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L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache 4 7. März 2014 / Nummer 10/11 Aus dem Vatikan Von Christa Langen-Peduto D as Thema war hochinteressant: »Vati- kan und Rassendebattein der Zwi- schenkriegszeit – Stand und Perspekti- ven der Forschung«. Darüber diskutierten im Päpstlichen Kolleg Campo Santo Teutonico aus et- lichen Teilen der Welt angereiste Historiker vom 20. bis 22. Februar, und zwar auf der Basis der seit rund zehn Jahren freigegebenen Archivbe- stände zum Pontifikat von Papst Pius XI. (1922 bis 1939). »Es war seit Jahren die bestbesuchte Tagung, die wir hatten«, hob Professor Stefan Heid vom Römischen Institut der Görres-Gesellschaft her- vor. Sie war zusammen mit dem federführenden Historischen Institut der Universität Potsdam Ver- anstalter und Organisator. In der Tat standen nicht nur 15 Referenten mit Teilaspekten des The- menkreises auf dem Programm. Es gab auch eine Reihe von internationalen Fachleuten mit lebhaf- ter Diskussionsbereitschaft im Zuschauerraum. »Wir haben viel gelernt«, so zogen abschließend deutsch-italienische Round-Table-Teilnehmer Fa- zit. Die Zeit von Pius XI., was die zeitgeistige Ras- sendebatte der 1920er und 30er Jahre betreffe, sei jetzt weitgehend aufgearbeitet. »Was jetzt kommt, trifft ins offene Ende«, so wies Mitveran- stalter Professor Thomas Brechenmacher aus Potsdam darauf hin, in nächster Zukunft werde das große Thema Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli, 1939-1958) in den Zeiten des Zweiten Weltkrie- ges und des Völkermordes an den europäischen Juden sein. Nämlich dann, wenn die für frühe- stens 2015 in Aussicht gestellte Öffnung der Va- tikanarchiv-Bestände aus dessen Pontifikat für die Kriegsjahre erfolgt sei. Doch schon auf dieser Tagung fiel sehr oft der Name Pacelli. Schließlich war der Römer als Apostlischer Nuntius in München und Berlin (1917-1929) guter Deutschlandkenner, dann als Kardinalstaatssekretär ab 1930 einer der engsten Mitarbeiter von Pius XI. Als Kardinal Pacelli sein Amt im Vatikan übernahm, hatte er Hitlers »Mein Kampf« schon gelesen. Und eher als viele andere konnte er sich wohl vorstellen, zu wel- chen Auswüchsen die damals aktuelle Rassen- forschung führen konnte. Insbesondere »Eu- genik«, die fast überall staatlich unterstützt wurde. Deren Propagandisten waren davon überzeugt, dass soziale Probleme, gesellschaft- liche Ungleichheit, Armut und Reichtum gene- tisch determiniert seien. Unter anderem bauten die Nationalsozialisten ihre »Rassenhygiene« dar- auf auf, indem sie so Massenmorde an als »lebensunwert« definierten Menschen rechtfer- tigten und grausame Menschenversuche in Kon- zentrationslagern durchführen ließen. Hingegen gehe das Christentum grundlegend von einem einheitlichen Menschengeschlecht aus, so wurde schon im Vorwort zur Tagung hervorge- hoben. Das Leitthema dieser Historiker-Tagung in Rom – wie die Römische Kurie sich an der Ras- sendebatte der 1920er und 30er Jahre beteiligte – war daher wegweisend für die weitere katholi- sche Haltung. Und aus den erforschten Archiv- beständen geht hervor, wie mehrere Vortrags- redner ausführten, dass die Kurie weitblickend dachte und handelte. Die Wiener Forscherin Monika Löscher zeigte das anhand der Enzyklika »Casti connubii – Über die christliche Ehe« von Pius XI. aus dem Jahre 1930 auf: Demnach wurden eugenische Ideen zwar grundsätzlich akzeptiert, aber nur