Interview mit Norbert Szyperski über die „Innovationskultur in Deutschland“

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Zur Person Dr. Dr. h.c. Norbert Szyperski ist Honorarpro- fessor an der Universita ¨t zu Ko ¨ln und leitet dort die „Betriebswirtschaftliche Forschungs- gruppe innovative Technologien“. Als Ge- scha ¨ftsfu ¨hrender Gesellschafter der Inter- Science GmbH bera ¨t er Unternehmen verschiedener Branchen und Gebietsko ¨rper- schaften. 1970 bis 1986 war er dort Ordina- rius fu ¨r Betriebswirtschaftslehre, Direktor des Betriebswirtschaftlichen Seminars fu ¨r Planung und des Betriebswirtschaftlichen Instituts fu ¨r Organisation und Automation (BIFOA). Nachdem er von 1981 bis 1986 als Vorsit- zender des Vorstandes die GMD Gesellschaft fu ¨r Mathematik und Datenverarbeitung leitete, u ¨bernahm er den Vorsitz der Gescha ¨ftsfu ¨h- rung der Mannesmann Kienzle GmbH. Dort startete er u. a. die Mobilfunkaktivita ¨ten der Mannesmann-Gruppe. Als Gru ¨ndungspra ¨- sident des DFN-Vereins war er u ¨ber sieben Jahre aktiv am Aufbau des Deutschen For- schungsnetzes beteiligt. Als Eisenhower Fel- low (1962) hat er sich stets um die Internatio- nalisierung der deutschen Wissenschaft bemu ¨ht, so auch als Initiator des International Computer Science Institute (ICSI) in Berkeley, California, USA. Schon vom Jahre 1974 an bescha ¨ftigt er sich mit Themen der Gru ¨n- dungsforschung und -praxis, wurde 1978 zu einem „Business Angel“ und war in zahlrei- chen Aufsichts-, Verwaltungs- und Beira ¨ten ta ¨- tig. Er leitet seit 1997 den Sachversta ¨ndigen- beirat „EXIST Existenzgru ¨ndungen aus Hochschulen“ des BMBF. Von 1971 bis 1991 war er Gescha ¨ftsfu ¨hrender Mitherausgeber der „Angewandten Informatik“ spa ¨ter „Wirt- schaftsinformatik“, und seit 1976 ist er Mit- herausgeber der Fachzeitschrift „Die Betriebs- wirtschaft (DBW)“. Seit 2003 „GI-Fellow“ wurde ihm 2004 wegen seiner Beitra ¨ge zu Unternehmensgru ¨ndungen aus Hochschulen vom Bundespra ¨sidenten das Große Bundes- verdienstkreuz verliehen. WI: Herr Prof. Szyperski, wie wu ¨ rden Sie das Wesen der Innovationskultur in Deutschland im Moment charakterisieren? Szyperski: Im Rahmen der Innovations- ta ¨tigkeit jedes Landes gibt es immer zykli- sche Bewegungen. Daher muss man zu- na ¨chst die evolutorischen Kra ¨fte beschreiben, durch welche sich unser Deutschland profiliert. Bei neuen Ideen und Erfindungen, also Inventionen, sind wir sehr stark aufgestellt, wa ¨hrend wir uns bei Innovationen, d. h. beim unternehmeri- schen Durchsetzen neuer Produkte und Technologien an den Ma ¨rkten, ha ¨ufig eher etwas schwerer tun als andere La ¨nder. An- dererseits sind wir sehr stark, wenn es da- rum geht, bestehende Produktfamilien und Technologien zu perfektionieren. Das heißt, in diesem Kanon von Invention, In- novation, Perfektion haben wir Deutschen klassischerweise eine Schwachstelle im in- novativen Verhalten, was nicht ohne wei- teres ausgeglichen werden kann. Dies kann bis in die Zeit der Entstehung der Auto- mobilbranche zuru ¨ ckverfolgt werden. Be- trachtet man hingegen die aktuelle Situati- on, leiden wir darunter, dass die Innovationswidersta ¨nde trotz aller ge- genteiliger o ¨ ffentlicher Bekundungen re- lativ stark sind. Diese Widersta ¨nde treten im Wesentlichen im Ka ¨uferverhalten auf, d. h. auf der Nachfrageseite. Wir haben in wirtschaftlich geda ¨mpften Zeiten ganz au- tomatisch, in Deutschland jedoch auch klassischerweise, sehr konservative Be- schaffer. Junge innovativ ausgerichtete Un- ternehmen sollen im Vorhinein mindestens nicht nur bei der o ¨ ffentlichen Hand zahlreiche Referenzen beibringen. Das ist typisch fu ¨ r die momentane Situation in Deutschland. Die Binnennachfrage auf den Technologiema ¨rkten ist zu schwach aus- gepra ¨gt. WI: Sie sind im Bereich der Innovations- forschung lange ausgewiesen. Wie bewerten Sie das derzeitige Klima fu ¨r Unterneh- WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 4, S. 295 297 Universita ¨t zu Ko ¨ln Betriebswirtschaftliche Forschungsgruppe Innovative Technologien Pohligstr. 1 50969 Ko ¨ln Interviewt von Armin Heinzl Tobias Hildenbrand Prof. Dr. Armin Heinzl Dipl.-Wirtsch.-Inf. Tobias Hildenbrand Universita ¨t Mannheim Lehrstuhl fu ¨r ABWL und Wirtschaftsinfor- matik Schloss, S 220 68131 Mannheim [email protected] Interview mit Norbert Szyperski çber die „Innovationskultur in Deutschland“ Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Szyperski WI – Interview

