Johan Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt. · Galtung ist beispielsweise nicht in der Lage auf...

80
0 MASTERARBEIT Johan Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt. Potenzial und Defizite eines friedenstheoretischen Konzepts im Lichte der pragmatistischen Philosophie John Deweys vorgelegt von Dipl.-Pol. Michael Reš am Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität in Hagen zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Peace StudiesErstgutachter: Dr. Lutz Schrader Zweitgutachter: Dr. Helmut Elbers Nürnberg 2012

Transcript of Johan Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt. · Galtung ist beispielsweise nicht in der Lage auf...

0

MASTERARBEIT

Johan Galtungs Theorie der

kulturellen Gewalt.

Potenzial und Defizite eines

friedenstheoretischen Konzepts im Lichte der

pragmatistischen Philosophie John Deweys

vorgelegt von

Dipl.-Pol. Michael Reš

am Institut Frieden und Demokratie

der FernUniversität in Hagen

zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Peace Studies“

Erstgutachter: Dr. Lutz Schrader

Zweitgutachter: Dr. Helmut Elbers

Nürnberg 2012

1

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung (2-5)

2. Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt (5-35)

2.1 Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundannahmen

2.2 Der multi-dimensionale Gewaltbegriff

2.3 Der doppelte Kulturbegriff

2.4 Galtungs Vorschlag zur Reduzierung kultureller Gewalt

3. Potenzial und Defizite der Theorie der kulturellen Gewalt

(36-52)

4. Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt im Lichte der

pragmatistischen Philosophie John Deweys (52-65)

4.1 Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundannahmen

4.2 Die dynamische Kulturtheorie

4.3 Das Demokratieverständnis

5. Schlussbetrachtung (65-68)

6. Literatur (69-79)

2

1. Einleitung

Die wissenschaftliche Bearbeitung politisch-kultureller Fragen ist auf dem besten Wege in

den Humanwissenschaften paradigmatischen Charakter zu erlangen. Seit Längerem ist

deshalb vom „cultural turn“1 die Rede. Die aktuelle Bedeutung politisch-kultureller

Fragestellungen erklärt sich in mehrfacher Hinsicht. Vor dem Hintergrund von Globalisierung

einerseits und (Re-)Partikularisierung andererseits stellt die Aufgabe, komplexe Prozesse

kulturellen Wandels wahrnehmbar und beschreibbar zu machen bzw. im hermeneutischen

Sinne zu verstehen eine unmittelbare Herausforderung für die Wissenschaft dar. Das

steigende Interesse an der Beziehung zwischen „Politik“ und „Kultur“ wird durch die

aktuellen inhaltlichen Akzentsetzungen innerhalb des geisteswissenschaftlichen Diskurses

bestätigt. Einflussreich sind hier beispielsweise die Multikulturalismus-Debatte2, die Frage

nach den „vorpolitischen“ kulturellen Grundlagen demokratischer Verfassungsstaaten3, die

von Samuel Huntington angestoßene Debatte um einen vermeintlichen „Kampf der

Kulturen“4 und insbesondere die jüngst zunehmend in den Fokus rückende dezidiert kultur-

und zivilisationsvergleichende Forschung.5 Auch in der Friedens- und Konfliktforschung

gewinnen kulturtheoretische Fragestellungen zunehmend an Bedeutung. „Obwohl die

Friedensforschung diese Momente immer mit berücksichtigt hat, werden sie erst seit dem

‚cultural turn‘ systematischer erforscht.“6 Entsprechend hebt Kinkelbur hervor, dass „das

Stichwort Kultur eine neuerdings deutlicher erkannte Bezugsgröße für die Systematisierung

des Kerns einer anwendungsbezogenen Friedensforschung“7 darstellt.

„Eine Öffnung gegenüber kulturtheoretischen […] Fragestellungen stellt dabei nicht die Verankerung

der Friedensforschung in den Sozialwissenschaften zur Disposition, beinhaltet jedoch einen Verzicht

auf rein ideologiekritische, verneinende Vorgehensweisen in der wissenschaftlichen Arbeit zugunsten

von Studien, die eine Debatte über die Eingriffs- und Handlungsfähigkeiten von Subjekten und

Kollektiven in die Prozesse der sozialen Produktion von Unfrieden und der Etablierung von

gesellschaftlichen Friedensstrukturen beinhaltet.“8

In der Friedens- und Konfliktforschung nimmt Galtungs Idee des „Primats der Kultur“9 bei

der Suche nach Erklärungen für das Gewaltpotenzial von Gesellschaften eine prominente

1 Vgl. Bachmann-Medick (2007); Schwelling (2001). Zur Theorie des Paradigmenwechsels siehe Kuhn (1989). 2 Bespielsweise die Kontroverse um Seyla Benhabibs „The Claims of Culture“. 3 Die von Ernst Böckenförde aufgeworfene Frage nach den politisch-kulturellen bzw. zivilreligiösen

Bedingungen von Demokratie, die sie selbst nicht „garantieren“ könne, hat in der Debatte zwischen Jürgen

Habermas und Joseph Kardinal Ratzinger neue Aktualität erhalten. Vgl. Habermas/ Ratzinger (2006). 4 Vgl. Huntington (1996). 5 Vgl. Sigwart (2012), S. 42f. 6 Wintersteiner (2001), S. 18. 7 Kinkelbur (1995), S. 126. 8 Kinkelbur (1995), S. 126. 9 Vgl. Schmidt (1999).

3

Stellung ein. „Kaum ein zweiter zeitgenössischer Friedensforscher dürfte die Bedeutung von

Kultur – in einem umfassenden Sinne – für Krieg, Frieden und alle Formen sozialer und

personaler Gewalt so betont und gleich anspruchsvoll begründet haben wie Johan Galtung.“10

Um die kulturelle Dimension von Gewaltphänomenen zu beleuchten und hervorzuheben

entwickelt Galtung in Anschluss an die Kategorien direkter und struktureller Gewalt die

Theorie der kulturellen Gewalt. Diese steht im Mittelpunkt meiner theoretischen Studie. Im

Fokus des Interesses steht hierbei die Frage inwieweit Galtungs Theorie der „kulturellen

Gewalt“ seinem friedensförderlichen Anspruch gerecht wird. Weitere Grundfragen meiner

Arbeit sind: Was versteht Galtung unter kultureller Gewalt? Ist es ein produktives Konzept?

Wo liegen die Schwächen? Wie kann die Idee theoretisch konkretisiert bzw. weiterentwickelt

werden?

Da Kritik nicht einsetzen kann ohne den Gegenstand der Kritik ausreichend ausgeleuchtet zu

haben, gilt es zunächst eine Ausgangsbasis zu schaffen und Galtungs theoretische Entwürfe

zu rekonstruieren.11

Durch die systematische und textnahe12

Rekapitulation Galtungs zentraler

Grundgedanken soll das Konzept der kulturellen Gewalt insoweit einer theoretischen Klärung

zugeführt werden, dass die Potenziale des Begriffs sowie seine Schwächen und theoretischen

Unschärfen deutlich werden. Da die Theorie der kulturellen Gewalt in einen umfassenden

wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Kontext eingebaut ist, soll dieser

mitberücksichtigt werden. Eine längere Passage meiner Arbeit widmet sich explizit der

Erläuterung der theoretischen Grundlegung von Kultur und Gewalt. Da Galtungs

Kulturtheorie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seinen zivilisationstheoretischen

Vorstellungen steht, sollen diese ebenso betrachtet werden. Mit der Fokussierung „weicher

Faktoren“ des Politischen stellt sich die Frage nach der Überwindung kulturell-bedingter

Gewaltphänomene. In diesem Zusammenhang werden Galtungs Therapieansätze zur Heilung

von kultureller Gewalt zusammengefasst.

Anhand der Theorie des „demokratischen Friedens“ sollen als nächstes das Potenzial sowie

die Schwächen von Galtungs kulturtheoretischem Ansatz diskutiert werden, wobei der Fokus

auf den Defiziten liegt. Es wird dabei die These vertreten, dass die Theorie der kulturellen

Gewalt richtungsweisende Perspektiven eröffnet, um demokratische Gewaltaffinitäten zu

verstehen. Galtungs kulturorientierter Forschungsansatz hat das Potenzial, der „genetischen

10 Schmidt (1998), S. 36. 11 Dass dies aufgrund des umfangreichen Werkes Galtungs kein leichtes Unterfangen ist, darauf verweist Holm:

„Excuses are necessary: any attempt to present elements of Johan Galtungs’s intellectual Odyssey must be a

dangerous one.” Holm (1980), S. 27. 12 Die textnahe Analyse soll verhindern, dass in Galtungs Arbeit etwas „hineininterpretiert“ wird, was gar nicht

drin steht.

4

Blindheit“ liberaler Sozialwissenschaft entgegenzutreten (These 1). Allerdings wird dieses

Potenzial aufgrund Galtungs problematischen Kulturbegriffs nur unzureichend ausgeschöpft

(These 2). Galtung ist beispielsweise nicht in der Lage auf Basis seiner tiefenkulturellen

Erörterungen die uneinheitliche demokratische Gewaltneigung schlüssig zu erklären. Im

Weiteren will ich der Frage nachgehen, inwieweit es sich bei der Unterbetonung kultureller

Varianz um ein theorieinduziertes Problem in Galtungs Denken handelt.

Eine weitere These (These 3) meiner Arbeit ist nun, dass eine Reflexion Galtungs

kulturtheoretischen Denkens im Lichte der pragmatistischen Philosophie John Deweys, aus

den Aporien herausführen könnte, die für Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt

diagnostiziert wurden.

John Dewey (1859-1952) zählt neben Charles Sanders Peirce, William James und George

Herbert Mead zu einem der zentralen Begründer des Pragmatismus, einer philosophischen

Denkrichtung, die in den letzten Jahren eine starke Renaissance erlebte.13

Kulturtheoretische

Fragestellungen nehmen in der Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen „großen

philosophischen Strömung Amerikas“14

einen prominenten Platz ein. „Klassische

Pragmatisten wie John Dewey und George Herbert Mead verstanden ihre Philosophie als

einen Beitrag zur Theorie und Kritik der Kultur.“15

Vor allem bei John Dewey bilden

kulturtheoretische Überlegungen die Grundlage seiner gesamten Philosophie.

Die Bedeutung des pragmatistischen Kulturverständnisses betont Reckwitz. Er bezeichnet das

pragmatistische Kulturverständnis als „dritte Wurzel des bedeutungs- und wissensorientierten

Kulturverständnisses“.

„Eine dritte Wurzel des bedeutungs- und wissensorientierten Kulturverständnisses findet man in der

Philosophie des ‚Pragmatismus‘, jenes spezifisch US-amerikanischen Beitrags zu den philosophischen

Innovationen des 20. Jahrhunderts. Der Pragmatismus von Peirce bis James, Dewey, Thomas und Mead

lässt sich als eine Theorie symbolvermittelten Handelns verstehen. […] Entscheidend für die

pragmatistische Perspektive ist, dass der Handelnde in Auseinandersetzung mit den Gegenständen und

Personen in der Handlungssituation übersituativ geltende Symbol- und Zeichensysteme heranzieht, um

– wie es bei Thomas heißt – ‚die Situation zu definieren‘ und somit selbstkontrolliert handeln zu

können. Auch wenn diese Situationsinterpretationen meist zu routinisierten ‚habits‘ gerinnen, ist aus

pragmatistischer Sicht in überkomplexen Handlungskontexten ein kreativer Umgang mit den vertrauten

Symbolsystemen möglich und notwendig – die Interpretationsprozesse sind prinzipiell, wie Peirce es in seinem Konzept der ‚Semiosis‘ annimmt, unendlich.“16

Da „[d]ie Stärke eines pragmatistischen Ansatzes […] sich besonders in der Fähigkeit [zeigt],

sowohl Wandel als auch Kontinuität erklären zu können […]“17

kann Deweys kritische

Kulturphilosophie zahlreiche positive Impulse geben, um Galtungs Idee der kulturellen

13 Vgl. Sandbothe (2000). 14 Joas (1992), S. 13. 15 Neubert (2004), S. 114. 16 Reckwitz (2006), S. 88f. 17 Roos (2003), S. 121.

5

Gewalt neu zu denken. Zwar war Dewey kein expliziter Friedensforscher, dennoch lassen sich

Deweys kulturtheoretische und demokratietheoretische Ausführungen mit seiner im Vergleich

zu Galtung stärkeren akteurstheoretischen Nuancierung gewinnbringend aus

friedenswissenschaftlicher Perspektive18

lesen. Vor dem Hintergrund des äußerst facettenreichen, vielschichtigen und umfangreichen philosophischen Werks muss es aber klar

sein, dass auch in dieser Arbeit Deweys kulturtheoretische Überlegungen nur punktuell

herausgearbeitet werden können. Ziel ist es nicht, Deweys komplexe und vielschichtige

kulturtheoretische Überlegungen im Detail darzustellen. Vielmehr konzentriert sich die

Arbeit darauf, aus dem argumentativen Gesamtspektrum diejenigen Aspekte

herauszuarbeiten, die für die zentrale Fragestellung dieser Arbeit von besonderem Interesse

sind. Nichtsdestotrotz versuche ich zu zeigen, dass Deweys kulturtheoretische Ansätze

wichtige Denkanstöße für den friedentheoretischen Diskurs geben können.

2. Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt

2.1 Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundannahmen

Das wissenschaftstheoretische Grundverständnis Galtungs ist nicht einfach zu fassen, da es

nicht statisch ist, sondern sich in einem Prozess der ständigen Neujustierung befindet. Vor

dem Hintergrund der Erforschung der Grundbedingungen des Friedens sucht Galtung

kontinuierlich nach Antworten auf die Fragen nach der Bedeutung von Wahrheit und

Erkenntnis, nach den Potenzialen des menschlichen Geistes sowie nach dem Verhältnis von

Mensch und Welt. Diese Suchbewegung durchläuft verschiedene Phasen, in der die

Erweiterung des Friedensbegriffs und die Veränderung der erkenntnis- und

wissenschaftstheoretischen Akzentsetzung parallel verlaufen.19

„Parallel with the changes in

the definition of the central concept of peace there has been a change in Galtung’s

epistemology.”20

In diesem Zusammenhang sei auf einen wichtigen Sachverhalt hingewiesen:

„Wenn er [Galtung] eine Theorie oder Methode für geeignet und leistungsfähig für sich entdeckt hat,

gibt er diese nicht einfach wieder auf […]. […] Sein Anliegen [ist] […], durch produktive

Überbrückung vermeintlicher (meta-)theoretischer und methodologischer Gegensätze neue

Möglichkeiten und Kreativitätspotenziale für die Anwendung wissenschaftlicher Konzepte und

18 Eine explizite Rezeption der Denktradition des amerikanischen Pragmatismus findet in der deutschsprachigen

Friedensforschung allerdings nicht statt. 19 Posern verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Kombination „sehr differenzierten

Theorieströmungen […] zu dem Ursachenbündel [gehört], das es so erschwert, Galtungs eigenen

wissenschaftlichen Standort auszumachen […].“ Poser (1992), S. 46. 20 Holm (1980), S. 33.

6

Methode und die Erhöhung ihrer Erklärungskraft und gesellschaftsverändernden Produktivität zu

erschließen.“21

Die kontinuierliche Expansion seines wissenschaftstheoretischen Fundaments durch

Integration neuer Forschungsperspektiven kann als Grundcharakteristikum seiner Arbeit

angesehen werden. „[...] [T]he general tendency in Galtung's work is expansion: in terms of

the central concept of peace, in terms of epistemology, in terms of substance.”22

Ziel dieses

Expansionsprozesses ist die Ausdehnung der Reichweite seiner Theorien.

Ausgangspunkt seiner (selbst-)kritischen Auseinandersetzung mit philosophischen,

epistemologischen und ontologischen Fragen bildet dabei die Reflexion positivistischer

Wissenschaftsideale.23

Grundidee dieses Wissenschaftsverständnisses ist es, den logischen

Aufbau und die methodischen Verfahrensweisen der Naturwissenschaft auf die

Humanwissenschaften, namentlich die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, zu

übertragen.24

Maßgebliches Ziel szientistischer Methode ist dabei die Realisierung eines

möglichst idealen Versuchsaufbaus, welcher es dem Forscher ermöglicht gemäß dem Ideal

des unbeteiligten, neutralen Beobachters den Untersuchungsgegenstand von Außen und aus

sicherer Distanz zu analysieren. Durch die Trennung von Forscher und Forschungsgegenstand

soll ein verzerrender und manipulativer Eingriff durch den Wissenschaftler auf die Ergebnisse

vermieden werden. Ebenso bleibt der Forscher gegenüber den möglichen politischen Folgen

seiner Forschung neutral; angestrebt ist eine klare Trennung zwischen Wissenschaft und

Politik. Ziel der positivistisch geprägten Wissenschaftsphilosophie ist eine Etablierung einer

wertfreien und objektiven Wissenschaft.25

Ontologische Grundprämisse dieses

positivistischen Wissenschaftsverständnisses stellt die Annahme dar, dass eine objektive, d.h.

letztlich eine nicht willentlich vom Menschen konstruierte und damit nicht veränderbare

(soziale) Wirklichkeit existiert. In dieser sozialen Wirklichkeit existieren Regeln und Gesetze

des menschlichen Zusammenlebens, welche prinzipiell wissenschaftlich erschlossen werden

können.26

„Deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten glaubt eine positivistische Wissenschaft idealtypisch abbilden

und erklären zu können, indem sie den Standpunkt einer vermeintlich alles durchdringenden und

21 Schrader (2009), S. 31. Dass ihm dieses Unterfangen in kulturtheoretischer Hinsicht in meinen Augen nicht

wirklich gelingt, werde ich später hervorheben. 22 Holm (1980), S. 36. 23 Das Buch „Theories and Methods of Social Research” aus dem Jahre 1967 repräsentiert Galtungs anfängliche

Bevorzugung positivistischer Wissenschaftsideale. Vgl. Holm (1980), S. 47, Anm. 30. Ebenfalls heben

Strzelecki (1980) und Schrader (2009) die stark positivistisch, systemtheoretisch orientierte Ausgangsposition

Galtungs hervor. 24 Vgl. Menzel/ Varga (1999), S. 26. 25 Erkenntnistheoretische Zugänge, die sich auf verstehende, interpretative oder hermeneutische

Argumentationslogiken stützen, werden aus der Warte szientistischer Forschung als spekulativ und daher als

„unwissenschaftlich“ eingestuft. 26 Vgl. Schrader (2009), S. 35.

7

überblickenden Instanz einnimmt und sich daher bemächtigt fühlt, über die ‚Wahrhaftigkeit‘ von

Aussagen und Gedanken zu urteilen.“27

Grundproblem der szientistischen Wissenschaftsphilosophie ist die Tatsache, dass die

Selektivität und die normative Konnotation der vermeintlich objektivierten Daten meist nicht

hinterfragt werden. Empirische Wissenschaften setzen ebenfalls Werte voraus, thematisieren

diese aber nicht.28

„Zur Wissenschaftskultur des Positivismus gehört außerdem, dass die Beschränkung auf wenige, als

relevant erachtete Variablen als erstrebenswert und ‚elegant‘ gilt. Der Preis für diesen Gewinn an

Wissenschaftlichkeit besteht meist in der Ausblendung anderer kritischer Variablen, ja mitunter ganzer

Bereiche des historischen, sozialen und kulturellen Kontextes des untersuchten Zusammenhangs.“29

Anfangs favorisiert Galtung als studierter Mathematiker grundsätzlich einen stark

empiristisch orientierten Positivismus.

„Damals war ich […] sehr naturwissenschaftlich beeinflusst, […] die Naturwissenschaft war noch das Modell und das Ideal noch der Positivismus. […] [I]m Ideal des Positivismus sind die Muster auch

ewig, sie bewegen sich nicht. Also muss man nur lernen, diese Muster wieder zu erkennen. Daher kam

auch mein ursprünglicher Anspruch, die Bedingungen des Friedens genauso zu erfordern wie man es in

der Naturwissenschaft tut. Das war damals noch mein Ideal, aber das ist mittlerweile verschwunden.“30

Im Mittelpunkt seines Denkens stand in dieser Phase die positivistische Suche nach „der

Wahrheit“ des Unfriedens oder nach den letzten unveränderlichen Fundamenten und Gründen

gewalttätigen Handelns. „I believed that such archimedean fixed points existed and that these

were the points from which objective social science should be pursued.“31

Friedensforschung

war für den jungen Galtung eine Frage eines szientistischen Wissenschaftsverständnisses und

nicht eine Frage philosophischer Spekulation.32

„[I]n der ersten Phase [hatte] Galtung noch in der Empirie die quasi richterliche Instanz für die

Gültigkeit wissenschaftlicher Theorien gesehen und ganz selbstverständlich versucht, diesen

Gradmesser in die neu aufzubauende Friedens- und Konfliktforschung zu übernehmen […].“33

In dieser Zeit orientierten sich Galtungs Ansätze an der positivistischen Objektivität der

Naturwissenschaften, was am häufigen Gebrauch naturwissenschaftlicher Analogien aus

Mathematik, Biologie und Physik abzulesen ist. Vor diesem Hintergrund entwickelte Galtung

seine bis heute überaus wichtige strukturalistische Methode der Isomorphie.34

Das Konzept

27 Roos (2003), S. 9. 28 Vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil eine ihrer Voraussetzungen die Vorstellung ist, dass ihre Werte

universell gültig seien, und man deshalb annimmt, dass ihre Thematisierung gar nicht von Nöten wäre. 29 Schrader (2009), S. 61. 30 Graf/ Macho (2010), S. 11f. 31 Galtung (1971b), S. 161f. 32 „Some people seem to think that such problems (definition, method etc.) can be clarified by speculation a

priori, others prefer a more pragmatic, empirical approach. I belong to the latter.” Galtung (1975c), S. 228. 33 Schrader (1999), S. 30. 34 Hierzu Holm: „The use of analogies, either to provide the arguments or to extend the explanatory value of a

theory, is a dominant factor in most of Galtung’s work.” Holm (1980), S. 38.

8

der Isomorphie versucht „across-levels-analog[ies]“35

herzustellen und ist angelehnt an den

mathematischen Strukturbegriff 36

, welchen Galtung definiert als „a set of elements with a set

of relations defined on the elements“37

. In der Übertragung des Isomorphie-Konzepts auf die

Sozialwissenschaft sieht Galtung das Potenzial, soziologische und kulturelle Parallelen und

Muster zwischen Mikro- und Makroebene ausfindig und logisch greifbar zu machen.38

„Isomorphie bedeutet, dasselbe Muster wieder zu erkennen, auch wenn es an einem anderen

Ort ist.“39

Das Ausblenden vieler Details gehört hierbei zur beabsichtigten Forschungsagenda:

„Das menschliche Individuum ist unendlich komplex, und das gilt erst recht für die

menschliche Gesellschaft; um sie aber zu verstehen und zu verändern, brauchen wir eine

vereinfachte Art des Denkens über Gesellschaft.“40

„Eine weitere Möglichkeit, die diese Methode bietet, ist die Überbrückung der Polarisierung zwischen

der Kulturtheorie und der Strukturtheorie ebenso wie die Überbrückung zwischen dem empirisch-quantitativen Ansatzes und der Mathematik auf der einen Seite und dem interpretativen Ansatz und der

Phänomenologie auf der anderen Seite.“41

Unter Rückgriff auf die Konzeption der Isomorphie kommt Galtung zu der Einsicht, dass

zwischen der Sozialstruktur und der Wissenschaftsstruktur eine enge Beziehung besteht. „Die

Anwendung einer Methodologie“, so erkennt er, „sei eine politische Handlung“42

, weil sie die

Struktur der Gesellschaft in der sie entsteht, bestätigt oder verwirft. Isomorphie ist jedoch

nicht nur zwischen Sozial- und Wissenschaftsstruktur zu beobachten, sondern überträgt sich

ebenso auf die Struktur des Wissenschaftsprodukts.43

„[D]ie Theoriekonstruktion ist auch

isomorph mit einer bestimmten vertikalen Sozialstruktur in der Gesamtgesellschaft und in der

Wissenschaft im Besonderen.“44

Wissenschaft ist für Galtung deshalb

„wirklichkeitsverändernde“ und „wirklichkeitsschaffende Praxis“45

. Auf der Basis der

Reflexion der nicht zuletzt politischen Tragweite wissenschaftlicher Methodenwahl versucht

Galtung ein Verständnis von Wissenschaft zu entwickeln, welches den Zusammenhang von

Daten, Theorien und Werten neu bewertet. Vor dem Hintergrund des passiven

35 Holm (1980), S. 38. 36 Laut Stzelecki sind Galtungs wissenschaftliche Zugänge zur sozialen Wirklichkeit „[...] mostly structure-

oriented, elaborated with deep concern that they be used for description of various deprivations of ‚those most in need’. This, I would say, is a positivist element colored by basic categories of Marxist analysis, reshaped and

rethought.” Strzelecki (1980), S. 55f. 37 Galtung (1970), S. 171. 38 Boulding ordnet vor diesem Hintergrund Galtung dem systemtheoretischen Denken Talcott Parsons‘ zu: „[...]

[F]or in many ways I think Galtung’s thought is Parsonian.” Boulding (1977), S. 76. 39 Graf/ Macho (2010), S. 36. 40 Galtung (1979a), S. 164. 41 Galtung (2010), S. 38. 42 Galtung (1978), S. 50. 43 Vgl. Galtung (1978), S. 13. 44 Galtung (1978), S. 72. 45 Galtung (1978), S. 84.

9

Selbstverständnisses der auf Beobachtung beschränkten Wissenschaft und der damit

einhergehenden Nichtthematisierung „unwissenschaftlicher“ normativer Fragen, nimmt

Galtung zunehmend Abstand vom nomothetischen, auf empirisch-analytische Fragen

limitierten Wissenschaftsbild. Galtung erkennt, dass Datenerhebung einen

rückwärtsorientierten Fokus besitzt und Empirie als Gefängnis der Vergangenheit nur wenig

geeignet ist zukünftige Wirklichkeitsveränderung zu denken und hervorzubringen.46

Aus

diesem Grund will Galtung nun „Wertaussagen hinzufügen“ um sich der „Zwangsjacke für

die Vorstellungen von der Wirklichkeit“47

zu entledigen.

Wichtigstes Resultat in dieser Phase ist die Abkehr vom Ideal der Wertefreiheit. Die

Prioritätssetzung für wissenschaftliches Arbeiten erfolgt nun konsequent nach normativen

(sprich: friedensorientierten) Maßstäben.48

Unmittelbar in Verbindung mit dieser normativen

Ausrichtung steht das Ziel, gesellschaftliche Veränderungsprozesse durch wissenschaftliche

Praxis voranzutreiben. „Die normative Orientierung […] drückt den Anspruch auf

Veränderung und den Ausblick auf Zukünftiges, Wünschenswertes aus, d. h. sie ist in

gewisser Weise auch als Grundlage für den postulierten Praxisbezug zu sehen.“49

Wissenschaft versucht sich hier nicht mehr über den sozialen Realitäten zu positionieren,

sondern wird von Galtung bewusst als Teil sozio-politischer Praxis definiert.

In der dritten Phase erhält Galtungs Wissenschaftsbild durch die Ergänzung mit

ideographischen Elementen eine neue Qualität. In der 1972 veröffentlichten Schrift

„Empiricism, Criticism, Constructivism“ entwickelt er die Idee des „Konstruktivismus“,

welche durch die Verbindung von Datenanalyse, Theoriebildung und Wertbestimmtheit

ausgezeichnet ist. Von nun an werden Werte bewusst in den wissenschaftlichen Prozess

integriert. Die Validität theoretischer Aussagen hängt hierbei nicht allein vom erhobenen

empirischen Material ab.50

Vielmehr ist ihre Gültigkeit von einer Wertereflexion abhängig,

welche Vereinbarkeit theoretischer Konstrukte mit ethisch-moralischen Grundpositionen

überprüft.

46 Hierzu Lawler: „For Galtung, to read the future from the past, to bow before history, is to restrict the creative potentiality of theory.” Lawler (1995), S. 104. 47 Galtung (1978), S. 72f. 48 Vgl. Schrader (1999), S. 29. 49 Alfs (1995), S. 29. Ebenso Galtung: „Wissenschaftliche Tätigkeit endet also nicht mit etwas Geschriebenem,

bei dem sprachliche Übereinstimmung – eine ‚Lösung auf dem Papier‘ – erzielt wird. Sie endet erst, wenn die

Wirklichkeit verändert und empirische Übereinstimmung erzielt ist. Eine gute Theorie erklärt nicht die

empirische Wirklichkeit, sondern führt zur Verwirklichung einer vorgezogenen möglichen Wirklichkeit.“

Galtung (1978), S. 85. 50 Hierzu Holm: „Data no longer occupy a prominent position; instead, reasoning is done through concepts and

analogies. Epistemologically this phase represents a period of searching for a more adequate basis for a new

paradigm of peace research. As a result, the concept of science is expanded to include values, data, theory, and

action in the same process.” Holm (1980), S. 34.

10

„Damit werden nicht nur Aussagen über gesellschaftliche Zustände ermöglicht, wie im empirisch-

analytischen Ansatz, sondern durch wertorientierte Analysen Konzepte für gesellschaftliche

Veränderungen entworfen. Es geht bei diesem Ansatz darum, beobachtbare Daten, theoretische

Konstrukte und Prognosen sowie wertorientierte Zukunftsentwürfe zusammengefasst in einen

‚Weltpunktraum‘ zu legen und unmittelbar zu vergleichen.“51

In folgenden Jahren wird die Grundidee zum „wissenschaftstheoretischen Dreiecks“

ausgebaut,

„das an den Ecken die drei elementaren Dimensionen jedes Forschungsprozesses – Daten, Theorien,

Werte – und an den Seiten die drei grundlegenden metatheoretischen Schulen – Empirismus,

Kritizismus, Konstruktivismus – zusammenführt“52.

Auf Grundlage seines „wissenschaftstheoretischen Dreiecks“ favorisiert Galtung nun eine

Dreiteilung der Friedenswissenschaft.

„Peace studies can be conveniently and usefully divided into past-oriented, empirical, what worked and

what did not; present-oriented, critical, evaluating present policies; future-oriented, constructive,

elaborating future policies. [...] All three approaches are part of peace studies, riding on all three criteria

of being scientific. Any limitation to only one of these approaches is as meaningless in peace studies as

it would be in, say, health studies. And – when the future has become the past empirical approach will

of course be used to find out whether any new and constructive approaches worked.”53

Bemerkenswerterweise distanziert sich Galtung allerdings nicht von seinen bisherigen

strukturalistisch-funktionalistischen Methoden, sondern versucht die aus seiner Sicht

positiven Aspekte einer „positivistischen“ Vorgehensweise in einen erweiterten

wissenschaftstheoretischen Rahmen zu integrieren.54

In der vierten Phase werden die strukturalistische Methode der Isomorphien, das

wissenschaftstheoretische Dreieck und die soziale Responsibilität des Wissenschaftlers durch

kulturtheoretische Überlegungen nochmals in neuer Qualität in Verbindung gebracht.

In diesem Zusammenhang versucht Galtung sich vom westlichen Wissenschaftsverständnis

zu distanzieren. Die Grundmotivation Galtungs entspringt einer kritischen Haltung gegenüber

gewalt(re-)produzierenden Potenzials in der westlichen Welt. Hierbei unterstellt er der

westlichen philosophischen und wissenschaftlichen Tradition ein fehlendes Instrumentarium,

diese Gewaltverhältnisse überhaupt wahrzunehmen. Zu dieser fehlenden Sensibilität

gegenüber eigenem gewaltgenerierenden Potenzials gesellt sich seiner Meinung nach ein in

der westlichen Gesellschaft tief verwurzeltes Verständnis von Konflikt und

Konfliktbearbeitung, welches nur suboptimale Ergebnisse hervorbringt. „[…] [I]n

grundlegenden Mustern des westlichen Denkens und der westlichen Lebensweise sieht er

[Galtung] folgenreiche Ursachen und Rechtfertigungsgründe für gesellschaftliche Gewalt-

51 Schwerdtfeger (2001), S. 120. 52 Schrader (1999), S. 30. 53 Galtung (2002a), S. 11f. Zitiert nach Schrader (2009), S. 63. 54 Am Beispiel seiner kulturtheoretischen Ausführungen werden wir sehen, dass Galtungs Strukturalismus sogar

die Grundlage seiner Überlegungen darstellt.

11

und Ausbeutungsverhältnisse.“55

Deshalb versucht sich Galtung aus dem westlichen

(„okzidentalen“) wissenschaftlich-kulturellen Kontext zu lösen und neue Einflüsse zu

integrieren. Besonders wertvolle Ansätze findet er dabei in asiatischen („orientalen“)

Weisheitslehren. Sie bilden „the postulation of an idealized alternative to mainstream Western

epistemology”56

. Als wichtigen orientalisch inspirierten Aspekt benennt Galtung

beispielsweise das Denken in „sowohl-als-auch-Kategorien“ („ying-yang“).

