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Iris Winkler Aufgabenpräferenzen für den Literaturunterricht

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Iris Winkler

Aufgabenpräferenzen für den Literaturunterricht

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VS RESEARCH

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Iris Winkler

Aufgabenpräferenzenfür denLiteraturunterrichtEine Erhebungunter Deutschlehrkräften

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Habilitationsschrift an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena,2009

1. Auflage 2011

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Lektorat: Verena Metzger / Anette Villnow

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

ISBN 978-3-531-17528-7

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Inhalt

1 Fragestellung ………………………………………………………………. 7

2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand…………………………... 152.1 Begriffsklärung: Lernaufgaben ...…………………………………………. 16 2.2 Typen von Lernaufgaben: Zum Anforderungsprofil von Erarbeitungs-, Übungs- und Evaluationsaufgaben ...……………………………………... 19 2.3 Perspektiven der Erforschung von Lernaufgaben ...……………..………... 26 2.3.1 Methodenorientierte Perspektive: Lernaufgaben im Schatten von „Methoden“ und „Verfahren“ des Unterrichts ..………………... 29 2.3.2 Kontextorientierte Perspektive: Lernaufgaben als Rahmen problemorientierter Lernarrangements ...……………………………. 34 2.3.3 Merkmalszentrierte Perspektive: Komplexität und Offenheit als Determinanten von Aufgabenschwierigkeit ...…….………………… 41

3 Aufgaben und Textverstehen …………………………………………… 55 3.1 Überblick: Einflussfaktoren beim Textverstehen ………………………… 55 3.2 Textbeschaffenheit und Leseraktivitäten im Wechselspiel: Einen literarischen Text lesen …………………………………………….. 61 3.3 Lesermerkmale ……………………………………………………………. 69 3.4 Leseanforderungen: Ebenen des Textverstehens …………………………. 73 3.4.1 Ebenen des Textverstehens im Überblick ..…………………………. 74 3.4.2 Situationsmodell – Mentales Modell – Textweltmodell ..…………... 79 3.4.3 Kohärenzetablierung und Sinnzuschreibung .……………………….. 83 3.4.4 Globale Sinnzuschreibung ……………….…………………………..90 3.4.5 Epistemologisch qualifiziertes Situationsmodell und Textkritik …. 100 3.5 Textverstehensaufgaben ………………………………………………… 107 3.5.1 Ein Systematisierungsvorschlag …….……………….…………..... 107 3.5.2 Zur Unterscheidung von Rekonstruktions-, Generierungs- und Bewertungsaufgaben ……….…………………………….……….. 112 3.5.3 Analyse der Beispielaufgaben aus dem Fragebogen ……………… 130

4 Lehrkräfte als zentrale Einflussgröße des Aufgabeneinsatzes …….... 157 4.1 Überblick: Aufgabenstellen und professionelle Kompetenz von Lehrkräften ……………………………………………………………… 158

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Inhalt 6

4.1.1 Professionelle Handlungskompetenz als personenbezogenes Merkmal von Lehrkräften …………………………….…………... 159 4.1.2 Handlungsfelder des Lehrerberufs als Kompetenzbereiche: „Standards für die Lehrerbildung“ ………………………………... 163 4.2 Aufgabenstellen und Professionswissen ………………………………... 166 4.3 Aufgabenstellen und fachbezogene Überzeugungen …………...………. 170 4.3.1 „Aufgabenpräferenzen“ ………….……………………….……….. 170 4.3.2 Überzeugungen von Deutschlehrkräften: Forschungsstand ………. 177

5 Aufgabenpräferenzen von Deutschlehrkräften am Gymnasium …… 195 5.1 Entwicklung von Fragestellung und Untersuchungsinstrument ………... 195 5.2 Beschreibung der Stichprobe …………………………………...………. 204 5.3 Allgemeine Einstellungen zum Lehren und Lernen im Literaturunterricht …………………………………………………… 208 5.3.1 Lernprozessbezogene Grundeinstellungen: Zwei Gruppen von Lehrkräften? ………………………………….. 208 5.3.2 Gelenktes Lehrer-Schüler-Gespräch und Gruppenarbeit: Zwei Sozialformen im Urteil der Probanden……..……………….. 226 5.3.3 Lernprozessbezogene Grundeinstellung und bevorzugte Sozialform ………………………………………………………… 236 5.4 Vier Typen von Aufgabenpräferenzen ...………………………………... 243 5.4.1 Zum Verfahren der latenten Klassenanalyse .……………………... 243 5.4.2 Beschreibung und Interpretation der Itemprofile:

Klassenspezifische latente Variablen……………………………… 250 5.5 Zusammenhänge zwischen Aufgabenpräferenzen und allgemeinen Einstellungen zum Lehren und Lernen …………………...…………….. 264 5.5.1 Die Angebotsorientierten ………..………….…………………….. 269 5.5.2 Die Gegenstandsorientierten ……..…………….…………………. 270 5.5.3 Die Lernerorientierten ………………………….…………………. 273 5.5.4 Die Trendorientierten ……………………………...…………….... 275 5.5.5 Zwischenbilanz ….……………………………….………………... 2795.6 Zum Erkenntnispotenzial quantitativer Untersuchungsmethoden aus deutschdidaktischer Perspektive ............................................................... 280

6 Bilanz …………………………………………………………………… 285

Anhang ……………………………………………………………………... 291

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen ………………..……………. 299

Literatur …………………………………………………………………… 303

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1 Fragestellung

Deutsche Schülerinnen und Schüler zeigen besondere Schwächen beim verste-henden Lesen literarischer Texte. Das haben Anschlussuntersuchungen zu PISA 2000 erbracht (Artelt/Schlagmüller 2004). Dieser Befund überrascht; denn gera-de literarische Texte gelten traditionell als prominenter Gegenstand beim Um-gang mit Texten im Deutschunterricht. Allerdings hat zuletzt die DESI-Studie bestätigt, dass hinsichtlich der im Literaturunterricht bevorzugten Textsorten eine Differenzierung nach Schulformen nötig ist: Literarische Texte haben vor allem an Gymnasien und integrierten Gesamtschulen einen hohen Stellenwert (Klieme et al. 2006).

Auf jeden Fall lenkt der erwähnte Befund das fachdidaktische Forschungs-interesse unmittelbar darauf, wie literarische Texte im Deutschunterricht übli-cherweise verhandelt werden. Darüber gibt es bisher kaum empirisch gesicherte Erkenntnisse.

Bei der Initiierung und Strukturierung von Lernprozessen im Unterricht spielen Aufgabenstellungen eine zentrale Rolle. Es kann angenommen werden, dass die Qualität der eingesetzten Lernaufgaben den Kompetenzerwerb der Ler-nenden nicht unerheblich beeinflusst. So zeigen die Ergebnisse von TIMSS und COACTIV, dass ein hoher Lernzuwachs aus der Bearbeitung kognitiv an-spruchsvoller Aufgaben im Unterricht resultiert (Baumert 2002; Brunner et al. 2006a).

Auch in der Deutschdidaktik werden Aufgabenstellungen für Lern- wie Leistungssituationen seit PISA 2000 und mit Beginn der Debatte um Kompeten-zen und Bildungsstandards als relevanter Gegenstand fachdidaktischer For-schung und Entwicklung wahrgenommen: Befunde wie „PISA-Aufgaben sind anders“ (Köster 2002) standen am Anfang der Diskussion um die „Aufgabenkul-tur“ im Deutschunterricht (Köster et al. 2004). Diese Diskussion hat auf dem Symposion Deutschdidaktik inzwischen ihren festen Platz in eigenen Sektionen

I. Winkler, Aufgabenpräferenzen für den Literaturunterricht, DOI 10.1007/978-3-531-92698-8_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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8 1 Fragestellung

zum Schwerpunkt ‚Aufgaben‘1 und spiegelt sich in einer wachsenden Anzahl von fachdidaktischen Publikationen wider (vgl. dazu Kap. 2 dieser Arbeit). Nicht zuletzt greifen aktuelle Ausgaben von Zeitschriften für Deutschlehrer das Auf-gaben-Thema auf, um die Aufmerksamkeit der Lehrerinnen und Lehrer für die Bedeutung von Aufgaben im Deutschunterricht zu schärfen (z. B. Deutschunter-richt 2008, H. 5; Praxis Deutsch 2009, H. 214).

Was Aufgaben für Leistungssituationen betrifft, wird die deutschdidaktische Forschung u. a. durch die Aufgabenentwicklung am IQB2, an der auch Deutsch-didaktiker/innen beteiligt sind, vorangetrieben. Worüber bislang keinerlei For-schungsbefunde vorliegen, sind die Fragen, was für Aufgaben in Lernsituationen des Literaturunterrichts tatsächlich verwendet werden, warum und wie das ge-schieht. Interessiert man sich aus diesem Blickwinkel für den Aufgabeneinsatz im Unterricht, rücken die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer in besonderer Weise in den Fokus der deutschdidaktischen Forschung. Die Lehrkräfte sind es nämlich, die die Entscheidung darüber treffen, was für Lernaufgaben gestellt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer übernehmen bzw. modifizieren Aufgaben aus Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien, oder sie verwerfen diese und kon-struieren selbst Lernaufgaben. Die Lehrpersonen sind also die zentrale Schnitt-stelle beim Aufgabeneinsatz im Unterricht. Die Aufgabenauswahl bzw. -konstruktion sowie der Einsatz der Aufgaben im Unterricht erfordert professio-nelle Kompetenz seitens der Lehrpersonen.