Transcript of Interview mit Norbert Szyperski über die „Innovationskultur in Deutschland“

Zur Person

Dr. Dr. h.c. Norbert Szyperski ist Honorarpro-fessor an der Universitat zu Koln und leitetdort die „Betriebswirtschaftliche Forschungs-gruppe innovative Technologien“. Als Ge-schaftsfuhrender Gesellschafter der Inter-Science GmbH berat er Unternehmenverschiedener Branchen und Gebietskorper-schaften. 1970 bis 1986 war er dort Ordina-rius fur Betriebswirtschaftslehre, Direktor desBetriebswirtschaftlichen Seminars fur Planungund des Betriebswirtschaftlichen Instituts furOrganisation und Automation (BIFOA).Nachdem er von 1981 bis 1986 als Vorsit-zender des Vorstandes die GMD Gesellschaftfur Mathematik und Datenverarbeitung leitete,ubernahm er den Vorsitz der Geschaftsfuh-rung der Mannesmann Kienzle GmbH. Dortstartete er u. a. die Mobilfunkaktivitaten derMannesmann-Gruppe. Als Grundungspra-sident des DFN-Vereins war er uber siebenJahre aktiv am Aufbau des Deutschen For-schungsnetzes beteiligt. Als Eisenhower Fel-low (1962) hat er sich stets um die Internatio-nalisierung der deutschen Wissenschaftbemuht, so auch als Initiator des InternationalComputer Science Institute (ICSI) in Berkeley,California, USA. Schon vom Jahre 1974 anbeschaftigt er sich mit Themen der Grun-dungsforschung und -praxis, wurde 1978 zueinem „Business Angel“ und war in zahlrei-chen Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiraten ta-tig. Er leitet seit 1997 den Sachverstandigen-beirat „EXIST – Existenzgrundungen ausHochschulen“ des BMBF. Von 1971 bis 1991war er Geschaftsfuhrender Mitherausgeberder „Angewandten Informatik“ spater „Wirt-schaftsinformatik“, und seit 1976 ist er Mit-herausgeber der Fachzeitschrift „Die Betriebs-wirtschaft (DBW)“. Seit 2003 „GI-Fellow“wurde ihm 2004 wegen seiner Beitrage zuUnternehmensgrundungen aus Hochschulenvom Bundesprasidenten das Große Bundes-verdienstkreuz verliehen.

WI: Herr Prof. Szyperski, wie wurden Siedas Wesen der Innovationskultur inDeutschland im Moment charakterisieren?