Insgesamt sind

[b]eide Wege – der westliche und der östliche – […] bei Galtung eng miteinander verwoben. […] Die

westliche Philosophie steht für seine Herkunft und für sein Bemühen, an westliche Wissenschaft und

Diskurse weiterhin anschlussfähig zu bleiben. Die östlichen Weisheitslehren, und vor allem der

Buddhismus, bilden dagegen […] einen intellektuellen und spirituellen Fluchtpunkt, der es ihm erlaubt,

Alternativen zur westlichen Denk- und Lebensweise zu erkunden und zu entwerfen“57.

2.2 Der multi-dimensionale Gewaltbegriff

Galtungs argumentative Vorgehensweise basiert auf der Entscheidung, nicht im Kriegs-,

sondern im Gewaltbegriff das Antonym zum Friedensbegriff zu sehen. Mit dieser

richtungsweisenden Entscheidung versucht Galtung all jene Aspekte physischer und

psychischer Gewaltverhältnisse sichtbar zu machen, die in der begrifflichen Frieden/ Krieg

Dichotomie unbeachtet blieben.

„Indem Frieden (in Analogie zur Definition von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit) als

Abwesenheit von Krieg oder organisierter Gewaltanwendung definiert wird, ist die Friedensforschung

in Gefahr, die jeweils bestehende Ordnung samt aller nichtkriegerischer Ausübung von Unterdrückung,

Freiheitsbeschränkung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit als ‚friedlich’ zu sanktionieren. Um dem zu

entgehen, müssen Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung der Menschen

mit dem Friedensbegriff verbunden werden.“58

Mit dem Gewaltbegriff verfolgt er einen „cleary victim-oriented approach“59

, welcher

versucht, menschliche Lebensbeeinträchtigungen aus der Perspektive des Opfers zu

konzeptualisieren. Indem Gewalt von ihren Konsequenzen her beurteilt wird, geraten all jene

Phänomene die für die Verletzung grundlegender menschlicher Bedürfnisse verantwortlich

sind, ins Blickfeld. Auf Basis eines umfassenden Gewalt-Verständnisses spricht Galtung von

Gewalt,

„wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle Verwirklichung. […] Gewalt wird hier definiert als die Ursache für den

Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen, zwischen dem, was hätte sein können, und

55 Schrader (1999), S. 33. 56 Lawler (1995), S. 209. 57 Schrader (2009), S. 33. 58 Link (1972), S. 11. 59 Galtung (1975d), S. 12.

12

dem, was ist.“60

Eine weitere Gewalt-Definition lautet:

„Ich begreife Gewalt als vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder,

allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das

herabsetzt, was potentiell möglich ist. Die Androhung von Gewalt ist ebenfalls Gewalt.“61

Aufgrund heuristischer Logik unterscheidet er dabei verschiedene Dimensionen der Gewalt:

direkte/ personale Gewalt, strukturelle Gewalt und kulturelle Gewalt. Galtung kommt es

darauf an, „theoretisch signifikante Dimensionen von Gewalt aufzuzeigen, die das Denken,

die Forschung und möglicherweise auch das Handeln auf die wichtigsten Probleme

hinlenken“62

. Das Ziel ist „to make our social reality transparent in significant directions,

making us capture a certain set of important phenomena”63

.

Da der im Zentrum dieser Arbeit stehenden Begriff der kulturellen Gewalt nicht ohne

Berücksichtigung der anderen Formen der Gewalt fassbar ist, scheint es zunächst sinnvoll

diese zu rekapitulieren.

Direkte Gewalt umfasst dabei all jene konventionellen Vorstellungen, die gemeinhin mit

Gewalthandlungen in Verbindung gebracht werden. Gewalt bedeutet in diesem

Zusammenhang „eine bloße physische Beschädigung oder ein Angriff auf Leib und Leben

[...] (mit dem Töten als extremster Form) – ein subjektiver Akt, der eben dies als Konsequenz

intendiert“64

. Wichtiges Kriterium „direkter Gewalt“ ist die Möglichkeit, Subjekte und

Objekte von Gewalt klar zu identifizieren.65

Direkte Gewalt liegt vor, „wenn es einen Sender

gibt, einen Akteur, der die Folgen der Gewalt beabsichtigt“66

. Direkte Gewalt ist demnach

gekennzeichnet durch das Vorhandensein und die Identifizierung eines oder mehrerer

Akteure. Die Spannbreite der mit der Begrifflichkeit „direkte Gewalt“ klassifizierbaren Taten

erstreckt sich von der individuellen Körperverletzung bis zur kollektiven Gewaltausübung in

Form von Krieg. Für Galtung gilt ein solches limitiertes, auf unmittelbare Gewaltanwendung abzielendes

Gewaltverständnis allerdings als nicht geeignet, um die vielfältigen weltweit beobachtbaren

Leidens- und Abhängigkeitsverhältnisse zu charakterisieren. Im Kontext des Diskurses der

kritischen Friedensforschung entwickelt er deshalb den Begriff der strukturellen Gewalt,

welchem er das Potenzial zuschreibt jene Ausprägungen der Gewalt zu identifizieren, die bei

60 Galtung (1975b), S. 9. 61 Galtung (1993), S. 106. 62 Galtung (1975b), S. 8. 63 Galtung (1975d), S. 3. 64 Galtung (1975b), S. 9 65 Vgl. Alfs (1995), S. 31. 66 Galtung (2001), S. 16.

13

der Fokussierung direkter Gewaltverhältnisse unbeachtet bleiben.67

Galtung „entscheidet“

sich deshalb, „die Unterscheidung zwischen personaler und struktureller Gewalt zur

grundlegenden zu machen“68

. Allerdings macht er darauf aufmerksam, dass beide Arten von

Gewalt, „[...] vollkommen symmetrisch sind: keiner von beiden wird zeitlich, logisch oder

wertmäßig der Vorrang gegeben“69

.

Ziel dieser perspektivischen Öffnung ist es, auf die mannigfaltigen Formen anonymer

Massenverelendung und globalen Massensterbens aufmerksam zu machen.70

Strukturelle

Gewalt liegt überall dort vor, wo Lebenschancen von Menschen durch Mangelsituationen

beeinträchtigt werden, die nicht durch objektive Knappheit von Ressourcen begründet sind

und die mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln eigentlich behoben werden könnten.

Gewalt wird somit zu einem umfassenden Begriff,

„der alles einschließt, was die Selbstverwirklichung des Menschen hemmt und verhindert, alles, was

den Menschen zu weniger macht als er sein könnte. Gewalt findet sich auf dem Schlachtfeld und in den

Elendsvierteln, in der Ausbeutung wie in der Arbeitsteilung, die den Menschen spaltet und ihm eine

Position im Leben zuweist, in der er nur einen sehr kleinen Teil seiner potentiellen Kräfte entfalten

kann.“71

Strukturelle Gewalt ist in diesem Verständnis auch ein Synonym für soziale

Ungerechtigkeit.72

Im Vergleich zu personaler Gewalt tritt strukturelle Gewalt unauffällig, geräuschlos, sehr

stabil, teilweise schwer feststellbar und nachweisbar auf. Sie kann intendiert oder

unbeabsichtigt, manifestiert oder latent auftreten. Strukturelle Gewalt sieht Galtung immer

dann gegeben, wenn es keinen konkret identifizierbaren Täter, aber doch einen Dauerzustand

von Gewalt gibt, welcher sich in ungleichen Machtverhältnissen73

und Lebenschancen

äußert.74

Erscheinungsformen sind beispielsweise Repression im Bereich der Politik und

Ausbeutung im Bereich Wirtschaft.

67 Wie Galtung betont, werden Opfer struktureller Gewalt in der Öffentlichkeit häufig nicht wahrgenommen:

„Die Opfer der direkten Gewalt gehen in die Nachrichten ein, die Opfer der strukturellen Gewalt dagegen in die

Statistiken.“ Galtung (1975b), S. 46. 68 Galtung (1971a), S. 66. 69 Galtung (1975b), S. 34. 70 Vgl. Bonacker/ Imbusch (2006), S. 88. Maßgeblich beeinflusst wurde Galtung hierbei durch seine

Lateinamerikaerfahrung. Hier ist er zur Überzeugung gelangt, dass extreme gesellschaftliche Ungleichheiten

„[…] were in and by themselves violence, that they were unnecessary evils in their own right“. Galtung (1975e),

S. 24. 71 Galtung (1973a), S. 92. An anderer Stelle heißt es strukturelle Gewalt sei alles was „human self-realization“,

„personal growth“ oder „satisfaction of human needs“ behindert. Galtung (1975d), S. 8. 72 „Um das Wort Gewalt nicht zu sehr zu strapazieren, werden wir die Bedingungen der strukturellen Gewalt

zuweilen als soziale Ungerechtigkeit bezeichnen.“ Galtung (1979b), S. 63. 73 „Die der strukturellen Gewalt zugrunde liegende allgemeine Formel [ist] Ungleichheit [...], vor allem

Ungleichheit in der Verteilung der Macht [...].“ Galtung (1975b), S. 19. 74 Strukturelle Gewalt „ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen […] in […]

ungleichen Lebenschancen.“ Galtung (1975b), S. 12.

14

„Von struktureller Gewalt kann also immer dann gesprochen werden, wenn Gesellschaftsordnungen

derart organisiert sind, dass in ihnen ungleiche Lebenschancen und krasse Unterschiede in

Machtpositionen und die damit verbundenen Einflusschancen zum gesellschaftlichen Existenzprinzip

werden.“75

Wichtig ist es in diesem Zusammenhang zu betonen, dass die Existenz von struktureller

Gewalt für Galtung unabhängig von absichtlich handelnden Subjekten vorstellbar ist. Der

Gewaltbegriff ist nicht mehr an die Intention eines Handelnden geknüpft. Strukturelle Gewalt

zeichnet sich daher durch „Akteurslosigkeit“ aus, d.h. es „tritt niemand in Erscheinung, der

einem anderen direkt Schaden“76

zufügt. Im Gegensatz zur klassischen institutionellen Gewalt

existiert auch kein konkreter Träger der Gewalt in Form einer konkreten Organisation

(Polizei, Militär). Die Gewalt ist vielmehr in gesellschaftliche, politische oder ökonomische

Strukturen eingebaut. „Structural violence is violence built into the basic social structure itself

[…].”77

Weder die Existenz einer Struktur noch deren Auswirkungen sind für die Mitglieder

einer Gesellschaft offenkundig. Ebenso reproduziert sich eine Struktur aufgrund ihrer

„internal logic“ nahezu von selbst.

„[S]tructural in the sense [means] that no specific actors are indicated, and in the sense that for the

concrete actors that happen to be performing roles in that structure no specific motivation is necessary.

The basic assumption is that the structure […] is extremely strong and has its own internal logic so that

once it has started operating it is not necessary for those who are acting within it to will all the

consequences.”78

Ein so erweitertes Gewaltverständnis hat Konsequenzen für die Definition des

Friedensbegriffs.

„Durch die grundlegende Unterscheidung zwischen personaler und struktureller Gewalt bekommt

Gewalt einen Doppelaspekt, und genauso ist es mit dem Frieden, der als Abwesenheit von Gewalt

begriffen wird. Ein erweiterter Begriff von Gewalt führt zu einem erweiterten Begriff von Frieden:

Frieden definiert als Abwesenheit von personaler Gewalt und Abwesenheit von struktureller Gewalt.

Wir bezeichnen diese beiden Formen als negativen Frieden bzw. positiven Frieden.“79

Indem Galtung positive und negative Aspekte des Friedens ausfindig macht kommt er zu dem

Schluss,

„dass Frieden nicht nur absentia belli, sondern auch Abwesenheit von Ausbeutung – ökonomischer,

politischer, militärischer, kultureller – eines jeden einzelnen durch den anderen ist [...]. Frieden ist mehr

als Überleben: er beinhaltet die autonome und gerechte Entfaltung aller Teile eines Ganzen nach deren

Neigung, bis hinunter zur autonomen Entfaltung des Individuums, welches stets die Grundeinheit und

der alleinige Adressat politischen Strebens ist.“80

Nun gibt sich Galtung nicht damit zufrieden, den Reproduktionscharakter struktureller

Gewaltverhältnisse einer unbekannten „internal logic“ zuzuschreiben, sondern versucht

75 Ferdowski (1981), S. 114. 76 Galtung (1975b), S. 12. 77 Galtung (1975e), S. 24. 78 Galtung (1980), S. 183. 79 Galtung (1975b), S. 32. 80 Galtung (1973b), S. 9.

15

gerade diese Logik aufzuschlüsseln.81 Durch die anschließende Integration des Faktors Kultur

in sein Gewaltkonzept glaubt Galtung eine geeignete theoretische Basis gefunden zu haben.82

Mit dem Begriff der kulturellen Gewalt vervollständigt Galtung – nach der Etablierung der

strukturellen Gewalt – sein Gewaltkonzept83

und denkt direkte, strukturelle und kulturelle

Gewalt konsequent als Einheit, deren einzelne Aspekte sich wechselseitig bedingen. Galtung

entwirft das Bild eines „Dreiecks der Gewalt“, wobei sein besonderes Interesse dem

Verhältnis zwischen struktureller und kultureller Gewalt gilt. Hierbei betont Galtung das

komplementäre Verhältnis zwischen Struktur und Kultur:

„There will be a coordination between the structural and the cultural phases. If one stands still and the

other changes there will be a rupture. The structure demands a legitimizing culture, the culture a

structural enactment of itself.”84

„So überschreitet schon der Ansatz ‚strukturelle Gewalt‘ Strukturelles und nimmt Gewalt als

in Kultur eingebettet wahr.“85

Die Einführung der kulturellen Gewalt hat den Friedensbegriff

nochmals erweitert. Frieden umfasst nun die Abwesenheit von personaler, struktureller und

kultureller Gewalt: „Friede = direkter Friede + struktureller Friede + kultureller Friede.“86

Durch ihre legitimierende Funktion erhält der Begriff der kulturellen Gewalt allerdings eine

herausragende Stellung (These vom „Primat der Kultur“87

) innerhalb der Gewalt- und

Friedenstypologie.

„Es war immer die Idee, den Struktur-Kultur-Hiatus ein wenig zu überbrücken. Inzwischen bewerte ich

81 Vgl. hierzu Majer: „Die Notwendigkeit für diesen Begriff [der kulturelle Gewalt] ergab sich durch die

Unmöglichkeit bestehender Typologien die Frage zu klären, wie es zur Ausbildung verschiedener Strukturen

(struktureller Gewaltformen) kommen konnte und wie es zur Konservierung dieser Strukturen kommt.“ Majer

(2003), S. 60. 82 „Das Konzept der ‚kulturellen Gewalt‘ tritt in die Fußstapfen des Konzepts der ‚strukturellen Gewalt‘.“ Galtung (1998a), S. 340. 83 Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle Hans Saner bleiben. Schon im Jahre 1982 entwickelte er Galtungs

Konzept von personaler und struktureller Gewalt weiter und präsentierte in seinem Aufsatz „Personale,

strukturelle und symbolische Gewalt“ seine Idee von „symbolischer Gewalt“. Den Begriff der „symbolischen

Gewalt“ übernimmt Saner hierbei von Bourdieu und bringt ihn in einen analogischen Zusammenhang

„strukturellen Gewalt“. „So wie Interaktions-Systeme als geltende Ordnungen zum Subjekt von Gewalt werden

können, so können Zeichen und Zeichensysteme durch ihre das Denken, das Fühlen und Handeln prägende Kraft

die Subjekte von Gewalt sein.“ Saner (1982), S. 77. Auch für Saner ist das Zusammenwirken der drei analytisch

differenzierten Gewaltdimensionen entscheidend. Er hebt hervor, dass strukturelle Gewalt durch die symbolische

„hinterbaut“ ist: „[D]urch religiöse, wissenschaftliche, philosophische und ideologische Symbolsysteme, die sie

nicht nur rechtfertigen, sondern die zugleich, durch eigene Gewaltformen, zu Gewalt konditionieren.“ Saner 1982, S. 84. Er illustriert diese Überlegungen anhand von Beispielen der ästhetischen, wissenschaftlichen,

ideologischen und religiösen Gewalt. Saners Überlegungen liegen auch dem Aufsatz Johan Galtungs zugrunde,

der statt von symbolischer von kultureller Gewalt spricht. Galtungs Ansatz prägte allerdings den

friedenswissenschaftlichen Diskurs ungleich größer als Saners. 84 Galtung (2008), S. 159. Ebenso betont Schrader, dass „[b]eide Begriffe – strukturelle und kulturelle Gewalt –

[…] selbst analytisch-konzeptuell kaum voneinander zu trennen“ sind. Schrader (2009), S. 109. 85 Galtung (1997), S. 476. 86 Galtung (1998a), S. 458. 87 An anderer Stelle heißt es: „Mit anderen Worten wird hier die allgemeine These vom Primat der Kultur oder

der Zivilisation vertreten und nicht die marxistische These vom Primat der Ökonomie, die ‚realistische‘ These

des militärischen Primats oder die liberale These vom These vom Primat politischer Institutionen (wie sie z.B. in

der Dichotomie von Demokratie und Diktatur konzeptualisiert ist.“ Galtung (2005), S. 198.

16

die Kultur als fundamentaler. Die Kultur drückt sich in der Struktur aus. Ich glaube, bei mir hat jetzt die

Kulturthese das Primat. Das ist jetzt ja auch große Mode, aber ich sehe das nicht zu dogmatisch. Also

wir sind geprägt durch die Kultur und uns werden die Kulturen durch die Strukturen vermittelt, zum

Beispiel die Familie [...]. Dann kriegen wir diese abstrakten Formen, die sind quasi in uns eingebaut.

Wir merken das immer, wenn wir versuchen, neue Strukturen zu bilden. Es ist eigentlich ein [...]. Hin-

und-Zurück zwischen Kultur und Struktur – die Struktur als materialisierte Kultur und die Kultur als

symbolisierte Struktur.“88

Grundsätzlich subsumiert Galtung kulturelle Gewalt als jene Komponenten einer Kultur, die

zur Rechtfertigung oder Legitimierung direkter oder struktureller Gewalt beiträgt.

Kulturelle Gewalt ist ein Faktor, der andere Formen der Gewaltausübung begleitet,

rechtfertigt, legitimiert und damit ermöglicht. Sie ist „a substratum from which the other two

can derive their nutrients”89

.

„Unter kultureller Gewalt verstehen wir jene Aspekte der Kultur, der symbolischen Sphäre unserer

Welt, – man denke an Religion und Ideologie, an Sprache und Kunst, an empirische und formale

Wissenschaften (Logik, Mathematik) – die dazu benutzt werden können, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren.“90

Das Konzept der kulturellen Gewalt untersucht demnach diejenigen Mechanismen, welche

direkte oder strukturelle Gewalt als rechtmäßig oder zumindest nicht als Unrecht erscheinen

lassen. Durch kulturelle Gewalt werden Gewaltphänomene für eine Gesellschaft erst

akzeptabel gemacht oder vor allem im Falle von strukturelle Gewalt gar nicht erst von der

Allgemeinheit als solche wahrgenommenen.

„Thus, the notion of cultural violence already goes beyond the structural and sees violence as embedded

in culture, but with a legitimizing rather than physical function, working on the mind rather than on the

body, doing violence to the mind in the sense of preparing that mind to do violence unto others.”91

Kulturelle Gewalt funktioniert Galtung zufolge zum einen dadurch, dass sie die „moralische

Färbung“ einer problematischen Handlung auf richtig/ akzeptabel „schaltet“.

„Kulturelle Gewalt funktioniert und wirkt in dem Maße, wie es ihr gelingt, die moralische Färbung

einer Handlung von falsch auf richtig bzw. akzeptabel oder bedenkenlos umzuschalten und die gesellschaftliche Wahrnehmung von Handlungen oder Tatsachen als Gewalt zu verschleiern.“92

Ein Beispiel hierfür wäre, Töten im Namen eines Landes als gerechtfertigt zu empfinden, im

eigenen Namen allerdings als illegitim anzusehen. 93

„Die Kultur predigt, lehrt, ermahnt,

stachelt auf und stumpft ab, bis hin zu dem Punkt, an dem wir Ausbeutung und/ oder

Repression als etwas Normales und Natürliches betrachten oder sie sogar überhaupt nicht

mehr wahrnehmen (insbesondere nicht die Ausbeutung).“94

Ins kollektive Bewusstsein

gelangt kulturelle Gewalt in erster Linie über die Vehikel Religion, Ideologie, Sprache,

88 Graf/ Macho (2010), S. 38. 89 Galtung (1990), S. 294. 90 Galtung (1998a), S. 341. 91 Galtung (2008), S. 109. 92 Imbusch (2002), S. 40. 93 Galtung (1993), S. 53. 94 Galtung (1998a), S. 349.

17

Philosophie sowie Kunst und Wissenschaft. Über diese Medien wird kulturelle Gewalt

langfristig reproduziert und auf diesem Wege gesellschaftlich verankert. Nationalismus ist

nach Galtung beispielsweise das Paradebeispiel für eine Ideologie: „Es wird dann ein steiles

Gefälle aufgebaut, wobei der Selbst aufgeblasen, ja sogar verherrlicht und der Wert des

Anderen vermindert oder sogar völlig herabgesetzt wird. Dies ist der Ausgangspunkt für

kulturelle Gewalt.“95

Ins kulturelle Gedächtnis wird Nationalismus hierbei über die

identitätsstiftende Kraft von Symbolen transportiert. „Sternenbanner, Kreuze und Sicheln,

Flaggen, Hymnen und Militärparaden, das allgegenwärtige Porträt des Führers, Hetzreden und

Plakate – all dies fällt einem dazu ein.“96

Galtung unterstreicht die These vom „Primat der Kultur“ durch Hinweise auf grundlegende

Differenzen in der zeitlichen Dimension von direkter, struktureller und kultureller Gewalt.

Galtung spricht von einer „grundlegende[n] Differenz in der Zeitrelation der drei

Gewaltkonzepte“97

, die er folgendermaßen erläutert:

„Direkte Gewalt ist ein Ereignis, strukturelle Gewalt ist ein Prozess mit Höhen und Tiefen, kulturelle

Gewalt ist eine Invariante, eine ‚Permanenz‘, die aufgrund der nur langsamen Transformationen

grundlegender Aspekte der Kultur über lange Zeiträume hinweg im Wesentlichen unverändert bleibt.“98

Galtung vergleicht Gewalt in diesem Kontext mit Erdbeben, wobei er „zwischen dem

Erdbeben als Ereignis, der Bewegung der tektonischen Platten als einem Prozess und der

Bruchlinie als einem eher permanenten Zustand“99

unterscheidet.

Galtungs besonderes Interesse gilt nun wieder dem Permanenzcharakter der kulturellen

Gewalt. Warum stellt kulturelle Gewalt eine konstante Bedingung dar? Gibt es eine „internal

logic“?

Um diese Frage zu beantworten, erweitert Galtung sein Blick auf das Kulturelle, indem er

nach den Wurzeln der Kultur sucht. In diesem Zusammenhang kommt Galtungs älterer

Begriff der Kosmologie bzw. der Tiefenkultur100

ins Spiel, welchen er in die Theorie der

kulturellen Gewalt zu integrieren versucht. Mit der Berücksichtigung kulturspezifischer

Kosmologien zielt Galtung darauf ab, tiefer liegende Aspekte gewaltgenerierender

Legitimationsmechanismen freizulegen. Ganz allgemein versteht Galtung unter der

Kosmologie einer Kultur

„die kollektiven unterbewussten Vorstellungen davon, was die normale und natürliche Wirklichkeit

ausmacht. Da sie gemeinsam und selbstverständlich sind, sind sie nicht notwendig bewusst. Andere

95 Galtung (1998a), S. 355. 96 Galtung (1998a), S. 341. 97 Galtung (1998a), S. 348. 98 Galtung (1998a), S. 348. 99 Galtung (1998a), S. 349. 100 Der Begriff Kosmologie wurde nach meinen Recherchen erstmals in einem auf französisch erschienen Artikel

aus dem Jahre 1976 verwendet.

18

Begriffe wären „Tiefenideologie“, „Tiefenkultur, Weltanschauung […], Kosmovision und

entsprechende Äquivalente in anderen Sprachen.“101

Entscheidend ist hier, dass Tiefenkulturen keine ausbuchstabierten Legitimationsfiguren im

Sinne ideologischer Gebäude zur Verfügung stellen, sondern eine unbewusste

Fundierungsfunktion einnehmen und somit einen konstanten Reproduktionsprozess

garantierten. „Hiermit ergibt sich ein Zirkel einer sich selbst reproduzierenden kulturellen

Gewalt.“102

Die Kosmologie einer Kultur erforschen bedeute also, eine Kultur auf eine

„Tiefenkultur“ hin zu untersuchen, die letztlich entscheidend sei für deren (potentiell)

kriegerische oder friedfertige Rolle.

2.3 Der doppelte Kulturbegriff

Bevor es gilt das Potenzial und die Defizite der Theorie der kulturellen Gewalt auszuloten, ist

es an dieser Stelle angebracht, sich näher mit Galtungs Kulturverständnis zu beschäftigen. Die

intensive Untersuchung Galtungs kulturtheoretischer Überlegungen schafft die Grundlage für

weitere Argumentationen.

Im Grunde genommen basiert Galtungs Kulturtheorie auf einem doppelten Kulturbegriff.

Zum einen definiert Galtung Kultur als Ergebnis subjektiv-interpretativer Leistungen, zum

anderen als Konfiguration von übersubjektiven symbolischen Strukturen.103

Um diese

zweifache kulturtheoretische Ausrichtung zu verdeutlichen, differenziert Galtung zwischen

Oberflächen- und Tiefenkultur.

„Wir malen hier mit einem wirklich breiten Pinsel, charakterisieren Makro-Kulturen auf der

umfassendsten Ebene, der der Tiefen-Kultur. Es gibt jedoch auch die Ebene der Oberflächen-Kultur,

und die kulturelle Gewalt findet sich auch auf dieser Ebene. Beides zusammen sollte uns eine breite

Grundlage liefern, um jene Implikationen aufzuzeigen, nach denen wir in Begriffen von Krieg und

Frieden, Konflikt und Entwicklung suchen.“104

Den kulturellen Bereichen werden unterschiedliche Qualitäten zugeschrieben und sie werden

von Galtung unterschiedlich theoretisiert. Um diese theoretischen Stränge aus Galtungs

kulturtheoretischen Überlegungen herauszuarbeiten, erscheint es mir sinnvoll die folgende

Untersuchung auf eine von Reckwitz geprägte begriffliche Differenzierung aufzubauen.

Dieser unterscheidet zwischen „textualistischen“ und „mentalistischen“ Kulturtheorien. Der

Hauptunterschied zwischen diesen beiden theoretischen Grundpositionen besteht laut

101 Galtung (1998a), S. 367f. 102 Majer (2003), S. 76. 103 Hierzu Reckwitz: „Die strukturalistisch-semiotische und die ‚interpretative‘ phänomenologisch-

hermeneutische Theorietradition bilden die beiden einflussreichsten Stränge kulturalistischer Theoriebildung im

20. Jahrhundert.“ Reckwitz (2004), S. 21. 104 Galtung (2005), S. 136.

19

Reckwitz darin, dass „textualistische“ Ansätze symbolische Ordnungen als Ergebnis

diskursiver Praktiken begreifen und „mentalistische“ Ansätze kollektive geistig-kognitive

Strukturen eines Kollektivs thematisieren. „Im Gegensatz zu mentalistischen Ansätzen

verorten textualistische Ansätze Wissensordnungen nicht im Innern des menschlichen

Geistes, sondern im ‚Außen’: in Symbolen, Diskursen, Kommunikation, oder in ‚Text’.“105

Hieraus ergibt sich eine differenzierte Verortung des Kulturellen.

Zur ersteren Theorieperspektive zählen all jene Ansätze, welche Kultur und soziales Handeln

im Anschluss an Clifford Geertz106

als textanalog („culture as text“107

) begreifen. Geertz‘

Fokus liegt auf der Analyse von Symbolen „in sozialen Prozessen als Verkörperungen der

Weltsicht“, und das zentrale Erkenntnisinteresse liegt in der Frage, „wie Symbole das

Wahrnehmen, Fühlen und Denken formen und dem sozialen Leben Bedeutung verleihen“108

.

Hierbei versteht Geertz unter Kultur ein Netzwerk aus „sozial festgelegten

Bedeutungsstrukturen“109

, welches Menschen einerseits produzieren und in das sie

andererseits verwickelt sind. Dabei werden Geertz‘ kulturtheoretische Überlegungen von der

Grundüberzeugung geleitet, dass die Bedeutungen kultureller Symbole prinzipiell zugänglich

und reflektierbar sind. Kultur ist keine vom gesellschaftlichen Leben abgehobene Sphäre:

„Culture is public, because meaning is.“110

Das Ensemble kultureller Symbolformationen

geben Orientierungshilfen, auf die Menschen in Ihrem täglichen Handeln zurückgreifen. Die

symbolische Konstruktion der Wirklichkeit ist auf kontinuierliche Aktualisierung in

Symbolsystemen und Diskursformationen angewiesen. Da das Kulturelle auf Artikulation und

Kommunikation angewiesen ist kann „Kultur […] wie ein Text gelesen werden.“111

Einen

wichtigen methodischen Stellenwert nehmen deshalb die Diskursanalyse und die interpretativ-

hermeneutische Erschließung des Symbolmaterials ein.

Die Betonung des öffentlichen Charakters des Kulturellen geht dabei einher mit einer

Ablehnung kollektiv-mentaler Wissensordnungen, welche unabhängig von sozialen

Attributionen existent wären. Für Geertz existieren keine kulturellen Phänomene, die jenseits

symbolischer Formen das menschliche Verhalten bestimmen. Es gibt keine tieferliegenden

105 Büger/ Gadinger (2008), S. 278. 106 Geertz‘ Grundintention ist die Befreiung der Kulturwissenschaft von szientistischer Forschungsperspektiven.

Für ihn steht methodisch nicht das objektive Beschreiben, sondern das Verstehen im Mittelpunkt.

Kulturwissenschaft ist „[...] not an experimental science in search of law, but an interpretative one in search of

meaning.” Geertz (1973), S. 5. Geertz gilt deshalb als Begründer der interpretativen Kulturphilosophie. Vgl.

Leifeld (2002), S. 85. 107 „The culture of a people is an ensemble of texts [...].” Geertz (1973), S. 452. 108 Kohl (1995), S. 165. 109 Geertz (1983), S. 19. 110 Geertz (1973), S. 12. 111 Leifeld (2002), S. 88.

20

extra-symbolischen Ebenen des Kulturellen.

Insgesamt verzichtet die „textualistische“ Kulturtheorie

„in ihrer Rekonstruktion von Verhaltensregelmäßigkeiten ausdrücklich auf einen Rekurs auf mentale

Kollektivphänomene und rechnet statt dessen übersubjektive Wissensordnungen den diskursiven

Praktiken (Foucault) bzw. den öffentlichen Symbolen und sozialen Praktiken allgemein (Geertz) selbst zu.“112

Dem „textualistischen“ Kulturverständnis folgt Galtung, wenn er von Oberflächenkultur oder

„surface culture“113

spricht. Kultur ist für Galtung hier „der symbolische Aspekt menschlicher

Existenz. Kultur ist Repräsentation durch Symbole, üblicherweise optische oder akustische,

die diachron oder synchron organisiert sind.“114

Was unter der Repräsentation durch Symbole

zu verstehen ist, erklärt Galtung an anderer Stelle: „All artifacts in a museum belong to the

surface culture. So do all texts. Hidden texts (sub-, super-, contexts) are also artifacts, only

hidden. Monuments are artifacts.“115

Dittrich und Hölscher betonen, dass für Galtung

„Kultur über Repräsentationen durch Symbole beobachtbar wird. Das heißt, der Kulturbegriff bezieht

sich hier auf die mit sozialen Bedeutungen und Bewertungen belegte Zeichen- und Symbolebene in der

alltäglichen Interaktion, worunter vor allem die Sprache, aber auch nonverbales Verhalten und

symbolisches Handeln fallen“116.

Innerhalb der Oberflächenkultur sind die kulturellen Eigenschaften stärkeren Veränderungen

unterworfen. Sie ist der menschlichen Kreativität zugänglicher und es existiert prinzipiell die

Möglichkeit, zur Transformation und Neuschöpfung. Auf der Ebene der Oberflächenkultur

sind die Kulturelemente stärker gesellschaftlichen Konflikten ausgesetzt. Hier kämpfen

verschiedene (wissenschaftliche) Sinnsysteme um Vorherrschaft. In deutungskulturellen

Diskursen geht es in diesem Sinne um die Vorherrschaft bestimmter genuiner Wert- und

Ordnungsvorstellungen. Sie ist formungsfähiger und wird intensiver von konkreten

Erfahrungen beeinflusst, als dies für die kosmologische Kulturprägungen festzustellen ist.

