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Vierteljahresschriſt zur empirischen Wirtschaſtsforschung, Jg. 46 Institut der deutschen Wirtschaft IW-Trends 4/2019 Konjunktur tritt auf der Stelle – IW-Konjunkturprognose und Konjunkturumfrage Winter 2019 IW-Forschungsgruppe Gesamtwirtschaſtliche Analysen und Konjunktur Online-Sonderausgabe Nr. 2.2019

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Vierteljahresschrift zur empirischenWirtschaftsforschung, Jg. 46

Institut der deutschen Wirtschaft

IW-Trends 4/2019Konjunktur tritt auf der Stelle – IW-Konjunkturprognose und Konjunkturumfrage Winter 2019IW-Forschungsgruppe Gesamtwirtschaftliche Analysen und Konjunktur

Online-Sonderausgabe Nr. 2.2019

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Vorabversion aus: IW-Trends, 46. Jg. Nr. 4Herausgegeben vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.

Verantwortliche Redakteure:Prof. Dr. Michael Grömling, Telefon: 0221 4981-776Holger Schäfer, Telefon: 030 [email protected] · [email protected] · www.iwkoeln.de

Die IW-Trends erscheinen viermal jährlich, Bezugspreis € 50,75/Jahr inkl. Versandkosten.

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

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Konjunktur tritt auf der Stelle - IW-Konjunkturprognose und IW-Konjunkturumfrage Winter 2019IW-Forschungsgruppe Gesamtwirtschaftliche Analysen und Konjunktur*, Dezember 2019

ZusammenfassungDie deutsche Volkswirtschaft stagniert. Die Industrie befindet sich seit 2018 in der Rezession und auch die Wertschöpfung der Unternehmensnahen Dienstleister ging im zweiten und dritten Quartal 2019 zurück. Dies ist zum einen die Folge einer zyklischen Normalisierung nach einer hochausgelasteten Phase. Zum anderen belasten Protektionismus und geopolitische Verunsicherungen die globale Inves­titionstätigkeit und dies trifft die stark im internationalen Investitionsgütergeschäft aktive deutsche Industrie besonders. Gemäß der IW­Konjunkturumfrage vom Herbst 2019 gehen die Unternehmen mit sehr zurückhaltenden Export­, Investi­tions­, Beschäftigungs­ und Produktionsperspektiven in das kommende Jahr. Verwendungsseitig bleibt allerdings die Konsumkonjunktur – vor allem der öffent­liche Konsum – nach oben gerichtet. Auch die Bauinvestitionen bleiben auf Wachs­tumskurs. Lediglich von der Außenwirtschaft und von den Ausrüstungsinvestitionen kommen keine Konjunkturimpulse. Sofern sich die Weltwirtschaft nicht weiter verschlechtert – sie wird im kommenden Jahr ähnlich wie in 2019 mit etwa 2 ¾ Prozent zulegen – und die strukturellen Anpassungslasten in Teilen der Industrie nicht Überhand nehmen, ist im späteren Verlauf des kommenden Jahres mit etwas Auftrieb zu rechnen. Nach einem Zuwachs beim realen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 in Höhe von rund 0,5 Prozent wird für das kommende Jahr ein Plus von 0,9 Prozent erwartet. Dieser Zuwachs ergibt sich auch aus einem deutlich positiven Arbeitstageeffekt. Die Arbeitslosigkeit sinkt im Jahr 2019 noch leicht, in 2020 kommt der seit 2013 anhaltende Abbau jedoch zu einem vorläufigen Ende.

Stichwörter: Konjunktur, Arbeitsmarkt, Staatshaushalt, FinanzmärkteJEL­Klassifikation: E2, E3, E5, E6

*Autoren: Hubertus Bardt, Martin Beznoska, Markus Demary, Michael Grömling, Michael Hüther, Galina Kolev, Jürgen Matthes, Jochen Pimpertz und Holger Schäfer

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Breit und dauerhaft angelegte IndustriekriseDas Wachstumstempo der deutschen Volkswirtschaft hat erheblich nachgelassen. Im zweiten und dritten Quartal 2019 war auf gesamtwirtschaftlicher Ebene kaum noch Bewegung zu beobachten. Die Wachstumsschwäche prägte bereits das Jahr 2018. Im Durchschnitt der letzten sieben Quartale belief sich der Zuwachs des preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegen-über dem jeweiligen Vorquartal auf nur noch 0,1 Prozent. Im krassen Gegensatz dazu wurde in den Jahren 2016 und 2017 ein relativ gleichmäßiger Zuwachs von knapp 0,7 Prozent pro Quartal erwirtschaftet.

Hinter diesem stagnierenden Gesamtbild steht eine gespaltene Branchenkonjunk-tur. Die Bauwirtschaft konnte im Jahresverlauf 2019 weiter expandieren – zumindest so stark, wie es die Kapazitäten zulassen. Der Dienstleistungssektor hat zwar an Expansionstempo eingebüßt, er legte allerdings leicht zu. Aber auch hier gibt es keine einheitliche Richtung: Die preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigte Brut-towertschöpfung der Unternehmensdienstleister und des Bereichs Handel/Verkehr/Gastgewerbe ging im zweiten und dritten Quartal 2019 jeweils gegenüber dem Vorquartal zurück. Positive Wachstumsbeiträge kamen aus dem Banken- und Versicherungsbereich sowie vom Staat. Die deutsche Industrie steckt tief in einer Rezession. Auf Basis der realen Bruttowertschöpfung gemäß den Volkswirtschaft-lichen Gesamtrechnungen (VGR) war das erste Halbjahr 2018 allerdings noch re-lativ stabil. Danach kam es zu einem ausgeprägten und durchgehenden Rückgang. Im dritten Quartal 2019 lag die preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigte Brut-towertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes um knapp 5 Prozent unter dem Volumen vom ersten Halbjahr 2018. Gemäß dem Produktionsindex beläuft sich der Rückgang gleichzeitig auf 5,6 Prozent. Abbildung 1 zeigt, dass die industrielle Schrumpfung auf breiter Ebene zu beobachten ist. Einbrüche im zweistelligen Bereich gab es im Betrachtungszeitraum erstes Halbjahr 2018 bis drittes Quartal 2019 im Automobilbereich sowie in der Chemie- und Pharmaindustrie. Bei der Elektroindustrie und im Metallbau belaufen sich die Einbußen auf rund 5 Prozent. Der Maschinenbau stagnierte zunächst vom ersten Quartal 2018 bis zum ersten Quartal 2019, danach setzte ein anhaltender Rückgang ein. Einzig der Bereich Sonstiger Fahrzeugbau, zu dem Flugzeuge, Schiffe und Schienenfahrzeuge zählen, konnte sich vom industriellen Mainstream abkoppeln.

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Abbildung 1: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/ozMFfCBsepMagxG

Zeitversetzt reagierte die Kapazitätsauslastung in der Industrie. Diese stieg zunächst ausgehend vom langjährigen Durchschnittswert von rund 84 Prozent im Jahr 2016 auf über 88 Prozent im ersten Quartal 2018 an. Ähnlich hohe Niveaus wurden nur am Ende des New-Economy-Booms im Jahr 2001 und unmittelbar vor der globalen Finanzmarktkrise im Jahr 2008 gemessen. So gesehen setzte der aktuelle Rückgang der Industrie bei einem sehr hohen Auslastungsniveau ein. Ein Teil dieses Rückgangs kann daher als eine zyklische Normalisierung verstanden werden. Bis Oktober 2019 ging der Auslastungsgrad allerdings auf nunmehr gut 82 Prozent zurück. Lässt man die besondere Fallhöhe des Krisenjahres 2009 außen vor, dann liegt die aktuelle Kapazitätsnutzung auf dem Niveau früherer Industriekrisen. Es kann derzeit davon ausgegangen werden, dass im Winterhalbjahr 2019/2020 die Auslastung der Indus-trie weiter sinkt, und zwar merklich unter die Niveaus von früheren Rezessionen.

Mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 ist der gegenwärtige Rückgang der indus-triellen Bruttowertschöpfung der stärkste im vergangenen Vierteljahrhundert. Was die Dauer angeht, kann das Ausmaß früherer Industrierezessionen ebenfalls noch übertroffen werden. Für die aktuelle Industrierezession können – jenseits der zyk lischen Normalisierung – im Wesentlichen zwei Erklärungen angeführt werden:

Rückgang der Industrieproduktion auf breiter FrontVeränderung 3. Quartal 2019 gegenüber 1. Halbjahr 2018 in Prozent1)

1) Auf Basis kalender- und saisonbereinigter Werte.Quellen: Deutsche Bundesbank; Institut der deutschen Wirtscha�

Abbildung 1

Sonstiger Fahrzeugbau

Nahrungs-/Genussmittel

Maschinenbau

Metall

Elektro

Industrie

Papier/Druck

Chemie/Pharma

Kra�wagen

–20,0 –15,0 –10,0 –5,0 0,0 5,0 10,0 15,0

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■■ Zum einen finden – wie Abbildung 1 zeigt – vor allem im Automobilbereich ausgeprägte Produktionsanpassungen statt. Dieser Wirtschaftsbereich ist wie-derum über Zulieferungen mit einer Reihe von anderen Industriesparten eng verbunden. Die Produktion lag im Bereich Kraftwagen im dritten Quartal 2019 um 15,6 Prozent unter dem Volumen vom ersten Halbjahr 2018. Während im zweiten Halbjahr 2018 Verzögerungen bei einem neuen weltweiten Genehmi-gungsstandard (WLTP) der Branche zusetzten, machen sich nunmehr strukturelle Anpassungen vor allem im Zulieferbereich durch neue Technologien – infolge der Digitalisierung und der Frage nach neuen Antriebstechniken – bemerkbar. Die Klimadebatte verstärkt den Anpassungsdruck.

■■ Zum anderen bekommt die deutsche Industrie insgesamt aufgrund ihrer hohen Weltmarktorientierung die sich abkühlende Weltkonjunktur unmittelbar zu spüren. Geopolitische Verunsicherungen und Handelskonflikte belasten die Weltkonjunktur und die Investitionsneigung rund um den Globus und dies hat sichtlich dem deutschen Exportgeschäft den Schwung genommen.

