jahresberich ADFKLJ SLJKS FGLKSF SFLºKFGB SLKSDF SDFLK

76
JAHRESBERICHT 2005/06 1. August 2005 – 31. Juli 2006

description

SDGLSDJKL SDLºKSF SFLºKFG SFKLÇFG FGLºKSF SFLK BLºS,LM SLºKB SLºKSF B

Transcript of jahresberich ADFKLJ SLJKS FGLKSF SFLºKFGB SLKSDF SDFLK

  • JAHRESBERICHT 2005/06

    1. August 2005 31. Juli 2006

  • Kaulbachstrae 31a, 80539 Mnchen

    Kaulbachstrae 31, 80539 Mnchen

    (089) 23 86-23 00

    (089) 23 86-23 02

    [email protected]

    www.hfph.mwn.de oder www.hfph.de

    www.hfph.mwn.de/handy.wml

    Bankkonto:Hochschule fr Philosophie, MnchenLIGA-Bank MnchenKto.-Nr. 213 98 20(BLZ 750 903 00)

    Spendenkonto:HypoVereinsbank MnchenKto.-Nr. 580 022 80 28(BLZ 700 202 70)

    2

    Postadresse

    Hausadresse

    Telefon

    Telefax

    e-mail

    Internet

    WAP

    Bankverbindungen

    HOCHSCHULE FR PHILOSOPHIEPHILOSOPHISCHE FAKULTT S.J.

  • Josef Schmidt: Laudatio zur Verleihung des Ehrendoktorsan Prof. Dr. Richard Schaeffler . . . . . . . . . . . . . . . . 4

    Richard Schaeffler: Lesen im Buche der Welt ein Wegphilosophischen Sprechens von Gott? . . . . . . . . . . . . 10

    Jahresbericht 2005/06

    Organe der Hochschule (Stand: 31.07.2006) . . . . . . . . . 35

    Verwaltung der Hochschule (Stand: 31.07.2006) . . . . . . . 36

    Zusammenarbeit mit anderen Hochschulenim Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

    Wissenschaftliche Einrichtungen (Stand: 31.07.2006) . . . . . 37

    Lehrkrper (Stand: 31.07.2006) . . . . . . . . . . . . . . . . 40

    Tutorium (Stand: 31.07.2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

    Studierende, Studienabschlsse und Habilitationim Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

    Vorlesungen, Seminare und bungenim Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

    Akademische Veranstaltungen im Berichtszeitraum . . . . . . 52

    Herausgabe von Reihen und Zeitschriftenim Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

    Weitere Verffentlichungen der Professoren und Dozentenim Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

    Auswrtige Ttigkeit der Professoren und Dozentenim Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

    Dissertationen im Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . . 73

    Magisterarbeiten im Berichtszeitraum . . . . . . . . . . . . . 74

    3

    INHALTSVERZEICHNIS

  • von Josef Schmidt S.J.

    PHILOSOPHIE als Liebe zur Weisheit ist nicht in erster Linieeine gelehrte Disziplin, sondern eine Lebensform, so schreibtRichard Schaeffler in einem Lexikonartikel zum Stichwort Philoso-phie (SaMu 1969). D.h. sie gibt dem Leben Form, die Form, die esverdient und die es lebenswert macht, indem sie, wie Platon sagt,den Menschen zur Umkehr bewegt, aus der Schattenwelt derMeinungen und Vorurteile herausfhrt und ihn zum rechten Urteilbefhigt, zur Vernunft bringt. Wer Richard Schaeffler gelesen hat,wer ihn als Lehrer erleben durfte, der wei, wie sehr dieses Ver-stndnis von Philosophie auf ihn selbst zutrifft. Sein Denken, so dif-ferenziert und anspruchsvoll es ist, es ist nie abgehoben, es bleibtimmer geerdet, aus Erfahrung erwachsend und dem Leben die-nend. So ist denn auch sein wissenschaftliches Werk nicht zu wr-digen, ohne ein paar Schlaglichter auf sein Leben, seine Biographiegeworfen zu haben.

    Er ist 1926 in Mnchen geboren. Kindheit und Jugend waren we-sentlich durch die Tatsache bestimmt, da seine Mutter eine ge-taufte Jdin gewesen ist. Die Einschulung ins Benediktinergymna-sium in Ettal geschah schon im Hinblick darauf, da er dort Anfein-dungen als Halbjude entzogen sein wrde. Nach Schlieung derSchule durch die Nationalsozialisten 1941 mute er auf eine staatli-che Schule wechseln: auf das Theresiengymnasium in Mnchen.Schon im folgenden Jahr wurde er von dort aus rassischen Grn-den verwiesen. Einige Lehrer gaben ihm aber unter hohem persn-lichen Risiko Privatunterricht. Schaeffler begann eine Drogistenleh-re in der vterlichen Arzneiwarenhandlung. 1944 wurde er von derGestapo verhaftet und in ein Sonderarbeitslager gebracht. Da sichsein Vater trotz Aufforderung vom Innenministerium weigerte, sichvon seiner Frau zu trennen, kam er ebenfalls in ein Arbeitslager.Dann wurde amtlich festgestellt, da seine eheliche Gemeinschaftde facto nicht mehr besteht. Damit entfiel der bis dahin bestehen-de Schutz der Mutter vor der Deportation. Die Rettung kam vomGemeindepfarrer. In Absprache mit Kardinal Faulhaber versteckteer sie bis zum Kriegsende im Pfarrhaus.

    Diese schlimmen Erfahrungen, die Macht einer Ideologie und dieVerfhrbarkeit durch ihre Propaganda brachten den jungen Richardfrh zum selbstndigen Denken. Ein Wort des Vaters blieb fr ihnleitend: Wahrheitsfragen sind keine Mehrheitsfragen, merk dirdas!. An den Eltern erlebte er die geistige Unabhngigkeit und Un-beugsamkeit, die die Bindung an das Gewissen und der religise

    4

    LAUDATIO ZUR VERLEIHUNG DES EHRENDOKTORSAN PROF. DR. RICHARD SCHAEFFLER

  • Glaube zu geben vermgen (Die Konversion der Mutter erfolgte ausberzeugung und noch bevor sie ihren katholischen Mann kennen-lernte). Doch wie stehen diese Bindungen zu der Wahrheit, die sichdenkend erreichen und argumentativ vermitteln lt? Mit diesenFragen war das Interesse an der Philosophie geweckt, das den jun-gen Mann von da an nicht mehr loslassen sollte. Im Wintersemester1945/46, noch ehe es mglich war, das Abitur nachzuholen, stu-dierte er als Gasthrer an der Hochschule der Jesuiten in Pullach,also an dieser Hochschule als sie noch in Pullach war und eigentlichnur der Ausbildung der Ordensangehrigen diente. An seine jesui-tischen Lehrer von damals erinnert er sich noch heute mit Dank-barkeit.

    Nach dem Abitur, das er an der Schule ablegte, von der er zuvor ver-wiesen worden war, begann er das Studium der Philosophie, Psy-chologie und katholischen Theologie in Tbingen, wo er 1952 inPhilosophie promovierte. 1954 heiratete er die Theologin MariaLaub. Sie ist bis heute dem Philosophen die theologische Partne-rin geblieben, die ihm Gelegenheit gab (und gibt), das philoso-phisch-theologische Gesprch nicht nur zu beschreiben, sondernauch zu fhren (Die Wechselbeziehungen zwischen Philosophieund katholischer Theologie, Vorwort). Zunchst arbeitete Schaeff-ler als Assistent im Fach Philosophie in Erlangen, Mainz und Tbin-gen, habilitierte sich 1961 in Tbingen und war von 1968 bis zu sei-ner Emeritierung Ordinarius fr Philosophisch-TheologischeGrenzfragen an der neu gegrndeten Universitt Bochum. DieFachbezeichnung war ihm (nach seinen Worten) auf den Leib ge-schnitten. Sie entsprach ganz seinem Interesse und beschreibt dieFragestellung und Thematik, der er von nun an sein ganzes Engage-ment widmen sollte als Wissenschaftler und Lehrer sowie als Mit-arbeiter in den verschiedensten Gremien des universitren und deskirchlichen Lebens. Dazu kamen seine Publikationen: Seine Biblio-graphie umfat etwa 300 Titel. In acht Sprachen liegen bersetzun-gen von seinen Werken vor.

    Ich werde im folgenden die wichtigsten Forschungsfelder Schaeff-lers skizzieren und dabei auf einige seiner Werke hinweisen. Seinwissenschaftlicher Weg beginnt mit der Dissertation Die Fragenach dem Glauben im Werk von Karl Jaspers. Jaspers geht es umdie menschliche Existenz und um die unausweichliche Verant-wortung, in die sie gestellt ist (auch Jaspers hatte eine jdische Frau,von der er sich nicht trennte, so da das Ehepaar jahrelang in tdli-cher Bedrohung lebte). Die Offenheit, die diese Existenz aus-zeichnet, ist durch eine Transzendenz ermglicht, ein Umgrei-fendes, das sich dem Menschen in Chiffren zeigt, keinesfallsaber in einer definitiven Selbstoffenbarung. Schaefflers behutsame,aber entschiedene Kritik betrifft diesen Punkt mit der Frage, obnicht die Festlegung der Transzendenz auf die Unmglichkeit ihrerSelbstfestlegung in der Geschichte ihrer Unverfgbarkeit im Grun-de widerspricht.

    5

  • Die Existenz des Menschen ist eine jeweilige, geschichtliche. Die-ser im 19. Jahrhundert aufgebrochenen und in unserer Zeit beson-ders durch Heidegger in den Mittelpunkt gerckten Thematik wid-met sich die Habilitationsschrift: Die Struktur der Geschichtszeit.Der Hauptgedanke ist der, da das Seiende nicht einfach der Zeitunterworfen ist, sondern sich zeitlich vollzieht, sich zeitigt, d.h.indem es die Negation der eigenen Gegenwart, des eigenen Seins,selbst vollzieht, nicht der Vernichtung anheimfllt, sondern sichverwirklicht, und dies ganz prinzipiell, so da der Vollzug der eige-nen Faktizitt der Ausgriff ber jede Faktizitt hinaus ist (533 u.passim).

    Die Erkenntnis der Geschichtlichkeit, das geht aus den Analysenhervor, ist nicht zu trennen von der neuzeitlichen Hinwendung zumSubjekt, ja sie ist lediglich deren Radikalisierung. Aus dieser, nichtmehr zurcknehmbaren, wenn auch selbst geschichtlich geworde-nen Perspektivennderung mu der Philosoph die Konsequenzenziehen fr die Konzipierung dessen, was Aristoteles erste Philoso-phie nennt, also eine Lehre vom Sein als solchen, d.h. von denPrinzipien der Philosophie (von Aristoteles in Abhngigkeit von Pla-ton brigens auch Theologie genannt).

    Nach zahlreichen Vorarbeiten erscheint dazu 1995 das umfangrei-che Werk: Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Im Titel liegtbereits eine Antwort auf die Herausforderungen, die der beschrie-bene Perspektivenwechsel mit sich bringt. Bei aller geschichtlichenRadikalisierung der Subjektkonstitution unserer geistigen Vollzgeist zu beachten, da deren Norm die Wahrheit ist. Das Ich blicktvon sich weg auf den Gegenstand. Der ist ihm Mastab und der Ga-rant dafr, da es sich nicht in sich selbst verfngt. Und so er-schliet sich das Subjekt die Gegenstandwelt, an der es gemessenwerden will. Dabei erffnet sich ihm eine Vielfalt von Gegenstands-feldern, etwa das der Naturwissenschaft und Technik, aber auch dersthetik oder der Moral. In all diesen Feldern kann die Wahrheitverfehlt werden. Nirgendwo herrscht der Subjektivismus als Prin-zip. Doch die Mastbe sind verschieden und drfen nicht aufein-ander reduziert werden. Moralische Fragen lassen sich nicht natur-wissenschaftlich lsen und ebenso nicht umgekehrt. Und doch gibtes Interferenzen zwischen diesen Gegenstandsbereichen, etwawenn wir an die Folgen von Wissenschaft und Technik denken.Aber knnen wir einem bergeordneten Anspruch der Wahrheit ge-recht werden, wenn weder die Reduktion auf eines der Gegen-standsfelder mglich ist, noch das Aufgehenlassen aller in einemeinheitlichen Bereich? Wenn es aber bei der Verschiedenheit derFelder bleibt, droht unsere Welt auseinanderzufallen und damitauch unser Ich, das seine Einheit nur aus der seiner Welt gewinnt.Die Postmoderne fhrt uns die Gefahr eines solchen doppelseitigenAuseinanderfallens vor Augen. Schaeffler zeigt, da die Lsung die-ser Aporie nur darin bestehen kann, da die eine Wahrheit zwarunausweichlicher Anspruch an uns bleibt, nie aber zu einer verfg-baren Gegenstandswelt wird. Der Anschlu an Kant ist deutlich.