Im Rahmen Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt spielt die Oberflächenkultur bzw. der

„textualistische“ Ansatz allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Er hebt zwar hervor, dass

„[t]he social sciences have been greatly aided by textual analysis as developed in the literary

sciences, teaching how to bring in unspoken sub-texts, super-texts and contexts in the effort to

understand any text.”117

Die Bedeutung einer Analyse der in der Kosmologie kollektiv

geteilten und im individuellen Unterbewusstsein präsenten Vorstellungen erschließt sich

112 Reckwitz (2000), S. 173. 113 Galtung (2008), S. 12. 114 Galtung (1998b), S. 187. An anderer Stelle heißt es: „Eine Kultur lässt sich begreifen als der symbolische

Aspekt der conditio humana. Sie sagt uns, um einige Schlüsseldimensionen zu erwähnen, was wahr und falsch,

gut und schlecht, recht und unrecht, schön und hässlich, heilig und profan ist.“ Galtung (2005), S. 130. 115 Galtung (2002b), S. 14. 116 Dittrich/ Hölscher (2001), S. 16. 117 Galtung (2002b), S. 12. An anderer Stelle heißt es: „The purified text is knowledge, surrounded by subtexts

and supertexts, deep texts and contexts.” Galtung (2008), S. 28.

21

daraus, dass sie „das Handeln von Mitgliedern und ‚Eliten‘ einer Zivilisation (als einer

Makro-Kultur) oder Nation nicht zuletzt in den Fragen von Friede, Konflikt und Entwicklung

[…] konditionieren“118

. Aus diesem Grund hat Galtung „viel über Makrogeschichte

gearbeitet. […] Die Einzelgeschichten sind Elemente einer breiteren Weltauffassung.“119

Um

die Bedingungen der Permanenz kultureller Gewalt sichtbar zu machen gilt es deshalb die

„Wurzeln der Wurzeln [zu] betrachten: den kulturellen genetischen Code, der kulturelle

Elemente hervorbringt und sich selbst durch sie reproduziert“120

. Eine oberflächliche

Untersuchung der Diskurse oder Symbole ist zwar wichtig, jedoch bei Weitem nicht

ausreichend. Man greife zu kurz

„ließe man das Konzept kultureller Gewalt sich erschöpfen in der Freilegung der […] bezeichneten

Legitimierungsfunktion personaler und sozialer Gewalt. In einer von ihm selbst als spekulativ, wiewohl

als grundsätzlich überprüfbar gekennzeichneten Wendung verlangt Galtung, auf das Substrat der den

manifesten Kulturerscheinungen zugrunde liegenden fundamentalen Unterstellungen und

Überzeugungen einer Zivilisation bzw. Gesellschaft zu reflektieren“121

.

An anderer Stelle macht er aber unmissverständlich klar, was sein eigentliches Grundinteresse

ist.

„We are more interested in the subconscious aspects, deep texts, driving the actors without their

conscious awareness – because the ideas have become unreflected habits, repressed or so trivial, natural/

normal that the deeper texts are not worth articulating. Too obvious.“122

Der Umstand, dass „[…] collective subconscious, harbors ideas […] so obvious and trivial

that they are not even articulated”123

, kulturelle Inhalte also in keinster Weise artikuliert

werden müssen, um gesellschaftlich wirksam zu sein, verweist auf die besondere Qualität der

nun von Galtung eingeführten Kategorie der Tiefenkultur gegenüber der an sprachlich-

diskursive oder symbolische Kommunikationsvehikel gebundene Oberflächenkultur. Um die

gewaltgenerierenden Potenziale einer Kultur freizulegen, schlägt Galtung deshalb einen

alternativen kulturtheoretischen Ansatz vor. „Es gibt jedoch noch einen anderen Ansatz:

nämlich den, das Substrat der Kultur auf seine ‚Tiefenkulturen‘ hin zu erforschen, von denen

es mehrere geben mag.“124

Indem Galtung die Erforschung des „kulturellen genetischen Codes“ zum zentralen Element

seiner friedenstheoretischen Überlegungen erklärt, rücken mentalistisch-strukturalistische125

118 Schmidt (2005), S. 34. 119 Graf/ Macho (2010), S. 38. 120 Galtung (1998a), S. 362. 121 Schmidt (2002), S. 24. 122 Galtung (2002b), S. 13. 123 Galtung (2008), S. 95. 124 Galtung (1998a), S. 362. 125 Zur Charakterisierung dieses Stranges der Kulturtheorie werden die Begriffe„mentalistisch“ und

„strukturalistisch“ synonym verwendet.

22

kulturtheoretische Perspektiven126

in seiner Arbeit in den Vordergrund. „In den

mentalistischen Kulturtheorien stellen sich die symbolischen Ordnungen der Kultur

gewissermaßen nicht als etwas dar, ‚was der Fall ist‘, sondern als etwas, ‚was dahinter steckt‘:

hinter den sichtbaren Ereignissen des Verhaltens, in der ‚geistigen Welt‘.“127

Weitere

Eigenschaften mentalistisch-strukturalistischer Kulturtheorien bringt Reckwitz auf den Punkt:

„Im Rahmen des strukturalistisch-semiotischen Vokabulars […] werden symbolische Ordnungen als

unüberschreitbare Voraussetzungen, als Bedingungen verstanden, die vorgeben, welche Ereignisse,

welche Formen des Subjekts, welche Handlungs- und Diskurspraktiken möglich sind: sie erscheinen als

Sinnmuster, die den Möglichkeitsspielraum aktualer Sinnzuschreibungen in einzelnen Situationen durch

die einzelnen Subjekte bestimmen. Als Strukturen können die symbolischen Ordnungen eine historisch-

spezifisch distinkte Form besitzen, aber im Zeitraum ihrer historischen Wirksamkeit stellen sie

bestimmte Unterscheidungsmuster ‚auf Dauer‘ – ein Konzept, das […] der Konzeption von

Mentalitäten in der ‚long durée‘ im Rahmen der Annales-Historiographie zugrundeliegt. Leitend für

[…] ist die Position, dass die klassisch-modernen Konzeptualisierungen des ‚Subjekts‘ dessen

Wirkungsmöglichkeiten – in Form eines autonomen Akteurs, eines Stifters von Bedeutungen etc. –

regelmäßig überschätzt haben. Dem stellt das strukturalistische Kulturkonzept eine ‚Minimierung des Subjekts‘ entgegen, welches nun im Wesentlichen als Produkt oder Exekutor kultureller Strukturen

erscheint. […] [D]urch symbolische[..] Codes wird eingeschränkt, was überhaupt denkbar, sagbar,

wünschbar ist. Gleichzeitig entfaltet die Macht der symbolischen Codes eine produktive Qualität: sie

limitiert nicht nur, sondern bringt auch bestimmte Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen

hervor.“128

Bei mentalistisch-strukturalistischen Kulturtheorien ist kultureller Wandel die Ausnahme und

die Reproduktion bestehender kultureller Gehalte die Regel. Sie haben

„eine Neigung zu dem, was man mit Margaret Archer als einen ‚Mythos kultureller Integration‘

umschreiben kann. […] [Sie] sind regelmäßig so aufgebaut, dass kulturelle Reproduktion, das heißt die

Wiederholung der gleichen Handlungsmuster und die Tradierung der gleichen Wissensordnungen, als

problemlos nachvollziehbarer Normalfall, kulturelle Dynamik und Wandel dann jedoch als ein nur

schwer begreifbarer Ausnahmefall erscheinen“129.

Aufgrund der Konzentration auf invariante Muster haben „mentalistische“ Ansätze die

generelle Tendenz ihr Interesse auf kulturelle Universalien statt auf kulturelle Differenzen zu

richten. „Mentalistische“ Kulturtheorien beinhalten außerdem eine kulturtheoretische

Methodik, welche sich vom hermeneutischen und diskursanalytischen Zugang

„texualistischer“ Ansätze grundsätzlich unterscheidet. Der Forscher versucht nicht einzelne

symbolische Ordnungen zu verstehen, sondern er zielt in der Rolle eines unbeteiligten

Beobachters darauf ab, objektive Denkstrukturen von Gesellschaften aufzudecken.

„Grundlegend für die strukturalistische Kulturtheorie ist die strikte Gegenüberstellung zwischen der

‚objektiven/ strukturalen Perspektive‘ und der ‚subjektiven Perspektive‘ sowie die eindeutige, gegen Phänomenologie und Hermeneutik gerichtete Festlegung, dass allein die objektive Perspektive, das

heißt die strukturale Analyse symbolischer Ordnungen, die das Verstehen der Teilnehmer transzendiert,

die Sinngrundlagen des Handelns und seiner Produkte zu erfassen vermag.“130

126 Als (Mit-)Begründer und Hauptvertreter dieser kulturtheoretischen Denkrichtung gilt der Franzose Claude

Levi-Strauss. 127 Reckwitz (2005), S. 97. 128 Reckwitz (2004), S. 15. 129 Reckwitz (2006), S. 617. 130 Reckwitz (2006), S. 234.

23

Durch die Analyse kultureller Phänomene als kognitiven Strukturen menschlichen Denkens

sollen universale Denkprinzipien erschlossen werden. Die strukturelle Prägung des

menschlichen Geistes, welche nach Levi-Strauss auch als „Inventarium geister Zwänge“131

umschrieben wird, ist den Individuen selbst nicht offensichtlich. Die immanente Logik der

„geistigen Zwänge“ ist den Teilnehmern in der Regel nicht zugänglich. Einblicke in die

verborgene Sphäre des kognitiv Unbewussten, in die „unbewussten Bedingungen des sozialen

Lebens“132

gewährt erst die „strukturale Analyse“ eines professionellen

kulturwissenschaftlichen Beobachters.133

„Diese immanente Verstehbarkeit der Codes ist radikal distinkt von den subjektiven

Verstehensleistungen der Teilnehmer zu denken und existiert allein für den kulturwissenschaftlichen

Beobachter, der in seiner logisch-gedankenexperimentellen Analyse durch Zergliederung und

Neuarrangements des ‚Materials‘ (etwa der Texte von Mythen) ein taxonomisches Tableau von binären

Codes erarbeitet. Wenn es sich bei diesen taxonomischen Codes um ‚symbolische Ordnungen‘, um

Sinnsysteme handelt, dann erhalten die Begriffe des Symbolischen und des Sinns in diesem

Zusammenhang eine spezifische Bedeutung: Die symbolischen Codes besitzen keinen Sinn für die

Teilnehmer, sie transformieren die Welt nicht in deren ‚subjektiver Perspektive‘ in ein ‚symbolisches Universum‘; der ‚Sinn‘ besteht vielmehr in der immanenten Logik und Verständlichkeit der

symbolischen Codes als Differenzensysteme.“134

Im Folgenden möchte ich anhand einiger wichtiger Textstellen nachweisen, dass sich viele

Charakteristika mentalistisch-strukturalistischer Kulturtheorien bei Galtung wiederfinden

lassen. Zwar versucht sich Galtung an einer Stelle von der strukturalistischen

Grundvorstellung des „Mentalen“ oder des „Geistes“ zu distanzieren.135

Seine theoretischen

Ausführungen sprechen aber eine andere Sprache.136

Grundsätzlich ist Galtungs Theorie der Tiefenkultur vom psychoanalytischen Denken

Sigmund Freuds und von sozialpsychologischen Ansätzen Carl Gustav Jungs inspiriert.

Galtungs Herangehensweise versucht, „die Jungsche Akzentuierung der Archetypen – den

Zivilisationscode für privaten und öffentlichen Raum – mit der Freudschen Betonung der

frühen Einpflanzung des Über-Ich zu kombinieren […].“137

Was Galtung besonders

interessiert ist die Idee des individuellen (Freud) bzw. des kollektiven Unterbewusstseins

(Jung), welche er in sein kulturtheoretisches Konzept einbaut. Entsprechend definiert Galtung

den Begriff der Tiefenkultur als „die kollektiven unterbewussten Vorstellungen davon, was

131 Lévi-Strauss (1980), S. 216. Zitiert nach Reckwitz (2006), S. 221. 132 Lévi-Strauss (1951), S. 74. Zitiert nach Reckwitz (2006), S. 221. 133 Vgl. Rechwitz (2006), S. 221. 134 Reckwitz (2006), S. 223. 135 „There is nothing mysterious in the ‚collective’; it refers to deep attitudes shared by many members of a

group. They share impressions, imprints, not any collective ‚soul’.” Galtung (2002b), S. 15. 136 Galtung verweist auf seine Einflüsse: „Much better would have been systematic efforts, in the tradition of

deep social science investigations, of the deeper-lying assumptions behind peoples’ attitudes and behavior.”

Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 16. In Fußnote 28 erklärt er, dass für eine systematische Analyse von der

„French idea of mentalités collectives as a field of historical study” geleitet werden sollte. Galtung/ Heiestad/

Rudeng (1979), S. 50. 137 Galtung (1997), S. 130.

24

die normale und natürliche Wirklichkeit ausmacht. Da sie gemeinsam und selbstverständlich

sind, sind sie nicht notwendig bewusst.“138

Dieses „kollektive Programm“, bestehend aus

„kollektiv geteilten und im Unterbewusstsein bereitgehaltenen Unterstellungen”139

beinhaltet

„a web of notions about what is true, good, right, beautiful, sacred“140

. Der Begriff der

Tiefenkultur beschreibt demnach die tieferliegenden Komponenten der Kultur einer

Gesellschaft, die auf der sozialen Ebene institutionalisiert und von den einzelnen Individuen

internalisiert werden. Die Verankerung kultureller Elemente im individuellen und kollektiven

Unterbewusstsein bezeichnet Galtung dabei als (sozial-)anthropologische Grundkonstante:

„Der Ausgangspunkt besteht [...] in der Armut an Instinkten im menschlichen Organismus, bei

fortwährendem Bedürfnis zu handeln und angesichts der Unmöglichkeit, bei jedem Handeln zu

entscheiden, als wäre es das erste Mal. Es muss so etwas wie eine Programmierung geben, einen

Automatismus, der das individuelle Bewusstsein umgeht [...].“141

Im Zuge des Sozialisationsprozesses internalisieren die Gesellschaftsmitglieder die

tiefenkulturellen Grundkomponenten und übernehmen auf diesem Wege die der Tiefenkultur

zugrunde liegenden Regeln und Strukturen.

„Wir wurden geboren als eine tabula rasa, aber mit der Fähigkeit ausgestattet, Strukturen der

Metaphoren in uns aufzunehmen. […] Wir bewegen uns in einem Kontext, einer Umgebung, die

gleichsam durchtränkt ist von symbolischen und materialisierten Strukturen. Oder sagen wir von

Mustern. Das beginnt schon im ersten Moment nach der Geburt.“142

Unter Rückgriff auf psychologische Thesen argumentiert Galtung nun, dass sich die

psychische und die sozial-kollektive Ebene gegenseitig beeinflussen. Die Beschaffenheit einer

Tiefenkultur übt einen wesentlichen Einfluss auf die Formung des menschlichen Geistes aus

und umgekehrt.

„Gesellschaften werden im Wirkungsbereich dieser Codes eingerichtet, ebenso die Welt, die sich aus

diesen Gesellschaften zusammensetzt, und desgleichen unser Verhältnis zur Natur und zum

Transpersonalen, ganz zu schweigen von unserer kognitiven Wahrnehmung, die in unsere Gedanken,

unsere Sprache und in unser Handeln projiziert wird, das in Relation zu all diesen Instanzen steht.

Warum sollten die Codes nicht auch die Organisation des Selbst beeinflussen? […] Der Code ist im

kollektiven Unbewussten verankert, also ist das Selbst in Reichweite. Gerade weil diese inneren Prozesse unbewusst und automatisch ablaufen, muss das Selbst notwendigerweise ein wenig nach der

Art der Gesellschaft organisiert sein. […] Wir vertreten die These, dass die Tiefenkultur und die

Struktur der äußeren Welt im allgemeinen in der Struktur der inneren Welt gespiegelt, dass sie von dort

– dieselbe Struktur verstärkend – in die äußere Welt projiziert und schließlich an andere Menschen

einschließlich der eigenen Nachkommenschaft weitergegeben werden. Und wir meinen, dass sie

selbstverständlich auch die Komponenten des Selbst strukturieren.“143

138 Galtung (1998a), S. 367. 139 Galtung (1998a), S. 367. 140 Galtung (2000), S. 47. 141 Galtung (1998a), S. 12f. Ähnlich folgendes Zitat: „Kultur liefert dem mit schlechten Instinkten ausgestatteten

homo sapiens eine Landkarte der virtuellen Welt, die als Leitfaden für die reale Welt dient. Tiefenkultur – diese

rohen, schmucklosen Aspekte des individuellen oder kollektiven Unterbewusstseins – dient menschlichen Wesen

als Orientierung – möglicherweise in Richtung auf die griechische Ideale des Wahren, des Guten und des

Schönen, wie ein (Computer-)Programm oder ein (genetischer) Code.“ Galtung (1998b), S. 189. 142 Graf/ Macho (2010), S. 44. 143 Galtung (1997), S. 141f.

25

Die tiefenkulturellen Elemente steuern unbewusst die Handlungen der Menschen und prägen

ihre Persönlichkeit.

„Für das einzelne Individuum ist dieses Programm bekannt als ‚Persönlichkeit‘, verankert im

individuellen Unterbewussten. […] Als unterbewusste werden die Grundvorstellungen nicht diskutiert,

sondern gelebt und umgesetzt. Und da sie zugleich kollektiv geteilt werden, verstärken sie sich wechselseitig, da jede(r) die anderen dasselbe tun sieht. Handlungssteuerung erfolgt hier nicht durch die

Zugkraft, die von Ideen ausgeübt wird, sondern durch eine der Kosmologie, dem Code, dem kollektiven

Programm eigene Schubkraft.“144

Der Begriff der Tiefenkultur steht in enger Beziehung zur Konzeption der „sozialen

Kosmologie“. Die „soziale Kosmologie“ bestimmt die inhaltliche Ausgestaltung der

Tiefenkultur, sie programmiert den tiefenkulturellen genetischen Code. Der

sozialkosmologische Code bestimmt die Tiefenvorstellungen und Grundannahmen in Bezug

auf Raum, Zeit, Wissen, auf die Beziehung von Person-Natur, Person-Person, Person-Gott,

sowie in Hinblick auf das Selbst.

„By a cosmology […] we mean the collectively held subconscious ideal about what constitutes normal and natural reality. Being shared and obvious, they are may not be conscious, being so trivial, obvious.

Other terms are deep ‚culture’, ‚deep ideology’, Weltanschauung, cosmovision, and equivalents in other

language.”145

Die Kosmologie stellt dem Einzelnen als letzte Ebene der Reflexion grundlegende

Orientierungshilfen bereit. Gleichzeitig sind die tiefenkulturellen Elemente aufgrund ihrer

Verankerung im menschlichen Unterbewusstsein nicht selbst Objekt der Reflexion. „Sie

stellen sozusagen den kulturell bedingten blinden Fleck unserer Wahrnehmung dar […].“146

Galtung verdeutlicht diesen Sachverhalt unter Rückgriff auf linguistische Metaphorik. Hierbei

vergleicht er die Kosmologie mit der grammatikalischen Struktur einer Sprache. Kosmologie

ist die der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit zugrundliegende

kulturübergreifende Grammatik.

„The metaphor of social grammar may be useful here: the idea that there are some basic rules defining

elements, their relations and transformation. […] A social cosmology properly constructed would define a complete social grammar, a set of rules for how man should relate to man, man to nature, how man

should conceive of how nature relates to nature, and so on; much like the grammar for a language has a

certain job to do, including that of defining deficiencies in the language.”147

Da sich Kosmologien nicht auf einzelne Kulturen, sondern größere kulturelle Einheiten wie

Kulturkreise und Zivilisationen beziehen, weitet sich Galtungs Theorie der Tiefenkultur zu

einer umfassenden Zivilisationstheorie148

aus. „[…] [Unsere] eigene Persönlichkeit [wird] von

144 Galtung (1998a), S. 13. 145 Galtung (2008), S. 95. 146 Brousek (2008), S. 64. 147 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 13. 148 Galtung definiert den Begriff Zivilisation als „the culture shared by a large part of humanity, across countries

and nations, even across continents, and throughout vast spans of time”. Galtung (1981), S. 146.

26

den Kosmologien der jeweils eigenen Zivilisation geformt.“149

„Die Kosmologie einer Zivilisation ist auch der sozio-kulturelle Code dieser Zivilisation, der die

wesentlichen Botschaften transportiert, wie die Wirklichkeit zu konstruieren ist. Die biogenetische

Parallele zum genetischen Code ist offensichtlich und beabsichtigt. […] Für eine Zivilisation bedeutet

die Kosmologie dasselbe wie die Persönlichkeit für einen Menschen, meint jene grundlegenden,

tendenziell gegenüber den Schwankungen der Tages-, Monats-, Jahres- und Lebensrhythmen

unveränderlichen Merkmale […].“150

Für die Mitglieder einer Zivilisation stellt die betreffende Kosmologie ein kollektives

Programm dar:

„Für die Mitglieder einer bestimmten Zivilisation wird das kollektive Programm hier beschrieben als

ihre ‚Kosmologie‘, ihre kollektiv geteilten und im Unterbewusstsein bereitgehaltenen

Unterstellungen.“151

Galtungs Tiefenkultur-Ansatz unterstellt somit, dass den diskursiven und symbolischen

Ordnungen eine Dimension zugrunde liegt, welche die vom Menschen erschaffene

kontingente Kultur nach unbewussten Mustern vorstrukturiert. Zwischen der subjektiven

Ebene der Oberflächenkultur und der objektiven Ebene der Tiefenkultur besteht eine quasi-

hierarchische Ordnung152

in dem Sinne, dass Letztere die strukturellen

Möglichkeitsbedingungen für die zeitlich wie räumlich variablen symbolischen

Konstruktionen einer Zivilisation vorgibt. Der sozio-kulturelle Code gibt dem Menschen vor,

wie „die Wirklichkeit zu konstruieren ist“153

.

Oberflächenkultur wird so zur öffentlich-symbolischen Sphäre des verborgenen Unbewussten.

Sie ist „symbolized cosmology“.

„Cosmology has been defined as the code of a civilization, and a civilization has been defined as a

macro-culture, as a culture spanning vast areas of space and large intervals in time. However,

civilization is not only seen in terms of culture. Civilization also covers structure, and the factors

singled out for attention as cosmology, or code, would be those that the culture and the structure of the

civilization have in common. Structure, then, becomes materialized cosmology and culture becomes

symbolized cosmology. There are countless materializations and symbolizations of cosmology, all of

them manifestations, or implementations, or unfoldings to use a more illustrative term of the same basic

theme: the code in the cosmology. What this means is that an important stand has been taken from the

very beginning: cosmology is in the structure, and the culture, of a given civilization.”154

149 Galtung (2005), S. 149. 150 Galtung (2005), S. 136. 151 Galtung (1998a), S. 13. 152 Galtungs hierarchischer Subjekt-Objekt-Dualismus wird in folgender biologistischer Analogie

hervorgehoben: „Nutzen wird die Metapher von der Blume, soweit sie taugt. Die Entfaltung ist bereits in den

Samen vorprogrammiert, als ein genetischer Code in der Blume, als kultureller Code oder Kosmologie in der

Zivilisation. Es gibt ein Programm, das verwirklicht werden soll; weder die Blume noch die Zivilisation haben

hier eine echte Wahlfreiheit. Ist das Programm realisiert, hat sich die Blume vollendet […].“ Galtung (1998a), S.

231. 153 Galtung (2005), S. 136. 154 Galtung (1986), S. 1.

27

Das Verhältnis zwischen der Kosmologie und der Oberflächenkultur ist dabei durch

isomorphe Bedingungen gekennzeichnet, was bedeutet, dass die Art wie die Wirklichkeit

entworfen wird – strukturell gesehen – viele Ähnlichkeit aufweist.155

„Identical patterns (isomorphisms) are recognized, sedimented unto the deeper recesses of human

consciousness, then gradually serving as a cognitive filter filtering out pattern that are different as

‚unnatural‘, ‚abnormal‘, thereby sliding into a more normative concept.”156

Weil normal und natürlich dasjenige ist, was dieselbe Struktur aufweist, sind diese

Strukturanalogien für Galtung gesellschafts- und zivilisationsübergreifend identifizierbar. Sie

zeigen sich beispielsweise in der Organisation der Gesellschaft, in der inhaltlichen

Ausformulierung von Glaubenssätzen, in der Wissenschaftskultur oder in ideologischen

Denkgebäuden. Eine isomorphe Beziehung lässt sich beispielsweise zwischen Liberalismus

und Marxismus feststellen; beide nur scheinbar gegensätzliche Ideologien157

sind für Galtung

lediglich differenzierte symbolische Konkretisierungen ein und derselben kosmologischen

Determinante. Ähnliches gilt für die Ausformung des modernen Kapitalismus: „[I]n short

almost everything was prepared cosmologically for the advent of modern capitalism which

would then fit like a hand in a glove.”158

Einen wichtigen Stellenwert in der mentalistisch-strukturalistschen Theorie der Tiefenkultur

nimmt die Kosmologie-Analyse ein. Ziel ist es, zu den grundlegenden mentalen Strukturen

eines Kollektivs vorzudringen. Die Decodierung mentaler Strukturen soll dabei Erkenntnisse

zu vergangenen und zukünftigen kollektiven Verhaltensmustern liefern. „Needless to say,

social cosmology is a construct and its usefulness depends on to what extent it can permit us

to formulate insights and even concrete post- and predictions about empirical reality.”159

Um friedenstheoretische Relevanz zu besitzen, muss sich die kosmologische Untersuchung

dabei auf Makro-Kulturen, auf Zivilisationen beziehen.160

„Wir brauchen also Analysen, die

sich eher auf Zivilisationen als auf Staaten oder ökonomische oder politische Systeme als

155 Brousek (2008), S. 189. 156 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 15. 157 „[T]here several ideologies complementing each other compatible with the same deep ideology (and presenting themselves as if they were profoundly antithetical to each other) […].“ Galtung/ Heiestad/ Rudeng

(1979), S. 34. 158 Galtung (2005), S. 33. 159 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 14. 160 „Genauer gesagt gilt unser Interesse dem Umstand, wie die Tiefenkultur einer Zivilisation (=Marko-Kultur) –

die für Menschen, die in dieser Kultur aufwachsen, festlegt, was normal und natürlich ist – die Beziehungen

zwischen den inneren Akteuren formt, die z.B. von Freud und Jung so lebendig porträtiert wurden. […]

Menschen wachsen in Kulturen auf, in denen Tiefencodes wirksam sind. Gesellschaften werden im

Wirkungsbereich dieser Codes eingerichtet, ebenso die Welt, die sich aus diesen Gesellschaften zusammensetzt,

und desgleichen unser Verhältnis zur Natur und zum Transpersonalen, ganz zu schweigen von unserer

kognitiven Wahrnehmung, die in unsere Gedanken, unsere Sprache und in unser Handeln projiziert wird, das in

Relation zu all diesen Instanzen steht.“ Galtung (1997), S. 141.

28

Einheiten beziehen.“161

In diesem Zusammenhang stellt sich für Galtung die Frage nach dem

adäquaten methodischen Vorgehen.

„How, then, should one try to characterize a social cosmology/ deep ideology/ social grammar? Or,

more precisely formulated: how would one write the program of Western Civilization? What are the

basic assumptions, the basic routines? And above all, given the hypothetical nature of this construct, what kind of methodology would one make use of? As to the latter the only honest answer seem to be

the ‚methodology of as if’: Western history should be seen ‚as if’ its actors were enacting a built-in

program, choosing the program formulations that seem to render a minimum axiomatic basis for the

understanding of a maximum of structures and processes. In so doing one could of course make use of

the writings selected by those persons elected by later generations into the various halls of fame, seeing

them as exponents of the Western consciousness (or even unconsciousness). But this would be a highly

elitist methodology, giving much too much weight to specific individuals and relying much too much

on the selection process that took place afterwards. Much better would have been systematic efforts, in

the tradition of deep social science investigations, of the deeper-lying assumptions behind peoples’

attitudes and behavior. If this is a question of philosophy one would like to know that of the peoples, not

only the philosophy of selected individuals; the focus on the latter to the exclusion of the former being in itself an expression of Western social cosmology.”162

Auf Basis seiner theoretischen Vorüberlegungen entwickelt Galtung zur Entschlüsselung

kosmologischer Codes ein methodisches Instrumentarium. Hierbei trennt er in seiner

strukturalen Analyse die objektive Ebene der Tiefenkultur von der subjektiven Ebene der

Oberflächenkultur.

„Being sui generis structures and cultures can be detached from actors and studied as dialectic holisms

in their own right. The structure of capitalism can be studied without any reference to, say, USA; the

culture of dualism can also be studied without reference to, say, USA.”163

Um eine möglichst systematische Analyse unterschiedlicher Kosmologien herauszuarbeiten,

unterteilt Galtung das tiefenkulturelle Material in verschiedene Dimensionen. Er differenziert

zwischen Welt, Zeit, Natur, Selbst, Gesellschaft und Kultur, wobei bei letzterer nochmals

Transpersonal und Episteme unterschieden wird. Die jeweiligen tiefenkulturellen

Dimensionen werden dann separat untersucht. Die charakteristischen Merkmale, die die

einzelnen Kosmologien in Bezug auf die jeweiligen Räume auszeichnen, können sich dabei in

unterschiedlicher Ausprägung manifestieren. Auffallend ist hierbei die prominente Stellung

der Religion und die Überzeugung, dass sich die „Organisation des Glaubens [...] nicht allzu

sehr von der Organisation der Gesellschaft“164

unterscheiden könne. Bei der Identifizierung

grundlegender inter-zivilisatorischer Differenzen ist daher die Religion als Trägerin der

Kosmologie zentral. Eine Zivilisation ist für Galtung deshalb meist deckungsgleich mit einer

Religionsgemeinschaft. Unter der Bezeichnung „Okzident“ versteht Galtung beispielsweise

„die Region, die von den semitisch-abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum,

161 Galtung (2005), S. 177. 162 Galtung (2005), S. 16. 163 Galtung (2008), S. 15. 164 Galtung (1975b), S. 70.

29

Islam)“165

umfasst wird.

Jede Kosmologie kann in den jeweiligen Räumen alternative Ausprägungen bestimmter

Merkmale aufweisen, die je nach Qualität auch als „hart“ oder „weich“ beschrieben werden

können. Beispielsweise existieren innerhalb der Kosmologie „Okzident I“ Elemente eines

„harten“ Individualismus, welcher vom Protestantismus kulturell geprägt wird; gleichzeitig

gibt es einflussreiche Strömungen des „weichen“ Kollektivismus, welcher sich im

Katholizismus und der Orthodoxie manifestiert.166

Ausgehend von dieser Grundlage und unter

Berücksichtigung der jeweiligen kulturellen Gewaltpotenziale und deren Erscheinungsformen

identifiziert Galtung unterschiedliche Zivilisationen. Er analysiert dabei die Möglichkeiten

sowohl von interzivilisatorischen wie von intrazivilisatorischen Konflikten.

Insgesamt zählt Galtung sechs wichtige Kosmologien auf:

- eine in „Okzident I“ und „Okzident II“ geteilte abendländische Zivilisation, wobei

„Okzident“ als Bereich definiert wird, der von den semitisch-abrahamitischen

Religionen – Judentum, Islam, Christentum – geprägt ist;

- eine „hinduistische“ Zivilisation;

- eine in „buddhistische“, „sinische“ und „nipponische“ geteilte orientalische

Zivilisation.

Des Weiteren führt Galtung noch eine Reihe weiterer Zivilisationen auf, die aber in seiner

Analyse marginalisiert und nicht berücksichtigt werden. Hierzu gehören die „afrikanische“,

die „amerikanisch-indianische“ wie die „asiatisch-pazifische“ Eingeborenenkultur sowie

weitere Kulturen in Ostasien, wie die „vietnamesische“ und die „koreanische“.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Galtungs Theorie der Tiefenkultur zahlreiche

Merkmale mentalistisch-strukturalistischer Kulturtheorien („Minimierung des Subjekts“,

Konzipierung der Tiefenkultur als objektive kulturelle Ebene, strukturale Methodik)

aufweist. Wie das folgende Kapitel zeigt, hat dieses Kulturverständnis Konsequenzen für die

Möglichkeitsbedingungen zur Reduzierung kultureller Gewalt.

2.4 Galtungs Vorschlag zur Reduzierung kultureller Gewalt

Folgt man den kultur- und zivilisationstheoretischen Ausführungen Galtungs so könnte man

den Eindruck gewinnen, als wären Menschen durch ihre tiefenkulturelle Codierung

165 Galtung (1998a), S. 368. 166 Vgl. Galtung (2005), S. 136ff.

30

determiniert und auf ewig Sklaven ihrer eigenen kulturellen Gewalt. Viele Aussagen lassen

Galtung „als späten Vertreter des kulturellen Determinismus erscheinen“167

. Und in der Tat

weisen Kosmologien eine ausgesprochene Veränderungsresistenz auf, denn sie beinhalten

„Annahmen, die so tief im kollektiven Unterbewusstsein liegen […], dass sie „nicht leicht ans

Tageslicht zu befördern, geschweige denn, auszumerzen“168

sind.169

Eine weitere Aussage

Galtungs verstärkt diesen Eindruck.