Die gegenwärtige Lage der deutschen Industrie stellt – wie das Beispiel der Auto-mobilindustrie anschaulich zeigt – eine Überlagerung von konjunkturellen und strukturellen Verunsicherungen und Effekten dar (Grömling/Matthes, 2019). Neben den Auswirkungen der nachlassenden Weltkonjunktur bestimmen auch Standort-faktoren und technologische Herausforderungen die Lage und Perspektiven der deutschen Industrie. Von den gut 2.300 im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage konsultierten Unternehmen gehen über zwei Drittel davon aus, dass nach dem Jahr 2020 mit einer anhaltend schwachen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zu rechnen ist. Nur gut ein Fünftel erwartet eine nachhaltige Erholung nach 2020. Vor allem die Industriefirmen drücken eine ausgeprägte Skepsis hin-sichtlich der weiteren gesamtwirtschaftlichen Dynamik hierzulande aus: 72 Prozent der Industriefirmen stellen sich auf eine persistente Schwäche ein. Dies kann da-hingehend interpretiert werden, dass die strukturellen Anpassungslasten am In-dustriestandort Deutschland derzeit in der Wahrnehmung der Unternehmen die rein zyklischen Bremsmomente dominieren.

Mit Blick auf das Jahr 2020 erwarten die Unternehmen in Deutschland zunächst eine Fortsetzung der aktuellen Schwächephase (Abbildung 2). Die kurzfristigen Produktionsperspektiven der deutschen Firmen haben sich seit Herbst 2017 und

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Abbildung 2: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/asZ8S6Ddiqpd3yM

Frühjahr 2018 erheblich verschlechtert: Belief sich damals die Differenz aus posi-tiven und negativen Produktionserwartungen in Deutschland auf über 40 Prozent-punkte, so rutschte dieser Saldo im Herbst 2019 erstmals seit Herbst 2012, als die Staatsschuldenkrise im Euroraum die europäische Konjunktur belastete, wieder ins Minus. Derzeit erwartet nur noch ein Viertel der 2.300 befragten Unternehmen im Jahr 2020 einen Produktionszuwachs. Dagegen geht fast ein Drittel von einem Rückgang bei den Geschäftsaktivitäten im nächsten Jahr aus. 43 Prozent der Firmen erwarten eine Stagnation hinsichtlich der eigenen Geschäfte.

Vor allem die industriellen Hersteller von Vorleistungs- und Investitionsgütern gehen pessimistisch in das neue Jahr. Rund 40 Prozent dieser stark im internatio-nalen Geschäft aktiven Firmen sehen für 2020 eine niedrigere Produktion als in 2019, die optimistischen Firmen haben jeweils nur noch ein Gewicht von 23 Prozent. In der deutschen Konsumgüterindustrie sind die Konjunkturerwartungen etwas besser, aber auch dort dominieren die Pessimisten mit 33 Prozent leicht die Opti-misten mit 29 Prozent. Im Gefolge der Industrierezession haben die Dienstleister ebenfalls an Tempo eingebüßt. Das gilt ebenso für das Jahr 2020. Die pessimisti-schen Serviceunternehmen haben mit knapp 28 Prozent sogar die Oberhand über

Produktionserwartungen der deutschen Unternehmen im ZeitverlaufSaldo zwischen positiven und negativen Produktionserwartungen der Unternehmen auf Basis der IW-Konjunkturumfragen1) in Prozentpunkten

1) Frühjahrsumfrage (F): Erwartungen für das laufende Jahr, Herbstumfrage (H): Erwartungen für das kommende Jahr.Quelle: Institut der deutschen Wirtscha�

Abbildung 2

–60

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F H F H F H F H F H F H F H F H F H F H F H F H F H F H F H05 05 06 06 07 07 08 08 09 09 10 10 11 11 12 12 13 13 14 14 15 15 16 16 17 17 18 18 19 19

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die Optimisten mit knapp 26 Prozent. In der Bauwirtschaft dominieren nach wie vor diejenigen Firmen, die im kommenden Jahr einer höheren Produktion entge-gensehen. Aber auch hier hat sich die Zuversicht zurückgebildet. Im Gegensatz zur Industrie, wo sich die Perspektiven infolge der schwachen Weltnachfrage und der hohen Verunsicherung eingetrübt haben, dürften im Baubereich eher die kaum ausweitbaren Kapazitäten einem weiteren Produktionsanstieg im Wege stehen.

Aus der Dispersion – nicht dem Saldo – von positiven und negativen Produktions-erwartungen auf Basis der IW-Konjunkturumfrage können Rückschlüsse über Unsicherheit zwischen den Unternehmen gewonnen werden (siehe ausführlich Grömling, 2019a). Demnach ist im Jahresverlauf 2019 die konjunkturelle Unsicher-heit in Deutschland deutlich angestiegen. Das so gemessene Ausmaß an Konjunk-turunsicherheit lag zuletzt nahe am Rekordwert vom Herbst 2008. Vor allem in der Industrie ist die Ungewissheit höher als in den anderen großen Wirtschaftsbe-reichen. Dies liegt möglicherweise daran, dass die Industrie aufgrund der hohen Weltmarktorientierung vielfältigeren Risiken ausgesetzt ist als einige Dienstleister und Baufirmen, die oftmals eher in einem begrenzten regionalen Wirtschaftsraum aktiv sind.

Kaum Spielraum für die Geldpolitik Das Umfeld aus niedrigen Realzinsen und niedriger Inflation lassen der Europäischen Zentralbank (EZB) kaum Spielraum, um eine noch expansivere Geldpolitik durchzu-führen. Damit wird es ihr schwerfallen, sich einer drohenden weiteren Abschwächung der Wirtschaft entgegenzustellen. Im Hinblick auf die seit Jahren sinkende Verschul-dung vieler Unternehmen und die anhaltend günstigen Finanzierungskosten sind bislang trotz Wirtschaftsabschwächung keine größeren Finanzierungsschwierigkeiten bei den meisten Unternehmen zu befürchten.

Im September 2019 hat die EZB aufgrund drohender Risiken für das Wirtschafts-wachstum und noch nicht verankerter Inflationserwartungen in der Nähe ihres Inflationsziels von unter, aber nahe 2 Prozent weitere expansive Maßnahmen be-schlossen (EZB, 2019):

■■ Sie verabschiedete eine Senkung des Einlagenzinses für Banken von –0,4 Prozent auf –0,5 Prozent. Gleichzeitig wurden die Freibeträge für die Banken in Höhe

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ihrer sechsfachen Mindestreservepflicht eingeführt, da die seit dem Jahr 2014 bestehenden Negativzinsen die Zinsergebnisse der Banken negativ beeinflusst haben.

■■ Die Kommunikation der EZB (Forward Guidance) wurde dahingehend angepasst, dass der EZB-Rat beabsichtige, die Zinsen auf dem bisherigen oder einem noch niedrigeren Niveau verbleiben zu lassen, bis sich die Inflationsrate mittelfristig bei unter, aber nahe 2 Prozent eingependelt hat und sich diese Erholung als nachhaltig erweist.

■■ Die zum Jahresende 2018 eingestellten Nettokäufe von Vermögenswerten wur-den zum 1. November 2019 wieder aktiviert. Allerdings erwirbt die EZB nur Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro im Monat. Die Rückflüsse aus auslau-fenden Anleihen werden weiterhin reinvestiert. Im Gegensatz zu den Anleihe-käufen der Vergangenheit ist diese Runde nicht zeitlich begrenzt, sondern auf die Dynamik der Inflation konditioniert.

■■ Zu den längerfristigen gezielten Refinanzierungsgeschäften (Targeted Long-Term Refinancing Operations III – TLTRO III) wurden Ergänzungen eingeführt. So wurde die Laufzeit von zwei auf drei Jahre verlängert und der Spread von 1 Prozentpunkt aufgegeben.

Die Maßnahmen wurden auf den Finanzmärkten unterschiedlich aufgenommen. Zwar wurden die Freibeträge für Banken als Entlastung begrüßt, jedoch wurde die Senkung des Einlagenzinses in Verbindung mit der Einführung der Freibeträge als effektive Zinserhöhung interpretiert (Bahceli, 2019). Die Aufnahme der Nettokäufe von Anleihen wurde kritisch gesehen, da die Renditen auf Staatsanleihen mit zehn Jahren Restlaufzeit seit Anfang des Jahres trotz der Einstellung der Nettokäufe zum Ende des Jahres 2018 gefallen sind, was vor allem als Zeichen einer sich ab-schwächenden Weltwirtschaft gesehen wird. So ist eine Verflachung der Zinsstruk-turkurve auch in den USA zu beobachten, wo sich dies schon häufig als zuverlässiger Frühindikator für eine drohende Rezession erwiesen hat. Die Rückgänge der An-leiherenditen in den USA, Deutschland und weiteren Industrieländern sind damit weniger als eine Reaktion auf die Geldpolitik zu verstehen, sondern sie spiegelt die zunehmend pessimistischen Erwartungen der Investoren wider. Die Investitions-zurückhaltung der Unternehmen ist also eher auf die zunehmende Unsicherheit über den Verlauf der Weltwirtschaft zurückzuführen und nicht auf ungünstige Finanzierungskonditionen (Grömling/Matthes, 2019).

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Die Herausforderungen, die sich EZB, Federal Reserve und andere Zentralbanken in Zukunft stellen, sind vor allem auf globale Faktoren zurückzuführen:

■■ ein zunehmend fehlender Raum für weitere Zinssenkungen aufgrund eines Rückgangs in den Realzinsen, der auf eine Zunahme der Sparneigung und einen Rückgang der Investitionsneigung zurückzuführen ist (Demary/Voigtländer, 2018);

■■ eine Abschwächung der globalen Inflationsdynamik, die es den Zentralbanken zunehmend erschwert, ihre bisherigen Inflationsziele von durchschnittlich 2 Prozent zu erreichen;

■■ eine fehlende Verankerung der Inflationserwartungen der Finanzmarktteilneh-mer, die zunehmend anzweifeln, dass die Zentralbanken ihre Inflationsziele erreichen werden (Abbildung 3);

■■ eine hohe private und staatliche Verschuldung in der Vergangenheit, die in den letzten Jahren eine zunehmende Entschuldungsdynamik erforderlich machte. Jene hat zwar die finanzielle Stabilität der Unternehmen und Staaten erhöht, allerdings auch zu einer Investitionszurückhaltung geführt, wodurch die wirt-schaftliche Dynamik für längere Zeit gebremst sein könnte (Abbildung 4).

