Jünger, Ernst - Gläserne Bienen

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  • E R N S T J N G E R

    Glserne Bienen

    E R N S T K L E T T V E R L A G S T U T T G A R T

  • 1. 5. Tausend Alle Rechte vorbehalten

    Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages Ernst Klett, Stuttgart 1957

    Printed in Germany Satz und Druck bei Ernst Klett, Stuttgart

  • GLSERNE BIENEN

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    1 Wenn es uns schlecht ging, mute Twinnings einsprin- gen. Ich sa bei ihm am Tisch. Diesmal hatte ich zu lange gewartet; ich htte mich schon lngst dazu entschlieen mssen, ihn aufzusuchen, doch die Misere raubt uns die Willenskraft. Man hockt in den Cafes, solange noch Kleingeld da ist, dann sitzt man herum und starrt Lcher in die Luft. Die Pechstrhne wollte nicht aufhren. Ich hatte noch einen Anzug, in dem ich mich sehen lassen konnte, aber ich durfte die Beine nicht bereinander- schlagen, wenn ich zu den Leuten ging, denn ich lief auf der Brandsohle. Da zieht man die Einsamkeit vor. Twinnings, mit dem ich bei den Leichten Reitern ge- dient hatte, hatte schon fters fr mich Rat gefunden, wie fr andere Kameraden auch. Er besa gute Verbin- dungen. Nachdem er mich angehrt hatte, machte er mir deutlich, da ich nur noch auf Posten rechnen konnte, die meiner Lage entsprachen, also auf solche, bei denen es einen Haken gab. Das war nur allzu richtig; ich durfte nicht whlerisch sein. Wir waren befreundet, was nicht viel besagen wollte, denn Twinnings war mit fast allen befreundet, die er kannte und mit denen er nicht gerade verfeindet war. Das war sein Geschft. Da er mir gegenber ungeniert war, empfand ich nicht als peinlich; man hatte da eher das Gefhl, bei einem Arzt zu sein, der grndlich ab- horcht und keine Sprche macht. Er fate mich am Auf-

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    schlag meines Rockes, dessen Stoff er betastete. Ich sah die Flecken darauf, als ob mein Blick sich geschrft htte. Er ging dann im einzelnen auf meine Lage ein. Ich war schon ziemlich verbraucht und hatte zwar viel ge- sehen, doch wenig bestellt, auf das ich mich berufen konnte das mute ich zugeben. Die besten Posten waren die, aus denen man ein groes Einkommen bezieht, ohne zu arbeiten, und um die man von allen beneidet wird. Aber hatte ich Verwandte, die Ehrungen und Auftrge zu vergeben hatten, wie etwa Paulchen Domann, dessen Schwiegervater Lokomotiven baute und der bei einem Frhstck mehr verdiente als andere Leute, die sich sonntags wie alltags abrackern, im ganzen Jahr? Je grer die Objekte sind, die man vermittelt, desto weni- ger machen sie zu schaffen; eine Lokomotive ist leichter zu verkaufen als ein Staubsauger. Ich hatte einen Onkel, der Senator gewesen, aber seit langem gestorben war. Niemand kannte ihn mehr. Mein Vater hatte als Beamter ein ruhiges Leben gefhrt; das kleine Erbe war lngst verzehrt. Ich hatte eine arme Frau geheiratet. Mit einem toten Senator und einer Frau, die selbst die Tre ffnet, wenn es klingelt, kann man keinen Staat machen. Dann waren da die Posten, die viel Arbeit machen und bestimmt nichts einbringen. Man mute Eisschrnke oder Waschmaschinen von Haus zu Haus anbieten, bis man die Trklinkenangst bekam. Man mute alte Kameraden vergrmen, indem man sie besuchte und hinterlistig mit einer Lebensversicherung berfiel. Twinnings ging mit einem Lcheln darber hinweg, und ich war ihm dank- bar dafr. Er htte mich fragen knnen, ob ich Besseres gelernt htte. Er wute zwar, da ich in der Panzer-