„Den kulturellen genetischen Code zu ändern, scheint mindestens ebenso schwierig, wie den

biologischen genetischen Code zu verändern. Aber nicht nur das: Eine zum Umbau kultureller Codes fähige ‚Kulturtechnik‘ [dürfte], so sie denn möglich wäre, eine Form von Gewalt darstellen, die sich als

ebenso problematisch erweisen könnte wie die Gentechnik.“170

Zudem haben tiefenkulturell verankerte Gewaltdispositionen eine andere Qualität als die

Gewaltrechtfertigungsfunktionen der Oberflächenkultur.

„Können Zivilisationen geändert werden? Nicht im oberflächlichen Sinne […], sondern im Sinne der

Änderung ihrer Codes, der Transformation ihrer Kosmologien? Die Antwort auf diese Frage ist alles

andere als klar. Doch ist die Frage gewiss eine der wichtigsten, die in der Friedensforschung aufgeworfen werden können. Wir wissen, dass sich Zivilisationen ändern, in dem Sinne, dass wir

tieferliegende Aspekte, die Kosmologie, als verändert betrachten dürfen. Doch solche Änderungen

wurden durch eine Reihe historischer Umstände, nicht durch willentliche Planung hervorgebracht.“171

Eine aktive und kreative Änderung des „genetischen kulturellen Codes“ durch „willentliche

Planung“ gesellschaftlicher Akteure wird bei Galtung klar ausgeschlossen. „Like human

personalities, social cosmologies were deemed to be necessary components of human social

existence. Though malleable and subject to distortion, their essence preceded

manipulation.”172

Galtung ist nicht der Meinung, dass es reicht erfolgreich „kulturelle Deutungen zu

delegitimieren […] [und] überzeugend Ideologiekritik und Religionskritik zu betreiben“173

um

167 Fuchs (2003), S. 17. 168 Galtung (2005), S. 125. 169

In diesem Zusammenhang sei auf Bourdieu verwiesen, dessen Idee der „symbolischen Gewalt“ ähnliche

deterministische Züge trägt. Bourdieu hebt beispielsweise hervor, dass „es völlig illusorisch ist, zu glauben, die

symbolische Gewalt könne mit den Waffen des Bewusstseins und des Willens allein besiegt werden [...], weil

die Resultate und die Bedingungen ihrer Wirksamkeit in Form von Dispositionen dauerhaft in das Innerste der

Körper eingeprägt sind.“ Es geht Bourdieu dabei um die Beseitigung dessen, was er „ein intellektualistisches und

scholastisches ‚Vorurteil‘“ nennt, „das wie bei Marx [...] zu der Erwartung verleitet, die Befreiung der Frauen ergebe sich als automatische Folge der ‚Bewusstwerdung‘, wobei man in Ermangelung einer Dispositionstheorie

der Praktiken nicht die Opakheit und Trägheit berücksichtigt, die aus der Einprägung der sozialen Strukturen in

die Körper resultieren“. Bourdieu (2005), S. 72ff. Zitiert nach Brousek (2008), S. 39. 170 Galtung (2005), S. 126. 171 Galtung (2005), S. 176f. 172 Lawler (1995), S. 148. 173 Reitter (1989), S. 57. Hierzu Schmidt „Soweit Galtung die Gewaltrechtfertigungsfunktion der Wissenschaften

wie anderer symbolischer Sphären der menschlichen Existenz – der Kunst etwa, der Sprache oder der Religion –

auf verborgene Interessen und argumentativ ungedeckte Ansprüche zurückführt, bleibt seine Kritik kultureller

Gewalt durchaus im Rahmen klassischer Ideologiekritik. Die eigentliche friedenswissenschaftliche

Herausforderung von Galtungs komparativ angelegter Kosmologieanalyse liegt denn auch eine Etage tiefer.“

Schmidt (2001), S. 520.

31

kosmologische Voraussetzungen zu verändern.174

Dieser Sachverhalt ist nicht weiter

überraschend, denn die Resistenz gegenüber aktiver willentlicher Beeinflussung gibt, wie im

vorherigen Kapitel dargestellt, seiner strukturalistischen Theoriearchitektur erst ihre Substanz.

Tiefenkulturen haben ja gerade Permanenzcharakter, weil sie von bewussten Handlungsakten

nicht tangiert werden. Diese „spielentscheidende“ Problematik erkennt Schmidt, indem er

betont, dass „tiefenkulturelle Bestände jeder instrumentalistischen Zurichtung

voraus[liegen]“.

„Offensichtlich sind wir hiermit weit über die Gewalt- oder Friedens-Rechtfertigungsfunktionen der

Oberflächenkultur hinaus. Aller konkreten Gewalt- (oder Friedens-)Legitimation vorausliegend,

disponiert der kulturelle Code, in der Regel begründungs-, reflexions-, ja bewusstlos, zur Konstruktion,

zur Perzeption wie zur Herstellung gewalttätiger und gewaltgeneigter sozialer Realität und Praktiken!

Um die hier spielentscheidende Differenz von Oberflächen- bzw. manifester und Tiefenkultur noch einmal zu variieren: Während die gewaltträchtigen Aspekte der ersteren bewusst oder bewusstseinsnah

sind und so einer politisch-ideologischen Inanspruchnahme wie Zurückweisung offen stehen, liegen die

tiefenkulturellen Bestände jeder instrumentalistischen Zurichtung voraus.“175

Obwohl Kosmologien nach Ansicht Galtungs, ebenso wie genetische Codes, eine große

Veränderungsresistenz aufweisen, sind sie jedoch nicht statisch oder monolithisch.176

Veränderungen der Kosmologie werden nicht ausgeschlossen, allerdings werden sie nicht

durch (bewusste) Aktivitäten gesellschaftsinterner Akteure hervorgerufen.177

Ein (zum

Scheitern verurteiltes) Vorhaben, dass sich die aktive Veränderung des kulturellen Codes in

Form einer „Kulturtechnik“ zum Ziel setzt, stellt für Galtung „eine Form der Gewalt“ dar,

„die sich als ebenso problematisch erweisen könnte wie die Gen-Technik“178

. Überhaupt

weist die Frage nach der Ursache von tiefenkulturellen Änderungen in die falsche Richtung:

„Essentially it is a question of changes not in, but of a total configuration, and it may well be

that the question ‚where does the change start‘ in itself is a wrong question, a product of

174 Den speziellen Zusammenhang zwischen Oberflächen- und Tiefenkultur erkennt auch Schmidt: „Wie oft

nämlich laufen anscheinend entgegengesetzte Vorstellungen der Oberflächenkultur in Wissenschaft und

Ideologie, laufen alternative Entwicklungs- und Friedensvorstellungen etwa liberaler, christlicher und

marxistischer Provenienz in der Praxis auf dasselbe, das von ihnen gemeinsam Kritisierte nämlich, hinaus –

mangels Berücksichtigung der gemeinsamen tiefenkulturellen Grundlagen!“ Schmidt (2005), S. 36. 175 Schmidt (2002), S. 24. 176 Gleiches gilt für die Qualität von Strukturen: „Social structures are human constructions, like architectonic constructs. As such they can be deconstructed, and reconstructed, as is being done all the time. […] In other

words, there is nothing deterministic in the concept of structural violence in the sense that people are condemned

forever to live in some structural prison. […] The higher the consciousness of structural violence, the more the

actors can do about it. ” Galtung (2008), S. 105. 177 Ähnlich interpretiert Reckwitz die strukturalistische Kulturtheorie: „Wenn im Rahmen der strukturalistischen

Kulturtheorie damit die Leitdifferenz zwischen den tatsächlich handlungskonstitutiven symbolischen Ordnungen

und der sekundären und nur als Selbstbeschreibung relevanten ‚subjektiven Perspektive‘ des

Teilnehmerverstehens auf der Ebene der Differenz zwischen überhistorischer kultureller Struktur und dem

Prozess der ‚Geschichte‘ reproduziert wird, so heißt dies […] jedoch nicht, dass es keine ‚Transformationen‘ im

Bereich der symbolischen Ordnung gäbe. Diese Transformationen sind allerdings in der strukturalen Analyse

von den Interpretationen des Subjekts völlig unabhängig zu begreifen.“ Reckwitz (2006), S. 227. 178 Galtung (1998a), S. 363.

32

Western epistemological linearity […].”179

Tiefenkulturelle Transformation ist für Galtung

nur denkbar als Ergebnis kosmologischer „Systemkrisen“180

, welche er mit dem Begriff

„structural fatigue“ umschreibt. In diesem Zusammenhang sind die Grundzüge Galtungs

strukturalistischer Kulturtheorie und die schon im Konzept der strukturellen Gewalt

diagnostizierte „Minimierung des Subjekts“ klar zu erkennen:

„In metallurgy a structural yields services up to a certain point when the metal becomes, for instance,

brittle. Similarly we assume that the social structure, and the cognitive structure, both have a finite

capacity for producing solutions: sooner or later that capacity will be exhausted. One way of expressing

this principle of limitation would be through the language of permutations. Any given social grammar

has a limited number of combinations to offer, hence a limited number of strategies for solving

problems. As the society runs through these strategies and one after the other fails to meet the bill, a

more fundamental crisis is building up: that of exhausting the repertory. […] If both the inner periphery

and the outer periphery revolt at the same time and nature shows her limitation as host to the human

race very clearly, this is all difficult but not in itself dangerous to the system as long as the elites are

convinced that there are still some possible strategies left to be attempted. It is only when these

strategies have been tried, the problems continue to accumulate unabated and there are no more games left to play that the challenge becomes overpowering. It is at this stage that the elites might abdicate

even voluntarily, or let themselves be beaten out of defaitism, or even join the new forces in the search

for fundamentally new formulas. That all these conditions should hold true at the same points in time

and space will appear unlikely, so these situations of profound crisis should be seen as very rare in the

history of mankind.”181

Dass es trotz der Veränderungsresidenz von Kosmologien Hoffnung auf die Überwindung

von kultureller Gewalt gibt, ist einem spezielle Phänomen geschuldet, nämlich dem „ying-

yang aspect“ von Zivilisationen. Mit dem „ying-yang aspect“ hebt Galtung hervor, dass eine

Zivilisation nicht nur über eine Tiefenkultur verfügt, sondern, dass es neben der dominanten

auch immer – zumindest - eine rezessive Tiefenkultur gibt.

„[W]e shall postulate [a] yin-yang aspect to social cosmology. Thus, we shall not assume that the

Western social cosmology is a clear-cut thing, invariant in social and geographical space and in time. It

obviously is not, for if it were then there would not be these fundamental changes in what was

considered normal and natural, nor the variations in social and geographical space within each sub-

period, so far not touched upon at all. So we shall assume that there is something like a dominant/

manifest social cosmology, always accompanied by a recessive/ latent social cosmology, like its alter

ego; and further postulate that whereas the dominant cosmology by definition is that of the center in the

Center, the alternative cosmology may be particularly pronounced elsewhere – in the inner proletariat or in outer-West – not to mention in the Outside.”182

Galtung postuliert nicht die Existenz einer Einheitskultur, die raum- und zeitunabhängig das

Verhalten der unterschiedlichsten Akteure determiniert. Vielmehr geht Galtung von einer

Pluralität von teilweise miteinander konkurrierenden oder sich widersprechenden

tiefenkulturellen Deutungssystemen aus. Jede Kosmologie enthält tiefenkulturelle

Variationen, die verschiedene handlungsleitende Potenziale beinhalten können.

Deshalb gilt für Galtung der Grundsatz:

179 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 32. 180 „[T]he root of the real crisis is seen here as being related to a social cosmology no longer able to produce

solutions […].” Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 38. 181 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 29f. 182 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 14.

33

„[U]nterhalb der Oberfläche zu graben, bedeutet nicht, von der Vielheit (der Kulturen) zur Einheit/

Einfachheit (der Tiefenkulturen) überzugehen. Die ‚okzidentale Tiefenstruktur‘ z.B. ist nicht

unzweideutig. So würde ich etwa argumentieren, dass das Christentum nur in den Begriffen von

zumindest zwei verschiedenen Lektüren verstanden werden kann – einer harten (mehr auf Transzendenz

und auf Erbsünde ausgerichteten) und einer weichen (die Immanenz und den ursprünglichen

Gnadenstand hervorhebenden) Lesart. Andere erkennen eine noch komplexere Mannigfaltigkeit der

Tiefenstrukturen.“183

Galtung erläutert diesen Sachverhalt am Beispiel der westlichen Zivilisation. In der

westlichen Welt führten widersprüchliche tiefenkulturelle Wurzeln zur Herausbildung zweier

alternativer Kosmologien. Als Okzident I bezeichnet Galtung die derzeit dominante

Tiefenkultur, nämlich die der Moderne. Sie weist große strukturelle Ähnlichkeiten mit der

griechisch-römischen Antike auf. Unter Okzident II versteht Galtung die zur Zeit des

Mittelalters dominante Tiefenkultur, die seit der Renaissance in Vergessenheit geraten,

beziehungsweise nur mehr in der „Peripherie“ beheimatet ist.184

Der vermutlich größte

Gegensatz besteht darin, dass die Tiefenkultur des Okzident II gegenüber der des Okzident I

durch eine „weichere“ und weniger expanisionistische Grundausrichtung gekennzeichnet ist.

Interessanterweise konnte nach Galtung Okzident II vom Ende des Weströmischen zum Ende

des Mittelalters die Vorherrschaft des Okzidents I brechen und temporär eine hegemoniale

Stellung einnehmen. Dass die Hoffnung für den Westen hinsichtlich seiner Friedfertigkeit

nicht verloren ist, führt Galtung deshalb auf diesen Einfluss zurück: „Die Tatsache, dass im

Abendland auch Frieden herrscht, dass dieser manchmal sogar vom Okzident ausging, ist so

etwas wie ein Wunder und möglicherweise den weicheren Strängen desselben

zuzuschreiben.“185

Da es für Mitglieder einer Zivilisation die Möglichkeit gibt auf unterschiedliche

tiefenkulturelle Bestände zurückzugreifen, bleibt Galtungs Konzept einer friedensförderlichen

Bearbeitung nicht völlig verschlossen.

Zur Reduzierung kulturelle Gewalt ist nun eine doppelte Strategie denkbar.

„Die Inhalte der Tiefenkultur sind grundsätzlich bewusstseinsfähig […]. Dadurch hält sich aber jede

Kosmologie […] einer doppelten Veränderung offen: durch Selbst-Thematisierung und Selbst-Kritik,

kurz durch intrakulturelle Dialoge und Auseinandersetzungen auf der einen, durch interkulturelle

Dialoge und Einwirkungen auf der anderen Seite.“186

Ein erster Schritt auf dem Weg zur Reduzierung von kultureller Gewalt ist demnach die in

einer Kosmologie integrierten Gehalte kultureller Gewalt zu untersuchen. Ziel ist es zunächst

183 Galtung (2005), S. 125. 184 Konkret führt Galtung aus: „Hierunter wird der latente oder rückläufige Okzident im zeitgenössischen Westen

verstanden sowie der manifeste oder herrschende Okzident in der Zeit des Mittelalters, vom Niedergang des

Weströmischen Reiches bis zu dem Moment, als das grundherrliche Feudalsystem den Stadtstaaten wich, die

später zu National- und Weltstaaten bzw. Weltreichen werden sollten.“ Galtung (2005), S. 139. 185 Galtung (1998a), S. 363. 186 Schmidt (2002), S. 25.

34

eine Archäologie der „Tiefenkultur“ oder „Expedition in das [...] kollektive Unterbewusste“187

durchzuführen. Hier sollen die entscheidenden kulturellen Faktoren kultureller Gewalt

offengelegt werden.188

Der Erfolg dieser Anstrengung hängt davon ab, ob es gelingt das

Unterbewusste ans Tageslicht zu befördern:

„Gelingt es uns, das Unterbewusste bewusst zu machen, können wir uns vielleicht befreien von

langwieriger struktureller und wiederholter direkter Gewalt. Vielleicht werden wir dann auch genauer

erkennen, wie die moderne westliche Wirtschaft funktioniert und inwiefern die gängige

Wirtschaftswissenschaften im Decodieren von Basisunterstellungen eines bestimmten Typus westlicher

Zivilisation besteht. Und Vergleichbares gilt für die üblichen Konflikt- und Sicherheitsanalysen: Vieles

darin ist nicht mehr als ein Entwickeln kollektiver und unterbewusster Voraussetzungen, die einer

ernsthaften Untersuchung nie unterzogen wurden.“189

„Die ganze Theorie der Kosmologie, der Tiefenkultur einer Gesellschaft, dient dazu, sich mit

den allgemein geteilten Prä-Kognitionen des kollektiven Unterbewusstseins zu befassen.“190

Ein zentrales Fördermittel, um tiefenkulturelle Elemente einer Gewaltkultur so intensiv als

möglich ins Bewusstsein zu heben, stellt dabei der interzivilisatorischen Dialog dar. Denn:

„Wenn es um Aspekte der Tiefenkultur geht, kann ein intraokzidentaler Dialog für den

Westen nur begrenzte Vorteile bringen.“191

Durch interkulturelle Dialoge kann ein Prozess

der Selbsterkenntnis optimiert werden.

„Kosmologie ist jedoch etwas ganz Anderes und geht viel tiefer. Für mich ist die Kosmologie einer

Zivilisation dasselbe wie die Persönlichkeit eines Menschen. Also die Züge, die eine gewisse Invarianz

aufweisen, eine gewisse Permanenz. D.h. nicht, dass man die Persönlichkeit oder die Kosmologie nicht

verändern kann. Aber wenn, dann meistens durch Krisen und Infragestellung des Selbst und die

Bearbeitung des Selbst. Und das ist sehr, sehr schwierig. Man ist sich seiner Persönlichkeit nicht

notwendigerweise bewusst. Die Anderen sehen das meist besser. Dasselbe gilt für eine Zivilisation. Die

Anderen sehen die dahinter liegende Kosmologie besser. Das meiste, was ich über die westliche

Zivilisation weiß, habe ich von draußen gesehen. Ich kann in Konversationen über ‚Abendländer‘ viel

mehr über die ‚Abendländer‘ lernen, als in Konversation mit den Bewohnern der Abendländer

selber.“192

Galtung ist optimistisch, dass die unbewussten tiefenkulturellen Gewaltaspekte ins

Bewusstsein gehoben werden können. „[D]eep culture is not deterministic unless it remains

subconscious. Our spirit is capable both of consciousness and reprogramming.”193

Tiefenkultur ist für Galtung prinzipiell in unterschiedlichen Graden erkennbar und

reflektierbar. Jeder Mensch hat daher die Möglichkeit seine kulturellen Determinationen

aufzudecken. Bei diesem Prozess können Friedensfachkräfte behilflich sein.

„Die Arbeit von Friedensforschern und Friedensaktivisten ist nun darauf gerichtet, nach Mitteln und

Wegen zu suchen, diese ‚Programmierung‘ bzw. Codes zu entschlüsseln und so einer gemeinsamen

Bearbeitung durch die an einem Konflikt beteiligten Seiten zugänglich zu machen. Dabei sind

187 Galtung (1998a), S. 367. 188 Galtung (1998a), S. 362. 189 Galtung (1998a), S. 13. 190 Galtung (2005), S. 17. 191 Majer (2003), S. 96. 192 Graf/ Macho (2010), S. 41. 193 Galtung (2008), S. 95.

35

Ideologien, Überzeugungen und Glaubenssysteme jene Medien, über die unterbewusste Prägungen an

die Oberfläche treten und so analysiert und verändert werden können.“194

Das Erkennen der Potenziale kultureller Gewalt ist allerdings nur der halbe Weg. Das Ziel

aller Anstrengung ist letztlich die Überwindung kultureller Gewalt. „Gewaltkulturen müssen

durch Friedenskulturen, die die Gewalt entlegitimieren, ersetzt werden.“195

Das entscheidende

Wort in diesem Zusammenhang ist „ersetzt“. Veränderung oder „reprograming“

heißt nicht – zumindest wenn man Galtungs Arbeit eine gewisse Logik unterstellen möchte196

– eine willentlich herbeigeführte tiefenkulturelle Neuerfindung. Für eine Neuprogrammierung

fehlen – um in Galtungs Sprachbild zu bleiben – die Zugriffsrechte, es fehlt das

tiefenkulturelle Passwort. Mit „reprograming“ meint Galtung das Aufspielen eines anderen,

„weicheren“ Betriebssystems.

„Der Kampf für […] einen anderen Frieden [muss] auch als Herausforderung, ja als Transformation der

abendländischen Kosmologie geführt werden – durch Bewusstmachung und Kritik des jeweiligen

tiefenkulturellen Unterbewussten (Aufklärung) und durch das Ausspielen bzw. Starkmachen

tiefenkultureller Alternativen und Gegenströmungen.“197

Da eine aktive und willentliche Veränderung des „kulturellen genetischen Codes“ theoretisch

von Galtung ausgeschlossen wird und kosmologische Systemkrisen selten sind, ist der einzige

gangbare Weg für die Realisierung einer Friedenskultur, die in einer Zivilisation schon

existierenden „weicheren“ Gehalte zu nutzen.

3. Potenzial und Defizite der Theorie der kulturellen Gewalt

Nachdem Galtungs zentrale theoretische Vorüberlegungen dargelegt wurden und die

Konzeption der kulturellen Gewalt rekonstruiert wurde, gilt es sich nun der kritischen

Diskussion zuzuwenden. Grundsätzlich ist hierbei festzustellen, dass Galtungs Ansatz eine

194 Schrader (2000), S. 231. 195 Galtung (1994), S. 208. 196 Diese scheint in der Tat nicht immer stringent: „Für eine Operationalisierung sind Galtungs Hinweise zur

Lösung des Problems der kulturellen Gewalt auch widersprüchlich. Einerseits soll der Westen die weichen

Aspekte des Orients mittels Dialog aufnehmen, andererseits kann die Kultur nicht so einfach geändert werden,

hängt sie doch vom kulturellen Code ab, der wie Galtung behauptet, womöglich gleich schwer zu ändern sein

wird wie ein genetischer Code.“ Majer (2003), S. 97. 197 Schmidt (1999), S. 43.

36

kontroverse Rezeption198

im friedenswissenschaftlichen Diskurs erfährt. Sie „reicht von

kritikloser Übernahme über die Versuche, die Schwächen der Konzeption aufzunehmen und

konstruktiv zu bearbeiten, bis hin zu radikaler Ablehnung“199

. Diese positiven und negativen

Beurteilungen sollen als nächstes diskutiert und das Potenzial und die Schwächen der Theorie

der kulturellen Gewalt herausgearbeitet werden. Besonders gewinnbringend erscheint mir in

diesem Zusammenhang die friedenstheoretische Leistungsfähigkeit des kulturorientierten

Ansatzes anhand einer kritischen Auseinandersetzung mit der liberalen Theorie des

„demokratischen Friedens“ zu demonstrieren, einer Theorie die eine zentrale Bedeutung für

die diskursive Ausrichtung der Friedensforschung der letzten Jahre hatte. Im Mittelpunkt

dieses Forschungsprogramms steht die Frage, inwieweit liberal-demokratische

Herrschaftsformen eine pazifizierende Wirkung auf das Außenverhalten von Gemeinwesen

haben. Empirisch werden die Grundannahmen der liberalen Theorie des „demokratischen

Friedens“ im Wesentlichen bestätigt, jedenfalls was die Häufigkeit interdemokratischer

kriegerischer Gewalt anbetrifft. Der Befund, dass Demokratien (fast) keine Kriege

gegeneinander führen, gehört in der Forschung hierbei zu den stärksten und nicht-trivialen

Generalisierungen. Ganz anders verhält es sich in Konflikten mit Nicht-Demokratien. Hier ist

der positive Korrelationseffekt von Demokratie und Frieden wesentlich geringer ausgeprägt.

Dieser aus konflikttheoretischer Sicht zunächst überraschende empirische Doppelbefund hat

die wissenschaftliche Bearbeitung des Zusammenhangs von Demokratie und Frieden zu einer

„demokratiezentrierten Friedens- und Gewaltforschung“200

expandieren lassen. Diese

erweiterte Perspektive erlaubt es nun auch den „demokratischen Krieg“ als „Schattenseite des

Demokratischen Friedens“201

in den Fokus des Interesses zu stellen.

198 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass außerhalb der Friedensforschung eine

wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Galtungs Thesen kaum stattfindet. In klassischen Disziplinen der

internationalen Politik wird der Begründer der Friedens- und Konfliktforschung nahezu komplett ignoriert. Von

einer Beeinflussung der wissenschaftlichen „mainstream-Diskurse“ kann nicht die Rede sein. Und was vielleicht

noch gravierender ist: Galtungs Friedenstheorien sind einer breiteren Öffentlichkeit nahezu völlig unbekannt.

Diese Begebenheit widerspricht dem Grundziel der Friedensforschung eine praxisrelevante und

wirklichkeitsverändernde Wirkung zu entfalten. Ein mangelndes „Forschungsmarketing“ (unsensible Wahl der Begrifflichkeiten, problematische Vergleiche [Hitlerismus, Stalinismus, Reaganismus], einseitige empirische

Perspektive, emotional überspitze Argumentationsführung etc.) könnte für den geringen Einfluss Galtungs

verantwortlich sein. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob mit größerer Sensibilität und Dialogbereitschaft nicht

mehr zu erreichen wäre. 199 Alfs (1995), S. 34. Zur grundlegenden Problematik einer Galtung-Kritik äußert sich Posern: „Kritik hat es

schwer, sich mit Galtung auseinanderzusetzen, weicht dieser doch immer wieder zurück, indem er seinen

Arbeiten sehr beschränkte Funktionen zuweist. Da jedoch anscheinend alle Arbeiten Galtungs sich darauf

beschränken, ‚base-lines‘ und ‚points of departure‘ aufzuweisen, muss das Fehlen gründlicher Analysen doch

auch hier als gravierender Mangel vermerkt werden.“ Posern (1992), S. 64. 200 Geis/ Wagner (2006). 201 „Democratic peace increasingly seems to be linked to war. Obviously, there is a dark side to democratic

peace”. Brock/ Geis/ Müller (2006), S. 3.

37

„Die in jüngster Zeit wieder vermehrt aufgenommene Forschung zur gewaltsamen Seite von

Demokratien stellt [dabei] nicht einfach eine Fortführung der älteren DF-Forschung zu einem

‚Doppelbefund‘ dar, sondern fokussiert nunmehr stärker auf demokratiespezifische Motive und Anreize

bzw. Kontextbedingungen dieser Gewalt.“202

Hierbei wird die These vertreten, dass Galtungs Idee der „kulturellen Gewalt“ ein wichtigstes

Desiderat liberal-szientistischer Forschung ausfüllen könnte, allerdings dieses Potenzial

aufgrund des problematischen Kulturverständnisses von Galtung nicht ausgeschöpft wird.

Aufbauend auf einer eingehenden kulturtheoretischen Diskussion sollen Galtungs theoretische

Defizite identifiziert werden. Bevor aber auf die eigentliche Diskussion eingegangen wird,

soll die Theorie des „demokratischen Friedens“ kurz rekapituliert werden.

Die liberale Variante der Theorie des „demokratischen Friedens“ leitet seine Grundprämissen

aus der Metatheorie des Liberalismus der Internationalen Beziehungen ab. Der liberale

theoretische Ansatz vertritt grundsätzlich die Position, dass es unzureichend ist, Staaten im

internationalen System als unitäre Akteure anzusehen, deren außenpolitisches Verhalten allein

von den Gegebenheiten einer gesetzlosen internationalen Konstellation determiniert wird.203

Die liberale Theoriebildung zielt darauf ab, die strukturelle Ausgrenzung von internen

Prozessen aufzubrechen und macht staatlich organisierte Gesellschaft und das politische

System zu den primären Analyseebenen.204

Staatliches und damit außenpolitisches Verhalten

leitet sich aus gesellschaftlichen Strukturen und Interessen ab.205

Diese theoretische Perspektive nehmen auch die Erklärungen liberalen Theorien des

„demokratischen Friedens“ ein. Im Fokus des Interesses stehen das institutionelle Gefüge der

demokratischen Regierungsform sowie die normativ oder rational motivierten Präferenzen der

Bürger, die sich über diese Institutionen in die Außenpolitik vermitteln.

Die normative Argumentationslogik führt die demokratische Friedensneigung hierbei auf die

kulturellen Spezifikationen einer demokratischen Gesellschaft zurück, in welcher politische

Eliten und Bürger via Sozialisation pazifistische Ideale206

internalisiert haben.207

Da sich

internalisierte Wertvorstellungen nicht einfach ablegen lassen, werden die an friedlicher

Konfliktregelung orientierten innenpolitischen Normen – so der Analogieschluss – im

202 Geis/ Wagner (2006), S. 280. 203 Hier grenzt sich der Liberalismus deutlich von anderen Großtheorien der Internationalen Beziehungen wie

dem (Neo-)Realismus und dem (Neo-)Institutionalismus ab. 204 Vgl. Schimmelfennig (2008), S. 140. 205 „For liberals, the configuration of state preferences matters most in world politics — not, as realists argue, the

configuration of capabilities and not, as institutionalists (that is, functional regime theorists) maintain, the

configuration of information and institutions.” Moravcsik (1997), S. 515. 206 Zu nennen sind die Ausbildung von Werten wie Vertrauen, Empathie und die hohe Einschätzung von

individueller Freiheit oder auch „Achtung der Gesetze, faire Partizipation der Einzelnen, Achtung der

Minderheiten etc.“ Geis (2001), S. 289. 207 Vgl. Owen (1996), S. 119.

38

Außenverhalten von Demokratien externalisiert.208

Die Anwendung von Gewalt „als

Instrument der politischen Auseinandersetzung“209

ist hingegen mit der normativen

Grundorientierung einer demokratischen Gesellschaft nicht vereinbar. Aus normativer

Perspektive stellen kriegerische Demokratien deshalb einen logischen Bruch dar.210

Institutionelle Erklärungen streichen dagegen die spezifischen Charakteristika interner

demokratischer Institutionen und Prozesse zur Erklärung des außenpolitischen Verhaltens von

Demokratien heraus. Die Wahrscheinlichkeit zur Anwendung von Gewalt in der

Außenpolitik wird durch institutionelle Zwänge (Gewaltenteilung, Rechtstaatlichkeit,

turnusmäßige Ablösung der Regierung durch freie Wahlen etc.) reduziert, die sich aus der

demokratischen Verfasstheit der Staaten ergeben. Rationalistische Ansätze der liberalen

Theorie des „demokratischen Friedens“ erstellen einen Zusammenhang zwischen der

etablierten Herrschaftsform und innenpolitischen Kosten externer Gewaltanwendung. Hierbei

unterstellt die anthropologische Grundannahme a priori eine risikoabgeneigte Neigung der

Bürger. Diese Grundhaltung resultiert aus den Kosten-Nutzen-Kalkülen der Akteure. Es wird

konstatiert, dass die Wahrscheinlichkeit für eine friedliche Außenpolitik steigt, wenn Bürger

die Entscheidung über Krieg und Frieden selbst tragen.211

Grundsätzlich haben alle liberalen Ansätze das Problem, dass sie den Doppelbefund nicht

schlüssig erklären können. Einige Argumentationslinien versuchen die Validität der Idee des

„demokratischen Friedens“ dadurch zu retten, indem sie darauf verweisen, dass gewaltaffine

Demokratien im Grunde genommen gar keine Demokratien sein können. Diesen Weg verfolgt

beispielsweise Czempiel: Demokratien die aufgrund unzureichender institutioneller Kontrolle

und fehlendem demokratischen Einfluss militante Züge tragen, stellen aus dieser Warte

höchstens noch demokratieähnliche Gebilde („kollektivierte Monarchien“212

) dar.

Fraglich bleibt hier, „warum selbst dergestalt defizitäre Demokratien bislang keine Kriege

gegeneinander geführt haben und auch sonst im wechselseitigen Verhältnis nur sehr selten auf

Gewaltstrategien zurückgriffen“213

. Ohne das Demokratieniveau oder die normativen

Gesichtspunkte zu problematisieren, versucht der utilitaristische Argumentationsstrang die

Gewaltanwendung von Demokratien theoretisch zu integrieren. Kriege, die kaum mit Risiken

208 Vgl. Risse-Kappen (1994), S. 171; Hasenclever (2003), S. 206. 209 Hasenclever (2003), S. 205. 210 Vgl. Czempiel (1996). 211 Vgl. Rummel (1983), S. 28. 212 „Der privilegierte Zugang von partikularen Interessengruppen zum Gewaltmonopol des politischen Systems,

der alle westlichen Demokratien nach wie vor kennzeichnet, kann nicht als Rest eines historischen Ballastes

verstanden werden, der sich im Laufe der Zeit verliert. Er deutet vielmehr darauf hin, dass die westlichen

Demokratien zwar schon einen beachtlichen, keineswegs aber zureichenden Entwicklungsgrad erreicht haben. Es

ist nur wenig übertrieben sie als kollektivierte Monarchien zu bezeichnen.“ Czempiel (1996), S. 86. 213 Hasenclever (2003), S. 213.