Abbildung 3: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/Cx3wXjMjgRYKNMK

Inflation, Kerninflation und Inflationserwartungen im EuroraumVeränderung gegenüber Vorjahr in Prozent

Quellen: Europäische Zentralbank; Institut der deutschen Wirtscha�

Inflation Kerninflation (Prognose)Inflationsziel

Kerninflation Inflation (Prognose)

Jan. 2017 Jan. 2018 Jan. 2019 Jan. 2020 Dez. 2020

Abbildung 3

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Abbildung 4: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/XCXC8ZRpsHQaA5R

Für den Prognosezeitraum bis Ende 2020 ist mit weiterhin günstigen Finanzierungs-konditionen für Unternehmen und einer ansteigenden Kreditvergabe durch die Banken zu rechnen, was im aktuellen Konjunkturumfeld unterstützend wirkt. Ri-siken aus den Finanzmärkten halten sich zurzeit in Grenzen. Der Abbau der notlei-denden Kredite in den Bankbilanzen kam bislang voran, was vor allem auf Druck der Bankenaufsicht geschieht. Zudem waren die Banken in den letzten Jahren recht erfolgreich im Aufbau ihrer Kapitalpuffer, sodass es auch bei einer überschau-baren Anzahl an Kreditausfällen nicht notwendigerweise zu Schieflagen bei Banken kommen wird. Zwar sind die Bankbilanzen immer noch recht sensitiv gegenüber Risiken aus Verwerfungen an den Märkten für Staatsanleihen. Jedoch sind die Fi-nanzierungskonditionen für europäische Staaten derzeit durch den Expansionsgrad der Geldpolitik niedrig, sodass es zumindest im Basisszenario nicht zu Verwer-fungen kommen sollte. Gleichwohl ist kritisch festzustellen, dass bei der Konsoli-dierung der Staatsschulden in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften insgesamt betrachtet keine Fortschritte erzielt wurden.

Deutschland Spanien Griechenland Irland Italien Portugal

Private Verschuldung im internationalen VergleichBruttoschulden des Privatsektors1) in Prozent des BIP

1) Unternehmen und private Haushalte.Quellen: Europäische Zentralbank; Institut der deutschen Wirtscha 

Abbildung 4

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2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018

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Unsicherheit schwächt die WeltwirtschaftDie globale Wirtschaft verzeichnete im Verlauf des Jahres 2019 die schwächste Dy-namik seit der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren. Die Handelsbarrieren und der damit verbundene Anstieg der globalen Unsicherheit bremsten die globale Industriepro-duktion kräftig ab. Die USA und China spüren den Anstieg der durch den Protektio-nismus entstehenden Handelskosten. In den Schwellenländern zeichnete sich ein gemischtes Bild: Während sich die Krise in Südamerika verschärfte, blieben die Volkswirtschaften in Südostasien auf Wachstumskurs. Doch auch hier führte die Abhängigkeit von China zu einer nachlassenden Exportdynamik. Das Wachstum der globalen Wirtschaftsleistung wird im kommenden Jahr ähnlich wie in 2019 in der Größenordnung von etwa 2 ¾ Prozent bleiben. Hierbei wird unterstellt, dass es zu keiner weiteren Eskalation der Handelskonflikte kommt und eine Einigung beim Brexit erzielt wird.

Die Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung verdichteten sich im Laufe des Jahres 2019. Die hohe Ungewissheit blieb bestehen und der Handelskonflikt der USA mit China eskalierte in mehreren Stufen (Bown, 2019). Die Handelskosten stiegen erheblich an, sowohl in den USA und China als auch in anderen Ländern, die in die globalen Wertschöpfungsketten zusammen mit den USA und China in-volviert sind. So schätzen Mao und Görg (2019), dass sich die zusätzlichen Kosten der von den beiden Ländern angehobenen Zollsätze für Drittländer wie Kanada und Mexiko auf etwa 500 bis 600 Millionen US-Dollar jährlich belaufen, für die Europäische Union (EU) insgesamt sind es sogar etwa 1 Milliarde US-Dollar, die aus den Handelskonflikten an zusätzlichen indirekten Zollzahlungen resultieren. Zwar zeigten sich Umlenkungseffekte als Folge der Streitigkeiten zwischen den USA und China (Beer, 2019; Kolev, 2019). Wie Abbildung 5 zeigt, war der Anteil Chinas an den US-Importen im ersten Halbjahr 2019 um 2,6 Prozentpunkte geringer als vor zwei Jahren, während der Anteil der EU im gleichen Zeitraum um 2,0 Prozentpunkte anstieg (Kolev, 2019). Auch in China konnte die EU ihren Importanteil um 0,9 Pro-zentpunkte steigern. Der Anteil der USA an den chinesischen Importen ist hingegen um 2,8 Prozentpunkte gesunken. Doch aufgrund der relativ geringen Preiselasti-zität der Nachfrage nach deutschen Exportgütern und der relativ hohen Abhängig-keit von der konjunkturellen Entwicklung der Exportzielländer überwiegt für Deutschland der Effekt der gestiegenen Unsicherheit. Zugewinne an Importantei-len sind aufgrund von Umlenkungseffekten kaum zu verzeichnen.

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Abbildung 5: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/7wZFW7tHEpR8sdg

Die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit hinterließ nennenswerte Spuren bei der Entwicklung des Welthandels und der globalen Industrieproduktion (Ab-bildung 6). Mit wenigen Ausnahmen fällt bei der Analyse auf, dass der rapide Anstieg der Unsicherheit bereits mehrere Schwächephasen des globalen Handels beglei-tete (Kolev, 2019). Dies ist etwa für die Entwicklung des Welthandels im Zuge der New-Economy-Krise in den Jahren 2001 und 2002, für die sinkende Dynamik nach der kurzen Erholung im Jahr 2003, für die Wirtschaftskrise 2009 und für die Zeit nach der Zuspitzung der Euroschuldenkrise im Jahr 2012 zu beobachten. Am ak-tuellen Rand erreichte die globale wirtschaftspolitische Unsicherheit neue Höchst-werte. Die Unsicherheit seit dem Brexit-Referendum und der Wahl Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 brachte zunächst keinen direkten Rückgang der Wachstumsraten des globalen Handels mit sich.

Doch als sich die handelspolitischen Risiken materialisierten und die Wahrschein-lichkeit eines ungeordneten EU-Austritts des Vereinigten Königreichs im Frühjahr 2019 zunahm, erreichte die wirtschaftspolitische Unsicherheit neue Rekordwerte und die Auswirkungen auf die globalen Handelsströme waren und sind immer noch erheblich. So lag der preis- und saisonbereinigte globale Handel im Durchschnitt

Handelsumlenkung seit Beginn des HandelskonfliktsAnteil an den gesamten Warenimporten der USA und China in der ersten Jahreshäl�e 2017 und 2019 in Prozent

Quellen: IWF; Institut der deutschen Wirtscha�

Abbildung 5

USA Deutschland EU ohne Deutschland China

0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0

2019

2017

2019

2017

USA

Chin

a

17,7 5,0 15,5

20,3 5,0 13,5

8,45,26,0

8,15,28,8

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Abbildung 6: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/pweP32BaQzYLMia

der Monate Januar bis September 2019 um 0,4 Prozent unter dem Vorjahreswert – der stärkste Rückgang seit der globalen Wirtschaftskrise 2009. Chinas Importe gingen um 2,9 Prozent zurück, was sich auch auf den Außenhandel der restlichen asiatischen Schwellenländer auswirkte. Deren Exporte nahmen in den ersten acht Monaten des Jahres 2019 um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ab. In den entwickelten Volkswirtschaften blieb das Wachstum des Warenhandels zwar im positiven Bereich, im Euroraum war jedoch nahezu eine Seitwärtsbewegung der preis- und saisonbereinigten Handelsströme zu verzeichnen, was unter ande-rem mit der Rezession der deutschen Industrie zusammenhängt. Die Industriepro-duktion war im Euroraum ebenfalls rückläufig und der Anstieg der globalen Indus-trieproduktion um 1,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr blieb weit unter dem langfristigen Durchschnitt.

Die US-Wirtschaft konnte der sinkenden weltwirtschaftlichen Dynamik zunächst standhalten und startete in das Jahr 2019 mit einem Wachstum gegenüber dem

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Globale Unsicherheit und internationaler HandelVeränderung von Weltindustrieproduktion und Welthandel gegenüber Vorjahr in Prozent1) und globale wirtscha�spolitische Unsicherheit2)

1) Preis- und saisonbereinigte gleitende Dreimonatsdurchschnitte. 2) Index: Durchschnitt 1997 bis 2015 = 100, gleitende Dreimonatsdurchschnitte. Quellen: CPB; Economic Policy Uncertainty; Institut der deutschen Wirtscha�

Welthandel Industrieproduktion Unsicherheit (rechte Achse)

2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

Abbildung 6

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

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Vorquartal von über 0,7 Prozent. Doch die Entwicklung des privaten Verbrauchs nahm ab und auch die anderen Nachfragekomponenten deuteten auf eine schwin-dende Stabilität hin. Im zweiten Quartal zeigte sich dann, dass die teils selbst verursachten Risiken an der handelspolitischen Front nicht spurlos an der US-Wirt-schaft vorbeigehen können. Die Exporte gingen zurück und bei den Anlageinvesti-tionen und den Lagerinvestitionen war ebenso ein Rückgang zu verzeichnen. Der negative Wachstumsbeitrag der privaten Investitionstätigkeit erreichte den höchs-ten Wert seit der Wirtschaftskrise 2009. Dass das Wachstum des realen BIP nicht noch weiter zurückging, ist vor allem einem fiskalischen Stimulus zu verdanken, dessen positiver Wachstumsbeitrag so hoch wie zuletzt vor zehn Jahren war.

Die Wachstumsperspektiven für das Jahr 2020 sind mit hohen Risiken behaftet, zumal die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl im November 2020 für Über-raschungen etwa im Bereich der Handelspolitik sorgen könnte. Der Einkaufsma-nagerindex für das Verarbeitende Gewerbe bewegte sich in den Sommermonaten 2019 knapp über der Marke von 50 Punkten. Im Herbst zog dieser Index nur langsam an und der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor ging in der Tendenz stark zurück. Das Wachstum der Industrieproduktion ließ im Laufe des Jahres 2019 nach und die US-Notenbank stellte neue geldpolitische Stimuli bereit. Das Wachs-tum des realen BIP dürfte im Verlauf des Prognosezeitraums weiter zurückgehen und im Jahr 2020 bei etwa 2 Prozent liegen, nach 2 ¼ Prozent in 2019 (Tabelle 1).

