Interview Sonntagszeitung Claude Cueni

2
SCHMETTERLINGS-WOCHEN Profitieren Sie jetzt von unseren attraktiven Angeboten auf ausgewählten Produkten. Bonus CHF 200.– ab Breite 80 cm, Bonus CHF 400.– ab Breite 160 cm auf Matratzen dream-away. Preisbeispiel: dream-away evos, 90× 200 cm, CHF 1490.– statt CHF 1690.–. Schmetterlings-Wochen gültig bis 30. Nov. 2014. Schlafen ist sinnlich. www.roviva.ch BONUS CHF 200.–/CHF 400.– 13 Fokus Andreas Kunz (Text) und Sebastian Magnani (Fotos) Als Erstes reicht Claude Cueni das Desinfektionsmittel. Gäste dürfen seine Wohnung in Basel nur mit kli- nisch sauberen Händen betreten – zu gross ist die Infektionsgefahr. Der Autor zahlreicher Romane, TV-Krimis, Hörspiele und Compu- tergames litt an Leukämie, die Ärz- te hatten ihn schon aufgegeben. Eine Knochenmarktransplantation rettete ihm das Leben, doch die Ne- benwirkungen sind massiv: Cueni kämpft mit Krämpfen, Spasmen und Schmerzen, kann höchstens drei, vier Stunden am Stück schla- fen. Umso eindrücklicher sind sei- ne Lebensfreude und sein Humor, der sein aktuelles Buch «Script Ave- nue», eine Art Autobiografie, zum Lesespass macht – trotz aller Dra- men, die Cueni darin beschreibt. Im Wohnzimmer stellt er seine «Freun- de» vor, die historischen Figuren, über die er Bücher geschrieben und die er als Puppen ausgestellt hat. Seine zweite Frau Dina bringt Kaf- fee. Das Gespräch wird nur unter- brochen vom Anruf des Spitals, das neue Termine abmachen will. Woran denkt man auf dem Sterbebett, bei über 43 Grad Fieber, kurz vor dem Organversagen? An gar nichts. Man döst vor sich hin, verliert sich in wirren Träu- men und kann sich später kaum noch erinnern. Kein gleissendes Licht, das die Sinne nochmals erleuchtet, keine letzte Erkenntnis, wie es Autoren von Filmen oder Büchern gern beschreiben? Als vitaler und gesunder Mensch hat man dazu eine falsche Vorstel- lung. Zum Glück bauen Körper und Geist im Gleichschritt ab. Man ist viel zu erschöpft, um zu philo- sophieren. Und das Licht am Ende des Tunnels wäre ein neurologi- sches Phänomen, das je nach Re- ligion anders interpretiert wird. Überlebt man Leukämie, Hirnblutungen, Koma, Transplantation und Organabstossungen: Wie verändert sich das Leben? Man fühlt sich wie ein Marsmensch unter Menschen, denn diese exis- tenzielle Erfahrung trennt einem von den Menschen, die solche Er- fahrungen noch nicht gemacht ha- ben. Man wird sehr bescheiden, vielleicht auch demütig, man rea- lisiert, wie schnell alles vorbei sein kann und wie unbedeutend das kurze Gastspiel auf Erden ist. Trotzdem schrieben Sie danach mit «Script Avenue» Ihr bisher bestes Buch. Schreibt es sich anders, wenn man nichts mehr zu verlieren hat? «Gott ist ein kosmischer Furz» Autor Claude Cueni über sein zweites Leben, den biederen Kulturbetrieb und Geldverdienen als Offizialdelikt Anzeige Claude Cueni, 58, mit seinen Romanfiguren Kardinal Albertini und John Law, dem Erfinder des Papiergelds Schlachtfeld Das Leiden der Opfer des Krieges in Syrien Die Bilder — 16 Auf der Flucht Die bewegte Geschichte von Daniel Hope Der Stargeiger — 22 Der Alleskönner Der Basler Claude Cueni, 58, schrieb über 50 Drehbücher für Kri- miserien wie «Peter Strohm», «Eu- rocops» oder «Alarm für Cobra 11». Daneben veröffentlichte er zahlrei- che historische Romane, leitete als CEO eine Firma, die interaktives Fernsehen entwickelte, und mit dem Computerspiel «Catch the Sperm» landete er 2001 einen Welthit. 2014 veröffentlichte Cueni «Script Ave- nue», ein bewegendes Buch über sein Leben und die Schweizer Zeit- geschichte (Wörterseh Verlag). Fortsetzung — 15