positiv bezogen auf Sozial- und Familienpolitik bei gleichzeitiger totaler Ablehnung biologischer Ein- griffe wie Sterilisation. Der Historiker John Connelly von der Berke- ley-Universität in Kalifornien führte aus, im Den- ken der Kurie hätten rassische Kriterien zwar eine Rolle gespielt, doch sie hätte sich solchen Auffassungen entschieden widersetzt. Kardinal- staatssekretär Eugenio Pacelli hätte in einem Schreiben von 1934 an die damalige deutsche Reichsregierung die Existenz von Rassen nur als »biologische Tatsache« bezeichnet, deren Einfluss auf die jeweilige Kultur nicht zu leugnen sei. Doch sei der Rassebegriff vom Vatikan »nie über- höht« worden. Das zeige auch die Enzyklika »Mit brennender Sorge« (1937) von Pius XI., in der die Vergötzung der Rasse verurteilt wurde. Weitere Beiträge bezogen sich auf die Haltung verschiedener Orden – wie die der Jesuiten und der Steyler Missionare –, Institutionen und Ein- zelpersonen zur Rassenforschung und NS-Ras- senlehre. Im »Sanctum Officium«, Vorgängerin der heutigen Glaubenskongregation, habe man früh die politische aber auch theologische Proble- matik eines übertriebenen Rassendenkens er- kannt, führte der Würzburger Kirchengeschicht- ler Professor Dominik Burkard aus. Unklar sei hingegen die Haltung der Jesuiten gewesen, be- richtete der Schweizer Prof. Philippe Chenaux, Ordinarius an der Päpstlichen Lateran-Univer- sität. Der damalige Jesuitengeneral Wlodzimierz Ledóchowski sei gar versucht gewesen, bolsche- wistische Gefahr mit Judengefahr zu identifizie- ren. Und das Dekret mit der Verurteilung des An- tisemitismus, das Pius XI. schon 1928 erlassen hatte, sei von maßgeblichen Mitgliedern und der Jesuitenzeitschrift »Civiltà cattolica« nicht als volle, sondern nur eingeschränkte Verurteilung gedeutet worden. Im deutschen Protestantismus, so berichtete der evangelische Kirchenhistoriker Oliver Arnhold, habe man die NS-Rassenlehre im staatlichen Bereich durchaus anerkannt. Doch diese »zum Maßstab und Ziel des Lebens« zu de- klarieren, habe sehr viel Kritik gefunden. Auch »Brückenbauer« zwischen katholischer und eugenischer Lehre wurden auf der Tagung beleuchtet, darunter manche Priester. Zum Bei- spiel der katholische Theologe Karl Eschweiler, der schon 1934 vom Priesteramt suspendiert wurde. Laut Professor Thomas Marschler von der Augsburger Universiät konnte der Grund dafür nur in einem positiven Geheimgutachten liegen, das Eschweiler 1933 zu dem NS-Gesetz »zur Ver- hütung erbkranken Nachwuchses« verfasst hatte. Besonderes Interesse fanden die Ausführun- gen von Professor Karl-Joseph Hummel zum Thema »Eugenio Pacelli und Alois Hudal: ein schwieriges Verhältnis«. Der Österreicher Hudal (1895 bis 1963), Konsultor des Heiligen Offizi- ums, war bekanntlich lange Jahre Rektor des deutschsprachigen Priesterkollegs »Santa Maria dell’Anima« in Rom. Hummel als Direktor der Bonner Forschungsstelle der Kommission für Zeitgeschichte zeichnete Hudals Weg nach, wie er zunächst gegen »Rasse und Blut« als Grundlage der Religion anschrieb und wegen seines Enga- gements im Papstpalast gut angesehen war. Aber dann, als er 1936 »Die geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus« veröffentlichte, ging die Kir- chenspitze auf Distanz. Kardinalstaatssekretär Pacelli ließ wissen, Pius XI. habe sich bezüglich der Hudal-Publikationen von der Indizierung nur deshalb abbringen lassen, »weil noch nie ein Kon- sultor selbst auf den Index gesetzt