Die chinesische Wirtschaft leidet erheblich unter dem Handelskonflikt mit den USA. In der ersten Jahreshälfte 2019 lagen die nominalen Warenexporte des Landes in die USA gemäß den Daten des Internationalen Währungsfonds um 8,6 Prozent unter dem Vorjahreswert. Zum Vergleich: In der ersten Jahreshälfte 2018 war noch ein Wachstum in Höhe von 12,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Auch in der Gesamtbetrachtung waren die Warenexporte Chinas rückläufig: Um 0,4 Prozent gingen die gesamten Warenexporte des Landes in der ersten Jahreshälfte 2019 gegenüber dem Vorjahr zurück, was verglichen mit dem Wachstum in Höhe von 11,9 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2018 die gesamt-wirtschaftliche Entwicklung nennenswert ausbremste.

Die chinesische Regierung ergriff im Verlauf des Jahres 2019 zahlreiche Maß- nahmen, um den Wachstumskurs aufrechtzuerhalten: eine Senkung der Mehrwert-

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Tabelle 1: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/BZgmLrLYPTDrrLb

steuersätze, milliardenschwere Investitionsprojekte im Bereich der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, eine Lockerung der Kreditvergabepolitik. Die kon-junkturpolitischen Stimuli und der zumindest vorübergehende Stillstand im Han-delskonflikt mit den USA verbesserten die Stimmung der chinesischen Wirtschaft und der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe stieg im Herbst 2019 deutlich an, nachdem er im Sommer unter die Expansionsschwelle von 50 Punkten gesunken war. Das Wachstum der Industrieproduktion blieb weit im po-sitiven Bereich, gleichwohl unter dem langfristigen Durchschnitt. Das Verbraucher-vertrauen hellte sich im Laufe des Jahres 2019 wieder auf, nachdem es im Jahr

Deutschland 1,5 0,5 0,9Frankreich 1,7 1 ¼ 1 ¼ Italien 0,8 0 ½Spanien 2,4 2 1 ¾ Niederlande 2,6 1 ½ 1 ½ Belgien 1,4 1 1 ¼ Österreich 2,4 1 ½ 1 ½Irland 8,2 4 ½ 3 Finnland 1,7 1 ¼ 1 ¼Portugal 2,4 1 ¾ 1 ½Griechenland 1,9 1 ¾ 2Euroländer1) 2) 1,8 1 1 ¼ USA 2,9 2 ¼ 2 Japan 0,8 1 ½ Vereinigtes Königreich 1,4 1 ¼ 1 Kanada 1,9 1 ½ 1 ½Schweiz 2,8 1 1 ¼ Industrieländer1) 3) 2,4 2 1 ½China 6,6 6 ¼ 6Indien 7,3 5 ½ 6 ¾Brasilien 1,1 1 2 Russland 2,2 ¾ 1 ¼ BRIC1) 5,8 5 ¼ 5 ¼ Weltwirtscha� 3,3 2 ¾ 2 ¾ Nachrichtlich: Welthandelsvolumen 3,3 ½ 2 ½

IW-Auslandsprognose – Winter 2019Veränderung des preisbereinigten BIP gegenüber dem Vorjahr in Prozent

1) Gewicht: BIP 2018. 2) Ohne Slowakische Republik, Slowenien, Malta, Zypern, Luxemburg und Estland. 3) Gewichteter Durchschnitt der hier außerhalb des Euroraums angegebenen Industrieländer.Quellen: Consensus Forecasts; CPB; IWF; Oxford Economics; Institut der deutschen Wirtscha¤

202020192018

Tabelle 1

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

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2018 erheblich gesunken war. Der Regierung wird es aller Voraussicht nach gelingen, den angestrebten Wachstumskurs aufrechtzuerhalten. Die chinesische Wirtschaft wird in 2020 um etwa 6 Prozent zulegen, nach 6 ¼ Prozent in 2019.

Die globalen Unsicherheiten erreichten auch andere Weltregionen und führten, teilweise im Zusammenspiel mit binnenwirtschaftlichen Strukturproblemen und politischen Krisen, zu einer Verlangsamung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität. In Indien und den übrigen asiatischen Schwellenländern schwächte sich das Wirt-schaftswachstum in der Tendenz ab, was teilweise durch die abnehmende welt-wirtschaftliche Dynamik und die Abhängigkeit vom China-Geschäft zu erklären ist. In Indien leistete zusätzlich die Krise im Schattenbankensektor einen erheblichen Beitrag zur Wachstumsverlangsamung. Fiskalpolitische Stimuli dürften dort im Jahr 2020 für neue Wachstumsimpulse sorgen.

In Lateinamerika blieb die wirtschaftliche Erholung insgesamt schlecht. In Argen-tinien zeichnet sich noch kein Ende der Wirtschaftskrise ab. In Brasilien war im zweiten Quartal 2019 zwar eine spürbare Belebung der wirtschaftlichen Aktivität zu verzeichnen, doch die fehlenden Strukturreformen und die politischen Risiken rund um die Diskussion mit dem Ausland zur Erhaltung des Regenwalds am Ama-zonas steigern zusätzlich die bereits bestehende Unsicherheit. Die Proteste in Chile zeigen, dass selbst eine ansonsten recht stabile südamerikanische Volkswirt-schaft mit ernsthaften Problemen zu kämpfen hat.

In der Türkei nahm das reale BIP im ersten Halbjahr 2019 getrieben von fiskalischen Stimuli und günstigen Finanzierungsbedingungen deutlich zu. Die Zuversicht stieg an und der Einkaufsmanagerindex für die Industrie erreichte im September 2019 zum ersten Mal seit über einem Jahr die Expansionsgrenze von 50 Punkten. In Russland erholte sich die Wirtschaft etwas von dem durch die Mehrwertsteuerer-höhung ausgelösten Dämpfer zum Jahresbeginn 2019. Doch die Produktionskür-zungen, die mit den OPEC-Staaten vereinbart wurden, werden zusammen mit dem Rückgang der Ölnachfrage im Zuge der sinkenden weltwirtschaftlichen Dynamik die Wirtschafts entwicklung weiter ausbremsen.

Im Vereinigten Königreich ist die Wirtschaftsentwicklung in den Kontext des be-vorstehenden Brexits einzuordnen. Die Frist für die Austrittsverhandlungen muss-

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te verlängert werden. Aktuell bereiten die Briten ihren Austritt bis Ende Januar 2020 vor und sie müssen ein konsensfähiges Abkommen aushandeln. Auch wenn das britische Parlament nach den Unterhauswahlen dem Austrittsabkommen zustimmen wird, sind die grundlegenden Fragen der weiteren Zusammenarbeit offen und bis Ende 2020 zu klären. Die Aussicht, dass das Vereinigte Königreich zwar kein EU-Mitglied mehr sein wird und im Hinblick auf Handelspolitik und Mi-gration alles wie zuvor bleibt, hat für etwas Entspannung gesorgt. Doch der Brexit bleibt mit hohen Risiken behaftet, zumal ein No-Deal-Brexit noch nicht ausge-schlossen werden kann. Die Prognosen für die britische Wirtschaft haben sich vor diesem Hintergrund im Verlauf des Jahres 2019 erheblich eingetrübt. Der Einkaufs-managerindex für das Verarbeitende Gewerbe liegt seit Mai 2019 unter der Expan-sionsgrenze von 50 Punkten und auch im Dienstleistungssektor hat sich die Stim-mung seit August 2019 eingetrübt. Das Verbrauchervertrauen blieb mit wenigen Schwankungen auf dem tiefsten Stand seit über fünf Jahren. In 2020 dürfte die wirtschaftliche Dynamik weiter nachlassen, sodass die gesamtwirtschaftliche Leistung um lediglich 1 Prozent zulegen dürfte, nach 1 ¼ Prozent in 2019. Somit hat sich das Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich im Vergleich zum Zeitraum unmittelbar vor dem Referendum mehr als halbiert.

Im Euroraum insgesamt ließ die wirtschaftliche Entwicklung im Verlauf des Jahres 2019 etwas nach, getrieben durch die globalen Unsicherheiten und die unter an-derem damit verbundene Rezession der deutschen Industrie. Darüber hinaus haben viele Länder in Europa mit hausgemachten Problemen zu kämpfen, die die Wachstumsperspektiven auf Dauer dämpfen. Politische Krisen verbunden mit erschwerter Regierungsbildung, Protestbewegungen und nicht zuletzt der Umgang der EU mit dem bevorstehenden Brexit beschreiben aktuell die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen im Euroraum. Hierbei haben es viele große Volkswirtschaften noch nicht ganz geschafft, die Folgen der globalen Wirtschafts-krise von vor zehn Jahren zu bekämpfen. Trotz erheblicher wirtschaftlicher Fort-schritte ist die Staatsschuldenquote im Euroraum anhaltend hoch.

In Italien bleibt die Lage mit hohen Unsicherheiten behaftet. Zwar lag die Erwerbs-losenquote mit 10,3 Prozent im Jahr 2019 nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds unter dem Niveau in Spanien. Des Weiteren erzielt Italien ähnlich wie Spanien mittlerweile einen positiven Leistungsbilanzsaldo, der darauf hindeu-

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

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tet, dass die italienische Wirtschaft im Vergleich zur Krisenzeit an Wettbewerbsfä-higkeit gewonnen hat. Doch die Staatsverschuldung ist mit über 130 Prozent des BIP auf einem Niveau, das kaum Spielraum für Konjunkturpolitik offenlässt. Ver-bunden mit Wachstumsraten, die sich mehr oder weniger an der Nulllinie bewegen, bleibt die Lage der italienischen Wirtschaft instabil. Im Jahr 2020 dürfte das Wirt-schaftswachstum zwar im positiven Bereich liegen, doch kaum mehr als ½ Prozent betragen.

Die französische Wirtschaft zeigte in der ersten Jahreshälfte 2019 trotz der Proteste der „gelben Westen“ weiterhin recht stabile Wachstumsraten. Die Entwicklung der privaten Investitionstätigkeit blieb positiv – im Gegensatz zu zahlreichen Eurolän-dern, bei denen die Anlageinvestitionen im dritten Quartal 2019 zurückgingen. Doch auch hier zeigte sich die verlangsamte Entwicklung des globalen Handels und die Exporte waren im zweiten und dritten Quartal 2019 leicht rückläufig. Die Verunsicherung der Wirtschaftsakteure war im Verlauf des Jahres 2019 recht hoch, was sich anhand der starken Schwankungen des Einkaufsmanagerindexes für das Verarbeitende Gewerbe bemerkbar machte. Der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor blieb eindeutig im Wachstumsbereich, sodass sich der mo-derate Wachstumskurs in Frankreich fortsetzen und die Wirtschaftsleistung in 2020 ähnlich wie im Vorjahr um etwa 1 ¼ Prozent zulegen dürfte.

