Island REISE TRAUMINSEL TRAUM - wuestenfahrer.com · Erdinneren geworfene Materi-al bereits...

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TRAUM TRAUMINSEL AUS Island REISE 74 ENDURO ENDURO 75 Reiseziel für Freunde grandioser Landschaften: Im Sommer oft sonnig und trocken mit unzähligen Wasserläufen fast ohne Brücken und mit einzig- artigen Naturschauspielen. Dem Erdinneren nahe ist man im Namafjall beim Kratersee Myvattn FEUER UND EIS Tägliches Brot sind im isländischen Hochland flache und einfach zu querende Furten E s heißt am Gasgriff drehen und zwar ohne Zurückhal- tung, denn die grobkörnige Asche ist bodenlos und schwer. Zusammen mit den knietiefen Spurrinnen der wenigen Gelän- dewagen, die hier gefahren sind, würde zaghafter Fahrstil mit so- fortigem Mattenwurf bestraft. Dank vieler Sahara-Kilometer geben wir unseren Enduros also hemmungslos die Sporen, hal- ten das Auskeilen der Räder so unter Kontrolle. Neben dem nur wenige Meter breiten Spuren- bündel zu fahren wäre einfacher, ist aber in isländischen National- Parks ein nahezu todeswürdiges Vergehen. Das erklärt jeder der resoluten Ranger und Range- rinnen zuallererst. Eine Rangerin hatte uns heu- te früh an der Dreki-Hütte beim Askia-Krater den heißen Tipp gegeben: Der 2015 ausgebro- chene und noch immer wie ein Springbrunnen Lava speiende Vulkan Bardarbunga sei laut Seismograph gerade sehr ruhig und man habe vorgestern eine Zufahrt zu einer Stelle „ange- legt“, wo das aus den Tiefen des Erdinneren geworfene Materi- al bereits erstarrt sei, rund 50 Kilometer nordöstlich von dem riesigen Magma-See, den der Bardarbunga auf dem Vatna- jökull gebildet hat. Badehosen und Handtücher sollten wir mit- nehmen, denn die Lava habe die eisigen Schmelzwasserbäche des Riesengletschers in Ther- malbadewannen verwandelt. Wir halten das eher für einen Rat, dem höchstens Wikinger, heute Isländer genannt, folgen dürften. Als wir nach rund 20 Kilometern Höllenritt durch apokalyptisch wirkende Vulkanlandschaft das Ziel erreichen, eine von Lava- brocken geräumte „Parknische“, meinen wir wirklich dort ange- kommen zu sein – zumindest im Fegefeuer. Nur selten blitzt blauer Himmel durch die aus dem unermesslichen Lavafeld steigenden Rauchwolken. Ein mit gelben Pfählen markierter Pfad, eher schon Klettersteig, führt vom Pistenende zwischen kühlschrank- bis autogroßen er- starrten Lava-Klumpen hinein. Die anspruchsvolle Wegfüh- rung beschäftigt uns ebenso wie die von einem schneidenden Wind verschärfte Kühle. Nach einer halben Stunde Kraxelei taucht in einer Senke ein klei- ner See mit einem Strand aus Lavasand auf. Wasserdampf wird vom Sturm über das Was- ser gepeitscht. Hier ausziehen? Der Genuss, im bis dicht an die Schmerzgrenze aufgeheizten Schmelzwasser zu liegen, ent- schädigt fürs Frösteln beim Aus- ziehen. Als wir nach einer Stun- de wieder an Land gehen, sind wir aufgeheizt wie nach einem langen Saunagang, lassen den Gletscherwind ohne Eile unse- re Handtücher unterstützen. Er fühlt sich jetzt an wie eine laue Brise. Wir bringen die Rückfahrt zur Dreki-Hütte ebenso zügig hin- ter uns wie die Herfahrt, holen Schlafsäcke und Gepäck aus dem kleinen Saal, den ich für unsere Gruppe schon vor Mona- ten reserviert hatte – zur Hoch- saison in manchen Hütten ein Muss. Vor der Weiterfahrt las- sen wir uns in der gemütlichen Ess-Küche noch einen Mittags- Imbiss schmecken. Die Range- rin kommt rein, fragt „Did you like it?“. Uns fehlen die Worte für diesen grandiosen Ausflug, sie lächelt wissend.

