Ist es überhaupt möglich, ein Werk zu schaffen, welches...
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LMU München
Forschungsseminar Münchner Biennale 2016
Prof. Dr. David Roesner
Ist es überhaupt möglich,
ein Werk zu schaffen,
welches von nichts anderem handelt
als von sich selbst?
—
Selbstreflexive Strategien in
if this then that and now what
Patricia Stainer
Master Theaterwissenschaft
Abstract
Ist es überhaupt möglich, ein Werk zu schaffen, welches von nichts anderem handelt als von
sich selbst? Simon Steen-Andersen hat es in seinem Musiktheaterstück if this then that and
now what, welches im Rahmen der Münchener Biennale 2016 uraufgeführt wurde, auf jeden
Fall versucht. Unter dem Stichwort „Selbstreferenzialität 2.0“ kombiniert und komponiert er
Musik, Text, Darsteller, Bewegung, Licht und Requisiten derart, dass sie sich alle gegenseitig
thematisieren und kommentieren, und sich das Stück folglich stets um sich selbst im Kreis dreht.
Dabei kann einem schon etwas schwindlig werden. Aus diesem Grund versucht der vorliegende
Artikel, basierend auf einer grundlegenden theoretischen Auseinandersetzung mit dem Phä-
nomen der Selbstreflexivität, die zahllosen Wiederholungen, Endlosschleifen und multimedia-
len Bezüge auf sich selbst im Stück herauszufiltern, zu analysieren und somit nachvollziehbar zu
machen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Hintergrund .................................................................................................... 1
2 Theorie zur Selbstreferenz und Analyse von itttanw ............................................................. 3
2.1 Theoretische Grundlagen der (literarischen) Selbstreflexivität ..................................... 3
2.2 Analyse von if this then that and now what .................................................................. 6
2.2.1 „Ouverture“ ............................................................................................................ 6
2.2.2 Anfangsschwierigkeiten ......................................................................................... 7
2.2.3 Hintergrund und Neid ............................................................................................ 8
2.2.4 Repräsentation ....................................................................................................... 8
2.2.5 Bewegung ............................................................................................................... 9
2.2.6 Vakuum ................................................................................................................ 10
2.2.7 Das Buch ............................................................................................................... 11
2.2.8 Selbstreferenz und Disposition des Vortrags ....................................................... 12
2.2.9 Gesang .................................................................................................................. 13
2.2.10 Die Beschreibung .................................................................................................. 14
2.2.11 Multimediale Selbstreferenz ................................................................................ 14
2.2.12 Die autoprozessuelle Selbstreferenz 1 ................................................................. 15
2.2.13 Geschichte ............................................................................................................ 16
2.2.14 Die autoprozessuelle Selbstreferenz 2 ................................................................. 16
2.2.15 Im Fall ................................................................................................................... 17
2.2.16 Schlußmonolog ..................................................................................................... 17
2.3 Ergebnisse der Analyse................................................................................................. 20
3 Fazit ...................................................................................................................................... 22
Literatur- und Quellenverzeichnis ................................................................................................ 23
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1 Einleitung und Hintergrund
if this then that and now what, kurz itttanw, mit Komposition, Text, Regie und Bühnenbild von
Simon Steen-Andersen ist ein Musiktheaterstück, das sich ständig in Schleifen um sich selbst dreht.
Ob man es als Zuschauer auf sich wirken lässt oder es im Rahmen eines wissenschaftlichen Artikels
gründlich analysiert und interpretiert – man muss aufpassen, dass man sich nicht in den schnellen
Wechseln, ständigen Wiederholungen und unendlichen Loops verliert.
itttanw wurde für 18 Musiker und vier Schauspieler geschrieben und in der aus dem Däni-
schen ins Deutsche übersetzten Fassung von Peter Urban-Halle am 28. Mai 2016 im Rahmen der
Münchener Biennale 2016, dem alle zwei Jahre stattfindenden Festival für neues Musiktheater in
München, uraufgeführt. Das Stück bewegt sich zwischen Theater, Lecture Performance, Konzert,
Lichtinszenierung und Installation und versucht dabei, dies alles gleichzeitig zu sein. Denn Steen-
Andersen verbindet musikalisches und akustisches Material so mit visuellen Elementen, dass dar-
aus Kompositionen entstehen, in denen Bilder, Bewegungen und Gesten genauso wichtig sind wie
die Musik. Auf diese Weise entsteht eine große Vielschichtigkeit und der Akt des Musizierens ist
dabei Teil des kompositorischen Denkens, wenn beispielsweise aus den choreographisch kompo-
nierten Bewegungen der Musiker eine musikalische Struktur entsteht. Dem Autor selbst zufolge
möchte er in itttanw in einem großen szenischen Format die Verbindung zwischen Klang und Visi-
on erforschen (Münchener Biennale 2016a: 62f.). Und das, was sich da zwischen all den Ebenen
(Musik, Musiker, Schauspieler, Licht, Bewegung, Text etc.) abspielt, bezeichnet er selbst als „Selbs-
treferenzialität 2.0“. Für ihn ist die Selbstbezüglichkeit des Prozesses zentral und folglich reflek-
tiert und beinhaltet itttanw seinen eigenen Entstehungsprozess (Münchener Biennale 2016b).
Basierend auf einer gründlichen Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen
zur (literarischen) Selbstreflexivität werde ich in diesem Artikel die selbstreflexiven Strategien in
itttanw analysieren. Im Theorieteil beleuchte ich auch insbesondere die Grundlagen der Intertex-
tualität, da es in itttanw ganz explizit darum geht wie ein Text entsteht und sie somit eine wichtige
Basis für die Analyse darstellen. Die anschließende Analyse von itttanw stützt sich in erster Linie
auf das Textbuch von Simon Steen-Andersen in der deutschen Version nach Peter Urban-Halle. Die
Partitur des Werks ist als Ansichts-PDF auf der Website des Edition S Verlags einsehbar und wird
2
ebenfalls bei der Analyse herangezogen. Außerdem kann ich, die Verfasserin, mich auf den Besuch
der Vorstellung von itttanw am 30.05.2016 im Rahmen der Münchener Biennale stützen.1
Der Text von itttanw wurde vom Autor selbst in 16 Sinnabschnitte gegliedert, gekenn-
zeichnet durch Zwischenüberschriften, die auf der Bühne aber nicht gesprochen wurden, sondern
nur im Textbuch zu finden sind. Es erscheint sinnvoll, den Text basierend auf der von ihm vorgege-
benen Einteilung Abschnitt für Abschnitt zu analysieren, da in jedem neuen Abschnitt ein neues
Phänomen der Selbstreferenzialität behandelt wird. Die Analyse werde ich sehr ausführlich durch-
führen und mich auch mit vielen Kleinigkeiten beschäftigen, da es in der Machart von itttanw liegt,
bis ins kleinste Detail durchkomponiert zu sein, und auch die kleinsten musikalischen Einwürfe, die
kürzesten Handlungen etc. erfüllen eine wichtige Funktion und fügen sich zum ganzen Werk zu-
sammen. Ich werde versuchen, die wichtigsten Muster herauszuarbeiten, wenn auch nicht alle
kleinsten Sinneinheiten aufgezählt oder gar genau analysiert werden können, da dies den Rahmen
dieses Artikel um ein Vielfaches sprengen würde. Die Fragestellung für die Analyse lautet: Welche
selbstreflexiven Strategien werden in if this then that and now what verwendet, auf welchen Ebe-
nen sind sie zu finden und wie sind die verschiedenen Ebenen miteinander verknüpft?
1 Die Videodokumentation von itttanw war zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels leider noch nicht
verfügbar.
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2 Theorie zur Selbstreferenz und Analyse von itttanw
2.1 Theoretische Grundlagen der (literarischen) Selbstreflexivität
‚Selbstreflexivität‘, auch ‚Autoreflexivität‘, ‚Selbstbezüglichkeit‘, ‚Selbstreferenzialität‘ oder ‚Selbs-
treferenz‘ genannt, ist ein Fachbegriff aus der Literaturwissenschaft und beschreibt, wie ein Text,
Satz, Symbol oder eine Idee, Aussage oder Geschichte sich auf sich selbst bezieht. Das Phänomen
ist in allen literarischen Gattungen zu finden. Man kann argumentieren, dass Selbstreflexivität sich
in der strukturellen Dimension eines jeden literarischen Textes in jeder Epoche finden lässt, da die
spezifischen, vom Autor gewählten literarischen Formate und Strukturen (z.B. Erzählperspektive,
Aufbau, Wortschatz, ggf. Metrik, Strophenform, Akteinteilung usw.) den Text immer in eine be-
stimmte literarische Tradition stellen, an die er sich eher halten oder mit der er eher brechen kann
(Dauner 2009: 16).
