Iphigenie unter Säulen€¦ · Erinnerungen an den 2. Oktober 1945 I ~ Iphigenie unter Säulen. Ir...

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Erinnerungen an den 2. Oktober 1945 Iphigenie unter ulen Ir 0' aus bem alteSäcken Erste Theatervorstellung in Quedlinburg nach dem 2. Weltkrieg im "Prinz Heinrich" Von HORST ZIERMANN Der Autor die- ses Beitrages, fIorst Zier- mann, erlebte als damals 16jähriger die erste "orstel- lung und Spiel- zeit des Qued- linburger Theaters mit. 1945, als ne- Horst Ziermann Kankatur ent- stand, war er Schüler der Guts- Muths-Schule und galt als "Kri"': tiker der ersten Stunde" . fIeute lebt er in Bonn. . QuedlinburglMZ. Der 2. Oktober 1945 war ein Sonntag, ein richtiger Herbstsonntag. Der Himmel war grau, es nieselte. Und doch hatten sich viele Bürger auf den Weg zum Steinweg gemacht, zu einem Lo- kal, das damals noch " Prinz Hein- rich" und erst später auf neu-rus- sisch "Stadtsaalbau " hieß. Dort wollten sich die Städtischen Büh- nen Quedlinburg vorstellen. Ein Theater in Quedlinburg? Das hatte es noch nie gegeben. Al- lenfalls kamen - seit 1820 - Tour- neen vorbei. Sonst fuhr, wer sich für die Kunst der Bühne interes- sierte, nach Halberstadt - es sind ja nur 16 Kilometer. Aber Halber- stadt war am 9. April in Schutt und Asche gebombt worden. Wenn also Theater, dann in Quedlinburg. Es gab ja Ulrich Velten, dessen Va- terhaus an der Ecke Augustinern! Reichenstraße stand. Der Sohn ei- nes Bäckermeisters hatte die Thea- terhochschule - wohl in Leipzig- besucht. Was er da als Schauspie- ler, Regisseur und Bühnenbildner gelernt hatte und was an eigenem Können darüber hinausging, ge- dachte er seinen Mitbürgern zu zeigen. Er war der Intendant, und natürlich inszenierte er die erste Aufführung, sozusagen die Ur- Premiere. Ein Klassiker sollte es schon sein, am besten Goethe, dessen 200. Geburtstag vier Jahre darauf zu feiern war. Velten wählte "Iphi- genie auf Tauris", nach Jahren des Unheils und des Krieges das Stück über "reine Menschlichkeit". Au- ßerdem ist es für ein neues (und armes) Theater ungemein günstig : eine Dame, vier Herren, eine De- koration . Wenn möglich, sollten das die Säulen des Tempels sein . Es war nicht möglich, die hell aus- geleuchtete Szene zeigte aus mas- siven Quadern errichtete Pfeiler, die in Wirklichkeit aus bemalten Zuckersäcken bestanden , geliefert von der Firma Sack-Koch. Heraus in diesen besonnten Be- zirk trat, angetan mit einem strah- lend weißen Kleid, Annemarie Collin, "das Land der Grie- chen mit der ' Seele suchend " - damit sp;rach sie dem Publi- kum an diesem verregneten Spätnachmit- tag aus dem I:Ierzen. Und Sprechen war ihre Sache. Jah- Annemarie Collin relang hat SIe diese Rolle immer wieder gestaltet , im Harzer Bergtheater in Thale, zur Eröffnung der neuerbauten Kammerspiele, jedesmal gleich hinreißend . Ein ganze Publikums- Generation ist mit Annemarie Col- lins Iphigenie aufgewachsen . Velten hatte selbstverständlich die Vers-Fassung inszeniert , und diese Verse ließ er skandieren. Oh- ne falsches Pathos - dazu waren die Menschen zu hellhörig - aber ausgelotet in ihren Höhen und Tie- fen, . als voller Maß gestaltetes Sprechen . Velten war ein Mann der großen Form. Werner Wieland kam als Bote Arkas , Walter Eich- horn als König Thoas , der , als die Priesterin sein Heiratsbegehren zurückweist, zwei Gefangene zum blutigen Opfer zu senden droht: die Griechen Orest (Hans Stetter) und Pylades - den spielte Vel- ten selber . Auch sie, alle, konn- ten Verse spre- chen, und es störte keinen , daß ihre Kostü- me gleichfalls aus eix:gefärbter I Sacklemwand 11Jfil' ''U{f geschneidert · , waren. Was. Ril- Hans Stetter ke angesIchts des "Apollo von Belvedere" nur versprach -"Ich muß mein Leben ändern" - das vollzog sich an die- sem 2. Oktober 1945 im "Pr inz Heinrich", und die Menschen spürten das : Das Leben war anders geworden. . Wie vielseitig das neue Theater . und seine Schauspieler waren, er- wies die nächste Premiere, , )nge- borg ", diese humorvoll unver- bindliche Plauderei von Curt Go- etz - zwei Damen, drei Herren, eine Dekoration . Annemarie Collin war nun die leichtsinnig tändelnde Ti- telgestalt , Stetter gab einen hin- reißenden Peter Peter - eine Rolle, für die es heute gar keinen Schau- spieler mehr gibt -, Wieland ver- rpert den arglosen Ehemann . Als Tante Ottilie schließlich stellte sich den Quedlinburgern Vera Münchow vor, die bald zur meist- beschäftigsten, weil beliebtesten Schauspielerin wurde : Als komi- sche Alte in Lustspiel und Ope- rette - zu ihren 25jährigen Büh- nenjubiläum als " Wilde Auguste ", aber auch in ernsten Rollen, als Mutter WoIffen im "Biberpelz" , <;t ls Frau Marthe Rull im "Zerbro- chenen Krug" , als Marthe Schwerdtlein in Goethes " Faust" . Nicht zu vergessen ihre di cke Pompanne in Weisenborns spek- takulärer Bauernkriegs-Ballade mit Heinz Baumann als Truchseß, Stetter als Eulenspiegel und Uschi Schäfflein als geschundenes Mäd- chen Federle . Wieder anders kamen die Städ- tischen Bühnen mit der Detektiv- Komödie eines Unbekannten na- mens Ridley, dem fern aller Kli- schees eine muntere Wartesaal- Handlung, genau gezeichne, te Cha- raktere und ein phantastischer Ti- tel eingefallen waren: "Der Gei- sterzug" . So etwas vergißt sich in 50 Jahren; ich weiß nur noch, daß Hans Stetter ein zwar witziger, aber recht lästiger Unruhestifter war, der sich am Ende als Detektiv herausstellte, und daß unter den Wartenden auch llse Haupt war . Eben jene, die im Hagenschen Freihaus , Ecke Bockstraße/Klink , eine Ballettschule betrieb . Doch ihre Elevinnen kamen erst später zum Zug. Zunächst war es das Sprechtheater: " Emilia Ga- lotti" mit Velten (Prinz), Eichhorn (Marinelli), An- nemarie Collin als Gräfin Orsi- na und Jakob Ziegler, vormal s Intendant in Halberstadt, als Oberst Galotti. Es gab "Jugend " von Max Halber mit Eichhorn als . fanatischem Priester . und Ulrich Velten Horst Hemze als debilen Mörder , es gab Klabunds "Kreidekreis" mit dem Debüt von Annelie Wunsch . Die erste Ope- rette stand am Ende der ersten Spielzeit. Künneckes "Vetter aus Dingsda", kein Chor, kein Ballett, eine Dekoration. Goethe galt für die g anze Spielzeit , wie man sieht : "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen und jeder geht zu- frieden aus dem Haus. "