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    abnahme zu tun gehabt hatte, aber er wute auch, da ich dort auf der schwarzen Liste stand. Darauf werde ich noch zurckkommen. Es blieben Geschfte, denen ein Risiko anhaftet. Man hatte ein bequemes Leben, hatte sein Auskommen, aber unruhigen Schlaf. Twinnings lie einige Revue passieren, es handelte sich um polizeihnliche Anstellungen. Wer hatte heute nicht seine Polizei? Die Zeiten waren un- sicher. Man mute Leben und Eigentum schtzen, Grund- stcke und Transporte berwachen, Erpressungen und bergriffe abwehren. Die Unverschmtheit wuchs im Verhltnis zur Philanthropie. Von einer gewissen Promi- nenz an durfte man sich nicht mehr auf die ffentliche Hand verlassen, sondern mute einen Stock im Haus haben. Aber auch hier war viel weniger Angebot als Nach- frage. Die guten Pltze waren bereits besetzt. Twinnings hatte viel Freunde, und fr alte Soldaten waren die Zei- ten schlecht. Da war Lady Besten, eine ungeheuer reiche und noch junge Witwe, die immer um ihre Kinder zit- terte, besonders seitdem die Todesstrafe fr Kindsraub aufgehoben war. Doch Twinnings hatte sie bereits be- dient. Da war ferner Preston, der lmagnat, den die Pferde- manie gepackt hatte. Er war verschossen in seinen Renn- stall wie ein alter Byzantiner, ein Hippomane, der keine Kosten scheute, um seine Leidenschaft zu befriedigen. Die Pferde wurden bei ihm gehalten wie Halbgtter. Jedermann sucht sich ein Relief zu geben, und Preston fand dazu die Pferde geeigneter als Flotten von Tankern und Wlder von Bohrtrmen. Sie brachten ihm Frsten ins Haus. Aber es war auch viel rger dabei. Im Stall,

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    whrend der Transporte und auf dem Rennplatz mute man allen scharf auf die Finger sehen. Da drohten die Verabredungen der Jockeys, die Eifersucht von anderen Pferdenarren, die Leidenschaften, die mit hohen Wetten verbunden sind. Es gibt keine Diva, die so bewacht wer- den mu wie ein Rennpferd, das den Groen Preis ge- winnen soll. Das war ein Posten fr alte Kavalleristen, fr einen Mann, der Augen im Kopf und ein Herz fr die Pferde hat. Aber da sa schon Tommy Gilbert und hatte seine halbe Schwadron mit untergebracht. Preston hielt ihn wie seinen Augapfel. Twinnings zhlte diese und andere Stellen auf wie ein Kchenchef die leckeren Gerichte, die von der Karte ge- strichen sind. Alle Vermittler haben diese Eigenart. Er wollte mir Appetit machen. Endlich kam er mit greif- baren Angeboten man konnte wetten, da es da mehr als ein Haar in der Suppe gab. Da war Giacomo Zapparoni, auch einer von denen, die ihr Geld nicht zhlen knnen, obwohl noch der Vater nur mit einem Stock in der Hand ber die Alpen gekom- men war. Man konnte keine Zeitung, keine Zeitschrift ffnen, vor keinem Bildschirm sitzen, ohne da man auf seinen Namen stie. Seine Werke lagen ganz in der Nhe; er hatte es durch Auswertung fremder, aber auch eige- ner Erfindungen zu einem Monopol gebracht. Die Journalisten erzhlten Mrchenhaftes von den Din- gen, die er dort herstellte. Wer hat, dem wird gegeben: wahrscheinlich lieen sie noch ihre Phantasie spielen. Die Zapparoni-Werke bauten Roboter zu allen mglichen Verrichtungen. Sie lieferten sie auf besondere Bestellung und in Standardmodellen, die man in jedem Haushalt sah. Es handelte sich dabei nicht um die groen Auto-