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TRAUMTRAUMINSEL AUSIsland

RE

ISE

74 ENDURO ENDURO 75

Reiseziel für Freunde grandioser Landschaften:

Im Sommer oft sonnig und trocken mit unzähligen

Wasserläufen fast ohne Brücken und mit einzig-

artigen Naturschauspielen.

Dem Erdinneren nahe ist man im Namafjall beim

Kratersee Myvattn

FEUER UND EIS

Tägliches Brot sind im isländischen Hochland flache

und einfach zu querende Furten

Es heißt am Gasgriff drehen und zwar ohne Zurückhal-tung, denn die grobkörnige

Asche ist bodenlos und schwer. Zusammen mit den knietiefen Spurrinnen der wenigen Gelän-dewagen, die hier gefahren sind, würde zaghafter Fahrstil mit so-fortigem Mattenwurf bestraft. Dank vieler Sahara-Kilometer geben wir unseren Enduros also hemmungslos die Sporen, hal-ten das Auskeilen der Räder so unter Kontrolle. Neben dem nur wenige Meter breiten Spuren-bündel zu fahren wäre einfacher, ist aber in isländischen National-Parks ein nahezu todeswürdiges Vergehen. Das erklärt jeder der resoluten Ranger und Range-rinnen zuallererst.

Eine Rangerin hatte uns heu-te früh an der Dreki-Hütte beim Askia-Krater den heißen Tipp gegeben: Der 2015 ausgebro-chene und noch immer wie ein Springbrunnen Lava speiende Vulkan Bardarbunga sei laut Seismograph gerade sehr ruhig und man habe vorgestern eine Zufahrt zu einer Stelle „ange-legt“, wo das aus den Tiefen des Erdinneren geworfene Materi-al bereits erstarrt sei, rund 50 Kilometer nordöstlich von dem riesigen Magma-See, den der Bardarbunga auf dem Vatna-jökull gebildet hat. Badehosen

und Handtücher sollten wir mit-nehmen, denn die Lava habe die eisigen Schmelzwasserbäche des Riesengletschers in Ther-malbadewannen verwandelt. Wir halten das eher für einen Rat, dem höchstens Wikinger, heute Isländer genannt, folgen dürften.

Als wir nach rund 20 Kilometern Höllenritt durch apokalyptisch wirkende Vulkanlandschaft das Ziel erreichen, eine von Lava-brocken geräumte „Parknische“, meinen wir wirklich dort ange-kommen zu sein – zumindest im Fegefeuer. Nur selten blitzt blauer Himmel durch die aus dem unermesslichen Lavafeld steigenden Rauchwolken. Ein mit gelben Pfählen markierter Pfad, eher schon Klettersteig, führt vom Pistenende zwischen kühlschrank- bis autogroßen er-starrten Lava-Klumpen hinein.

Die anspruchsvolle Wegfüh-rung beschäftigt uns ebenso wie die von einem schneidenden Wind verschärfte Kühle. Nach einer halben Stunde Kraxelei taucht in einer Senke ein klei-ner See mit einem Strand aus Lavasand auf. Wasserdampf wird vom Sturm über das Was-ser gepeitscht. Hier ausziehen? Der Genuss, im bis dicht an die Schmerzgrenze aufgeheizten Schmelzwasser zu liegen, ent-schädigt fürs Frösteln beim Aus-ziehen. Als wir nach einer Stun-de wieder an Land gehen, sind wir aufgeheizt wie nach einem langen Saunagang, lassen den Gletscherwind ohne Eile unse-re Handtücher unterstützen. Er fühlt sich jetzt an wie eine laue Brise.

Wir bringen die Rückfahrt zur Dreki-Hütte ebenso zügig hin-ter uns wie die Herfahrt, holen Schlafsäcke und Gepäck aus dem kleinen Saal, den ich für unsere Gruppe schon vor Mona-ten reserviert hatte – zur Hoch-saison in manchen Hütten ein Muss. Vor der Weiterfahrt las-sen wir uns in der gemütlichen Ess-Küche noch einen Mittags-Imbiss schmecken. Die Range-rin kommt rein, fragt „Did you like it?“. Uns fehlen die Worte für diesen grandiosen Ausflug, sie lächelt wissend.