worden sei«. Noch mehr Befremden in der Kurie löste der Einsatz von Bischof Hudal, der auf dem Friedhof Campo Santo Teutonico begraben liegt, beim Hit- lerbesuch 1938 in Rom aus. Über seine Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg, die ihn als Flucht- helfer nach Südamerika für NS-Täter sah, wurde auf dieser – die Zeit bis 1939 behandelnden – Ta- gung verständlicherweise nicht gesprochen. Veronika Lipphardt, Direktorin einer For- schungsgruppe am Max Planck-Institut für Wis- senschaftsgeschichte in Berlin, zeichnete das weite Spektrum der »Rassenforschung« in der Zwischenkriegszeit nach. Der österreichisch-jüdi- sche Mediziner Ignaz Zollschan versuchte ab 1933 ein internationales Netzwerk von Anthro- pologen, Sozialwissenschaftlern und Genetikern aufzubauen, um die NS-Rassenlehre zu bekämp- fen. Der Wiener Forscher und Mitorganisator der Tagung Peter Rohrbacher legte dar, dass Zoll- schans Einfluss auf Pacelli und Hudal schließlich dazu führte, dass die päpstliche Studienkongre- gation im April 1938 – genau zwei Wochen vor Hitlers Besuch in Rom – einen »Rassensyllabus« an alle katholische Fakultäten versandte. Der letzte Beitrag behandelte die »unterschla- gene Enzyklika« »Societatis unio«. Warum wurde diese Rassenenzyklika von Pius XI. nicht veröf- fentlicht bzw. von seinem Nachfolger nicht auf- gegriffen? Zu seinen Lebzeiten waren die drei vorliegenden Entwürfe dazu noch nicht ausge- reift, meinte Prof. Brechenmacher. Als Kardinal Pacelli im März 1939 Papst wurde, stand der Zweite Weltkrieg vor der Tür und Pius XII. enga- gierte sich in erster Linie in Friedensinitiativen. Doch auch weitere Überlegungen hätten wohl eine Rolle gespielt. Brechenmacher: »Zwar wurde der rassistische Antisemitismus in der Enzyklika abgelehnt, auf der anderen Seite plädierten die Entwürfe aber für einen religiösen Antijudais- mus. Meine Überlegung ist: Dieses als Enzyklika veröffentlicht, hätte der nationalsozialistischen Propaganda die Möglichkeit gegeben, durch verzerrte Darstellung und Zitierung diese Enzyklika zu ihren Gunsten kontraproduktiv auszulegen.« Internationale Tagung im Campo Santo Teutonico Vatikan und Rassendebatte in der Zwischenkriegszeit Die Tagung, die vom Historischen Institut der Universität Potsdam und dem Römi- schen Institut der Görres-Gesellschaft vom 20. bis 22. Februar veranstaltet wurde, zielte darauf ab, die Ergebnisse der interna- tionalen Forschung des vergangenen Jahr- zehnts über die Auseinandersetzung der Römischen Kurie und wichtiger Institutio- nen bzw. Personen im Umkreis der Kurie mit den Rassentheorien und der Rassen- gesetzgebung in der Zwischenkriegszeit zusammenfassend zu diskutieren sowie schließlich Leitfragen und Perspektiven zur weiteren Erforschung dieser Thematik zu formulieren. Referat von Prof. Dr. Thomas Brechenmacher über die »unterschlagene Enzyklika« Pius’ XI. in der Aula des Campo Santo Teutonico (oben); Prof. Dr. Karl-Joseph Hummel, seit 1993 Direktor der Forschungsstelle der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn und seit 2011 Professor für Kirchengeschichte an der Universität Erfurt (rechts). Teilnehmer und Referenten der Tagung vor dem Atrium des Campo Santo Teutonico (links); Abschließender »Runder Tisch« mit (v.l.n.r.) Dr. Paolo Valvo (Mailand), Prof. Dr. Massimiliano Valente (Rom), Prof. Dr. Emilia Hrabovec (Bratislava/Rom), Prof. Dr. Thomas Brechenmacher (Potsdam) und Dr. Peter Rohrbacher (Wien/Berlin) (rechts).

