression des N. opticus eröffnen.Intradural findet man Zugang zum vorderen Si-nus cavernosus.

Bei Tumoren mit lateraler Ausdehnung zumKeilbeinflügel und zur mittleren Schädelgrubeoder nach infratemporal wurde nach Mobilisie-

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Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S58–S62© Springer-Verlag 1998

Interdisciplinary surgical treatment of tumors of the anterior cranial base

H. Wiedemayer, C. Mohr, V. Seifert, D. Schettler

Summary

Most tumors of the anterior cranialbase invade both the intra- and ex-tracranial regions at the borderlineof the cranial and facial skeleton. Insurgical treatment of these lesions,combined craniofacial approachesare applied in accordance with theanatomical conditions. Surgery isperformed by an interdisciplinaryteam of neurosurgeons and max-illofacial surgeons. To evaluate theeffectiveness and the complica-tions of this surgical concept, thedata of 58 patients treated over a10-year period were collected. Inthese patients, 60 operations wereperformed, including two opera-tions for tumor recurrence. In 38cases, complete tumor removal wasachieved. One patient died in theearly postoperative period becauseof pulmonary embolism. Signifi-cant neurological deficits occurredin three patients. In most cases,postoperative complications andfunctional disability were both dueto intradural invasion of the tumor.Nevertheless, in the majority of thecases radical tumor removal isachieved with acceptable morbidi-ty when microsurgical techniquesare applied for the resection of theintradural tumor. Both the meticu-lous repair of dural defects and thereconstruction of the anterior cra-nial base and orbit contribute dis-tinctly to a reduction in the rate ofpostoperative complications and toacceptable cosmetic results.

Key words

Skull-base tumor · Craniofacial ap-proach · Anterior cranial base

Tabelle 2Regionale Ausbreitung der Tumo-ren

Lokalisation Anzahl

IntrakranialFrontobasis 60Temporobasis 27Sinus cavernosus 26

ExtrakranialOrbita 49Flügelgaumengrube 25Nasennebenhöhlen 18Nasenhöhle 9

Abb.1a–c. 42jährige Patientin mit einem rezi-divierenden sphenoorbitalen Meningeom. Es er-folgte eine radikale Exstirpation des Tumorsüber eine frontolaterale Orbitokraniotomie unterErhaltung des Bulbus; a das Kernspintomo-gramm mit Kontrastmittel zeigt die intraorbita-le Weichteilkomponente des Tumors und die er-hebliche Protrusio bulbi, b das Computertomo-gramm läßt im Knochenfenster die ausgedehn-te Tumorinvasion des Schädelbasisknochens imBereich des Keilbeinflügels, der lateralen Orbi-tawand und des Klinoidfortsatzes erkennen, cdas postoperative Computertomogramm zeigtdas Ausmaß der notwendigen Resektion vonSchädelbasisknochen. Orbitadach und lateraleOrbitawand sind mit Tabula interna aus demKnochendeckel der Kraniotomie rekonstruiert

a

c

b

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rung des Temporalmuskels eine frontotempora-le Kraniotomie durchgeführt. Nach basal wurdeder Zugang durch eine Zygomatikoorbitotomieerweitert. Auf diesem Weg wird intrakranial einZugang zur gleichseitigen Frontobasis, zum la-teralen Keilbeinflügel, zur mittleren Schädel-

grube, zum Optikuskanal, zur Fissura orbitalissuperior und zum Sinus cavernosus gewonnen.Extrakranial werden der intraorbitale Raum biszur Orbitaspitze und die Fossa infratemporaliserreicht. Bei weiterer extrakranialer basaler Tu-morausdehnung wurde der kraniofaziale Zu-

gang durch Osteotomien im Bereich der Maxil-la oder Mandibula erweitert.

Tabelle 3 gibt eine Übersicht über die fürden kraniofazialen Zugang durchgeführtenOsteotomien. Nur bei 9 Eingriffen konnte derTumor auf rein extrakranialem Weg ohne Schä-deltrepanation erreicht werden. Zusätzlich zurKraniotomie in 51 Fällen wurden eine Orbitoto-mie bei 47 Operationen durchgeführt. Bei 34Eingriffen wurde zusätzlich transfazial und in 6Fällen transoral vorgegangen.

Bei hochgradig vaskularisierten Tumorenoder bei Tumoren, die die A. carotis interna imBereich der Schädelbasis umwachsen, wurdenzur proximalen Gefäßkontrolle vor der Durch-führung des kraniofazialen Zugangs die A. ca-rotis interna und A. carotis externa am Hals frei-gelegt und angeschlungen. Bei Tumoren mitausgedehnter intrakranialer Raumforderung undbei einer Tumorinfiltration des Sinus cavernosuswurde eine intraoperative neurophysiologischeÜberwachung mit evozierten Potentialen durch-geführt.