Diese Beobachtung ist eng mit dem Begriff der ‚Intertextualität‘ verknüpft: Laut Michail
Bachtin sind in einer Äußerung, ja auch nur in einem einzelnen Wort immer mehrere Stimmen zu
hören, im Roman z.B. durch das dialogische Verhältnis zwischen Autor und Held (Bind 2014: 13ff.).
Bachtin zielt bei seinem Konzept der Dialogizität auf den Dialog der Stimmen innerhalb eines ein-
zelnen Textes ab, der die Gesamtheit der „sozioideologischen Stimmen der Epoche“ bündelt; für
ihn ist der Bezug einer jeglichen sprachlichen Äußerung zum aktuellen Diskurs der Zeit entschei-
dend (Bachtin 1979: 290). Der Begriff ‚Intertextualität‘ wurde schließlich 1967 auf Bachtins Theo-
rien aufbauend von Julia Kristeva eingeführt und seither von verschiedenen Autoren unterschied-
lich verwendet (Bind 2014: 10). Grundsätzlich steht fest, dass sich „*k+ein literarischer Text *…+ aus
dem Nichts *manifestiert+“ (Berndt & Tonger-Erk 2013: 7). Intertextualität bezeichnet im Allge-
meinen „das, was sich zwischen Texten abspielt, d.h. den Bezug von Texten auf andere Tex-
te“ (Broich & Pfister 1985: IX, Hervorhebung im Original). „Jeder Text baut sich als Mosaik von
Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes“ (Kristeva 1972:
348). Für Kristeva steht die Kommunikation von Texten im Vordergrund (Bind 2014: 21ff.): „*D+as
‚literarische Wort‘ *ist…+ nicht ein feststehender Sinn *…+, sondern eine Überlagerung von Text-
Ebenen, ein Dialog verschiedener Schreibweisen: der des Schriftstellers, der des Adressaten *…+,
der des gegenwärtigen oder vorangegangenen Kontextes“ (Kristeva 1972: 346).
Selbstreflexivität gibt es nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Bildenden Kunst,
der Musik, dem Tanz, im Grunde in jeder Kunstform, denn jedes Kunstwerk stellt sich in oder ge-
gen eine vorherrschende Tradition sowie einen sozial-historischen Kontext, und bestätigt oder
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dehnt so potentiell die Grenzen und Definitionen darüber aus, was überhaupt ein Kunstwerk ist
(Nöth 2007a: 6f.).
Neben der impliziten Selbstreflexivität von literarischen Texten, die sich nur dadurch ma-
nifestiert, inwieweit ein Text Gattungsnormen und -erwartungen erfüllt oder nicht, gibt es aber
auch eine Reihe an sprachlichen Mitteln, mit denen ein Text sich explizit auf sich selbst beziehen
kann: Eine Möglichkeit ist das Selbstzitat, wenn eine Geschichte (o.Ä.) sich selbst als Geschichte
(o.Ä.) bezeichnet und sich beispielsweise selber in einen literarischen Kontext einordnet (Dauner
2009: 17ff.). Auch Paradoxien sind eine Form der Selbstreferenz (Nöth 2007b: 75). Weitere selbst-
referenzielle Mittel sind Wiederholungen (wenn ein Text einen Satz wiederholt, bezieht er sich
unweigerlich auf sich selbst; in der Musik sind hier insbesondere Loops zu nennen, d.h. Sequenzen
die unverändert und beliebig oft wiederholt werden) oder Spiegelungen (auf der Bühne können
tatsächliche Spiegel eingesetzt werden, oder auch Projektionen, oder Darsteller können sich ge-
genseitig spiegeln, d.h. nachahmen) (Nöth 2007a: 3ff.).
Eine Möglichkeit der Selbstreflexion, die bei Dramen bzw. Theatertexten häufig verwendet
wird, ist das sog. Spiel im Spiel, bei dem die Theatersituation verdoppelt wird, indem innerhalb des
aufgeführten Stückes ein weiteres Stück aufgeführt wird und einige Figuren so selbst zu Zuschau-
ern werden. Des Weiteren gibt es den Typus des ‚Metadramas‘, wenn ein Theaterstück über das
Theater selbst reflektiert (das Spiel im Spiel ist eine begrenzte Variante des Metadramas), indem
es sich z.B. mit den institutionellen Aspekten von Theater auseinandersetzt, den Autor selbst auf
die Bühne bringt, die Sehgewohnheiten des Publikums thematisiert etc. (Schößler 2012: 37, 73ff.).
‚Metatheater‘ (von gr. metá: zwischen, nach, hinter; wird i.d.R. synonym zu ‚Metadrama‘ verwen-
det) meint allgemein alle Formen und Verfahren dramatischer und theatraler (d.h. den dramati-
schen Text bzw. die szenische Umsetzung betreffende) Selbstreflexivität, Selbstreferentialität und
Selbstbewusstheit. Im Metatheater wird die Grenze zwischen Realität und Fiktion/Illusion definiert,
erkundet, mit Hilfe von Illusionsbrüchen oder Desillusionierung aufgelöst etc. Von Dramen, die nur
vereinzelte metatheatrale Momente aufweisen, bis zu Stücken, die gesamt (also in Titel, Figuren,
dargestellter Handlung usw.) als Metatheater angelegt sind, ist alles möglich. Metatheatrale Selbs-
treflexivität kann sich auf alle Bedeutungsträger von Drama und Theater beziehen und sich mit
deren Traditionen und Konventionen auseinandersetzen. Der Fokus liegt u.a. häufig auf dem Autor
bzw. der Entstehung eines Bühnentextes, anderen an einer Inszenierung beteiligten Personen wie
dem Regisseur, Schauspielern oder insbesondere auch den Zuschauern, dem Aufführungsort mit
allen seinen Räumlichkeiten, dem Vorgang der Erstellung und des Probens einer Inszenierung,
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oder speziellen Angaben zu Mimik, Gestik, Bewegungsabläufen oder Artikulation. Auch im Kontext
des Metatheaters ist die Intertextualität zu nennen, da Metatheater die Schnittstelle von Einzel-
textreferenz und Systemreferenz darstellt; betroffen sind Bezüge zu anderen Bühnenwerken so-
wie zu übergeordneten dramatischen und theatralen Regelsystemen wie z.B. Gattungskonventio-
nen, Epochenmerkmalen oder Inszenierungsstilen. Das intertextuell angelegte Metatheater kann
sich des Weiteren auf jeden anderen Primär- oder Sekundärtext beziehen, wodurch das Theater
zum Ort von Textverarbeitung wird (Schultze 2014: 210f.). Selbstreferenzialität wird häufig als
Merkmal von postmodernen Texten aufgefasst, auch wenn die Tradition von beispielsweise Spiel
im Spiel schon viel weiter zurückreicht (Nöth 2007a: 3f.).
Metadramen lassen sich in sechs typologische Muster einteilen, wobei die Einteilung nicht
ganz trennscharf ist und es zu Überschneidungen kommt: 1) Thematisches Metadrama: das Thea-
ter selbst ist Schauplatz für Theater, 2) Fiktionales Metadrama: Potenzierung der Fiktion, 3) Episie-
rendes Metadrama: Die Kommentierung der Fiktion, 4) Diskursives Metadrama: Sprachliche For-
men werden zur dramatischen Selbstbewusstheit benutzt, 5) Figurales Metadrama: Reflexion der
dramatischen Rolle, wenn ein Charakter sich beispielsweise bewusst ist, dass er ein Charakter in
einem Theaterstück ist, und 6) Adaptives Metadrama: Die zitierte Fiktion (Vieweg-Marks 1989:
19ff.). Laut Nöth (2007a: 5) kann Metafiktion, d.h. ein Text, der explizite Reflexionen über diesen
Text (also sich selbst) vermittelt, einen höheren Grad an Selbstreferenzialität an den Tag legen als
Intertextualität, da intertextuelle Referenzen zwar auch Referenzialität zu Texten beinhalten, aber
diese Referenzen beziehen sich auf andere Texte, nicht auf denselben.