Szyperski: Im Rahmen der Innovations-tatigkeit jedes Landes gibt es immer zykli-sche Bewegungen. Daher muss man zu-nachst die evolutorischen Kraftebeschreiben, durch welche sich unserDeutschland profiliert. Bei neuen Ideenund Erfindungen, also Inventionen, sindwir sehr stark aufgestellt, wahrend wir unsbei Innovationen, d. h. beim unternehmeri-schen Durchsetzen neuer Produkte undTechnologien an den Markten, haufig eheretwas schwerer tun als andere Lander. An-dererseits sind wir sehr stark, wenn es da-rum geht, bestehende Produktfamilien undTechnologien zu perfektionieren. Dasheißt, in diesem Kanon von Invention, In-novation, Perfektion haben wir Deutschenklassischerweise eine Schwachstelle im in-novativen Verhalten, was nicht ohne wei-teres ausgeglichen werden kann. Dies kannbis in die Zeit der Entstehung der Auto-mobilbranche zuruckverfolgt werden. Be-trachtet man hingegen die aktuelle Situati-on, leiden wir darunter, dass dieInnovationswiderstande – trotz aller ge-genteiliger offentlicher Bekundungen – re-lativ stark sind. Diese Widerstande tretenim Wesentlichen im Kauferverhalten auf,d. h. auf der Nachfrageseite. Wir haben inwirtschaftlich gedampften Zeiten ganz au-tomatisch, in Deutschland jedoch auchklassischerweise, sehr konservative Be-schaffer. Junge innovativ ausgerichtete Un-ternehmen sollen im Vorhinein mindestens– nicht nur bei der offentlichen Hand –zahlreiche Referenzen beibringen. Das isttypisch fur die momentane Situation inDeutschland. Die Binnennachfrage auf denTechnologiemarkten ist zu schwach aus-gepragt.WI: Sie sind im Bereich der Innovations-

forschung lange ausgewiesen. Wie bewertenSie das derzeitige Klima fur Unterneh-

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 4, S. 295–297

Universitat zu KolnBetriebswirtschaftliche ForschungsgruppeInnovative TechnologienPohligstr. 150969 Koln

Interviewt von

Armin HeinzlTobias Hildenbrand

Prof. Dr. Armin HeinzlDipl.-Wirtsch.-Inf. Tobias HildenbrandUniversitat MannheimLehrstuhl fur ABWL und Wirtschaftsinfor-matikSchloss, S 22068131 [email protected]

Interview mit Norbert Szyperski �ber die„Innovationskultur in Deutschland“

Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Szyperski

WI – Interview

mensgrundungen hierzulande, und was hatsich innerhalb der letzten 30 Jahre veran-dert?Szyperski: Die Unternehmensgrundun-

gen in ihrer Anzahl und Qualitat verlaufenebenfalls in gewissen zyklischen Verlaufenoder Mustern. Als wir 1974 in Koln an-gefangen hatten, uns mit dem Thema „Un-ternehmensgrundung“ zu beschaftigen,herrschte gerade das erste große Grun-dungstief nach dem fast 20-jahrigen Hochder Nachkriegszeit. In den neunziger Jah-ren konnte man ein neues Hoch verzeich-nen, unter anderem durch die Entstehungdes neuen Marktes. Zurzeit beobachtetman eine gewisse Stagnation der Unterneh-mensgrundungen, wobei aber nicht außerAcht gelassen werden darf, dass die Situati-on sich in den vergangenen 30 Jahren inden Randbedingungen mal besser und malschlechter entwickelt hat. Typisch fur dieDurchsetzung von Unternehmensgrun-dungen in Deutschland ist und bleibt dieSkepsis der Markte. Haufig ist es so, dassjunge Firmen erst ein Auswartsspiel gewin-nen mussen, bevor sie großeren Zuspruchfur ein Heimspiel bekommen.WI: Konnten Sie einzelne deutsche Un-

ternehmen oder Branchen in puncto Inno-vationskultur als besonders vorbildhafthervorheben?Szyperski: Vor dem Hintergrund der all-

gemeinen Schwachen in der deutschen In-novationskultur ist es schwer, einzelneBranchen herauszuheben, da hier bran-chenspezifische Zyklen zu beobachtensind. Ein Beispiel ware die Automobil-industrie, die vor 10 bis 15 Jahren bereitsals schwer und schwierig beurteilt undzum Teil totgesagt wurde. Danach wurdesie wieder zum Motor vieler Innovationen,nicht zuletzt auf Seiten der Zulieferer. Inanderen Branchen, wie beispielsweise derBiotechnik, stellen wir heute eine Abfla-chung der Innovationstatigkeiten fest. Esist noch nicht absehbar, ob sich z. B. diewissenschaftlichen, primar auf Inventionausgerichteten großen Leistungen in derNanotechnologie unternehmerisch durch-setzen werden. Ich zogere daher immer,einzelne Firmen herauszustellen, aber eslassen sich in jeder Branche Innovations-spitzenreiter finden, insbesondere in denklassischen Branchen, wie z. B. im kunden-orientierten Maschinenbau und in den Dis-tributionsbranchen.WI: Was muss aus Ihrer Sicht getan wer-

den, um die Innovationsleistung deutscherUnternehmen weiterhin aufrechtzuerhal-ten und zu fordern?