Die Technik der Tumorresektion wurde jenach Lokalisation, Beschaffenheit des Tumorsund Form der Ausbreitung dem Einzelfall ange-paßt. Grundsätzlich wurde angestrebt, maligneTumoren en bloc zu resezieren. Bei intraduralerTumorausbreitung, insbesondere wenn Hirnner-ven oder Gefäße vom Tumor umwachsen waren,wurde nach den Regeln der mikrochirurgischenOperationstechnik vorgegangen. Dabei wurdezunächst eine ausgiebige interne Tumordekom-pression durchgeführt. Anschließend erfolgtedie Dissektion des Tumorgewebes von den an-grenzenden Hirnnerven und Gefäßen in mikro-chirurgischer Präparationstechnik.

Grundsätzlich wurde angestrebt, die für denZugang resezierten oder vom Tumor destruier-ten Strukturen zu rekonstruieren. Dabei wurdeimmer autologes Material bevorzugt. Die Dura-rekonstruktion wurde mit Temporalmuskelfas-zie und Galeaperiost durchgeführt. Defekte derfrontalen Schädelbasis wurden mit einem ge-stielten Galeaperiostlappen abgedeckt. Zur Re-konstruktion knöcherner Defekte im Bereichdes Orbitadachs, der Orbitawände und der Schä-delkonvexität wurde Tabula interna durch Tei-lung des Knochendeckels aus dem Kranioto-miezugang gewonnen. Weichteildefekte wurdenin 9 Fällen mit lokalen Schwenklappen und in 6

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Tabelle 3Osteotomien für die kraniofazia-len Zugangswege

Kraniotomie 51

Orbitotomie 47Frontoorbital 20Zygomatikoorbital 27

Transfazial 34Zentral 12Lateral 22

Transoral 6

Abb.2a–d. 2,2 Jahre altes Mädchen mit einem rezidivierenden Rhabdomyosarkom ausgehend vonder linken Orbita. Es wurde eine radikale Tumorexstirpation über eine frontotemporale Kranioto-mie und Zygomatikoorbitotomie mit Exenteratio orbitae durchgeführt, a im axialen Kernspinto-mogramm mit Kontrastmittel sind die intraorbitale Tumorausdehnung und das Tumorwachstum überdie Fissura orbitalis superior in den Sinus cavernosus erkennbar. Die intrakavernöse A. carotis in-terna ist vom Tumor deutlich komprimiert, b im frühen postoperativen Kernspintomogramm mitKontrastmittel läßt sich die vollständige Tumorexstirpation verifizieren. Die Tumorhöhle ist mit ei-nem freien Fetttransplantat aufgefüllt, c präoperative Frontalansicht des Kinds mit erheblicher Ver-lagerung des linken Bulbus durch die intraorbitale Raumforderung, d Frontalansicht am 17. post-operativen Tag nach guter Erholung. Durch spätere Versorgung mit einem Kunstauge wird ein gutes kosmetisches Ergebnis erzielt

a b

c d

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Fällen mit mikrovaskulären Lappen gedeckt. In2 Fällen wurde die Tumorhöhle mit einem freienFetttransplantat obliteriert. Die Knochensegmen-te zur Rekonstruktion von Defekten, die Osteo-tomiesegmente und der Knochendeckel der Tre-panation wurden mit Mikroplatten refixiert.

Regelmäßig wurde eine einmalige intraope-rative Antibiotikaprophylaxe durchgeführt. BeiEingriffen mit Eröffnung der Nasenneben-höhlen wurden postoperativ für 1 Woche Anti-biotika verabreicht. Bei Eingriffen mit aufwen-diger Rekonstruktion von Duradefekten wurdeperioperativ eine lumbale Liquordrainage ein-gelegt und für einige Tage postoperativ belassen.

Ergebnisse

Bei 38 der 60 Operationen konnte derTumor vollständig exstirpiert werden.In 22 Fällen war nur eine subtotale Tu-morresektion möglich. Die Beurtei-lung der Radikalität erfolgte anhanddes intraoperativen Befunds und derpostoperativen Bildgebung. Besondersbei einer Invasion des Sinus caverno-sus durch benigne Läsionen wurde dieoperative Radikalität zugunsten derFunktionserhaltung immer dann zu-rückgestellt, wenn die Patienten ohneneurologische Symptome waren.