Dass den Lehrkräften und ihrem Beitrag zu unterrichtlichen Lernprozessen und Lernergebnissen zunehmende Aufmerksamkeit zuteil wird, kann man im Kontext der aktuellen Bildungsreformen generell feststellen. Helmke (2009) etwa widmet im Unterschied zur früheren Fassung seines Handbuchs zur Unter-richtsqualität dem

Thema Lehrerprofessionalität (…) angesichts der zunehmend deutlicher geworde-nen Bedeutung der Lehrperson und ihrer professionellen Kompetenzen nunmehr ein eigenes Kapitel (Helmke 2009, 15; Hervorhebung ebd.).

1 Eine entsprechende Sektion gab es in Weingarten 2006 und Köln 2008; auch für das Symposion

Deutschdidaktik in Bremen 2010 ist eine Aufgaben-Sektion in Planung. 2 Die Abkürzung IQB steht für das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (Berlin),

zu dessen Hauptaufgaben die Weiterentwicklung, Operationalisierung, Normierung und Über-prüfung von Bildungsstandards gehört.

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1 Fragestellung 9

Das BMBF hat 2008 im Kontext des Rahmenprogramms zur Förderung der empirischen Bildungsforschung die „Entwicklung von Professionalität des päda-gogischen Personals“ zu einem Forschungsschwerpunkt erklärt. Dies wird wie folgt begründet:

Im Bildungssystem sind Wissen, Kompetenz und Handeln des pädagogischen Per-sonals zentrale Voraussetzungen für die Lerngelegenheiten der Lernenden. (…) Wissenschaftlich fundiert können Qualifizierungsprozesse der pädagogischen Fach-kräfte und eine Optimierung der Bildungsprozesse, für die sie ausgebildet werden, nur dann erfolgen, wenn ein Zusammenhang zwischen Professionswissen und Kom-petenzen der Pädagog/-innen, der Qualität ihrer Tätigkeit und dem Ergebnis dieser Tätigkeit hergestellt werden kann. (http://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/zeigen.html?seite=6355; letzter Aufruf 09.08.2010)

Die Ausschreibung des Förderschwerpunkts „Entwicklung von Professionalität des pädagogischen Personals in Bildungseinrichtungen“ richtet sich u. a. an Pro-jekte, die auf „Identifizierung relevanter professioneller Kompetenzen (…) des pädagogischen Personals in spezifischen Domänen und Bildungsbereichen“3

zielen. Dabei werden, einem aktuellen Modell von professioneller Kompetenz folgend, Überzeugungen neben Wissen, Motivation und selbstregulativen Fähig-keiten ausdrücklich mit zur professionellen Kompetenz gezählt. Dies ist im Kon-text der hier vorgelegten Arbeit von Bedeutung.

Welche professionsbezogenen Überzeugungen Lehrerinnen und Lehrer ha-ben, ist eine wichtige Fragestellung. Beispielsweise muss die Entwicklung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen an entsprechende Erkenntnisse anknüpfen. So weisen Gräsel/Parchmann (2004) aus Sicht der Implementationsforschung darauf hin, dass bei Reformen im Bildungsbereich „Einstellungen der Lehrkräfte gegenüber der Innovation und Überzeugungen für die Umsetzung der Verände-rung entscheidend sind“ (Gräsel/Parchmann 2004, 203):

Bei einer zu hohen Abweichung vom Status quo kommt es bei den Beteiligten zu Ablehnung und Widerständen (…). Bei „kleinen Innovationen“ kann dagegen die Gefahr bestehen, dass zwischen der angestrebten Veränderung und der bestehenden Praxis kein wesentlicher Unterschied gesehen wird – und damit kein Bedarf, das ei-gene Handeln zu verändern. (Gräsel/Parchmann 2004, 201)

3 http://www.bmbf.de/foerderungen/12431.php (letzter Aufruf 09.08.2010).

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10 1 Fragestellung

Die Deutschdidaktik hat sich bislang wenig für die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer interessiert. So kommt Unglaub (2006) allein nach einer Untersu-chung deutschdidaktischer Handbücher dazu, vom „abhanden gekommene[n] Deutschlehrer in der Deutschdidaktik“ zu sprechen.4 Schwerer allerdings wiegt, dass die professionelle Kompetenz von Deutschlehrkräften bisher tatsächlich allenfalls punktuell erforscht ist (zuletzt Bräuer 2010). Für die deutschdidakti-sche Forschung gilt im Wesentlichen noch immer, was Ingrid Kunze bereits 2004 festgestellt hat:

Deutschlehrer und -lehrerinnen sowie deren berufliches Wissen und deren berufliche Kompetenzen sind innerhalb der Fachdidaktik kein wichtiger Gegenstand systemati-scher empirischer Forschungen (…). Zugespitzt gesagt: Sie sind derzeit eine Margi-nalie. (Kunze 2004, 191)5

Die vorliegende Arbeit zielt gewissermaßen in den Überschneidungsbereich der beiden skizzierten Forschungszusammenhänge Aufgaben im Deutschunterrichtund professionelle Kompetenz von Deutschlehrkräften. Sie bezieht dabei zwei Fragen aufeinander, nämlich 1. die Frage nach der Funktion von Lernaufgaben für das Verstehen literari-

scher Texte (Aufgaben als Steuerungsinstrument beim Lehren und Lernen) und

2. die Frage, welche Rolle Deutschlehrkräfte beim Einsatz dieses Steuerungs-instrumentes ‚Lernaufgaben im Literaturunterricht‘ spielen.

Die Arbeit untersucht vor dem skizzierten Hintergrund, welche Lernaufgaben Deutschlehrkräfte am Gymnasium für den Umgang mit literarischen Texten im Unterricht bevorzugen. Wenn nämlich einerseits Aufgaben eine zentrale Rolle beim Lehren und Lernen spielen und andererseits Lehrkräfte eine zentrale Ein-flussgröße beim Aufgabeneinsatz sind, dann ist es wichtig zu wissen, was für aufgabenbezogene Überzeugungen Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer haben. 4 Im soeben erschienenen literaturdidaktischen Teil des Handbuchs DTP (Band 11/2) allerdings

findet sich ein Beitrag mit dem Titel „Lehrerkonzepte und Lehrerkompetenzen für den Lese- und Literaturunterricht“ (Kämper-van den Boogaart 2010) – ein Indiz für die zunehmende Aufmerk-samkeit für die Rolle von Lehrkräften auch innerhalb der Deutschdidaktik.

5 Dass dieses Forschungsdesiderat erkannt ist und zunehmend in konkrete Forschungsprojekte mündet, darauf weisen die zahlreichen Beiträge hin, die für die Sektion „Professionelle Kompe-tenz von Deutschlehrer/-innen“ auf dem Symposion Deutschdidaktik 2010 in Bremen gemeldet sind.

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1 Fragestellung 11

Als ‚Aufgabenpräferenzen‘ werden in dieser Untersuchung überindividuelle Einstellungen bzw. Überzeugungen von Deutschlehrkräften bezeichnet, die sich auf Textverstehensaufgaben und deren generelle Eignung für Lernsituationen im Literaturunterricht beziehen. Die erhobenen Einstellungen sind zunächst als handlungsfern einzuordnen; denn es handelt sich um Aufgabenpräferenzen, die losgelöst von einer konkreten Planungs- und Unterrichtssituation erfasst werden. Die Arbeit kann und will also nicht beanspruchen, Erkenntnisse darüber zu lie-fern, wie Lehrkräfte im Unterricht tatsächlich mit Aufgaben umgehen. Sie liefert aber wichtige Grundlagen für ein entsprechendes unterrichtsbezogenes An-schlussprojekt. Auch haben die festgestellten Aufgabenpräferenzen vermutlich zumindest bei der Planung von Literaturunterricht Orientierungs- und damit handlungsleitende Funktion. Dass sie nicht immer handlungsleitend im Unter-richtsgeschehen selbst sind, bleibt davon unberührt.

Es besteht die begründete Annahme, dass Aufgabenpräferenzen für den Li-teraturunterricht mit allgemeinen lernprozessbezogenen Grundeinstellungen der einzelnen Lehrkraft zusammenhängen (vgl. z. B. Staub/Stern 2002; Mayr/Neu-weg 2006). Das hier vorgestellte Projekt fragt deshalb nicht isoliert nach Auf-gabenpräferenzen, sondern nimmt die Zusammenhänge zwischen lernprozess-bezogenen Grundeinstellungen der Lehrpersonen und den präferierten Aufga-benmerkmalen in den Blick. Ein Aufgabenmerkmal, dem dabei besonderes Au-genmerk gilt, ist der Entscheidungsspielraum (vgl. hierzu ausführlich Kap. 2.3.3). Denn der Entscheidungsspielraum, den eine Lernaufgabe eröffnet, hat zum einen als schwierigkeitsbestimmendes Aufgabenmerkmal zentrale Bedeu-tung für die Anregung und Steuerung von Lernprozessen. Zum anderen weist er als stark normativ besetztes Aufgabenmerkmal auf eine angenommene fachspe-zifische Aufgabenkultur hin.

