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Interdisziplinäre Standortgespräche Interdisziplinäre Standortgespräche auf der Grundlage der ICF-CY Prof. Dr. Judith Hollenweger, Prof. Dr. Judith Hollenweger, Pädagogische Hochschule Zürich 15. Bundesfachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG 15. Bundesfachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG Ravensburg, 16. September 2010

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Interdisziplinäre StandortgesprächeInterdisziplinäre Standortgesprächeauf der Grundlage der ICF-CY

Prof. Dr. Judith Hollenweger, Prof. Dr. Judith Hollenweger, Pädagogische Hochschule Zürich

15. Bundesfachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG 15. Bundesfachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG Ravensburg, 16. September 2010

Überblick:

1. Kennen – Verstehen – Handeln in Ungewissheit

2. Niemand ist eine Insel2. Niemand ist eine Insel

3. Das Verfahren „Schulischen Standortgespräche“

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1. Kennen – Verstehen – Handeln in Ungewissheit 1. Kennen – Verstehen – Handeln in Ungewissheit

And we shall not cease from exploration

Und das Ende allen Erkundens wird sein,daß wir ankommen, wo wir aufbrachen.And the end of all our exploring

Will be to arrive where we startedAnd know the place for the first time.

daß wir ankommen, wo wir aufbrachen.Und diesen Ort zum ersten Mal erkennen.

And know the place for the first time.

T.S. Eliot

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T.S. Eliot

Ungewissheit im professionellen Handeln

Professionelles Handeln mit Kindern und Jugendlichen ist von Ungewissheitgeprägt• kein technisches, standardisierbares Handeln• kein technisches, standardisierbares Handeln• kein Handeln, das in der Anwendung klassifikatorischer Zuordnungen besteht• notwendigerweise interaktives Handeln, abhängig von gemeinsamen

Rahmungen und interaktiven AushandlungspraxisRahmungen und interaktiven Aushandlungspraxis• Handeln, das des Vertrauens bedarf• Handeln, in dem es um die Ermöglichung der Entstehung des psychisch Neuem,

von Kompetenzen und kulturellen Praktiken als Voraussetzung für Welt- und von Kompetenzen und kulturellen Praktiken als Voraussetzung für Welt- und Selbstdeutungen geht; dies muss kommunikativ angeregt werden.

Helsper, Werner (2008). Ungewissheit und pädagogische Professionalität. In Bielefelder Arbeitsgruppe: Soziale Arbeit in Gesellschaft. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, Seite 164.

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Umgang mit Ungewissheit

Was nicht passieren darf: Ein Verwalten und eine Bürokratisierung im Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit• Reduktion auf eine Kategorie• Reduktion auf eine Kategorie• Zirkuläre Argumentationen• Einseitige Schuldzuweisungen• Negierung der Bedeutung von Interaktionen• Negierung der Bedeutung von Interaktionen

Professionelles Handeln mit Kindern und Jugendlichen erhält Stabilität undKohärenz durch eine Reflexion der Routine und durch eine Routine der Reflexion• Eigene Handlungsgewohnheiten reflektieren� Analyse der eigenen Arbeit und Interpretationsgewohnheiten� Analyse der eigenen Arbeit und Interpretationsgewohnheiten• Routinen einbauen, in denen die Reflexion zu einem institutionalisierten

Bestandteil des Alltags wird� Handlungszyklen mit anderen gemeinsam gestalten und reflektieren

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� Handlungszyklen mit anderen gemeinsam gestalten und reflektieren

Videobeispiel „Sandro“

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Eigene Handlungsroutinen reflektieren

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Beispiel eines Handlungszyklus

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aus: http://www.vrs.ch/uploads/media/Wegleitung_fr_den_strukturierten_lehrgang.pdf

Handlungsabläufe im professionellen Kontext

Zielorientierung

Prüfen/Erfassen/ Analysieren Planen/

Entscheiden

Handeln/RealisierenErfassen/

EvaluierenAnalysieren

Entscheiden Realisieren

Situation Analyse Planung Aktion

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Situation Analyse Planung Aktion

Was bestimmt unser Verstehen?

AnamneseAnamnese

Beobachtungen

Lernexperimentepsychologische Theorien

Gutachter -

explizite oder implizite Bildungs-und Entwicklungs -

Gespräche

Berichte

Gutachter -persönlichkeit

Klassifikations-systeme

und Entwicklungs -ziele „Bedarf“

Testergebnisse

Berichte verfügbares AngebotPraxis

Schulleistungen

Situation Analyse Planung Aktion

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Situation Analyse Planung Aktion

Kohärenz der Informationsverarbeitung sichern

Sind alle relevanten Aspekte der Situation im Handlungszyklus abbildbar?• Hilft das vorhandene Wissen bei der Analyse der vorliegenden Situation?• Kann aus der gemachten Analyse eine Planung abgeleitet werden? • Kann aus der gemachten Analyse eine Planung abgeleitet werden? • Ist die Planung handlungsanleitend? • Können die Ergebnisse der Handlungen erfasst werden und zwecks Evaluation

mit der Ausgangssituation in Beziehung gebracht werden?mit der Ausgangssituation in Beziehung gebracht werden?