    6

  • Die eine Wahrheit bleibt Postulat, Forderung, aber (und hierinliegt eine Akzentverschiebung gegenber Kant) nicht nur des Sub-jektes, sondern an das Subjekt, denn die eine Wahrheit wird alsAnspruch erfahren. Sie ist uns gegeben als eine aufgegebene, wieentsprechend auch die Einheit unseres Ich uns als eine aufgegebenegegeben ist. Bis hinein in unsere elementarsten Erfahrungen hat un-ser Kontakt mit der Wirklichkeit responsorischen Charakter, d.h.er trgt die Zge einer Antwort auf einen Anspruch, dem die Ant-wort entsprechen oder nicht entsprechen kann, der sie aber durchdiese Normierung auch wahrheitsfhig macht.

    Da unsere geistige Bettigung sich von einem unverfgbaren An-spruch her verstehen mu, hat Schaeffler schon frh fr die Reli-gionsphilosophie ausgewertet. Sein Buch Religion und kritischesBewutsein (1973) entstand in einer Zeit, in der das Wort Kritikgrogeschrieben wurde. Von Gesellschaftskritik war die Rede,von der Kritik der Institutionen, berhaupt von Systemkritik,und auch die Religionskritik war in aller Munde. Nach Marx ist siesogar die Voraussetzung aller Kritik (Zur Kritik der HegelschenRechtsphilosophie). Schaeffler konnte, fr viele berraschend, zei-gen, da Kritik ein innereres Moment der Religion ist. Die Kritik anreligisen Anthropomorphismen bei den Griechen oder am Gt-zendienst bei den AT-Propheten kommt aus dem religisen Wissenum die uneinholbare Wahrheit des Gttlichen. Das Heilige zeigtsich selbst in dieser Weise des je Hheren. Es zeigt sich, indem essich entzieht und die Vorstellungen von ihm immer wieder zer-bricht.

    Wird Religionsphilosophie systematisch betrieben, so kann dies nurin einer Zusammenfhrung verschiedener methodischer Anstzegeschehen, so Schaeffler in seinem Buch Religionsphilosophie(1983, jetzt 3. Auflage). Eine Philosophische Gotteslehre, in einersubjektgewendeten, transzendentalen Gestalt, braucht man, umKriterien fr die Identifikation des Gottesbegriffs zu benennen (imSinne der typoi peri theologias bei Platon, Politeia II). Die Reli-gionsphnomenologie mu dazukommen, um den noetischen Ge-genstand des Religisen vor Augen zu bringen, und die Religionsge-schichte, die den Wandel des religisen Bewutseins darstellt, ei-nen Wandel, der diesem Bewutsein nicht uerlich ist, weil dasHeilige sich je neu darstellt und bisherige Vorstellungen von ihmselbst berholt. Im jdisch-christlichen Glauben ist diese geschicht-liche Dimension dann als solche Medium des Erscheinens Gottesgeworden. Fr die Erhellung des religisen Lebens in seinen Aus-drucksgestalten greift Schaeffler auf Erkenntnisse der Sprachphilo-sophie zurck. So wird im Gebet auf das Gttliche in sprachlichenPropositionen Bezug genommen, die nicht primr Aussagestzesind, sondern Dank, Bitte und Hoffnung zum Ausdruck bringen undin diesen Akten eine Beziehung zwischen dem Sprecher und demAngesprochenen herstellen (hnlich wie im Alltag der Gru eine in-tersubjektive Beziehung aktualisiert). Schaeffler macht in diesemZusammenhang darauf aufmerksam, da der heute so gelufige Be-

    7

  • griff der Sprachhandlung von dem jdischen Philosophen Her-mann Cohen stammt, und zwar aus seiner Analyse der Gebetsspra-che. Weitere Ausfhrungen zur religisen Sprache mit einer Fllevon Beispielen finden sich in den beiden schnen Bchern: KleineSprachlehre des Gebetes (1988) und: Das Gebet und das Argu-ment (1989).

    Dem Verhltnis von Philosophie und Theologie hat Schaeffler eineReihe von Monographien gewidmet. Frmmigkeit des Denkens?Martin Heidegger und die katholische Theologie (1978), Wasdrfen wir hoffen? Die katholische Theologie der Hoffnung zwi-schen Blochs utopischem Denken und der reformatorischen Recht-fertigungslehre (1979) und weitausgreifend: Die Wechselbezie-hungen zwischen Philosophie und katholischer Theologie (1980).

    Dem Bezug dieser beiden Wissenschaftsdisziplinen ist auch dasbisher letzte Werk gewidmet, eine Summe seiner Bemhungen umdiese Thematik: Philosophische Einbung in die Theologie (2004,drei Bnde, das bisher umfangreichste Werk). Im Vorwort sagt derAutor: Zu meinen philosophischen Grund-berzeugungen gehrtdie, da die Wahrheit immer grer ist als unser Wissen von ihr,und da doch alles Suchen nach Wahrheit nur mglich ist, weil sie,inmitten der Unzulnglichkeit unseres Wissens, als wirksam voran-treibende Kraft in uns gegenwrtig ist (I, 8). Diese veritas sempermaior ist das Leitmotiv des Werkes. Ihr jeweiliger Anspruch konsti-tuiert die Geschichtlichkeit der geistigen Ausrichtung auf ihn. In sei-ner Unausschpfbarkeit ist er aber nur durch den Gottesgedankenangemessen zu fassen. Erwhlung und Bund bekommen vondiesem Anspruch her ihren Sinn, ebenso die universale Bedeu-tung der Religion des so erwhlten Volkes, die sich erwiesen hat an-gesichts der Krise des religisen Bewutseins der damaligen Hoch-kulturen (bei den gyptern, den Persern und explizit philosophischbei den Griechen, wie Schaeffler kenntnisreich darzustellen ver-steht). Die universale Bedeutung des geschichtlich Einmaligenkommt schlielich zu ihrem auch begrifflich unberbietbaren H-hepunkt in der Lehre von Gottes letztem Wort in Jesus Christus,wobei diese Lehre dann wieder neu das Feld der Geschichte erff-net, nmlich durch die Notwendigkeit einer stets angemessenenDarstellung dieses letzten Wortes in Tradition und Interpretation.Dabei verndern sich z. B. Grundbegriffe der Interpretation, wieSchaeffler am Bedeutungswandel der Begriffe Natur und Per-son und ihrem Einmnden in den neuzeitlichen Begriff der Frei-heit aufzeigt.

    Breiten Raum nimmt die Geschichte Israels ein. Beeindruckend istfr den Theologen die intime Kenntnis des AT und der souverneUmgang mit der hebrischen Sprache. Das hat auch familire Grn-de: Die Mutter betete noch auf dem Sterbebett auf hebrisch. Da-mit ist ein Feld berhrt, das fr Schaeffler ein groes Anliegen ist:der jdisch-christliche Dialog. Gehrt er nicht eigentlich, so fragter, in den kumenischen Dialog, worin er sich geradezu spiegelt?

    8

  • Der Christ wirft dem Juden das Festhalten am Gesetz vor. Eben die-sen Vorwurf erhebt der Protestant gegenber dem Katholiken: ersei der jdischen Werkgerechtigkeit verhaftet geblieben. Der Ka-tholik ist geneigt, sich dem Juden zu empfehlen durch Absetzungvon den Protestanten und, mit Hinweis etwa auf den Jakobusbrief,die Werke neben dem Glauben zu betonen. Zu seinen evangeli-schen Mitchristen hingewandt streicht er dann wieder den Vorrangdes Glaubens und der Gnade heraus in gemeinsamer Absetzungvom Judentum, und das Judentum wiederum wei sich gegen denVorwurf zu wehren, bei ihm komme diese Seite der Gnade und desGlaubens berhaupt zu kurz: Ist es nicht schlielich Gott selbst, derdem Menschen ein neues Herz einsetzt (Ez 36, 26; Jer 24, 7; 31,33), und wendet sich der Beter nicht an Gott mit den Worten:Mach du, O Gott, da wir umkehren (Psalm 80, 4. 8. 20)? Wiesehr das philosophische Dialegsthai einen solchen Dialog be-gleiten, beleben und fair zu fhren helfen kann, das ist an den Bei-trgen Schaefflers zu diesem Thema zu lernen.

    Die Theologie hat Richard Schaeffler fr die Hilfe, die er ihr alsPhilosoph hat zuteil lassen, bereits gedankt durch die Verlei-hung des theologischen Ehrendoktors der Universitt Freiburg imJuli diesen Jahres. Da ihm in gleicher Weise auch die Philosophieverpflichtet ist, indem sie sich von ihm daran erinnern lt, da sieihre ureigene philosophische Offenheit nur dann bewahrt, wenn siesich der Theologie nicht verschliet, dies soll die heutige Verleihungdes philosophischen Ehrendoktors an ihn durch die Hochschule frPhilosophie zum Ausdruck bringen.

    Anmerkung: im Rahmen der Akademischen Feier der HOCHSCHULE FR PHILOSOPHIE

    am 11. November 2005.

    9

  • von Richard Schaeffler

    Verehrte Festversammlung! Gestatten Sie mir, da ich mich, vorEintritt in die Behandlung meines Themas, an den Herrn Rektorund die Professoren dieser Hochschule wende, um ihnen meinenDank fr die mir zuteilgewordene Ehrenpromotion auszusprechen.

    Magnifizenz, Sehr verehrte Herren Kollegen! Sie werden verstehen,da ich in dieser Stunde von dem Gefhl der Dankbarkeit erfllt fast htte ich gesagt: berwltigt bin, und das aus einem vierfa-chen Anla:

    1. von Dankbarkeit gegenber dieser Hochschule, die mir 1945,nach Rckkehr aus einem Sonderarbeitslager fr Halbjuden undjdisch Versippte Gastrecht gewhrt und einen sehr ungewhn-lichen Studienbeginn ermglicht hat. Die Hochschule lie michals Gasthrer zu, obwohl ich von der NS-Regierung aus der Schu-le verwiesen worden war und deshalb noch keine Gelegenheitgehabt hatte, das Abitur abzulegen. Pater Schmidt hat davon inseiner Laudatio berichtet. Bei dieser Gelegenheit sollte ich dank-bar erwhnen, da die Lehrer des Theresiengymnasiums in Mn-chen mir, ohne Rcksicht auf persnliche Gefahren, bis zu mei-ner Verhaftung Privatunterricht erteilt hatten, soda ich das Abi-tur noch whrend der Zeit meines Gastrechts an dieser Hoch-schule nachholen konnte.

    2. von Dankbarkeit gegenber dieser Hochschule, der ich mich inallen folgenden Jahren verbunden wissen durfte; denn es hatschon etwas Ungewhnliches an sich, da ich seit jenen beidenSemestern gleich nach dem Kriege nun schon mit der dritten undvierten Generation derer, die hier lehren, in einem wissenschaftli-chen Austausch stehen darf. Dieser bringt mich in meinen eige-nen philosophischen Bemhungen voran, macht mich durch kri-tische Rckfragen auf Korrektur- und Ergnzungsbedrftigkeitenin meinen Entwrfen aufmerksam und hat mich immer wieder inmeinen wissenschaftlichen Plnen ermutigt. Eine solche Art deswissenschaftlichen Austausches ist heute an Universitten undHochschulen selten geworden. Vielleicht bedarf es jener Lebens-gemeinschaft der Gelehrten, die speziell an Ordenshochschulenmglich ist, um jenes Ma an selbstloser Kollegialitt einzuben,das ich in diesem Hause erfahren darf.

    3. von Dankbarkeit gegenber dieser Hochschule, die mir, nachmeiner Versetzung in den Ruhestand, nun erneut Gastrecht ge-whrt und mir so eine Fortsetzung meiner Lehrttigkeit gestattet;

    10

    LESEN IM BUCHE DER WELT EIN WEGPHILOSOPHISCHEN SPRECHENS VON GOTT?

  • so lt sie mich jenen Kontakt mit neuen Generationen von Stu-dierenden finden, den ich nach meiner Emeritierung schmerzlichvermit habe,

    4. schlielich und vor allem von Dankbarkeit gegenber der Hoch-schule, die mir nun, an der Schwelle des Greisenalters, durch dieEhrenpromotion eine ermutigende Anerkennung meines wissen-schaftlichen Lebenswerks ausgesprochen hat.

    Wie dankt man in dieser Lage einer wissenschaftlichen Institu-tion? Gewi zuerst, indem man ffentlich bekennt, was manihr zu verdanken hat. Das habe ich hier, in der gebotenen Knapp-heit, zu tun versucht. Sodann aber und vor allem dadurch, da manRechenschaft darber ablegt, was man aus den empfangenen Ga-ben gemacht hat. Ein solcher Versuch, Rechenschaft abzulegen,kann nur darin bestehen, dieser Hochschule eine kleine Probe derFrchte eines lebenslangen philosophischen Nachdenkens als Fest-gabe zu ihrer diesjhrigen Jahresfeier anzubieten. So wollen die nunfolgenden Ausfhrungen verstanden sein. Und damit zu meinemThema: Lesen im Buche der Welt ein Weg philosophischen Spre-chens von Gott?

    Eminenz, hochwrdigster Herr Kardinal! Magnifizenz, sehr ver-ehrter Pater Rektor! Hochwrdiger Pater Provinzial! VerehrteVertreter staatlicher, kirchlicher und akademischer Institutionen!Liebe Kollegen! Meine stets besonders geschtzten Studierenden!Hochansehnliche Festversammlung! Meine Damen und Herren!