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L’OSSERVATORE ROMANO Wochenausgabe in deutscher Sprache

4

7. März 2014 / Nummer 10/11

Aus dem Vatikan

Von Christa Langen-Peduto

Das Thema war hochinteressant: »Vati-

kan und ›Rassendebatte‹ in der Zwi-

schenkriegszeit – Stand und Perspekti-

ven der Forschung«. Darüber diskutierten im

Päpstlichen Kolleg Campo Santo Teutonico aus et-

lichen Teilen der Welt angereiste Historiker vom

20. bis 22. Februar, und zwar auf der Basis der

seit rund zehn Jahren freigegebenen Archivbe-

stände zum Pontifikat von Papst Pius XI. (1922 bis

1939).

»Es war seit Jahren die bestbesuchte Tagung,

die wir hatten«, hob Professor Stefan Heid vom

Römischen Institut der Görres-Gesellschaft her-

vor. Sie war zusammen mit dem federführenden

Historischen Institut der Universität Potsdam Ver-

anstalter und Organisator. In der Tat standen

nicht nur 15 Referenten mit Teilaspekten des The-

menkreises auf dem Programm. Es gab auch eine

Reihe von internationalen Fachleuten mit lebhaf-

ter Diskussionsbereitschaft im Zuschauerraum.

»Wir haben viel gelernt«, so zogen abschließend

deutsch-italienische Round-Table-Teilnehmer Fa-

zit. Die Zeit von Pius XI., was die zeitgeistige Ras-

sendebatte der 1920er und 30er Jahre betreffe,

sei jetzt weitgehend aufgearbeitet. »Was jetzt

kommt, trifft ins offene Ende«, so wies Mitveran-

stalter Professor Thomas Brechenmacher aus

Potsdam darauf hin, in nächster Zukunft werde

das große Thema Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli,

1939-1958) in den Zeiten des Zweiten Weltkrie-

ges und des Völkermordes an den europäischen

Juden sein. Nämlich dann, wenn die für frühe-

stens 2015 in Aussicht gestellte Öffnung der Va-

tikanarchiv-Bestände aus dessen Pontifikat für

die Kriegsjahre erfolgt sei.

Doch schon auf dieser Tagung fiel sehr oft der

Name Pacelli. Schließlich war der Römer als

Apostlischer Nuntius in München und Berlin

(1917-1929) guter Deutschlandkenner, dann als

Kardinalstaatssekretär ab 1930 einer der engsten

Mitarbeiter von Pius XI. Als Kardinal Pacelli sein

Amt im Vatikan übernahm, hatte er Hitlers

»Mein Kampf« schon gelesen. Und eher als viele

andere konnte er sich wohl vorstellen, zu wel-

chen Auswüchsen die damals aktuelle Rassen-

forschung führen konnte. Insbesondere »Eu-

genik«, die fast überall staatlich unterstützt

wurde. Deren Propagandisten waren davon

überzeugt, dass soziale Probleme, gesellschaft -

liche Ungleichheit, Armut und Reichtum gene-

tisch determiniert seien. Unter anderem bauten

die Nationalsozialisten ihre »Rassenhygiene« dar-

auf auf, indem sie so Massenmorde an als

»lebens unwert« definierten Menschen rechtfer-

tigten und grausame Menschenversuche in Kon-

zentrationslagern durchführen ließen. Hingegen

gehe das Christentum grundlegend von einem

einheitlichen Menschengeschlecht aus, so

wurde schon im Vorwort zur Tagung hervorge-

hoben. Das Leitthema dieser Historiker-Tagung in

Rom – wie die Römische Kurie sich an der Ras-

sendebatte der 1920er und 30er Jahre beteiligte –

war daher wegweisend für die weitere katholi-

sche Haltung. Und aus den erforschten Archiv-

beständen geht hervor, wie mehrere Vortrags-

redner ausführten, dass die Kurie weitblickend

dachte und handelte.

Die Wiener Forscherin Monika Löscher zeigte

das anhand der Enzyklika »Casti connubii – Über

die christliche Ehe« von Pius XI. aus dem Jahre

1930 auf: Demnach wurden eugenische Ideen

zwar grundsätzlich akzeptiert, aber nur positiv

bezogen auf Sozial- und Familienpolitik bei

gleichzeitiger totaler Ablehnung biologischer Ein-

griffe wie Sterilisation.