Tabelle 4 zeigt eine Zusammenstel-lung der operativen Komplikationen.Bei 20 Patienten traten postoperativzusätzliche neurologische Ausfälleauf. Diese waren in 3 Fällen funktio-nell bedeutsam. Bei 1 Patienten mani-festierte sich eine mittelgradige Hemi-parese, die sich im weiteren Verlaufnur inkomplett zurückbildete. ZweiPatienten zeigten postoperativ ein hirn-organisches Psychosyndrom. In beidenFällen kam es innerhalb von 1 Wochezu einer vollständigen Remission. Zu-sätzlich entwickelte sich bei einem die-ser Patienten postoperativ eine Apha-sie. Unter logopädischer Behandlungkam es über einen Zeitraum von meh-reren Wochen zu einer vollständigen

Rückbildung. Zwei Patienten erlittenin der frühen postoperativen Phase ei-nen Krampfanfall. Bei 1 Patientenmußte eine medikamentöse Behand-lung eingeleitet werden. Bei den übri-gen neurologischen Ausfällen handel-te es sich um reversible Funktions-störungen im Bereich der lokalen Hirn-nerven. Im wesentlichen fanden sichSensibilitätsstörungen im Versorgungs-gebiet des N. trigeminus und Störun-gen der Augenmotilität sowie in 3 Fäl-len Visusstörungen. Diese meist tem-porären Defizite verursachten für diePatienten keine dauerhaften funktio-nellen Einschränkungen.

Bei 8 Patienten bildeten sich post-operativ eine Liquorfistel oder ein Li-quorkissen im Bereich des Hautlap-pens aus. In allen Fällen wurde zur Be-handlung eine lumbale Liquordrainageeingelegt und für maximal 10 Tage be-lassen. In 5 Fällen sistierte die Liquor-fistel unter dieser Behandlung dauer-haft. Bei 3 Patienten wurde wegen ei-nes Rezidivs ein ventrikuloperitonea-ler Liquorshunt eingelegt.

Bei 2 Patienten trat im postoperati-ven Verlauf eine Meningitis auf, die inbeiden Fällen unter antibiotischer The-rapie folgenlos ausheilte. Eine lokaleInfektion heilte bei 1 Patienten unterkonservativer Behandlung aus, bei 1weiteren Patienten mußte eine operativeRevision durchgeführt werden. In 1 Fallwurde ein Zweiteingriff wegen einerepiduralen Nachblutung erforderlich.

Ein Patient verstarb am 12. post-operativen Tag unter dem klinischenBild einer Lungenembolie. Bei 2 wei-teren Patienten verlief eine tiefe Bein-venenthrombose unter medikamentö-ser Behandlung komplikationslos.

Tabelle 5 zeigt eine Zusammenstel-lung der funktionellen Behandlungser-

gebnisse. Die mittlere Nachbeobach-tungszeit betrug 905 Tage. Ein Patientging der Nachbeobachtung verloren.11 Patienten verstarben im weiterenVerlauf, davon 10 im 1. Jahr nach derOperation. Alle verstorbenen Patientenwaren mit malignen und infiltrativwachsenden Tumoren erkrankt.

Unter den lebenden Patienten zeig-ten 16 bei der letzten Kontrolluntersu-chung ein gutes oder sehr gutes und 23ein zufriedenstellendes Behandlungs-ergebnis. Im Verlauf der weiterenNachbeobachtung traten bei 4 Patien-ten mäßige Behinderungen und bei 3Patienten schwere Einschränkungenauf, die bei allen 7 Patienten durch einTumorrezidivwachstum nach inkom-pletter Tumorresektion verursachtwurden.

Diskussion

Kraniofaziale Osteotomien wurden ur-sprünglich zur Korrektur kraniofazia-ler Dysmorphien entwickelt [16]. Erstspäter wurde der rein transbasale Zu-gang zu Tumoren der vorderen Schä-delbasis [3] durch zusätzliche orbitaleOsteotomien erweitert [1, 5, 6].

Die kombinierten kraniofazialenZugangswege bieten gegenüber einemkonventionellen extra- oder intrakra-nialen Vorgehen einige Vorteile. Sie er-lauben eine allseitige Darstellung derTumorgrenzen extra- und intrakranialund ermöglichen erst dadurch einewirklich radikale Tumorexstirpation.Die Resektion eines malignen Tumorsder frontalen Schädelbasis en bloc istin der Regel nur über einen kraniofa-zialen Zugang möglich. Durch die or-bitale Osteotomie läßt sich außerdemein sehr flacher Zugangswinkel zurfrontalen Schädelbasis erreichen. Beider Exposition des intrakranialen Tu-moranteils ist damit nur eine minimaleRetraktion des Frontallappens erfor-derlich. Dadurch läßt sich eine zusätz-liche operative Traumatisierung deshäufig durch Ödem und Tumorkom-pression vorgeschädigten Hirngewe-bes vermeiden. Die kritischen intrakra-nialen Strukturen wie der N. opticus,die A. carotis interna und der Sinus ca-vernosus lassen sich über einengroßzügigen kraniofazialen Zugangausgezeichnet darstellen. Ferner er-leichtern der kombinierte extra- und in-

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Tabelle 4Postoperative Komplikationen