InfoIsland ist mit über 100.000 Quadratkilometern etwa zwölfmal so groß wie Korsika, hat aber nur etwa gleich viele Einwohner: Rund 340.000, davon leben 190.000 in der Haupstadt Reyjkja-vik und seinen beiden Vorstädten. Der Großteil Islands ist sehr dünn besiedelt.Verkehrswege: Es gibt eine größtenteils geteer- te Straße, die N1. Sie führt mehr oder weniger rund um Island herum, ist zirka 1.340 Kilome-ter lang und mit jedem Motorrad problemlos befahrbar. Im Landesinneren, dem Hochland, sind 99 Prozent aller Verkehrswege unge- teert. Brücken über die zahllosen Wasserläufe sind die Ausnahme. Es sind dort daher eine mit grobstolligen Reifen bestückte Enduro und Offroad-Erfahrung unverzichtbar.Anreise: Die Anreise mit dem eigenen Fahr-zeug ist nur per Fährschiff von Dänemark aus möglich – mit der färöischen Linie Smyril Lines. Die Passage dauert zwei Tage.Reisezeit: Für Motorradreisen ist einzig die Zeit von Anfang Juni (frühestens!) bis Anfang September (spätestens!) zu empfehlen. Wer bestmögliches Wetter möchte, sollte von die-sem Zeitraum vorn und hinten noch zwei Wo-chen abziehen.Ausrüstung: Für Motorradreisen auf Island sind generell gute Ausrüstung und wasserdichte Fahrkleidung unerlässlich. Wer zelten möchte – angesichts der sehr hohen Preise in Hotels, Herbergen, B&Bs einzige Möglichkeit, eine Island-Reise relativ „billig“ zu halten – braucht eine erstklassige Camping-Ausrüstung. Das Übernachten in den vielen Hochland-Hütten ist eine Alternative. Allerdings sind diese Hüt-ten an den touristischen Hotspots wegen der isländischen Reisegruppen zur Hauptreisezeit ausgebucht.Organisierte Enduro-Reisen: WÜSTEN-FAHRER REISEN führt seit 2004 jährlich eine Island-Reise durch, http://www.wuestenfahrer.com/island.

Aktivitäten der Insel durch zahl-lose Mess-Stationen überwa-chen.

Bei entsprechender Routen-wahl sind die Thermalwasser-Vorkommen fast täglich zu ge-nießen. Angenehm, weil es auch im Sommer Tage gibt, an denen Islands Wetter so ist, wie man es aufgrund der geografischen Lage erwartet. Daran kann auch der warme Golfstrom, der den Norden und Westen der In-sel umströmt, nichts ändern. Für alle ist es einfach göttlich, nach der Fahr-Etappe im hei-ßen Wasser zu liegen – sogar abends oder nachts, um in der im Sommer endlosen Dämme-rung der Mitternachtssonne zu-zusehen.

Fast 1.700 Kilometer sind wir auf der ersten Hälfte unserer Island-Fahrt von Seydisfjördur im Nordosten der Insel bis nach Latrarberg, ihrem Westkap in den dortigen Fjorden, gefahren. Begonnen hatte unsere Reise mit einer zweitägigen Schiffs-Passage ab dem dänischen Hirtshals. Diese Route ist für mich von den unzähligen Fähr-fahrten meines Lebens zwei-fellos die schönste und loh-nendste. Sie macht den relativ hohen Passage-Preis zu einer Ausgabe, die man nicht bereut. Die mehrstündige Durchque-rung der landschaftlich spekta-kulären Inselgruppe der Färöer und tags darauf das geradezu mystische Erlebnis von Islands Auftauchen und Erreichen über den tiefen Seydis-Fjord sind un-vergesslich.

Unser erstes Ziel nach der morgendlichen Ankunft ist der südliche Schmelzwassersee des größten – geopolitisch, nicht geologisch – Gletschers Europas. Bei einem Ausflug mit einem Amphibien-Fahrzeug ah-nen wir inmitten Jahrtausende alter Berge und Brocken aus blauschwarzem Eis noch nicht, dass wir zehn Tage später im Schmelzwasser des Vatnajökull baden werden.