description

Interview Sonntagszeitung Claude Cueni

Transcript of Interview Sonntagszeitung Claude Cueni

Page 1: Interview Sonntagszeitung Claude Cueni

SCHMETTERLINGS-WOCHEN

Profitieren Sie jetzt von unseren attraktivenAngeboten auf ausgewählten Produkten.Bonus CHF 200.– ab Breite 80 cm, Bonus CHF 400.– ab Breite 160 cm auf Matratzen dream-away. Preisbeispiel:dream-away evos, 90×200 cm, CHF 1490.– statt CHF 1690.–. Schmetterlings-Wochen gültig bis 30. Nov. 2014.

Schlafen ist sinnlich.www.roviva.ch

BONUS CHF 200.–/CHF 400.–

13Fokus

Andreas Kunz (Text) und Sebastian Magnani (Fotos)

Als Erstes reicht Claude Cueni das Desinfektionsmittel. Gäste dürfen seine Wohnung in Basel nur mit kli-nisch sauberen Händen betreten – zu gross ist die Infektionsgefahr. Der Autor zahlreicher Romane, TV-Krimis, Hörspiele und Compu-tergames litt an Leukämie, die Ärz-te hatten ihn schon aufgegeben. Eine Knochenmarktransplantation rettete ihm das Leben, doch die Ne-benwirkungen sind massiv: Cueni kämpft mit Krämpfen, Spasmen und Schmerzen, kann höchstens drei, vier Stunden am Stück schla-fen. Umso eindrücklicher sind sei-ne Lebensfreude und sein Humor, der sein aktuelles Buch «Script Ave-nue», eine Art Autobiografie, zum Lesespass macht – trotz aller Dra-men, die Cueni darin beschreibt. Im Wohnzimmer stellt er seine «Freun-de» vor, die historischen Figuren, über die er Bücher geschrieben und die er als Puppen ausgestellt hat. Seine zweite Frau Dina bringt Kaf-fee. Das Gespräch wird nur unter-brochen vom Anruf des Spitals, das neue Termine abmachen will.

Woran denkt man auf dem Sterbebett, bei über 43 Grad Fieber, kurz vor dem Organversagen?An gar nichts. Man döst vor sich hin, verliert sich in wirren Träu-men und kann sich später kaum noch erinnern.Kein gleissendes Licht, das die Sinne nochmals erleuchtet, keine letzte Erkenntnis, wie es Autoren von Filmen oder Büchern gern beschreiben? Als vitaler und gesunder Mensch hat man dazu eine falsche Vorstel-

lung. Zum Glück bauen Körper und Geist im Gleichschritt ab. Man ist viel zu erschöpft, um zu philo-sophieren. Und das Licht am Ende des Tunnels wäre ein neurologi-sches Phänomen, das je nach Re-ligion anders interpretiert wird.Überlebt man Leukämie, Hirnblutungen, Koma, Transplantation und Organabstossungen: Wie verändert sich das Leben?Man fühlt sich wie ein Marsmensch unter Menschen, denn diese exis-tenzielle Erfahrung trennt einem von den Menschen, die solche Er-fahrungen noch nicht gemacht ha-ben. Man wird sehr bescheiden, vielleicht auch demütig, man rea-lisiert, wie schnell alles vorbei sein kann und wie unbedeutend das kurze Gastspiel auf Erden ist. Trotzdem schrieben Sie danach mit «Script Avenue» Ihr bisher bestes Buch. Schreibt es sich anders, wenn man nichts mehr zu verlieren hat?