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Erinnerungen an den 2. Oktober 1945

I ~ Iphigenie unter SäulenIr 0' ~ ~ aus bemalten· Säcken

Erste Theatervorstellung in Quedlinburg nach dem 2. Weltkrieg im "Prinz Heinrich" Von HORST ZIERMANN

Der Autor die­ses Beitrages, fIorst Zier­mann, erlebte als damals 16jähriger die erste "orstel ­lung und Spiel­zeit des Qued­linburger Theaters mit. 1945, als ne-

Horst Ziermann ben~tehende Kankatur ent­

stand, war er Schüler der Guts­Muths-Schule und galt als "Kri"': tiker der ersten Stunde" . fIeute lebt er in Bonn. . QuedlinburglMZ. Der 2. Oktober 1945 war ein Sonntag, ein richtiger Herbstsonntag. Der Himmel war grau, es nieselte. Und doch hatten sich viele Bürger auf den Weg zum Steinweg gemacht, zu einem Lo­kal, das damals noch "Prinz Hein­rich" und erst später auf neu-rus­sisch "Stadtsaalbau" hieß. Dort wollten sich die Städtischen Büh­nen Quedlinburg vorstellen.

Ein Theater in Quedlinburg? Das hatte es noch nie gegeben. Al­lenfalls kamen - seit 1820 - Tour­neen vorbei. Sonst fuhr, wer sich für die Kunst der Bühne interes­

sierte, nach Halberstadt - es sind ja nur 16 Kilometer. Aber Halber­stadt war am 9. April in Schutt und Asche gebombt worden. Wenn also Theater, dann in Quedlinburg. Es gab ja Ulrich Velten, dessen Va­terhaus an der Ecke Augustinern! Reichenstraße stand. Der Sohn ei­nes Bäckermeisters hatte die Thea­terhochschule - wohl in Leipzig­besucht. Was er da als Schauspie­ler, Regisseur und Bühnenbildner gelernt hatte und was an eigenem Können darüber hinausging, ge­dachte er seinen Mitbürgern zu zeigen. Er war der Intendant, und natürlich inszenierte er die erste Aufführung, sozusagen die Ur­Premiere.

Ein Klassiker sollte es schon sein, am besten Goethe, dessen 200. Geburtstag vier Jahre darauf zu feiern war. Velten wählte "Iphi­genie auf Tauris", nach Jahren des Unheils und des Krieges das Stück über "reine Menschlichkeit". Au­ßerdem ist es für ein neues (und armes) Theater ungemein günstig: eine Dame, vier Herren, eine De­koration. Wenn möglich, sollten das die Säulen des Tempels sein. Es war nicht möglich, die hell aus­geleuchtete Szene zeigte aus mas­siven Quadern errichtete Pfeiler, die in Wirklichkeit aus bemalten Zuckersäcken bestanden, geliefert von der Firma Sack-Koch.