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2.2 Analyse von if this then that and now what
2.2.1 „Ouverture“
Zu Beginn wird auf einem Bildschirm über der Bühne ein Satz eingetippt, immer wieder gelöscht
und in leicht abgeänderter Fassung erneut eingetippt, wobei er immer länger wird. Der Satz, der
letztlich stehen bleibt, lautet: „Seit Ewigkeiten hatte ich den Plan, ein Buch zu schreiben, das mit
diesem Satz anfangen sollte. Das einzige Problem war nur: Wie sollte es danach weitergehen?“.
Bereits der Anfang des Stückes befasst sich also ganz ausdrücklich mit der Entstehung eines Wer-
kes, jedoch der eines Buches, was ja auf den ersten Blick nichts mit Musiktheater zu tun hat. Der
Anfang des Werkes befasst sich zudem konkret mit dem Anfang eines Werkes und ist damit gleich
höchst selbstreferentiell – und wie sich später herausstellen wird, handelt es sich um ein und das-
selbe Werk, denn das Werk, das beschrieben wird, ist auch das Werk, das gerade aufgeführt wird.
Gleichzeitig wird auch die Frage aufgeworfen, wer das „Ich“ ist, das sich an die Zuschauer wendet.
Auf der dunklen Bühne sitzen währenddessen bereits alle Musiker an ihren Plätzen; sie
sind also nicht im Orchestergraben o.Ä. versteckt, sondern sie und ihre Bewegungen und damit
der Akt des Musizierens sind während des gesamten Stückes deutlich sichtbar.
Des Weiteren sind zwischen dem Eintippen der insgesamt acht ‚Buchanfänge‘ auf dem
Bildschirm verschiedene Aktionen auf der schwach beleuchteten Bühne zu sehen: Zu Beginn öff-
net ein Arm mehrmals eine Tür in der linken (vom Publikum aus gesehen) Bühnenwand und
schließt sie wieder; der Raum hinter der Tür ist hell erleuchtet. Irgendwann tritt ein großer junger
Mann im Anzug mit geschniegelten Haaren aus der Tür und tritt ein paar Schritte auf die Bühne
und geht dann wieder rückwärts hinaus. Irgendwann geht er schließlich in großen Schritten über
die ganze Bühne, von einem ihm folgenden Verfolger-Spot angeleuchtet, und verlässt sie wieder
durch eine identische Tür in der rechten Bühnenwand; während er über die Bühne geht, begleitet
ein Schlagwerker jeden seiner Schritte mit einem bestimmten Geräusch, das das tatsächliche
Schrittgeräusch nachahmt und so verstärkt.2 Bald darauf geht der Mann wieder von links nach
rechts über die Bühne; dies wiederholt sich mehrmals, bis irgendwann in dem Moment, in dem
der Mann die rechte Tür schließt, die linke gleichzeitig wieder aufgeht und wieder ein großer jun-
ger Mann im Anzug mit geschniegelten Haaren heraustritt und dem Publikum schlagartig klar wird,
dass sie nicht immer denselben, sondern verschiedene Darsteller gesehen haben. Im Laufe des
2 Auch das Geräusch der Tür wird von einem Percussionisten erzeugt. Aus der Partitur ist deutlich ersichtlich,
dass alles, die Bewegungen des Mannes, die Geräusche der Schlagwerker, das Licht etc. ganz exakt getaktet sind, nicht nur in der Anfangssequenz, sondern im gesamten Stück (Steen-Andersen 2016b: 6ff.).
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Stückes stellt sich heraus, dass es insgesamt vier junge Männer in Anzügen sind, die durch die Tü-
ren gehen, manchmal auch rückwärts, manchmal auch eine Leiter erklimmen und in eine Dach-
klappe hinauf steigen, immer begleitet vom charakteristischen Schrittgeräusch des Percussionis-
ten. Außerdem steht in der Mitte der Bühne ein Spiegelkasten, in dem sich ein Stuhl befindet. Auf
diesem Stuhl sitzt des Öfteren einer der Darsteller und liest ein Buch und knippst mit Hilfe einer
Schnur das Licht im Kasten an – wodurch er sichtbar wird – und wieder aus – wodurch er ver-
schwindet (Steen-Andersen 2016a: 2).
Gleich zu Beginn verwendet das Stück also (theatrale) Mittel der Selbstreferenzialität, die
im weiteren Stück fortgeführt werden. Am wichtigsten sind die ständige Wiederholung von Bewe-
gungsabläufen mit kleineren und größeren Variationen sowie die Verknüpfung von verschiedenen
Ebenen wie Bewegung, Geräusch und Licht, z.B. wenn die Männer vom Lichtspot und Percussionis-
ten begleitet über die Bühne gehen.
2.2.2 Anfangsschwierigkeiten
Nun tritt einer der Darsteller (Mann 1) auf ein Podium mit Mikrophon rechts neben dem Orchester
und beginnt, direkt an das Publikum gewandt zu sprechen. Er wiederholt zunächst den Satz, der
zuletzt auf dem Bildschirm stehen geblieben ist – er spricht also aus der ich-Perspektive. Er erzählt,
wie ‚er‘ zehn Jahre lang an diesem einen Satz herumgebastelt hat; er hat sogar einen Katalog mit
sämtlichen möglichen Varianten angelegt und diese anhand von formalisierten Kriterien bewertet
und wollte schon ein Metasystem entwickeln, um damit dann die geeignetsten Kriterien zu entwi-
ckeln. Nichts in diesem Prozess blieb also unhinterfragt und unreflektiert. Nachdem er den perfek-
ten Anfang gefunden hatte, war eben das Problem, wie das Buch weiter gehen sollte – denn der
Anfang wäre ja gar kein Anfang, wenn danach nichts folgen würde. Dann spricht Mann 1 direkt das
Publikum an: „Dies alles vorausgeschickt, muss die Tatsache, dass ich hier zu Ihnen spreche, natür-
lich bedeuten, dass ich irgendwann das Problem gelöst und eine Fortsetzung gefunden habe. Zu-
mindest wenn wir annehmen, dass das, was ich gerade sage, ein Teil des Textes ist und nicht nur
eine Anekdote über seinen Anfang“. Er weist also konkret darauf hin, dass er gerade mit dem Pub-
likum spricht, in Zuge dessen er mit dem Publikum spricht. Des Weiteren deutet er an, dass das
‚Buch‘, das ‚er‘ schreiben wollte oder geschrieben hat, der Text sein könnte, den er gerade vorge-
tragen hat (Steen-Andersen 2016a: 2f.). Mann 1 unterbricht seinen Vortrag immer wieder, um
kurze (ein bis drei Töne lange) Musikeinwürfe des Orchesters zu dirigieren (Steen-Andersen
2016b: 24ff.). Weitere im Stück verwendete Mittel der Selbstreferenz sind also das Sprechen über
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den Text, der gerade vorgetragen wird sowie das Hinweisen auf Vorgänge, die gerade ablaufen.
Des Weiteren fallen die häufigen, kurzen, unvermittelten musikalischen Einwürfe sowie die schnel-
len Wechsel zwischen kurzen Sequenzen aus Sprechen, Musik und Bewegung auf. Das Über-die-
Bühne-Gehen und das Licht-im-Spiegelkasten-Anknipsen sowie weitere Bewegungsmuster werden
im Laufe des Stückes nämlich immer wieder wiederholt und eingeschoben.
2.2.3 Hintergrund und Neid
Nun erläutert Mann 1, dass seine Schwierigkeiten beim Schreiben daher kämen, dass ‚er‘ gar kein
Schriftsteller sei, sondern: „Ich bin Komponist“. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, ob er mit
‚Ich‘ sich selbst, also den Schauspieler als Person, meint, oder ob er als Autor und Komponist des
Werkes Simon Steen-Andersen spricht, oder ob er eine fiktive Figur spielt, die Komponist ist; so
entsteht ein Schwebezustand zwischen Schauspieler, Autor und Figur. Mann 1 sinniert dann dar-
über wie Musik im Vergleich zu Dramatik und Choreographie nicht greifbar ist und ein Ton frei in
der Luft schweben kann, unbeschwert von einer konkreten Bedeutung, und trotzdem voller Sinn
erscheinen kann (Steen-Andersen 2016a: 3f.).