Szyperski: Der Kranz der Forderungs-maßnahmen wurde sehr stark erweitert.

Wahrend bis Mitte der Neunziger Jahre„Unternehmensgrundung“ im politischenund administrativen Raum kein besondersstarkes Reizwort war, nimmt heute jederPolitiker gerne das Wort „Unternehmens-grundung“ und noch lieber das Wort „In-novation“ in den Mund. Der nahezu jahr-lich international erstellte Bericht desGlobal Entrepreneurship Monitor (GEM)bewertet die Forderaktivitaten in Deutsch-land immer sehr gut, wahrend die tatsach-liche Grundungsaktivitat wesentlichschlechter abschneidet. Offensichtlich wer-den notwendige Voraussetzungen fur Un-ternehmensgrundungen geschaffen, wobeies aber nicht gelingt, die hinreichenden Be-dingungen zu erfullen. Hierbei ist wieder-um das fehlende Moment sehr haufig dasengagierte Kauferverhalten auf den Mark-ten. Neben dem niedrigen Aktivierungs-niveau haben sich zusatzlich die steuerli-chen Randbedingungen fur jungeUnternehmen verschlechtert. �ber vieleJahrzehnte hinweg konnten Investitionenin junge Unternehmen unter bestimmtengroßzugigeren Pramissen steuerfrei ver-kauft werden, was dem Risikoverhaltnisgegenuber Sparanlagen in etwa gerechtwurde. Andererseits haben sich die Bedin-gungen fur Unternehmensgrundungen imHinblick auf Grundungsforschung und-lehre drastisch verbessert. Im Verlaufe derletzten zehn Jahre sind – nicht zuletzt auchim Zusammenhang mit dem EXIST-For-derprogramm des BMBF – insgesamtmehr als 50 deutschsprachige Lehrstuhleauf diesem Gebiet entstanden. Obwohl sol-che Maßnahmen nicht uber Nacht wirksamwerden konnen, ist dies ein sehr gutes Zei-chen fur eine wesentliche Verbesserung derBildungsbedingungen fur junges Unter-nehmertum im Rahmen einer wieder er-starkten nationalen Unternehmerkultur.WI: Wie ist denn Ihrer Ansicht nach die

Innovationskultur deutscher Unternehmenim Bereich der Softwaretechnik gediehen,und welche Rolle spielt Deutschland ausIhrer Sicht im internationalen Vergleich?Szyperski: Das anfangs erwahnte evolu-

torische Kraftemuster spielt auch in dieserBranche die entscheidende Rolle. InDeutschland wurden in der Softwaretech-nik immer hervorragende Ansatze mit neu-en Ideen und innovationsverdachtigen Ent-wicklungen generiert. Wenn wir uns aberheute fragen, welche Softwareunternehmenwirklich international eine starke Rollespielen und von deutschen Stammsitzenaus gesteuert werden, dann bleibt im Rah-men der Basistechnologien kaum etwas ub-rig. Im Rahmen der anwendungsorientier-ten Softwareangebote stechen SAP und das

Unternehmen von Herrn Scheer stark he-raus. Auf europaischer Ebene hat die Soft-wareindustrie jedoch den Sprung zu einerinternational wichtigen und wirksamenKraft im Weltkonzert bisher nicht ge-schafft. Man konnte daher zu recht einevergleichbare Airbus-Initiative fur die Soft-wareindustrie auf europaischer Basis for-dern.WI: Unter dem Stichwort „regionales

Clustering“, wie beispielsweise in Baden-Wurttemberg mithilfe der ClusterinitiativeUnternehmenssoftware, wird versucht, kri-tische Massen zu bundeln. Wie bewertenSie diese Entwicklungen?Szyperski: Clustering hat sich auf allen