Einblick in die Aufgabenpräferenzen von Deutschlehrkräften und Einfluss-faktoren ihrer Auswahlentscheidungen zu erhalten, ist in mehrerlei Hinsicht von Interesse. Erkenntnisse über vorherrschende Entscheidungsmuster von Lehrkräf-ten bei der Aufgabenauswahl bieten eine wichtige Basis für die Entwicklung und erfolgreiche Implementierung notwendiger Lehreraus- und -weiterbildungs-programme im Bereich der Aufgabeneinschätzung. Dass solche Programme erforderlich sind, darauf weisen u. a. die Defizite von Lehrplanexperten bei der zutreffenden Einschätzung der Schwierigkeit von Textverstehensaufgaben hin

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12 1 Fragestellung

(vgl. Artelt/Schlagmüller 2004). Die Notwendigkeit, in diesem Zusammenhang Erkenntnisse über aufgabenbezogene Einschätzungen von Lehrpersonen zu ge-winnen, wird dadurch hervorgehoben, dass Lehrkräfte die Qualität von Lernauf-gaben anders beurteilen als fachdidaktische Experten (vgl. Blömeke et al. 2006, 333). Eine zu große Diskrepanz zwischen vermittelten Inhalten in der Lehrerbil-dung und den diesbezüglichen Einstellungen der Lehrpersonen aber behindert den Erfolg von Qualifizierungsmaßnahmen (vgl. Gräsel/Parchmann 2004, s. o.).

Außerdem sind die anvisierten Untersuchungsergebnisse auch von Bedeu-tung für die Entwicklung und Einführung von Unterrichtsmaterialien. So kann z. B. in Lehrerhandreichungen die didaktische Funktion einzelner Aufgaben für Lehrpersonen besser transparent gemacht werden, wenn man die Zusammenhän-ge der Akzeptanz einzelner Aufgabenmerkmale kennt.

Schließlich liefert die vorliegende Studie eine wichtige Grundlage für die Erforschung des tatsächlichen Aufgabeneinsatzes im Literaturunterricht in einer notwendigen Anschlussuntersuchung, die u. a. fragen muss: Inwieweit sind die ermittelten Aufgabenpräferenzen im Unterricht handlungsleitend und beeinflus-sen darüber indirekt die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler?

Die gesuchten Aufgabenpräferenzen der Deutschlehrerinnen und Deutsch-lehrer werden mit Hilfe eines selbst entwickelten Fragebogens erhoben. Es han-delt sich also um eine quantitativ ausgerichtete Untersuchung. Bei der Daten-auswertung wird ein hypothesengeleitetes Vorgehen mit explorativen Auswer-tungsverfahren verknüpft. Fragebogenentwicklung und -auswertung werden in Kapitel 5 ausführlich erläutert und begründet.

Die Entscheidung für ein quantitatives Vorgehen bei der Datenerhebung be-ruht auf der Zielstellung, für eine relativ breite Gruppe von Deutschlehrkräften Aussagen über deren aufgabenbezogene Präferenz-Muster treffen zu können. Mit dieser Methodenentscheidung haben die Untersuchungsergebnisse in der Breite zwar mehr Aussagekraft als etwa eine qualitative Fallstudie; die Begründung der Befunde jedoch kann nicht aus Probandensicht nachvollzogen werden, sondern beruht auf einer forscherseitigen Interpretation der Daten. Man hätte auf die Fragestellung dieser Arbeit sicher auch mit Hilfe einer Interview-Studie Antwor-ten finden können. Dann wären im Vergleich zur Fragebogenerhebung Stärken und Schwächen der Untersuchungsmethode quasi mit ‚umgekehrten’ Vorzeichen

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1 Fragestellung 13

aufgetreten (differenzierte Begründungen von Aufgabenpräferenzen aus Proban-densicht, kaum tragfähige Ergebnisse zu überindividuellen Präferenz-Mustern).

Eine methodenbezogene Entweder-Oder-Entscheidung wie die hier skiz-zierte ist im Rahmen einer Einzeluntersuchung, die nicht in ein größeres Projekt eingebettet ist, aus forschungspragmatischen Gründen erforderlich. Den relativ breiten quantitativen Forschungsergebnissen empirisch basierte qualitative Tiefe zu verleihen, muss das Ziel von Anschlussuntersuchungen sein. Aus den vorangehenden Überlegungen ergeben sich für die folgende Darstellung vier Hauptkapitel (Kap. 2 bis 5):

Kapitel 2 nimmt die allgemeine didaktische wie die deutschdidaktische Aufgabenforschung in den Blick, um darauf gestützt den Aufgabenbegriff und die Forschungsperspektive der vorliegenden Arbeit darzulegen.

Bezogen auf das Textverstehen generell und das Verstehen literarischer Texte im Besonderen gelten Aufgabenstellungen als ein Einflussfaktor unter anderen. Es geht deshalb in Kapitel 3 darum, die Rolle von Aufgabenstellungen im Wechselspiel der Bestimmungsfaktoren von Textverstehen herauszuarbeiten. In diesem Punkt leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Systematisie-rung der deutschdidaktischen Diskussion zu Textverstehensaufgaben.

Anforderungen beim Textverstehen und ihre Regulierung durch Lernaufga-ben sind nur bezogen auf einen konkreten Text und darauf zielende Aufgaben zu charakterisieren. Deshalb beziehen sich die Ausführungen im dritten Kapitel auf den Beispieltext und die Beispielaufgaben, mit denen der Fragebogen im Rah-men der empirischen Untersuchung (Kap. 5) operiert, nämlich auf Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Das Brot“ und exemplarische Lehrbuch-Aufgaben zu diesem Text. Beides, Text und Aufgaben, werden ausführlich analysiert. Durch die Analyse der Beispielaufgaben werden zum einen die entwickelten Analyse-kriterien für Erarbeitungsaufgaben zu literarischen Texten auf ihren Erkenntnis-wert hin erprobt und zum anderen wichtige Grundlagen für die Diskussion der Ergebnisse der empirischen Untersuchung geschaffen.

In Kapitel 4 wird herausgearbeitet, in welchem theoretischen Kontext die in der empirischen Untersuchung erhobenen ‚Aufgabenpräferenzen‘ anzusiedeln sind. Außerdem fasst dieses Kapitel den Forschungsstand zur professionellen Kompetenz von Deutschlehrkräften zusammen, soweit er für die Untersuchung der Aufgabenpräferenzen relevant ist.

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14 1 Fragestellung

Kapitel 5 schließlich referiert und diskutiert die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zu Aufgabenpräferenzen von Deutschlehrkräften für den Literatur-unterricht. Dabei ist auch die Leistung quantitativer empirischer Methoden für deutschdidaktische Fragestellungen zu reflektieren.

Eine Forschungstradition, in die die vorliegende Arbeit einzuordnen wäre, gibt es nicht. Zwar wird spätestens seit PISA betont, dass deutschdidaktische Forschung eine empirische Wende zu vollziehen habe (vgl. Groeben 2005; Groeben/Hurrelmann 2006). Es existiert aber bislang kein Denk- oder For-schungsrahmen, der als Orientierung für entsprechende Arbeiten dienen könnte. Insofern ist diese Untersuchung auch als Beitrag im Kontext der induktiven Her-ausbildung einer deutschdidaktisch-empirischen Forschungslinie zu lesen, zu deren Anliegen es zählt, Methoden empirisch-sozialwissenschaftlicher For-schung bezogen auf spezifisch deutschdidaktische Fragen zum Erkenntnisgewinn zu nutzen. Hierbei kann es nicht darum gehen, sich den gesetzten Paradigmen für empirische Untersuchungen in anderen Disziplinen wie etwa in der Psychologie unterzuordnen. Vielmehr kommt es darauf an, innerhalb der Deutschdidaktik zu klären, wie eine domänenadäquate Kombination von Forschungsansätzen, also des Einsatzes empirischer Methoden und der Modellierung gegenstandsbezoge-ner Theorien, aussehen kann.

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2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

Dieses Kapitel dient in erster Linie dazu zu klären, � was in dieser Arbeit unter „Lernaufgaben“ verstanden wird (Kap. 2.1), � was für ein Typ von Lernaufgaben in dieser Arbeit im Mittelpunkt der Un-

tersuchung steht (Kap. 2.2) und � welche Forschungsperspektive auf Lernaufgaben in der vorliegenden Unter-

suchung eingenommen wird (Kap. 2.3) und welche Aufgabenmerkmale aus dieser Perspektive relevant erscheinen (Kap. 2.3.3).

Im Gesamtzusammenhang der Untersuchung wird dadurch verdeutlicht, welcher Typ von Aufgaben und welche Aufgabenmerkmale ausgewählt wurden, um die Aufgabenpräferenzen der befragten Deutschlehrkräfte zu erheben (Kap. 5). D. h. es geht darum, die Einstellungsobjekte allgemein zu bestimmen, auf die sich die gesuchten aufgabenbezogenen Einstellungen („Aufgabenpräferenzen“) der Lehr-personen beziehen.