    Vorbemerkung zum Thema: Lesen im Buche der Welt

    1. Die mehrfache Bedeutung eines Programmworts

    Lesen im Buche der Welt diesen Titel fr die nun folgenden Aus-fhrungen habe ich nicht selber erfunden. Ich verdanke ihnHans Blumenberg. Aus seinen Schriften Die Legitimitt der Neu-zeit und Die Lesbarkeit der Welt, aber auch aus meiner persnli-chen Begegnung mit ihm in unseren gemeinsamen bochumer Jah-ren, habe ich einen dreifachen Hinweis gewonnen, den ich gerneaufgreife, um daran eine Erluterung der Aufgabe anzuknpfen, dieich mir fr diesen Vortrag gestellt habe.

    Die Formulierung Lesen im Buche der Welt, die schon im sptenMittelalter auftritt, gewinnt in der Renaissance den Charakter einesProgrammworts der rzte und Naturforscher. Ihnen gilt nicht dasLesen in den Bchern der Alten, vor allem in den Schriften vonHippokrates und Galen, als die primre Quelle des Erkennens, son-dern die eigene Beobachtung an gesunden und kranken Menschen,das eigene Experiment mit Pflanzen und den aus ihnen gewonne-

    11

  • nen Extrakten, aber auch mit Mineralien und deren Wirkung auf denOrganismus. Diese eigenen Beobachtungen nannten sie Lesen imBuche der Welt.

    Die Formulierung Lesen im Buche der Welt wird dann, zu Beginnder Neuzeit, zu einem Programmwort der Philosophie. IntelligibleWahrheiten sollen nun nicht lnger abseits von der sinnenhaft er-fahrenen Welt gesucht werden, in einem Aufstieg, der die Sinnen-welt hinter sich lt, um zu den Ideen aufzusteigen; nicht einmal indem Sinne in den sinnenhaft erfahrbaren Dingen, da in ihneneine Wesensform gefunden wird, die sich von der Materie ab-strahieren lt, sondern gerade in der Materialitt und Sinnenhaf-tigkeit der Phnomene selbst. Wer behauptet, intelligible Wahrhei-ten gefunden zu haben, mu zeigen knnen, da diese sich an deranschaulichen Gestalt der sinnenhaft gegebenen Welt ablesen las-sen. Und dieses Ablesen ist es, das nun Lesen im Buche derWelt genannt wird. Das klassische Beispiel dafr ist die analytischeGeometrie, die aufzeigt: Anschauung und Begriff sind bedeutungs-gleich. Was eine Formel wie y=x2 sagt, ist identisch mit der an-schaulich beobachtbaren Bahn, die ein schrg zur Gravitationsach-se in die Hhe geworfener Krper durchluft. Und es kommt daraufan, das, was sich mathematisch konstruieren lt, in der sinnenhaftgegebenen Wurfbahn anzuschauen, diese als den Text zu begrei-fen, der uns in der Sinnenwelt gegeben ist und dessen Bedeutungs-gehalt nur im Lesen dieses Textes begriffen werden kann.

    Die Formulierung Lesen im Buche der Welt konnte schlielich zueinem Programmwort der aufgeklrten Vernunft werden. Worumes dabei ging, war die Wiedergewinnung der Einheit von Physik undMetaphysik. Die Physik erforscht die Phnomene am Leitfaden desKausalbegriffs; die Metaphysik, wie die Aufklrung sie verstand,legt die Bedeutung dieser Phnomene und in diesem Sinne dieBedeutung des lesbaren Textes dadurch frei, da sie die glei-chen Phnomene am Leitfaden teleologischer Begriffe interpretiert,sie also in ihrer Eignung zur Erreichung eines Zweckes beschreibt.Das klassische Beispiel dafr ist der von Leibniz versuchte Nach-weis, da die kausale und die teleologische Interpretation von Na-turphnomenen bedeutungsgleich sei. Die Brechung eines Licht-strahls beim Eintritt von einem dichteren in ein dnneres Mediumbzw. umgekehrt lt sich kausal erklren, indem man den Einfludes Mediums auf die Bahn des Lichtstrahls beschreibt; sie lt sichaber auch teleologisch erklren durch den Hinweis, da der Strahljeweils diejenige Bahn durchluft, die ihn fr seinen Weg ein Mini-mum an Zeit verbrauchen lt. Und darin kann man den Zweck derBrechungsgesetze sehen. Ein anderes Beispiel: Das Parallelo-gramm der Krfte, das die Geschwindigkeit und Richtung kausalerklrt, mit der ein Krper sich bewegt, auf den zwei verschiedeneImpulse einwirken, kann teleologisch so interpretiert werden, dabeim Zusammensto solcher Impulse eine Wirkung erzielt wird,die ihren Antagonismus auf das unvermeidliche Minimum redu-ziert, die gemeinsam bewirkte Beschleunigung eines solchen Kr-

    12

  • pers aber maximiert. Und darin lt sich die Weisheit einer Juris-prudence divine erkennen, die so, wie ein weiser Richter dies tut,Konflikte zwischen streitenden Parteien minimiert, ihre Gemein-samkeiten aber maximiert und so einen Vergleich ermglicht, dembeide Parteien zustimmen knnen. Physikalisch-kausale Erklrungund metaphysisch-teleologische Deutung bewhren sich an dengleichen Phnomenen und machen sie zu einem verstndlichenText, der gelesen werden kann.

    2. Die Absicht der kommenden berlegungen

    Diesem dreifachen Hinweis von Hans Blumenberg folgend,werden die folgenden Ausfhrungen versuchen, dem Pro-grammwort Lesen im Buche der Welt eine weitere Bedeutung zugeben. Dieses Programm soll einen Weg aufzeigen, um philoso-phisch von Gott zu sprechen. Es soll darum gehen, im Buche derWelt die Handschrift seines Autors zu entdecken. Von den tradi-tionellen Wegen philosophischer Gotteserkenntnis unterscheidetsich der hier versuchte Weg dadurch, da er nicht am Leitfaden derBegriffspaare Wirkung und Ursache oder Mittel und Zweck vor-anschreitet, sondern am Leitfaden der Begriffe Erscheinungsgestaltund Bedeutungsgehalt. Denn wer einen Text liest, fragt nicht pri-mr, wie er zustandekam, sondern was er bedeutet.

    Wer die Gotteserkenntnis am Leitfaden der Begriffe Wirkung undUrsache zu gewinnen versucht, versteht Gott als die erste Ursa-che all dessen, was uns als Welt begegnet. Wer am Leitfaden derBegriffe Mittel und Zweck vorangeht, versteht die erfahrbare Weltals ein Gefge von Mitteln, die so aufeinander bezogen sind, dadarin ein letzter Zweck erkennbar ist, der nur von einem intelli-genten Schpfer gesetzt worden sein kann. Der hier gewhlte Wegdagegen lt sich vorwegnehmend in folgender Weise beschreiben.Den Ausgangspunkt bildet die Erfahrung, da die Dinge uns etwaszu sagen haben, und da wir den Inhalt dessen, was sie zu sagenhaben, dadurch erfassen, da die Dinge selbst uns zu denken ge-ben. Sie stellen uns Aufgaben des Denkens und darauf wird nochnher einzugehen sein sie informieren uns in einem ganz wrtli-chen Sinne: Sie bringen das Denken erst in jene Form, in der dasje-nige bedacht werden kann, was sie uns zu denken geben.

    Ein solches Verstndnis von In-formatio vorausgesetzt, kommt esdarauf an, in dem, was die Dinge uns zu sagen haben und zudenken geben, die Anrede eines Autors zu entdecken, so wieman beim Lesen eines Buches die Handschrift seines Autors wie-dererkennt.

    13

  • 3. Anlsse fr diesen Versuch

    Der Grund dafr, da an dieser Stelle ein solcher Weg philoso-phischen Sprechens von Gott gesucht wird, liegt in dem unbe-friedigenden Ergebnis eines nun schon jahrhundertelang gefhrtenAustauschs von Argumenten und Gegenargumenten, durch die ei-nerseits philosophische Gottesbeweise gefhrt, andererseits derenUnmglichkeit nachgewiesen werden soll. In diesem Streit wieder-holen sich seit langer Zeit die Argumente und Gegenargumenteohne sichtlichen Erfolg. Kaum jemand, der Gottesbeweise fhrt, istdurch die Argumente der Kritiker dazu bewogen worden, seine Be-mhungen aufzugeben; und kaum jemand, der die Unmglichkeitsolcher Gottesbeweise nachzuweisen versucht, ist durch die Argu-mente derer, die solche Beweise versuchen, berzeugt worden.Dieses hchst unbefriedigende Bild, das eine so lange gefhrte Dis-kussion beim Betrachter hervorruft, lt die Frage entstehen, obdas, was durch diese Beweise versucht wird, nicht auf einem ande-ren Wege besser erreicht werden kann.

    Die traditionellen Gottesbeweise suchen in der hier notwendigenVereinfachung gesagt Gott am uersten Ende einer langen Skala:rckfragend von Wirkungen zu Ursachen und von diesen zu immerweiteren, entfernteren Ursachen bis zu einer ersten Ursache;oder ausgreifend von Mitteln zu Zwecken, die sich ihrerseits alsMittel zur Erreichung weiterer Zwecke verstehen lassen, bis zu ei-nem Endzweck; oder aufsteigend von beobachteten Vollkom-menheiten in der Welt, die immer auch ein Moment der Unvoll-kommenheit einschlieen, bis zum allervollkommensten Wesen,bei dem kein Schatten des Unvollkommenen mehr anzutreffenist. Die traditionelle Kritik an solchen Beweisen besagt, da Gottdort nicht zu finden sei. Aber vielleicht hat die Unfruchtbarkeit desStreits ihren Grund darin, da Gott gar nicht dort gesucht werdenmu, nicht von uns durch eine indefinit lange Reihe von Zwischen-gliedern getrennt; vielleicht wre der Gott, der auf solche Weise ge-sucht wird, selbst dann, wenn er auf diesem Wege gefunden wer-den knnte, nicht derjenige Gott, von dem Religion und Glaubesprechen. Vielleicht und diese Vermutung wird die kommendenberlegungen leiten verhlt Gott sich zur Welt weit eher so, wieder Autor sich zu seinem Buche verhlt: Er ist auf jeder Seite diesesBuches prsent, auch wenn er auf keiner von ihnen vorkommt auch nicht auf der ersten oder der letzten.

    Zu dem Versuch, die Mglichkeit philosophischen Sprechens vonGott auf diesem Wege zu suchen, bin ich durch ein Gesprch veran-lat worden, das ich vor einiger Zeit mit einem jungen Physiker ge-fhrt habe, dem Sohn eines alten Freundes. Er hatte mich aufge-sucht, um mir sein Erschrecken darber mitzuteilen, da ein Physi-ker, der sich mit physikalischen Theorien der Welt-Entstehung be-fat, zu dem Schlu gekommen ist: There is no place for anycreator, Hier ist kein Platz fr irgendeinen Schpfer. Ich habedarauf zu antworten versucht, da ich diesen Einwand gegen den

    14

  • Gottesglauben fr ebenso tricht halte, wie wenn ein Leser vonSchillers Wallenstein sagen wollte: There ist no place for any Fre-deric Schiller. Denn in der Tat: Friedrich Schiller kommt in diesemDrama nicht vor, weder in der ersten noch in der letzten Szene. Unddoch kme wohl niemand auf den Gedanken, daraus auf die Nicht-Existenz des Autors zu schlieen. Aber kaum hatte ich diese Ant-wort ausgesprochen, da befiel mich der Verdacht: Vielleicht spie-gelt die Torheit dieses Einwandes nur ein falsches Selbstverstndnisder Glaubenden, die Gott dort suchen, wo er nicht zu finden ist: amAnfang oder Ende einer langen innerweltlichen Kausalreihe, etwavor dem Urknall oder nach dem Wrmetod, statt ihn auf jederSeite seines Werkes, in jedem Augenblick des Weltlaufs gegenwr-tig und am Werke zu finden.

    Fr die Vermutung, da es nicht von vorne herein vergeblich sei,Gott so in der Welt zu suchen, wie man einen Autor in seinem Wer-ke sucht, berufe ich mich auf einen Zeugen, dessen Nennung man-che von Ihnen berraschen, vielleicht sogar erschrecken wird: aufImmanuel Kant. Kant definierte bekanntlich die Religion als Er-kenntnis unserer Pflichten als gttlicher Gebote (Religion A 116).Das Wrtchen als in dieser Definition Fachleute sprechen voneinem hermeneutischen als deutet an: Es handelt sich nicht umeinen Kausalschlu von der in konkreten Lebenssituationen erfah-renen Pflicht auf einen Gesetzgeber, der vor unendlich langer Zeitden Dingen und Menschen in dieser Welt jene Wrde eingeschaf-fen hat, kraft derer sie uns in verpflichtender Weise in Anspruchnehmen; eine solche Ursache wre von dem, der die Erfahrung derPflicht macht, durch die unendlich langen Kausalreihen entfernt,aus denen die Menschen und Dinge, denen wir heute begegnen,hervorgegangen sind. Das hermeneutische als in Kants Religions-Definition ist vielmehr eine Auslegungsregel, die uns dazu auffor-dert, jedesmal heute, wenn wir konkrete Pflichten erfahren, darindas Mandatum, den uns anvertrauten Auftrag Gottes zu erken-nen. Nun ist meine These: Einer solchen Auslegungsregel folgt nichtnur das Verstndnis der sittlichen Pflicht, sondern das Verstndnisjeder Erfahrung, die wir machen. Wir drfen und mssen nicht nurunsere Pflichten als gttliche Gebote verstehen, sondern jede Er-fahrung, die wir machen, als die Erscheinungsgestalt der verpflich-tenden und zugleich befreienden Zuwendung Gottes begreifen.Dann entdecken wir den gttlichen Autor auf jeder Seite seinesBuches, das die Welt heit.