Der Historiker John Connelly von der Berke-

ley-Universität in Kalifornien führte aus, im Den-

ken der Kurie hätten rassische Kriterien zwar

eine Rolle gespielt, doch sie hätte sich solchen

Auffassungen entschieden widersetzt. Kardinal-

staatssekretär Eugenio Pacelli hätte in einem

Schreiben von 1934 an die damalige deutsche

Reichsregierung die Existenz von Rassen nur als

»biologische Tatsache« bezeichnet, deren Einfluss

auf die jeweilige Kultur nicht zu leugnen sei.

Doch sei der Rassebegriff vom Vatikan »nie über-

höht« worden. Das zeige auch die Enzyklika »Mit

brennender Sorge« (1937) von Pius XI., in der die

Vergötzung der Rasse verurteilt wurde.

Weitere Beiträge bezogen sich auf die Haltung

verschiedener Orden – wie die der Jesuiten und

der Steyler Missionare –, Institutionen und Ein-

zelpersonen zur Rassenforschung und NS-Ras-

senlehre. Im »Sanctum Officium«, Vorgängerin

der heutigen Glaubenskongregation, habe man

früh die politische aber auch theologische Proble-

matik eines übertriebenen Rassendenkens er-

kannt, führte der Würzburger Kirchengeschicht-

ler Professor Dominik Burkard aus. Unklar sei

hingegen die Haltung der Jesuiten gewesen, be-

richtete der Schweizer Prof. Philippe Chenaux,

Ordinarius an der Päpstlichen Lateran-Univer-

sität. Der damalige Jesuitengeneral Wlodzimierz

Ledóchowski sei gar versucht gewesen, bolsche-

wistische Gefahr mit Judengefahr zu identifizie-

ren. Und das Dekret mit der Verurteilung des An-

tisemitismus, das Pius XI. schon 1928 erlassen

hatte, sei von maßgeblichen Mitgliedern und der

Jesuitenzeitschrift »Civiltà cattolica« nicht als

volle, sondern nur eingeschränkte Verurteilung

gedeutet worden. Im deutschen Protestantismus,

so berichtete der evangelische Kirchenhistoriker

Oliver Arnhold, habe man die NS-Rassenlehre im

staatlichen Bereich durchaus anerkannt. Doch

diese »zum Maßstab und Ziel des Lebens« zu de-

klarieren, habe sehr viel Kritik gefunden.

Auch »Brückenbauer« zwischen katholischer

und eugenischer Lehre wurden auf der Tagung

beleuchtet, darunter manche Priester. Zum Bei-

spiel der katholische Theologe Karl Eschweiler,

der schon 1934 vom Priesteramt suspendiert

wurde. Laut Professor Thomas Marschler von der

Augsburger Universiät konnte der Grund dafür

nur in einem positiven Geheimgutachten liegen,

das Eschweiler 1933 zu dem NS-Gesetz »zur Ver-

hütung erbkranken Nachwuchses« verfasst

hatte.

Besonderes Interesse fanden die Ausführun-

gen von Professor Karl-Joseph Hummel zum

Thema »Eugenio Pacelli und Alois Hudal: ein

schwieriges Verhältnis«. Der Österreicher Hudal

(1895 bis 1963), Konsultor des Heiligen Offizi-

ums, war bekanntlich lange Jahre Rektor des

deutschsprachigen Priesterkollegs »Santa Maria

dell’Anima« in Rom. Hummel als Direktor der

Bonner Forschungsstelle der Kommission für

Zeitgeschichte zeichnete Hudals Weg nach, wie

er zunächst gegen »Rasse und Blut« als Grundlage

der Religion anschrieb und wegen seines Enga-

gements im Papstpalast gut angesehen war. Aber

dann, als er 1936 »Die geistigen Grundlagen des

Nationalsozialismus« veröffentlichte, ging die Kir-

chenspitze auf Distanz. Kardinalstaatssekretär

Pacelli ließ wissen, Pius XI. habe sich bezüglich

der Hudal-Publikationen von der Indizierung nur

deshalb abbringen lassen, »weil noch nie ein Kon-

sultor selbst auf den Index gesetzt worden sei«.