Binnenkonjunktur verhindert RezessionDer private und öffentliche Konsum sowie die Bauinvestitionen bleiben in Deutschland auf Wachstumskurs. Dagegen kommen von der Außenwirtschaft und von den Aus-rüstungsinvestitionen keine Konjunkturimpulse. Sofern sich die Weltwirtschaft nicht verschlechtert und die strukturellen Anpassungen in Teilen der Industrie nicht Über-hand nehmen, wird für 2020 beim realen BIP ein Zuwachs von 0,9 Prozent erwartet. Dieser resultiert auch aus einem deutlich positiven Arbeitstageeffekt.

Die deutsche Volkswirtschaft tritt seit Anfang 2018 mehr oder weniger auf der Stelle. Diese gesamtwirtschaftliche Lage kann mittlerweile mit derjenigen im Zeit-raum 2012 und 2013 verglichen werden, als die deutsche Wirtschaft infolge der Staatsschuldenkrise im Euroraum und der Rezessionen in einer Reihe von europä-ischen Ländern stagnierte.

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Abbildung 7 veranschaulicht wie zuvor erwähnt, dass hinter der aktuellen Wachs-tumsschwäche eine ausgeprägte Branchenspaltung steht: Die Industrie stagnierte zunächst seit Anfang 2018 und sie befindet sich seit Mitte des vergangenen Jahres in einer anhaltenden und nunmehr über fünf Quartale laufenden Rezession. Diese ist erheblich stärker als während der europäischen Staatsschuldenkrise. Während sich damals der maximale Rückgang bei der realen Bruttowertschöpfung auf 2 Prozent belief, lag sie im dritten Quartal 2019 bereits um 5 Prozent unter dem Niveau des ersten Halbjahres 2018. Bei der globalen Finanzmarktkrise 2009 ging die industrielle Wertschöpfung von Wendepunkt zu Wendepunkt um insgesamt fast 20 Prozent zurück. Die Dienstleister, auf die rund 70 Prozent der gesamtwirt-schaftlichen Wertschöpfung entfallen, legten bislang noch zu. Bei den unterneh-mensnahen Dienstleistern waren im zweiten und dritten Quartal 2019 ebenfalls Rückgänge zu verzeichnen. Dagegen setzte die Bauwirtschaft ihren Expansionskurs fort. Mit Ausnahme des zweiten Quartals 2019 wurden seit Anfang 2018 von Quar-tal zu Quartal Steigerungen von über 1 Prozent realisiert. Rein entstehungsseitig betrachtet, also mit Blick auf die Summe der Wertschöpfung aller Wirtschaftsbe-reiche, konnten der Bau und die Dienstleister zusammengenommen die Industrie-rezession in den vergangenen beiden Quartalen nicht ganz ausgleichen. Im Gegen-satz zum BIP, wo nach dem Rückgang im zweiten Quartal 2019 (–0,2 Prozent) im

Abbildung 7: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/ZKJyceybWSWafMX

Produzierendes Gewerbe ohne Bau Baugewerbe Dienstleistungen

I III I III I III I III I III I III I III I III I III I III I III I III I III I III I III2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

Entstehungsseite des BIP in Deutschland Entwicklung der preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten Bruttowertschöpfung; Index 1. Quartal 2005 = 100

Quellen: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtscha� Köln

Abbildung 7

859095

100105110115120125130135

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

IW-Trends 4/2019 Konjunktur

dritten Quartal 2019 ein leichter Anstieg (+0,1 Prozent) ausgewiesen wurde, war auf Basis der preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten Bruttowertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche in beiden Quartalen ein Rückgang zu verzeichnen.

Exporte leiden unter globaler InvestitionsschwächeDie Gründe für die Industriekrise sind – neben den strukturellen Anpassungen – in der deutlich nachlassenden Gangart der Weltwirtschaft zu suchen. Diese leidet unter der schwachen globalen Investitionstätigkeit, was wiederum die Folge von Protektionismus und vielfältigen geopolitischen Verunsicherungen ist. Dies be-kommt die in hohem Maß auf die Produktion und den Handel von Investitionsgü-tern ausgerichtete deutsche Wirtschaft seit dem vergangenen Jahr zu spüren. Während die Zuwächse (gegenüber Vorquartal) der preis-, saison- und arbeitstäg-lich bereinigten Exporte von Mitte 2013 bis Ende 2017 bei durchschnittlich gut 1,1 Prozent lagen, war im Durchschnitt der letzten sieben Quartale nur noch ein Plus von knapp 0,2 Prozent zu erreichen. Dabei waren die größten Beeinträchti-gungen im vergangenen Jahr zu verzeichnen. Mit Ausnahme des zweiten Quartals legten die preisbereinigten Ausfuhren im Jahr 2019 gegenüber den Vorquartalen wieder zu. Die deutsche Wirtschaft konnte sich also bislang in dem moderateren globalen Umfeld einigermaßen behaupten und zumindest ihr Exportniveau auf einem hohen Niveau stabilisieren.

Die Exporterwartungen der Unternehmen in Deutschland haben sich jedoch er-heblich verschlechtert. Das zeigen die monatlichen Ergebnisse des ifo-Konjunk-turtests. Auch die IW-Konjunkturumfrage vom Herbst 2019 signalisiert eine mar-kante Verschlechterung der Exportaussichten für das kommende Jahr: Nur noch 15 Prozent der Unternehmen sehen einen Exportzuwachs, 28 Prozent der Betriebe gehen von einem schwächeren Exportgeschäft im kommenden Jahr aus. Der Sal-do aus positiven und negativen Exporterwartungen ist mit –13 Prozentpunkten erstmals seit der globalen Finanzmarktkrise im Jahr 2009 im Minus – bei Weitem aber nicht so stark wie damals mit 49 Prozentpunkten.

Aufgrund des guten Starts in das Jahr 2019 wird für dieses Jahr ein Exportzuwachs von 1,1 Prozent prognostiziert. Für 2020 wird ein Plus bei den realen Exporten von 0,8 Prozent erwartet. Dabei wird unterstellt, dass sich der Welthandel im Jahres-verlauf wieder etwas beschleunigt und im Jahresdurchschnitt 2020 das reale

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Welthandelsvolumen um 2,5 Prozent zulegt. Das setzt voraus, dass sich die geo-politische Lage und die Handelsstreitigkeiten nicht verschärfen, sondern eher beruhigen. Deutschland profitiert davon nur unterdurchschnittlich, auch weil sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich merklich ver-schlechtert hat. Nachdem die industriellen Lohnstückkosten im vergangenen Jahr um 2,5 Prozent anstiegen, wurde im Durchschnitt der ersten neun Monate des Jahres 2019 das entsprechende Vorjahresniveau sogar um über 6 Prozent über-troffen. Die Abwertung des Euro konnte dies nur teilweise kompensieren.

Die Importe haben im Jahr 2019 erheblich an Schwung verloren. Das dürfte weni-ger an einer nachlassenden Nachfrage nach Konsumgütern liegen, sondern viel-mehr eine Folge zurückhaltender Vorleistungsimporte aus dem Ausland sein. Die Industrierezession schlägt sich in rückläufigen Lagerdispositionen nieder. Aufgrund des Überhangs vom Vorjahr und des guten Jahresstarts beläuft sich der jahres-durchschnittliche Zuwachs bei den preisbereinigten Importen im Jahr 2019 auf 2,2 Prozent. Die anhaltend nach oben gerichtete Konsumkonjunktur und der im Jahresverlauf wieder einsetzende, wenngleich zögerliche Vorleistungsimport führen im kommenden Jahr zu einem Importwachstum von 1,2 Prozent.

Ausrüstungsinvestitionen schwach, aber stabilDie vielfältigen geopolitischen Verunsicherungen, die eingetrübten Weltwirtschafts-perspektiven, die industriellen Produktionsrückgänge und die gesamtwirtschaft-liche Seitwärtsbewegung hierzulande bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die heimische Investitionsneigung. Diese wird zudem durch die Verunsicherung der Unternehmen mit Blick auf wichtige Standortrahmenbedingungen gedämpft. Auf fehlende Fachkräfte, verteilungspolitisch motivierte Kostenbelastungen, Verunsi-cherungen durch die Energie- und Klimapolitik antworten die Firmen mit Vorsicht und Zurückhaltung.

Bislang waren die Investitionen in Ausrüstungen relativ robust. Bis einschließlich des zweiten Quartals 2019 setzte sich der Investitionszyklus, der ab 2013 nach der letzten Rezession infolge der europäischen Staatsschuldenkrise startete, fort. Erst im dritten Quartal 2019 gingen die preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten Ausrüstungsinvestitionen deutlich zurück. Allerdings müssen bei der Bewertung der Investitionstätigkeit im Jahresverlauf 2019 die starken Einflüsse der staatlichen

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

IW-Trends 4/2019 Konjunktur

Investitionen in militärische Ausrüstungen berücksichtigt werden. Diese stiegen im zweiten Quartal 2019 gegenüber dem Vorquartal um fast 50 Prozent an und gaben im dritten Quartal 2019 um 33 Prozent gegenüber dem Vorquartal nach. Ohne diese Sondereffekte und ohne den Ausreißer bei den privatwirtschaftlichen Ausrüstungsinvestitionen im ersten Quartal 2019 und den anschließenden Rück-prall im zweiten Quartal treten die Ausrüstungsinvestitionen seit nunmehr einem Jahr mehr oder weniger auf der Stelle.