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    maten, an die man zunchst bei diesem Namen denkt. Zapparonis Spezialitt waren die Liliput-Roboter. Von gewissen Ausnahmen abgesehen, lag ihre obere Grenze bei der Gre einer Wassermelone, whrend sie nach unten ins Winzige gingen und an chinesische Kuriositten erinnerten. Dort wirkten sie wie intelligente Ameisen, aber immer noch in Einheiten, die als Mechanismen, also nicht etwa auf eine rein chemische oder physikalische Weise arbeiteten. Das gehrte zu Zapparonis Geschfts- maximen oder, wenn man so will, zu seinen Spielregeln. Oft schien es, als ob er zwischen zwei Lsungen um jeden Preis die raffiniertere bevorzugte. Aber das lag im Zuge der Zeit, und er stand sich nicht schlecht dabei. Zapparoni hatte mit winzigen Schildkrten begonnen, die er Selektoren nannte und die sich bei feineren Aus- leseprozessen bezahlt machten. Sie zhlten, wogen und sortierten Edelsteine oder Banknoten, wobei sie die Fl- schungen ausschieden. Das Prinzip hatte sich bald auf die Arbeit in gefhrlichen Rumen, auf die Behandlung von Sprengstoffen und ansteckenden oder strahlenden Sub- stanzen ausgedehnt. Es gab Schwrme von Selektoren, die kleine Brandherde nicht nur wahrnahmen, sondern auch im Entstehen lschten, es gab andere, die Fehlstellen an Leitungen ausbesserten, und wiederum andere, die sich von Schmutz ernhrten und unentbehrlich wurden bei allen Vorgngen, die perfekte Reinigung voraussetzen. Mein Onkel, der Senator, der zeitlebens am Heufieber gelitten hatte, konnte sich die Reisen ins Hochgebirge sparen, nachdem Zapparoni Selektoren in den Handel ge- bracht hatte, die auf Pollen dressiert waren. Bald waren seine Apparate unersetzlich geworden, nicht nur fr Industrie und Wissenschaft, sondern auch

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    fr die Haushalte. Sie sparten Arbeitskrfte und fhrten eine Lebensstimmung in den technischen Raum ein, die man bisher nicht gekannt hatte. Ein findiger Kopf hatte eine Lcke entdeckt, die niemand vor ihm gesehen hatte, und hatte sie ausgefllt. Das ist die Art, auf die man die besten, die groen Geschfte macht. Twinnings deutete an, wo Zapparoni der Schuh drckte. Er wute es nicht genau; man konnte es sich aber unge- fhr ausrechnen. Es war der rger mit den Arbeitern. Wenn man den Ehrgeiz hat, die Materie zum Denken zu zwingen, kommt man nicht ohne originale Kpfe aus. Noch dazu handelte es sich um winzige Mastbe. Wahr- scheinlich war es im Anfang weniger schwierig, einen Walfisch zu schaffen als einen Kolibri. Zapparoni verfgte ber einen Stamm von vorzgli- chen Fachkrften. Am liebsten sah er, da die Erfinder, die ihm Modelle brachten, fest bei ihm eintraten. Sie reproduzierten ihre Erfindungen oder sie wandelten sie ab. Das war vor allem in jenen Abteilungen notwendig, die der Mode unterlagen, wie bei den Spielzeugen. Man hatte hier nie so tolle Sachen gesehen wie seit Zapparonis ra er schuf ein Liliputanerreich, eine lebende Zwerg- welt, die nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwach- senen in traumhafter Entrckung die Zeit vergessen lie. Das berspielte die Phantasie. Aber dieses Zwergentheater mute alljhrlich zu Weihnachten mit neuen Szenerien geschmckt, mit neuen Figuren besetzt werden. Zapparoni beschftigte Arbeiter, denen er Professoren-, ja Ministergehlter zuwandte. Sie brachten ihm das reich- lich ein. Eine Kndigung htte fr ihn einen unersetz- lichen Verlust bedeutet, ja, eine Katastrophe, wenn sie erfolgt wre, um die Arbeit an anderer Stelle fortzusetzen,

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    sei es im Inlande oder, schlimmer noch, im Auslande. Zapparonis Reichtum, seine Monopolmacht beruhte nicht nur auf dem Geschftsgeheimnis, sondern auch auf einer Arbeitstechnik, die erst im Laufe von Jahrzehnten erwor- ben werden konnte, und auch dann nicht von jedermann. Und diese Technik haftete am Arbeiter, an seinen Hn- den, an seinem Kopf. Allerdings bestand wenig Neigung, einen Arbeitsplatz zu verlassen, an dem man frstlich behandelt und bezahlt wurde. Aber es gab Ausnahmen. Es ist ein alte Wahrheit, da man den Menschen nie zufrieden stellen kann. Davon abgesehen, hatte Zapparoni ein ausgesprochen schwieri- ges Personal. Das hing mit der Eigenart der Arbeit zu- sammen; der Umgang mit winzigen und oft vertrackten Dingen erzeugte mit der Zeit ein schrulliges und skrupu- lantenhaftes Wesen, schuf Charaktere, die sich an Son- nenstubchen stieen und in jeder Suppe ein Haar fan- den. Das waren Knstler, die Flhen Hufeisen anmaen und sie festschraubten. Das lag hart an den Grenzen der reinen Einbildung. Zapparonis Automatenwelt, an sich schon sonderbar genug, war belebt von Geistern, die sich den seltsamsten Marotten hingaben. In seinem Privatbro sollte es oft zugehen wie beim Chefarzt einer Irrenanstalt. Es gab eben noch keine Roboter, die Roboter herstellten. Das wre der Stein der Weisen gewesen, des Zirkels Quadratur. Zapparoni mute sich mit den Tatsachen abfinden. Sie gehrten zum Wesen des Betriebs. Er tat es nicht unge- schickt. In seinem Modellwerk behielt er sich die Men- schenbehandlung vor und entfaltete dabei den vollen Charme, die Wendigkeit eines sdlndischen Impresarios. Er ging dabei bis an die Grenze des Mglichen. Einmal