Die Südküste Islands ist eine einzige Perlenkette unfassbarer Landschaften – bis zum Meer reichende Vulkanhänge, von Moosen und Flechten zu einer scheinbaren Unterwasserland-

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ISE

Meine KTM Super Adventure ist rasch wieder im Begleit-fahrzeug verladen, denn einer muss den Allrad-Truck ja die letzten beiden Tage unserer Reise chauffieren – von hier zum Fährhafen Seydisfjördur. Bis dahin stehen noch einige der anspruchsvollsten Offroad-Strecken des isländischen Hochlands an. Auch zwei tiefe Furten sind dabei. Nach den un-zähligen in der Regel einfachen Flussquerungen, die wir in den letzten knapp zwei Wochen hin-ter uns gebracht haben, sind sie fahrtechnisch für keinen in un-serer Gruppe ein Problem.

Bekleidet mit den brusthohen Neopren-Fischerhosen, die alle auf meine Empfehlung hin auf die Reise mitgenommen haben, macht das „Furten“ sogar rich-tig Spaß und bei tieferen oder strömungsreichen Flussque-rungen „fußelt“ und läuft man – zum Beispiel beim Sichern und Schieben eines Teilnehmers – mit diesem Kleidungsstück warm und trocken. Die volumi-nösen Teile liegen also heute wieder anziehbereit im Truck. Nach dem Einsatz wandern sie wieder dahin zurück. Zu be-scheiden ist die Schutzwirkung der mit der Hose verschweiß-ten Gummistiefel. Für Fischer reicht’s, beim Endurofahren auf isländischen Hochlandpisten

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sind eher Geländestiefel zu empfehlen.

Nicht alle Pisten Islands sind allerdings steinig, tiefsandig und mit Furten garniert. Auf den Naturbelagstraßen rund um die West-Fjorde, der landschaftlich wohl schönsten Region der an Naturwundern reichen Insel, fuhren wir in fünf Tagen fast 1000 Kilometer ungeteerte Stre-cken, so eben und fest, dass sie sich auch mit einem Straßenmo-torrad hätten befahren lassen. Die West-Fjorde sind von dem auf Island in den letzten Jahren enorm gestiegenen Touristen-

Aufkommen weniger betroffen. Zu weit entfernt, zu zeitaufwen-dig zu befahren, zudem nicht so mit Thermalwasser-Vorkommen gespickt wie die von Touristen frequentierten Gebiete.

Island ist vom Grabenbruch zwischen amerikanischer und europäischer Kontinental-Platte „gespalten“ und daher beson-ders stark von aktivem Vulka-nismus geprägt. Neben unzäh-ligen heißen Quellen, Seen und

Flüssen gibt es auch alle paar Jahre mal Lava- und Asche-Eruptionen – auch größere wie in jüngster Zeit die der Vul-kane Ejyafjälla-jökull und und Bardarbunga. Dabei kommen aber weder Mensch noch Haustiere zu Schaden, denn der Staat hat für die gerade mal 300.000 islän-dischen Bürger nicht nur das Gemeinwesen bestens orga-nisiert, sondern lässt auch die se ismischen

Enduristisches Festmahl sind Furten, die Nerven und Knowhow erfordern

Whalewatching: Besonders abseits der touristischen Hotspots ein unvergessliches Erlebnis

Gruselig und lecker: Isländischer Dörrfisch schmeckt besser, als er aussieht

Naturgewalt macht Islands wasserreichs-

ter Fall Dettifoss körperlich spürbar

50 km

DETTIFOSS

LANDMANNAR-LAUGAR

VULKANASKIA

AKUREYRIMYVATTN

SEYDISFJÖRDUR

GLETSCHERVATNAJÖKULL

VULKANBARDARBUNGA

VULKAN EYJAFJÄLLA-

JÖKULL

GEYSIR

THINGVELLIR

WEST-FJORDE

VULKAN HEKLA

Papageientaucher sehen beinahe

wie Spielzeugfi-guren aus

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schaft modellierte Lava-Felder, aus dem Hochland in gewaltigen Wasserfällen herabstürzende Flüsse, bizarre Klippen und In-seln vor schwarzen Stränden. Dazu Robben und unzählige Seevögel, am verblüffendsten die wie bunte Playmobil-Figuren aussehenden Papageientau-cher.