Nach vorne gerichtet liefern die Daten der IW-Konjunkturumfrage keine Anzeichen für eine baldige Belebung der Investitionen in Deutschland (Grömling, 2019b): Belief sich der Saldo aus positiven und negativen Investitionsabsichten im Frühjahr 2018 noch auf 35 Prozentpunkte, so wurde im Herbst 2019 ein Minussaldo von 4 Prozentpunkten registriert. Dabei beabsichtigen knapp 26 Prozent der befragten Unternehmen im Jahr 2020 höhere Investitionen als in 2019. 30 Prozent planen mit geringeren Investitionen und die verbleibenden 44 Prozent gehen mit unver-änderten Investitionsbudgets in das kommende Jahr. Vor diesem Hintergrund bleibt die Investitionstätigkeit in 2020 zurückhaltend. Die geopolitischen Span-nungen belasten die Produktions- und Investitionsperspektiven der Industrie. Deren Kapazitäten sind mittlerweile deutlich unter dem langjährigen Niveau ausgelastet, was wiederum die Investitionstätigkeit zusätzlich bremst. Dazu kommt, dass vor allem im Industriebereich die Firmen finanzielle Reserven aufbauen, um sich gegenüber Zahlungsausfällen zu wappnen und eigene Zulieferungen abzusi-chern (Buchenau et al., 2019). Das Zinsumfeld bleibt günstig, es wird aber abzu-warten sein, wie sich die Kreditvergabe in diesem konjunkturellen Umfeld entwi-ckeln wird. Nach einem Zuwachs bei den realen Ausrüstungsinvestitionen in Höhe von 1 Prozent im Jahr 2019 wird für 2020 im Jahresdurchschnitt ein Rückgang von 0,5 Prozent erwartet. Dieses Minus ist aber ausschließlich die Folge des hohen Unterhangs, mit dem die Investitionen in das Jahr 2020 starten. Dieser statistische Unterhang resultiert aus dem starken Rückgang im dritten Quartal 2019. Über den Jahresverlauf 2020 sind ansonsten leichte Aufwärtsbewegungen bei den Ausrüs-tungsinvestitionen zu beobachten. Damit kann die Investitionstätigkeit als relativ robust bezeichnet werden. Dies setzt gleichwohl voraus, dass sich vor allem in der Industrie keine ernsthaften strukturellen Verwerfungen verfestigen.

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Ungebremste BaukonjunkturSeit Mitte des Jahres 2015 ist in Deutschland ein nur in wenigen Quartalen kurz unterbrochener Wohnungsbauzyklus zu beobachten. Im dritten Quartal 2019 lagen die preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten Wohnungsbauinvestitionen um 15 Prozent über dem Niveau vom dritten Quartal 2015. Zum Vergleich: Bei den Ausrüstungen gab es gleichzeitig ein Plus in Höhe von 12,4 Prozent. Die Beschäf-tigungs- und Einkommensentwicklung, das weiterhin niedrige Zinsniveau und die hohe Wohnungsnachfrage in Ballungszentren erklären den Boom. Außerdem setzt der Staat stärkere Anreize für den Wohnungsbau durch das Baukindergeld, den sozialen Wohnungsbau und steuerliche Maßnahmen. Auch der öffentliche Bau konnte in den letzten Jahren eine im Vergleich zur vorhergehenden Dekade gute Wachstums performance aufweisen. Die preisbereinigten Bauinvestitionen des Staates legten seit dem dritten Quartal 2015 – um eine Vergleichbarkeit mit dem Wohnungszyklus herzustellen – um insgesamt 16 Prozent zu. Die bessere kommu-nale Finanzausstattung und die wieder stärker akzentuierte Notwendigkeit für Infrastrukturmaßnahmen haben den Aufschwung bewirkt. Der Wirtschaftsbau blieb allerdings deutlich hinter dem öffentlichen Bau und dem Wohnungsbau zurück. Im Vergleichszeitraum 2015 bis 2019 war hier nur ein Plus von 8,6 Prozent zu ver-zeichnen.

Für den Prognosezeitraum wird sich die gespaltene Baukonjunktur fortsetzen. Impulse werden weiterhin vom Wohnungsbau und den öffentlichen Baumaßnah-men kommen. Der Wirtschaftsbau verliert infolge der insgesamt eingetrübten In-vestitionsneigung an Tempo. Nach einem Anstieg der realen Bauinvestitionen über alle Sparten hinweg im Jahr 2019 in Höhe von 3,8 Prozent wird für 2020 ein Zuwachs von 1,9 Prozent gesehen. Nach wie vor bremsen die hoch ausgelasteten Kapazitäten im Bausektor die Bautätigkeit in Deutschland. Im Gegensatz zur Industrie und zum Dienstleistungssektor dominieren im Baugewerbe die Unternehmen, die für das kommende Jahr eine höhere Geschäftstätigkeit erwarten als in 2019.

Robuste, aber abgebremste KonsumtätigkeitIn Deutschland ist seit zehn Jahren ein nur von wenigen und jeweils nur ein Quar-tal andauernden Unterbrechungen anhaltender Konsumaufschwung zu verzeich-nen. Im dritten Quartal 2019 lagen der preis-, saison- und arbeitstäglich bereinig-te Private Konsum um insgesamt 16 Prozent über dem Wendepunkt im vierten

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IW-Trends 4/2019 Konjunktur

IW-Trends 4/2019 Konjunktur

Quartal 2009. Die gute Konsumkonjunktur wird durch einen Vergleich mit den vorhergehenden Jahren deutlich. Im Zeitraum 2001, nach Ende des New-Economy-Booms, bis 2009 war nur ein Gesamtanstieg von 0,6 Prozent zu beobachten, also eine über neun Jahre andauernde Konsumstagnation.

Die gute Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland seit dem Jahr 2009 – insgesamt entstanden in diesem Zeitraum fast 4,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze – und die damit verbundene Einkommensentwicklung können die bislang gute Konsum-entwicklung erklären. Von der Arbeitsmarktentwicklung kommen im Prognose-zeitraum jedoch kaum noch Impulse. Auf Basis des seit Frühjahr dieses Jahres von The Conference Board (TCB) und dem Institut der deutschen Wirtschaft veröffent-lichten TCB-IW-Verbrauchervertrauen für Deutschland (siehe hierzu ausführlich Bardt et al., 2019a) trübten sich die Beschäftigungsperspektiven, als Teilkompo-nente des Gesamtindexes, deutlich ein und sie erreichten den tiefsten Wert mit Blick auf die letzten drei Jahre (Bardt et al., 2019b). Darin dürften sich die zuneh-menden Sorgen um den Arbeitsmarkt und die ersten Negativschlagzeilen über Entlassungen und Kurzarbeit in der Industrie widerspiegeln. Insgesamt lag das TCB-IW-Verbrauchervertrauen wegen der besser eingeschätzten Finanzlage und Kaufneigung im dritten Quartal 2019 leicht über dem Vorquartal (Abbildung 8). Damit ist die Stimmung der Konsumenten auf einem im langfristigen Vergleich hohen Niveau. Die Rekordwerte vom ersten Halbjahr 2018 wurden zuletzt aber deutlich unterschritten.

Vor dem Hintergrund der schwächeren Beschäftigungsperspektiven bleibt die Einkommensentwicklung moderat. Vonseiten der Steuer- und Abgabenentwicklung entstehen im kommenden Jahr keine positiven Einkommenseffekte. Das Zinsniveau bleibt niedrig. Trotzdem ist die Spartätigkeit hoch und die Sparquote wird bei knapp 11 Prozent liegen. Die Preisentwicklung wird das Konsumwachstum weniger stark dämpfen als in den Vorjahren. Die Inflationsrate wird in den beiden Prognose- jahren jeweils unter 1,5 Prozent liegen. Auf Basis dieser Determinanten wird für den Prognosezeitraum eine Fortsetzung der Konsumkonjunktur erwartet. Nach einem Zuwachs bei den realen Konsumausgaben der privaten Haushalte in Höhe von 1,5 Prozent in diesem Jahr wird für das Jahr 2020 ein Plus von 0,9 Prozent erwartet.

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Abbildung 8: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/j4KXb9K4Jner63N

Positiver ArbeitstageeffektAbbildung 2 zeigt bereits, dass sich die Produktionsperspektiven der deutschen Firmen erheblich verschlechtert haben. Der Saldo aus positiven und negativen Produktionserwartungen liegt erstmals seit den Beeinträchtigungen infolge der europäischen Staatsschuldenkrise wieder im Minus. Nur noch ein Viertel der Un-ternehmen erwartet einen Produktionszuwachs im kommenden Jahr und knapp ein Drittel einen Rückgang. Ob die absoluten Produktionsrückgänge der Pessimisten größer sind als die Anstiege der Optimisten in absoluten Werten, ist offen. Die großen Bremseffekte kommen aus dem industriellen Bereich, aber auch im Dienst-leistungssektor haben sich die Erwartungen verschlechtert. Die deutlich einge-trübten Produktionserwartungen werden sich aber nicht in einer ernsthaften ge-samtwirtschaftlichen Rezession niederschlagen. Verwendungsseitig bleibt die Konsumkonjunktur – vor allem der öffentliche Konsum – nach oben gerichtet. Auf privaten und staatlichen Verbrauch entfallen zusammen 72 Prozent des nominalen BIP – und damit sichern selbst moderate Zuwächse dieser beiden Verwendungs-aggregate einen BIP-Zuwachs. Auch die Bauinvestitionen bleiben auf Wachstums-kurs. Lediglich von der Außenwirtschaft und von den Ausrüstungsinvestitionen kommen keine Konjunkturimpulse. Entstehungsseitig können die Bauwirtschaft

Entwicklung des Verbrauchervertrauens in DeutschlandWerte des IW-TBC-Verbrauchervertrauens in Punkten1)

1) Die Werte bewegen sich in einer Bandbreite von 0 (schlecht) bis 200 (exzellent). Der Wert für das erste Quartal 2017ist nicht verfügbar. Die Skalierung der Ordinate bezieht sich auf das Ausmaß der aktuellen globalen Streuung.Quellen: The Conference Board; Institut der deutschen Wirtscha�

I III I III I III I III I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Abbildung 8

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Abbildung 9: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/6L2rZ7TQZxSGLXN

und Teile des Dienstleistungssektors ebenfalls eine gesamtwirtschaftliche Rezes-sion verhindern. Sofern sich die Weltwirtschaft nicht weiter verschlechtert und die strukturellen Anpassungslasten in Teilen der Industrie nicht Überhand nehmen, ist im späteren Verlauf 2020 mit etwas Auftrieb zu rechnen. Die Konjunktur bleibt aber flach (Abbildung 9). Nach einem Zuwachs beim realen BIP im Jahr 2019 von rund 0,5 Prozent wird für 2020 ein Plus von 0,9 Prozent erwartet. Dieser Zuwachs ergibt sich auch aus einem deutlich positiven Arbeitstageeffekt von fast einem Viertelprozentpunkt, da im Jahr 2020 wegen der Lage bestimmter Feiertage fast vier zusätzliche Arbeitstage zur Verfügung stehen. Die im Vergleich zur IW-Progno-se vom September 2019 (IW Forschungsgruppe Gesamtwirtschaftliche Analysen und Konjunktur, 2019) um 0,2 Prozentpunkte höhere Prognose für 2020 ergibt sich zur Hälfte aus der Korrektur des Unterhangs aus dem Jahr 2019.