� Notwendigkeit einer adäquaten Sprache, welche alle relevanten Informationen in einem Rahmenmodell abbilden kann

� Gewährleistung der Kompatibilität aller handlungsleitenden Informationen� Gewährleistung der Kompatibilität aller handlungsleitenden Informationen� Transparenz notwendig im professionellem Handeln

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Was ist „Behinderung“? – ein neues Verständnis.

Behinderung ist relativ zu den Erwartungen und Anforderungen der Umwelt.

Es gibt keine „a priori“ behinderte Menschen; sie werden als solche „definiert“. Der Es gibt keine „a priori“ behinderte Menschen; sie werden als solche „definiert“. Der Weg dahin ist eine komplexe Interaktion zwischen Gesundheitszustand, Funktions-fähigkeit und der Umwelt. Dies muss in der Definition von „Behinderung“ berücksichtigt werden.berücksichtigt werden.Prinzipien der von der WHO verabschiedeten Definition von Behinderung:

Mehrdimensionales Kontinuum von FunktionsfähigkeitMehrdimensionales Kontinuum von FunktionsfähigkeitUniversalitätBio-psycho-soziales VerständnisBio-psycho-soziales VerständnisUmweltorientierungNeutrale Beschreibung, keine a priori definierte „Behinderung“

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Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Genf: WHO 2005

ICF Modell (WHO 2001) als Grundlage

Gesundheitszustand

Körperfunktionen Körperfunktionen und -strukturen

Aktivitäten Partizipation

Umweltfaktoren PersonenbezogeneFaktoren

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Wichtige Informationen anschlussfähig machen!

Chronologische Perspektive

Situation/Input

Erfassung/Analyse

Zuweisung/Planung

Intervention/Handlung

Evaluation/Outcome

Welche Information ist wichtig?

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Brücken zwischen „Behinderung“ und „Kompetenz“

“Funktionsfähigkeit”“Defizitorientierung”

Verstehen von Problemen

“Kompetenzorientierung”UnterrichtsplanungVerstehen von Problemen

verschiedene Aspekte bedeutsamfür die Beschreibung eines “Problems”

verschiedene Aspekte bedeutsam für die Beschreibung vonBildungsergebnissen / Outcomes“Problems”

oder

differentialdiagnostische

Bildungsergebnissen / Outcomes

oder

Komponenten von Fähigkeitendifferentialdiagnostische Kriterien zur Feststellung einesSyndroms (z.B. Dyslexie)

Komponenten von Fähigkeitenals Kriterien für die Feststellungvon komplexen Kompetenzen

Funktionelle Eigenschaften Funktionelle Eigenschaften

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Funktionelle Eigenschaften einer Störung

Funktionelle Eigenschaften einer Kompetenz

2. Kein Mensch ist eine Insel2. Kein Mensch ist eine Insel

No man is an island, entire of itself; every man is a piece of the continent, a part of the main.

Kein Mensch ist eine Insel, in sich selbst vollständig; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Festlandsist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Festlands

John Donne

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John Donne

Gemeinsames Handeln

BedarfsbestimmungEvaluation BedarfsbestimmungEvaluation

Was ist das Ziel?Was ist das Ziel?

InterventionsplanungUmsetzung

Public Health Action CycleIEP CycleRehabCycle

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vgl. etwa http://www.partizipative-qualitaetsentwicklung.de/RehabCycle

Erweitertes ICF Modell als konzeptuelle Grundlage

Bildungs- undBildungs- undEntwicklungsziele

professionelleUmwelt und Massnahmen

Schaffen vonBildungschancen

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Umwelt und Massnahmen Bildungschancen“Bedarf”

Bewusstwerden des Kontextes

Situation/ Erfassung/ Zuweisung/ Intervention/ Evaluation/

Chronologische Perspektive

Situation/Input

Erfassung/Analyse

Zuweisung/Planung

Intervention/Handlung

Evaluation/Outcome

Perspektive Perspektive der Politik-grundsätze

Perspektive

Sys

tem

Per

spek

tive

Perspektive der

Organisation

Perspektive

Sys

tem

Per

spek

tive

Perspektive der InteraktionSys

tem

Per

spek

tive

Perspektive des Individuums

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Individuums

Prozess der Standortgespräche

ÜBERSETZUNG IN GEMEINSAME DIAGNOSTISCHE SPRACHE

Synthese der Einzelbeobachtungen und

GEMEINSAME DISKUSSION DER DIAGNOSTISCHEN PHÄNOMENE

Analyse der Gesamtschau, Interpretation und

Mesoebene/OrganisationEinzelbeobachtungen und

Verstehen der Phänomene Interpretation und Zielvereinbarung

Konkretisierung der allgemeinen

Organisation

Abstrahierung aus dem jeweiligen Kontext in ein gemeinsames

Referenzsystem

allgemeinen Schlussfolgerungen

in den eigenen Arbeitsbereich

Referenzsystem

SPEZIFISCHE DIAGNOSTISCHE FACHSPRACHE

Analyse ausgewählter Aspekte

SPEZIFISCHE FACHSPRACHE DER INTERVENTION

Planung fachspezifischer Mikroebene/Interaktion

Analyse ausgewählter Aspekte einer Problemsituation mit

fachspezifischen Instrumenten und Methoden

Planung fachspezifischer Tätigkeiten zur Bewältigung der

Problemsituation Interaktion

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Erfassung/Analyse Zuweisung/Planung