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    so ausgebeutet zu werden wie von Zapparoni, war der Traum aller jungen Leute mit technischen Neigungen. Es war selten, da ihn die Selbstbeherrschung, die Liebens- wrdigkeit verlie. Dann kam es zu furchtbaren Auf- tritten. Natrlich suchte er sich in den Anstellungsvertrgen zu sichern, wenngleich auf angenehmste Art. Sie liefen lebenslnglich, sahen steigende Lhne, Prmien, Ver- sicherungen vor, und bei Vertragsbrchen Konventional- strafen. Wer mit Zapparoni einen Vertrag geschlossen hatte und sich dort Meister oder Autor nennen durfte, war ein gemachter Mann. Er hatte sein Haus, seinen Wagen, seine bezahlten Ferien auf Teneriffa oder in Nor- wegen. Freilich gab es Einschrnkungen. Sie waren aber kaum wahrnehmbar und liefen, um die Sache bei Namen zu nennen, auf die Einfgung in ein durchdachtes ber- wachungssystem hinaus. Dem dienten verschiedene Ein- richtungen, die unter den harmlosen Namen liefen, mit denen man heutzutage den Sicherheitsdienst verkleidet eine von ihnen hie, glaube ich, Abrechnungsbro. Die Bltter, die dort ber jeden der in den Zapparoni-Wer- ken Beschftigten gefhrt wurden, glichen den Polizei- akten, nur gingen sie viel mehr ins einzelne. Man mu den Menschen heute ziemlich genau durchleuchten, um zu wissen, was man von ihm zu erwarten hat, denn die Versuchungen sind gro. Daran war nichts Unpassendes. Vorsorge gegen Ver- trauensbrche gehrt zu den Pflichten dessen, der ein groes Werk leitet. Wenn man Zapparoni behilflich war, sein Geschftsgeheimnis zu wahren, stand man auf der Rechtsseite.

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    Was geschah aber, wenn einer dieser Fachleute gesetz- lich kndigte? Oder wenn er einfach fortging und die Kon- ventionalstrafe entrichtete? Das war ein schwacher Punkt in Zapparonis System. Er konnte sie schlielich nicht an- binden. Das war eine groe Gefahr fr ihn. Es lag in seinem Interesse zu demonstrieren, da diese Form des Abganges fr den Betreffenden ungnstig war. Es gibt ja viele Mittel, jemandem etwas am Zeuge zu flicken, besonders wenn Geld keine Rolle spielt. Zunchst konnte man ihm Prozesse an den Hals hn- gen. Das hatte manchem schon Mores beigebracht. Es gab aber Lcken im Gesetz, das schon seit langem hinter der technischen Entwicklung herhinkte. Was hie hier zum Beispiel Autorschaft? Sie war doch eher der Glanz, den eine Kollektivspitze aussprhte, als eigenstes Ver- dienst und lie sich nicht einfach ablsen und mitnehmen. Und hnlich war es mit der Kunstfertigkeit, die im Laufe von dreiig, vierzig Jahren mit Hilfe und auf Kosten des Werkes entwickelt worden war. Das war nicht individu- elles Eigentum allein. Das Individuum aber war unteilbar - oder war es das etwa nicht? Das waren Fragen, fr die der grobe Polizeiverstand nicht ausreichte. Da gibt es Vertrauensposten, die Selbstndigkeit voraussetzen. Das Eigentliche ist zu erraten; es wird weder schriftlich noch mndlich erwhnt. Es mu intuitiv erfat werden. Das ungefhr entnahm ich Twinnings Andeutungen. Es waren Kombinationen, Vermutungen. Vielleicht wute er mehr, vielleicht auch weniger. In solchen Fllen sagt man lieber zu wenig als zu viel. Ich hatte schon genug verstanden; es wurde ein Mann fr die schmutzige Wsche gesucht. Es war kein Posten fr mich. Ich will nicht von Moral