Neurologisches Defizit 20Liquorfistel 8Krampfanfall 2Lokale Infektion 2Meningitis 2Thrombose 2Nachblutung 1Verstorben 1

Tabelle 5Funktionelle ErgebnisseWerte in Klammern geben dieEinstufung nach der Karnofsky-Skala wieder

Sehr gut/gut (90–100) 16Leichte Behinderung (70–80) 23Mäßige Behinderung (60) 4Schwere Behinderung (40–50) 3Verstorben 11Unklar 1

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trakraniale Zugang entscheidend dienotwendigen rekonstruktiven Maßnah-men. Dies gilt sowohl für die Deckungvon Duradefekten als auch für die Re-konstruktion der knöchernen Struktu-ren im Bereich der frontalen Schädel-basis und der Orbita. Von verschiede-nen Arbeitsgruppen wurden in denletzten Jahren die Vorteile der kranio-fazialen Zugänge herausgearbeitet [2,9, 10, 12–14, 17].

Mit dem interdisziplinären Operati-onsteam aus Neurochirurgen und Kie-fer- und Gesichtschirurgen werden diespeziellen technischen Möglichkeitenaus beiden Fachgebieten, insbesonde-re die mikrochirurgische Operations-technik und die plastisch-rekonstrukti-ven Techniken zusammengeführt. Beider intrakranialen und intraorbitalenTumordissektion ist die mikrochirurgi-sche Präparationstechnik unverzicht-bar, um die tumorumgebenden funk-tionell wichtigen Strukturen zu scho-nen.

Die abschließende Rekonstruktionder Defekte hat für die erfolgreiche Be-handlung von Tumoren der vorderenSchädelbasis den gleichen Stellenwertwie der initiale adäquate Zugangsweg.Ein sorgfältiges Vorgehen bei der Re-konstruktion von Duradefekten trägtentscheidend dazu bei, Komplikatio-nen durch Liquorfisteln und Infektio-nen zu vermeiden. Optimal ist nach un-serer Erfahrung eine 2schichtige Re-konstruktion der Dura. In jedem Fallversuchen wir, die intakte Dura in derRandzone des Defekts darzustellenund mit einem freien Faszienlappenvom Temporalmuskel direkt zu ver-nähen. Über den so rekonstruiertenDuradefekt wird als 2. Schicht ein ge-stielter Galeaperiostlappen geschwenktund ebenfalls durch Naht fixiert.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist dieRekonstruktion der knöchernen De-fekte. Als Material hat sich hier Tabu-la interna bewährt, die durch Teilungdes Kraniotomieknochendeckels ge-wonnen wird. Durch sorgfältige Re-konstruktion der knöchernen Orbitawird ein kosmetisch und funktionellstörender Enophthalmus vermieden[15]. Die sorgfältige Rekonstruktiondes Orbitarings und des Schädeldachsim Bereich des Stirnbeins und der

Temporalschuppe sorgen für ein imGesamtbild kosmetisch befriedigendesBehandlungsergebnis.

Bei den hinsichtlich ihrer Lokalisa-tion und infiltrativen Ausbreitung oftproblematischen Läsionen der vorde-ren Schädelbasis, lassen sich Kompli-kationen nicht gänzlich vermeiden [7,11]. Um so wichtiger ist eine genaueKenntnis der Komplikationsmöglich-keiten in der frühen postoperativen Be-handlungsphase. Undichtigkeiten imBereich der Durarekonstruktion mitAusbildung von Liquorfisteln oder Li-quorkissen lassen sich bei rechtzeitigerTherapie durch eine lumbale Liquor-drainage meist ohne weitere operativeMaßnahmen kontrollieren. Bei auf-wendigen Rekonstruktionen von Du-radefekten hat sich eine prophylakti-sche lumbale Liquordrainage bewährt,die postoperativ für einige Tage belas-sen wird. Die Langzeitergebnisse wer-den in erster Linie von der Dignität desTumors und der möglichen Radikalitätdes operativen Vorgehens beeinflußt[4, 8]. Bei malignen Läsionen ist einepostoperative Nachbehandlung in Zu-sammenarbeit mit dem Onkologen undStrahlentherapeuten zwingend erfor-derlich. Bei benignen Tumoren solltein jedem Fall eine langfristige klini-sche und radiologische Verlaufsbeob-achtung erfolgen, um ein möglichesTumorrezidiv frühzeitig zu erkennen.

Zusammenfassend führt der demindividuellen Fall angepaßte kraniofa-ziale Zugangsweg zusammen mit derSofortrekonstruktion der reseziertenKnochenpartien zu funktionell undkosmetisch sehr zufriedenstellendenBehandlungsergebnissen. Mit zuneh-mender Erfahrung des interdiszi-plinären Operationsteams und konti-nuierlicher Weiterentwicklung derTechniken werden sich die operativenKomplikationen weiter vermindernlassen.

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