«Gott ist ein kosmischer

Furz»Autor Claude Cueni über sein zweites

Leben, den biederen Kulturbetrieb und Geldverdienen als Offizialdelikt

Anzeige

Claude Cueni, 58, mit seinen Romanfiguren Kardinal Albertini und John Law, dem Erfinder des Papiergelds

SchlachtfeldDas Leiden der Opfer des Krieges in SyrienDie Bilder — 16

Auf der FluchtDie bewegte Geschichte von Daniel Hope Der Stargeiger — 22

Der Alleskönner

Der Basler Claude Cueni, 58, schrieb über 50 Dreh bücher für Kri-miserien wie «Peter Strohm», «Eu-rocops» oder «Alarm für Cobra 11». Daneben veröffentlichte er zahlrei-che historische Romane, leitete als CEO eine Firma, die interaktives Fernsehen entwickelte, und mit dem Computerspiel «Catch the Sperm» landete er 2001 einen Welthit. 2014 veröffentlichte Cueni «Script Ave-nue», ein bewegendes Buch über sein Leben und die Schweizer Zeit-geschichte (Wörterseh Verlag).

Fortsetzung — 15

Page 2: Interview Sonntagszeitung Claude Cueni

Sonntagsgespräch 15sonntagszeitung.ch | 28. September 2014

Ich erfinde seit frühester Kindheit jeden Tag neue Geschichten, ich kann gar nicht anders, ich bin schreibsüchtig. Als ich mit «Script Avenue» anfing, dachte niemand, dass ich das Jahr überlebe. Ich dachte, es würde mein letztes Buch, und ich hoffe, die Leute sind jetzt nicht enttäuscht. «Script Avenue» sollte ein ungewöhnlich ehrliches und schonungsloses Buch werden, vielleicht auch ein Abschieds-geschenk an meine Leser. Es freut mich, dass sehr viele Menschen mir mailen, dass sie dieses Buch nie vergessen werden.Im Buch erzählen Sie von Ihrem Erwachsenwerden in einem kafkaesken Umfeld, vom pädophilen Onkel und vom cerebral gelähmten Sohn; Ihre Frau starb früh an Krebs, Sie selbst waren dem Tod mehrmals sehr nahe. Was hat der liebe Gott gegen Sie?Nichts, er interessiert sich nicht für das Leben von Säugetieren. Gott ist ein Gemisch aus Staub und Gas, ein kosmischer Furz. Mir war schon als Bub bewusst, dass das Leben kein Paradies, sondern mit Schmerz, Leid und Verlust verbun-den ist. Und wenn Sie sich jahre-lang mit historischen Stoffen be-schäftigen, haben Sie diese Er-kenntnis verinnerlicht. Der Alltag der gewöhnlichen Menschen in ver-gangen Epochen war aus heutiger Sicht ein Desaster: Kriege, Seuchen, Hungersnöte, Willkür, keine sozia-le Absicherung, eine Finanz- und Wirtschaftskrise nach der andern.Trotz aller Dramen lacht man Ihr ganzes Buch hindurch. «Script Avenue» vereint alles, was das Leben ausmacht: Komödie und Tragödie, 50 Jahre Zeitgeschichte. Ich betrachte mein Leben aus der Sicht des Drehbuchautors und sehe auch die Ironie in meinem Schick-sal. Die meisten Leser schreiben, sie hätten beim Lesen abwechselnd gelacht und geweint. Mir ging es nicht nur beim Schreiben so, son-dern auch in meinem Leben.Irgendwann vergeht einem das Lachen doch. Humor ist auch eine Trotzreak tion gegen die Widrigkeiten des Schick-sals. Natürlich ist es zermürbend, wenn Sie alle paar Stunden Krämp-fe, Spasmen, Nervenschmerzen haben. Aber ich habe meine Krank-heit verstanden und akzeptiert. Ich kann weder die Diagnose noch den weiteren Verlauf beeinflussen –nur meine Einstellung dazu. Was hat Sie, trotz allem, immer weiter angetrieben im Leben?Neugierde, Wissensdurst, die Lust, ein schwieriges Spiel zu gewinnen, und die Liebe zu meinem Sohn. Er erlitt nach der Geburt eine spasti-sche Lähmung. Meine verstorbene Frau und ich trainierten ihn vier bis fünf Stunden am Tag nach den An-weisungen eines Neurologen aus Philadelphia. Die Therapien und Reisen waren sehr teuer. Ich be-gann wie verrückt Drehbücher zu schreiben, teilweise unter verschie-denen Pseudonymen, um Neid und Missgunst vorzubeugen. Nur aus Liebe zu meinem Sohn bin ich ein fleissiger und erfolgreicher Autor geworden. Weil ich meine Verant-wortung wahrnahm und nieman-den um Hilfe bitten wollte.Warum nicht? Schon als Schüler wollte ich weni-ger Vater und als Erwachsener we-niger Staat. Das Sein bestimmt tat-sächlich das Bewusstsein. Ich bin ein Selfmademan.Für kurze Zeit arbeiteten Sie selbst beim Staat, als Intendant für TV-Filme im Bundesamt für Kultur unter Bundesrat Pascal Couchepin. Warum hörten Sie wieder auf?