    Sucht man den Weg zu einer philosophischen Gotteserkenntnis aufsolche Weise, dann verlangt er freilich ein hheres Ma an Geduldals der Weg der traditionellen Gottesbeweise. Wenn man im Sinneder traditionellen Gottesbeweise die Welt als einen Komplex vonWirkungen versteht, um nach deren gemeinsame Ursache zu fra-gen, dann gengt es, diesen Komplex von Wirkungen auf eine Regelzu bringen, deren Anwendungsflle man in den Inhalten unserer Er-fahrung wiedererkennt. Man sagt dann etwa: Alles, was uns in derErfahrung begegnet, ist bewegt; darum verweist es auf einen Bewe-

    15

  • ger und zuletzt auf den ersten unbewegten Beweger. Oder mansagt: Alles, was uns begegnet, erweist sich als mehr oder wenigervollkommen; darum verweist es auf ein allervollkommenstesWesen. Oder: Alles, was ist, erweist sich als nur relativ notwen-dig, nmlich unter der Voraussetzung, da bestimmte Bedingun-gen gegeben sind; darum verweist es auf ein absolut notwendigesWesen. Alle konkret erfahrenen Bewegungen, alle konkret ent-deckten Vollkommenheits-Grade, alle konkret entdeckten relativenNotwendigkeiten sind dann nur Beispiele fr jene allgemeine Regel,auf die der gesuchte Beweis sich sttzt. Und es ist nicht notwendig,eine groe Menge solcher Beispiele zu kennen, um die Regel zuentdecken. Wer dagegen den Autor in seinem Buche erkennen will,mu darauf gefat sein, ihn auf jeder Seite dieses Buches auf neueWeise kennenzulernen. Er mu dann wirklich auf jeder Seite desBuches verweilen, um dort den Autor sprechen zu hren. Bezo-gen auf das Buch der Welt bedeutet dies: Ein ganzes Leben reichtnicht aus, um den Autor so kennenzulernen, wie er sich in diesemBuche ausspricht Und noch weniger kann ein einzelner Vortragdazu ausreichen.

    Will man also das Ziel der kommenden Ausfhrungen in Thesen zu-sammenfassen, dann knnen diese nicht abschlieende Lehrstzesein, sondern Formulierungen eines Programms, das knftiger Aus-fhrung bedarf. Diese Thesen lauten: Die Welt ist ein Buch, das ge-lesen werden kann. Und an der Eigenart dieses Buches lt sich dieHandschrift seines Autors ablesen.

    A) Die Welt als ein Buch und die Bedingungen dafr,da es gelesen werden kann

    Ehe ich mich bemhe, wenigstens in Umrissen ein Verfahren auf-zuzeigen, um die Welt als Buch zu lesen, das die Handschriftseines Autors zu erkennen gibt, mchte ich das Programm selbernoch ein wenig erlutern. Eine solche Erluterung scheint mir auszwei Grnden notwendig: Einerseits ist die Rede vom Lesen im Bu-che der Welt offensichtlich eine Metapher; und es ist immer me-thodisch bedenklich, aus einer Metapher weitgehende logische Fol-gerungen zu ziehen. Darum mu zuerst gezeigt werden, da diesebesondere Metapher mehr ist als ein poetisches Bild, das vielleichtschn ist, auf das aber notfalls auch verzichtet werden kann. Ande-rerseits ist selbst unter der Voraussetzung, da der Gebrauch dieserbesonderen Metapher solche Folgerungen gestatten sollte, nichtvon vorne herein deutlich, was damit fr die Frage einer philosophi-schen Gotteserkenntnis gewonnen sei. Das wird, wie ich hoffe,durch die kommenden berlegungen deutlicher hervortreten.

    16

  • 1. Das Lesen im Buche der Welt eine Metapher, aber mehr als ein poetisches Bild:

    Sie benennt die Bedingung, die allein allesLesen in Bchern der Menschen erst mglich macht

    Im wrtlichen, nicht-bertragenen Sinne bezeichnet das Wort Le-sen die Weise, wie wir uns zu Bchern verhalten, die von Men-schen geschrieben sind. Aber was sind solche Bcher? Was sind dieWorte, die uns in solchen Bchern in der Form geschriebener odergedruckter Zeichen erreichen? Menschen, die solche Worte aus-sprechen oder niederschreiben, sprechen nicht nur von sich selbst,sondern vor allem von Sachen und Sachverhalten. Wir verstehennur dann, was ihre Worte uns sagen, wenn wir dadurch so auf dieseSachen und Sachverhalte verwiesen werden, da wir begreifen, wasdiese Sachen und Sachverhalte uns zu sagen haben. Der sprechen-de oder schreibende Autor gibt einen Anspruch der Sache an seineHrer oder Leser weiter, damit diese in eigenem Denken auf diesenAnspruch eine Antwort geben. Auf dieser seiner eigenen Ttigkeitdes Lesers beruht auch seine eigene Verantwortung fr das Verste-hen. Die Hrer und Leser haben den Text nur verstanden, wenn siediese Antwort auf den Anspruch der Sache in eigener Verantwor-tung geben, auch wenn sie ihn nur aus dem gehrten bzw. gelese-nen Text kennengelernt haben. Fehlt die Eigenverantwortung dieserAntwort, dann haben sie den Text nicht verstanden, sondern allen-falls verstndnislos nachgesprochen.

    Eine solche eigenverantwortliche Antwort auf den Anspruch der Sa-che, von der der Text spricht, ist nur mglich, wenn der Leser imLicht des Gelesenen auch seine eigenen Erfahrungen neu verstehenlernt und umgekehrt im Lichte der so neu gedeuteten eigenen Erfah-rung auch den Inhalt des Textes erst begreift. Das gilt fr wissen-schaftliche Texte nicht weniger als fr historische Zeugnisse, frTexte der Dichtung oder der Philosophie, aber auch fr religiseZeugnisse. So verstanden werden Texte fr den Hrer oder Leser zuSchulen der Erfahrung, die sich erst im kritischen Verstehen von derbloen Subjektivitt des Erlebens unterscheidet.

    Darauf beruht der Bildungswert solcher Texte, d.h. ihre Bedeu-tung fr die Ausformung jener Gestalt des Anschauens und Den-kens, die der Leser durch seinen Umgang mit solchen Texten ge-winnt. Die Texte bringen das Anschauen und Denken in jene Form,in-formieren ihn auf diejenige Art, die notwendig ist, um seinesubjektiven Erlebnisse in jenen Kontext zu bringen, innerhalb des-sen sie objektiv Gltiges sagen. An dieser Stelle sei eine Bemerkungerlaubt: Ein heute gelufig gewordener Gebrauch des Wortes In-formation fllt hinter die ursprngliche und wrtliche Bedeutungdieser Vokabel zurck. Das heute gelufige Verstndnis von Infor-mation sieht diese nur als das Einspeisen einer immer weiter an-wachsenden Menge von Daten in ein fertig vorliegendes Pro-gramm. Der klassische Begriff der In-formatio sieht die Form des

    17

  • Denkens erst aus der Begegnung mit derjenigen Wirklichkeit her-vorgehen, die dieses Denken informiert, d.h. in die geeigneteForm bringt. Es wird zu zeigen sein, da dieses klassische Verstnd-nis von Information sich im Kontext einer heutigen Erkenntnisleh-re als berraschend aktuell erweist.

    Nur dem im wrtlichen Sinne informierten Subjekt kann es gelin-gen, Erscheinungen so zu buchstabieren, da sie als Erfahrung ge-lesen werden knnen womit ich auf diejenige Stelle bei Kant an-spiele, an der er selbst die Lese-Metapher verwendet (Prolegome-na 30). Lesen im Buche der Welt bedeutet dann: jenen An-spruch freilegen, der uns in der Erscheinungsgestalt der zunchstnur subjektiv erlebten Weltwirklichkeit gegenbertritt. Alle vonMenschen verfaten Texte in Wort oder Schrift erreichen ihr Zielnur, sofern sie uns zu einem solchen Lesen im Buche der Welt an-leiten. Und sie knnen diese Anleitung nur leisten, weil der Autorselber zuvor im Buche der Welt gelesen, d.h. in der Subjektivittseiner Erlebnisse den objektiven Anspruch der Dinge vernommenhat, den er an uns weitergibt.

    Das gilt auch von weit schlichteren Texten , wie jeder von uns sieschon oft geschrieben hat, z.B. fr Briefe. Auch sie geben dem Lesernur etwas zu denken, weil sie Erfahrungen mitteilen, die der Verfas-ser gemacht hat, also weil dieser im Buche der Welt gelesen hat.Und der Leser versteht das Geschriebene, weil er sie entweder mitseinen eigenen Erfahrungen vergleicht oder durch das, was der Ab-sender ihm mitteilt, auf andere Weisen der Erfahrung aufmerksamwird, die er bisher noch nicht machen konnte. In beiden Fllen ver-weist der gelesene Text ihn auf sein eigenes Lesen im Buche derWelt. Im Folgenden ist nur deswegen von Bchern und nicht vonanderen geschriebenen Texten die Rede, weil Bcher durch ihrekomplexere sprachliche Gestalt deutlich hervortreten lassen, was,oft weniger deutlich wahrnehmbar, bei jedem Schreiben und Lesenvon Texten geschieht.

    Wenn aber Bcher, die Menschen schreiben, nur aus dem Lesen imBuche der Welt entstehen konnten, und wenn sie sich darin bewh-ren, ihre Leser zu eigenem Lesen im Buche der Welt fhig zu ma-chen, dann ist der Ausdruck Lesen im Buche der Welt zwar immernoch eine Metapher, benennt aber zugleich die Bedingung und dieFolge allen Lesens im wrtlichen Sinne, allen Lesens in Bchern,die von Menschen geschrieben sind. Wenn sich daher im Folgen-den die Metapher Lesen im Buche der Welt in erstaunlichemMae als philosophisch fruchtbar erweisen wird, dann liegt dasnicht an ihrer poetischen Suggestionskraft, sondern daran, da dasVerhltnis sich umkehrt: Nicht das Lesen in Bchern von Men-schen wird bildhaft auf die Weise unseres Weltverstndnissesbertragen, sondern das Lesen im Buche der Welt erweist sich alsdas Urbild, dessen Abbilder wir berall dort entdecken, wo wirBcher von Menschenhand lesen.

    18

  • Ist aber dies der wahre Sinn der hier verwendeten Metapher, dannmu es mglich sein, an jenem Vorgang, in dem wir Bcher vonMenschen lesen, die Eigenart desjenigen Verhaltens zur Weltwirk-lichkeit abzulesen, aus dem alles menschliche Schreiben und Lesenentspringt. Was wir beim Lesen menschlicher Bcher oder andererTexte von Menschenhand beobachten, wird dann zum Leitfaden,der uns anleitet, das zu verstehen, was wir tun, wenn wir im Bucheder Welt lesen. Sollte es also in den folgenden berlegungen gelin-gen, ein zutreffendes Bild davon zu geben, was beim Lesenmenschlicher Bcher geschieht, so ist dies nicht der Selbstzweckdieser Ausfhrungen, sondern ein Mittel: Es soll dazu dienen, deut-lich zu machen, auf welche Weise wir immer schon im Buche derWelt gelesen haben mssen, wenn wir fhig werden wollen,menschliche Bcher oder andere geschriebenen Texte zu schreibenoder zu lesen.

    Daraus ergeben sich weiterfhrende Fragen: Was geschieht eigent-lich, wenn wir Bcher von Menschenhand lesen? Und was ltsich daraus schlieen fr unsere Aufgabe, im Buche der Welt zulesen? Nun ist schon im Titel der hier vorgetragenen berlegungendavon die Rede, da geprft werden soll, ob auf diese Weise einWeg gewonnen werden kann, der eine Mglichkeit philosophi-schen Sprechens von Gott aufschliet. Das setzt voraus, da Gottsich im Buche der Welt als dessen Autor zu erkennen gibt. Da-raus ergeben sich zwei weitere Fragen: Auf welche Weise lassenBcher von Menschenhand die Handschrift ihres Autors erken-nen? Und was lt sich daraus lernen, wenn man entscheiden will,ob auch das Buch der Welt auf einen Autor verweist und dessenHandschrift deutlich werden lt?