Von der Hütte unseres dritten Nachtquartiers unternehmen wir mit den Enduros von Südwesten her auf einer furtenreichen Pis-te einen 120 Kilometer langen Offroad-Ausflug zum meistbe-suchten Thermalfluss: Land-mannarlaugar. Leider ist das „Warmbad der Landleute“ von Norden her auch über eine von Ausflugsbussen bevölkerte und

daher mit üblem „Wellblech“ garnierte Piste erreichbar.

Mehr als das von Touristen-Gruppen aus aller Herren Länder überlaufene Naturbadebecken eines heißen Flusses lohnt sich die Wanderung durch die umlie-genden Rhyolith-Berge. Verlässt man die Hauptwege und wan-dert über steile Pfade die von metallischen Einlagerungen ge-färbten Vulkane hinauf, ist man die Touristenmassen rasch los. Spätnachmittags – die Sonne scheint noch für Stun-den – starten wir nach einem kurzen Bad zur Rückfahrt – natürlich nicht, ohne an einer etwas tieferen Furt unmittelbar vor Landmannarlaugar Haupt-darsteller auf den Videos zahl-reicher Zuschauer zu werden. Kein Problem für uns, dass das Wasser bis über die Sitzbank reicht, denn erstens haben wir unsere Fischerhosen an, zweitens liegen die Ansaugöff-nungen unserer Reiseenduros von KTM, Triumph und Honda hoch genug.

Durch traumhafte Vulkan-Landschaft und viele weitere Furten geht’s auf der Heimfahrt zu unserer Hütte noch zu einer mit „Hekla“ beschilderten Ab-

Wir beschließen, heute zu campieren, denn die Wetter-App erfreut uns mit der Nach-richt, dass das seit heute früh wolkenlose Sommerwetter nicht nur die nächste Nacht, sondern für die gesamte einwöchige Vor-hersagedauer stabil bleibt. Bis die Sonne den Horizont berührt, sitzen wir bei Rouladen und Rot-wein vor unserem Mutterschiff-Truck. Die nächsten Camper sind 200 Meter entfernt, denn Thingvellir ist nicht gerade Treff-punkt von Individual-Reisenden. Erst als sich die Island-Ponys neben der weitläufigen Anlage in die Wiese legen – es ist fast Mit-ternacht – ziehen auch wir uns in die Zelte zurück. In einer Stunde wird’s wieder hell – isländische Sommertage sind zwar die kür-zesten, aber bei Sonnenschein vielleicht auch schönsten auf diesem Planeten.

Für die restlichen rund 200 Kilometer von Thingvellir zu den West-Fjorden habe ich für den Anfang kleine und abgelegene Pisten, zum Teil nur schmale Feld- oder Reitwege ausge-wählt – weshalb vor dem Errei-chen der isländischen Ringstra-ße erst mal Enduro-Fahrspass pur angesagt ist. Schluss mit

Asphalt, was auf den West-Fjorden so bleiben soll.

Schon auf der Fahrt zu un-serem ersten gebuchten Quar-tier schlägt die Faszination der unglaublich schönen Landschaft zu. Ein unvermeidbarer Foto-stopp folgt dem andern, so wild-romantisch-malerisch ist diese mal dramatische, mal idyllische Landschaft aus Steilküste und

zweigung. Eine wenige Kilome-ter lange Piste führt zum Rand des 1.500 Meter hohen Vul-kans, einer der drei aktivsten Islands. Starker Wind und die immer steiler und grobschottri-ger werdende Strecke verlangen uns einiges ab. Die in unserer gemütlichen Hütte gekochten Spaghetti Carbonara munden nach diesem Abenteuer zusam-men mit reichlich Rotwein be-sonders gut.