Beispiel Schulische Standortgespräche

Situation/ Erfassung/ Zuweisung/ Intervention/ Evaluation/

Chronologische Perspektive

Situation/Input

Erfassung/Analyse

Zuweisung/Planung

Intervention/Handlung

Evaluation/Outcome

Perspektive Perspektive der Politik-grundsätze

Perspektive

Sys

tem

Per

spek

tive

Perspektive der

Organisation

Perspektive Sys

tem

Per

spek

tive

Perspektive der Interaktion

Sys

tem

Per

spek

tive

Perspektive des Individuums

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Individuums

3. Das Verfahren „Schulische Standortgespräche“3. Das Verfahren „Schulische Standortgespräche“

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Verfahren „Schulische Standortgespräche“

• Teilautonome Schulen erhalten Pauschale für sonderpädagogische Massnahmen, die sie gemäss Konzept einsetzen

• Das Verfahren ist eingeführt in allen Regelschulen des Kantons Zürich

• Es setzt auf eine kooperative Problemlösung (Eltern-• Es setzt auf eine kooperative Problemlösung (Eltern-mitwirkung und Schülerinnen/Schülerpartizipation)

• Basiert auf der ICF-CY der Weltgesundheitsorganisation (gemeinsame Sprache)(gemeinsame Sprache)

• Elektronisches Tool „Interdisziplinäre Schülerinnen- und Schülerdokumentation“ (ISD) in Entwicklung / Testung

Besteht aus:• Broschüre / Handreichung

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• CD mit Formularen

Analyse: Wie soll „Behinderung“ analysiert werden?

• Hyperaktiv und abgelenkt?• Hyperaktiv und abgelenkt?• Fettleibig und bewegungsarm?• (kein) Knabe und bevorzugt?• Fremdsprachig und bildungsfern• …?

Wie analysieren wir Schwierigkeiten anderer Menschen?

Auf welche Aspekte lenken wir unsere Aufmerksamkeit?unsere Aufmerksamkeit?

Wie präsentieren wir ihre Probleme gegenüber Dritten?

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gegenüber Dritten?

Ist diese Ordnung hilfreich?

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Verschiedene Perspektiven integrieren

Kinderpsychiaterin Klassenlehrer

Familien-Therapeut

Pädiater Körperfunktionen und Strukturen

Aktivitäten Partizipation Umweltfaktoren

Mentale Funktionen Sensorische

Funktionen und

Lernen und Wissensanwendung

Aufgaben und Ansprüche

Produkte und Technologie

Natürliche und vom

Physio-

Funktionen und Schmerz

Stimm- und Sprechfunktionen

Funktionen des kardiovaskulären

Aufgaben und Ansprüche Kommunikation

Bewegung und Mobilität Selbstversorgung Häusliches Leben Interaktionen und

Natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt

Unterstützung und Beziehungen

Sozial-Arbeiterin

Physio-therapeutin

kardiovaskulären ...

Funktionen des Verdauungs...

...

Interaktionen und Beziehungen

Bedeutende Lebensbereiche

Gemeinschaft, soziales und staatsbürgerliches Leben

Beziehungen Einstellung und

Haltungen Dienstleistungen,

Systeme und Politik Arbeiterin

Heilpädagogin

.... etc.

staatsbürgerliches Leben Politik

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HeilpädagoginErgotherapeut

Verschiedene Sichtweisen werden vergleichbar

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Analyse durch Synthese

Modell der ICF:

Körperfunktionen? Aktivitäten Partizipation Umweltfaktoren

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Gemeinsames Planen

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Verbindlichkeit herstellen

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Gemeinsames Überprüfen nach sechs Monaten

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Formulare und Kurzinformationen in 10 Sprachen

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Vielen Dank fürs Zuhören!

Weiterführende Informationen:Broschüre online bestellen: www.lehrmittelverlag.com

www.vsa.zh.ch > Sonderpädagogisches > Zuweisungsverfahrenwww.vsa.zh.ch > Sonderpädagogisches > Zuweisungsverfahrenhttp://www.vsa.zh.ch/internet/bi/vsa/de/Schulbetrieb/Sonderpaeda/Zuweisung.html

Interdisziplinäre Schülerinnen- und Schülerdokumentation: www.pulsmesser.ch

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Interdisziplinäre Schülerinnen- und Schülerdokumentation: www.pulsmesser.ch