    2. Lesen ist ein aktiver Vorgang, aber kein Selbstgesprch

    a) Schon das Erfassen von Schriftzeichenist eine aktive Leistung des Lesers

    Der Bezug zum Leser ist fr das Buch wesentlich. Ohne Leser istdas Buch kein Buch, sondern eine Ansammlung von Graphe-men, also von graphischen Konfigurationen aus Tinte oder Dru-ckerschwrze auf Papier. Eine erste aktive Leistung des Lesers be-steht darin, zu erfassen, da diese graphischen KonfigurationenZeichen sind und da sie, so verstanden, sich mit anderen Zeichenso verbinden, da aus dieser Verbindung die graphische Darstel-lung von Wrtern und Stzen hervorgeht. Schon ehe es gelingt, dasAlphabeth einer fremden Schrift zu entziffern, mu man erfat ha-ben, da es sich bei dem, was unmittelbar auf dem Papier vorgefun-den wird, um derartige Zeichen handelt. Und darin besteht eine er-ste aktive Leistung des Lesers.

    Es gibt Leser, die diese Aufgabe gar nicht entdecken. Dann knnensie auch nicht zu Lesern werden. Dann knnen sie beispielsweise

    19

  • eine Handschrift als kalligraphisches Kunstwerk betrachten undsich an dessen Schnheit begeistern, ohne zu bemerken, da dieseGrapheme Zeichen sind, die etwas bedeuten. Oder sie knnen sichvon der Vermutung leiten lassen, diese auffallenden Konfiguratio-nen seien zu magischem Gebrauch bestimmt, etwa um dem, der siebetrachtet, Segen zu vermitteln oder ihn vor Unheil zu bewahren.Fr manche Betrachter ist es gerade die kalligraphische Schnheitder vorgefundenen Grapheme, die ihnen einen solchen magischenGebrauch nahelegt. Dann wird nach dem Wort, das die Handschriftdem Leser sagen soll, nicht einmal gefragt. Schlielich knnen dieBetrachter auch gewisse Regelmigkeiten im Auftreten solcherGrapheme bemerken, z.B. da in Handschriften, die in Deutsch-land geschrieben wurden, die Gestalt des e auffallend hufig vor-kommt, oder da auf diese graphische Gestalt auffallend hufig einanderes Graphem folgt, die Gestalt des i. Man kann dann versu-chen, die Hufigkeitsverteilung solcher Grapheme und ihrer Kom-binationen durch statistische Formeln zu beschreiben, ohne denLautwert des e oder ei dabei auch nur zu vermuten. Auch sol-che Betrachter haben das, was sie sehen, nicht als Text erfat, derauf einen Bedeutungsgehalt hin ausgelegt werden will.

    Solche Beispiele mgen als hergeholt und willkrlich gewhlt er-scheinen. Sie werden hier erwhnt, weil es Betrachter gibt, die sichzu den Inhalten ihrer Welterfahrung so verhalten, wie es diesen Bei-spielen entspricht. Solche Betrachter sehen in der Welt eine Flleschner Gestalten, an denen sie sich sthetisch begeistern, oder einAngebot von Mglichkeiten, sich bermenschlicher Krfte frmenschliche Zwecke zu bedienen (das ist das Charakteristicum derMagie). Vielleicht machen sie diese Gestalten auch zum Gegen-stand einer statistischen Erhebung, um Regelmigkeiten ihres Auf-tauchens auf eine Formel zu bringen. (Derartige Gesetze der Hu-figkeitsverteilung bemerken z.B. die Gefangenen in PlatonsGleichnis von der Hhle, wenn sie die Bilder betrachten, die aufder Rckwand der Hhle erscheinen.) In solchen Fllen wird ausder Welt kein Text, der gelesen werden knnte. Es wird nicht einmaldie Aufgabe entdeckt, zu fragen, was die Phnomene sagen. Einesolche Frage stellt dagegen der Physiker, wenn er prft, ob das be-obachtete Phnomen aufschlureich ist, z.B. indem es sich als ge-eignet erweist, eine Hypothese zu bewhren oder zu widerlegen.Eine solche Frage stellt auch der, der gewisse Ereignisse in seiner Er-fahrungswelt darauf untersucht, ob und in welcher Weise sie alsHierophanien, als Erscheinungsgestalten des Heiligen und Gttli-chen begriffen werden knnen, die im Lichte frherer Hierophaniengedeutet werden knnen und dann ihrerseits diese auf neue Weiseverstndlich machen. Erst durch solche und hnlich Fragestellun-gen werden Zeichen als Zeichen erfat und die Aufgabe ihrer Deu-tung bemerkt. Erst dann beginnt die Welt, zu einem Buche zuwerden, in dem man lesen kann.

    20

  • b) Erst im Kontext gewinnen die Buchstaben Bedeutung

    Das Erfassen von Phnomenen, z.B. von graphischen Konfigura-tionen auf dem Papier, als Zeichen, die gedeutet werden ms-sen, ist nur der erste von mehreren Schritten, die getan werdenmssen, wenn aus dem, was sich zeigt, ein Buch werden soll, dasgelesen werden kann. Die zweite aktive Leistung, die der Leser zu-standebringen mu, ist die Verbindung der einzelnen Zeichen undZeichenkomplexe zu einem Zusammenhang. Nur als Glieder in ei-nem solchen Zusammenhang haben die Zeichen eine Bedeutung.

    Auch in dieser Hinsicht knnen Ausfallserscheinungen beobachtetwerden. Lehrer an Grundschulen berichten davon, da es Schlergibt, die zwar jeden Buchstaben erkennen, aber nicht fhig sind,diese als Teile von Wrtern und Stzen zu erfassen. Dann sind sieleseschwach oder, mit dem gelufigen Fremdwort gesagt, le-gasthenisch. Und auch fr uns Erwachsene gibt es Flle, in denenwir zwar jedes Wort erkennen, aber nicht herausfinden, wie dieseWrter sich zu Stzen zusammenfgen. Diese Schwierigkeit begeg-net uns vor allem beim Lesen von Texten, die nicht in unserer Mut-tersprache geschrieben sind, aber auch bei Texten wohlvertrauterSprachen, in denen die einzelnen Wrter auf ungewohnte Weisegefgt sind, z.B. in Texten der Dichtung. Dann sagen wir: Wir er-kennen jedes Wort und finden doch keinen Sinn. Was uns fehlt,um solche Texte lesen zu knnen, ist nicht ein gutes Wrterbuch,sondern die Beherrschung der Grammatik. Wir erfassen die Regelnicht, nach denen solche Wrter sich einem Satz einfgen und ge-gebenenfalls, nach ihrer Stellung im Satz, eine Abwandlung erfah-ren; so erfordert z.B. die Stellung im Satz eine Abwandlung der ein-zelnen Vokabeln durch Kasus- oder Numerus-Bildung der Substan-tive oder durch spezifische Konjugationsformen des Verbums inKonditionalstzen. (Einer meiner Lehrer pflegte zu sagen: Grie-chisch kann, wer die Wenn-Stze und die Partizipialkonstruktionenbeherrscht.) Es ist eine aktive Leistung des Lesers, wenn er sich alsfhig erweist, eine Satz-Konstruktion zu erfassen. Bei Texten derDichtung ist das oft besonders schwer.

    Von Ausfallserscheinungen wie der Legasthenie oder der Gramma-tikschwche ist hier nur deswegen die Rede, weil sie uns helfenknnen, Schwierigkeiten zu entdecken, auf die wir stoen, wennwir im Buche der Welt zu lesen versuchen. Auch hier gibt es Le-gastheniker und Grammatik-Schwache.

    In Bchern von Menschenhand kann der legasthenische Lesernur Buchstaben identifizieren, erfat aber nicht, wie diese sich zuWrtern zusammenfgen, die etwas bedeuten. Entsprechend kannder Legastheniker der Welterfahrung zwar eine Kette von Erleb-nissen beschreiben, die er hatte. Die bloe Kette der Erlebnissewird fr ihn nicht zur Erfahrung. Die Reihe der Erlebnisse bleibt frihn ein bloer Zug von Bildern, ohne etwas zu bedeuten. So

    21

  • kommt er durch diese bloen Erlebnisse keinen Schritt auf demWeg des Erkennens voran.

    Der grammatikschwache Leser erkennt in den Bchern vonMenschenhand zwar Wrter, die etwas bedeuten, erfat abernicht, wie sie sich zu Stzen zusammenfgen, die ihm zu denkengeben, z.B. zu Fragestzen, die ihn auffordern, sich ein Problemzueigen zu machen, oder zu Aussagestzen, die ihm Antworten aufsolche Fragen anbieten. So erfat er nicht, was der Text, in dem sol-che Wrter vorkommen, eigentlich sagen will.

    Eine solche Ausfallserscheinung gibt es auch beim Lesen im Bucheder Welt. Whrend der Legastheniker der Erfahrung gar nicht er-fat, da seine Erlebnisse Buchstaben sind, also Zeichen, die eszu entziffern gilt, kann der grammatikschwache Leser im Bucheder Welt zwar seine subjektiven Erlebnisse so verarbeiten, da sieihm, wie die Schriftzeichen, die man als Buchstaben erfat hat, Ele-mente einer mglichen Erfahrung bereitstellen, aber noch nicht die-se selbst. Diese Elemente sind Tatsachen, die er feststellt; sammelt,mglicherweise auch nach Gesichtspunkten der hnlichkeit oderUnhnlichkeit ordnet; aber sie werden ihm nicht zu aufschlurei-chen Tatsachen, die ihn veranlasssen, Probleme entdecken, oderihm zu Kriterien werden, anhand derer er solche Probleme lsenkann. Dazu wre es ntig, sie in einen Kontext einzuordnen und dieStruktur dieses Kontextes zu begreifen, innerhalb derer Tatsachendiese Funktion erfllen knnen. Ein schon erwhntes Beispiel dafrist der Forscher, dem Beobachtungen aufschlureiche Tatsachenzu erkennen geben, weil sie, z.B. innerhalb eines Forschungspro-gramms, Fragen aufwerfen oder hypothetisch gegebene Antwortenbesttigen bzw. widerlegen. Auch mit Bezug auf das Buch derWelt mu man die Grammatik erfassen, damit die Wrter, alsElemente in diesem Kontext begriffen, dem Leser zu denken ge-ben.

    c) Die Grammatik von Textenund die Grammatik des Buches der Welt

    Gerade an dieser Stelle wird deutlich, wie das Lesen in Bchernder Menschen und das Lesen im Buche der Welt wechsel-seitig zusammengehren. Dem Entstehen nach nmlich geht dasLesen im Buche der Welt allen geschriebenen Bchern voraus. DerErkenntnis nach aber wird das Lesen in geschriebenen Bchern zurSchule, in der das Lesen im Buche der Welt gelernt wird.

    Der Verfasser eines geschriebenen Textes hat nicht nur Erlebnissegehabt, sondern daraus Erfahrungen gewonnen. Erlebnisse bleibenetwas rein Subjektives, nur Erfahrungen knnen objektive Geltungbeanspruchen. Darum knnen nicht die Erlebnisse, wohl aber dieInhalte der Erfahrung anderen Menschen mitgeteilt werden. DerVerfasser hat in seinen Erfahrungen einen Anspruch des Wirklichen

    22

  • entdeckt, den er durch sein Anschauen und Denken beantwortethat. So kann er diesen Anspruch an den Leser weitergeben, damitdieser auf den gleichen Anspruch des Wirklichen seine (vielleichtandere) Antwort geben kann. Die Grammatik des Textes, den derVerfasser geschrieben hat, spiegelt die Grammatik der Erfahrung,die er in diesen Texten bezeugt, d.h. die Weise, wie der Verfasserden Inhalten seines Erlebens eine Funktion zuweisen konnte, die siezu Elementen eines Erfahrungs-Kontextes werden lie. Fr den Le-ser eines solchen Textes aber ergibt sich daraus die Aufgabe, an derGrammatik des Textes die Grammatik der Erfahrung abzulesen, diees dem Verfasser gestattet hat, nicht nur seine Erlebnisse zu be-schreiben, sondern Erfahrungen zu machen, die mitteilbar sind unddem Leser Aufgaben eigenen Denkens stellen. Und in dem Mae, indem der Leser diese Aufgabe erfllt, leitet der Text ihn an, auch sei-ne eigenen Erlebnisse so zu buchstabieren, da er sie als Erfahrunglesen kann. Deshalb konnte soeben gesagt werden: Dem Entste-hen nach geht das Lesen im Buche der Welt, das den Verfasser zuseinen Erfahrungen fhig gemacht hat, dem Text voran, den er demLeser zur Verfgung stellt. Fr diesen aber geht im Vorgang des Er-kennens das Lesen in geschriebenen Texten dem Lesen im Bucheder Welt voran, weil er an der Grammatik des geschriebenen Textesgelernt hat, welcher Art von Kontext er auch seine eigenen Erlebnis-se einfgen kann, damit sie ihm zu Erfahrungen werden.