39

behaftet bzw. mit Nettonutzen für die demokratische Gesellschaft verbunden sind, sind

beispielsweise für Moravcsik also durchaus denkbar.214

Zwar bleiben demokratische

Aggressionen in dieser Konzeption theoretisch greifbar; allerdings büßt diese Beweisführung

in Bezug auf den Doppelbefund ihre Erklärungskraft ein. Im Grunde genommen müsste die

tendenzielle Kriegsaversion bzw. Kriegsbereitschaft von Demokratien unabhängig von der

politischen Konstellation des Gegenübers konstant bleiben.

„If democratic public opinion really had the effect ascribed to it, democracies would be peaceful in their

relations with all states, whether they are democratic or not. If citizens and policymakers of a democracy were especially sensitive to the human and material costs of war, that sensitivity should be

evident whenever their state is on the verge of war, regardless of whether the adversary is democratic:

the lives lost and money spent will be the same.”215

Eine weitere Argumentationslogik zielt darauf ab, dass Demokratien ihre gewaltlimitierende

Wirkung in nur rein demokratischen Dyaden entfalten können. Der Hang von Demokratien zu

(Präventiv-)Kriegen resultiert aus dieser Perspektive letztlich aus einem

Selbstverteidigungsreflex. Demokratien müssen sich gegen potenziell aggressive Nicht-

Demokratien zur Wehr setzen, was Gewaltanwendung nicht ausschließt.

Die Forschung zur Theorie des „demokratischen Friedens“ hat zahlreiche weitere

Argumentationslogiken für den empirischen Doppelbefund erarbeitet. Da sich allerdings das

argumentative Potenzial nur unwesentlich vergrößert, braucht es an dieser Stelle nicht weiter

zu interessieren. Die Grundproblematik ist, dass die meisten Erklärungsansätze für

demokratische Militanz die liberalen Denkmuster nicht überwinden, wie Schrader

herausstreicht.

„Ein Beispiel für diese Art ‚szientistischer‘ Sozialforschung sind die […] Studien zur Theorie des

‚demokratischen Friedens‘. Dabei wird die hegemoniale liberale Theorie in aller Regel als Rahmen für

die eigenen Forschungen akzeptiert. Kritik an der liberalen Theorie des ‚demokratischen Friedens‘, die

es natürlich auch gibt, richtet sich meist nicht darauf, das den empirischen und theoretischen

Forschungen zugrunde liegende liberale Paradigma und Wissenschaftsverständnis infrage zu stellen oder gar zu überwinden. Stattdessen richten sich die Anstrengungen darauf, neue, ähnlich

unterkomplexe Theorien anstelle der alten durchzusetzen.“216

Diese „unterkomplexen Theorien“ sind in der Regel nicht in der Lage die demokratische

Gewaltneigung als demokratieimmanentes Problem zu betrachten. An dieser Stelle erweist

sich Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt besonders produktiv. „Der Begriff der

kulturellen Gewalt deckt die gewalttätige Seite der Kultur auf bzw. lässt sie zumindest

erahnen. Galtung hat damit die Aufmerksamkeit der Friedensforschung auf bisher zu wenig

beachtete Zusammenhänge gelenkt.“217

Indem Galtung vorschlägt Kultur als

214 Vgl. Moravcsik (1997), S. 517. 215 Layne (1996), S. 164. 216 Schrader (2009), S. 61. 217 Wintersteiner (1999a), S. 86.

40

gewaltgenerierenden Faktor zu theoretisieren, kann er das zentrale Defizit liberaler

Theoriebildung überwinden, welche sich durch eine „genetischen Blindheit“ gegenüber

kulturellen Phänomenen äußert. Die liberalen Theorien des „demokratischen Friedens“

greifen in ihrer Argumentation zwar auf kulturelle Faktoren zurück. Allerdings besteht das

Hauptproblem der normativen Erklärung in der unplausiblen Annahme einer fixierten

pazifistischen Grundhaltung demokratischer Bürger und Eliten.

„Derlei konkurrierende, Identität stiftende Normen und Ideen, die möglicherweise die tendenzielle

Friedlichkeit von Demokratien beeinträchtigen oder gar in ihr Gegenteil verkehren, sind jedoch vor allem in der amerikanischen, vorwiegend quantitativen Forschung zum demokratischen Frieden

weitgehend unter den Tisch gefallen. Indem der Schwerpunkt auf formale demokratische Prinzipien und

Institutionen als Bedingung für gewaltfreies Konfliktverhalten gesetzt wird, geraten die normativen und

ideologischen Voraussetzungen aus dem Blick. Sie werden schlicht als universal angenommen und

nicht weiter hinterfragt. Doch gerade wenn die Forschung die Grenzen der westlichen Welt

überschreitet, muss diese behauptete Universalität utilitaristischer und normativer Präferenzen erheblich

angezweifelt werden.“218

Diese limitierte Perspektive macht eine systematische Untersuchung möglicher Gefährdungen

der demokratischen Friedensneigung durch konkurrierende, auf das politisch-kulturelle

Selbstverständnis von Gemeinwesen basierende Ideologien und Präferenzen unmöglich. Mit

Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt ist es möglich, den eingeschränkten Blickwinkel der

liberalen Wissenschaftstradition zu erweitern und die potenziell gewaltgenerierenden

kulturellen Phänomene zu thematisieren.219

Mit dem kulturtheoretischen bzw.

„zivilisationskritischen Ansatz wird es möglich, die (tiefen-)kulturellen Muster und Prägungen, die den

Rechtsordnungen und Institutionen zugrundeliegen, als Quelle und Katalysator von direkter und

struktureller Gewalt analytisch habhaft zu machen. Die Arbeit von Friedensforschern und

Friedensaktivisten ist nun darauf gerichtet, nach Mitteln und Wegen zu suchen, diese ‚Programmierung‘ bzw. Codes zu entschlüsseln und so einer gemeinsamen Bearbeitung durch die an einem Konflikt

beteiligten Seiten zugänglich zu machen.“220

Entsprechend betont Galtung, dass „Pazifismus/ Bellizismus von anderen Variablen abhängen

[könnten], wie z.B. der Tiefenkulturen (Expansionismus, Manichäismus, Singularismus/

Universalismus), die quer stehen zur Demokratie/ Nicht-Demokratie-Untersuchung.“221

Insgesamt hat Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt der Friedensforschung

„den Dienst erwiesen, dass es die die Aufmerksamkeit auf völlig neue Aspekte gelenkt hat. Die

Verdienste […] lassen sich wie folgt umreißen: - Unfriede lässt sich mit der kulturellen Gewalt (wie mit der strukturellen Gewalt) auch dort aufspüren,

wo kein Krieg herrscht – also ‚Frieden‘.

- Der Begriff der kulturellen Gewalt deckt den Beitrag der Kultur zur Gewalt und zum Krieg auf. Wurde

bisher Kultur in den Zivilisationstheorien stets als das gute Gegenstück zum bösen Krieg gesehen, so

wird durch Galtungs Konzept eine völlig neue Perspektive möglich. Kultur ist weder rein gut noch rein

218 Baumgart-Ochse (2008), S. 64. 219 Ähnlich argumentiert Schrader: „Das Aufbrechen des Reduktionismus liberaler Theorien des

‚demokratischen Friedens‘ bietet die Chance, ihre methodologischen Aporien und theoretischen Antinomien in

Bezug auf eine angemessene Analyse und Konzeptualisierung außenpolitischer Willensbildungs- und

Entscheidungsprozesse in Demokratien zu überwinden.“ Schrader (2003), S. 177. 220 Schrader (2000), S. 231. 221 Galtung (2001), S. 95 (Fußnote 58).

41

schlecht, sondern enthält Aspekte von beidem.

- Die Untersuchung der Kultur lässt auch eine verstärkte Kritik bestimmter Kulturen zu“222.

Allerdings schöpft Galtung das Potenzial seiner Theorie der kulturellen Gewalt nicht aus, was

ich anhand der Darstellung seiner Analyse demokratischer Kriegsneigung im Folgenden

beispielhaft demonstrieren will. Galtung bezweifelt die grundsätzliche, auf normative Erwägungen basierende

Friedensneigung demokratischer Regierungsformen. Demokratie ist für ihn „mit

Gewaltausübung großen Ausmaßes kompatibel, das heißt, sie führt nicht nur (gelegentlich)

Kriege, sie ist bellizistisch.“223

Auf Basis seiner kulturtheoretischen Perspektive führt er diese

demokratische Gewaltaffinität auf die tiefenkulturellen Codes der okzidentalen Zivilisation

zurück. Die Tiefenkultur dieser westlichen Kosmologie versammelt „ein riesiges

Gewaltpotenzial, das auf der manifesten Ebene der Kultur zum Ausdruck gebracht und dazu

benutzt werden kann, all das zu rechtfertigen, was eigentlich nicht zu rechtfertigen ist“224

.

Insgesamt zeigt der Okzident „so many violent features that the whole culture starts to look

violent”225

. Zu den wichtigsten Charakteristka des Okzidents I zählen der

Transzendentalismus, der Monotheismus, der Universalismus, der Singularismus

(Gültigkeitsmonopol) und der Individualismus. Diese Hauptmerkmale manifestieren sich in

der Kosmologie des Okzidents I in den durch

„- die drei abrahamitischen Religionen geprägten gesellschaftlichen Entitäten bzw. Regionen mit ihrer

jeweils transzendenten monothetischen Gottesvorstellung und deren säkularen Nachfolgern, wie dem

Nationalismus oder der Ideologie;

- mit ihren akteursorientierten und zur Hierarchiebildung neigenden Gesellschaftsformen, an deren Spitze der Mann steht;

- mit der Vorstellung der Auserwähltheit im Judentum, im Islam, im Westen und dem Anspruch vor

allem des Christentums bzw. heute des Westens und des Islams auf universale Gültigkeit, worauf sich

die Vorstellung von einem Gefälle vom Selbst zum anderen begründet, was potenziell Speziezismus,

Rassismus, Klassenhass, Sexismus hervorbringt;

- mit ihrer Vorstellung von Dichotomie, die das Selbst als das Gute, das Andere als das Böse wahrnimmt,

die sich in einem ständigen Entscheidungskampf befinden“226.

Eine zentrale Komponente kultureller Gewalt identifiziert Galtung in der gängigen

Gegenüberstellung von Gott und Satan, welche aus den Glaubensvorstellungen des Okzidents

entspringen. Dies ist für Galtung deshalb von entscheidender Bedeutung, weil mit den

Vorstellungen von Gott und Satan die Voraussetzung für Freund-Feind-Konstruktionen

geschaffen wurden. Die Idee des Satans liefert das „Rohmaterial für die Konstruktion von

222 Majer (2003), S. 98. 223 Galtung (2001), S. 98. 224 Galtung (1998a), S. 363. 225 Galtung (1998a), S. 363. 226 Schmidtke (1998), S. 49.

42

Feindbildern“227

. Das Potenzial westlicher kultureller Gewalt resultiert allerdings nicht alleine

aus einem manichäischen Weltbild. Einen weiteren wichtigen Faktor stellt „die Idee, ein

Auserwähltes Volk zu sein“228

dar. Brisant ist dieses Auserwähltheitsbewusstsein, da es sich

auf eine monotheistische Glaubensstruktur stützt, welche die Vorstellung von Exklusivität in

sich trägt. Aus dieser Kombination resultiert die Überzeugung, dass „der konkrete Glaube

oder die konkrete Religion die einzige Wahrheit (Singularismus) [sei] und gültig an allen

Orten und für alle Zeiten (Universalismus)“229

. Der Weg von der Überzeugung an die eigene

universale Wahrheit hin zum missionarischen Auftrag ist dann nicht mehr weit; er ist die

„logische Folge des Singularismus cum Univeralismus“230

. Getragen vom fundamentalen

Glauben an die eigene Unschuld und von der Überzeugung von der prinzipiellen Richtigkeit

des eigenen Handelns ergibt sich ein tiefenkulturell manifestiertes Sendungsbewusstsein,

welches zum Ziel hat, die eigenen überlegenen Ordnungsvorstellungen in die Welt zu tragen.

„In other words, the Western social cosmology includes the idea of changing the cosmology

of others.”231

Im Missionsgedanken sieht Galtung ein wesentliches Fundament kulturellen

Gewaltpotenzials, da es – wenn auch nur unbewusst – die Legitimationsgrundlagen

bereitstellt, Gewalt zur Erfüllung des gottgegebenen Auftrags einzusetzen.

Insgesamt ist der Okzident

„der Neigung nach expansionistisch, Fortschritt mit Expansion identifizierend, Krisen eigener Machart

ansteuernd, und diese als normal betrachtend, […] rücksichtslos gegenüber der Natur, begierig darauf,

die eigene Peripherie durch Eroberung anderer Völker zu erweitern, politisch, militärisch, wirtschaftlich

und/ oder kulturell getrieben entweder durch abendländische Götter […], deren erwählte Völker sie sind

[…], oder durch solch weltliche Versionen wie den Nationalismus.“232

Aus der tiefenkulturellen Analyse der westlichen Zivilisation ergibt sich für Galtung nun ein

logischer Zusammenhang zur demokratischen Gewaltaffinität.

„Die kriegswilligsten Kulturen der Welt scheinen die jüdisch-christlich-islamisch inspirierten Kulturen

zu sein, mit ihrem Auserwähltheitsglauben, ihrem Singularismus (Anspruch auf eine einzige Wahrheit)

und ihrem Universalismus (Anspruch auf deren Weltgeltung, wobei der Judaismus hier eine Ausnahme

macht). Das Jüdisch-Christliche bestätigt sich aber auch an einer Kultur, die Demokratien durch einen

kompetitiven Individualismus beflügelt […]. So gelangen wir also zu einem gemeinsamen kulturellen

Faktor, der Demokratie mit Bellizismus verbindet und nicht mit dem Pazifismus der buddhistischen

Zivilisation, der weniger individualistisch ist und daher auch weniger demokratisierend im westlichen

Sinne wirkt.“233

An anderer Stelle variiert er seine Diagnose nochmals:

„An dieser Stelle geht es darum, dass Menschen, die in Demokratien leben, selbstgerecht sind, eben

weil sie in Demokratien leben. […] Auf demokratischer Seite ist man nur zu willig, dem Ruf zu folgen

227 Galtung (1998a), S. 381. 228 Galtung (1998b), S. 210. 229 Galtung (1998a), S. 374. 230 Galtung (1998b), S. 211. 231 Galtung/ Heiestad/ Rudeng (1979), S. 17. 232 Galtung (1998a), S. 406. 233 Galtung (2001), S. 106.

43

und zu versuchen, Diktaturen mit Hilfe von politischen und ökonomischen Sanktionen auf den richtigen

Weg zu bringen, wenn nötig auch mit militärischen Mitteln. Ein derartiger Krieg wird mehr als Pflicht

denn als Recht betrachtet; man führt ihn ja nicht aus egoistischen Gründen, sondern um andere Länder

vor gefährlichen, expansionistischen Diktaturen zu retten. Als weiterer Grund gilt der, dass man den

Menschen, die unter solchen Diktaturen leiden, zu Hilfe kommen will. […] Demokratien führen also

Krieg gegen bösartige Diktaturen und projizieren auf diese ihre eigene Repressivität und ihren eignen

Expansionismus, so wie das wahrhaft Selbstgerechte immer tun.“234

Nun wird Galtungs tiefenkulturelle Analyse der westlichen Zivilisation durch eine empirische

Unregelmäßigkeit theoretisch herausgefordert. So existieren auf der einen Seite Demokratien,

die ihre Militanz gegenüber Nicht-Demokratien permanent unter Beweis stellen und auf der

anderen Seite demokratische Staatsformen, die sich durch grundsätzliche Abwesenheit

aggressiver Außenpolitik auszeichnen.

„[…] [D]ie Präferenzmuster von Demokratien [weisen] kein einheitliches, ihnen allen gemeinsames,

über Zeit konstantes Schema auf. Weder herrscht durchgehend der unverbrüchliche Friedenswille erga

omnes, noch verbindet sich überall der Wunsch nach Frieden mit Demokratien mit der Neigung zu gewaltsamen Scharmützeln mit Nichtdemokratien. Es öffnet sich vielmehr ein Kontinuum zwischen der

Haltung, gegenüber Nichtdemokratien friedlich und kooperativ aufzutreten, und der Bereitschaft, gegen

dieses vermeintlich maliziöse Gegenüber schnell mit den Gewaltinstrumenten bei der Hand zu sein, auf

dem sich die Demokratien positionieren.“235

Deshalb stellt Harald Müller fest, dass „[i]n der zentralen Frage des Demokratischen Friedens,

der Anwendung von Gewalt, […] sich die Polarität militante/ pazifistische Demokratien als

wichtigste Dimension“ 236

anbietet. Gerade an dieser Stelle verliert Galtungs Theorie der

kulturellen Gewalt aber entscheidend an Substanz. Indem Galtung versucht die demokratische

Gewaltneigung als Ausfluss eines zivilisatorischen Codes zu betrachten, verliert er

notwendigerweise den Blick für kulturelle Details und Varianzen. „Galtung versucht bei

seiner Analyse der Kosmologien natürlich eine Reduktion zu erreichen, um

Hypothesenbildung zu ermöglichen und eine Taxonomie zu erstellen, muss dann aber auf die

Komplexität der dynamischen Interaktionen der Kulturen verzichten.“237

Indem Galtung seine

Untersuchung auf die zivilisatorische Perspektive ausweitet, berücksichtigt er nicht, dass es

große innerzivilisatorische Differenzierungen238

gibt und diese zu völlig unterschiedlichen

Gewaltrechtfertigungsstrategien führen können. Ähnlich wie die liberale Theoriebildung kann

also auch Galtung mit seinem makro-kulturellen Ansatz weder den Friedensüberschuss

234 Galtung (2001), S. 108f. 235 Müller (2007), S. 290. Ähnlich Müller/ Wolff: „The statement ‚democracies are peaceful to each other and

bellicose in generale‘ is an aggregate statement on the behavior of democratic states. This apparent average is an

academic artefact and hides the fact that some democracies are almost continuously involved in military action

which they frequently initiate, while others are apparently at eternal peace.” Müller/ Wolff (2004), S. 4. 236 Müller (2007), S. 307. 237 Majer (2003), S. 96. 238 Die Problematik Galtungs makrokultureller Perspektive zeigt sich beispielsweise in folgender

Verallgemeinerung: „Darüber hinaus kann ich der Auffassung nicht zustimmen, Deutschland habe sich in den

Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges so sehr von England und Frankreich unterschieden.“ Galtung

(2001), S. 95 (Fußnote, S. 58).

44

zwischen Demokratien noch die Varianz demokratischer Kriegsneigung schlüssig erklären.239

Die „genetische Blindheit“ der liberalen Theorie gegenüber kulturellen Phänomenen tauscht

Galtung ein gegen eine „genetische Blindheit“ gegenüber kulturellen Varianzen.

An dieser Stelle erscheint es mir sinnvoll, eine theoretische Grundsatzfrage zu diskutieren.

Kann überhaupt davon gesprochen werden, dass das „Handeln von Mitgliedern und ‚Eliten‘

einer Zivilisation „[…] in den Fragen von Friede, Konflikt und Entwicklung“ durch eine

Tiefenkultur „konditioniert“240

wird. Gibt es einen direkten Weg von einer zivilisatorischen

Präkognition zur Gewalt? Konditioniert beispielsweise Singularismus und Universalismus zur

direkten oder strukturellen Gewalt? Sind nicht auch andere, friedlichere und gerechtere

Interpretationen möglich? Anders herum gefragt: Konditioniert beispielsweise die

buddhistische Tiefenkultur zum direkten und strukturellen Frieden? Sind nicht auch

gewaltförderliche Interpretationen möglich?241

Solche aus meiner Sicht „spielentscheidenden“ Variationen auf der Oberflächenkultur geraten

bei Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt aufgrund seines zivilisationskritischen Ansatzes

aus dem Fokus.

„Dieser makrokulturelle Ansatz dient daher vor allem dem Verstehen von kulturellen Gegebenheiten in

einem größeren Kontext […] was […] natürlich mit sich bringt, dass die ‚feinen‘ Unterschiede

vernachlässigt werden. In diesem Punkt tappt die hier angewandte Methode der Kulturkritik des

Okzidents vielleicht wieder genau in die Falle, der zu entkommen ihre Intention ist, nämlich das Große anvisierend, das Kleine zu vernachlässigen.“242

Bezeichnenderweise sind es gerade die kulturellen „feinen Unterschiede“, die letztlich die

Fragen von Leben und Tod (mit-)entscheiden. Nun kann man weiter Fragen, ob Galtungs

zivilisationskritischer Ansatz nicht gerade den Blick auf die variablen „(tiefen-)kulturellen

Muster und Prägungen, die den Rechtsordnungen und Institutionen zugrundeliegen“243

versperrt. Aus meiner Sicht schöpft Galtung Theorie der kulturellen Gewalt ihr Potenzial hier

239

So muss Galtung beispielsweise bei der Erklärung des demokratischen Separat-Friedens auf strukturell-

ökonomische Argumente ausweichen. Das Kosten-Nutzen-Kalkül ist letztlich entscheidend für den faktischen

Friedensüberschuss zwischen Demokratien, weil Ausbeutung und Unterdrückung auf diese Weise reibungsloser

funktionieren. „Ich fürchte, wenn sie sich nicht bekriegen, dann darum, weil sie mehr zu gewinnen haben, wenn

sie zusammenhalten zwecks Verteidigung ihrer Privilegien im Weltsystem, als wenn sie einander bekämpfen;

darüber hinaus mögen sie bedroht sein von unten […], das fördert den Zusammenhalt.“ Galtung (2001), S. 95 (Fußnote 58). 240 Schmidt (2005), S. 34. 241 Ähnlich fragt Walter: „Und überhaupt: bedarf es generell einer solchen Theorie, um die benannten

Phänomene zu erklären? Sind sie – gerade unter tiefenpsychologischem Aspekt nicht auch anders versteh- und

interpretierbar? So interessant ich Galtungs Ansatz der Verbindung zwischen individueller Psyche, kollektiver

psychischer Mechanismen und Tiefenstrukturen und kultureller, politischer und sozialer Phänomene halte, in

deren Durchführung ist zu unmittelbar von einem ‚kollektiven Unterbewusstsein‘, - was das ist, bleibt völlig

unklar -, auf politische, kulturelle und gesellschaftliche Prozesse im Sinne deren reduktionistischer Erklärung

geschlossen; sie sind mir zu psychologistisch mit der Tendenz zu deren Mystifizierung und Entpolitisierung.“

Walter (1998), S. 51. 242 Brousek (2008), S.66. 243 Schrader (2000), S. 231.

45

nicht aus, da sie beispielsweise aus der Logik des zivilisatorischen „kulturellen genetischen

Codes“ nicht erklären kann, warum einige Demokratien militant sind und andere nicht. Wenn

man die Ausrottungsideologie eines Nazi-Deutschlands und die US-amerikanische Militanz

als Ausgeburten ein und derselben okzidentalen Tiefenkultur betrachtet, schüttet man das

Kind mit dem Bade aus. Wenn man die Varianzen innerzivilisatorischer kultureller Gewalt

nur als unterschiedliche Werte auf einer Richterskala wahrnimmt244

, dann gerät das

„Verstehen“ der Gewalt aus dem Blickfeld.245

Ein weiterer Punkt soll in diesen

Zusammenhang angesprochen werden. Gerade weil die demokratische Gewaltbereitschaft

variabel ist, muss eine erfolgreiche Kulturtransformation immer an reale gesellschaftliche

Entwicklungen anknüpfen. Dass Entwicklungen und Erfahrungen von Kollektiven immer

auch jeweils individuell verarbeitet werden, heißt für die Friedensforschung: jede

Gewaltkultur benötigt ihre einige Transformationsstrategie. Diese Dimension verliert Galtung

durch sein starres und überdimensioniertes Tiefenkultur-Konzept aus den Augen246

:

„However, he got to this point by isomorphically transposing an underexplored individual psychology

onto collective actors such as states. A more fruitful route might have been to examine comparatively

the political culture and social structures within certain states in order to examine why some states

appear to act with a greater sensitivity to moral dictates than others – an anthropology of innate power.

No such exploration was even tentatively undertaken, hardly surprising given that the state was to have

little place in his preferred world.”247

Mit diesen Hinweisen möchte ich die Diskussion der theoretischen Problematik der Theorie

der kulturellen Gewalt nun weiter vertiefen. Hierzu möchte ich zunächst auf (weitere)

methodisch-empirische Schwierigkeiten hinweisen und dann eine grundlegende theoretische

Diskussion anschließen.

244 „In meiner Konflikttheorie und Zivilisationstheorie des Westens sehe ich das nicht als einen spezifischen Zug

von Hitler an, sondern als superteutonisch. Und das Teutonische bezeichne ich als superabendländisch, d.h. als

extremen Auswuchs eines westlichen Konfliktdenkens. Also einige Schritte extremer, aber nicht so viel

extremer.“ Graf/ Macho (2010), S. 24. 245

Für Galtung gilt deshalb Ähnliches wie für „klassische Kulturtheorien“ allgemein: „Zu den ,klassischen

Kulturtheorien‘ […] ist zusammenfassend festzustellen, dass sie sich in nicht mehr haltbaren Auffassungen über

Kultur verfangen. Obwohl sie sich zur Aufgabe machen, fremde Kulturen zu ‚verstehen‘, arbeiten sie

vorwiegend naturwissenschaftlich orientiert, indem sie beschreiben, ordnen und kategorisieren. Dies reicht nicht

aus, um zu einem tiefergehenden Verstehen zu gelangen.“ Leifeld (2002), S. 84. 246 Gebhardt verweist darauf, dass auch im „Westen“ hierzu genug Ansatzpunkte gibt: „Wenngleich nun insbesondere die angelsächsischen Demokratien in ihrem Selbstverständnis eine gleichsam linear verlaufende

Entwicklungslogik im westlichen Zivilisationsprozess von der Magna Charta zur modernen Demokratie

postuliert haben, so wird von einem geschichtskritischen Gesichtspunkt aus auf die Diskontinuitäten und Brüche

in der westlichen Zivilisationsgeschichte hingewiesen werden müssen. Den griechisch-römischen, germanisch-

aristokratischen und christlich-jüdischen Ursprüngen der europäischen Welt entsprangen eine Vielzahl

miteinander verknüpfter Entwicklungen, die insgesamt die Vielgestaltigkeit des westlichen

Zivilisationsprozesses bewirkten. […] [Es] waren eine Pluralität geistes- und gesellschaftsgeschichtlicher

Traditionen wirksam, die die eigentümliche Mannigfaltigkeit nationaler politischer, religiöser, kultureller und

sozioökonomischer Ordnungsgestaltungen hervortrieben. Das variationsreiche Zusammenspiel von

geschichtsmächtigen Ideal- und Realfaktoren im europäischen Zivilisationsraum äußerte sich in einer Vielzahl

nationaler Sonderwege […].“ Gebhardt (1996), S. 8. 247 Lawler (1995), S. 176.

46

Grundsätzlich erscheint Galtungs Vorhaben einer objektiven Darstellung eines

tiefenkulturellen Bauplans durch eine systematisch-deskriptive Methodik problematisch. Das

strukturalistisch-mentalistische Kulturverständnis wird weiterhin von der positivistischen

Grundüberzeugung geleitet, dass die Beobachtung und Kategorisierung objektiver kultureller

Tatsachen möglich sei.

„Nonetheless, his tendency to objectivize the categories of civilization and culture suggests that,

intentionally or otherwise, the mantle of scientism has not been entirely discarded. A plethora of

cautionary arides notwithstanding, Galtung’s analysis of civilizations and cultures proceeds as if they

can be unequivocally discerned independently of discourses endeavoring to interpret them.”248

Brousek verweist in diesem Zusammenhang auf ein fundamentales wissenschaftstheoretisches

Problem: „Galtung betont zwar, dass die Methode der Empirie aufgrund ihrer vermeintlichen

Wertneutralität unzureichend ist, tut dies aber in einer Art, die uns glauben machen könnte,

dass es nach wie vor ‚rein‘ empirische Wissenschaften gäbe.“249

Nun kann aber auch das hohe

Abstraktionsniveau Galtungs strukturalistischer Kulturtheorie die Objektivität seiner

Untersuchungen nur suggerieren aber nicht herstellen. Selbstverständlich ist sein Blickwinkel

durch Sozialisation, Lebenserfahrung und Kultur subjektiv geprägt. „Das theoretische Ideal

der ‚Kulturfreiheit‘ des Forschers kann nicht erreicht werden, weil er selbst, wie alle anderen

Menschen auch, an unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten partizipiert, die nicht einfach –

wie ein Kleidungsstück – abgelegt werden können.“250

Dass auch Galtung nicht frei ist von

kulturellen Prädispositionen wird besonders in seinen einseitigen empirischen Studien

deutlich. „Tatsächlich lässt sich nicht leugnen, dass Galtungs Kritik an der okzidentalen

Tiefenkultur zumindest phasenweise derselben (Tiefen-)Struktur unterliegt, der zu

entkommen seine Intention gewesen sein dürfte.“251

Durch seine binären Grenzziehungen

zwischen Gut (Orient) und Böse (Okzident), Innen und Außen, Inklusion und Exklusion

reproduziert Galtung letztlich jenes manichäische Weltbild, welches er selbst so ablehnt.

„Den Beschreibungen sind jedoch Tendenzen zu einer Dichotomie zwischen bösem Okzident und

besserem Orient schwer abzusprechen. Sehr leichtfertig werden pauschale Beschreibungen von

Kulturen abgegeben. […] Die Grenze zwischen dem Westen mit seinen „katastrophalen Ideen"

(transzendentaler Gott, Nationalstaat) und einer vermeintlich friedlicheren orientalischen Kosmologie

wird zu klar gezogen, um wirklich begründbar zu sein. […] Der Verdacht liegt nahe, dass er mit diesen Charakterisierungen und gezeichneten Dichotomien genau die Denkmuster des Okzidents anwendet, die

er selber als verachtenswert beschreibt.“252

248 Lawler (1995), S. 192. 249 Brousek (2008), S. 50. 250 Leifeld (2002), S. 123. 251 Brousek (2008), S. 70. 252 Majer (2003), S. 94. Ebenso Lawler:„Galtung’s choice of in-group or out-group, his preferred ‚other,’ may

accord more with contemporary progressivist fashion, but in so starkly (re)inscribing the boundaries between

inside and outside, or good and bad, he simply perpetuates those features of occidentalism that he apparently

despises.” Lawler (1995), S. 218.

47

Zudem wird durch Galtungs kritiklose Präferenz der pazifistischen buddhistischen

Kosmologie253

, bei deren Illustration die Grenzen zwischen Realität, Wunschgedanke und

Vorurteil fließend sind, das gesamte tiefenkulturelle Experiment „a large exercise in definitive

essentialism premised upon a core dualism of Occident and Orient“254

.

Es ist überhaupt die Frage, ob die tiefenkulturellen Homogenitätsvorstellungen nicht selbst

das Ergebnis eines vorurteilsbehafteten Weltbildes sind, in welchem alle unpassenden

Elemente willkürlich ausgeblendet werden.255

„Die vorgeblichen Einheiten der Kultur, die fixen Sinngrenzen, die distinkten Ideen- und Sinnsysteme,

die totalen sich selbst reproduzierenden Lebensformen stellen sich […] eher als semantische Produkte

jener nicht immer bewussten Intellektualisierungsstrategien dar, die nach eindeutigen Einheiten sucht

und die Unreinheiten der ‚mangle of practice‘ meidet, eine Strategie, die Pierre Bourdieu […] als

‚scholastischen Habitus‘ umschreibt.“256

Darüber hinaus fragt sich Walter,

„[w]as außer phänomenologischen (und darin bereits interpretierenden und interpretierten)

Beschreibungen die Gründe [sind], dass bestimmte von Galtung z.B. als ‚okzidental‘, ‚indisch‘, ‚buddhistisch‘, ‚sinisch‘, ‚nipponisch‘ etc. […] benannten kollektive psychische Tiefenstrukturen

gerade da auftreten, wo sie nach Galtungs Ausführungen auftreten. Impliziert dies nicht eine letztlich

geo-kulturelle und damit geo-psychologische und geo-politische (bzw. um es schärfer zu formulieren:

eine geo-rassische) Auffassung psychischer Phänomene […]“257.

Auch wenn man den Vorwurf des Georassismus nicht teilen muss, sind insgesamt in

empirisch-methodischer Hinsicht die Essentialisierung kultureller Differenzen und eine

frappierende Ignorierung postmoderner, anti-positivistischer kulturtheoretischer Argumente

zu kritisieren.