2.2.4 Repräsentation
Dann kontempliert Mann 1 ein grundsätzliches Problem im Theater, nämlich das Verhältnis vom
Schauspieler als Privatperson und seiner fiktiven Rolle. Er behauptet, dass die Rollenverkörperung
durch einen Schauspieler dann „noch künstlicher und inszenierter *wirkt+, wenn sich die Charakte-
re an der Wirklichkeit orientieren oder sie in ein realistisches Setting versetzt werden sollen – zum
Beispiel, wenn ein Stück mit einem Dirigenten beginnt, der vor einem Konzert von seinem Podest
aus eine Konzerteinführung hält, so wie ich das selbst gerade mache“. Er beschreibt also genau die
Situation, die gerade stattfindet. Im Anschluss dirigiert er eine Sarabande des Orchesters und sagt
darüber:
„Trotz dieser schönen Musik, deren Echtheit niemand bezweifeln kann, wirkt unser
Setting heute Abend selbstverständlich besonders künstlich, wie ich hier jetzt dar-
über spreche. Aber da ich darauf hinweise, dass das Ganze künstlich wirkt, füge ich
der Situation paradoxerweise etwas Echtes hinzu: Indem ich die Künstlichkeit her-
ausstelle, richte ich den Fokus seltsamerweise auf mich als wirkliche Person, auf
meine echtes Ich hinter der Rolle *… Ich möchte noch gern+ darauf hinweisen, dass
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meine Rolle heute Abend nicht mit meiner Privatperson verwechselt werden darf
*…+ Denn ich habe ja offenkundig nur den Text auswendig gelernt, der mir vorgelegt
wurde. Natürlich habe ich nicht den Einfall gehabt, dass ich dies alles sagen soll.
Oder dass ich jetzt sagen soll, dass ich XXX zum Frühstück bekam, was ich nun tat-
sächlich bekommen habe *… Ich sage+ den Text nur so auf, wie er mir gegeben wur-
de. Und egal, was ich als Privatperson davon halte, muss ich jetzt so tun, als fände
ich die ganze Situation ziemlich peinlich und ungeschickt. Was sie recht eigentlich ja
auch ist. Finde ich. Oder, so steht es jedenfalls im Text, dass ich das finde“.
Plötzlich ist das ‚Ich‘, das spricht, nicht mehr die Figur des Komponisten, sondern der Darsteller als
Privatperson, der den Akt des Schauspielens und damit der Repräsentation dekonstruiert, indem
er darüber spricht, was jeder Schauspieler tut: Er trägt einen auswendig gelernten fremden Text
vor. Und im Falle des Schauspielers von Mann 1 ist der auswendig gelernte fremde Text eben ge-
nau dieser Text darüber, wie er den auswendig gelernten fremden Text vorträgt. Und er bezieht
sich auch auf das Schauspielern: Er weist explizit darauf hin, dass im Text steht, er finde die Situa-
tion gerade peinlich, also tut er so, als wäre sie ihm peinlich, egal was er als Privatperson davon
denkt. Zwischen Schauspieler und Figur wird also die Selbstreflexion geschaltet, denn jeder Schau-
spieler muss Gefühle so spielen, wie sie ihm vorgegeben wurden, egal was er privat davon hält,
aber in dieser speziellen Szene reflektiert er explizit über diesen Umstand. Er weist darauf hin,
dass es egal ist, was er als Privatperson von dem Ganzen denkt – so spricht er scheinbar als Privat-
person – aber gleichzeitig ist genau dieser Text ihm und damit seiner Rolle vom Autor vorgegeben
worden. Hier verwendet das Stück also Mittel des figuralen Metatheater, denn er erkennt sich
selbst als Schauspieler und reflektiert darüber, was es konkret bedeutet, eine Rolle vorgeschrieben
zu bekommen. Gleichzeitig setzt Steen-Andersen hier Mittel des episierenden Metatheaters ein,
da die Darsteller die Fiktion, die durch sie auf der Bühne stattfindet, direkt kommentieren.
Dann dirigiert Mann 1 wieder das Orchester und weist darauf hin, dass die Musiker und ihr
Vollzug des Musizierens hundertprozentig echt sind, denn die Musiker, im Gegensatz zu ihm, tun
nicht so ‚Als ob‘, sondern erzeugen mit ihren Bewegungen tatsächlich die zu hörende Musik
(Steen-Andersen 2016a: 4f.)
2.2.5 Bewegung
Nun spricht Mann 1 darüber, dass es nicht nur im Ballett Bewegung in der Musik gebe, sondern
auch noch auf andere Weise, z.B. durch die, meist nicht bewusst beachteten, physischen Bewe-
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gungen der Musiker, wobei der wesentliche Unterschied zu den Bewegungen von Tänzern darin
bestehe, dass die Bewegungen der Musiker motiviert sind, da sie unabdingbar für die Produktion
von Klang sind. Mann 1 argumentiert des Weiteren, dass auch der Gang eines Musikers über die
Bühne im Nachhinein motiviert wirken kann, wenn dieser auf diese Weise zu seinem Instrument
gelangt – und während er dies sagt, geht tatsächlich ein Musiker über die Bühne zu einem Instru-
ment und benutzt dieses. Hier spricht er zum ersten Mal über einen hypothetischen Vorgang, der
aber gleichzeitig genauso zu sehen ist, um damit ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen zu
zeigen und seine These zu beweisen. Dieses Prinzip wird im weiteren Stückverlauf oft angewendet.
Dann tritt ein zweiter Darsteller auf ein Podium identisch zu dem des Mannes 1 auf der
linken vorderen Bühne und beginnt über Schall als Bewegung der Luft und damit als physikalisches
Phänomen zu sprechen. Hier fällt auf, wie geschickt die Überleitungen von einem Thema ins
nächste gestaltet sind – unmittelbar davor ging es um die Bewegungen der Musiker, die Musik und
damit Schall erzeugen, jetzt geht es um Schall als Bewegung. Er beschreibt, wie Schall Luftpartikel
in einer Kettenreaktion in Bewegung setzt wie beim Fall von Dominosteinen. Daraufhin wird eine
Reihe großer Dominosteine auf der Bühne angestoßen, die nacheinander umfallen. Wie sich spä-
ter herausstellt, können die Dominosteine mit Hilfe einer Schnur wieder aufgestellt werden und
der Vorgang ihres Umstoßens wird im Verlauf des Stückes immer wieder wiederholt. Mann 2 weist
auch darauf hin, dass Schall, im Gegensatz zu Licht, nicht im Vakuum existieren kann, da es dort
keine Luftpartikel zum Anstoßen gibt (Steen-Andersen 2016a: 5f.).
2.2.6 Vakuum
Mann 2 spricht nun auch aus der ‚Ich‘-Perspektive und tut dabei so, als hätte er die Dinge gesagt,
die eigentlich Mann 1 gesagt hat, also als wären sie ein und dieselbe Person/Figur. Er erinnert das
Publikum daran, dass, als ‚er‘ vor fünf Minuten über seine Skepsis gegenüber Ballett gesprochen
hat, das Orchester seine Ausführungen mit undefinierter, dissonanter Musik (eher Klangkulisse)
unterlegt hatte und sagt, dass wir die absolute Stille, die jetzt vom Orchester ausgeht, auch als Teil
der Musik erleben, weil wir sie explizit bemerken und weil sie den ‚Vakuum-Effekt‘ verdeutlicht.
Denn angenommen, Bühne und Zuschauerraum befänden sich in diesem Moment in einem Vaku-
um, so wäre eben keine Musik, sondern nur absolute Stille zu hören. Die Vorgänge auf der Bühne
unterstreichen und verdeutlichen also wieder, was im Text gesagt wird. Des Weiteren nimmt
Mann 2 erstmals Bezug auf etwas, was deutlich früher im Stück passiert ist, nämlich den dissonan-
ten Musikeinwurf des Orchesters von vor fünf Minuten, den das Publikum zu jenem Zeitpunkt
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wohl versucht hat, zu dem Text in einen Sinnzusammenhang zu setzen, der in jenem Moment ge-
sprochen wurde. Der Musikeinwurf hätte also (laut Mann 2) beispielsweise als musikalischer Aus-
druck für das Unbehagen des Sprechers gegenüber dem Ballett gedeutet werden können. Doch
jetzt im Nachhinein erhält er durch die nun eingetretene Stille des Orchesters und durch die Worte
von Mann 2 eine ganz neue Bedeutung. Auch dieses Prinzip, dass auf etwas bereits Zurückliegen-
des Bezug genommen wird und es im Nachhinein einen neuen Sinn erhält, wird im Stück noch
öfter umgesetzt.