Um den Aufgabenbegriff, den fokussierten Aufgabentyp und die Untersu-chungsperspektive dieser Arbeit zu bestimmen, sind Abgrenzungen von anderen möglichen Begriffsauffassungen, Aufgabentypen und Forschungsperspektiven und damit eine Systematisierung des Forschungsfeldes Aufgaben notwendig. Aus dieser Notwendigkeit resultiert ein zweites Anliegen des folgenden Kapitels, nämlich einen deutschdidaktischen Beitrag zur „Kartographierung“ der bisher nicht gerade übersichtlichen Aufgabendiskussion zu leisten. Deshalb ist die fol-gende Darstellung in Teilen etwas ausführlicher, als sie es für eine bloße Be-stimmung der in der empirischen Untersuchung genutzten Einstellungsobjekte sein müsste.

I. Winkler, Aufgabenpräferenzen für den Literaturunterricht, DOI 10.1007/978-3-531-92698-8_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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16 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

2.1 Begriffsklärung: Lernaufgaben

Diese Arbeit geht von einem Aufgabenbegriff aus, der Aufgaben unterschiedli-cher Komplexität und Offenheit1 umfasst und hinsichtlich dieser Merkmale keine normativen Ansprüche an Aufgaben formuliert2. Der Aufgaben-Begriff dieser Arbeit integriert also sowohl Probleme als auch Aufgaben nach dem Begriffsver-ständnis der psychologischen Problemlöseforschung. Diesem Begriffsverständ-nis zufolge sind für die Bewältigung von Aufgaben Lösungsschritte bekannt, während bei Problemen „die entsprechenden Maßnahmen vom Problemlöser gefunden, erprobt, in die richtige Reihenfolge gebracht und schließlich auch durchgeführt werden müssen“ (Strohschneider 2006, 556). Den Aufgabenbegriff in einer didaktischen Arbeit entsprechend weit zu fassen, erscheint u. a. deshalb sinnvoll, weil es nicht allein von der Aufgabenstellung, sondern in erheblichem Maß vom Vorwissen der Lernenden abhängt, ob eine Anforderung für sie Prob-lem- oder Aufgabencharakter im skizzierten Sinn hat (vgl. Dörner 31987, 10 f.).

Auf übergeordneter Ebene werden im Folgenden Lern- und Leistungsauf-gaben unterschieden (vgl. Köster 2003b; zuletzt auch Köster 2008a; Abra-ham/Müller 2009). Unter Leistungsaufgaben werden dabei standardisierte oder nicht-standardisierte Aufgaben verstanden, die dazu dienen, in Prüfungssituatio-nen den erreichten Lernstand von Lernenden zu erheben. Standardisierte Aufga-ben können dabei mit der Zielsetzung des sog. Systemmonitoring den Lernstand einer Altersgruppe erfassen (z. B. PISA, IGLU, TIMSS). Dienen standardisierte Aufgaben der Feststellung individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten, werden i. d. R. eher Lernvoraussetzungen wie kognitive Grundfähigkeiten oder Lernstö-rungen (z. B. LRS) gemessen als erreichte Schulleistungen. Nicht-standardisierte Prüfungsaufgaben können extern gestellt sein, z. B. zentrale Abituraufgaben, oder als Klassenarbeiten von Lehrkräften aus dem eigenen Unterricht heraus entwickelt werden (vgl. Abraham/Müller 2009). Sie zielen auf die Erhebung des individuellen Lernstands, wobei Maßstab das Erreichen eines Kriteriums, aber je nach Prüfungskontext auch der individuelle Lernfortschritt oder der Vergleich mit den anderen Mitgliedern der Lerngruppe sein kann.

1 Die Begriffe Komplexität und Offenheit werden in Kapitel 2.3.3 geklärt. 2 Vgl. zu einer solch normativen Perspektive auf Aufgaben Kap. 2.3.2.

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2.1 Begriffsklärung: Lernaufgaben 17

Lernaufgaben im Begriffsverständnis der vorliegenden Arbeit stimulieren und beeinflussen Lernprozesse.3 Die einzige Einschränkung besteht darin, dass in dieser Untersuchung allein Aufgaben berücksichtigt werden, die fachspezifische, also auf fachliche Gegenstände (Texte, Themen, Strukturen, Normen, Prozedu-ren, Strategien etc.) bezogene Lernprozesse anstoßen. Aufgaben, wie sie insbe-sondere der Literaturunterricht auch kennt, die in erster Linie den Leser und seine Lebenswelt anstelle des Textes und seines Kontextes fokussieren, ohne das auf diese Weise aktivierte Wissen explizit wieder auf den Lerngegenstand zurück zu beziehen, werden ausgeklammert.4 Wie Baumert/Kunter (2006) betonen, bieten auch Lernaufgaben diagnostische Möglichkeiten. Diese zu sehen und zu nutzen verlangt von Lehrkräften

die Bereitschaft und Fähigkeit, das Verständnis von Schülerinnen und Schülern ge-zielt im Lernprozess selbst und nicht erst in Klassenarbeiten oder Tests zu überprü-fen. Es ist eine große Herausforderung an das fachdidaktische Können, Aufgaben auszuwählen und Arbeitsaufträge zu formulieren, die ein besonderes diagnostisches Potential in sich selbst tragen (…) (Baumert/Kunter 2006, 489).

Damit ist nicht der Verquickung von Lern- und Leistungssituation das Wort geredet: Werden Lernaufgaben für diagnostische Zwecke genutzt, geht es darum, Lernprozesse zu beobachten, nicht darum, Lernergebnisse zu bewerten (vgl. z. B. Praxis Deutsch, 2005, H. 194, „Lesen beobachten und fördern“).

Eine grundsätzliche Unterscheidung bezogen auf Lernaufgaben, auf die Le-gutke (2006) hinweist, ist bereits jetzt einzuführen: Es ist zu trennen zwischen Lernaufgaben als Plan (task as plan) und Lernaufgaben im tatsächlichen Unter-richtsverlauf (task in process). Lernaufgaben als Plan sind Aufgaben, so wie sie

3 Dass Lernaufgaben dabei mehr sind als „Katalysatoren“ von Lernprozessen, weil sie diese nicht

nur anstoßen, sondern begleiten und prägen, darauf hat Neuweg (2008, 84, Fußnote 2) hingewie-sen.

4 Hier zwei Beispiele für Aufgabenstellungen mit dem Fokus Schüler-Leser-Lebenswelt, wie sie sich in Lehrwerken finden:

(1) Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht Reklame (aus: Lesebuch 9, 2000, 69): „Dieses Gedicht behandelt vorrangig die Wirkung und Absicht von Werbung. Selbst vor dem Tod macht sie heute nicht halt. Sucht Beispiele dafür aus der Zeitung und eurer Umgebung.“

(2) Zu Goethes Willkommen und Abschied und Robert Gernhardt, Doppelte Begegnung am Strand von Sperlonga (aus: Unser Lesebuch 9, 2004, 57): „Wenn ihr selbst ein Gedicht über eine Begegnung zwischen einem Jungen und einem Mädchen schreiben würdet, wo und wann und in welcher Atmosphäre würdet ihr diese Begegnung stattfinden lassen?“

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18 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

im Lehrwerk oder in der Unterrichtsvorbereitung der Lehrperson konzipiert sind. In der konkreten unterrichtlichen Umsetzung können Lernaufgaben von der geplanten Aufgabenstellung abweichen. Dass Plan und Umsetzung u. U. nicht korrespondieren, kann daran liegen, dass die Lehrkraft in der konkreten Unter-richtssituation die Aufgabe bewusst oder unbewusst modifiziert. Ein anderer möglicher Grund für die Differenz von Aufgaben-Plan und Aufgaben-Umsetzung liegt darin, dass die Lernenden die Aufgabe anders als intendiert auffassen und umsetzen:

Dabei handelt es sich nicht nur um individuelle Vorgänge, sondern vielmehr um (häufig) in Gruppen generierte Vorstellungen über die Aufgabenbearbeitung (Legut-ke 2006, 141).

Die Aufgaben, die Gegenstand meiner Untersuchung sind, haben den Stellenwert von tasks as plan – es handelt sich also nicht um Aufgaben im tatsächlichen Unterrichtseinsatz.

Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Lernaufgaben dient in der folgenden Typologie ihr didaktisches Ziel, verstanden als erwünschtes Lerner-gebnis, und die damit in Beziehung stehenden spezifischen Anforderungen, die bei der Lösung einer Aufgabe zu bewältigen sind.5 Dass das didaktische Ziel einer Aufgabe als Aufgabenmerkmal zentral gesetzt wird, ergibt sich aus der Begriffsbestimmung von Lernaufgaben. Wenn man davon ausgeht, dass Lern-aufgaben nicht der mehr oder minder zufälligen bloßen Beschäftigung von Ler-nenden dienen, sondern der Anregung und Begleitung von Lernprozessen im institutionellen Rahmen, steht dahinter die Vorstellung von der Zielorientierung unterrichtlichen Handelns und damit auch des Aufgabeneinsatzes. Maßgebliches Kriterium bei der Einschätzung von Lernaufgaben ist vor diesem Hintergrund die Frage, was Schülerinnen und Schüler durch die Bearbeitung einer Aufgabe lernen bzw. erkennen können. Alle Entscheidungen hinsichtlich der Gestaltung variabler Aufgabenmerkmale müssen letztlich von der didaktischen Zielsetzung ausgehen, die mit der betreffenden Aufgabe verfolgt wird. Deshalb erscheint es

5 Didaktisches Ziel und Anforderungsprofil einer Aufgabe müssen korrespondieren, wenn eine

Aufgabe zweckmäßig sein soll.