Gravierender als Galtungs methodisch-empirische Unzulänglichkeiten sind aus

friedensorientierter Sicht allerdings Galtungs theoretische Schwierigkeiten. Drei Punkte

möchte ich in diesem Zusammenhang näher diskutieren:

253 Indem Galtung dieser Kosmologie keinen ying-yang Aspekt zuschreibt, fällt er hinter seinen eigenen

Anspruch zurück. Die Tiefenkulturen des Orients verbleiben hier im Singular. Scharfsinnig kommentiert diesen

Sachverhalt Brousek: „Es mangelt im Fall der Analyse orientaler Zivilisationen schlichtweg an Versuchen, eine

Erklärung für gegenwärtige sich dort abzeichnende Trends zu liefern. Denn im Falle, dass alles für den Orient

Untypische mit der fortschreitenden Verwestlichung abgetan wird, untergräbt man die Ernsthaftigkeit der bei

weitem brauchbareren Kritik der okzidentalen Tiefenkulturen. Es bräuchte genauso wie das für den Okzident

geschieht, Konzepte die zur Erklärung kulturellen Wandels dienen. Auch in orientalischen Kulturen müssen innerkulturelle Voraussetzungen gegeben sein, die eine ‚Verwestlichung‘ zulassen.“ Brousek (2008), S. 69. 254 Lawler (1995), S. 218. An anderer Stelle heißt es: „The fallacy of the occidental depiction of the world as

composed of a superior core and a lesser periphery in need of enlightenment was being supplanted with a hardly

more nuanced division of the world into Occident and Orient. Ostensibly, Galtung’s dualism differed in its

preference for East over West; yet Galtung’s preferred Orient skated uncertainly between the real and the

imaginary, sensitivity and sheer prejudice.” Lawler (1995), S. 234. 255 Galtung selbst scheint damit kein Problem zu haben: „Ja, die Kritik gegen meine Art der Forschung ist, dass

ich immer die Beispiele nehme, die passen und nicht die, die nicht passen. Das ist selbstverständlich richtig. Das

hat mit der Methode selbst zu tun. Ich möchte die Muster, die Invarianzen auffinden und kenntlich machen.“

Graf/ Macho (2010), S. 46. 256 Reckwitz (2005), S. 108. 257 Walter (1998), S. 51 (Fußnote 196).

48

- die „Hypostasierung des Überlieferungszusammenhangs“258

;

- die Akteurslosigkeit;

- die fehlende Theoretisierung tiefenkulturellen Wandels.

Grundproblematisch erscheint, dass Galtung eine Kosmologie als vererbtes ideelles Ganzes

definiert, deren Attribute durch den Sozialisationsprozess unverändert von einer Generation

zur nächsten weitergereicht werden. Wie diese kosmologische Invarianz gewährleistet wird,

bleibt bei Galtung theoretisch unterbelichtet. Die Entstehung und Reproduktionsmechanismen

von Kosmologien werden, wenn überhaupt nur schematisch beschrieben, allerdings an keiner

Stelle systematisch theoretisiert. Galtung setzt statische kosmologische Momente somit a

priori voraus, ohne die Frage ihrer „politischen“ Konstitution in seine Analyse zu integrieren.

Kosmologien sind als Ergebnis einer nicht weiter spezifizierten „anonymen Sinnstiftung“

völlig losgelöst von der Frage nach der Entstehung von kollektiven Sinnzusammenhängen.

„Galtung showed no interest in critically examining the social origins or substantive ethical

content of the cosmologies themselves.”259

Durch die unbeantwortete Frage nach einer

„Autorschaft“ der Kosmologie wird sie zu einer „gleichsam unabhängig gegebenen Größe

hypostasierenden Kollektiv-Vorstellung[..]“260

. Das Problem, welches sich durch solch eine

„Hypostasierung des Überlieferungszusammenhangs“ ergibt ist, dass die Funktion der

Kosmologie „bei der Steuerung der gesellschaftlichen Praxis […] ungeklärt [bleibt]“ so lange

„die Genealogie dieser Tiefenkulturen im Dunkeln verbleibt“261

. Hier zeigt sich, dass Galtung

in vieler Hinsicht ein tendenziell apolitisches bzw. politisch-reduziertes Kulturverständnis

vertritt. Dies hat zur Folge, dass statische kosmologische Momente a priori voraussetzt

werden, ohne die Frage ihrer „politischen“ Konstitution in seine Analyse zu integrieren. In

diesem Zusammenhang ist ein „dringendes Desiderat bei der Begründung und Erprobung des

Kosmologiekonzepts, auch im Vergleich zur herkömmlichen Ideologiekritik“262

angesprochen.

Die fehlende Thematisierung der Genealogie der Tiefenkulturen ist allerdings nicht zufällig,

sondern Resultat Galtungs problematischer mentalistisch-strukturalistischer

Kulturkonzeption. Indem Galtung eine kulturtheoretische Subjekt-Objekt-Dichotomie

postuliert und die subjektive Oberflächenkultur nur als Juniorpartner der objektiven

Tiefenkultur definiert, gehen ihm notwendigerweise wichtige theoretische

Erklärungspotenziale verloren. Da die Tiefenkultur quasi von einer semi-permeablen

258 Mit dieser Formel kritisiert Habermas Gadamers Hermeneutik-Verständnis. Habermas (1982), S. 361. 259 Lawler (1995), S. 180. 260 Sigwart (2012), S. 257. 261 Schmidt (1999), S. 47. 262 Schmidt (1999), S. 47.

49

Membran umgeben ist, welche Informationen nur in eine Richtung, nämlich in die Richtung

der Oberflächenkultur passieren lässt, bleibt die Entstehung der Kosmologie eine

theorieinduzierte Blindstelle. Da die Oberflächenkultur theoretisch keine

Einflussmöglichkeiten auf die Tiefenkultur besitzt, erhält Galtungs kulturtheoretische

Konzeption Einbahnstraßencharakter.263

Galtung selbst scheint diese Problematik erkannt zu

haben. Indem Galtung seinen Begriff der „kultureller Gewalt“ in unmittelbare Beziehung zu

statischen objektiv-geistigen Zusammenhänge stellt, fällt es ihm allerdings schwer seine selbst

errichtete kollektivistische und apolitische Hürde der Kosmologie friedenstheoretisch zu

überspringen. Um nicht in eine ausweglose friedenstheoretische Sackgasse zu geraten,

konstruiert Galtung einen theoretischen Kunstgriff. Galtung räumt schlicht die Möglichkeit

der Existenz mehrerer Kosmologien ein. Da aber Galtung nicht erklären kann, wie und warum

diese sekundären Kosmologien entstanden sind, bleibt sein theoretisches Unterfangen wenig

überzeugend. Ebenso ist völlig unklar „warum sich in der orientalischen Kultur so viel mehr

weiche Aspekte herausbilden konnten als im Westen“264

. Insgesamt bleibt Galtungs

theoretisches Grundproblem weiter bestehen: Kosmologien werden weiterhin als

unveränderliche Größen theoretisiert, die gegenüber der Beeinflussung durch die

Oberflächenkultur resistent sind. Die prinzipielle progressive Offenheit tiefenkultureller

Entwicklungen wird negiert.

„Dringendes Desiderat, zu Erkenntnis- wie zu Handlungszwecken, wäre [deshalb] zweifellos der Aufweis genereller wie zivilisations- und gesellschaftsspezifischer Zwischenglieder und

Vermittlungsprozesse zwischen Tiefen- und Oberflächenstrukturen, die zugleich das Wirken und die

Entfaltung tiefenkultureller Bestände in Politik, Ökonomie, Militär und Kultur (und ggf. vice versa)

nachvollziehbar und thematisierbar machten.“265

Aus dem fehlenden Gedankenschritt, der aufzeigt, wie tiefenkulturelle Bestände produziert

werden, resultieren nun weitere (friedens-)theoretische Schwierigkeiten. Konkret ergeben sich

durch theoriearchitektonische Konstruktionsmängel erhebliche Konsequenzen für die

theoretischen Möglichkeitsbedingungen für kulturellen Wandel und für ontologische

Konzeptionen des Akteurs.

In der Tradition der mentalistisch-strukturalistischen Kulturtheorie stehend, ist Galtungs

Konzeption der Tiefenkultur dem Verfügungsbereich des Menschen tendenziell entzogen.

Innerhalb seiner tiefenkulturellen Konzeption sehe ich – von einigen Lippenbekenntnissen

263 Diese Problematik diagnostiert Brown auch für Galtungs Strukturbegriff: „While this is generally acceptable,

it does tend to push to one side an important feature of structure, namely the continual interplay of structure and

action. Galtung’s formulation seems to suggest an initial creation of structure after which the relationship

between structure and action is one-way only; this presents considerable logical difficulties since it portrays

structure as a ‚thing’, a sort of supernatured presence that influences without being influenced. This is an un-

necessary oversimplification and one that at times leads Galtung into trouble […].” Brown (1981), S. 223. 264 Majer (2003), S. 97. 265 Schmidt (1999), S. 46.

50

mal abgesehen – nicht, wo Galtung an einer substantiellen „Beeinflussbarkeit und

Veränderbarkeit sozialer Systeme durch individuelle und kollektive Akteure fest[hält]“266

.

Der Aussage, dass Galtung „[d]en Akteuren […] eine Schlüsselrolle für die Unterbrechung

und Transformation struktureller Muster von Gesellschaften zu[misst]“267

, kann ich nur wenig

Plausibilität abgewinnen. Jedenfalls bleibt die Rolle der Akteure unterbestimmt und es fehlt

die „theoretische Ausbuchstabierung und Verankerung innerhalb des konzeptionellen

Gesamtzusammenhangs“268

. Zwar haben Akteure die Möglichkeit durch Selbstthematisierung

und interkulturellen Dialog die Gewaltpotenziale ihrer Kultur zu erkennen. Außerdem haben

sie theoretisch die Möglichkeit, sich tiefenkulturellen Elemente zu entledigen und auf

rezessive tiefenkulturelle Bestände zurückzugreifen. Aufgrund der fehlenden Theoretisierung

der Entstehung von Kosmologien bleibt die Rolle des Akteurs aber diffus. Deshalb bin ich mit

Lawler der Meinung, dass „[a] […] significant flaw in Galtung’s foundational model of peace

research was the absence of any sustained consideration of collective or individual agency”269

.

Durch die „Anonymisierung“ kultureller Sinnstiftungsprozesse verliert Galtung die Sinnstifter

aus dem Blick und die aktive tiefenkulturelle Neuerfindung bleibt ein blinder Fleck in

Galtungs theoretischem Konzept.270

Deshalb „existiert innerhalb des theoretischen Gebäudes

von Galtung […] bislang […] keine integrative theoretische Folie, die soziologische,

kulturelle, sozial- und individualpsychologische Konzepte zu einer kohärenten Subjekt- und

Akteurstheorie integriert“271

. Die Akteure bleiben im Hintergrund und eine „Minimierung des

Subjekts“ ist deutlich zu erkennen.

Was demnach erforderlich ist, ist die systematische Einbettung des Akteurs in die

kulturtheoretische Konzeption, die es ermöglichen würde, kulturelle Reproduktion und

kulturelle Dynamik, Stabilität und Destabilisierung von kollektiven Sinnmustern

gleichermaßen zu beleuchten und verständlich zu machen. Denn: „Die Theorie ist […] erst

komplett, wenn die Akteure auf der gesellschaftlichen Bühne erscheinen.“272

Eine

266 Schrader (2009), S. 37. 267 Schrader (2009), S. 37. 268 Schrader (2009), S. 39 (Fußnote 22). 269 Lawler (1995), S. 225. 270 Ähnliches Problem sieht Lawler auch beim Konzept der strukturellen Gewalt gegeben: „Nevertheless, the

analysis of structures and their operant logic remained abstract; the role of individuals or groups in creating

exploitative structures and ensuring their reproduction was left unexplored.” Ebenso Prepoudis: „Die Darstellung

der speziellen strukturellen Gewalt jedoch erfolgt auf eine Weise, die das gesellschaftliche Subjekt der Gewalt

unausfindig macht. Somit bleibt am Ende die abstrakte Struktur für die Gewalt haften, die ohne Bezug auf

gesellschaftliche Akteure erscheint.“ Prepoudis (1983), S. 122. 271 Schrader (2009), S. 94. Hierzu auch Walter: „Es überrascht, dass ein solch kritischer Geist wie Galtung die

umfangreiche Diskussion zur Politischen Psychologie […] und zur Frage der unbewussten Bestimmtheit

gesellschaftlicher Prozesse nicht nur nicht zur Kenntnis nimmt, sondern einem weitgehend gesellschaftsfreien

Modell gesellschaftlicher Tiefenstrukturen aufsitzt.“ Walter (1998), S. 53 (Fußnote 205). 272 Schrader (2009), S. 38.

51

Kulturtheorie, die auf praktische Friedensförderung abzielt, sollte von vornherein so

zugeschnitten sein, „dass es soziale Reproduktion und Dynamik gleichermaßen beschreibbar

und erklärbar macht, statt im nachhinein sozialen Wandel als eine Residualkategorie

einzufügen“273

. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, auf die theoretische Trennung von

Oberflächen- und Tiefenkultur zu verzichten.

Durch die „theoretische Unterbestimmtheit der Subjekt- und Akteursposition“274

droht

Galtungs friedensorientierte Konzeption insgesamt ins Leere zu laufen. Indem Galtung die

emanzipatorischen und kreativen Potenziale des Menschen außer Acht lässt, kann er für

kulturellen Wandel keine überzeugenden Mechanismen ins Feld führen. „The lacuna in

Galtung's sociology, which was to be carried into peace research, was any sense of the

political ethics of social change; it was avowedly antiphilosophical.”275

Zugriffsrechte gesteht

Galtung dem Menschen nur auf der Ebene der Oberflächenkultur zu. Veränderungen auf der

Oberflächenkultur führen allerdings nicht zur Transformation der Tiefenkultur. Durch die

fehlende Theoretisierung des Akteurs bleibt in Galtungs Konzeption der Tiefenkultur auch die

Dimension des Politischen ausgeklammert. Unter welchen politischen Bedingungen

verfestigen sich kulturelle Bedingungen oder welche politischen Bedingungen können zur

Veränderung kultureller Tradierungen beitragen, diese Fragen stellt sich Galtung nicht. Die

Konzeption der Tiefenkultur ist somit eine gesellschaftsfreie und apolitische Kategorie.

„Was [insgesamt] noch aussteht, ist die Einbettung [der] kultur- und zivilisationssensitiven

Komponenten in eine aussagekräftige und praxistaugliche Kulturtheorie.“276

Voraussetzung

hierfür ist es den doppelten Aspekt des Kulturellen von vornherein mitzudenken, nämlich:

„[...] dass der Mensch Schöpfer aller Kultur ist und zugleich die Menschen Geschöpfe einer je

spezifischen Kultur sind“277

.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass

„ein großes Stück theoretischer Ausbauarbeit zu leisten [ist]. Denkbare Ausgangspunkte und Pfade

hierfür sind soziologische und (tiefen)psychologische Subjekttheorien sowie kulturwissenschaftliche

Erklärungsmodelle, die die Wechselwirkung von Individuum, Struktur/ Institution und Kultur

thematisieren“278.

Solange diese theoretischen Defizite, die quer liegen zu der von Galtung postulierten

Praxisorientierung der Friedensforschung, nicht beseitigt sind, sitzt Galtungs Theorie der

kulturellen Gewalt

273 Reckwitz (2006), S. 616. 274 Schrader (2009), S. 13. 275 Lawler (1995), S. 40. 276 Schrader (2009), S. 13. 277 Schmidt, S.J. (1997), S. 176. 278 Schrader (2009), S. 39, Fußnote 22.

52

„assertorisch und ungeklärt wie die Theorie der kulturellen Codes ist – der Mystifizierung von wie

immer gearteten Tiefenstrukturen menschlicher Zivilisationen auf. GALTUNGs Friedensbegriff dankt

hiermit in seiner kritischen Potenz vollends ab und macht einer ominösen hypostasierten

‚Tiefenstruktur‘ menschlicher Zivilisationen Platz; das ‚gemeinsame kollektive Unterbewusste‘ in Form

struktureller Codes mutiert zur ‚invisible hand‘, die unser aller Geschicke lenkt. Durch diese abstrakte,

ahistorische und gesellschaftsfreie Theorie des Bezugs von individuellen und kollektiven unbewussten

Prozessen zur politisch-sozialen Wirklichkeit begibt sich GALTUNG entgegen seinem Ansatzes der

Chance, einen ausreichend komplexen und realitätsbezogenen Begriff individueller und kollektiver

Selbstverwirklichung entwickeln zu können“279.

4. Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt im Lichte der

pragmatistischen Philosophie John Deweys

Ausgangpunkt von Deweys Philosophie bildet die Kritik am traditionellen kontinental-

europäischen Kulturverständnis.280

Dabei ist atomistisch-individualistische Tradition

angelsächsischer Provenienz genauso Gegenstand der Kritik, wie das kollektivistisch

überhöhte Kulturverständnis Zentraleuropas. An ersterer kritisiert er den methodologischen

Individualismus, welcher Nutzenmaximierung und Egoismus nicht als Ausfluss von

Kulturbedingungen definiert, sondern als unveränderliche anthropologische Grundkonstante

ansieht. Resultat dieses Denkansatzes ist beispielsweise die Begünstigung einer Gesellschaft

von Einzelkämpfern, die den Zusammenhalt und die Moral einer Gemeinschaft gefährden.281

Während Deweys Kritik an atomistisch-individualistischen Philosophien an einigen Stellen

stark an Galtungs Ausführungen erinnert, unterscheidet sie sich gleichzeitig in einem

wesentlichen Punkt: Dewey beantwortet die Kritik am Atomismus nicht mit

kollektivistischen Positionen. Die Idee von unveränderlichen Tiefenkulturen oder Kosmologie

widerstrebt Dewey gänzlich. Für Dewey sind die „Minimierung des Subjekts“ und die

Überhöhung des Überlieferungszusammenhangs Merkmale zentral-europäischer

Kulturphilosophie. Prekär ist diese Idee des Kulturellen, weil sie eine Entmündigung der

Menschen, ein „Ergeben im Schicksal“ und Autoritätshörigkeit fördere.282

Das Paradebeispiel

für ein Kulturverständnis mit autoritären und kollektivistischen Implikationen stellt für

Dewey die deutsche Tradition dar.

„In letzten, moralischen Fragen aber neigte sie dazu, das Prinzip der Autorität wieder zur Geltung zu

bringen. Sie begünstigte wirksame Organisation mehr als irgendeine der früher erwähnten Philosophien;

aber sie traf keine Vorsorge für freie, experimentelle Abänderung dieser Organisation. Der Gedanke der

politischen Demokratie mit dem Glauben an das Recht und das Verlangen jedes einzelnen, an der

ständigen Umgestaltung auch des grundsätzlichen Aufbaues der Gesellschaft mitzuwirken, war ihr

279 Walter (1998), S. 52f. 280 Meine Dewey-Interpretation ist v.a. inspiriert durch Arbeiten von Sigwart (2012) und Jörke (2003). 281 Vgl. Jörke (2003), S. 128ff. 282 Vgl. Sigwart (2012), S. 127.

53

fremd.“283

Was Dewey somit anstrebt „ist die Überwindung sowohl der klassischen atomistischen

Sozialtheorien als auch der Sackgassen der Bewusstseinsphilosophie“284

.

„Es ist gerade das spannungsreiche Nebeneinander der wichtigen Rolle sowohl des Einzelnen als auch des Ganzen für die Konstitution politischer Bedeutungen, das den eigentümlichen Akzent von Deweys

[…] liberal-kommunitaristischer Perspektive ausmacht.“285

Deweys „spezifisch angelsächsisch-amerikanisches Verständnis von ‚Kultur‘“286

unterscheidet sich hierbei deutlich vom zentraleuropäischen Kulturverständnis, dem offenbar

Galtung nahesteht.

„Dem kontinentaleuropäischen Kulturverständnis, in dem das Starre und Vorgegebene betont wird und

das deshalb tendenziell apolitisch ist, wird dabei ein dezidiert politisches, demokratisch-

bürgerschaftlich inspiriertes Kulturverständnis der amerikanischen Tradition gegenübergestellt, in dem

vor allem das dynamische, gestalterische und emanzipative bzw. partizipatorische Moment in

gesellschaftlichen Prozessen und der besondere Stellenwert des Individuums im Vordergrund stehen.“287

Im Gegensatz zu Galtung ist der „Untersuchungsgegenstand eines pragmatistischen Ansatzes

[…] keine einheitliche transformationsresistente Kultur, die sich jedem partizipierenden

Mitglied überstülpt, sondern der handelnde und denkende Mensch selbst“288

. Auf Basis der

Problematisierung kultureller Überlieferungen – kulturelle Statik und Verkrustung gilt als das

„zentrale politisch-hermeneutische ‚Problem‘, das es zu verstehen gilt“289

– konzipiert

Dewey eine dynamische Kulturtheorie, die das kreative und aktiv gestalterische Moment bzw.

die Idee des „Neuen“ besonders hervorhebt.290

„Kultur“ erscheint bei Dewey

„nicht nur als bestehendes Festes, Ermöglichendes und Beschränkendes, ‚objektiv‘ Vorgegebenes und

politisch nur schwer oder gar Unhintergehbares, sondern immer auch als Neues, als zu Begründendes,

zu Gestaltendes und zunächst überhaupt erst zu Erkämpfendes, der „Natur“ gleichsam Abzutrotzendes

und vielfach nur in bewusster gemeinschaftlicher Selbstorganisation Realisierbares und

Aufrechtzuerhaltendes […]“291.

Mit dieser Akzentsetzung hebt sich Dewey deutlich von Galtung ab, dessen Hauptinteresse in

der Aufdeckung (scheinbar) starrer kultureller Invarianzen liegt.

283 Dewey (1993), S. 390. 284 Jörke (2003), S. 98. 285 Sigwart (2012), S. 261. 286 Sigwart (2012), S. 114. 287 Sigwart (2012), S. 114. Eine prinzipiell apolitische Ausrichtung der „deutschen Geisteswissenschaft“ betont

auch Jürgen Gebhardt: Die „eigentümliche deutsche Qualität der Geisteswissenschaft“ liege in der Tatsache,

„dass diese apolitisch war und sie den Wirkungszusammenhang der geschichtlich-sozialen Welt letztendlich als

einen Zusammenhang des objektiven Geistes oder, lebensphilosophisch gewendet, als einen

Lebenszusammenhang bestimmte“, jedoch gerade deren Artikulierung und Ausformung „in der politischen

Gemeinschaftsbildung und deren Ideenwelten“ außer acht lasse. Gebhardt (1989), S. 260f. 288 Roos (2003), S. 99. 289 Sigwart (2012), S. 481. 290 Vgl. Sigwart (2012), S. 175. 291 Sigwart (2012), S. 115.

54

Deweys kulturtheoretische Überlegungen sind darüber hinaus eingebettet in eine

hermeneutische Theorie des Politischen. Im Unterschied zu Galtung, der kein Interesse an der

Ausformulierung einer politischen Theorie zeigt, erfährt Deweys Kulturtheorie eine

umfassende demokratietheoretische Konkretisierung. Dabei entwickelt Dewey einen

Demokratiebegriff der beim Bewusstsein der Menschen ansetzt. Der „‚kreative‘ bzw. aktiv-

partizipative Akzent des Verstehens“ wird bei Dewey

„in genuin sozialen und politischen Kategorien verstanden und beschrieben […]. Damit verbindet sich

nicht nur ein stärker ausgeprägtes Bewusstsein von der grundsätzlich prekären Natur der gemeinsamen Welt und ein positiveres Verständnis von ihrem Angewiesensein auf bzw. ihrer Abhängigkeit von der

mehr oder weniger bewussten gemeinschaftlichen ‚Sorge‘ um ihre soziokulturellen Grundlagen und

einem entsprechenden politischen Verantwortungsbewusstsein.“292

Eine Demokratie ist in erster Linie nicht durch ihre institutionell-organisatorische Eigenheit

charakterisiert, sondern durch die geistig-moralische Qualität („Demokratie als Lebensform“)

ihrer Bürger.

Insgesamt dient Deweys kulturtheoretischer Ansatz einer „Befreiung des Menschen“.

Normative Fixpunkte sind die Animierung des Menschen zur Hinterfragung seiner kulturellen

Prägungen in Form von kontinuierlicher Selbstthematisierung und vor allem die Motivation

zur Veränderung negativer kultureller Überlieferungen durch kreatives und intelligentes

politisches Handeln.

„As a matter of fact, the pragmatic theory of intelligence means that the function of mind is to project

new and more complex ends – to free experience form routine and from caprice. Not the use of thought

to accomplish purposes already given either in the mechanism of the body or in that of the existent state

of society, but the use of intelligence to liberate and liberalize action, is the pragmatic lesson.[…] A

pragmatic intelligence is a creative intelligence, not a routine mechanic.”293

Alles in allem also eine Werteorientierung, die gut zu Galtungs Idee einer

„wirklichkeitsverändernden“, praxisorientierten Friedensforschung passt. Da Galtung selbst

aufgrund seiner Tendenz zur methodisch-konzeptionellen Entproblematisierung von

Kollektivbegriffen, seiner konzeptionell apolitischen Perspektive und seiner Akteurslosigkeit

„Wirklichkeitsveränderung“ nur ungenügend theoretisiert, erscheint es mir gewinnbringend

sich nun Deweys Reflexionen näher zu widmen.

4.1 Wissenschafts- und Erkenntnistheoretische Grundannahmen

292 Sigwart (2012), S. 123. 293 Dewey (1917), S. 63. An anderer Stelle heißt es: „Eine empirische Philosophie ist in jedem Falle eine Art

intellektuelle Entkleidung. Wir können uns nicht permanent der intellektuellen Gewohnheiten entledigen, die wir

annehmen und tragen, wenn wir die Kultur unserer eigenen Zeit und Umgebung assimilieren. Aber eine

intelligente Förderung der Kultur verlangt, dass wir einige von ihnen ablegen, dass wir sie kritisch inspizieren,

um zu sehen, woraus sie gemacht sind und was ihr Tragen für uns bedeutet. Wir können keine ursprüngliche

Naivität zurückgewinnen. Aber erreichbar ist eine kultivierte Naivität des Auges, Ohres und des Denkens, eine,

die nur durch die Disziplin strengen Denkens erreicht werden kann.“293 Dewey (2007a), S. 52f.

55

Deweys Grundausrichtung wissenschaftlicher Tätigkeit weist deutliche Parallelen zu Galtung

auf. So ist bei Dewey der Praxisbezug der Wissenschaft ebenso grundlegend wie ein

Zusammenspiel von Empirie, Kritik und Konstruktion, welches an die Galtung‘sche

Dreiteilung der Friedenswissenschaft erinnert. Dewey baut hierbei seine Argumentation auf

eine anspruchsvolle kritische Auseinandersetzung mit der abendländischen

Philosophiegeschichte auf. Hauptkritikpunkt sind für Dewey die „künstlichen Dualismen der

neuzeitlichen Philosophie“294

.

„Wollte man Deweys Philosophie auf einen Nenner bringen, so findet man diesen in seinem

grundlegenden Bestreben, die Dualismen, die die abendländische Kultur grundlegend geprägt haben,

wie Subjekt-Objekt, Körper-Geist, Natur-Kultur und allen voran Theorie-Praxis, zu überwinden.“295

Einher mit der Ablehnung künstlicher Dualismen geht Deweys anti-fundamentalistische

Einstellung.296

Dewey lehnt die Idee von objektiv gegebenen, apriorischen Wahrheiten ab.

Wissenschaftliches Handeln ist für Dewey mit einer positivistischen „Suche nach Gewissheit“

unvereinbar.297

„Weder die klassischen Pragmatisten noch die Neopragmatisten glauben, dass

es so etwas wie ein eigentliches Sosein der Dinge gibt.“298

Dewey ist im Gegensatz zu

Galtung der Überzeugung, dass eine „Zuschauertheorie der Erkenntnis“299

, „dass die

Vorstellung, das Erkennen sei ein akkurates Darstellen – ermöglicht durch besondere mentale

Vorgänge und verstehbar durch eine allgemeine Theorie der Darstellung – aufgegeben werden

muss“300

.

Die Suche nach unveränderlichen Wahrheiten oder letzten Gründen wird von Dewey ebenso

abgelehnt wie die theoretische Erfindung von natürlichen Rechten des Menschen mit

Ewigkeitscharakter.301

„Philosophie ist eine Überschau des Möglichen, nicht ein Bericht über

vollendete Tatsachen. Daher ist die Philosophie hypothetisch wie alles Denken.“302

Damit

begibt sich Dewey von vornherein nicht auf die Suche nach der theoretischen Begründung

von Wahrheiten. Durch die Negierung objektiver Wahrheiten begibt sich Dewey allerdings

nicht auf den Irrweg eines universellen Relativismus. Vielmehr liegt die Wahrheit einer Sache

für Dewey in der praktischen Konsequenz einer Theorie. Wahr sind demnach „Prozesse der

Veränderung, die so gelenkt werden, dass sie ein beabsichtigtes Ziel erreichen“303

. Ähnlich

294 Vogt (2002), S. 338. Zitiert nach Sigwart (2012), S. 121. 295 Jörke (2003), S. 38. 296 Vgl. Nagl (1998), S. 7ff. 297 „Die Suche nach Gewissheit hat unsere grundlegende Metaphysik bestimmt.“ Dewey (1998), S. 26. 298 Rorty (1994), S. 16. 299 Dewey (1998), S. 27. 300 Rorty (1981), S. 16. Zitiert nach Jörke (2003), S. 36. 301 Durch die Ablehnung unantastbarer ewiger Wahrheiten versucht Dewey die Philosophie von mangelnder

Kritikfähigkeit, Dynamik und Kreativität zu befreien. 302 Dewey (1993), S. 420. 303 Dewey (1995), S. 162.

56

wie Galtung betont Dewey die Relevanz der Praxis304

: die normative Qualität

wissenschaftlicher Arbeit bemisst sich an den praktischen Konsequenzen für die „human

affairs“. Ziel ist es nicht, „to idealize and rationalize the universe at large”, sondern „to master

the courses of things that specifically concern us”305

.

Die normative Daseinsberechtigung von Wissenschaft und Philosophie ergibt sich aus der

Forderung, zur Bestimmung und Lösung der alltäglichen Probleme und Sorgen der Menschen

einen Beitrag zu leisten. Hierbei ist es wichtig, die menschliche Selbstermächtigung zu

fördern und die Bedingungen der Möglichkeit menschlicher Kreativität darzulegen.

„It is becoming more and more the duty of every educated person to take some active part in the

shaping and reshaping of beliefs. […] A study of philosophy is no sure road to becoming an intellectual

leader, but it does acquaint the student with the forces that create ideas and make them potent, and it

should give some increase of expertness in the use of the tools by which the leading ideas of humanity

are worked out and tested. To help a man make a living is the ultimate end of education; […] To have

some part in the making of ideas is a necessary part in the making of a living that is worth living, and

the chief justification of philosophical study is that it renders the student more apt at this particular kind

of making.“306

Wissenschaft steht für Dewey in einem dreifachen Bezug zur Praxis. Ausgangspunkt ist die

empirische Diagnose von „problematischen Situationen“ in der Gesellschaft. Auf der Basis

empirischer Erkenntnisse gilt es nun, ungeeignete und unzeitgemäße gesellschaftliche

Gewohnheiten zu diagnostizieren und zu kritisieren. Es geht Dewey um die „Kritik der

Überzeugungen, Institutionen, Sitten und politischen Strategien im Hinblick darauf, ob sie auf

das Gute zielen“307

. „[P]hilosophy must […] become a method of locating and interpreting the

more serious of the conflicts that occur in life, and a method of projecting ways for dealing

with them: a method of moral and political diagnosis and prognosis.”308

Mit Empirie und

Kritik ist die philosophische Praxis aber noch nicht vollendet. Der Reflexionsprozess muss

vielmehr zu seinen Ausgangspunkt zurückkehren und praktisch werden, indem er neue

Handlungsoptionen aufzeigt, durch die die gesellschaftlichen Krisensituationen gemeistert

werden können. Das Ziel der wissenschaftlichen Praxis ist es, durch „vision, imagination,

reflection“309

neue Möglichkeitsspielräume zu eröffnen. Praxis bedeutet vor diesem

Hintergrund „nicht nur die Gestaltung, sondern dabei zugleich die ‚Interpretation‘ von

Wirklichkeit […].“310

304 Hierzu Hörning: „Der Pragmatismus ist eine der großen Denkbewegungen der Moderne. […] [Sein]

gemeinsamer Nenner ist die Betonung der Praxis, der sie den Primat vor der Theorie zuweisen.“ Hörning (2004),

S. 29. 305 Dewey (2007b), S. 11. 306 Dewey (1911), S. 136f. 307 Dewey (2007a), S. 381. 308 Dewey (2007b), S. 11. 309 Dewey (2008), S. 46. 310 Sigwart (2012), S. 143.