Der allen anderen Springquel-len des Planeten seinen Namen gebende Geysir und das für Isländer sehr wichtige Tal von Thingvellir beschließen unsere Fahrt zu den „Must-Sees“. Dort gründeten die ersten Isländer direkt in der Kontinental-Spalte Ihren Staat, hielten „Things“ ab, Versammlungen und Be-ratungen. Wo die Spalte unter Wasser verläuft – im Ratstalsee oder Thingvellirvättn – kann man in dem rund vier Grad kalten, vor allem aber klarsten Wasser der Erde in isländischen Trocken-anzügen tauchen und an den Engstellen der Silfra genannten Kontinental-Spalte mit dem ei-nen ausgestreckten Arm Ame-rika berühren, mit dem anderen Europa.

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Sandstränden. Und sie sorgt für einen außergewöhnlich großen Unterschied zwischen Luftlinie und Fahrstrecke – in der Regel muss man erstere mit dem Fak-tor acht bis zehn multiplizieren, um letzteres zu erhalten. Wes-halb man auch mindestens vier Tage einplanen sollte, will man die West-Fjorde auf lohnende Art erleben. Kap der „guten Hoff-

nung“: An Islands regenreicher Südspitze hofft man auf schönes

Wetter

Abfall-Produkt: Das Thermalbad „Blaue

Lagune“ liegt neben einem Thermal-Kraftwerk

Pistenspaß: Die Naturbelag-straßen Islands sind mit jeder Enduro angenehm zu fahren

Wanderlust: Auf Island bekommt sie jeder, denn schönere Wege gibt es nirgendwo

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Wir bleiben sogar fünf, nützen das Traumwetter aus. Der urige in einem Nebental der westfjor-dischen Südküste versteckte Bauernhof unseres ersten Quartiers besitzt noch einen heißen Swimmingpool. Danach ist Schluss mit Vulkanismus und Thermal-Quellen – bei solchem Wetter und in derart großartiger Natur können wir auf beides ver-zichten.

Doch auch nach den West-Fjorden lässt sich Island nicht lumpen, schlägt uns mit der „Seelöwenhalbinsel“ Vatnsnes genauso in Bann wie bei einer Whalewatching-Tour – letztere nicht vom Touristen-Hotspot Husavik aus, sondern einem kleinen Dorf an der zentralen Nordküste. Dort ist der Spaß billiger und es herrscht kein Ge-dränge aus Walbeobachtungs-Booten. Der Skipper gewährt zudem „Cashback“, wenn die Wassersäuger nicht oder nur sehr weit entfernt zu sehen sind.

Anlandige Strömung von dem im Norden Islands vorbeizie-henden Golfstrom besonders viel Plankton in einen Fjord ge-drückt. Es ist der Grund, warum ein Dutzend Buckelwale samt Babys sich hier tummeln. Man-che kommen bis auf ein paar Meter an unser kleines Fischer-boot heran, drehen sich auf den Rücken, blicken uns mit ihren Riesenaugen an und wedeln mit einer Flosse. Für mich ist es der endgültige Beweis, dass Wale nicht nur intelligent sind, sondern so etwas wie Humor besitzen.

Natürlich besuchen wir auf unserer Weiterfahrt an der Nord-küste auch noch das charmante Städtchen Akureyri, mit rund 18.000 Einwohnern nach der Hauptstadt Reykjavik und sei-nen Vorstädten die zweitgrößte Stadt Islands.

Dann das historische Dorf Laufas, der Godafoss-Wasser-fall und der Kratersee Myvattn. An letzterem lohnt der Besuch des dortigen Thermalbads vor allem wegen der beim Bad zu genießenden Aussicht über die bizarr-düstere Kraterlandschaft. Auch der hoch interessante, aber geruchs-intensive Vulka-nismus-Park von Namaskard ist den Stopp wert.

Bevor es endlich wieder ins „wilde“ Hochland geht, statten wir dem nah gelegenen ge-waltigsten Wasserfall Islands einen Besuch ab. Von der Ost-seite natürlich, denn die ist nur auf einer Piste erreichbar und zumindest morgens nicht so überlaufen. Der Dettifoss ist von verzaubernder Schönheit, aber zugleich furchterregend. Wer bis dorthin kraxelt, wo die gewaltigen Wassermassen – meist über 200 Kubikmeter pro Sekunde – aus dem größten Ab-fluss des Vatnajökull-Gletschers in die Tiefe stürzen, spürt die unvorstellbare Gewalt beinahe körperlich.