Da ich fast 70 Prozent aller einge-reichten Filmprojekte nicht für einen Förderbeitrag empfehlen konnte, schlug ich vor, dass man mich ersetzt, damit alle Beteilig-ten wieder glücklich sind. Es gibt in der Schweiz gute Drehbücher, aber die werden von niemandem zur Förderung empfohlen, weil sie die politischen Vorlieben der Ver-antwortlichen nicht befriedigen. Im deutschsprachigen Raum wer-den Filmcharaktere oft miss-braucht, um politische Botschaf-ten zu verbreiten. Aber die Men-schen wollen Geschichten. Für Bot-schaften sollte man bekanntlich die Post benützen. Woran hapert es konkret?Es gibt auch hier sehr gute Auto-ren, aber nicht alle passieren das Nadelöhr der Political Correctness. Dass zum Beispiel jemand mit Mi-grationshintergrund ein Kriminel-ler ist, hat man praktisch verboten. Der Täter muss – überspitzt gesagt – immer der böse Banker sein. Selbst wenn man den Taxifahrer zum Mörder machen will, protes-tiert sofort die Taxi-Gewerkschaft.Warum haben Sie selbst aufgehört, Drehbücher zu schreiben?Meine letzte Serie war der «Clown» für RTL. Im Zuge des Jugend-wahns eroberten unerfahrene, aber selbstbewusste junge Leute die Re-daktionen der Privatsender und hatten jede Woche lustige, neue Ideen, die man einarbeiten und eine Woche später wieder streichen musste. Man musste das ganze Chaos mitmachen. Dann folgten genaue Vorgaben für Autostunts, die man sich auf einer Liste aussu-chen konnte. Schliesslich musste die Geschichte um die Werbeblö-cke und explodierende Autos her-umgebaut werden. Das wurde mir trotz der guten Bezahlung zu blöd. Ich investierte die RTL-Honorare in die Recherchen für meinen his-torischen Roman über den Papier-gelderfinder John Law und schrieb nie mehr fürs Fernsehen.Was gehört denn für Sie zu einer guten Geschichte?Dass sich die Zuschauer Sorgen machen. Deshalb muss die Haupt-figur einigermassen sympathisch sein, sonst ist uns ihr Schicksal in den nächsten 90 Minuten egal. Sie muss Stärken und Schwächen ha-ben, wie wir auch. Man muss ihr eine schwierige Aufgabe geben, ihr ein paar Steine in den Weg legen, aber auch ein paar Verlockungen, die sie von ihrem Ziel abhalten. Letztlich geht es stets um die ewi-gen Themen der Menschheit: Lie-be, Verrat, Rache, Macht, Sex. Aber es gibt wie üblich Ausnahmen, die das alles widerlegen. Was ist die grösste Geschichte aller Zeiten?Das entscheidet jeder für sich al-lein und hängt stark von der eige-nen Biografie ab, von der eigenen Lebenserfahrung. Mich hat zuletzt «After the Wedding» nachhaltig berührt, ein kleiner dänischer Film mit Mads Mikkelsen.Welches grosse Buch hätten Sie gern selbst geschrieben?Vielleicht «Hannibal» von Gisbert Haefs. Als das Buch erschien, war ich gerade selbst an einem Hanni-bal-Roman. Doch mein Buch wäre das schlechtere gewesen.Welches Drehbuch?Ich habe sehr viele Lieblingsfilme: «The Big Lebowski», «Pulp Ficti-on», «Forrest Gump», «Ghost Dog», «Sexy Beast», «Barry Lyndon» und bestimmt noch 100 weitere Filme, die mir gerade nicht einfallen.Sie schrieben nicht nur Filme, Romane oder Hörspiele, sondern auch Computerspiele. Als was bezeichnen Sie sich eigentlich?Ich bin ein Geschichtenerfinder im angelsächsischen Sinn. Mein Mot-to ist: Jede Art zu schreiben, ist er-laubt, nur nicht die langweilige. Aber alles, was professionell da-herkommt, gilt als Kommerz, und