Dann spricht wieder Mann 1 und sagt: „Wie so viele Geschichten, fängt auch diese Ge-
schichte damit an zu erzählen, sie sei eine Geschichte. Dies ist nämlich die Geschichte einer Ge-
schichte. Und eine ganz besondere Geschichte wohlgemerkt; es ist nämlich die Geschichte genau
dieser Geschichte“. Mann 1 bezieht sich also wieder auf den Anfang des Stückes und den Beginn
seiner Ausführungen zum Finden des richtigen Anfangs. Er bestätigt auch endgültig, dass die gera-
de aufgeführte Geschichte nicht nur selbstreflexiv ist im Sinne, dass sie sich selbst als Geschichte
erkennt oder die Entstehung einer Geschichte thematisiert, sondern noch einen ganzen Schritt
weiter geht und ihre eigene Entstehung behandelt (Steen-Andersen 2016a: 6f.).
2.2.7 Das Buch
Mann 2 erzählt weiterhin von ‚seinem‘ Buch – immer ist noch nicht ganz klar, warum das Ganze
jetzt letztlich ein Musiktheaterstück geworden ist. Er weist darauf hin, dass die „scharfen, unver-
mittelten Schnitte und Einschübe“ zu ‚seinen‘ Lieblingselementen in ‚seiner‘ Musik zählen. Er spielt
damit auf die schnellen Wechsel im Bühnengeschehen des gerade ablaufenden Stückes an: kürze-
re und längere Redepassagen werden immer wieder durch Musikeinschübe unterbrochen. Des
Weiteren läuft immer wieder mal ein Darsteller auf diese oder jene Weise von der linken Tür zur
rechten. Auch die Dominosteine fallen öfters um (s. 2.2.5). Besonders sticht eine kurze Handlung
hervor, die immer wieder und immer öfter wiederholt wird: Einer der Schauspieler (nicht der, der
gerade Redner ist) tritt aus einer der beiden Türen und steigt schnellen Schrittes auf das jeweils
unbesetzte Podium und schreit mit einem lauten „Stop!“ das Orchester an und verlässt die Bühne
wieder (s. 2.2.12) (Steen-Andersen 2016b: 32ff.).
Wieder reflektiert Mann 2 über die im Stück angewandten Mittel: „Aber das Spannende
an der unvermittelten Zusammenstellung ist ja nicht nur der Kontrast, sondern in hohem Maße
auch die zusammengesetzten Verläufe, die stellenweise zwischen den zusammengeschnittenen
12
Materialien entstehen können…“, und wieder wird die Aussage sofort bestätigt, wenn Mann 2
unmittelbar danach von Mann 1 mit einem einzeiligen Einwurf unterbrochen wird und dann Mann
2 wieder weiter spricht und seinen Satz vollendet: „…sofern diese nicht allzu unterschiedlich sind“.
Wenig später nennt Mann 2 die Selbstreferenz nun auch beim Namen und sagt explizit,
dass sich ‚sein Buch‘ genau damit befassen will. Ab diesem Punkt reflektiert der Text also nicht nur
mehr sich selbst, sondern er sagt auch noch ausdrücklich, dass er sich gerade selbst reflektiert
(Steen-Andersen 2016a: 7f.).
2.2.8 Selbstreferenz und Disposition des Vortrags
Nun spricht wieder Mann 1 und erklärt, dass, wenn ein Text anfängt, sich auf sich selbst zu bezie-
hen, „kleine kognitive Loops, Sinn-Schleifen“ entstehen. Er verknüpft dies mit Bildern und Beispie-
len von Paradoxie und Unendlichkeit, wie die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, wie
ein Spiegel, der sich selbst unendlich spiegelt, oder wie das „Lügenparadox: alles, was ich sage, ist
Lüge“ – dieser Satz ist nämlich wahr und deshalb falsch und ist falsch und deshalb wahr usw. und
Mann 1 fühlt sich bei dieser Art der Abstraktheit und Absolutheit an die Musik erinnert. ‚Er‘ wollte
ein Buch schreiben, das sich komplett um sich selbst dreht, in dem alles mit allem zusammenhängt
und sich kreuz und quer miteinander verbindet. Um dies zu bewerkstelligen, hat ‚er‘ (nun spricht
wieder Mann 2) sich zunächst wissenschaftlich mit dem Phänomen der Selbstreferenz auseinander
gesetzt, die sich seinen Forschungen nach in vier für sein Projekt relevante Grundtypen einteilen
lässt, die nun wie bei einer PowerPoint-Präsentation auf dem Bildschirm zu sehen sind:
1. Die absolute Selbstreferenz
exemplifiziert anhand des Paradoxons und besonders eines sog. ‚Autograms‘
2. Die multimediale Selbstreferenz
exemplifiziert anhand eines Textes, der Musik beschreibt, und des Verhältnisses zwischen
Klang und Bewegung
3. Die autoprozessuelle Selbstreferenz
exemplifiziert anhand eines Textes, der dem Phänomen ausgesetzt wird, das er beschreibt
4. Die selbstzerstörende Selbstreferenz
exemplifiziert anhand eines Textes, der seine eigene Prämisse aufhebt
Das restliche Stück behandelt diese vier Typen nun der Reihe nach. Zunächst die absolute Selbstre-
ferenz anhand eines Autograms, d.h. eines selbstbezüglichen Satzes – ein Satz wird beschrieben,
13
indem die Häufigkeit der in ihm verwendeten Buchstaben aufgezählt wird, was Mann 2 zwar als
reinste Form sprachlicher Selbstreferenz bezeichnet, allerdings auch als sinnlos.
Nun die multimediale Selbstreferenz, die auch durch Requisite und Technik verdeutlicht
wird, da Mann 1 diesen Teil nicht direkt spricht, sondern ein Radio ans Mikrophon hält, aus dem
eine von ihm gesprochene Aufnahme des Textes schallt. Er besagt, dass sich ein Text sehr leicht
auf eine darunter liegende Musik beziehen kann, z.B. in einem Vortrag, wie er ihn ja gerade im
Grunde auch hält. Er weist jedoch darauf hin, dass alle Anwesenden eine Eintrittskarte für ein
Stück „Musiktheater“ gekauft haben; er reflektiert nun also auch über die Umstände und den
Rahmen des gerade stattfindenden Theaterabends an sich. Er lamentiert, dass Text und Musik nur
selten eine wirklich enge Beziehung zueinander haben (Steen-Andersen 2016a: 8ff.).
2.2.9 Gesang
Mann 2 sagt, die häufigste Verbindung von Text und Musik sei ein Lied, wobei dies in ‚seinen‘ Au-
gen keine starke, sondern eher eine willkürliche Beziehung zwischen Text und Musik sei, obwohl
beide aus demselben Mund kommen. Er nimmt auch das Musiktheater allgemein auf die Schippe,
wenn er sagt, dass das Singen von Sätzen die Theatersituation noch künstlicher mache, als sie oh-
nehin schon ist – und bezieht dies auch auf das gerade stattfindende Stück, indem er selbst an-
fängt, Sätze zu singen. Seine These ist dabei, dass ein gesungenes „Ich liebe dich“ keinen Bezug
zwischen Text und Musik herstellt, ein „Ich singe nun“ dagegen einen sehr starken. Um einen wirk-
lich ganz handfesten Bezug zwischen den konkreten Tönen und dem Text, den sie tragen, herzu-
stellen, würde „Quarte aufwärts, dann Se-quenz *sic!+“ oder noch besser „F B D G“, also genau die
Bezeichnungen der gesungen Töne, funktionieren (Steen-Andersen 2016a: 10f.). Spätestens hier
tritt das Stück also als diskursives Metadrama auf, da sprachliche Formen explizit zur dramatischen
Selbstbewusstheit verwendet werden – wobei der Einsatz dieser Mittel hier noch einen Schritt
weiter geht, da sich die Darsteller sie nicht nur einsetzen, sondern sich auch darüber bewusst sind,
dass sie sie einsetzen und warum.
Dieser Absatz beschäftigt sich, wie andere im Stück auch, mit dem Verhältnis und Bezug
zwischen etwas, in diesem Fall zwischen Musik und Text, und seine Lösung für einen starken Bezug
ist Selbstreferenz – der Text, der die Musik genau beschreibt. Der Zustand des ‚Dazwischen‘ ist ein
ebenfalls immer wiederkehrendes Motiv in diesem Stück.