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2.2 Typen von Lernaufgaben 19

untersuchungsmethodisch zweckmäßig, bei einer Typologie von Lernaufgaben von diesem Merkmal auszugehen.

Die Frage, was sich durch die Bearbeitung einer Lernaufgabe lernen bzw. erkennen lässt, kann auf verschiedenen Konkretisierungsebenen beantwortet werden. Auf einer ersten, übergeordneten Ebene liegt die Unterscheidung nach dem allgemeinen didaktischen Ziel von Lernaufgaben. Es ergeben sich auf dieser Ebene drei Typen von Lernaufgaben, nämlich Erarbeitungs-, Übungs- und Eva-luationsaufgaben. Diese Aufgabentypen lassen sich in allen Lern- bzw. Kompe-tenzbereichen des Deutschunterrichts bestimmen. Die vorliegende Untersuchung nimmt Erarbeitungsaufgaben in den Blick, die literarische Texte zum Gegen-stand und deren – näher zu differenzierendes – Verständnis (vgl. dazu Kap. 3.4) zum didaktischen Ziel haben. Wie eingangs bereits angedeutet, geschieht die Bestimmung von Erarbeitungsaufgaben auch über deren Abgrenzung von Übungs- und Evaluationsaufgaben. Deshalb und als systematisierender Beitrag zur deutschdidaktischen Aufgabendiskussion wird im Folgenden das Anforde-rungsprofil von Erarbeitungs-, Übungs- und Evaluationsaufgaben genauer erläu-tert. Vorweg zu schicken ist, dass die Unterscheidung der genannten Typen von Lernaufgaben letztlich heuristischen Zwecken dient. Im konkreten Einzelfall sind Überschneidungen möglich, wie die folgenden Ausführungen ebenfalls zeigen.

2.2 Typen von Lernaufgaben: Zum Anforderungsprofil von Erarbeitungs-, Übungs- und Evaluationsaufgaben

Die hier sog. Erarbeitungsaufgaben sind auf gegenstandsbezogene Erkenntnis, also auf Weiterverarbeitung bzw. Anreicherung fachspezifischer Gegenstände gerichtet. Die beim Lösen von Erarbeitungsaufgaben erbrachten mentalen Teil-leistungen können in Schriftäußerungen materiell greifbar werden, dies muss aber nicht der Fall sein. Der Ausgangszustand bei Erarbeitungsaufgaben kann vom Bearbeiter als ‚Lücke‘ wahrgenommen werden, etwa wenn sich der Zu-sammenhang zwischen gegebenen Informationen nicht unmittelbar ohne die Nutzung externen Wissens erschließt oder wenn Informationen, die für die Lö-sung der Aufgabe relevant sind, neu erarbeitet werden müssen. Diese Aufgaben-

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20 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

stellungen sind schwerpunktmäßig durch die Anwendung von Elaborationsstra-tegien zu meistern, deren zentrales Prinzip darin besteht, „neue Informationen in bestehende Wissensstrukturen (z. B. Vorwissen, Vorstellungsbilder) zu integrie-ren“ (Friedrich/Mandl 2006, 2) und diese dadurch anzureichern. Eine andere Variante von Erarbeitungsaufgaben ist im Ausgangszustand eher durch ein Zu-viel an vorhandenen Informationen gekennzeichnet und macht die Bewältigung der Informationsfülle mit Hilfe von Organisationsstrategien erforderlich (vgl. zu ‚Lücke‘ bzw. Komplexität als Ausgangszustände bei der Aufgabenbearbeitung ausführlicher unten Kap. 2.3.3). Diese zielen darauf ab, einzelne Informationen zu ermitteln (selektives Lesen) oder „neues Wissen zu organisieren und zu struk-turieren, indem die zwischen den Wissenselementen bestehenden inhärenten Verknüpfungen herausgearbeitet werden“ (Friedrich/Mandl 2006, 4). Dabei kommt auch bei diesen reduktiven Teilprozessen Vorwissen zum Einsatz, fun-giert aber weniger anreichernd als vielmehr als Strukturierungshilfe. Beim Ein-satz von Organisationsstrategien geht es also um das Herstellen von lernstoff-internen Bezügen, während Elaborationsstrategien auf den „Aufbau von Verbin-dungen zu lernstoff-externen Gedächtnisinhalten“ zielen (Schroeder 2006, 212). Für den Kompetenzbereich Lesen ist in diesem Zusammenhang auf die Unter-scheidung textimmanenter und wissensbasierter Verstehensleistungen hinzuwei-sen, wie PISA sie vorgenommen hat (Artelt et al. 2004). Es zeigt sich aber auch, dass gerade beim verstehenden Lesen literarischer Texte elaborative und reduk-tive Teilprozesse schwer zu trennen sind (vgl. unten Kap. 3.4).

Bei denjenigen Lernaufgaben, die für die Erhebung der Aufgabenpräferen-zen von Lehrkräften als Einstellungsobjekte ausgewählt wurden, handelt es sich ausschließlich um Erarbeitungsaufgaben zum Textverstehen – Aufgaben also, bei denen ein literarischer Text Untersuchungsgegenstand und Erkenntnisobjekt ist. Ausführliche Beispielanalysen zu Erarbeitungsaufgaben zum Textverstehen finden sich unten in Kap. 3.5.3.

Übungsaufgaben zielen in erster Linie auf die Automatisierung von Abläu-fen (Skripts) und die Prozeduralisierung von Wissen (Schemata). Um diese Ziele zu erreichen, ist der Einsatz von Wiederholungsstrategien unabdingbar. Der Kategorie der Übungsaufgaben sind z. B. Aufgaben zuzuordnen, denen es vor allem um die Ausbildung von Lernstrategien geht oder um die zunehmend geläu-figere und immer weniger bewusste Anwendung von Regeln. Diese Aufgaben

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2.2 Typen von Lernaufgaben 21

sind nicht didaktisch minderwertig, weil sie ggf. kognitiv weniger anspruchsvoll sind (vgl. eine entsprechende Einschätzung z. B. unten in Kap. 2.3.2). Ohne Automatisierungsprozesse, die den Arbeitsspeicher entlasten und für die Bewäl-tigung anderer Teilanforderungen frei machen, ist keine Expertise in einer Do-mäne zu erreichen.6 Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass Wiederho-lungsstrategien nicht verkürzt als kognitiv eher anspruchsarme Oberflächenstra-tegien aufzufassen sind, die allein dem Memorieren zu lernender Inhalte unab-hängig vom Verstehen dienen. Wie Steiner (2006) ausführt, können sich Wie-derholungsstrategien auf das Einprägen (Enkodieren), Abrufen und Anwenden von zu lernenden Inhalten beziehen. Die Grenzen zu Elaborationsstrategien kön-nen dabei fließend sein, wenn etwa beim Einprägen gezielt und systematisch „Bedeutungen aus dem Vorwissen abgerufen und mit der neuen Information (…) in eine semantische Beziehung gesetzt werden“ (elaborative Wiederholungsstra-tegien; Steiner 2006, 103). Ein Beispiel für solche semantischen Enkodierungen wäre etwa das Finden von sog. Eselsbrücken. Der erwünschte Effekt des Wie-derholens besteht darin, dass sich die Bestandteile des Wissens zu „umfassende-ren, als Ganzheiten abrufbaren Informationspaketen (chunks)“ verbinden, die als solche zunehmend leichter abrufbar sind und auf diese Weise prozeduralisiert werden (Steiner 2006; Zitat ebd., 105).

Übungsaufgaben verbindet man im Deutschunterricht vor allem mit den Be-reichen Grammatik und Rechtschreiben. Aber auch im Kompetenzbereich Lesen spielen Übungsaufgaben eine Rolle, und zwar nicht nur, wenn es um den Erwerb von fluency (vgl. Rosebrock/Nix 2006 u. 2008) geht. Exemplarisch sei folgende Aufgabe angeführt, die vor allem auf die Verankerung (das Einprägen und Abru-fen) literarischen Wissens ausgerichtet ist:

Du hast bisher zwei Kurzgeschichten kennengelernt: Am Roten Forst von Werner Klose und Nachts schlafen die Ratten doch von Wolfgang Borchert. Belege die vier weiteren Merkmale [der Gattung Kurzgeschichte] aus dem nebenstehenden Informa-tionskasten an einem der beiden Texte. (Tandem 4, 2006, 157; Hervorhebung ebd.)

Diese Aufgabe bezweckt in erster Linie, bei den Lernenden die Kenntnis gege-bener Kurzgeschichtenmerkmalen zu festigen und sie in die Lage zu versetzen, 6 Auch gilt: „Wiederholungen und Übungen des zu Lernenden sind notwendige Mittel gegen das

Vergessen“ (Weinert 1996, 11). Vgl. zum Üben auch Helmke (2009, 200-204).