schon nahen die Rasenmäher, die einem auf Normalmass kürzen wollen. Denken Sie an HR Giger, einen der grössten Surrealisten des 20. Jahrhunderts. Kaum hatte er den Oscar gewonnen und anstän-dig Geld verdient, wurde er als Ge-brauchsgrafiker diffamiert, und man hat ihm zeitlebens eine gros-se Ausstellung in seiner Heimat verweigert.Woran krankt es in der Branche?Der heutige Kulturbetrieb ist nicht die Avantgarde der Gesellschaft, er ist narzisstisch, autistisch, eher bieder und verströmt nicht gerade den Geist der Aufklärung. Abwei-chende Meinungen sind kaum er-wünscht, der Gruppendruck ist enorm. Mich befremdet immer wieder, wie die Realität wahrge-nommen wird. Kürzlich sagte ein Regisseur: «Kultur ist für die Schweiz so wichtig wie die AHV.» Man muss im obersten Stockwerk des Elfenbeinturms residieren, um solche Aussagen zu machen, und über ein solides Altersguthaben verfügen. Irgendwann wird der Kulturbetrieb fordern, dass der Staat auch für ein Publikum sor-gen muss. Man kann sich auch zu ernst nehmen.Ihre Werke wurden von der Kritik eher stiefmütterlich behandelt. Warum?

Das A und O in der Kultur, wie auch in Politik und Wirtschaft, ist ein funktionierendes Netzwerk. Wenn Sie nicht am Kulturbetrieb teilnehmen können, sind Sie nicht Teil davon. Ich musste sehr viel ar-beiten in meinem Leben, hatte oft mehrere Jobs parallel. Meine Fa-milie war mir stets wichtiger. Das Feuilleton fand meine beiden ers-ten Romane noch ganz toll, das war Literatur, obwohl diese Bücher rückblickend unbeholfene Schreib-versuche eines Pubertierenden wa-ren. Als ich später anfing, Dreh-bücher zu schreiben, begannen die Kritiker die Nase zu rümpfen, denn ein richtiger Literat schrieb damals nicht fürs Fernsehen. Heute wol-len alle Drehbücher schreiben. Später entwickelte ich Computer-spiele, worauf ich endgültig ex-kommuniziert wurde. Kreativität beschränkt sich aber selten auf ein einziges Genre. Sie manifestiert sich in allen Lebensbereichen.Wenn Sie als Autor historischer Romane die Geschichte von Europa und der Schweiz weiterschreiben müssten, wie würde es ausgehen?Untergehende Gesellschaften er-kennt man daran, dass sie nicht mehr den Willen aufbringen, ihre Errungenschaften zu verteidigen und dass sie ihre zunehmende Schwäche als Toleranz kaschieren.