14
2.2.10 Die Beschreibung
Mann 1 stellt fest, dass zwischen einer Beschreibung und dem Beschriebenen ein besonderes
Band besteht, und lenkt den Blick des Zuschauers auf das mittlere der drei Celli auf der Bühne und
den dazugehörenden Cellisten; indem er die Form des Celli beschreibe (es sei mit etwas Fantasie
dem menschlichen Körper nachempfunden), entstünde eine Verbindung zwischen ihm und dem
Cello. Mann 1 weist den Cellisten dann an, einen tiefen Ton zu spielen (was dieser tut), dann einen
hohen, tief, hoch, tief, hoch usw., wodurch eine Art ‚Dialog‘ entstehe und irgendwann nicht mehr
klar unterscheidbar sei, wer auf wen reagiert und es keine eindeutige Hierarchie mehr gebe, son-
dern wieder einen Zustand des ‚Dazwischen‘ (Steen-Andersen 2016a: 11).
In diesem Abschnitt nimmt der Schauspieler mit seinem Text wieder explizit auf andere
Bestandteile des Theaterstückes (in diesem Fall ein Instrument und einen Musiker) Bezug und
beginnt sogar einen Dialog mit diesen. Er erklärt wieder ein Phänomen (nämlich, dass man nicht
eindeutig sagen kann, wer auf wen reagiert) und dieses wird gleichzeitig durch Handlungen illus-
triert.
2.2.11 Multimediale Selbstreferenz
Damit kommt Mann 2 direkt zu einem zweiten Typ der multimedialen Selbstreferenz: dem kausa-
len Verhältnis zwischen Klang und Bewegung. Er sagt, dass meist die Bewegung die Ursache und
der Klang die Wirkung sei, insbesondere bei Musik. Wenn das Orchester spiele, achte das Publi-
kum auf die Musik und nehme die Bewegung gar nicht wirklich wahr. Eine umgekehrte Hierarchie
herrsche dagegen z.B. beim Geräusch von Herrenschuhen eines Mannes, der über eine Bühne
geht – hier stehe die Bewegung im Vordergrund. Mann 2 nimmt hier also Bezug auf den Anfang
des Stückes und die immer wiederkehrende Handlung eines Mannes, der die Bühne überquert. Er
sagt, dass das Geräusch der Herrenschuhe für uns hier Nebenprodukt sei, obwohl es einen so star-
ken Bezug auf die auslösende Bewegung hat, dass wir den Mann fast vor uns sehen, wenn wir nur
das Geräusch seiner Schritte hören. Daraufhin ist genau das Geräusch der Schritte von dem Per-
cussionisten zu hören, das das Publikum nun schon so oft gehört hat, es geht allerdings kein Mann
über die Bühne, nur der Scheinwerfer, der ihn normalerweise verfolgt, geht seinen üblichen Weg.
Und tatsächlich scheint man den Mann quasi zu sehen, obwohl er gar nicht da ist, und wieder
wurde ein besprochenes Phänomen durch seine Demonstration gezeigt. Es geht wieder um Bezü-
ge, die zwischen den verschiedenen Ebenen (Bewegung, Licht, Geräusch) entstehen.
15
Ähnlich wie oben (s. 2.2.10) beim ‚Dialog‘ zwischen Redner und Cello („tief, hoch“) möchte
Mann 2 nun die Hierarchie von Klang und Bewegung aufheben, so dass nicht mehr unterscheidbar
ist, was Ursache und was Wirkung ist und so ein ‚Dialog‘ entsteht. Und wieder wird dieses Phäno-
men illustriert, durch ein musikalisches Paradoxon, nämlich einen „Tanz, der sich selbst begleitet“.
Hierfür ‚tanzt‘ das Orchester und erzeugt dabei gleichzeitig Musik/Geräusche, indem es in großen
eckigen Bewegungen mit den Holzteilen ihrer Bögen über die Saiten streicht und sich zwei Posau-
nisten gegenüberstehen und mit den Zügen ihrer Instrumente aufeinander abgestimmte Bewe-
gungen vollziehen – es lässt sich nicht genau sagen, ob die Bewegungen oder die daraus entste-
henden Geräusche wichtiger sind (Steen-Andersen 2016a: 11f.; Steen-Andersen 2016b: 72ff.).
2.2.12 Die autoprozessuelle Selbstreferenz 1
Mann 1 erläutert, dass im dritten Typus, der autoprozessuellen Selbstreferenz, ein Text nicht nur
von sich selbst handelt, sondern dem ausgesetzt ist, wovon er handelt. Der Text, der gerade vor-
getragen wird, handelt von unvermittelt eingeschobenen musikalischen Materialien und wird im-
mer wieder durch unvermittelt eingeschobene musikalische Materialien unterbrochen, insbeson-
dere von einem bestimmten Material, nämlich der Handlungssequenz, dass ein Mann „Stop!“ zum
Orchester hin schreit. Mann 1 macht darauf aufmerksam, dass diese Einschübe anfangs noch sel-
ten auftraten und unmotiviert gewirkt haben, jetzt aber immer häufiger auftreten. Die „Stop!“-
Sequenz wurde zudem im Laufe des Stückes um weitere kurze Handlungen mit entsprechenden
Geräuschen ergänzt, insbesondere, dass im Anschluss daran der Schreiende nach vier Takten ein
fragendes „Hallo?“ ins Mikro spricht, oder dass der Schreiende oder auch ein anderer Mann drei-
mal gegen ein Mikrophon klopft, oder dass ein Darsteller die vier Stufen auf der Treppe auf der
Bühne hinunterläuft. Mann 1 sagt, dass sein Vortrag allmählich von seinem eigenen Thema über-
nommen werde und die Musik nun nicht mehr der Handlung unterliege, sondern umgekehrt, und
der Text allmählich zum Hintergrund für die Musik werde. Und tatsächlich treten die Einwürfe
durch Schreien, die Treppe hinunterlaufen, gegen das Mikro klopfen etc. immer häufiger auf, und
während Mann 1 sagt, dass sich die Schnitte immer mehr verdichten und sich der Text immer wei-
ter auflöst, passiert genau das, bis er am Ende seinen Text gar nicht mehr sprechen kann vor lauter
Einwürfen (Steen-Andersen 2016a: 12; Steen-Andersen 2016b: 86ff).
16
2.2.13 Geschichte
Mann 2 reflektiert noch einmal darüber, dass es sich hierbei um die Geschichte genau dieser Ge-
schichte handelt. Er redet den Autor nun mit „Du“ an und fragt ihn, ob er nicht zu früh verraten
hat, dass diese Geschichte von sich selbst handelt (Steen-Andersen 2016a: 12f.). Dies ist auf zwei-
erlei Weise paradox, denn erstens hat ja der Autor Steen-Andersen den Text, in dem er jetzt be-
schuldigt wird, die Pointe zu früh verraten zu haben, selbst geschrieben, und zweitens ist es völlig
sinnlos, an diesem Punkt des Stückes zu überlegen, ob man es anders hätte anfangen sollen, da
der Anfang längst vorbei ist.
2.2.14 Die autoprozessuelle Selbstreferenz 2
Mann 1 und 2 sprechen nun synchron, d.h. genau gleichzeitig, über eine zweite Art der autopro-
zessuellen Selbstreferenz, nämlich über die Synchronisation. Sie vergleichen sie zunächst mit dem
musikalischen Unisono, woraufhin die Musiker einige Beispiele bringen, um die angesprochenen
Arten des Unisono (perfektes, annäherndes, in Oktaven) jeweils zu illustrieren. Die Männer weisen
aber darauf hin, dass man das Synchrone potentiell als asynchron erleben können muss, um es
nicht lediglich als Gleichzeitigkeit wahrzunehmen. Sie sprechen darüber, wie ihre beiden Stimmen
mit Hilfe des Balancereglers am Mischpult da oben hinter dem Publikum (wo es sich tatsächlich
befindet) zusammengeführt und so zu Mono werden, wo die feinen Übergänge zwischen synchro-
nem und asynchronem Sprechen noch deutlicher zu hören sind. Und es ist tatsächlich sehr deut-
lich zu hören, wenn die beiden einmal nicht perfekt synchron sprechen. Sie sagen, dass die Ver-
schiebungen weniger zu hören sind, wenn sie Stereo zu hören sind – was unmittelbar durch die
Technik realisiert wird. Sie sagen dann, dass, wenn die Verschiebungen sich immer weiter vergrö-
ßern (und während diesen Zeilen beginnen sie, immer mehr versetzt zu sprechen), die Zuhörer
irgendwann nur noch einer Schallquelle zuhören können – was genau in diesen Momenten eintritt.