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22 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

entsprechende Merkmale in Beispieltexten wahrzunehmen. Die Aufgabe zielt nicht darauf ab, die Texte besser zu verstehen oder zu deuten (vgl. zum didakti-schen Potenzial dieser Aufgabe kritisch Winkler 2007b).

Auch Aufgaben, die vor allem dazu dienen, den Einsatz bestimmter elabora-tiver oder reduktiver Strategien zu automatisieren und selbstverständlich werden zu lassen, fungieren im Wesentlichen als Übungsaufgaben im Sinne eines wie-derholten Anwendens. So findet sich immer wieder die Aufgabe, vom Titel eines Textes ausgehend vor der Lektüre das Vorwissen zum Thema zu aktivieren bzw. entsprechende Leseerwartungen zu formulieren (z. B. zu Borcherts „Das Brot“ in Deutsch plus 9, 2004a, 246; zu einem Sachtext in Texte lesen – Texte verstehen,2004, 42). Diese Aufgaben fördern, wenn sie wie in den genannten Beispielen sinnvoll angelegt sind und in einer zweiten Teilaufgabe zur Verknüpfung von Vorwissen und Erwartungen mit den Informationen des Textes anregen, auf alle Fälle die Ausbildung elaborativer Lesestrategien. Ob der didaktische Schwer-punkt der Aufgabe im Einzelfall eher auf dem Üben von Strategien (Übungsauf-gabe) oder auf dem Verstehen des Textes (Erarbeitungsaufgabe) liegt, hängt vom konkreten Lehr-/Lernkontext ab. Die Materialien allein geben für die didaktische Einordnung der Aufgaben allenfalls Anhaltspunkte. So dürfte bei den genannten Beispielen die Aufgabenstellung in Texte lesen – Texte verstehen (2004), einem Arbeitsheft zur Ausbildung von Lesestrategien, sicher eher als Übungsaufgabe einzuordnen sein als die entsprechende Aufgabe zu Borcherts „Das Brot“ in Deutsch plus 9. In letzteren Fall steht die Aufgabe im Kontext eines Kapitels zum Interpretieren von Kurzgeschichten – der Einsatz der Lesestrategie ist hier demnach mehr Lernmedium als Lerngegenstand.

Evaluationsaufgaben schließlich halten Lernende dazu an, den eigenen Lernprozess und/oder eigene oder fremde Lernergebnisse kriteriengeleitet auf Angemessenheit hin zu reflektieren, also z. B. zu fragen, inwieweit eine einge-setzte Lesestrategie zur Erreichung des Leseziels beigetragen hat oder inwieweit beim Schreiben ein Entwurf den Anforderungen an das Endprodukt entspricht. Evaluationsaufgaben haben schwerpunktmäßig die Ausbildung selbstregulierten Lernens zum Ziel. Wie Artelt et al. (2001) unter Bezugnahme auf Simons (1992) ausführen, äußert sich selbstreguliertes Lernen darin, dass Lernende in der Lage sind, „sich selbstständig Lernziele zu setzen, dem Inhalt und Ziel angemessene Techniken und Strategien auszuwählen und sie auch einzusetzen. Ferner halten

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2.2 Typen von Lernaufgaben 23

sie ihre Motivation aufrecht, bewerten die Zielerreichung während und nach Abschluss des Lernprozesses und korrigieren – wenn notwendig – die Lernstra-tegie“ (Artelt et al. 2001, 271). Selbstreguliertes Lernen erfordert also den Ein-satz metakognitiver Strategien wie der Planung, Überwachung und Steuerung von Lernprozessen und der Evaluation der Zielerreichung (vgl. ebd., 272). Auch Erarbeitungs- und Übungsaufgaben können zur Ausbildung selbstregulierten Lernens beitragen, Erarbeitungsaufgaben können es je nach gebotenem Ent-scheidungsspielraum gar in hohem Maß voraussetzen. Das Charakteristikum von Evaluationsaufgaben besteht darin, dass sie entsprechende metakognitive Pro-zesse ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Die Ausgangssituation bei Eva-luationsaufgaben sind jeweils auf einer Metaebene Fragen wie die folgenden: � Inwieweit hat ein Problemlöseprozess (i. d. R. angestoßen vom Bearbeiter

selbst oder von einer extern gestellten Erarbeitungsaufgabe) zur Erreichung eines Ziels beigetragen? (Selbstevaluation)

� Inwieweit kann ein Ziel (eine fachspezifische Problemlösung) als erreicht gelten? (Selbst- oder Fremdevaluation)

� Wie ist der Stand der eigenen Kompetenzentwicklung einzuschätzen? (Selbstevaluation)

Dass Evaluationsaufgaben metakognitive Prozesse anstoßen, impliziert zugleich, dass sie sich auf Lern- und Problemlöseprozesse unterhalb der Metaebene bezie-hen, dass sie also in der Regel an Erarbeitungs- oder Übungsaufgaben gekoppelt sind.

Evaluationsaufgaben als eigenen Typ von Lernaufgaben zu betrachten, le-gen seitens der Deutschdidaktik Abraham et al. (2007) nahe, wenn sie postulie-ren, dass kompetenzorientierter Unterricht Aufgaben brauche, „über deren Bear-beitung Schüler Fähigkeiten entwickeln und Erfolge im Lernprozess überprüfenkönnen“ (Abraham et al. 2007, 8; Hervorhebung I. W.).7 Auch Abraham/Müller (2009) betonen die Relevanz, „Schülerinnen und Schüler stärker für das eigene Lernen verantwortlich zu machen“ und eine entsprechende „Rückmelde- und Evaluationskultur“ zu etablieren (ebd., 9). In der Forderung, in Lernsituationen Evaluationsaufgaben zu stellen, spiegelt sich wider, dass die gegenwärtige Di- 7 Astleitner (2008, 74) betrachtet es als Ziel von Übungsaufgaben, „ein selbstständiges Lernen und

Überprüfen des Lernerfolgs [zu] ermöglichen“ und sieht entsprechend keine eigene Aufgabenka-tegorie Evaluationsaufgaben vor.

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24 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

daktik stark von konstruktivistischen Lehr-Lern-Theorien beeinflusst ist, die das selbstgesteuerte Lernen zentral setzen (vgl. auch Kleppin 2006). Dazu zählt auch, die Lernenden „eine selbstständige Optimierung ihrer Problemlösestrate-gien finden zu lassen“ (Schroeder 2006, 217; Hervorhebung ebd.).8 Unter wel-chen Bedingungen Evaluationsaufgaben tatsächlich zum Kompetenzerwerb bei-tragen können, bleibt zu erforschen. Einzelne Untersuchungen aus der Schreib-didaktik zeigen für die Evaluation von Lernergebnissen und -prozessen durch Schülerinnen und Schüler neben positiven Effekten durchaus auch Grenzen auf (vgl. Fix 2004).

Ein Aufgabenbeispiel aus dem Bereich Lesen/Umgang mit Texten, das die Überprüfung der Zielerreichung einfordert, ist das folgende. Es bezieht sich auf Georg Brittings Erzählung „Brudermord im Altwasser“, die endet, ohne eine Lösung des dargestellten Konflikts zu bieten. Das Beispiel schließt sich an eine Aufgabe an, die die Lernenden dazu auffordert, sich mögliche Fortsetzungen der Erzählung zu überlegen und „unterschiedliche Schlüsse“ zu notieren9:

Stellt eure Schlüsse in der Klasse vor und überprüft, ob sie mit dem Text verträglich sind. (Deutsch vernetzt 8, Themen und Sprache, 2002, 116)

Das vorangehende Notieren der Schlüsse ist in diesem Fall eine Aufgabe zur elaborierenden Erarbeitung; die Ergebnis-Varianten der Elaboration sind unter Berücksichtigung der Textbasis auf ihre Angemessenheit hin zu evaluieren, und zwar von den Lernenden selbst (Anrede in der 2. Person Plural). Das Beispiel

8 Entsprechende Zielstellungen finden ihren Niederschlag auch in den Bildungsstandards, in denen

der selbstständige und bewusste Einsatz von Lernstrategien das Bild vom Wunsch-Lerner prägt; dazu kritisch Spinner 2005.

9 „Überlegt, wie die Kurzgeschichte weitergehen könnte und notiert unterschiedliche Schlüsse.“ (Deutsch vernetzt 8, Themen und Sprache, 2002, 116). Diese Teilaufgabe wurde bei der mehrfa-chen Erprobung in Seminaren mit Studierenden stets auf zwei verschiedene Arten gelöst: Die Studierenden bieten einerseits Stichwortlisten mit verschiedenen möglichen Schlüssen an, ande-rerseits schreiben sie konkrete Fortsetzungen des Originaltextes im Duktus Brittings. Insofern ist diese Teilaufgabe ein Beispiel dafür, welche unterrichtspraktischen Folgen ein hoher Entschei-dungsspielraum bezogen auf das Produkt einer Aufgabenbearbeitung hat – die Lösungsvielfalt stellt die Lehrperson vor hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Moderatorenkompetenz. In die-sem Fall ist der hohe Entscheidungsspielraum bezogen auf das Produkt zum einen bedingt da-durch, dass die Aufgabe eine größere Zahl von (geistigen) Lösungen – also Ideen für die Fortset-zung der Erzählung – zulässt, es also keine eindeutig richtige Lösung gibt. Zum anderen besteht der Entscheidungsspielraum auch in der Vagheit der Aufforderung „notiert“; denn notieren kann man Stichpunkte, aber eben auch Entwürfe zusammenhängender Textteile.