Heraus in diesen besonnten Be­zirk trat, angetan mit einem strah­lend weißen Kleid, Annemarie Collin, "das Land der Grie­chen mit der ' Seele suchend" - damit sp;rach sie dem Publi ­kum an diesem verregneten Spätnachmit­tag aus dem I:Ierzen. Und Sprechen war ihre Sache. Jah- Annemarie Collin relang hat SIe diese Rolle immer wieder gestaltet, im Harzer Bergtheater in Thale, zur Eröffnung der neuerbauten Kammerspiele, jedesmal gleich hinreißend. Ein ganze Publikums­Generation ist mit Annemarie Col­lins Iphigenie aufgewachsen.

Velten hatte selbstverständlich die Vers-Fassung inszeniert, und diese Verse ließ er skandieren. Oh­ne falsches Pathos - dazu waren die Menschen zu hellhörig - aber ausgelotet in ihren Höhen und Tie­fen , . als voller Maß gestaltetes Sprechen. Velten war ein Mann der großen Form. Werner Wieland kam als Bote Arkas , Walter Eich­horn als König Thoas, der, als die Priesterin sein Heiratsbegehren

zurückweist, zwei Gefangene zum blutigen Opfer zu senden droht: die Griechen Orest (Hans Stetter) und Pylades ­den spielte Vel­ten selber. Auch sie, alle, konn­ten Verse spre­chen, und es störte keinen, daß ihre Kostü­me gleichfalls aus eix:gefärbter I ~~dIf,Sacklemwand 11Jfil' ''U{f geschneidert · , ~ waren. Was. Ril- Hans Stetter ke angesIchts des "Apollo von Belvedere" nur versprach - "Ich muß mein Leben ändern" - das vollzog sich an die­sem 2. Oktober 1945 im "Prinz Heinrich", und die Menschen spürten das: Das Leben war anders geworden. .

Wie vielseitig das neue Theater . und seine Schauspieler waren, er­wies die nächste Premiere, ,)nge­borg", diese humorvoll unver­bindliche Plauderei von Curt Go­etz - zwei Damen, drei Herren, eine Dekoration. Annemarie Collin war nun die leichtsinnig tändelnde Ti­telgestalt, Stetter gab einen hin­reißenden Peter Peter - eine Rolle, für die es heute gar keinen Schau­spieler mehr gibt - , Wieland ver­körpert den arglosen Ehemann. Als Tante Ottilie schließlich stellte sich den Quedlinburgern Vera Münchow vor, die bald zur meist­b eschäftigsten, weil beliebtesten Schauspielerin wurde: Als komi­sche Alte in Lustspiel und Ope­rette - zu ihren 25jährigen Büh­nenjubiläum als " Wilde Auguste ", aber auch in ernsten Rollen, als Mutter WoIffen im "Biberpelz" , <;tls Frau Marthe Rull im "Zerbro­chenen Krug" , als Marthe Schwerdtlein in Goethes "Faust" . Nicht zu vergessen ihre dicke Pompanne in Weisenborns spek­

takulärer Bauernkriegs-Ballade mit Heinz Baumann als Truchseß, Stetter als Eulenspiegel und Uschi Schäfflein als geschundenes Mäd­chen Federle.

Wieder anders kamen die Städ­tischen Bühnen mit der Detektiv­Komödie eines Unbekannten na­mens Ridley, dem fern aller Kli­schees eine muntere Wartesaal­Handlung, genau gezeichne,te Cha­raktere und ein phantastischer Ti­tel eingefallen waren: "Der Gei­sterzug" . So etwas vergißt sich in 50 Jahren; ich weiß nur noch, daß Hans Stetter ein zwar witziger, aber recht lästiger Unruhestifter war, der sich am Ende als Detektiv herausstellte, und daß unter den Wartenden auch llse Haupt war. Eben jene, die im Hagenschen Freihaus, Ecke Bockstraße/Klink, eine Ballettschule betrieb.

Doch ihre Elevinnen kamen erst später zum Zug. Zunächst war es das Sprechtheater: "Emilia Ga ­lotti" mit Velten (Prinz) , Eichhorn (Marinelli) , An­nemarie Collin als Gräfin Orsi­na und Jakob Ziegler , vormals Intendant in Halberstadt, als Oberst Galotti. Es gab "Jugend" von Max Halber mit Eichhorn als

. fanatischem Priester . und Ulrich Velten Horst Hemze als debilen Mörder, es gab Klabunds "Kreidekreis" mit dem Debüt von Annelie Wunsch. Die erste Ope­rette stand am Ende der ersten Spielzeit. Künneckes "Vetter aus Dingsda", kein Chor, kein Ballett, eine Dekoration. Goethe galt für die ganze Spielzeit, wie man sieht: "Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen und jeder geht zu­frieden aus dem Haus. "