    An dieser Stelle sei es gestattet, in die hier vorgetragenen berle-gungen eine Bemerkung zum Bildungswert des Lesens einzuf-gen. Um nicht nur Erlebnisse zu haben, sondern Erfahrungen zumachen, ist es ntig, das eigene Anschauen und Denken erst in jeneForm zu bringen, kraft derer es fhig wird, nicht beim Buchstabie-ren stehenzubleiben, sondern Kontexte aufzubauen, innerhalb de-rer aus solchen Erlebnissen Erfahrungen werden knnen. Vorgefun-dene Texte knnen im wrtlichen Sinne in-formativ sein, indemsie das Anschauen und Denken des Lesers in jene Form bringen,die Erfahrung mglich macht. Und es ist gerade die Grammatik derTexte, die den Leser anleiten kann, auch aus den Buchstaben seinerErfahrung, den Tatsachen, die er feststellt, den lesbaren Text sei-ner Erfahrung aufzubauen. Der von den Schlern oft als lstig emp-fundene Grammatik-Unterricht ist so ein unentbehrlicher Teil sei-ner Befhigung, weder bei bloen Erlebnissen noch bei der Kennt-nisnahme unverbundener Tatsachen stehenzubleiben, sondern ei-gene Erfahrungen zu machen. Die Grammatik des Textes wird zurAnleitung, die Grammatik des Buches der Welt zu erfassen.

    Wenn ein so unterwiesener Schler dann feststellt, da die Verfas-ser geschriebener Texte die Grammatik ihrer Sprache aus der ber-lieferung einer Sprachgemeinschaft bernehmen, dann wird er be-merken: Eine solche berlieferte Sprache verdankt ihre Grammatikder sedimentierten Erfahrung vieler Generationen (ein Ausdruck,den Edmund Husserl dafr an vielen Stellen benutzt). Deshalb un-terscheiden die Sprachen sich voneinander nicht nur durch dieWrter, die sie verwenden, sondern vor allem durch ihre Gramma-

    23

  • tik. Fremde Sprachen erlernen bedeutet deswegen zugleich: unter-schiedliche Mglichkeiten entdecken, subjektive Erlebnisse zumText einer Erfahrungswelt zu verknpfen. Und wenn der so belehrteLeser weiterhin bemerkt, da ein bestimmter Text sich auch in sei-ner Grammatik vom Sprachbau der berlieferten Alltagssprache un-terscheidet, dann wird er darin ein Anzeichen dafr entdecken, dader Verfasser Erfahrungen gemacht hat, die sich dem seit Genera-tionen bewhrten Verfahren widersetzten, sie in die Grammatik derbisher vertrauten Erfahrungswelt einzufgen. Gerade die Spracheder Dichter, die sich oft gegen die Regeln der berlieferten Gram-matik sperrt, bezeugt die Fhigkeit des Dichters, auch solche Erleb-nisse, die sich in die berlieferte Grammatik der Erfahrungsweltnicht einfgen lieen, durch Vernderung der Kontext-Struktur inmitteilbare Erfahrungen zu verwandeln.

    3. Der Text widersteht allem voreiligen Verstehen

    a) Die bleibende Fremdheit des Textes

    Die Einsicht, da erst der Leser die vorgefundene Ansammlungvon Graphemen zum Buche macht, steht nicht im Dienste aneinem Subjektivismus, der im Text nur zu finden meint, was der Le-ser in ihn hineinlegt, um so sich selber im Text gespiegelt zu finden.Diese Einsicht steht im Gegenteil im Dienste einer Selbstkritik desSubjekts, das erst lernen mu, in eigener Anstrengung auf den Textso zu hren, da dieser ihm sagen kann, was das Subjekt sich selbernicht sagen knnte.

    Wenn daher soeben gesagt worden ist: Der Bezug zum Leser istfr das Buch wesentlich, dann ist sogleich przisierend hinzuzuf-gen: Ein wesentliches Moment dieses Bezugs zum Leser ist seineFremdheit, mit der der Text ihm gegenbertritt und ein Umden-ken von ihm verlangt. Gerade auf dieser Fremdheit beruht es, dader Text zu denken gibt. Das allzu vertraut Erscheinende ist in Ge-fahr, nur die Vorurteile des Lesers zu besttigen, der dann dem Textvielleicht freudig zustimmt, weil er nur sagt, was er sich selber im-mer schon gesagt hat. Darum kann und mu man ein gutes Buchimmer wieder lesen. Gerade in seiner Fremdheit gibt es uns immeraufs Neue und auf neue Weise zu denken. Aber man mu es ebenimmer wieder lesen, d.h. in eigener Aktivitt seine Bedeutung freile-gen. Es nimmt uns diese Aktivitt nicht ab, sondern ruft sie immerneu hervor.

    Das gilt auch vom Buche der Welt. Es spricht nur, indem es zudenken gibt, d.h. die Eigen-Aktivitt des Lesers hervorruft, abernicht, damit er nur sich selber im Text gespiegelt findet, sondern da-mit er einen Anspruch der Sache freilegt, der ihn zum Umdenkenntigt. Auch das Buch der Welt spricht, indem es unseren allzu ra-schen Verstehens-Versuchen widersteht, unsere Vorurteile wider-legt, uns aber in seiner Fremdheit nicht blo verwirrt, sondern zu ei-

    24

  • nem neuen Denken hervorruft. Darauf beruht es, da die Weltwirk-lichkeit uns zu denken gibt, aber auch, da wir diese Weltwirk-lichkeit ebenso wieder und wieder lesen mssen, wie ein gutesBuch. berraschende Erfahrungen, die wir machen, stren die bis-her gewohnte und bewhrte Weise, uns in der Welt zu orientieren.Aber sie wirken nur in einem ersten Hinblick blo verwirrend, so-da wir, wie die Umgangssprache das ausdrckt, nicht nur dieseeinzelne Erfahrung unverstndlich finden, sondern die Welt nichtmehr verstehen. In einem zweiten Hinblick knnen gerade solcheErfahrungen sich als erhellend erweisen, indem sie uns zu einemUmdenken ntigen, das sich auch an unseren alten Erfahrungenauslegend bewhren kann. Im Lichte neuer Erfahrungen, die wir ge-macht haben, sehen wir auch das, was wir lngst kennen, in neuemLicht.

    Und nur deswegen, weil das Buch der Welt uns auf solche Weiseimmer neu zu denken gibt, knnen auch die Bcher der Men-schen, mehrmals gelesen, immer neu zu denken geben. Wir lesenauch die Bcher der Menschen neu, weil wir seit der letzten Lektreneue Erfahrungen gemacht haben und nun, oft zu unserem eigenenErstaunen, bemerken, da der alt-bekannte Text uns dazu helfenkann, auch diese neuen Erfahrungen zu verstehen, und da wir da-mit auch diesen alt-bekannten Text auf neue Weise zu lesen bekom-men.

    b) Die Abhngigkeit des Textes vom Kontextrechtfertigt nicht den Relativismus

    Die Tatsache, da jeder Text nur aus seinem Kontext heraus ver-standen werden kann, hat zwar zur Folge, da der Leser, wenner auf der letzten Seite des Buches angelangt ist, auch all das neuversteht, wovon auf frheren Seiten die Rede war. Aber es bedeutetgerade nicht, da alles frher Gelesene nun seine Eigenbedeutungverliert, soda der Leser nur die letzte Seite aufmerksam zu lesenbruchte, weil erst dort hervortritt, was der Autor eigentlich sagenwollte. Wre es so, dann enthielten die frheren Seiten allenfallsAndeutungen, die man vergessen knnte, wenn man auf der letz-ten Seite erfahren hat, worauf sie verweisen. Im Gegenteil: KeinTeil-Inhalt darf fehlen, wenn ber das Ganze des Buches verant-wortlich geredet werden soll. Es ist zwar der Kontext, der, wie manneuerdings sagt, Sinn macht; aber es ist der je neue Inhalt, derdiesen Sinn erst als einen dynamischen Zusammenhang der Teilehervortreten lt.

    Diese Einsicht lt zwar, innerhalb des Textes, erkennen, wie we-sentlich Relationen sind. Aber sie rechtfertigt keinen Relativismus,der nirgendwo im Text verbindliche Wahrheit zu finden meint, weilsich das Bild des Ganzen immer noch ndern wird, wenn weiter Sei-ten des Buches aufgeschlagen werden. Im Gegenteil: Jeder Teil be-

    25

  • hlt, auch innerhalb des sich wandelnden Kontextes, eine eigeneund in diesem Eigenwert unersetzliche Bedeutung.

    Das gilt auch vom Lesen im Buche der Welt. Die Abhngigkeit jedereinzelnen Erfahrung vom Erfahrungs-Kontext hat zur Folge, da ausneuen Erfahrungen, die wir machen, also aus neuen Seiten des Bu-ches, die wir aufschlagen, neue Kontexte hervorgehen, innerhalbderer wir auch frhere Erfahrungen neu lesen, d.h. auf ihren Be-deutungsgehalt befragen knnen. Das Buch der Welt will, wie jedesgute Buch, immer wieder gelesen sein. Aber das bedeutet nicht, dadas einmal Erkannte nur zu seiner Zeit gltig gewesen wre, wieder historische Relativismus meint. Dieser kann sich in der For-mel aussprechen, erst am Jngsten Tage, also wenn die letzte Sei-te des Buches uns bekannt wird, werde unwiderruflich Gltiges ge-sagt werden knnen. Bis dahin sei alles relativ. Er kann sich aberauch im Blick darauf, da jede Aussage ber das Ganze aus einerbeschrnkten Perspektive gewonnen wird, der Formel bedienen, je-der Anspruch auf Wahrheit sei eine Frage der Perspektive, die manso oder auch anderes whlen kann.

    Aber die relativistische Folgerung erweist sich auch in diesem Zu-sammenhang als ein Fehlschlu. Auch wenn unser Begriff vomGanzen stets eine korrekturbedrftige regulative Zielvorstellungist, und sogar dann, wenn jeder solche Begriff eine partielle Per-spektive auf die Welt in methodisch unzulssiger Weise fr die al-lein magebliche hlt, bleibt jeder einmal erkannte Inhalt in Kraft,legt alle frheren Inhalte auch diejenigen, die unter einer anderenPerspektive entdeckt worden sind aus und wird durch sie ausge-legt. Da wir die von Menschen geschriebenen Bcher immer wie-der neu lesen knnen und mssen, beruht auf diesem wechselseiti-gen Auslegungsverhltnis, in welchem keine Seite ihre Eigenbedeu-tung verliert, aber im Verhltnis zu jeder weiteren Seite ihre herme-neutische Kraft neu beweist. Das gilt auch fr das Buch der Welt.Alles, was zu seiner Zeit und unter seiner besonderen Perspektivesich als gltig erwiesen hat, behlt seine Mageblichkeit und be-whrt diese in seiner Kraft, alle anderen Inhalte des Erkennens aus-zulegen und durch sie ausgelegt zu werden. Auch das Buch derWelt lt beim Wieder-Lesen das frher Gelesene nicht bedeu-tungslos werden, sondern lt, im Wechselspiel der Nova et Vete-ra, der alten und der neu gewonnen Einsichten, seine bleibendeMageblichkeit nur deutlicher hervortreten.

    B) Fhrt ein Weg vom Verstehen des Texteszur Erkenntnis des Autors?

    1. Zum erreichten Problemstand:

    Die bisher vorgetragenen berlegungen haben die erste derbeiden Thesen besttigt, durch die einleitend das hier vorge-schlagene Programm umrissen worden ist: Die Welt ist ein Buch,

    26

  • das gelesen werden kann. Noch ist nichts darber gesagt, was wirinhaltlich zu lesen bekommen, wenn wir die Welt als ein Buch ver-stehen. Das wre schon ein Teil der Ausfhrung dieses Programms.Was gezeigt werden konnte, ist bisher nur, da die Aufgabe sinnvollgestellt ist: die Aufgabe, die Welt als ein Buch zu verstehen, das ge-lesen werden will.

    Nun ist im Titel der hier vorgetragenen Untersuchung angekndigtworden: Es soll geprft werden, ob ein solches Lesen im Buche derWelt einen Weg aufschliet, der ein philosophisches Sprechen vonGott mglich macht. Das war die zweite der einleitenden Thesen:An der Eigenart dieses Buches lt sich die Handschrift seines Au-tors ablesen. Die Frage ist also: Lt der Text dieses Buches derWelt einen Autor erkennen? Wenn ein solches Erkennen gelingensollte, wre der gttliche Autor auf jeder Seite dieses Buchesebenso prsent wie der menschliche Autor auf jeder Seite eines ge-schriebenen Buches seinem Leser prsent ist, auch wenn er inner-halb des Buches auf keiner Seite vorkommt. Nur dann wre auchdie eingangs gestellte Frage beantwortet: Gesetzt, es gelingt, dieWelt als ein Buch zu verstehen, was wre damit fr die Frage einerphilosophischen Gotteserkenntnis gewonnen? (Unter einem ande-ren Gesichtspunkt behandelt die gleiche Frage Oswald Bayer in sei-ner Theologie der Schpfung, die er unter dem Titel Gott als Au-tor, Tbingen 1999, vorgelegt hat.)

    2. Von der Grammatik des Textes zur Handschrift des Autors?

    a) Die Anrede des Autors braucht mit keinem Wort,das im Text vorkommt, identisch zu sein

    und kommt doch in diesem Text zur Sprache.