Gebieten als eine ganz wichtige, Nestwar-me und Brutkraft produzierende Aktivitatherausgestellt. Cluster schaffen namlich ineiner besonderen Art und Weise erst regio-nale und dann oft uberregionale Aufmerk-samkeit. Bezogen auf Unternehmens-grundungen im Softwarebereich hat dieEntwicklung vom Programmierkunstleruber den Softwarehandwerker hin zurSoftwareindustrie dazu beigetragen, dass esheute relativ weniger selbstandige Aus-grundungen oder Neugrundungen vonSoftwareunternehmen gibt. Clustering be-wirkt in diesem Zusammenhang, dass es ei-ne Verknupfung und damit Gruppenbil-dung im Angebot von Softwareleistungengeben kann. Insofern ist dieser Ansatz alssehr positiv zu beurteilen.WI: Sie hatten bereits den Begriff „In-

dustrialisierung“ angesprochen. Wenn mandie derzeitigen Entwicklungen in der Soft-warebranche betrachtet, ist die weitereAusgestaltung von unternehmensubergrei-fenden Softwarelieferketten, ahnlich der in-dustriellen Organisation in der Automobil-industrie oder auch teilweise in derFinanzwelt, ein mogliches Zukunftsszena-rio fur die Softwareindustrie?Szyperski: Wie in vielen anderen Berei-

chen, wird es immer auch handwerksahnli-che Einzelbetriebe fur Spezialaufgaben ge-ben. Beispielsweise gehen bestimmteKundengruppen trotz einer existierendenBekleidungsindustrie teilweise immer nochzu einem Maßschneider. Als Grundmusterhingegen wird sicherlich eine zunehmendeIndustrialisierung im Sinne unternehmens-ubergreifender Kooperation und markt-licher Verbindung von Softwareanbieternstattfinden. Ebenfalls wird es neue, interna-tionale Kooperationen von Softwarezulie-ferern geben, was heute schon zum Teil beideutschen Softwareanbietern beobachtetwerden kann. Diese verlagern nicht nur ih-re Backoffices, sondern gehen ebenfallsechte strategische Kooperationen mit aus-

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landischen Unternehmen ein, beispielswei-se aus dem Software-Hightechland Indien.�hnlich der Automobilindustrie wird eseine zunehmende Differenzierung der ein-zelnen Angebote geben. In vielen anderengestandenen und ausgereiften Industrienhaben sich diese Prinzipien im Hinblickauf Subsystementwicklung als besonderskostengunstig, flexibel und vor allen Din-gen auch als zuverlassiger herausgestellt.WI: Der Begriff „Subsystembildung“

wurde in der Automobilindustrie sehr starkmit dem Begriff der „Plattformstrategie“oder der „Fertigungskomponenten“ ver-bunden. Welche Bedeutung messen Sie die-sem Kontext Softwarekomponenten bei,und welche Rolle werden diese im Hinblickauf die Industrialisierung der Softwareent-wicklung haben?Szyperski: Die Komponentenidee

schreitet unaufhaltsam voran. Wie sich diesim Einzelnen dann in industriellen bzw.unternehmerischen Teileinheiten ausdru-cken wird, kann man zum jetzigen Zeit-punkt noch nicht klar abschatzen. Fur ein-zelne Teilbereiche, gerade fur großere,universell einsetzbare Subsysteme, werdendie Spezialisierung und die hochgradigeProfessionalisierung sehr wahrscheinlichweiter fortschreiten. Insbesondere fur diedeutsche Softwarebranche stellt die kom-ponentenbasierte Softwareentwicklung da-her eine große Chance dar, weil Unterneh-men, die nicht notwendigerweise innovativtatig sein mussen, wohl aber im Rahmeninternational bereits geformter Plattformenbestimmte Teilbereiche durch Perfektionie-rung erstklassig besetzen konnten.WI: Sehen Sie die aufkommende Rolle

des Softwarearchitekten als eine wesentli-che Innovation in der deutschen Software-entwicklungslandschaft und damit auch alsChance, durch gezielte universitare Aus-und Weiterbildung eine weltweite Vorrei-terrolle einzunehmen?Szyperski: Dies wurde ich mit einem