Die Männer sagen auch, dass sich die Aufmerksamkeit des Publikums nun auf die neuen Bedeu-
tungen fokussiert, die durch den Zusammenprall zwischen den jetzt immer verschiedenen, da
versetzt gesprochenen Wörtern entstehen. Denn auch wenn diese verschiedenen Wörter zusam-
men nicht immer einen Sinn ergeben, akzeptieren wir doch die Bilder, die durch die neuen Ver-
bindungen entstehen (Steen-Andersen 2016a: 13f.).
Auch in diesem Abschnitt wird ein Phänomen, die Synchronisation, beleuchtet und de-
monstriert und die Eindrücke des Publikums werden beschrieben im selben Moment, in dem sie
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passieren. Außerdem geht es wieder um einen Zustand dazwischen, diesmal um die neuen Bedeu-
tungen, die zwischen den Verschiebungen entstehen.
2.2.15 Im Fall
Mann 1 liest nun einen Text vor, wobei seine Stimme mit Hilfe der Technik schrittweise um eine
Oktave tiefer transponiert wird. In dem poetischen Text geht es um den Zustand zwischen Schla-
fen und Wachen, zwischen Traum und Wirklichkeit – also wieder um einen Zustand des Dazwi-
schen. Der Ich-Erzähler des Textes kann irgendwann nicht mehr unterscheiden, welche von seinen
Wahrnehmungen real und welche erträumt sind; er ‚fällt‘ langsam in den Schlaf (Steen-Andersen
2016a: 14f.). Dieses Fallen wird also durch die immer tiefer werdende Stimme mit Hilfe von tech-
nischen Mitteln verdeutlicht.
2.2.16 Schlußmonolog
Mann 1 und 2 sprechen wieder synchron, sprechen aber trotzdem in der ich-Form, wodurch
die ungewöhnliche Situation eines vorgetragenen Textes entsteht, der eigentlich nur einen
Verfasser hat, aber von zwei Individuen verdoppelt vorgetragen wird.3 Sie reflektieren, be-
vor sie zum vierten und letzten Punkt, der selbstzerstörenden Selbstreferenz, kommen wol-
len, über die Frage, was ‚sie‘ mit dem ganzen Stück eigentlich zeigen wollen – und gleichzei-
tig auch, warum es jetzt wieder zwei synchrone Sprecher gibt, also auch über ihre eigene,
momentane Situation, wobei ihnen auch diese Worte wieder vom Autor Steen-Andersen in
den Mund gelegt wurden. Sie resümieren über das Werk und durch sie resümiert Steen-
Andersen über sein eigenes Werk:
„Ich will grundsätzlich nichts anderes als musizieren und das Verhältnis zwischen
Text, Klang und Bewegung auf einem Fundament der Selbstreferenz erforschen,
damit ich mit den Begriffen und der Theatersituation spielen kann, ohne zu konkret
zu werden. Es gibt keinerlei Fazit oder irgendeinen höheren Sinn. Selbstreferenz ist
eine allgemein verwendete Technik, die ironische Distanz und ‚Verfremdung‘ her-
stellen kann, so dass man sich der jeweiligen Situation bewusst wird und die Dinge
aus einer anderen Perspektive sieht. Meine Idee war, einen Schritt weiterzugehen
3 In ihrem gemeinsamen, eher technischen Vortrag zur Synchronisation haben sie nie aus ihrer eigenen Per-
spektive gesprochen, sondern nur allgemeine wissenschaftliche Fakten aufgezählt. Daher kam auch keine „Ich“-Perspektive vor.
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und eine Selbstreferenz in zweiter Potenz zu erforschen, wo der Text nicht nur
selbstbezüglich, selbstreferierend durchgeführt ist, sondern auch das Phänomen
der Selbstreferenz behandelt und darüber hinaus den Phänomenen ausgesetzt wird,
die er beschreibt, so dass er in [sic!] zwei- oder sogar im dreifachen Sinne auf sich
selbst verweist. Natürlich kann man sich fragen, ob es überhaupt möglich ist, ein
ganzes Werk zu erschaffen, das nur von sich handelt, und ob es sich dabei tatsäch-
lich auflöst, wie ich behauptet habe. Aber ich finde, viel spannender ist die Frage,
was einem im Kopf herumgeht, wenn man zwei Männer erlebt, die einen Text im
Chor vorlesen, der die Frage stellt, was einem im Kopf herumgeht, wenn man zwei
Männer erlebt, die einen Text im Chor vorlesen. Oder ob man Text und Musik stär-
ker miteinander verbinden kann, indem man sie sich gegenseitig beschreiben und
sie die Entschuldigung für den jeweils anderen sein lässt. Manche werden sicher sa-
gen, dieser Teil des Experiments sei misslungen, weil die sparsame Musik den Text
bloß illustriert habe und man nicht von gleichwertiger Integrierung sprechen könne,
aber was, wenn ich Ihnen sage, dass die Musik zuerst entstand und dass also der
Text die Musik illustriert? *…+ Und ich sagte ja schon, ich habe keinen Ehrgeiz,
Schriftsteller zu sein. Insofern kann es mit dem Buch auch vollkommen wurscht sein
– vergessen Sie’s, es war nur ein Versuch, eine Entschuldigung um mit Text zu arbei-
ten.“
Durch diese Beschäftigung mit dem Sinn des Textes beginnt die selbstzerstörende Selbstreferenz
und damit seine eigene Auflösung. Der Autor (gesprochen von Mann 1 und 2) sieht in der Selbst-
aufhebung und Sinnlosigkeit selbst Schönheit und damit, wenn man ihn unbedingt finden möchte,
einen höheren Sinn – der Sinn des Stückes ist seine Sinnlosigkeit. Er weist auch darauf hin, dass die
gerade gesehene Aufführung in hohem Maße flüchtig ist und auch durch eine Dokumentation nur
begrenzt festgehalten werden kann. Die einzige Belohnung der Aufführung sei ihre Durchführung,
wie bei einem Autogram, das ein rein linguistisches Spiel ist und zwar durchgeführt werden kann,
jedoch nichts bedeutet. Mann 1 und 2 sagen, dass Sinnlosigkeit die Grundprämisse von allem wäre,
da auch der Mensch ein selbstzerstörendes Kunstwerk sei. Sie werden dann über das scheinbare
Unverständnis des Publikums wütend (oder tun zumindest so, als wären sie wütend): „Seht ihr
denn nicht die Schönheit darin? *…+ Unglaublich, dass ihr’s nicht mal versucht *…+ Arschlöcher!
Und jetzt Schluss mit dem Spielen *…+ Aufhören! *an die Musiker gewandt+ Ich meine es ernst –
lasst die Noten sein, aufhören! Hört auf mit dem Scheiß! Stooop! Stoop!*…+” – bis die Musiker
schließlich abbrechen. Dann wenden sich Mann 1 und 2 an die Technik / Regie hinter dem Misch-
pult und beschimpfen auch diese: “*E+ine extreme billige Idee, dass die Musik meinen Ausbruch
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begleitet, um das Drama zu unterfüttern”. Sie reflektieren also wieder darüber, was sie selbst ge-
tan haben und wie die Musik sich dazu verhalten hat. Dann wenden sich die Doppelgänger einan-
der zu: „Und du kannst auch mal langsam aufhören, ist echt nicht mehr lustig *…+“ bis sie von Si-
mon Steen-Andersen, der oben am Mischpult sitzt, unterbrochen werden: „Warte, stop! Stop!
Könnten wir’s nicht doch mal MIT den Musikern ausprobieren? *…H+ier brauchen wir wieder die
Musiker, sonst macht es für mich keinen Sinn. Können wir das bitte noch mal machen von ‚Hör auf
oder ich komm rüber und hau dir in die Fresse‘? 3, 4, los!“, woraufhin Mann 1 und 2 genau da
einsetzen, dann gespiegelt auf einander zugehen und sich in extremer Slow-Motion zu Boden
schlagen; das Orchester spielt noch weiter und bringt dabei immer wieder bereits bekannte Töne /
Geräusche wie z.B. das Schließen der Tür, mit dem das Stück auch endet (Steen-Andersen 2016a:
15ff.; Steen-Andersen 2016a: 152ff.).