    Dafr sei hier zunchst ein Beispiel eines Buches von Men-schenhand gegeben. Der groe Monolog des Wallenstein inSchillers Drama Wrs, mglich, knnt ich nicht mehr, wie ichwollte... ist nicht unmittelbar eine Aussage Schillers ber die Gren-zen der menschliche Freiheit, die er seiner Dramenfigur nur in denMund gelegt htte. Er ist innerhalb des Dramas Monolog, d.h. einWort, das gar nicht fr fremde Hrer bestimmt ist, sondern in demder Sprecher im Gesprch mit sich selbst ber eine ihn selber er-schreckende Erfahrung klar zu werden beginnt: ber den Umschlagvom freien Spiel mit Mglichkeiten seines Verhaltens in ein Schic-ksal, dem er nun nicht mehr entrinnen kann. Das aber geschieht zu-nchst in der Form einer Frage, die er an sich selber richtet (Wrsmglich ...). Den Text verstehen bedeutet dann: begreifen, was er,im kunstvoll gestalteten Ganzen des Dramas, fr Wallenstein selberbedeutet. Das mu am Baugesetz des Dramas, an seiner Gramma-tik, abgelesen werden. Insoweit ist der Hrer und Zuschauer nichtnach seinen eigenen Gefhlen und Reflexionen gefragt, sondern

    27

  • ganz an die Objektivitt des Geschehens hingegeben, das in die-sem Monolog in seine kritische Phase eintritt.

    Aber zugleich wei dieser Hrer und Zuschauer sich selber vondem, was auf der Bhne geschieht, auf eine bewegende Weise an-gesprochen: nicht von Wallensteins Wort, das als solches ein Mo-nolog bleibt, der nicht fr Hrer bestimmt ist, sondern vom Dichter,der sich an den Leser wendet. Im Verhltnis zu diesem Wort desDichters bleibt der Leser nicht Zuschauer und Zuhrer, der garnicht gemeint ist, sondern Adressat: ein Adressat, dem der Text aufeine Weise zu denken gibt wie er keiner der Personen zu denkengibt, die innerhalb des Dramas selber auftreten. Den Text verstehenbedeutet deswegen: In einem zweiten Schritt in dem, was auf derBhne geschieht, die Anrede des Dichters freilegen. Auch dafr istdie Grammatik des Dramas die entscheidende Fundstelle. Whrenddie Figuren, die im Drama auftreten, sich nicht an den Zuschauer,sondern dialogisch aneinander oder monologisch an sich selberwenden, ist das Drama als Kunstwerk so gestaltet, da es aufge-fhrt werden soll und sich damit an seine Zuschauer und Hrerwendet. In der besonderen Weise, wie der Dichter seine Figurenzueinander oder mit sich selber sprechen lt, liegt zugleich seineAnrede an die Zuschauer und Hrer eine Anrede, die als solcheauf der Bhne gar nicht vorkommt. Verstehen bedeutet deswe-gen: zunchst von aller eigenen Emotion und Reflexion absehenum, ganz an den Text hingegeben, das zu erfassen, was die Worteund Handlungen innerhalb des Dramas bedeuten , dann aber, imDurchgang durch das ganz objektive Erfassen dessen, was derText sagt, die Anrede freilegen, durch die der Dichter sich an seineAdressaten wendet.

    Aus Beobachtungen dieser Art ergibt sich die Frage: Ist das nur einliterarischer Sonderfall? Ist der Unterschied zwischen allen Worten,die im Text vorkommen, und der Anrede des Autors an den Leser,aber auch die Verknpfung beider Arten des Wortes ein Unterschei-dungsmerkmal einer bestimmten literarischen Gattung, z.B. desDramas? Oder wird an dieser besonderen Gattung von Texten nurdeutlich, was auf andere Weise, oft unbemerkt, fr jeden Text vonMenschenhand gilt? Und ist von hier aus auch eine Anleitung zumLesen im Buche der Welt zu gewinnen?

    Das wird in solchen Fllen deutlicher werden, in denen ein Verfas-ser Bcher von sehr unterschiedlicher Eigenart geschrieben hat.Dann nmlich wird jedes von diesen verschiedenen Bchern nurdann angemessen verstanden, wenn man in ihnen die Handschriftdes gleichen Autors wiedererkennt.

    28

  • b) Die Identitt des Autorswill in der Vielfalt seiner Texte wiedergefunden werden.

    Es gibt Flle, in denen der gleiche Autor sehr unterschiedliche B-cher geschrieben hat. Dann stellt sich die Aufgabe, die Hand-schrift des identischen Autors in der Vielgestalt seiner Werke wie-derzufinden. Dabei zeigt sich: Die Identitt dieser Handschrift desAutors tritt nicht dadurch hervor, da beispielsweise alle seine Er-zhlungen einen einzigen Erzhl-Zusammenhang bilden, oder daalle seine Gedichte sich zu einem einzigen Gedicht zusammenf-gen lassen. Es ist nicht einmal ntig, die unterschiedlichen Textedes gleichen Verfassers einer gemeinsamen literarischen Gattungzuzuordnen, etwa in all diesen Texten das eine Genus der theoreti-schen Belehrung oder der moralischen Ermahnung wiederzufinden.Wir erkennen, um noch einmal Schiller als Beispiel zu erwhnen,Schillers unverwechselbare Handschrift nicht nur in seinen Dramen(z.B. dem Wallenstein), sondern ebenso deutlich in seinen Ge-dichten (z.B. dem Lied von der Glocke), in seinen historischenAbhandlungen (z.B. der Geschichte des Dreiigjhrigen Krieges),in seinen theoretischen Abhandlungen (z.B. ber Anmut und Wr-de) oder in seinen geschichtsphilosophischen Reflexionen (z.B.seiner Antrittsvorlesung in Jena Was heit und zu welchem Endestudiert man Universalgeschichte?).

    Dieses Wiedererkennen folgt nicht dem Verfahren eines Rck-schlusses von gewissen Eigenschaften des Textes auf die Charakter-merkmale des Verfassers, sondern ist ein Auslegen: Der Leser be-merkt in grammatischer Betrachtung in all diesen Texten einenStil, der die Handschrift des Autors verrt. Dieser Stil ist mehrals ein blo sthetisches Phnomen. In ihm uert sich die beson-dere Weise, wie der Verfasser alles, wovon er spricht, zu seiner Sa-che macht, aber so, da er damit den Leser, wiederum auf eine frihn charakteristische Weise, unter den Anspruch dieser seiner Sa-che stellt. Das Wort, das der Autor spricht, ist in aller Vielfalt seinerGestalten jedesmal unverwechselbar sein Wort, es ist beispiels-weise jedesmal typisch Schiller. Aber es ist sein Wort nicht so,als ob er unentwegt von sich selber sprche, sondern gerade da-durch, da er dem Leser die unterschiedlichsten Inhalte in unter-schiedlichsten Formen vor Augen stellt; das aber geschieht jedes-mal so, da diese Inhalte dem Leser auf eine Weise zu denken ge-ben, wie nur Schiller ihm zu denken geben kann.

    In solchen Fllen bemerken wir: Zwar spricht jedes dieser Werkeseine eigene Sprache. Keine von ihnen ist bedeutungsgleich in dieSprache einer anderen Schrift zu bersetzen. Jede von ihnen ist indem, was sie sagt, sich selber genug und bedarf keines Kommen-tars aus einer anderen Schrift. Ein Drama oder ein Gedicht vonSchiller sprechen aus sich selbst und mssen nicht erst dadurchverstndlich gemacht werden, da dazu seine historischen und phi-losophischen Schriften herangezogen werden. Und doch haben wirkeine von ihnen angemessen verstanden, wenn wir nicht in je-

    29

  • der von ihnen den unverwechselbaren Stil des gleichen Autors wie-dererkennen; und Stil bedeutet, um es noch einmal zu sagen: dieunverwechselbare Weise, wie er die Sache, von der er spricht, zuder seinen macht und zugleich den Leser auffordert, sie auch sei-nerseits zu seiner Sache zu machen, die ihn zur eigenen Antwortherausfordert.

    Wenn in solcher Weise nach dem Verfasser gefragt wird, dann nichtin der Weise eines Rckschlusses von der Eigenart des Textes aufdie Psychologie und Charakterologie des Verfassers, sondern so,da das, was der Text uns zu bedenken gibt, als die Anrede desAutors an seine Leser verstanden werden soll. Der Text wird sonicht zu einer bloen Menge mglicher Belegstellen fr die Psy-chologie des Verfassers, sondern ist die unentbehrliche Erschei-nungsgestalt, in der das Wort des Verfassers seine Hrer und Lesererreicht. Der Text ist zwar bloe Erscheinungsgestalt: die Anrededes Autors ist nicht identisch mit dem, was als Wortlaut des Textesvor den Augen liegt. Aber er ist zugleich wirkliche Erscheinungsge-stalt dieser Anrede. Der Autor wird nicht auerhalb des Textes, alsdessen Ursache, gesucht, sondern spricht in diesem Text den Leseran. Den Text verstehen, bedeutet deshalb zweierlei zugleich: Anseiner sprachlichen Gestalt, seiner Grammatik, ablesen, was derText selber sagt, und zugleich erfassen, auf welche Weise in ihm derVerfasser zu seinen Lesern spricht.

    c) Die offene Frage: Gilt das auch vom Lesen im Buche der Welt?

    Gilt das Gesagte auch vom Lesen im Buche der Welt? MancheVerfahren, vom Text der Welt nach seinem Autor zu fragen,gleichen der psychologischen Auslegung von Texten von Men-schenhand. Sie schlieen von der Welt, wie sie uns in der Erfah-rung gegeben ist, auf die Wesens-Eigenschaften (den Charakter)des gttlichen Autors. Die mannigfachen Erfahrungen, die wir mitder Weltwirklichkeit machen, werden zu Erkenntnisquellen, die unsber die Wesens-Eigenart dieses Autors Auskunft geben. Die einzel-nen Inhalte unserer Welterfahrung aber werden zu Belegen, an de-nen die Auffassung des Interpreten von der Eigenart des gttlichenAutors sich bewhrt. Weil sich aber die gleiche Auffassung vomgttlichen Autor durch viele derartiger Belege rechtfertigen lt,werden die Erfahrungen, die wir machen, in dieser Funktion weitge-hend untereinander austauschbar. Und in diesem Sinne werden diegesammelten Erfahrungen zu Funoten, die man zwar beliebig ver-mehren knnte, die aber immer das gleiche Ergebnis rechtfertigenund unter denen man deswegen, nach Gesichtspunkten der didakti-schen Zweckmigkeit, eine Auswahl trifft. Eine unverwechselbareEigenbedeutung haben sie bei dieser Betrachtung nicht.

    Fr das Lesen von Bchern von Menschenhand wurde soeben einanderes Verfahren vorgeschlagen: nicht der Rckschlu vom Textauf den Charakter des Autors, sondern das Erkennen seiner Hand-

    30

  • schrift in der Mannigfaltigkeit seiner Texte. Kann man auch dasBuch der Welt in solcher Weise lesen? Ist es auch hier mglich,die Anrede des Autors an den Leser von allen Worten zu unter-scheiden, die in diesem Buche vorkommen, also von allen Anspr-chen auf objektive Geltung, die die unterschiedlichsten Inhalte un-serer Erfahrung an uns richten? Und ist es dennoch zugleich mg-lich, die vielfltigen Weisen, wie diese Inhalte unserer Erfahrunguns in ganz unterschiedlich strukturierten Kontexten zu denken ge-ben, als die Erscheinungsgestalten der einen Anrede zu verstehen,die der Autor an uns richtet nicht auerhalb des Textes dieserWelt, sondern in ihm?

    Sollte dies zutreffen, dann wre es ntig, zwar alle Worte, die imBuche der Welt vorkommen, von der Anrede des Autors zu unter-scheiden. Zugleich aber wre es mglich, diese Anrede nicht durcheinen Rckschlu von der Wirkung auf die Ursache zu erkennen,sondern in der Auslegung des Textes selbst, der ihre unentbehrlicheErscheinungsgestalt bleibt. Die Anrede des gttlichen Autors ist, soverstanden, zwar mit keinem Worte identisch, das wir in einem dervielen Bcher lesen, aus denen das Buch der Welt besteht, also mitkeinem der Ansprche, durch die die Dinge dieser Welt uns zu den-ken geben. Aber diese Anrede ist in jedem von diesen Worten ent-halten, auch im kleinsten, ohne sich in irgendeinem von ihnen zuerschpfen, auch nicht im grten. Dann aber erwiese diese Anre-de sich als ein wahrhaft gttliches Wort.

    Die legendre (in dieser Form brigens von Hlderlin in seinemHyperion zitierte) Grabschrift des hl. Ignatius lautet: im Klein-sten enthalten zu sein, aber auch vom Grten nicht umgriffen zuwerden, gerade das ist das Gttliche. Dieser Satz ist, im Mundedes Heiligen, als ein Bekenntnis gemeint. Aber er gibt zugleich einKriterium an, an dem jedes Sprechen von Gott, auch das philoso-phische, sich messen lassen mu. Es ist darum wohl kein Zufall,da die Hochschule fr Philosophie gerade dieses Wort in denSockel seiner Bste eingeschrieben hat, die in der Eingangshalle derHochschule fr Philosophie aufgestellt ist.