Arbeitsmarkt bleibt insgesamt robustDie Dynamik der Arbeitskräftenachfrage der Betriebe geht zurück. Frühindikatoren zeigen eine Verlangsamung der Zunahme der Erwerbstätigkeit in Deutschland. Aufgrund eines ausgeprägten Überhangeffekts bleibt das Wachstum der Erwerbstä-tigkeit im Jahr 2019 trotzdem hoch, vermindert sich aber im kommenden Jahr jah-

BIP-Verlauf in DeutschlandEntwicklung des preis-, saison- und arbeitstäglich bereinigten BIP; Index 2015 = 100 und Veränderung gegenüber Vorjahr1) in Prozent

1) Nicht saison- und arbeitstäglich bereinigt.Quellen: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtscha�

2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2020

Abbildung 9

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110 2020:0,9 %

2019:0,5 %

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resdurchschnittlich auf nur noch 0,3 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sinkt 2019 noch leicht. Im Jahr 2020 kommt der seit 2013 anhaltende Abbau zu einem Ende.

Die Verschlechterung der konjunkturellen Rahmenbedingungen im Jahresverlauf 2019 hinterlässt in zunehmendem Maß Spuren auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Arbeitskräftenachfrage der Betriebe verliert an Dynamik. Im Zeitraum Januar bis Oktober 2019 wurden den Arbeitsagenturen 1,8 Millionen offene Stellen gemel-det – ein Rückgang um 160.000 gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Arbeitneh-merüberlassung, die schneller und stärker als andere Branchen auf Nachfrage-schwankungen reagiert, wird in diesem Jahr mehr als 10 Prozent weniger Beschäf-tigte haben als im Jahr 2018.

Ein weiterer Indikator für Arbeitsmarktanspannungen ist die zunehmende Nutzung von Kurzarbeit. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) schätzt die Anzahl der Kurz- arbeiter für November 2019 auf rund 80.000 Personen. Das wären mehr als doppelt so viele wie vor einem Jahr (Abbildung 10). Die Anzahl der Personen, für die Kurz-arbeit angemeldet wurde, signalisiert eine weitere Zunahme der Kurzarbeit. Das Niveau der Rezession 2011 bis 2013 ist bislang noch nicht erreicht, geschweige

Abbildung 10: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/AA7Ws5EpYHDzFw4

Personen in Anzeigen Kurzarbeiter Kurzarbeiter: BA-Schätzung

Empfänger von Kurzarbeitergeld aus konjunkturellen GründenAngaben für Deutschland in Personen

Quellen: Bundesagentur für Arbeit; Institut der deutschen Wirtscha�

Abbildung 10

Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan. Jan.2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

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denn das Ausmaß während der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2009, als 1,4 Millionen Arbeitnehmer konjunkturelles Kurzarbeitergeld bezogen. Derzeit konzentriert sich die Kurzarbeit auf wenige Branchen, vor allem auf die Metall- und Elektro-Industrie.

Zwar zeigen Frühindikatoren eine Abschwächung der Dynamik der Arbeitskräfte-nachfrage an, die absolute Anzahl der Erwerbstätigen nimmt aber weiter zu. Nicht unwesentlich ist dies auf einen Überhang aus dem von einem durchweg starken Wachstum der Erwerbstätigkeit gekennzeichneten Vorjahr zurückzuführen. Dieser statistische Überhang macht rund drei Viertel des jahresdurchschnittlichen Wachs-tums der Erwerbstätigkeit im Jahr 2019 aus. Dagegen sinkt die Arbeitszeit der Er-werbstätigen unmittelbarer, weil Betriebe vor einer Anpassung des Personalbe-stands durch Reduktion von Überstunden, Abbau von Guthaben auf Arbeitszeit-konten und Kurzarbeit ihre geringere Arbeitskräftenachfrage kurzfristig kompensieren können. Im Ergebnis kann die Erwerbstätigkeit in diesem Jahr mit 0,9 Prozent deutlich steigen, während das Arbeitsvolumen im Jahresdurchschnitt nur um 0,5 Prozent zunimmt (Tabelle 2).

Tabelle 2: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/L698NJwgwH2dAXox

Erwerbstätige im Inland(in 1.000 Personen) 44.854 45.236 45.355 0,9 0,3Arbeitszeit (in Stunden) 1.389,90 1.385 1.389 –0,4 0,3Arbeitsvolumen (in Mrd. Stunden) 62,344 62.652 62.998 0,5 0,6Reales BIP – – – 0,5 0,9Reales BIP je Erwerbstätigen – – – –0,4 0,6Reales BIP je Erwerbstätigenstunde – – – 0,0 0,3Erwerbslose (in 1.000 Personen)1) 1.468 1.418 1.432 –3,4 1,0Erwerbslosenquote (in Prozent)1) 3,2 3,0 3,1 – –Registrierte Arbeitslose (in 1.000 Personen) 2.340 2.278 2.289 –2,6 0,5 Arbeitslosenquote (in Prozent) 5,2 5,0 5,0 – –

Arbeitsmarkt und reale Entstehungsrechnung in Deutschland

1) Nach ILO-Konzept.Quellen: Bundesagentur für Arbeit; Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtscha�

20202019202020192018

Absolute Werte Veränderung gegenüberVorjahr in Prozent

Tabelle 2

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Die Schwäche der Arbeitsnachfrage wirkt sich auch auf die Arbeitslosigkeit aus. Die Anzahl der Empfänger von Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit lag im Oktober 2019 um 57.000 Personen über dem Stand des Vorjahresmonats. Dass die Arbeits-losigkeit insgesamt bislang nicht zunimmt, ist allein einem nach wie vor spürbaren Abbau der Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II zu verdanken. Während die über-wiegend strukturell bedingte Arbeitslosigkeit zurückgeht, nimmt die konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB III bereits zu. Im Jahresdurchschnitt 2019 wird die Arbeitslosigkeit um rund 60.000 Personen gegenüber dem Vorjahr sinken, was ausschließlich einem starken Rückgang in der zweiten Jahreshälfte 2018 zu verdanken ist. Die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit nahm dagegen von Januar bis Oktober 2019 um 30.000 Personen zu.

Weil das Wachstum der Erwerbstätigkeit im Jahresverlauf 2019 zurückgeht, wird der Überhangeffekt für das Jahr 2020 deutlich geringer ausfallen. Trotz einer wie-der höheren konjunkturellen Dynamik wird die Anzahl der Erwerbstätigen im nächsten Jahr nur um jahresdurchschnittlich 0,3 Prozent zunehmen. Die Arbeitszeit der Erwerbstätigen wird in starkem Maß durch einen Kalendereffekt beeinflusst. Im Jahr 2020 gibt es 3,7 mehr potenzielle Arbeitstage als 2019. Daher kann die durchschnittliche Arbeitszeit steigen und einen Teil des schwächeren Wachstums der Erwerbstätigkeit kompensieren. Das Arbeitsvolumen wird 2020 um 0,6 Prozent zunehmen. Die Arbeitslosigkeit profitiert davon jedoch nicht und wird von der verhalteneren Arbeitsnachfrage getroffen. Vor diesem Hintergrund kommt der seit 2013 anhaltende Abbau der Arbeitslosigkeit vorerst zum Stillstand. Eine substan-zielle Zunahme der Arbeitslosenzahlen ist nicht zu erwarten.

Fiskalische Spielräume werden engerÜberraschend robust zeigt sich derzeit noch der Staatshaushalt in Deutschland. Aber bereits im Jahr 2020 wird das dann deutlich schwächere Wachstum der Steuerein-nahmen den Gestaltungsspielraum vor allem des Bundes einschränken. Das gilt umso mehr, als die aktuell diskutierten Vorhaben bei Rente und Pflege zusätzliche Ausgabenrisiken bergen.

Der öffentliche Gesamthaushalt zeigt sich überraschend robust gegenüber der eingetrübten Konjunktur. Der Finanzierungssaldo sinkt nach dem Rekordjahr 2018 deutlich ab, es bleibt 2019 aber voraussichtlich bei einem immer noch hohen Über-

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Tabelle 3: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/7w7856WLLNgjEsa

schuss von 1,4 Prozent des BIP (Tabelle 3). Die Steuereinnahmen wachsen deutlich weniger dynamisch als in den Vorjahren, aber sie sorgen weiterhin für eine stabile Einnahmensituation. Hinzu kommen Sondereffekte wie die verminderten Abfüh-rungen im Jahr 2019 an die EU, die die Kassensituation des Bundes zurzeit noch entspannen. Damit hat Deutschland bis auf Weiteres eine hohe Steuerquote. Aufgrund ausbleibender steuerlicher Entlastungen wird erwartet, dass sie im Jahr 2019 auf einen Rekordwert von 24,4 Prozent des BIP steigen wird und dies trotz eines verlangsamten BIP-Wachstums, das im Normalfall wegen stärker rückläufiger Steuereinnahmen zu einer fallenden Steuerquote führen sollte. Im Jahr 2020 wird dies eintreten. Dann wird sich zeigen, wie vor allem die Bundesregierung mit dem geringeren Einnahmenzuwachs umgehen wird. Der Finanzplan des Bundes für die kommenden zwei Jahre ist bereits jetzt nur unter Auflösung einer in den vergange-nen Jahren gebildeten Rücklage ausfinanziert. Neue Schulden aufgrund von bereits beschlossenen Ausgabenprojekten (z. B. dem Baukindergeld) oder noch umzuset-zenden Maßnahmen (z. B. die Grundrente) sind dabei nicht ausgeschlossen (Hent-ze, 2019). Positiv hervorzuheben sind die seit dem Jahr 2018 anziehenden Investi-

Einnahmen 1.553 1.598 1.632 Steuern 801 822 832 Sozialbeiträge 572 594 614Ausgaben 1.491 1.551 1.621 Arbeitnehmerentgelt 256 269 278 Soziale Leistungen 806 844 887 Subventionen 29 30 31 Bruttoinvestitionen 79 85 93Finanzierungssaldo 62 46 10

Staatsquote1) 44,6 45,3 46,0Abgabenquote2) 40,6 40,9 40,7Steuerquote3) 24,3 24,4 24,0Finanzierungssaldo 1,9 1,4 0,3

Staatskonto für Deutschland

1) Staatsausgaben. 2) Steuern (einschließlich Steuerzahlungen an die EU) und Sozialbeiträge (ohne unterstellte Sozialbeiträge der Beamten). 3) Steuereinnahmen der Gebietskörperscha�en (einschließlich Steuerzahlungen an die EU).Quellen: Statistisches Bundesamt, Institut der deutschen Wirtscha�

202020192018

in Milliarden Euro

in Prozent des BIP

Tabelle 3

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tionen. Die Bruttoinvestitionen stiegen im Jahr 2018 um 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr an und sie dürften auch in den Jahren 2019 und 2020 mit über 8 Prozent zulegen.