57

Deweys wissenschaftliche Praxisorientierung geht einher mit der Negierung der Wertfreiheit:

„[I]nsofern es sich um eine experimentelle Wissenschaft handelt, also um eine Tätigkeit, die auf

Veränderung abzielt, müssen im Forschungsprozess selber Wertungen vorgenommen werden,

Ergebnisse als erstrebenswert oder unerwünscht eingestuft werden.“311

4.2 Die dynamische Kulturtheorie

Ähnlich wie bei Galtung ist bei Dewey der Primat der Kultur grundlegend. Im Gegensatz zu

Galtung sind Empirie, Kritik und Konstruktion in Deweys Kulturtheorie aber schon in einem

systematischen Zusammenhang gebracht. Am Anfang von Deweys kulturtheoretischen

Überlegungen steht ähnlich wie bei Galtung das kulturell geprägte Individuum. „Man is

creature of habit, not of reason nor yet of instinct.”312

Im Verlauf des Sozialisationsprozesses

internalisiert der Mensch all jene kulturellen Eigenschaften, die in einer Gesellschaft von

Bedeutung sind. Die Übernahme gegebener kultureller Überlieferungen geben jene

Orientierungshilfen, die überhaupt erst das Handeln in einer Gesellschaft ermöglichen; durch

Sozialisation wird der Mensch zu einem sozialen Wesen. Außerdem werden durch

Sozialisation grundlegende Werte und Institutionen eines Kollektivs internalisiert und damit

reproduziert. „[C]ustoms persist because individuals form their personal habits under

conditions set by prior customs.”313

Hiermit ist auch der Primat des Sozialen und Deweys

kritische Abgrenzung zum methodologischen Individualismus angesprochen. Dewey

betrachtet die Sozialität des Menschen als Grundvoraussetzung für die Entwicklung von

Individualität und räumt dem Sozialen einen Vorrang vor dem Individuellen ein: „[T]o say

that some pre-existent association of human beings is prior to every particular human being

who is born into the world is to mention a commonplace.“314

Analog zu Galtung betont Dewey den reproduktiven Charakter von „habits“; sie dienen

letztlich der Aufrechterhaltung des Sozialen, seiner grundlegenden Werte und Institutionen.

Ebenso hinterlassen „habits“ Spuren in der Persönlichkeit eines Menschen in dem Sinne, dass

grundlegende kulturell geformte moralisch-ethische Dispositionen in die psychische

Grundstruktur eingebaut werden. Der primäre Sozialisationsprozess verläuft vorbewusst und

reflexionslos. In dieser Phase „habits [are] working below direct consciousness“315

. Und

311 Jörke (2003), S. 214. 312 Dewey (2002), S. 125. Es sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die deutsche Übersetzung von

„habit“ durch „Gewohnheit“ zu kurz greift. 313 Dewey (2002), S. 43. 314 Dewey (2002), S. 59. 315 Dewey (2002), S. 32.

58

bezeichnenderweise sind es gerade „[u]nsere festen Gewohnheiten […], von denen wir am

wenigsten Bewusstsein haben.“316

Ähnlich wie bei Galtung rücken das Selbst und seine Gewohnheiten untrennbar zusammen.

„All habits are demands for certain kinds of activity; and they constitute the self.”317

Und

ebenso wie bei Galtung werden kulturellen Gewohnheiten eine Qualität zugeschrieben, der

man sich kaum entziehen kann, denn „each habit operates all the time of waking life“318

.

Außerdem beeinflussen „habits“ die Handlungen von Menschen: „[H]abit is propulsive“319

und „suggests an inherent tendency to action and also a hold, command over us“320

.

Bis hier hin weisen Deweys und Galtungs Argumentationen in die gleiche Richtung. Der

Mensch ist maßgeblich geprägt durch unbewusste, kulturell geformte Verhaltensweisen.

Durch die Bildung von „habits“ eignet sich das Individuum Bedeutungen an, die in den

Verhaltensmustern und Bräuchen kultureller Praktiken, Routinen und Institutionen enthalten

sind, die seiner Existenz als Individuum vorausgehen.

Dewey erkennt die Implikationen seiner Gedanken frühzeitig. „Indeed, at first sight it seems

to indicate that every attempt to solve the problem and secure fundamental reorganizations is

caught a in vicious circle”.321

Allerdings – hier liegt der entscheidende Unterschied zu

Galtung – ist Dewey nicht bereit diesen „vicious circle” als deterministisches Faktum

anzuerkennen. Beide Autoren unterscheiden sich deshalb in ihrem Anliegen und in ihrer

Akzentsetzung deutlich voneinander: Während bei Galtung kulturelle Determinationsfaktoren

im Mittelpunkt stehen, versucht Dewey nicht bei der theoretischen Betrachtung der

Reproduktions-mechanismen stehen zu bleiben. Dewey stellt sich deshalb die Frage, „how the

activities of component individuals remake and redirect previously established customs“322

.

Ohne die kontextuelle Einbettung der menschlichen Existenz aus den Augen zu verlieren,

distanziert sich Dewey von Theorien, die kulturelle Rahmenbedingungen einzig als eine

Behinderung des Wandelns konzeptualisieren. „Dewey [erteilt] geschichtsphilosophischen

Modellen eine Absage, die retrospektiv oder prophetisch den Lauf der Dinge einem

vernünftigen Muster unterordnen.“323

Kultur ist für Dewey keine einseitige konservative

316 Dewey (1995), S. 295. Hierzu auch Jörke (2003): „Entscheidend ist für Dewey, dass dieser Prozess

überwiegend vorbewusst abläuft, sich also gleichsam von selbst ergibt, und auch die erworbenen Fähigkeiten

und Kompetenzen zunächst und zumeist als solche nicht bewusst sind. Genau diesen Aspekt des Vorbewussten

der meisten unserer Verhaltensweisen soll der Begriff des ‚habit‘ zum Ausdruck bringen.“ Jörke (2003), S. 101. 317 Dewey (2002), S. 21. 318 Dewey (2002), S. 37. 319 Dewey (2002), S. 37. 320 Dewey (2002), S. 25. 321 Dewey (2007c), S. 125f. 322 Dewey (2007c), S. 60. 323 Jörke (2003), S. 124. In den Worten Deweys: „Geschichte und Anthropologie (haben) nicht nur individuelle

59

Bedingung, sondern ambivalent, nämlich Grundlage von Wandel und Konstanz zugleich.

Insgesamt sind Deweys gesamte kulturtheoretische Überlegungen darauf ausgerichtet, einen

Weg aufzuzeigen, sich negativen kulturellen Gewohnheiten zu entledigen. Die zentrale

Intention besteht darin „to find an intelligent substitute for blind custom and blind impulse to

habit and conduct”324

. Hierin liegt der normative Auftrag Deweys Kulturphilosophie.

„[…] [D]ie normative Stoßrichtung von Deweys Sozialpsychologie ist die Frage nach den Bedingungen

von institutionellem Wandel und moralischem Wachstum. Insofern kann er sich mit dem Nachweis des

bloßen Reproduktionszusammenhanges von ‚habit‘ und ‚custom‘ nicht begnügen. Vielmehr muss er,

sofern er nicht bereit ist, aus Einsicht in die Unabdingbarkeit des Zirkels der Reproduktion, seine

politischen Hoffnungen fallen zu lassen, die Möglichkeiten der Entwicklung von Gewohnheiten

aufzeigen, die auf die ‚customs‘ gestalterisch einwirken und damit den reproduktiven Zirkel aufbrechen

könnten.“325

Deweys theoretische Grundlegung des kulturellen Wandels, seine Idee der „Kreativität der

Gewohnheit“326

soll nun kurz erläutert werden.

Grundsätzlich sind die durch Sozialisation gewonnenen kulturellen Prägungen für Dewey

nicht der prozessuale Endpunkt der Persönlichkeitsentwicklung, sondern sind lediglich dessen

Ausgangspunkt. Der Mensch wird in einen kulturellen Raum hineingeboren, wird durch

diesen jedoch nicht ein Leben lang notwendigerweise determiniert. Zwar vollzieht sich jede

gesellschaftliche Praxis auf der Grundlage von „schon bestehenden, objektiv gegebenen

Kulturzuständen“327

. Inwieweit „habits” kulturelle Permanenzen produzieren oder die

kulturelle Erneuerung fördern hängt für Dewey wesentlich vom Denken und Handeln der

Menschen selbst ab; es ist letztlich eine Frage der Qualität der gesellschaftlich verankerten

Gewohnheiten. Langfristige kulturelle Reproduktion, also kontinuierliche Erneuerung

tradierter kultureller Bestände, ist für Dewey nicht ein Zeichen der Unveränderlichkeit der

kulturellen Überlieferung, sondern Ausfluss einer passiven Grundhaltung der Menschen.

Beständigkeit entsteht durch fehlende Selbsthinterfragung, also des fehlenden Gebrauchs von

Kreativität in Krisensituationen. „Die Gewohnheit wird erst dadurch zu einer konservativen

Kraft, die den Handlungsspielraum einschränkt, wenn man sie von den Impulsen, von den

Motiven und vom Denken abspaltet.“328

Im Gegensatz zu Galtung ist Dewey also davon

überzeugt, dass die „durchhaltende Kraft des tätigen Willens“ die Möglichkeit gibt tradierte

Personen, sondern einmalige Situationen und Ereignisse zum Gegenstand. Der Versuch, dem Dilemma dadurch

zu entkommen, dass man Zuflucht bei uniformen und unilinearen Gesetzen der Abfolge oder ‚Evolution’ sucht,

geht fehl; er widerspricht den vorausgesetzten Prämissen und wird durch die Tatsachen nicht bestätigt. [...]

Kulturen sind in vielerlei Hinsicht individuell und einzigartig.“ Dewey (2007a), S. 150. 324 Dewey (1921), S. 125f. 325 Jörke (2003), S. 104. 326 Auf diese treffende Formel bringt Hartmann die Kernthese von Deweys Kulturtheorie. Hartmann (2003). 327 Dewey (2004), S. 23. 328 Salaverría (2007), S. 155.

60

kulturelle Bedeutungen „zu durchbrechen“329

. Für Dewey ist es klar, dass „die kulturellen

Verhältnisse in gewissem Grade vorsätzlich gestaltet werden können“330

.

Was Dewey also mehr als Galtung interessiert, sind die produktiven und konstruktiven

Potenziale von „habits“. Während Galtung ihre Routine stark macht, hebt Dewey die

Produktivität von Gewohnheiten hervor: „We are confronted with two kinds of habit,

intelligent and routine.“331

Entsprechend ist es Deweys Anliegen reflexive ‚habits‘ zu fördern,

welche neue gesellschaftliche Konfliktlagen und gelebte Gewohnheiten in Beziehung setzen

und hinterfragen. „Habits“ sollten so konstruiert sein, dass sie Kreativität und Selbstkritik332

fördern, den Handlungsspielraum erweitern und eine größere Variabilität beim Lösen von

Problemen ermöglichen. Je stärker diese reflexiven ‚habits‘ gesellschaftlich etabliert sind,

desto wahrscheinlicher ist die befriedigende Bearbeitung des jeweiligen Konfliktes.

„What is necessary is that habits be formed which are more intelligent, more sensitively percipient,

more informed with foresight, more aware of what they are about, more direct and sincere, more

flexibly responsive than those now current.”333

Eine entscheidende Bedeutung für kulturelle Erneuerung nimmt für Dewey die Idee der

„problematischen Situation“334

ein. Die Krise eröffnet als Impulsgeber Handlungsspielräume,

die von reflexiven „habits“ genutzt werden können.335

Kulturelle Gewohnheiten, die

politische Problemlagen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen nicht mehr erfolgreich

bewältigen können, können nun in Frage gestellt werden und gegebenenfalls erneuert werden.

Durch die Konfrontation mit neuen Problemlagen können kulturelle Gewohnheiten neu

interpretiert werden. ,

„Wir können das Neue nicht fassen, wir können es nicht einmal bewusst machen geschweige denn

begreifen, wenn nicht mit Hilfe von Ideen und Kenntnissen, die wir schon besitzen. Aber gerade weil

das Neue neu ist, ist es nicht lediglich eine Wiederholung von etwas, was wir schon besitzen und

beherrschen. Das Alte nimmt eine neue Färbung und Bedeutung an, wenn es dazu verwendet wird, das

Neue zu fassen und zu interpretieren. Je größer die Lücke, die Disparität zwischen dem, was zu einem

vertrauten Besitz geworden ist, und den Eigenschaften, die sich in einem neuen Stoff darstellen, um so

größer die Last, die der Reflexion auferlegt ist […].“336

Um auf kreative und konstruktive Weise auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren,

329 Dewey (2004), S. 11. 330 Dewey (2003), S. 20. 331 Dewey (2007c), S. 71. 332 „Creative activity is our great need; but criticism, self-criticism, is the road to its release.” Dewey (1984a), S.

143. 333 Dewey (2007c), S. 123. 334 Vgl. Jörke (2003), S. 117. 335 Über diese Möglichkeitsbedingung für tiefenkulturellen Wandel scheint auch Galtung nachzudenken. Er baut

sie allerdings in sein theoretische Gebäude (noch) nicht ein: „Wann hat denn eine Kultur, insbesondere

Tiefenkultur, hinreichend Plastizität (Scholem), um geformt, neu geformt zu werden? In Krisenzeiten?

Nachdem ihr ein tiefes Trauma zugefügt wurde – das spezifische Trauma, anderen schwere Traumata zugefügt

zu haben, eingeschlossen? Wir wissen kaum mehr, als dass es sich hier um entscheidende Fragen handelt.“

Galtung (1998a), S. 363 (Fußnote 301). 336 Dewey (2007a), S. 7f.

61

muss man zumindest teilweise das „equipment of beliefs, religious, political, artistic,

economic“ einer kritischen Prüfung und Neubewertung unterziehen, welches „come to him in

all sorts of indirect and uncriticized ways, and to inquire how much of it is validated and

verified in present need, opportunity, and application”337

.

„Hier zeigt sich, dass Deweys Kritik eines ‚übernommenen‘ Kulturverständnisses und sein gegen ein

solches Verständnis und seine statischen, traditionalistischen Implikationen gerichteter Versuch, das

aktive, gestalterische Moment soziokultureller Zusammenhänge und Prozesse herauszuarbeiten, sich

unmittelbar mit der Frage nach dem normativen Status kultureller Bedeutungen – sowohl als gegebene

Vorverständnisse und Gewohnheiten, als auch als Ergebnisse von Neuanfängen und

Weiterentwicklungen – verbindet.“338

Kultureller Wandel findet bei Dewey im Spannungsbogen zwischen der gesellschaftlichen

Prägung von Menschen und der gesellschaftlichen Neu-Konstruktion von Wirklichkeit statt.

Dieser Prozess der Selbstthematisierung, des Sich-in-Frage-Stellens, ist im Prinzip unendlich.

In diesem Sinne „beginnt […] eine menschliche Gesellschaft immer von vorn. Sie ist immer

in einem Prozess der Erneuerung und hat nur wegen dieser Erneuerung Bestand“339

.

„We are not caught in a circle; we traverse a spiral in which social customs generate some

consciousness of interdependencies, and this consciousness is embodied in acts which in improving the

environment generate new perceptions of social ties, and so on forever.”340

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Invarianz und Permanenz des Kulturellen

bei Dewey nicht theoretisch vorentschieden, sondern handlungstheoretisch konkretisiert wird.

Der entscheidende Vorteil der fehlenden Ontologisierung kultureller Permanenz und der

Betonung der Praxisabhängigkeit ist die Erschaffung von Freiräumen, welche von Menschen

emanzipatorisch und kreativ genutzt werden können. Die kulturtheoretischen Überlegungen

John Deweys, welche gesellschaftliche Bedeutungsgenerierung im Prozess

symbolvermittelter Interaktionen verorten, ähneln dabei in vielerlei Hinsicht der von Geertz

vertretenen „textualistischen“ Kulturtheorie.

„Aus pragmatistischer Perspektive wird der ‚Kultur‘ genannte Bedeutungsraum nicht als unabhängige

Variable gedacht, sondern als sich stets transformierende Gedanken- und Zeichenwolke, welche die

unterschiedlich erfahrenen Wirkungen und Bedeutungen von Gegenständen, Wesen und Ideen

zusammenfasst und symbolisch veröffentlicht.“341

Kultur ist nicht nur Basis gesellschaftlicher Praxis, sondern sie kann auch bewusst zum

Gegenstand politischer Praxis und bewusster Gestaltung gemacht werden. Insgesamt ist

Deweys Kulturbegriff offen genug gestaltet, um Galtungs ontologische Setzungen zu

überwinden.

337 Dewey (1984a), S. 142. 338 Sigwart (2012), S. 183. 339 Dewey (2007a), S. 74. 340 Dewey (2002), S. 328. 341 Roos (2003), S. 43.

62

4.3 Das Demokratieverständnis

Im Gegensatz zu Galtung wird die Frage der kulturellen Permanenz von Dewey theoretisch

nicht vorentschieden. Vielmehr wird diese Frage von Dewey problematisiert und politisiert.

Deweys Kulturbegriff und sein praktisches, aktives Verständnis von Verstehen und

Interpretation ist hierbei aufs engste mit seinen Überlegungen zur „Demokratie“ verknüpft.

Im Gegensatz zu Galtung erfahren Deweys kulturtheoretische Überlegungen eine umfassende

demokratietheoretische Konkretisierung.

Dewey stellt sich die Frage, welche politischen Gemeinwesen sich dadurch auszeichnen,

„dass in ihnen lebendige und möglichst breit ausgreifende Formen der Artikulierung und permanenten

Aktualisierung des politischen Modus von Erfahrung und ihrer Interpretation bestehen und die

politisch-kulturellen ‚Objektivierungen‘ (in Form von relativ stabilen Institutionen und Strukturen) an

eine breite gesellschaftliche Praxis der (um)gestaltenden politischen Interpretation rückgebunden

bleiben“342.

Dewey beantwortet diese Frage unmissverständlich: Nur eine demokratische Gemeinschaft ist

in der Lage kulturelle Selbsterneuerung zu fördern. „Das Ziel von Deweys Kulturkritik ist

[somit] die Demokratisierung der Gesellschaft.“343

Rorty bezeichnet aus diesem Grund

Dewey auch als „Philosophen der Demokratie“344

.

Wichtig ist es, sich in diesem Zusammenhang Deweys Demokratieverständnis zu

vergegenwärtigen. Ausgangspunkt Deweys Demokratiekonzeption ist die Kritik an rein

liberalistisch-instrumentellen Demokratievorstellungen. Interessant ist in diesem

Zusammenhang Deweys kritische historische Betrachtungsweise. So stellt er fest, dass die

„alte“ liberalistische Demokratieidee mit ihrer individualrechtlichen und kapitalistischen

Fokussierung in der Frühphase der Amerikanischen Republik durchaus ihre Berechtigung

hatte. Sie fand eine angemessene Antwort auf die verkrusteten Strukturen des Feudalismus,

sie formulierte eine adäquate Antwort – um es mit Galtungs Worten auszudrücken – auf die

strukturellen Gewaltverhältnisse des britischen Herrschaftssystems.345

Mit anderen Worten:

Die Entstehung und Etablierung der liberalen Demokratie in Amerika ist für Dewey ein

positives Beispiel für aktiv herbeigeführten kulturellen Wandel. Im Laufe der Zeit ist der

amerikanische Liberalismus in Deweys Augen aber selbst in die Krise geraten. Der

Kapitalismus hat – Deweys und Galtungs Kapitalismuskritik gehen hierbei in die selbe

Richtung – soziale und politische Schieflagen produziert, welche mit dem Gemeinwohl nicht

mehr zu vereinbaren waren.

342 Sigwart (2012), S. 488. 343 Jörke (2003), S. 69. 344 Rorty (1994), S. 13ff. 345 Vgl. Jörke (2003), S. 130.

63

„Instead of the development of individualities which it prophetically set forth, there is a perversion of

the whole idea of individualism of a pecuniary culture. It has become the source and justification of

inequalities and oppressions.”346

Der Liberalismus alter Prägung kann laut Dewey keine angemessenen Antworten auf neue

problematische Situationen bereitstellten. Die Ursache, warum der Liberalismus selbst „zu

einer konservativen Ideologie erstarrt”347

ist, sieht Dewey nun im Liberalismus selbst

angelegt.

Durch seine naturrechtliche Fundierung – zentrale Bausteine sind hier universale,

naturgegebene und damit unveränderliche, ahistorische Grundrechte – ist der Liberalismus

nicht in Lage auf neue Problemsituationen zu reagieren. Er gibt alte Antworten auf neue

Fragen. „[E]ine kontingente Unterscheidung wird zu etwas Universellen, Allgemeingültigen

und somit nicht mehr Hinterfragbaren hypostasiert.“348

In diesem Zusammenhang zeigen sich die zentralen Vorteile von Deweys praxisorientierter

Philosophie bzw. seines dynamischen Kulturverständnisses.

„Ideen und Wertvorstellungen stehen für ihn […] immer im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen und spiegeln weniger ein unveränderliches, natürliches Recht als vielmehr die

jeweiligen Gegebenheiten einer historischen Epoche wider. […] Das, was vermeintlich universell gültig

ist, wird als kontingentes, aber durchaus rekonstruierbares Produkt einer bestimmten Problemsituation

gedeutet.“349

Auf Basis seines kritischen Bewusstseins und ausgehend von der progressiven Kulturtheorie

versucht Dewey nun den in seinen Augen unzeitgemäßen „alten“ Liberalismus zu erneuern.

Entscheidend ist es in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass Dewey die Krise des

Liberalismus nicht mit kollektivistischen Positionen zu lösen versucht. Das freie Individuum

bleibt der zentrale Akteur seiner politischen Theorie. „Nevertheless, the ideas of liberty, of

individuality and of freed intelligence have an enduring value, a value never more needed

than now.”350

Und: Die einzige „Kur für die Leiden der Demokratie“ sieht Dewey in der

Förderung von „mehr Demokratie“351

.

Dewey entwickelt einen Demokratiebegriff der beim Bewusstsein der Menschen ansetzt.

„Demokratie versteht er dabei in einem umfassenderen Sinne; er möchte sie nicht auf die

politischen Institutionen beschränkt wissen, sondern hebt die Bedeutsamkeit des

Demokratieideals für alle gesellschaftlichen Sphären hervor.“352

Es gibt für Dewey keine

sozialen Institutionen, die unabhängig vom jeweiligen kulturellen oder historischen Kontext

346 Dewey (1984b), S. 49. 347 Jörke (2003), S. 127. 348 Jörke (2003), S. 129. 349 Jörke (2003), S. 129. 350 Dewey (1987a), S. 35. 351 Dewey (1996), S. 127. 352 Jörke (2003), S. 17.

64

eine absolute Gültigkeit besäßen.353

Eine Demokratie ist in erster Linie nicht durch ihre

institutionell-organisatorische Eigenheit charakterisiert, sondern durch die geistig-moralische

Qualität („Demokratie als Lebensform“354

) ihrer Bürger. Diese Qualität ist ausgezeichnet

durch ein aktives politisches Leben.

„Die sinnhafte Grundlage freiheitlicher Politik ist sozusagen eine lebendige, möglichst viele Individuen

nicht nur rezeptiv, sondern auch aktiv einbeziehende soziokulturelle hermeneutische Praxis des

politischen Gemeinwesens als des pluralen Interpreten seiner selbst und der Wirklichkeit.“355

Nach Deweys Überzeugung fußt Demokratie auf der anhaltenden Verpflichtung jedes

Individuums, dafür zu sorgen, dass es selbst wie auch jedes andere Gesellschaftsmitglied ein

möglichst erfülltes, gelingendes und friedliches Leben („growth“) führen kann. Mittelpunkt

der Aktivität ist die ständige individuelle und kollektive Selbstthematisierung, welche eine

kontinuierliche Neujustierung kultureller Eigenheiten ermöglicht.

„In the first place, democracy is much broader than a special political form, a method of conducting

government, of making laws and carrying on governmental administration by means of popular suffrage and elected officers. It is that, of course. But it is something broader and deeper than that. The political

and governmental phase of democracy is a means, the best means so far found, for realizing ends that

lie in the wide domain of human relationships and the development of human personality. It is, as we

often say, though perhaps without appreciating all that is involved in the saying, a way of life, social

and individual. The keynote of democracy as a way of life may be expressed; it seems to me, as the

necessity for the participation of every mature human being in formation of the values that regulate the

living of men together: which is necessary from the standpoint of both the general social welfare and the

full development of human beings as individuals.”356

Demokratie bedeutet in diesem Sinne das aktive und kontinuierliche Aufbrechen negativer

kultureller Permanenzen und die kreative Entwicklung neuer positiver ‚habits‘ im kollektiven

Einverständnis.

„[D]ie Partizipation der einzelnen Individuen beschränkt sich nicht auf bloße Rezeptivität gegenüber als

autoritativ erfahrenen vorgegebenen Ideen, Zielen, Zwecken, Identitäten, sondern impliziert immer

individuelles ‚Selbst Denken‘, die aktive Partizipation an der Entwicklung, Entfaltung und permanenten

Umformung gemeinschaftlicher Zwecke, gesellschaftlicher ‚Identität‘ und ihrer symbolischen

Artikulation.“357

5. Schlussbetrachtung

353

Interessanterweise verbindet sich Deweys Ablehnung des instrumentellen Demokratieverständnisses mit der

Ablehnung einer gewaltsamen Demokratieförderung: „Sofern die menschliche Erfahrung unmissverständlich auf eine Schlussfolgerung hinweist, dann ist es die, dass es für die Verwirklichung demokratischer Ziele

demokratischer Methoden bedarf. Autoritäre Methoden präsentieren sich uns in neuen Masken. Sie melden sich

bei uns mit der Behauptung, dass sie den letzten Zielen der Freiheit und Gerechtigkeit [...] dienen. Oder sie legen

uns ein totalitäres Regime nahe, um das totalitäre System zu bekämpfen. Einerlei in welcher Form sie sich

zeigen: Sie verdanken ihren lockenden Einfluss der Behauptung, dass sie idealen Zwecken dienen. Unsere [...]

Abwehr besteht in der Einsicht, dass der Demokratie nur durch eine allmähliche, schrittweise Einführung und

fortschreitende Verbreitung solcher Methoden auf sämtliche Gebiete unseres Alltagslebens gedient ist, die mit

den gesteckten Zielen identisch sind.“ Dewey (2003), S. 134 f. 354 Mit dieser Formel bringt Gebhard Deweys Demokratieverständnis auf den Punkt. Gebhard (2011). 355 Sigwart (2012), S. 489. 356 Dewey (1987b), S. 217. 357 Sigwart (2012), S. 262.

65

Ein Wissenschaftler muss die Auswirkungen seines Schaffens reflektieren und muss

hinterfragen, welche politisch-praktischen Effekte seine Theorien bewirken. Er steht, wie es

Praxistheoretiker John Law bezeichnet, vor Fragen „ontologischer Politik“. D.h. ein Forscher

muss sich die normative Frage stellen, welche Wirklichkeitsbilder er erstellen möchte.358

„Der Wissenschaftler befindet sich damit nicht in einem epistemologischen, sondern normativen Nexus.

[…] [Eine] sensibilisierte Selbstprüfung der Interpretation sollte auch die möglichen Effekte für die

‚Beforschten’ antizipieren, um den ‚fröhlichen Positivismus’ nicht kurzerhand durch einen ‚fröhlichen

Konstruktivismus’ zu ersetzen.“359

Ein geeignetes Kriterium zur Bewertung einer praxisrelevanten Friedenstheorie ist ihr sozial-

kritisches Potenzial.360

Die Frage die sich stellt lautet: Inwiefern leistet eine Theorie einen

Beitrag dazu, dass Menschen ein Instrument zur Hand bekommen, mit dem sie sich selbst und

ihre Lebensverhältnisse durchschauen und ändern können? Eine Theorie, die den Menschen

als jemanden versteht, der von sozialen oder kulturellen Gezeiten hin- und hergeschwemmt

wird, hätte demnach kein oder nur ein geringes sozial-kritisches Potenzial. „Eine Theorie

dagegen, die z.B. die zunehmende Ökonomisierung zwischenmenschlicher Beziehungen

‚aufdeckt‘, und die deren sozialfunktionale Konstruktionszusammenhänge ‚zeigt‘, hätte ein

hohes sozial-kritisches Potenzial, da sie den einzelnen Menschen als Aktor anspricht und ihm

so die Möglichkeit anbietet, die ‚sozialen Verhältnisse‘ und damit sich selbst zu ändern.“361

Die Fragen „ontologischer Politik“ beantwortet Galtung mit seiner Theorie der kulturellen

Gewalt aus meiner Sicht nicht durchweg zufriedenstellend. Der große Verdienst Galtungs ist

die Öffnung des friedenswissenschaftlichen Diskurses für kulturtheoretische Fragen. Mit

Galtungs Theorie der kulturellen Gewalt werden die Fragen von Kultur und Gewalt erstmals

in einen systematischen Zusammenhang gebracht. Diesen positiven Aspekt spricht unter

Anderem Schmidt an:

„Wenn das kulturelle Gewaltpotenzial einer Zivilisation bzw. Gesellschaft sich an den Aspekten ihrer

Kultur ablesen lässt, die sich zur Legitimation direkter oder struktureller (und übrigens auch kultureller)

Gewalt nutzen lassen, dann scheint die friedenswissenschaftliche Aufgabenstellung klar: Erstens

Untersuche Religion und Ideologie, Sprache und Kunst, die empirischen wie die formalen

Wissenschaften – Zentralbereiche der symbolischen Existenz zeitgenössischer Gesellschaften – auf das in ihnen liegende Gewaltlegitimationspotential hin, und zweitens: Bemühe dich um die sorgfältige, nach

Möglichkeit auch wissenschaftsfundierte Kritik des Eruierten, die nicht nur auf die intellektuellen

Defizienzen seiner Produktion, sondern zugleich auch auf die darin identifizierbaren Interessen der

jeweiligen Produzenten abstellt. Hier liegt in der Tat ein weites Feld friedenswissenschaftlicher

Aktivitäten, dessen grundsätzliche Bestellung Galtung dringend angelegen ist – wie seine Kritik etwa

der Gewaltförmigkeit ökonomischer Theorien, theologisch begründeter Auserwähltheitstheoreme oder

der Nationalstaatsideologie überzeugend demonstriert.“362

358 Law (2004), S. 143ff. 359 Reckwitz (2003), S. 97. 360 Vgl. Laucken (1995), S. 298. 361 Laucken (1995), S. 298. 362 Schmidt (1999), S. 39f.

66

Positiv hervorzuheben ist darüber hinaus Galtungs motivationale Ausrichtung. Er hält mit der

Theoretisierung kulturell bedingter Gewaltverhältnisse jedem Menschen einen Spiegel

entgegen. Seine Theorie der kulturellen Gewalt weist in diesem Zusammenhang ein hohes

sozial-kritisches Potenzial auf, da sie die Menschen für Fragen unbewusster kultureller

Gewaltlegitimation sensibilisiert. Mit Holm könnte man sagen, dass „the main relevance of

Galtung’s work lies in the ideas it can produce in the reader. They are a source of creativity,

because they may open up for new combinations and new ideas.”363 Anhand der Reflexion

der liberalen Theorie des „Demokratischen Friedens“ versuchte ich zu zeigen, dass Galtungs

Verquickung kulturtheoretischer und friedensorientierter Fragen zwar in der Tendenz und der

Sache in die richtige Richtung weisen. Allerdings verhindert Galtungs antidynamisches

Kulturverständnis aber, dass die Überwindung kultureller Gewalt zum zentralen „Problem“

des wissenschaftlichen Nachdenkens wird. An dieser Stelle büßt seine Theorie der kulturellen

Gewalt an sozial-kritischem Potenzial ein. Die negativen Konsequenzen aus Galtungs

kulturtheoretischer Akzentsetzung (mitsamt ihrer apolitischen und ahistorischen Implikation)

zeigen sich dadurch, dass gerade das friedenspraktische Potenzial der Theorie der kulturellen

Gewalt durch die Ausblendung der kulturgenerierenden Faktoren blockiert wird. In diesem

Zusammenhang sei auch auf die unglückliche und wenig zielführende Begrifflichkeit

Galtungs verwiesen. Biologistische Termini mit deterministischer Konnotation stehen einer

praxisorientierten Friedensforschung, die am Abbau von kultureller Gewalt interessiert ist,

eher entgegen als sie zu fördern. Denn: „Die entscheidende Frage ist, ob er [der Beforschte]

sich noch bewusst bleibt, dass die gesellschaftliche Welt, wie auch immer objektiviert, von

Menschen gemacht ist – und deshalb neu von Ihnen gemacht werden kann.“364

Die Suche

nach kultureller Permanenz versperrt bei Galtung den Blick auf die Kreativitätspotenziale des

Menschen. Das emanzipatorische Moment kommt aufgrund der gewählten theoretischen

Perspektive notwendigerweise zu kurz. Nicht nur der tiefenkulturelle Sozialisationsprozess

findet im Unterbewusstsein statt, sondern auch der Transformationsprozess des Unbewussten

vollzieht sich im Diffusen. Scheinbar völlig unabhängig von den Handlungen individueller

und kollektiver Akteure sind die Existenz und die Statik der Tiefenkultur vorgegeben. Die

Permanenz des Kulturellen wird somit theoretisch vorentschieden. Deshalb gilt für Galtung

das Selbe, was Leifeld für die Kulturtheorie Levi-Strauss‘ konstatiert.