    C) Ein Ausblick: Kants Philosophie als Auslegungshilfe

    Ist es ein willkrlich ausgedachtes Programm, auf solche Weisedie Welt als ein Buch zu lesen und in ihm die Handschrift einesgttlichen Autors zu entziffern? Ist es vielleicht gar ein Programm,das im Dienste frommer Motive den Inhalten unserer ganz profa-nen, alltglichen Erfahrung Gewalt antut?

    Dies nun ist der Ort, an dem die notwendige Hilfe bei einem Autorgefunden werden kann, von dem man das nicht vermutet: beiImmanuel Kant. Von welcher Art die Hilfe ist, die wir fr unser Pro-blem aus der Kant-Lektre gewinnen, kann an dieser Stelle nur inknappen Stichworten angedeutet werden fr den Sachkenner si-

    31

  • cher zu wenig, fr diejenigen, die die Diskussion um die Kant-Inter-pretation nicht kennen, hoffentlich gerade noch verstndlich genug.

    In seiner Transzendentalen Analytik hat er gezeigt, was wir leistenmssen, wenn jener Kontext entstehen soll, innerhalb dessen Inhal-te uns mit dem Anspruch auf objektive Geltung gegenbertretenknnen. Und diese objektive Geltung der Inhalte ist es, durch dieder Leser aus dem bloen Selbstgesprch seiner subjektiven Erleb-nisse und Reflexionen befreit und zu den Sachen gebracht wird.Das bedeutet fr das Lesen im Buche der Welt: Die Welt wird erstdurch die Eigenttigkeit des Subjekts zum lesbaren Buch, aber nichtdamit dieses Subjekt im Buche der Welt nur sich selber gespiegeltfindet, sondern damit ihm Fremdes so gegenbertreten kann, daes fr ihn zum Mastab seiner kritischen Selbstbeurteilung wird.

    In seiner Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs hat er ge-zeigt, da auf solche Weise mehrere, strukturell von einander ver-schiedene Kontexte zustandekommen; dabei hat er sich auf zweiBeispiele beschrnkt: den Kontext der Gegenstnde wissenschaftli-cher Forschung, den er Natur nannte, und den Kontext sittlichverpflichtender Handlungsziele, den er die Welt der Zwecke ge-nannt hat. Das bedeutet fr das Lesen im Buche der Welt: Das Buchder Welt gliedert sich in eine Mehrzahl verschiedener Bcher. Zu-gleich aber hat Kant gezeigt, da diese Kontexte sich auf solcheWeise gegenseitig durchdringen, da dabei die Struktur eines jedenvon ihnen gestrt wird. Dann aber verlieren zugleich die Inhalte, diein einen solchermaen gestrten Kontext aufgenommen werden,ihre objektive Gltigkeit. Kant hat dafr nur ein einziges Beispiel ge-geben: die Erfahrung der sittlichen Pflicht verliert im berschnei-dungsbereich zweier Welten, der Natur und der Welt der Zwecke,ihre Verbindlichkeit. Fr das Lesen im Buche der Welt bedeutet das:In jedem dieser Bcher kommen unvermeidlich auch Zitate ausdem jeweils anderen vor und stren dadurch die Grammatik einesjeden von ihnen. Es ist nicht vermeidbar, da die Inhalte der sittli-chen Erfahrung auch im Kontext unserer theoretischen Welter-kenntnis, gelesen werden, die Inhalte unserer sthetischen Erfah-rung auch im religisen Kontext, die Inhalte unserer religisen Er-fahrung auch im Kontext des theoretischen oder sittlichen Erfah-rens. Aber dann wird jeder dieser Kontexte gestrt, soda jededieser Erfahrungen, im fremden Kontext gelesen, so erscheint, alssei sie eine blo subjektive, fr das objektive Erkennen unmagebli-che Zusatz-Interpretation. Das aber hat zur Folge: Jedes dieserBcher wird unlesbar, sobald wir bemerken, da die vielen Bcher,aus denen das Buch der Welt besteht, weder voneinander getrenntnoch zu einem allumfassenden Kontext, zu einem einzigen Buch,zusammengefgt werden knnen.

    Und in seiner Postulatenlehre hat Kant gezeigt: Die einzelne Erfah-rung, die wir machen, gewinnt ihre objektive Gltigkeit zurck,wenn wir den Anspruch, den sie an uns richtet, als die Erschei-nungsgestalt eines gttlichen Anspruchs begreifen. Wiederum hat

    32

  • er dafr nur ein einziges Beispiel gegeben: Die Inhalte der sittlichenErfahrung, unsere Pflichten, gewinnen ihre objektive Verpflich-tungskraft dann zurck, wenn wir sie als gttliche Gebote begrei-fen. Das bedeutet fr das Lesen im Buche der Welt: Jeder einzelneInhalt, den wir in jedem einzelnen Buch zu lesen bekommen, kannnur dann auf angemessene Weise bedeutet werden, wenn wir in je-dem dieser Bcher die Handschrift des gttlichen Autors erkennen.

    Fragen wir abschlieend: Was gewinnen wir hinzu, wenn wir mitKant unsere Pflichten als gttliche Gebote erkennen? Darauf wirdman im Sinne Kants antworten mssen: Wir gewinnen nicht die Er-kenntnis neuer, religiser Pflichten neben den schon erkannten pro-fanen, sondern die Sicherung ihrer in der Dialektik bedrohten ob-jektiven Verpflichtungskraft. Oder allgemeiner: Wir gewinnen nichtnicht neue Inhalte einer neuen, spezifisch religisen Erfahrung, son-dern die gesicherte objektive Geltung jedes Inhalts, den wir in je-dem der verschiedenen Erfahrungskontexte erkennen. Diese objek-tive Geltung ist der Anspruch, mit dem die Inhalte unserer Erfah-rung uns aus unseren Befangenheiten und Vorurteilen befreien undso zum freien Urteil erst fhig machen. Im wiederkehrenden Ver-hltnis zwischen dem befreienden Anspruch des Wirklichen undder Freiheit der Antwort, die wir auf diesen Anspruch geben, sprichtder Verfasser des Buches der Welt zu seinen Lesern. Die befreiendeKraft, durch die die Gegenstnde unserer Erfahrung uns zum freienUrteil fhig machen, kann nur als die Erscheinungsgestalt der be-freienden Anrede des gttlichen Verfassers verstanden werden: Erhat das Buch der Welt so geschrieben, da er im Anspruch der Din-ge und zugleich in der freien Antwort, zu der uns dieser Anspruchbefhigt, zu uns spricht. Die Handschrift dieses Autors wird in derWeise erkennbar, wie die verschiedenen Inhalte unserer verschie-denen Erfahrungsarten uns befreiend in Anspruch nehmen, d.h.,um es noch einmal zu sagen, wie sie uns aus der Befangenheit inunsere subjektiven Ansichten und Absichten befreien und zur freienAntwort auf diesen ihren Anspruch befhigen. Die befreiende Kraftder Erfahrungen, die wir machen, ist die Handschrift, an der wir dengttlichen Autor erkennen.

    Nun mte man zeigen, da die Anstze, die Kant uns geboten hat,so weiterentwickelt werden knnen, da daraus nicht nur eineTheorie der speziell sittlichen Erfahrung gewonnen werden kann,sondern eine Theorie der Erfahrung berhaupt. Es gilt, nicht nur inder Welt der Zwecke, sondern in jedem derjenigen Bcher, ausdenen das Buch der Welt besteht, die Handschrift des gttlichenAutors zu entziffern. Die verschiedenen Weisen, wie die Inhalte dereinzelnen Bcher uns zu denken geben, bilden eine Flle von Er-scheinungsgestalten, deren Bedeutungsgehalt erst erfat wird,wenn wir darin die Anrede des gttlichen Autors an seine Leser er-kennen.

    33

  • Schlielich liee sich zeigen, da auch die traditionellen Gottesbe-weise auf solche Weise neu gedolmetscht werden knnen: alsAnweisungen, im Buche der Welt zu lesen. Dann kme auch dieDiskussion zwischen den Anhngern und den Kritikern dieser Got-tesbeweise ber jenen unfruchtbaren Austausch immer gleicher Ar-gumente und Gegenargumente hinaus, von dem zu Beginn dieserAusfhrungen die Rede war.

    Das alles mte man zeigen, und man knnte es auch aber nichtmehr im Rahmen der hier vorgetragenen berlegungen. Denn dasist, wie man im englischen Sprachraum zu sagen pflegt, eine an-dere Geschichte.

    Anmerkung: Vortrag im Rahmen der Akademischen Feier der HOCHSCHULE FR PHILO-

    SOPHIE am 11. November 2005.

    34

  • 1. August 2005 31. Juli 2006

    Deutsche Provinz der Jesuiten K.d..R.

    P. Stefan Dartmann S.J., Provinzial

    Die Aufgabe des Kuratoriums besteht darin, den Rektor der Hoch-schule zu beraten und die Anliegen der Hochschule in der ffent-lichkeit zu frdern (Satzung, Art. II). Mitglieder des Kuratoriumssind:

    S.K.H. Herzog Franz von BayernPrlat Dr. Valentin Doering, Leiter des Katholischen Bros BayernProf. Dr. Willibald Folz, Prsident des Bayerischen Genossen-

    schaftsverbandes a.D. (Vorsitzender des Kuratoriums)Dr. Johannes Grotzky, Hrfunkdirektor des Bayerischen RundfunksPrlat Prof. Dr. Franz Henrich, Akademiedirektor a.D.Edda Huther, Prsidentin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

    und des Oberlandesgerichts Mnchen a.D.P. Dr. Hans Langendrfer S.J., Sekretr der Deutschen Bischofs-

    konferenzProf. Dr. Dr. h.c. mult. Jutta Limbach, Prsidentin des Goethe-Insti-

    tuts, Prsidentin des Bundesverfassungsgerichts a.D.Dr. Eberhard Martini, Bankdirektor a.D.Kirchenrat Erhard Ratz, Evangelisch-Lutherische Kirche in BayernDr. Dr. Dipl.-Ing. Walter Ernst Wilhelm Ruckdeschel, Prsident des

    Landesamtes fr Umweltschutz a.D.Dr. Florian Schuller, Direktor der Katholischen Akademie in BayernDr. Ludwig Spaenle, Mitglied des Bayerischen Landtags, Vorsitzen-

    der des Ausschusses fr Hochschule, Forschung und KulturProf. Dr. Horst Teltschik, Leiter der Mnchner Konferenz fr Sicher-

    heitspolitik; President Boing DeutschlandProf. Dr. Wilhelm Vossenkuhl, Ludwig-Maximilians-Universitt

    Mnchen, Institut fr Philosophie

    35

    Berichtszeitraum

    Trger derHochschule

    Vertreter desTrgers

    Kuratorium

    ORGANE DER HOCHSCHULE(Stand: 31.07.2006)

    JAHRESBERICHT 2005/06

  • Rektor: Prof. Bordt S.J. (Vorsitzender)Professoren: Prof. Brntrup S.J., Prof. Funiok S.J., Prof. Kummer

    S.J., Prof. Mller S.J., Prof. Schmidt S.J., Prof. Schndorf S.J.Dozenten: Dr. Trampota S.J., DDr. habil. WallacherStudierendenvertretung: Herr Angermeier, Frau StreibHochschultrger: P. Stefan Dartmann S.J. bzw. Dr. Josef Anton

    Aigner S.J. als sein Vertreter

    Prof. Dr. Michael Bordt S.J.

    Bibliotheksausschuss: Prof. Schndorf S.J. (Vorsitzender), Dr. FrickS.J., Dr. Seidel S.J., ein/e Studierendenvertreter/in

    Finanzausschuss: Prof. Bordt S.J. (Vorsitzender), Dr. Aigner S.J.,Prof. Mller S.J., P. Hoffmann S.J., Dr. Oswald S.J.

    Gebhrenausschuss: Prof. Bordt S.J. (Vorsitzender),Prof. Brieskorn S.J., Dr. Seidel S.J., ein/e Studierendenvertreter/in

    Prfungsausschuss/Promotionsausschuss: Prof. Bordt S.J. (Vor-sitzender), Prof. Funiok S.J., Prof. Kummer S.J., Prof. Schmidt S.J.,Prof. Schndorf S.J.

    Dr. Ignaz Fischer-Kerli

    Christine Jakubik

    Siegrun Jger M.A.

    Cecylia Milewski M.A.

    Wolfgang Mayer

    Hochschulrat

    Rektor derHochschule

    Ausschsse desHochschulrates

    Kanzler

    Prfungssekretariat

    Studierenden-sekretariat

    Aufbereitung vonPublikationen

    Verwalter

    36

    VERWALTUNG DER HOCHSCHULE(Stand: 31.07.2006)

  • Die Hochschule arbeitet mit folgenden Hochschulen und Universi-tten zusammen:

    Universidad del Salvador in San Miguel/Buenos AiresPhilosophisch-Theologische Hochschule BenediktbeuernPhilosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen in FrankfurtLudwig-Maximilians-Universitt MnchenTechnische Universitt MnchenPhilosophische Hochschule Driyarkara in JakartaTheologische Fakultt Wedabhakti in YogyakartaPontificia Universit Gregoriana in Ro