Noch mehr Befremden in der Kurie löste der

Einsatz von Bischof Hudal, der auf dem Friedhof

Campo Santo Teutonico begraben liegt, beim Hit-

lerbesuch 1938 in Rom aus. Über seine Rolle

nach dem Zweiten Weltkrieg, die ihn als Flucht-

helfer nach Südamerika für NS-Täter sah, wurde

auf dieser – die Zeit bis 1939 behandelnden – Ta-

gung verständlicherweise nicht gesprochen.

Veronika Lipphardt, Direktorin einer For-

schungsgruppe am Max Planck-Institut für Wis-

senschaftsgeschichte in Berlin, zeichnete das

weite Spektrum der »Rassenforschung« in der

Zwischenkriegszeit nach. Der österreichisch-jüdi-

sche Mediziner Ignaz Zollschan versuchte ab

1933 ein internationales Netzwerk von Anthro-

pologen, Sozialwissenschaftlern und Genetikern

aufzubauen, um die NS-Rassenlehre zu bekämp-

fen. Der Wiener Forscher und Mitorganisator der

Tagung Peter Rohrbacher legte dar, dass Zoll-

schans Einfluss auf Pacelli und Hudal schließlich

dazu führte, dass die päpstliche Studienkongre-

gation im April 1938 – genau zwei Wochen vor

Hitlers Besuch in Rom – einen »Rassensyllabus«

an alle katholische Fakultäten versandte.

Der letzte Beitrag behandelte die »unterschla-

gene Enzyklika« »Societatis unio«. Warum wurde

diese Rassenenzyklika von Pius XI. nicht veröf-

fentlicht bzw. von seinem Nachfolger nicht auf-

gegriffen? Zu seinen Lebzeiten waren die drei

vorliegenden Entwürfe dazu noch nicht ausge-

reift, meinte Prof. Brechenmacher. Als Kardinal

Pacelli im März 1939 Papst wurde, stand der

Zweite Weltkrieg vor der Tür und Pius XII. enga-

gierte sich in erster Linie in Friedensinitiativen.

Doch auch weitere Überlegungen hätten wohl

eine Rolle gespielt. Brechenmacher: »Zwar wurde

der rassistische Antisemitismus in der Enzyklika

abgelehnt, auf der anderen Seite plädierten die

Entwürfe aber für einen religiösen Antijudais-

mus. Meine Überlegung ist: Dieses als Enzyklika

veröffentlicht, hätte der nationalsozialistischen

Propaganda die Möglichkeit gegeben, durch

verzerrte Darstellung und Zitierung diese

Enzyklika zu ihren Gunsten kontraproduktiv

auszulegen.«

Internationale Tagung im Campo Santo Teutonico

Vatikan und Rassendebatte in der Zwischenkriegszeit

Die Tagung, die vom Historischen Institut

der Universität Potsdam und dem Römi-

schen Institut der Görres-Gesellschaft vom

20. bis 22. Februar veranstaltet wurde,

zielte darauf ab, die Ergebnisse der interna-

tionalen Forschung des vergangenen Jahr-

zehnts über die Auseinandersetzung der

Römischen Kurie und wichtiger Institutio-

nen bzw. Personen im Umkreis der Kurie

mit den Rassentheorien und der Rassen -

gesetzgebung in der Zwischenkriegszeit

zusammenfassend zu diskutieren sowie

schließlich Leitfragen und Perspektiven zur

weiteren Erforschung dieser Thematik zu

formulieren.

Referat von Prof. Dr. Thomas Brechenmacher

über die »unterschlagene Enzyklika« Pius’ XI. in

der Aula des Campo Santo Teutonico (oben);

Prof. Dr. Karl-Joseph Hummel, seit 1993

Direktor der Forschungsstelle der Kommission

für Zeitgeschichte in Bonn und seit 2011

Professor für Kirchengeschichte an der

Universität Erfurt (rechts).

Teilnehmer und Referenten

der Tagung vor dem Atrium des Campo

Santo Teutonico (links);

Abschließender »Runder Tisch«

mit (v.l.n.r.) Dr. Paolo Valvo (Mailand),

Prof. Dr. Massimiliano Valente (Rom),

Prof. Dr. Emilia Hrabovec

(Bratislava/Rom), Prof. Dr. Thomas

Brechenmacher (Potsdam) und

Dr. Peter Rohrbacher (Wien/Berlin)

(rechts).