Als wir die Ringstraße kreu-zen, um auf die berühmt-be-rüchtigte Piste F88 einzubiegen, sehen wir die Schilder, die vor den anpruchsvollen Furten auf den 100 Offroad-Kilometern bis zum Krater Askia warnen. Auch Enduro-Fahrer sollten wissen, wie man tiefere und breitere Wasserläufe quert, ohne umzu-fallen oder stecken zu bleiben, nämlich langsam und v-förmig erst gegen, dann mit der Strö-mung. Zudem brauchen für so etwas geeignete Motorräder eine über Sitzbankhöhe rei-chende Ansaugöffnung. Größe-res Gepäck sollte bei stärkerer Strömung erst zu Fuß getra-gen werden, wenn sich für den Transport kein hilfsbereiter 4x4-Fahrer findet.

schaftlich unfassbar schönen Fahrt eine „wilde“, aber er-laubte Camping-Übernachtung in einem ostisländischen Tal. Sie setzt dieser Reise die Krone auf.

Man muss den Ort kennen, sonst findet man ihn nicht, ob-wohl man in Sichtweite daran vorbeifährt. Eine schmale, grob-schottrige steile Piste führt vom schroffen und kahlen Lava-Pla-teau hinunter in ein idyllisches Tal mit Wiesen, Blumen, Enten und Schafen – und einem Bach. Der lässt Dampf über die saftig grünen Wiesen neben einer ur-alten Schäferhütte mit düsterer Historie schweben, denn er ist heiß und bildet einen Wasserfall, unter dem es sich stundenlang baden lässt.

Bis man – wie wir schon ges- tern am Bardarbunga-Ther-malbad – so aufgeheizt ist, dass auch Wind und einstellige Temperaturen nichts mehr aus-machen. Diesmal kommt noch Regen dazu, denn wir sind im Osten der Trauminsel aus Feuer und Eis. Und da lässt das Wet-ter auch im Sommer manchmal zu wünschen übrig und um die Maxime des Island-Fans in den Vordergrund zu rücken: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung“.

Thomas Troßmann

Für unsere Truppe ist das Ganze natürlich ein Riesenspaß. Trotz des guten Wetters zieht je-der aber erst die Fischerhosen an, denn Gletscher-wasser ist kalt. Nachdem wir uns in der Dreki-Hütte am Ostfuß des riesigen As-kia-Kraters ein-quartiert haben, fahren wir die acht Kilometer und 350 Höhenmeter zum Be-ginn der Kraterwanderung mit meinem Truck hinauf. Vom 1.100 Meter hoch gelegenen Parkplatz inmitten eines extrem schroffen Lavafelds – vor Jahrhunderten setzten die Isländer zum Tode verurteilte Schwerverbrecher hier aus – wandern wir über Lavasand, Eis und Schnee zum „Viti“, einem Nebenkrater des im Durchmesser 3,5 Kilometer großen Askia-Vulkans. Der klei-ne Bruder misst nur 100 Meter im Durchmesser und ist gefüllt mit milchfarbenem Thermalwas-ser.

Auf dem kaum erkennbaren, sehr steilen und rutschigen Pfad die 120 Höhenmeter hinunterzu-klettern ist nur mit Bergschuhen und Stöcken zu empfehlen. Im rund 30 Grad warmen Wasser des Viti zu schwimmen bleibt ein Erlebnis, das man nie mehr vergisst. Noch ein wenig ge-toppt wird es für uns erst am nächsten Vormittag, als wir der Empfehlung der Askia-Park-Rangerin folgen und nach Sü-den zum Vulkan Bardarbunga fahren – der Anfang dieser Ge-schichte.

Bevor wir wieder aufs Schiff zurück nach Festland-Europa gehen, folgt nach einer land-

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Vulkan-Wüste: Schwarz und ebenso gut für Enduro-Spaß

wie die Sahara

Badespaß im mit warmer „Milch“ gefüllten Blowhole der riesigen Askia-Kaldera

Gipfelglück erlebt man in den Ryolith-Bergen um Landmannarlaugar

After Midnight: Für ein solches Bild bleibt man gerne länger auf den Füßen