Die Ausgaben für soziale Leistungen werden vor allem durch die Entwicklungen in der gesetzlichen Sozialversicherung getrieben. So steigen die Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) seit 1991 überproportional stark (Pim-pertz, 2019, 128). Der GKV-Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt veran-schlagt für dieses und nächstes Jahr einen Ausgabenzuwachs von jeweils rund 5 Prozent und erwartet deshalb trotz unverändert günstiger Beschäftigungslage einen Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes um 0,2 Punkte auf 1,1 Prozent im Jahr 2020 (Bundesversicherungsamt, 2019). Auch die Ausgaben der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) legen deutlich zu, wobei zusätzliche Auf-wendungen für die geplante Einführung der Grundrente nicht berücksichtigt sind – weder im Haushalt der GRV noch in dem der BA, die bei wortgetreuer Umsetzung des erzielten Grundrenten-Kompromisses künftig für die Bezieher von Arbeitslo-sengeld höhere Beiträge zur Rentenversicherung abführen soll.

Zusätzliche Unsicherheit bezüglich der Ausgabenentwicklung besteht in der sozi-alen Pflegeversicherung (sPV). Die Anzahl der Pflegebedürftigen ist nach der Um-stellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade zunächst sprunghaft angestie-gen. Noch stehen zu wenig Beobachtungen zur Verfügung, um das weitere Wachs-tum der Fallzahlen zuverlässig abschätzen zu können. Außerdem ist bislang nicht absehbar, wie sich die zum Teil noch in der Abstimmung befindlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Pflege auf die Ausgabendynamik der sPV auswirken werden. Die Prognose der Ausgaben für soziale Leistungen birgt aber nicht nur ausgaben-relevante Risiken, sondern gleichzeitig schwächt sich das Wachstum der Sozial-beiträge im Jahr 2020 trotz des höheren GKV-Zusatzbeitrags leicht ab. Zudem entstehen den gesetzlichen Krankenkassen Einnahmenausfälle von geschätzt 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, die durch den neu eingeführten Freibetrag bei der Beitragsberechnung auf Betriebsrenten verursacht werden. Auch wenn diese Lücke zunächst zulasten der bestehenden Rücklagen geschlossen werden soll und deshalb kurzfristig nicht beitragsrelevant wird, muss mittelfristig mit einem weiteren An-passungsdruck auf den GKV-Beitragssatz gerechnet werden.

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Insgesamt kann die Beitragssatzsumme zur gesetzlichen Sozialversicherung (ohne Unfallversicherung) 2020 nur knapp unter der 40-Prozent-Marke stabilisiert werden. Sollte der Grundrenten-Kompromiss bereits 2020 umgesetzt werden, sorgt die gleichzeitig verabredete Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversiche-rung um einen Zehntelpunkt allenfalls kurzfristig für eine marginale Entlastung, weil der Anpassungsdruck in der GKV und sPV unvermindert hoch bleibt.

Wirtschaftspolitik für InvestitionenDer aktuelle konjunkturelle Abschwung in Deutschland ist nicht allein eine typische Phase zyklischer Schwankungen, wie sie im Konjunkturzyklus nach einem langen Aufschwung zu erwarten sind. Vielmehr droht die konjunkturelle Anspannung verbunden zu sein mit strukturellen Herausforderungen, die in einer länger anhal-tenden Anpassungskrise münden können. Die Industrierezession und die derzeit ausgesprochen pessimistischen mittelfristigen Wachstumserwartungen der Indus-trie deuten darauf hin. Die Strukturveränderungen, die in der Automobilindustrie zu erwarten und zu bewältigen sind, liefern das plakativste Beispiel dafür, dass die verringerten Wachstumsraten nicht nur konjunkturelle und weltwirtschaftliche, sondern auch strukturelle und angebotsseitige Ursachen haben.

Strukturelle Herausforderungen und konjunkturelle Abschwächung können sich besonders in der Industrie wechselseitig verschärfen. Ein Verzicht auf Investitionen reduziert die Anpassungsfähigkeit an strukturelle Herausforderungen wie die Di-gitalisierung oder den Klimawandel, beschränkt die mittel- und langfristigen Wachstumschancen der Unternehmen und schwächt gleichzeitig kurzfristig die konjunkturelle Dynamik. Die aktuellen Investitionsabsichten haben sich deutlich eingetrübt. Für eine schnelle Bewältigung der konjunkturellen und strukturellen Herausforderungen ist das nicht förderlich.

An dieser Stelle muss die Wirtschaftspolitik ansetzen. Es wäre falsch, auf die Kon-junkturschwäche mit konsumorientierten Ausgabenprogrammen zu reagieren. Der Konsum ist weiterhin eine funktionierende Stütze der Konjunktur. Ein hoher Be-schäftigungsstand und ein recht stabiles Konsumentenvertrauen untermauern dies (Bardt et al., 2019b). Notwendig ist eine Politik, die Strukturanpassungen er-leichtert und private Investitionen ermöglicht, um der Gefahr einer Strukturanpas-sungskrise zu begegnen und zugleich konjunkturelle Impulse zu setzen:

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■■ Deutschland liegt bei der Unternehmensbesteuerung in der Spitzengruppe. Eine Entlastung würde die Chancen auf Investitionen steigern. Besonders mit degressiven Abschreibungen kann kurzfristig ein Impuls für zusätzliche Investi-tionen gesetzt werden.

■■ Zur Bewältigung der strukturellen Herausforderungen bedarf es komplementärer öffentlicher Investitionen, etwa in die digitale Infrastruktur oder in ein Netz von Ladestationen für Elektroautos. Gleichzeitig müssen Unternehmen und Haushalte bei der Umstellung auf klimafreundliche Technologien unterstützt werden, wenn sich diese Investitionen betriebswirtschaftlich nicht rechnen. Das gilt beispielsweise durch die Förderung von Infrastrukturen oder den Austausch von überalterten Hausheizungen.

■■ Ein Grund für Verunsicherung und Investitionszurückhaltung sind unklare Rah-menbedingungen und politische Vorgaben (Grömling/Matthes, 2019). Dies betrifft beispielsweise die Ausnahmeregelungen für energieintensive Unterneh-men bei Abgaben auf den Energieverbrauch. Berechenbare Rahmenbedin-gungen, die auf einem klaren ordnungs- und angebotspolitischen Konzept beruhen, stärken die Investitionsbereitschaft und unterstützen strukturelle Anpassungen.

■■ Der entscheidende Schlüssel für die Bewältigung der Strukturveränderungen liegt in der Innovation. Nur mit Innovationen können Unternehmen sich auf klimaschonende Produktionsverfahren, digitale Technologien und neue Ge-schäftsmodelle einstellen. Die Stärkung der anwendungsorientierten Innova-tionsförderung ist eine zentrale öffentliche Aufgabe.

Der weltwirtschaftliche Hintergrund mit der prägenden geopolitischen Verunsi-cherung kann auf nationaler Ebene allein nicht gelöst werden. Zwar kann und muss die Bundesregierung sich weiterhin für offene Märkte und ein multilaterales, re-gelgebundenes Handelssystem einsetzen, für die deutsche Volkswirtschaft bleiben diese externen Risiken von hoher Bedeutung. Innovation und Flexibilität der Un-ternehmen, der Mitarbeiter, der Tarifpartner und der staatlichen Regelsysteme sind unerlässlich, um sich so weit wie möglich anzupassen und damit negative realwirt-schaftliche Auswirkungen möglichst geringzuhalten.

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Anhang: http://dl.iwkoeln.de/index.php/s/m5FPTXnsFRRpACM

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Entstehung des realen Bruttoinlandsprodukts Erwerbstätige 1,4 0,9 0,3 Arbeitslosenquoten1) 5,2 5,0 5,0Arbeitsvolumen 1,3 0,5 0,6 Produktivität2) 0,3 0,0 0,3Bruttoinlandsprodukt 1,5 0,5 0,9 Verwendung des realen Bruttoinlandsprodukts Private Konsumausgaben 1,3 1,5 0,9 Konsumausgaben des Staates 1,4 2,0 1,9 Anlageinvestitionen 3,5 2,7 1,2 – Ausrüstungen 4,4 1,0 –0,5 – Sonstige Anlagen 4,3 2,7 2,5 – Bauten 2,5 3,8 1,9 Inlandsnachfrage 2,1 0,9 1,2 – Export 2,1 1,1 0,8 – Import 3,6 2,2 1,2 Bruttoinlandsprodukt 1,5 0,5 0,9 Preisentwicklung Verbraucherpreise 1,8 1,4 1,4 Staatshaushalt Finanzierungssaldo3) 1,9 1,4 0,3

IW-Prognose für Deutschland 2019 und 2020

1) Registrierte Arbeitslose in Prozent der Erwerbspersonen. 2) Reales BIP je Erwerbstätigenstunde. 3) In Prozent des nominalen BIP. Quelle: IW-Prognose Dezember 2019

202020192018

Anhang

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The German Economy Is Running on the Spot – IW Economic Forecast and IW Business Survey Winter 2019The German economy is stagnating. Manufacturing has been in recession since 2018 and the value added notched up by business-to-business services also declined in the second and third quarters of 2019. While this is partly the result of a cyclical normalisation following a phase of high capacity utili-sation, protectionism and geopolitical uncertainties are weighing on global investment activity. This is particularly affecting German industry, which is highly active in the international capital goods bu-siness. According to the IW Business Survey of Autumn 2019, companies are entering the coming year with very modest export, investment, employment and production expectations. On the demand side, however, consumer spending – and especially public consumption – remains on the upswing, while investments in construction also continue to grow. Only foreign trade and investment in machinery and equipment are failing to provide any economic stimulus. Provided that the global economy does not deteriorate further – as in 2019, it is expected to grow by around 2 ¾ per cent in the year ahead – and the cost of structural adjustments in certain parts of industry remains under control, some momentum can be expected in the latter part of 2020. After real GDP growth of around 0.5 per cent in 2019, an in-crease of 0.9 per cent is forecast for the coming year, though this is partly due to public holidays falling at the weekend. Unemployment has edged down again in 2019, but in 2020 the steady fall recorded since 2013 will come to an end.

IW-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V., 46. Jahrgang, Heft 4/2019; ISSN 0941-6838 (Printversion); ISSN 1864-810X (Online-version). Rechte für den Nachdruck oder die elektronische Verwertung erhalten Sie über [email protected] © 2019, IW Medien GmbH, Köln; DOI: 10.2373/1864-810X.19-04-04