„Kultur ist etwas vom Menschen Unabhängiges; sie beherrscht den Menschen, aber der Mensch, der

wie eine Marionette an den Fäden der strukturellen Regeln hängt, kann wenig Einfluss auf die

Ausprägung der Kultur nehmen. Damit ist der Kulturbegriff zu strukturdeterminiert, zu eng

363 Holm (1980), S. 44. 364 Berger/ Luckmann (2000), S. 95.

67

eingebunden und zu unflexibel. Selbst wenn Levi-Strauss zurecht hinter gesellschaftsformenden Regeln

eine Ordnung der Gesellschaft diagnostiziert, bleibt in seiner Theorie kein Platz dafür, dass Menschen

einen freien Willen haben und Kultur interaktiv mit ihren Mitmenschen in einem Prozess aushandeln

können.“365

Dieser Sachverhalt liegt quer zur Galtungs postulierter Praxisorientierung der

Friedensforschung bzw. zur Idee einer „wirklichkeitsverändernden“ Wissenschaft.

„Die Aufgabe der Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Friedens- und Konfliktforschung im

Besonderen wird in erster Linie darin gesehen, mit den Forschungsergebnissen eine

gesellschaftsverändernde Praxis anzuleiten und mit eigenem gesellschaftlichen und politischen

Engagement diese Veränderungsprozesse auch zu unterstützen.“366

In diesem Zusammenhang ist auch Kinkelbur zuzustimmen, der hervorhebt, dass „[e]rst die

Veränderbarkeit eines kulturellen Sozio-Codes […] die Arbeit an einer Kultur des Friedens in

ihren ideellen und insbesondere materiellen Gehalten zu einer konkreten Perspektive für einen

Zuwachs für Humanität und Zivilität werden [lässt].“367

Gerade eine friedens- und

praxisorientierte Wissenschaft, welcher an der Veränderung der konstruierten Wirklichkeit

gelegen ist, darf die Rolle der Akteure nicht aus den Augen verlieren, sondern muss sie

rekonstruieren und in die theoretische Konzeptualisierung integrieren.368

Durch die

theoretische Unterbestimmtheit der Subjekt- und Akteursebene droht Galtungs

friedensorientierte Konzeption deshalb ins Leere zu laufen. Indem Galtung die

emanzipatorischen und kreativen Potenziale des Menschen außer Acht lässt, kann er für

kulturellen Wandel keine überzeugenden Mechanismen ins Feld führen.

Auf Basis der diagnostizierten Defizite Galtungs kulturtheoretischer Überlegungen versuchte

die Arbeit zu zeigen, dass eine pragmatistisch angeleitete Theorie der kulturellen Gewalt

geeignetere Antworten auf die Fragen „ontologischer Politik“ geben kann. Dewey

problematisiert und politisiert gerade jenes Moment, welches bei Galtung aus dem Blick

gerät: den Permanenzcharakter kultureller Überlieferungszusammenhänge. Dabei lehnt

Dewey die deterministische Tendenz und die Betonung der ‚Wandlungsresistenz‘ kulturelle

Tatsachen ab und verweist auf den permanenten Wandel der Bedeutungen und Begriffe sowie

auf deren kontingenten und situationsabhängigen Wirkungen. Durch die Betonung der

zentralen Rolle des „Faktors Mensch“ verfügt die pragmatistische Kultur- und

Handlungstheorie dabei über ein besonders tragfähiges Akteurskonzept, welches der Theorie

der kulturellen Gewalt zugrunde gelegt werden könnte. Der Rückgriff auf Deweys

365 Leifeld (2002), S. 79. 366 Schrader (2009), S. 30. 367 Kinkelbur (2000), S. 27. 368 Vgl. Leifeld (2002), S. 112. Ähnlich betont diese Sachverhalt Luckmann: „Die erste methodologische

Aufgabe der Sozialwissenschaften besteht nicht in der Ausschaltung der sinnkonstituierenden Alltagspraxis,

sondern in deren systematischen Rekonstruktion.“ Luckmann (1986), S. 195.

68

dynamisches Kulturverständnis hätte den zentralen Vorteil, die Genese kulturell bedingter

Gewalt in den Fokus des Interesses zu stellen und damit einen Weg zur Vermeidung oder

Bearbeitung von Gewalt-Konflikten aufzuzeigen. Mit einer pragmatistisch informierten

Kulturtheorie könnte nicht allein das dialektische Verhältnis von Kultur und Gewalt betont

und thematisiert werden, sondern auch die Möglichkeitsbedingungen für eine Kultur des

Friedens theoretisiert werden. Durch den pragmatistischen Beitrag kann der bei Galtung

diagnostizierten „Hypostasierung des Überlieferungszusammenhangs“ ein wirksamer

Schutzmechanismus entgegengesetzt werden. Insgesamt können Deweys kultur- und

demokratietheoretischen Überlegungen mit Galtungs Idee der kulturellen Gewalt in

produktive Verbindung gebracht werden: Mit seiner Demokratieidee, die sich durch ständige

kulturelle Selbstvergewisserung und Weiterentwicklung auszeichnet, ist eine politische

Theorie ausgearbeitet, die den Abbau kultureller Gewalt und den Aufbau einer Kultur des

Friedens als normativen Fixpunkt gesellschaftlicher Organisation denken lässt.

6. Literatur

Alfs, Michael (1995): Wissenschaft für den Frieden? Das schwierige Theorie-Praxis-

Verhältnis der Friedens- und Konfliktforschung. Münster.

69

Bachmann-Medick, Doris (2007): Cultural Turns. Neuorientierungen in den

Kulturwissenschaften. Reinbek.

Baumgart-Ochse, Claudia (2008): Demokratie und Frieden im Heiligen Land. Politisierte

Religion in Israel und das Scheitern des Osloer Friedensprozesses. Frankfurt am Main.

Benhabib, Seyla (2002): The Claims of Culture. Equality and Diversity in the Global Era.

Princeton.

Berger, Peter L./ Luckmann, Thomas (2000): Die gesellschaftliche Konstruktion der

Wirklichkeit. Frankfurt am Main.

Bonacker, Thorsten/ Imbusch, Peter (2006): Zentrale Begriffe der Friedens- und

Konfliktforschung: Konflikt, Gewalt, Krieg, Frieden, in: Imbusch, Peter/ Zoll, Ralf

(Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Eine Einführung. Wiesbaden 2006, S. 68-

142.

Boulding, Kenneth E. (1977): Twelve friendly quarrels with Johan Galtung, in: Gleditsch,

Nils Petter/ Leidne, Odvar/ Holm, Hans‐Henrik/ Høivik, Tord/ Klausen, Arne Martin/

Rudeng, Erik/ Wiberg, Håkan (Hrsg.): Johan Galtung. A Bibliography of his Scholarly

and Popular Writings 1951‐80. Oslo, S. 7-26.

Bourdieu, Pierre (2005): Die männliche Herrschaft. Übersetzt von Jürgen Bolder.

Frankfurt am Main.

Brock, Lothar/ Geis, Anna/ Müller, Harald (2006): Introduction: the Theoretical Challenge

of Democratic Wars, in: Geis, Anna/ Brock, Lothar/ Müller, Harald (Hrsg.):

Democratic Wars. Looking at the Dark Side of Democratic Peace. New York/

Basingstoke, S. 3-12.

Brousek, Jan (2008): Kultur – Gewalt – Transformation. Die Friedensforschung Johan

Galtungs mit Schwerpunktsetzung auf dem Thema der kulturellen Gewalt unter

besonderer Berücksichtigung der Tiefenkulturanalyse. Wien.

Brown, Chris (1981): Galtung and the Marxists on Imperialism: Answers vs. Questions, in

Millennium. Journal of International Studies 10/ 3, S. 220-228.

Büger, Christian/ Gadinger, Frank (2008): Praktisch gedacht! Praxistheoretischer

Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen, in: Zeitschrift für Internationale

Beziehungen, 15/ 2, S. 273-302.

Czempiel, Ernst-Otto (1996): Kants Theorem. Oder: Warum sind die Demokratien (noch

immer) nicht friedlich?, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1/ 96, S. 79-

101.

Dewey, John (1921): Reconstruction in Philosophy. New York.

70

Dewey, John (1982): The Study of Philosophy, in: Boydston, Jo A. (Hrsg.): The Middle

Works (Vol. 6), S. 136-137.

Dewey, John (1984a): Construction and Criticism, in: Boydston, Jo A. (Hrsg.): The Later

Works (Vol. 5), S. 125-143.

Dewey, John (1984b): The House Devided against Itself, in: Boydston, Jo A. (Hrsg.): The

Later Works (Vol. 5). Illinois, S. 45-50.

Dewey, John (1987a): Liberalism and Social Action, in: Boydston, Jo A. (Hrsg.): The Later

Works (Vol. 11), S. 1-65.

Dewey, John (1987b): Democracy and Educational Administration, in: Boydston, Jo A.

(Hrsg.): The Later Works (Vol. 11), S. 217-225.

Dewey, John (1993): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische

Pädagogik. Aus dem Amerikanischen von Erich Hylla. Herausgegeben und mit einem

Nachwort von Jürgen Oelkers. Weinheim/ Basel.

Dewey, John (1996): Die Öffentlichkeit und ihre Probleme. Aus dem Amerikanischen von

Wolf-Dietrich Junghanns. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von

Hans-Peter Krüger. Darmstadt.

Dewey, John (1998): Die Suche nach Gewissheit. Eine Untersuchung des Verhältnisses von

Erkenntnis und Handeln. Übersetzt von Martin Suhr. Frankfurt am Main.

Dewey, John (2002): Human Nature and Conduct. An Introduction to Social Psychology.

New York.

Dewey, John (2003): Freiheit und Kultur. Mit einem Nachwort neu herausgegeben von

Rebekka Horlacher und Jürgen Oelkers. Zürich.

Dewey, John (2004): Die menschliche Natur. Ihr Wesen und ihr Verhalten. Mit einem

Nachwort neu herausgegeben von Rebekka Horlacher und Jürgen Oelkers. Zürich.

Dewey, John (2007a): Erfahrung und Natur. Aus dem Amerikanischen von Martin Suhr.

Frankfurt am Main.

Dewey, John (2007b): The Influence of Darwinism on Philosophy, in: Hickman, Larry A.

(Hrsg.): The Influence of Darwin on Philosophy and other Essays in Contemporary

Thought. Illinois, S. 5-12.

Dewey, John (2008): The Need for a Recovery of Philosophy, in: Boydston, Jo A. (Hrsg.):

Dewey, John (Hrsg.): The Middle Works (Vol. 10). Illinois, S. 3-48.

Dittrich, Rita/ Hölscher, Barbara (2001): Transfer von Lebensstilkonzepten. Zu den

Voraussetzungen interkultureller Vergleichsforschung. Münster (u.a.)

Ferdowski, Mir A. (1981): Der positive Frieden: Johan Galtungs Ansätze und Theorien des

71

Friedens. München.

Galtung, Johan (1967): Theory and Methods of Social Research. Copenhagen.

Galtung, Johan (1970): Feudal Systems, Structural Violence and the Structural Theory of

Revolutions, in: The International Peace Research Association (Hrsg.): Philosophy of

Peace Research (Vol. 1). Assen, S. 110-188.

Galtung, Johan (1971a): Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: Senghaas, Dieter

(Hrsg.): Kritische Friedensforschung. Frankfurt am Main, S. 55-104.

Galtung, Johan (1971b): Science and Development Assistance, in: Galtung, Johan (1980):

Papers in English 1968-1972 (Vol. 5). Oslo, S. 159-182.

Galtung, Johan (1973a): Einleitende Bemerkungen zu bestimmten Schlüsselbegriffen, in:

Galtung, Johan/ Senghaas, Dieter (Hrsg.): Kann Europa abrüsten? Friedenspolitische

Optionen für die siebziger Jahre. München, S. 92-99.

Galtung, Johan (1973b): Europa – bipolar, bizentrisch oder kooperativ? In: Galtung, Johan/

Senghaas, Dieter (Hrsg.): Kann Europa abrüsten? Friedenspolitische Optionen für die

siebziger Jahre, München, S. 9-61.

Galtung, Johan (1975a): Essays in Peace Research. Peace, Research, Education, Action

(Vol. 1). Copenhagen.

Galtung, Johan (1975b): Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung.

Reinbek bei Hamburg.

Galtung, Johan (1975c): Peace research: science, or politics in disguise? In: Galtung, Johan:

Essays in Peace Research. Peace, Research, Education, Action (Vol. 1). Copenhagen,

S. 224-243.

Galtung, Johan (1975d): The specific contribution of peace research to the study of the

causes of violence. Typologies. Oslo.

Galtung, Johan (1975e): Introduction, in: Galtung, Johan: Essays in Peace Research. Peace,

Research, Education, Action (Vol. 1). Copenhagen, S. 19-28.

Galtung, Johan (1976): Marx et Engels dans la cosmologie occidentale, in: Furter, Pierre

(Hrsg.): Théme et variations sur l’ethnocentrisme. Genf, S. 46-50.

Galtung, Johan (1978): Methodologie und Ideologie. Aufsätze zur Methodologie (Vol. 1).

Frankfurt am Main.

Galtung, Johan (1979a): Pluralismus und die Zukunft der menschlichen Gesellschaft, in:

Senghaas, Dieter (Hrsg.): Kritische Friedensforschung. Übersetzt von Hedda Wagner.

Frankfurt am Main, S. 164-231.

Galtung, Johan (1979b): Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: Senghaas, Dieter

72

(Hrsg.): Kritische Friedensforschung. Übersetzt von Hedda Wagner. Frankfurt am

Main, S. 55-104.

Galtung, Johan (1980): A Structural Theory of Imperialism – Then Years Later, in:

Millennium. Journal of International Studies 9/ 3, S. 183-196.

Galtung, Johan (1981): Western Civilization: Anatomy and Pathology, in:

Alternatives 7/ 2, S. 146-169.

Galtung, Johan (1986): Carries of Cosmology.

Galtung, Johan (1990): Cultural Violence, in: Journal of Peace Research 27, S. 291-305.

Galtung, Johan (1993): Kulturelle Gewalt, in: Der Bürger im Staat 43/ 2, S. 106-112.

Galtung, Johan (1994): Menschenrechte – anders gesehen. Frankfurt am Main.

Galtung, Johan (1995): Visionen einer friedlichen Welt, in: Senghaas, Dieter (Hrsg.): Den

Frieden denken. Frankfurt a.M., S. 385-418.

Galtung, Johan (1997): Der Preis der Modernisierung. Struktur und Kultur im Weltsystem.

Wien.

Galtung, Johan (1998a): Frieden mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung

und Kultur. Übersetzt von Hajo Schmidt. Opladen.

Galtung, Johan (1998b): Die andere Globalisierung. Perspektiven für eine zivilisierte

Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Münster.

Galtung, Johan (2001): Frieden mit friedlichen Mitteln. Frieden und Entwicklung.

Studienmaterial der Friedenswissenswissenschaftlichen Weiterbildungsstudiengänge

IF/ Master of Peace Studies. Fernuniversität Hagen.

Galtung, Johan (2002a): What is Peace Studies? Tromso: Center for Peace Studies at die

University of Tromso.

Galtung, Johan (2005): Frieden mit friedlichen Mitteln. Konflikt und Kultur.

Studienmaterial der Friedenswissenschaftlichen Weiterbildungsstudiengänge IF/

Master of Peace Studies. Fernuniverität in Hagen.

Galtung, Johan (2008): 50 Years, 25 Intellectual Landscapes Explored. Oslo.

Galtung, Johan/ Heiestad, Tore/ Rudeng, Erik (1979): On the last 2,500 Years in Western

History, and some Remarks on the coming 500, in: Trends in Western Civilization

Program Nr. 14. Oslo.

S. 318-361.

Gebhard, Stefan (2011): Demokratie als Lebensform. Genese, Entwicklung und

Relevanz der Sozialen Gruppenarbeit. Hamburg.

73

Gebhardt, Jürgen (1980): Symbolformen gesellschaftlicher Sinndeutung in der

Krisenerfahrung, in: Vondung, Klaus (Hrsg.) Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in

der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen. Göttingen, S.

41-89.

Gebhardt, Jürgen (1989): Eric Voegelin und die neuere Entwicklung der

Geisteswissenschaften, in: Zeitschrift für Politik 36, S. 251-263.

Geertz, Clifford (1973): The Interpretation of Cultures. Selected essays. London.

Geertz, Clifford (1983): Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von

Kultur, in: Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller

Systeme. Frankfurt am Main, S. 7-43.

Geis, Anna (2001): Diagnose: Doppelbefund, Ursache: ungeklärt? Die Kontroversen um

den „demokratischen Frieden“, in: Politische Vierteljahresschrift 42, S. 282-298.

Geis, Anna/ Wagner, Wolfgang (2006): Vom „demokratischen Frieden“ zur

demokratiezentrierten Friedens- und Gewaltforschung, in: Politische

Vierteljahresschrift 47/ 2, S. 276-309.

Graf, Wilfried/ Macho, Thomas (2010): Gespräch mit Johan Galtung (i.E.).

Habermas, Jürgen (1982): Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik, in: Habermas,

Jürgen: Zur Logik der Sozialwissenschaften. Frankfurt am Main, S. 331-366.

Habermas, Jürgen/ Ratzinger, Joseph (2006): Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft

und Religion. Herausgegebenen und Vorwort von Florian Schuller. Freiburg/ Basel/

Wien.

Hartmann, Martin (2003): Die Kreativität der Gewohnheit. Grundzüge einer

pragmatistischen Demokratietheorie. Frankfurt am Main.

Hasenclever, Andreas (2003): Liberale Ansätze zum ‚demokratischen Frieden‘, in: Schieder,

Siegfried/ Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen,

Opladen, S. 199-225.

Holm, Hans-Henrik (1980): Johan Galtung and the Science of Human Fulfilment: From

Petal-Picking to Mega Research, in: Gleditsch, Nils Petter/ Leidne, Odvar/ Holm,

Hans‐Henrik/ Høivik, Tord/ Klausen, Arne Martin/ Rudeng, Erik/ Wiberg, Håkan

(Hrsg.): Johan Galtung. A Bibliography of his Scholarly and Popular Writings

1951‐80. Oslo, S. 27-54.

Hörning, Karl H. (2004): Soziale Praxis zwischen Beharrung und Neuschöpfung. Ein

74

Erkenntnis- und Theorieproblem, in: Hörning, Karl H./ Reuter, Julia (Hrsg.): Doing

Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis. Bielefeld, S.

19-39.

Huntington, Samuel P. (1996): Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik

im 21. Jahrhundert. München.

Imbusch, Peter (2002): Der Gewaltbegriff, in: Heitmeyer, Wilhelm/ Hagan, John:

Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Opladen, S. 26-57.

Joas, Hans (1992): Die Kreativität des Handelns. Frankfurt am Main.

Jörke, Dirk (2003): Demokratie als Erfahrung. John Dewey und die politische Philosophie

der Gegenwart. Wiesbaden.

Kinkelbur, Dieter (1995): Überlegungen und Anmerkungen zur Theoriearbeit einer

zeitgenössischen Friedensforschung, in: Vogt, Wolfgang R. (Hrsg.) Frieden als

Zivilisierungsprojekt – Neue Herausforderungen an die Friedens- und

Konfliktforschung. Baden-Baden, S. 125-136.

Kinkelbur, Dieter (2000): Sozialformen der Gewalt, in: Kempf, Wilhelm (Hrsg.): Konflikt

und Gewalt. Ursachen – Entwicklungstendenzen – Perspektiven. Münster, S. 13-43.

Kohl, Karl-Heinz (1993): Ethologie – die Wissenschaft von kulturell Fremden. Eine

Einführung. München.

Kuhn, Thomas S. (1989): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main.

Laucken, Uwe (1998): Sozialpsychologie. Geschichte, Hauptströmungen, Tendenzen.

Oldenburg.

Law, John (2004): After Method: Mess in Social Science Research. London.

Lawler, Peter (1995): A Question of Values. Johan Galtung’s Peace Research. London.

Layne, Christopher (1996): Kant or Cant: The Myth of the Democratic Peace, in:

International Security 19/ 2, S. 5-49.

Leifeld, Ulrich (2002): „But they don’t know my view.” Interkulturelle

Kommunikationskonflikte thailändischer und deutscher Flugbegleiter am Arbeitsplatz.

Münster.

Lévi-Strauss, Claude (1951): Sprache und Gesellschaft, in: Lévi-Strauss, Claude:

Strukturale Anthropologie. Frankfurt am Main, S. 68-79.

Lévi-Strauss, Claude (1980):Mythos und Bedeutung. Fünf Radiovorträge. Gespräche mit

Claude Lévi-Strauss. Herausgegeben von Adelbert Reif. Frankfurt am Main.

Link, Werner (1972): Zur gegenwärtigen Friedensforschung – Ein Überblick, in: Albrecht,

Ulrich/ Streiter-Buscher, Heide (Hrsg.): Der geplante Frieden. Zehn Perspektiven.

75

Bergisch Gladbach, S. 1-14.

Luckmann, Thomas (1986): Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens.

Kommunikative Gattungen, in: Neidhardt, Friedhelm/ Lepsius, Reiner M. (Hrsg.):

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (Sonderheft 27). Opladen, S.

191-213.

Majer, Gerald (2003): Dialog als Instrument der Friedenserziehung. Diskussion der

pädagogisch-didaktischen Eignung verschiedener Dialogkonzeptionen im Hinblick auf

einen schulischen Beitrag zur Schaffung einer Kultur des Friedens. Osnabrück.

Menzel, Ulrich/ Varga, Katharina (1999): Theorie und Geschichte der Lehre von den

Internationalen Beziehungen. Einführung und systematische Bibliographie. Hamburg.

Moravcsik, Andrew (1997): Taking Preferences Seriously: A Liberal Theory of International

Politics, in: International Organization 51/ 4, S. 513-53.

Nagl, Ludwig (1998): Pragmatismus. Frankfurt am Main/ New York.

Neubert, Stefan (2004): Pragmatismus, Konstruktivismus und Kulturtheorie, in: Hickman,

Larry A./ Neubert, Stefan/ Reich, Kersten (Hrsg.): John Dewey – zwischen

Pragmatismus und Konstruktivismus. Münster, S. 114-131.

Nicklas, Hans (1990): Wie wir den Krieg herstellen. Die Institution des Krieges als

gesellschaftliches und psychisches Konstrukt, in: Steinweg, Reiner/ Wellmann,

Cristian (Hrsg.): Die vergessene Dimension internationaler Konflikte:

Subjektivität. Frankfurt a. M., S. 62-92.

Owen, John M. (1996): How Liberalism Produces Democratic Peace, in: Brown, Michael

(Hrsg.): Debating the Democratic Peace – An International Security Reader.

Cambridge, S. 116-154.

Posern, Thomas (1992): Strukturelle Gewalt als Paradigma sozialethisch-theologischer

Theoriebildung. Frankfurt am Main.

Prepoudis, Apostolos (1983): Strukturelle Gewalt und Staat. Ostermundigen-Bern.

Reckwitz, Andreas (2000): Der Status des ‚Mentalen‘ in kulturtheoretischen

Handlungserklärungen. Zum Problem der Relation von Verhalten und Wissen nach

Stephen Turner und Theodore Schatzki, in: Zeitschrift für Soziologie. Heft 3, S. 167-

185.

Reckwitz, Andreas (2003): Die Krise der Repräsentation und das reflexive

Kontingenzbewusstsein. Zu den Konsequenzen der post-empiristischen

Wissenschaftstheorien für die Identität der Sozialwissenschaften, in: Bonacker,

Thorsten/ Brodocz, André/ Noetzel, Thomas (Hrsg.): Die Ironie der Politik. Über die

76

Konstruktion politischer Wirklichkeiten, Frankfurt am Main, 85 -103.

Reckwitz, Andreas (2004): Die Kontingenzperspektive der ‚Kultur‘. Kulturbegriffe,

Kulturtheorien und das kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm, in: Jaeger,

Friedrich/ Rüsen, Jörn (Hrsg..): Handbuch der Kulturwissenschaften, Band III:

Themen und Tendenzen, Stuttgart/ Weimar 2004, S. 1- 20.

Reckwitz, Andreas (2005): Kulturelle Differenzen aus praxeologischer Perspektive:

Kulturelle Globalisierung jenseits von Modernisierungstheorie und

Kulturessentialismus, in: Srubar, Ilja/ Renn, Joachim/ Wenzel, Ulrich (Hrsg.):

Kulturen vergleichen – Sozial- und kulturwissenschaftliche Grundlagen und

Kontroversen. Wiesbaden, S. 92-111. Reckwitz, Andreas (2006): Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines

Theorieprogramms. Weilerswist.

Reitter, Karl (1989): Kritische Anmerkungen zur Diskussion um den Wissenschaftsbegriff

der Friedensforschung, in: Österreichisches Institut für Friedensforschung und

Friedenserziehung (Hrsg.): Neue Perspektiven der Friedensforschung.

Zwischenbericht eines Projekts. Dialog/ Beiträge zur Friedensforschung Nr. 17.

Stadtschlaining, S. 54-60.

Risse-Kappen, Thomas (1994): Demokratischer Frieden? Unfriedliche Demokratien?

Überlegungen zu einem theoretischen Puzzle, in: Krell, Gert/ Müller, Harald (Hrsg.):

Frieden und Konflikt in den internationalen Beziehungen. Festschrift für Ernst-Otto

Czempiel. Frankfurt am Main/ New York, S. 159-189.

Risse-Kappen, Thomas (1996): Friedensforschung als Friedensstiftung? Zum Verhältnis von

Wissenschaft und Politik, in: Meyer, Berthold (Hrsg.): Eine Welt oder Chaos?

Frankfurt a. M., S. 520-538.

Roos, Ulrich (2003): Kulturelle Bedeutungen und zivilreligiöse Vorstellungen in der

amerikanischen Sicherheitspolitik. Frankfurt am Main.

Rorty, Richard (1981): Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt am

Main.

Rorty, Richard (1994): Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die

pragmatistische Philosophie. Wien.

Rummel, Rudolph J. (1983): Libertarianism and International Violence, in: Journal of

Conflict Resolution 27/ 2, S. 27-71.

Sandbothe, Mike (2000): Die Renaissance des Pragmatismus. Aktuelle Verflechtungen

zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie. Weilerswist.

77

Saner, Hans (1982): Personale, strukturale und symbolische Gewalt, in: Saner, Hans (Hrsg.):

Hoffnung und Gewalt. Zur Ferne des Friedens. Basel, S. 73-95.

Schimmelfennig, Frank (2008): Internationale Politik. München.

Schmidt, Hajo (1999): „Primat der Kultur“ bei der Suche nach Frieden? Zu Johan Galtungs

erweiterter Friedenstheorie, in: Voigt, Wolfgang R. (Hrsg.): Friedenskultur statt

Kulturkampf. Baden-Baden, S. 36-50.

Schmidt, Hajo (2001): Krieg, Frieden und Gewalt im Denken Johan Galtungs. Laudatio

anlässlich der Verleihung der philosophischen Ehrendoktorwürde am 23. Mai 2001

durch die Fernuniversität Hagen, in: Leviathan 29, S. 507-525.

Schmidt, Hajo (2002): Die Kritische Friedensforschung und die Herausforderungen der

Kosmologieanalyse, in: Schmidt, Hajo/ Trittmann, Uwe (Hrsg.): Kultur und Konflikt.

Dialog mit Johan Galtung. Münster, S. 13-31.

Schmidt, Hajo (2005): In Sachen Frieden – philosophische Aspekte von Krieg und

Gewalt. Studienmaterial der Friedenswissenswissenschaftlichen

Weiterbildungsstudiengänge IF/ Master of Peace Studies. Fernuniversität in Hagen.

Schmidt, Siegfried, J. (1997): Kultur und Kontigenz. Lehren eines Beobachters, in: Müller,

Albert/ Müller, Karl H./ Stadler, Friedrich (Hrsg.): Konstruktivismus und

Kognitionswissenschaft. Kulturelle Wurzeln und Ergebnisse. Wien /New York, S.

173-181.

Schmidtke, Sabine (1998): Samuel Huntingtons These des Zivilisationskonflikts im Lichte

der Zivilisationstheorie Johan Galtungs, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und

Frieden 16/ 1. Baden-Baden, S. 45-51.

Schrader, Lutz (2000): Der Kosovo-Krieg: friedenstheoretische Analyse und

friedenspolitische Auswirkungen, in: ÖKFK (Hrsg.): Europas Beitrag zum Frieden.

Vom militärischen zum zivilen Konfliktmanagement. Münster, S. 208-240.

Schrader, Lutz (2003): Die Theorie des demokratischen Friedens. Grundriss einer sozial-

konstruktivistischen Reformulierung, in: Calließ, Jörg/ Weller, Christoph (Hrsg.):

Friedenstheorie. Fragen - Ansätze - Möglichkeiten. Rehburg-Loccum.

Schrader, Lutz (2009): Philosophische und theoretische Einführung in das Transcend-

Verfahren, in: Graf/ Wilfried/ Kramer, Gudrun/ Schrader, Lutz: Das Transcend-

Verfahren – eine theoretische und praxeologische Einführung. Studienmaterial der

Friedenswissenschaftlichen Weiterbildungsstudiengänge IF/ Master of Peace Studies.

Fernuniverität in Hagen, S. 15-134.

Schütz, Alfred (1972): Das Problem der Rationalität in der sozialen Welt, in: Schütz,

78

Alfred: Studien zur soziologischen Theorie. Gesammelte Aufsätze (Band 2). Den

Haag. S. 22-52.

Schwelling, Birgit (2001): Politische Kulturforschung als kultureller Blick auf das Politische.

Überlegungen zu einer Neuorientierung der Politischen Kulturforschung nach dem

„cultural turn“, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 11/ 2, S. 601-629.

Schwerdtfeger, Johannes (2001): Begriffsbildung und Theoriestatus in der

Friedensforschung. Opladen.

Sigwart, Hans-Jörg (2012): Politische Hermeneutik. Verstehen, Politik und Kritik bei John

Dewey und Hannah Arendt. Würzburg.

Strzelecki, Jan (1980): A letter to Johan Galtung, in: Gleditsch, Nils Petter/ Leidne, Odvar/

Holm, Hans‐Henrik/ Høivik, Tord/ Klausen, Arne Martin/ Rudeng, Erik/ Wiberg,

Håkan (Hrsg.) Johan Galtung. A Bibliography of his Scholarly and Popular Writings

1951‐80. Oslo, S. 52-64.

Vogt, Peter (2002): Pragmatismus und Faschismus. Kreativität und Kontingenz in der

Moderne. Weilerswist.

Walter, Alfred (1998): Friede als Streit der Freiheit mit sich selbst. Systematisch-

ideengeschichtliche Untersuchungen zur normativen Grundlegung des

Friedensbegriffs in Friedenspädagogik, Friedensforschung und Theologie. Frankfurt

am Main.

Weickmann, Dorion (2010): Vom Husten und den Würmern. Drei Bücher des kleinen

Wallstein Verlags zeigen, wie ein neugieriger und kritischer Blick auf die Geschichte

die großen Entwürfe der Meisterhistoriker überprüfen kann, in: Die Zeit. Nr. 32 vom

5.8. 2010, S. 42.

Wintersteiner, Werner (1999): Pädagogik des Anderen. Bausteine für eine

Friedenspädagogik der Postmoderne. Münster.

Wintersteiner, Werner (2001): „Hätten wir das Wort, wir bräuchten die Waffen nicht.“

Erziehung für eine Kultur des Friedens. Innsbruck/ Wien/ München.

Internetquellen:

Fuchs, Albert (2003): Kultur und Krieg. Arbeitspapier 19. Institut für Friedensarbeit und

Gewaltfreie Konfliktaustragung. Wahlenau. Online aufgerufen am 10.10.2011 unter

http://www.ifgk.de/download/AP19.pdf.

Galtung, Johan (1986): Carries of Cosmology. Center of International Studies.

79

Princeton/ New Jersey. Online aufgerufen am 11.11.2011 unter http://www.

transcend.org /galtung/papers/Carriers%20of%20Cosmology.pdf.

Galtung, Johan (2002b): Rethinking Conflict: the Cultural Approach. Prepared for the

Intercultural Dialogue and Conflict Prevention Project Council of Europe. Directorate

General IV: Education, Culture and Cultural Heritage, Youth and Sports. Directorate

of Culture and Cultural and Natural Heritage Cultural Policy and Action Department.

Strasbourg. Online aufgerufen am 07.02.2012 unter http://www.coe.int/t/dg4/

cultureheritage/culture/completed/dialogue/DGIV_CULT_PREV(2002)1_Galtung_E.

PDF.