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2.2 Typen von Lernaufgaben 25

verdeutlicht auch, dass über die Evaluation der Schülerlösungen wiederum eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Ausgangstext als Erkenntnisobjekt erfolgen kann – einmal mehr zeigt sich also der fließende Übergang von Evalua-tions- zu Erarbeitungsaufgaben.10

Die voranstehenden Ausführungen zur Unterscheidung von Erarbeitungs-, Übungs- und Evaluationsaufgaben sind in Tabelle 2.1 zusammengefasst.

Tab. 2.1: Typen von Lernaufgaben

Festzuhalten ist gleichfalls noch einmal, dass die Unterscheidung von Erarbei-tungs-, Übungs- und Evaluationsaufgaben hier allein heuristische Funktion hat. In Anwendungssituationen interagieren die bei der Aufgabenbearbeitung gefor-derten Teilprozesse. So erfordern Erarbeitungsaufgaben implizit auch die Über-wachung und Steuerung des Lernprozesses, also den Einsatz metakognitiver Strategien. Ebenso fördert das Lösen von Erarbeitungsaufgaben die Ausbildung und Automatisierung von Schemata und Skripts, während umgekehrt das Lösen

10 Eine exemplarische (Selbst-)Evaluationsaufgabe aus dem Bereich Schreiben findet sich in

Deutsch plus 9 (2004a, 228): „Dokumentiere alle deine Arbeitsschritte (Materialsammlung, Stichwortzettel, Ideen, die du nutzen konntest, aber auch die, die du verworfen hast, Gliede-rungsversuche, Textvarianten, Überarbeitungen deines Textes) in einer Sammelmappe. So kannst du bei einer ähnlichen Aufgabenstellung die Arbeitsschritte einfacher nachvollziehen und deinen Lernfortschritt beurteilen.“ In diesem Beispiel ist die Dokumentation der Produktionssta-dien des entstehenden Textes das Mittel, um die Lernenden zur Reflexion des Schreibprozesses und der eigenen Kompetenzentwicklung anzuhalten (zu Defiziten dieser Aufgabe aus didakti-scher Sicht vgl. Winkler 2006, 161, Fußnote 16).

Aufgabentyp Erarbeitungs-aufgaben

Übungsaufgaben Evaluations-aufgaben

Didaktisches Ziel

Durchdringen, Anrei-chern und Bewerten von fachspezifischen Gegenständen (Er-kenntnisobjekten)

Prozeduralisierung von Vorwissen, Au-tomatisierung von

Abläufen

Reflexion von Lernprozess/ Lernergebnis/

Stand der eigenen Kompetenzentwick-

lung

Diagnostisches Potenzial

Beobachtung individueller Lernprozesse

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26 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

von Übungsaufgaben nie ohne inhaltliches Ergebnis bleibt und somit i. d. R. zumindest zur partiellen Durchdringung fachspezifischer Gegenstände führt. Die hier vorgenommene Trennung der verschiedenen Typen von Lernaufgaben dient allein dazu zu unterstreichen, welche Art von Lernprozessen jeweils Kern der didaktischen Zielsetzung ist. Überschneidungen sind im konkreten Einzelfall durchaus möglich.

Es gilt nun, verschiedene Forschungsperspektiven auf Lernaufgaben im Überblick vorzustellen. Diese Ausführungen dienen in erster Linie dazu, begrün-det darzulegen, aus welchem Blickwinkel Lernaufgaben – genauer: Erarbei-tungsaufgaben, die sich auf literarische Texte beziehen – in dieser Arbeit unter-sucht werden.

2.3 Perspektiven der Erforschung von Lernaufgaben

Ein generelles Problem bei der Charakterisierung von Lernaufgaben liegt darin, dass diese mit einer ganzen Reihe anderer Unterrichtsvariablen vielfältig ver-knüpft sind: Die einzelne Aufgabe ist in der Regel in größere inhaltliche und didaktische Lernzusammenhänge (Aufgabensets, Unterrichtsreihen, Projekte) und überaus variable situative Arrangements (z. B. räumlich-zeitlicher Rahmen der Aufgabenbearbeitung, Sozialform der Aufgabenbearbeitung) eingebettet. Die Aufgabenbearbeitung kann von den Lernenden verschiedene materielle Tätigkei-ten einfordern (Sprechen, Schreiben, Zeichnen, szenisch Darstellen usw.), ohne dass dadurch etwas über die erforderlichen geistigen Operationen einerseits und die Qualitätsanforderungen an Produkte andererseits ausgesagt ist. Hinzu kommt, dass die didaktische Einschätzung von Lernaufgaben weder isoliert von den Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler noch von den jeweiligen Lerngegenständen geschehen kann (vgl. dazu ausführlicher Kap. 3.1). Als zent-rale Einflussgröße für den Aufgabeneinsatz im Unterricht ist außerdem die Lehr-person zu nennen, die die Lernaufgaben konstruiert oder auswählt und in den Unterricht einbringt und dabei u. a. von persönlichen Präferenzen, aber auch von der fachspezifischen Aufgabenkultur beeinflusst ist (zur Rolle der Lehrperson beim Aufgabeneinsatz vgl. unten, Kap. 4 und 5).

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2.3 Perspektiven der Erforschung von Lernaufgaben 27

Trotz dieser Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Untersuchungsfeldes kann man feststellen, dass die Relevanz von Lernaufgaben in letzter Zeit verstärkt in den Blick der allgemeinen Bildungsdiskussion gerückt ist (als eines der ersten Symptome dafür Ball et al. 2003; zuletzt z. B. Thonhauser 2008). Disziplinen, die sich schon länger mit der Bedeutung von Aufgaben bei der Initiierung und Steuerung von unterrichtlichen Lernprozessen auseinandersetzen, sind die Päda-gogische Psychologie (im Überblick Reinmann/Mandl 2006; Astleitner 2006), die Allgemeine Didaktik (Tulodziecki et al. 2004) sowie einzelne Fachdidakti-ken, so die Fremdsprachendidaktik (z. B. Ellis 2003; Skehan 2003; Bausch et al. 2006) und die Mathematikdidaktik (z. B. Bromme et al. 1990; Büchter/Leuders 2005; Blömeke et al. 200611). Ein bemerkenswerter Hinweis auf die zentrale Bedeutung von Aufgaben als Planungskategorie nicht nur im Deutschunterricht kommt aus der Schule (Lechner 2007).

Innerhalb der Deutschdidaktik ist es Eikenbusch (2001), der einen ersten Vorschlag zur Unterscheidung lernrelevanter Aufgabenmerkmale vorgelegt und auf die zentrale Bedeutung von Aufgaben im Unterricht hingewiesen hat.12 Dieser Impuls wurde in der Literaturdidaktik zunächst v. a. von Köster aufgegriffen, die sich in der Folge wiederholt mit schwierigkeitsbestimmenden und verstehensför-dernden Merkmalen von Textverstehensaufgaben auseinandergesetzt, sich dabei aber vor allem auf Aufgaben für Leistungssituationen bezogen hat (z. B. Köster et al. 2004; Köster 2005; zu Aufgaben in Lernsituationen: Köster 2007a).13 In-zwischen sind Aufgaben ein zentrales Thema der deutschdidaktischen Diskus-sion (vgl. z. B. Zabka 2006, Lindauer/Schneider 2007; Köster/Lindauer 2008; 11 Der Beitrag von Blömeke et al. (2006) führt die Perspektiven der Allgemeinen Didaktik, der

Empirischen Bildungsforschung und der Mathematikdidaktik zusammen. 12 Lange vor der aktuellen Aufgabendiskussion weisen Bütow et al. (1977) auf die große Bedeu-

tung von Aufgabenstellungen im Literaturunterricht hin. Sie fordern eine „zentrale Problemstel-lung als Ausgangs- und Bezugspunkt des unterrichtlichen Erschließens“ des jeweiligen Textes. Diese zentrale Problem- bzw. Aufgabenstellung sei zu konkretisieren in „weiteren Aufgabenstel-lungen, deren Logik sich aus der angeführten [zentralen] Aufgabe ergibt. Damit wird zugleich der Gang der Erkenntnistätigkeit skizziert (…)“ (Bütow et al. 1977, 157; Hervorhebung ebd.). Für die von ihnen angeführten exemplarischen Aufgaben heben die Autoren hervor: „(…) sie enthalten den Bezug auf den Schüler wie auch auf den Text“ (ebd., 158); d. h. Bütow et al. haben bereits ein auch heute hervorgehobenes Wechselverhältnis von Aufgaben, Lerner und Text im Blick (dazu ausführlicher unten, Kap. 3.1).

13 In der Schreibdidaktik hat z. B. Baurmann (2002) die Bedeutung von Aufgabenstellungen her-vorgehoben und ein Raster zur Aufgabenanalyse vorgelegt: „Schreibaufgaben sind der Dreh- und Angelpunkt schulischen Schreibens“ (Baurmann 2002, 53).