In Asien sind die jungen Leute hungriger, ehrgeiziger, motivier-ter und leidensfähiger, der Erfolg der anderen ist Ansporn, bei uns wird Geldverdienen bald einmal zum Offizialdelikt, man diskutiert immer öfter, wie man mit so we-nig Leistung wie möglich zu mög-lichst viel Geld kommt. Auch in der Kultur.Kein Happy End?Aufstieg und Untergang der Na-tionen und Kulturen sind genau-so normal wie die vier Jahreszei-ten. Nach der Sättigung beginnt jeweils der Sinkflug. Aber im Zeit-alter der Beschleunigung braucht es dafür keine Jahrhunderte mehr. Ähnliches geschieht im privaten Bereich: Die erste Generation ver-dient das Geld, die dritte oder vier-te Generation verjubelt es.Sie haben in Ihren Anfangszeiten Gebrauchsanweisungen für Videorecorder geschrieben: Wie lautet eine fürs Leben? Das Totenhemd hat keine Taschen. Am Ende zählt nur, was man für andere Menschen getan hat. War mein kurzes Gastspiel auf Erden sinnvoll, für irgendjemanden hilf-reich? Ihre Gebrauchsanweisung für das Sterben?Viele Menschen wünschen sich, dass man sich professionell einschläfern lassen kann, wenn es so weit ist. Zwei Spritzen: eine zum Einschlafen und eine, damit man nicht mehr aufwacht. Ich finde es unerhört, wenn einige Politiker, mit teilweise bescheidener Lebens-erfahrung, sich anmassen, über das Lebensende von wildfremden Menschen zu bestimmen. Es stimmt nicht, dass heute alle Men-schen schmerzfrei sterben können. Einige Krebskranke kann man nur noch von Schmerzen befreien, in-dem man sie ins Koma versetzt. Doch wozu? Um ins «Guinness-buch der Rekorde» zu kommen? Sind Sie Mitglied einer Sterbehilfeorganisation?Ja, von Exit und Life Circle.Warum zwei?Ich will auf Nummer sicher gehen. Im Ernst: Diese Organisationen erfüllen eine wichtige Funktion und verdienen Unterstützung. Die Mitgliedschaft erlöst viele Men-schen von der Vorstellung eines schmerzhaften Todes und macht den Alltag erträglicher. Aber mein Gesundheitszustand ist zurzeit sta-bil, wenn auch auf tiefem Niveau.Jede Nacht von Schmerzen geweckt zu werden, alle paar Stunden Krämpfe zu bekommen, unzählige Spitaltermine – das ist doch kein Genuss mehr.Aus der Sicht eines gesunden Menschen mag das so sein. Aber mit jeder neuen Einschränkung wächst auch die Toleranz. Wie in der Politik üblich, wird auch im privaten Bereich die rote Linie lau-fend angepasst. Ich hab neuer-dings Probleme beim Treppenstei-gen. Ja und? Treppensteigen war noch nie meine Kernkompetenz. Und Schlafentzug und Medika-mente können manchmal auch ih-ren Reiz haben.Bitte?Ich habe so viele Ideen für neue Geschichten wie noch nie. Durch die Medikamente und den Schlaf-mangel döse ich oft erschöpft vor mich hin, und so kommen die Ideen buchstäblich wie im Traum. Das ist wie ein Film, den man nicht selbst steuern kann. Die Geschich-ten entstehen praktisch von selbst. Keine Aussetzer?Es kommt immer wieder vor, dass ich Sätze schreibe wie «Er setzte sich an den Fisch und trank die Ta-sche leer.» Aber wenn ich nach ein wenig Schlaf die Fehler entdecke, kann ich herzhaft darüber lachen. Wie lange leben Sie noch?Ich habe mir doch gerade neue Schuhe gekauft und 10 000 Blatt Papier!

Fortsetzung

ClaudeCueni

«Mir war schon als Bub bewusst, dass das Leben kein Paradies, sondern mit Schmerz, Leid und Verlust verbunden ist»