klaren „Ja“ beantworten. Wenn Software-

komponenten zunehmende Bedeutung alsSubsysteme gewinnen, eine zunehmendeStandardisierung von Teilbereichen erfolgt,und gleichzeitig die flexible, kundenspezi-fische Anpassung von Softwaresystemenim großen Stil angestrebt werden, bedarf eseiner „ordnenden Hand“. Was bedeutet,dass auf Seiten des Auftraggebers ein An-sprechpartner vorhanden sein muss, derden großen Entwurf bzw. die Konstrukti-on der Arbeitsgemeinschaften unterstutzt.Auch muss er schließlich die Realisierunguberprufen und leiten. Diese klassischenArchitektenfunktionen werden sicherlichnicht eins-zu-eins aus anderen Bereichen,wie etwa der Bauindustrie, ubernommenwerden konnen, aber als Analogie kanndas Bild des Architekten in die richtigeRichtung weisen. Fuhrende Unternehmenin der Softwareindustrie, wie Microsoft,haben diese Rolle unter dem Label „Soft-warearchitekten“ bereits intern formalisiertund konzipiert. Bill Gates hat beispielswei-se viel Freude daran, sich als „Chief Soft-ware Architect“ seines Hauses zu bezeich-nen.WI: Inwieweit sind Ihrer Meinung nach

die Curricula der Wirtschaftsinformatik-Studiengange an deutschen Hochschulengeeignet, um Innovationen im Bereich derSoftwareentwicklung zu fordern?Szyperski: Ich bin heute glucklicher

denn je, dass die Konzeption der Wirt-schaftsinformatik Anfang der siebzigerJahre im universitaren Umfeld angestoßenwurde. Die Grundidee der Wirtschafts-informatik, namlich die Verbindung vonfachlichem Wissen des betrieblichen An-wendungsgebiets mit den Grundkonzep-tionen und Gestaltungsmoglichkeiten derInformations- und Kommunikationstech-nik, hat sich bisher als tragfahiges Konzepterwiesen. Neben der zunehmenden �ber-tragung auf die anderen Anwendungs- undWissenschaftsbereiche ist die Wirtschafts-informatik an vielen deutschen Universita-ten und Fachhochschulen erstklassig aus-

gewiesen. Bezuglich der Curricula istjedoch noch einiges zu tun. Wenn die deut-schen Softwarearchitekten in der Software-industrie ernst genommen werden wollen,muss eine starkere Verbindung der theo-retischen Hochschulausbildung mit prakti-schen �bungen und relevanten Modellenstattfinden. Die Dozenten selbst mussenbereits als Softwarearchitekten tatig gewe-sen sein und eigene Erfahrung gesammelthaben. Alle klassischen Architektenausbil-dungen an deutschen Hochschulen undtechnischen Universitaten werden wesent-lich von namhaften Architekten getragen,die nicht nur Architekturen lehren sondernauch selbst in der Bauentwicklung tatigsind. Hier bestehen noch erstklassige Ent-wicklungsmoglichkeiten. Fur Deutschlandbleibt nur zu wunschen, dass wir unseregroßen Starken im Softwareentwicklungs-reichtum mit unserer Zuverlassigkeit undunserem okonomischen Sinn bei Ent-wicklung und Fertigung verbinden. Die in-novativen Ansatze auf dem Gebiet derSoftwarearchitekturen und Softwarearchi-tekten sollten daher in der Wirtschafts-informatik gezielt weiterentwickelt werden.Mit neuen Formen von Softwarearchitek-tenburos bestehen große internationaleEntwicklungschancen. Da wir auf der Ebe-ne der Basissoftwareprodukte bisher nichterfolgreich waren, konnten in Deutschlandinternationale Buros mit primar beratendenund gestaltenden Aufgaben entstehen. Da-bei sollten die deutschen Bauarchitektenim internationalen Kontext zum Vorbildgenommen werden. Diese genießen heuteeine sehr prominente Stellung und ubengroßen Einfluss in der gesamten internatio-nalen Bauwelt aus. Fur deutsche Software-architekten konnte ich mir zukunftig eineahnlich maßgebende Rolle gut vorstellen.WI: Das ist eine spannende Analogie und

gleichzeitig ein treffendes Schlusswort, wel-ches wir nachhaltig kommunizieren wer-den. Herr Szyperski, wir bedanken unsganz herzlich fur dieses Interview.

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