Das Stück ist sinnlos, die eben erlebte Aufführung flüchtig und das Buch, das geschrieben
werden sollte, nur eine Entschuldigung – der Text hebt in den letzten Zeilen seine eigene Prämisse
auf und die einzelnen Elemente des Stückes (Schauspieler, Musiker, Regisseur) wenden sich ge-
geneinander und zerstören sich gegenseitig, bis durch den Eingriff des Regisseurs sogar die Auf-
führungssituation aufgelöst und in eine Probensituation umgewandelt wird – das Stück hat somit
aufgehört, als abgeschlossenes Werk zu existieren, und befindet sich stattdessen noch in der Ent-
stehungsphase und wird noch verändert.
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2.3 Ergebnisse der Analyse
Besonders auffällig ist, wie stark Text (gesprochen und geschrieben), Schauspiel, Musik, Bewegung,
Licht, Geräusch, Tontechnik und Bühnenbild Bezug aufeinander nehmen und sich gegenseitig af-
firmieren oder kontrastieren. Häufig sind dabei die Bewegungen und Bühnenvorgänge genauso
wichtig wie die Musik und der Text – und gleichzeitig werden die Bewegungen selbst zur Musik,
denn alles ist komponiert.4 Der Autor möchte Hierarchien aufheben und Dialoge zwischen all den
Elementen erzeugen.
Der Autor verwendet viele der klassischen literarischen Mittel der Selbstreferenz, insbe-
sondere das Selbstzitat, wenn sich die Geschichte als seine eigene Geschichte erkennt, und Wie-
derholungen und Loops von Text- und Musiksequenzen sowie Bewegungen, aber auch Paradoxien
und Spiegelungen, z.B. durch die Doppelgänger und die Verwendung des Spiegelkastens. Man
kann itttanw kann als thematisches, episierendes, diskursives, figurales Metadrama bezeichnen,
das über das Theater selbst reflektiert, den Autor mit ins Geschehen bezieht, die Wahrnehmungs-
gewohnheiten des Publikums thematisiert und Darsteller zeigt, die sich selbst als solche erkennen.
Außerdem reflektiert das Stück über die Entstehung eines Stückes und zwar, und hier geht Steen-
Andersen einen Schritt weiter als viele andere Metadramen, die Entstehung genau dieses Stückes.
Das Stück spielt so mit der Grenze zwischen Realität und Fiktion und baut zahlreiche Illusionsbrü-
che ein. Der Schwebezustand eines ‚Dazwischen‘ wird generell im Ganzen Stück öfter behandelt,
ob zwischen Text und Musik, Klang und Bewegung, Traum und Wirklichkeit oder Figur und Schau-
spieler.
Ein weiteres Motiv im Stück ist die Erläuterung von Phänomenen aus verschiedenen Wis-
senschaften (z.B. Schall aus der Physik, Wahrnehmung aus der Psychologie, Repräsentation aus
der Theaterwissenschaft) und deren anschließende Realisierung durch Vorgänge auf der Bühne
(z.B. Dominosteine für Schall, Synchronisation über Lautsprecher etc.). Sehr auffällig in diesem
Stück ist auch die durchkomponierte Zusammensetzung von sehr vielen, oft sehr kurzen Vorgän-
gen (Musikeinwürfe, Textstellen, „Stop!“-Schreien, Treppen hinunterlaufen, Dominosteine um-
werfen u.v.m.), von denen viele auch häufig wiederholt, teilweise in unterschiedlichen Variationen,
4 Dies ist typisch für das sog. Composed Theatre, dem itttanw eindeutig zuzurechnen ist: Seit Anfang des 20.
Jahrhunderts haben Komponisten wie Arnold Schönberg, John Cage oder Mauricio Kagel begonnen, alle Elemente einer Theateraufführung als musikalisches Material zu betrachten, nicht mehr nur die Musik. Sie behandeln demnach auch Bewegungen, Gestik, Licht, Geräusche, Bilder etc. nach musikalischen Prinzipien und kompositorischen Techniken. Musikalisches Denken wird so auf die Aufführung als Ganzes übertragen und die Musikalität von theatralen Aufführungen und die Theatralität von musischen Aufführungen liegen im Fokus der vielfältigen Formen des Composed Theatre (Roesner 2012: 9).
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wie das über die Bühne gehen, und die alle zueinander in Bezug gesetzt werden. Dies ist auch sehr
deutlich in der Partitur zu sehen, in der nicht nur die Noten der Musiker eingetragen sind, sondern
auch der gesprochene/geschriebene Text, die Bewegungen, Lichteinsätze etc. Die enge Verknüp-
fung aller Kleinstteile wird auch immer wieder deutlich gemacht, z.B. wenn man nach mehrmaliger
Wiederholung den Mann, der über die Bühne geht, gar nicht mehr wirklich braucht, sondern Licht
und Geräusche ausreichen.
Im Stück wird auch häufig Bezug auf etwas genommen, was deutlich früher im Stück pas-
siert ist und im Nachhinein eine neue Bedeutung erhält. So nimmt das Stück zudem ebenfalls auf
sich selbst Bezug, wenn es Dinge thematisiert, die in ihm selbst vor einiger Zeit passiert sind. Prak-
tisch alles im Stück baut irgendwie aufeinander auf; z.B. referiert der Sprecher relativ zu Beginn
getrennt über Klang/Musik und Bewegung, dann über Klang (Schall) als Bewegung und schließlich
über das Zusammenspiel von Klang und Bewegung.
Der Autor untersucht auch, wie gewisse selbstreferenzielle Prozesse (z.B. der der Reprä-
sentation, denn Schauspieler tun so ‚Als ob‘, während Musik ‚echt‘ ist) im einem (gesprochenen)
Text im Vergleich dazu funktionieren, wie sie in der Musik ablaufen, da seiner Aussage zufolge
Text meist konkret und Musik meist abstrakt ist. Ein ebenfalls häufig eingesetztes Mittel der Selbs-
treferenz ist, dass die Schauspieler darüber sprechen, was gerade in diesem Moment passiert –
mit ihnen selbst, mit den Musikern, oder auch mit dem Publikum.
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3 Fazit
Eine der wichtigsten selbstreflexiven Strategien in if this then that and now what sind Wiederho-
lungen, die auf den Ebenen Text, Musik, Bewegung, Bühnenbild (z.B. Dominosteine) und Licht
stattfinden. Verknüpft werden diese Ebenen v.a. dadurch, dass der gesprochene Text immer wie-
der Bezug auf die anderen Komponenten nimmt und darüber reflektiert, was gerade bei bzw. ins-
besondere zwischen diesen passiert, wie zwischen Musik und Text oder Klang und Bewegung. Und
die im Text angesprochenen Bezüge und Phänomene werden dann wiederum von Musik, Musi-
kern, Technik etc. aufgegriffen und bestätigt. Hierdurch hebt das Stück die Hierarchien zwischen
all den Ebenen auf und Dialoge zwischen ihnen initiiert, wodurch häufig nicht mehr klar feststell-
bar ist, was an dem gerade Wahrgenommenen die Ursache und was die Wirkung ist. Oft wird auch
Bezug auf etwas genommen, das bereits deutlich früher im Stück passiert ist, manchmal wird auch
etwas angekündigt, das gleich passieren wird. Die stärkste Selbstbezüglichkeit entsteht aber si-
cherlich dadurch, dass sich das Stück nicht nur selbst als solches erkennt, sondern seine eigene
Entstehung und am Ende seine eigene Auflösung behandelt und über das Phänomen der Selbstref-
lexivität reflektiert und diesem ausgesetzt ist.
Es ist Simon Steen-Andersen sicherlich gelungen, ein Stück zu schreiben, das sich in hohem
Maße um sich selbst dreht und dabei gleichzeitig Theater, Lecture Performance, Konzert, Lichtin-
szenierung und Installation ist. Und auch den Akt des Musizierens konnte er so hervorheben, dass
er genauso wichtig erscheint wie die Musik selbst. Er komponiert alle Elemente, also auch das
Licht, die Bewegungen etc., und kann diese so zum Teil der musikalischen Struktur machen.
Nach zwei Stunden endloser Schleifen und Selbstbezügen und Zerstückelungen raucht
einem als Zuschauer schon ein wenig der Kopf. Und das, obwohl man sicherlich nicht alle selbstre-
ferenziellen Spiele aufnehmen konnte. Aber dass Steen-Andersen die Selbstreferenzialität weiter
getrieben hat als die meisten anderen, ist sicherlich jedem klar geworden.
[44 152 Zeichen]5
5 In diese Zeichenzahl sind auch die Literaturangaben im Fließtext (in den Klammern) mit eingerechnet.
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