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28 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

Didaktik Deutsch, Sonderheft Nr. 2/2008; Deutschunterricht H. 5, 2008; Praxis Deutsch, H. 214, 2009). Allerdings liegen noch kaum größere deutschdidaktische Arbeiten vor, die sich mit Aufgaben als Untersuchungsgegenstand befassen. Eine Ausnahme bilden hier Schäfers (2006), die sich aber ihrerseits vor allem auf die Aufgabenformulierungen beschränkt, und Schweitzer (2007). Auch scheint die deutschdidaktische Aufgabendiskussion schwerpunktmäßig nach wie vor eher Leistungsaufgaben bzw. Aufgaben zur Überprüfung und Entwicklung von Kom-petenzmodellen zu berücksichtigen (Köster/Lindauer 2008, 155, Bremerich-Vos/Grotjahn 2007, 161-166). Didaktische Lernaufgaben-analysen, die über ein einzelnes Unterrichtsmodell hinausweisen und die literaturdidaktische Aufga-bendiskussion voranbringen, finden sich kaum (Zabka 2006; z. T. Bremerich-Vos 2008). Leubner/Saupe (2008) konstatieren, dass „geschlossene Konzeptio-nen zu Aufgaben für den Literaturunterricht fehlen“ (ebd., 2), können mit ihrer Arbeit diese Lücke aber nicht schließen.14

Das wachsende Bewusstsein für die didaktische Relevanz von Aufgaben-stellungen konkurriert in der Deutschdidaktik mit einer Perspektive auf Lernauf-gaben, die das Aufgabenstellen weniger als didaktische Herausforderung denn als Methodenentscheidung betrachtet. Aus dieser Perspektive spielen Aufgaben-stellungen traditionell eher eine marginale Rolle (Aufgaben als „verkannte Pla-nungskategorie“, Lechner 2007). Diese hier sog. methodenorientierte Perspekti-ve, die eher Arbeits- und Sozialformen als Aufgabenstellungen zentral setzt, erweist sich z. T. auch dann noch als prägend bzw. hinderlich für die deutschdi-daktische Auseinandersetzung mit Aufgaben, wenn Aufgaben bereits gesondert als lernrelevante Kategorie in den Blick genommen werden. Die methoden-orientierte Perspektive wird im Folgenden als erste mögliche Perspektive auf Lernaufgaben anhand von Beispielen vorgestellt und diskutiert.

Daneben können, was die Untersuchung von Lernaufgaben betrifft, zwei weitere grundsätzliche Perspektiven unterschieden werden: die kontextorientierte Perspektive und die merkmalszentrierte Perspektive. Im Unterschied zur metho-denorientierten Perspektive haben aus deren beider Blickwinkel Lernaufgaben

14 Eine in sich kohärente und umfassende theoretische Fundierung und Systematisierung von

Textverstehensaufgaben zu leisten – „die Entwicklung eines Aufgabenmodells, das für die Ana-lyse, Bewertung und Konstruktion von Aufgaben“ für Lern- wie Leistungssituationen universell „geeignet ist“ (Leubner/Saupe 2008, 3) – erscheint schon vom Anspruch her sehr hoch gegriffen.

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2.3 Perspektiven der Erforschung von Lernaufgaben 29

von vornherein eine zentrale Bedeutung für Lernprozesse. Aus der kontextorien-tierten Perspektive heraus werden Lernaufgaben im größeren Kontext der Lernsi-tuation betrachtet. Lernaufgaben fungieren aus dieser Sicht als Anker und Rah-mung der gesamten Lernsituation. Kennzeichnend für Arbeiten mit dieser Per-spektive ist, dass sie von einer vorwiegend konstruktivistischen bzw. problem-orientierten Vorstellung von Lernen und Lehren ausgehen (vgl. zu diesen Posi-tionen Reinmann/Mandl 2006) und daraus normativ Anforderungen an gute Lernaufgaben im Unterricht ableiten.

Aus der merkmalszentrierten Perspektive auf Lernaufgaben steht im Zent-rum die Frage, welche Anforderungen bezüglich der Aufgabenbearbeitung aus den Aufgabenmerkmalen resultieren bzw., empirisch ausgerichtet, wie die Auf-gabenmerkmale die Aufgabenbearbeitung beeinflussen. Dahinter steht die An-nahme, dass die Merkmale von Lernaufgaben einen maßgeblichen Einfluss auf die Kompetenzentwicklung in der betreffenden Domäne haben (vgl. Baumert 2002; Brunner et al. 2006a). Als Aufgabenmerkmale, die die Aufgabenschwie-rigkeit wesentlich bestimmen, sind dabei – auch im Kontext dieser Arbeit – Komplexität und Offenheit/Entscheidungsspielraum von besonderem Interesse.

2.3.1 Methodenorientierte Perspektive: Lernaufgaben im Schatten von „Metho-den“ und „Verfahren“ des Unterrichts

Die Diskussion um Aufgabenstellungen ist in der Deutschdidaktik erst seit weni-gen Jahren ein zentrales Thema. Dass die deutschdidaktische Aufmerksamkeit für Aufgabenstellungen relativ neu ist, spiegelt sich noch in jüngeren Publikatio-nen wider, die Aufgaben als didaktisch relevante Kategorie allenfalls am Rande erwähnen. Das Stellen von Aufgaben wird hier dem Bereich der „Verfahren“ bzw. „Methoden“ zugeordnet, wobei diese Begriffe sehr weit gefasst und un-scharf verwendet werden. Auf der anderen Seite finden sich bereits Arbeiten, die die zentrale Bedeutung von Aufgabenstellungen für Lernprozesse hervorheben und damit zur aktuellen Aufgabendiskussion beitragen, die aber durch das Fest-halten an einem gewohnheitsmäßig diffusen Begriff von „Methoden“ bzw. „Ver-fahren“ des Literaturunterrichts nur mäßig erkenntnisfördernd bleiben.

Page 30: Iris Winkler Aufgabenpräferenzen für den Literaturunterricht...4 Im soeben erschienenen literaturdidaktischen Teil des Handbuchs DTP (Band 11/2) allerdings findet sich ein Beitrag

30 2 Lernaufgaben als Untersuchungsgegenstand

Exemplarisch für literaturdidaktische Überblicksarbeiten, die Aufgabenstellun-gen der Kategorie „Verfahren“ bzw. „Methoden“ unterordnen, steht die Litera-turdidaktik Deutsch von Abraham/Kepser (22006, 32009). In einem umfangrei-chen Kapitel werden hier „Muster, Phasen und Verfahren des Literaturunter-richts“ vorgestellt. Dabei gehen die Autoren noch 2006 nur an einer Stelle, im Teilkapitel zu „Kontrastive[n] Verfahren“, auch genauer auf Aufgabenstellungen ein. Mit Blick auf schriftliche Prüfungsaufgaben zum Vergleichen literarischer Texte werden hier vier verschiedene Aufgabenvarianten auf ihr Anforderungs-profil hin analysiert (Abraham/Kepser 2006, 217). In der überarbeiteten und erweiterten Neuauflage (2009) hat man ein knappes Teilkapitel zu „Aufgaben-kulturen im Literaturunterricht“ ergänzt, aber auch dieses ist in das Hauptkapitel „Muster, Phasen und Verfahren des Literaturunterrichts“ eingegliedert (Abra-ham/Kepser 2009, 260-263).

Die kurze Aufgabenanalyse im Teilkapitel „Kontrastive Verfahren“ bei Ab-raham/Kepser (2006, 217; 2009, 246f.) macht auf jeden Fall eines deutlich: Auf-gabenstellungen sind nicht mit „Verfahren“, also mehr oder weniger allgemeinen Herangehensweisen an Texte, gleichzusetzen. So markiert die Kategorie „Kont-rastive Verfahren“ lediglich das übergeordnete Ziel, dass vergleichende Bezüge zwischen einem Text und mindestens einer anderen Bezugsgröße (meistens ei-nem anderen Text) herzustellen sind. Wie die knappe Aufgabenanalyse bei Ab-raham/Kepser zeigt, strukturiert erst die konkrete Aufgabenstellung den Prozess des Vergleichens und eröffnet oder restringiert dadurch auch dessen heuristi-sches Potenzial; erst die konkrete Aufgabenstellung gibt konkrete Vergleichsas-pekte und damit inhaltliche Schwerpunkte vor oder fordert deren Setzung impli-zit vom Aufgabenbearbeiter ein; erst die konkrete Aufgabenstellung dimensio-niert dadurch die Schwierigkeit der von den Lernenden zu bewältigenden Anfor-derungen. Aufgabenstellungen sind damit nicht rein methodische bzw. Verfah-rens-Entscheidungen, sondern erfordern seitens der Lehrperson durchaus didak-tische Expertise. Aufgabenanalysen wie in dieser Arbeit (vgl. unten, Kap. 3.5.3) konkretisieren also literaturdidaktische „Verfahren“ bezogen auf deren Anforde-rungsprofile.

Im 2006 erschienenen „Lexikon Deutschdidaktik“ (Kliewer/Pohl 2006) existiert kein Eintrag s. v. „Aufgaben“. Unter dem Stichwort „Methoden“, ver-standen als Unterrichts- bzw. Lehrmethoden einerseits und Lernmethoden ande-