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    reden, das wre lcherlich. Ich hatte den asturischen Br- gerkrieg mitgemacht. Bei solchen Hndeln behlt keiner saubere Hnde, ob er oben oder unten steht, rechts oder links. Es gab da Typen mit einem Sndenregister, das selbst abgehrtete Beichtvter erschreckt htte. Sie dach- ten freilich nicht im Traum daran zu beichten und zeigten vielmehr, wenn sie zusammensaen, den besten Humor, rhmten sich sogar, wie es in der Bibel heit, ihrer Misse- tat. Leute mit zarten Nerven waren dort nicht beliebt. Aber sie hatten ihren Komment. Einen Posten, wie ihn Twinnings vorschlug, htte keiner von ihnen angenom- men, solange er sich bei den anderen halten wollte, auch wenn er ein noch so schwarzes Gesicht hatte. Das htte ihn von der Kameradschaft ausgeschlossen, vom Zechtisch, vom Feldlager. Man htte ihm nicht mehr ber den Weg getraut, htte die Zunge gehtet in seinem Beisein und nicht erwartet, da er zu Hilfe kme, wenn man in der Tinte sa. Selbst noch in den Gefngnissen, auf den Galeeren hat man ein feines Gefhl dafr. Ich htte also gleich wieder aufstehen knnen, nachdem ich die Sache von Zapparoni und seinen Querulanten ge- hrt hatte, wenn nicht Theresa zuhause gesessen htte, die auf mich wartete. Dies war die letzte Chance, und sie hatte groe Hoffnung auf den Besuch gesetzt. Ich bin wenig geschaffen fr alles, was mit Geld und Geldverdienen zusammenhngt. Ich mu einen schlech- ten Merkur haben. Das zeigte sich mit dem Alter deut- licher. Wir hatten zunchst von meiner Abfindung gelebt und dann Sachen verkauft, waren nun aber auch zu Ende damit. In jedem Haushalt gibt es eine Ecke, wo frher die Laren und Penaten standen und in der man heute das Unveruerliche aufbewahrt. Bei uns waren es einige

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    Rennpreise und andere gravierte Dinge, zum Teil noch vom Vater her. Ich hatte sie neulich zum Silberschmied gebracht, Theresa glaubte, da mich der Verlust ge- schmerzt htte. Vor allem meinte sie, da sie mir zur Last fiele; das war ihre fixe Idee. Dabei htte ich mich lngst rhren mssen die ganze Misere kam von mei- ner Bequemlichkeit. Sie kam daher, da mich die Ge- schfte anwiderten. Wenn ich etwas nicht vertragen kann, dann ist es die Rolle des Mrtyrers. Es kann mich rasend machen, wenn man mich fr einen guten Menschen hlt. Gerade diese Gewohnheit hatte Theresa angenommen, sie ging um mich herum wie um einen Heiligen. Sie sah mich in einem ganz falschen Licht. Sie htte schelten, toben, Vasen zer- trmmern sollen, aber das war leider nicht ihre Art. Schon als Schler hatte ich nicht gern gearbeitet. Wenn mir das Wasser am Halse stand, zog ich mich aus der Affre, indem ich Fieber bekam. Ich hatte ein Mittel da- fr. Wenn ich im Bett lag, kam meine Mutter mit Sften und Umschlgen. Mein Betrug machte mir dabei nichts aus, erfreute mich sogar. Aber es war schlimm, da ich dafr als armer Kranker verwhnt wurde. Ich suchte mich dann unausstehlich zu machen, aber je besser mir das ge- lang, desto grere Besorgnis rief ich hervor. hnlich ging es mir mit Theresa; es war mir unertrg- lich, an das Gesicht zu denken, das sie machen wrde, wenn ich ohne Hoffnung nach Hause kam. Sie wrde es mir sofort ansehen, wenn sie die Tr ffnete. Vielleicht sah ich die Sache auch in einem zu ungnsti- gen Licht. Ich war noch von altertmlichen Vorurteilen erfllt, die mir nichts einbrachten. Seitdem alles auf den Vertrag gegrndet werden sollte, ohne da der Vertrag

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    auf Eid und Shne und auf den Mann gestellt war, gab es weder Treu noch Glauben mehr. Es fehlte die Zucht auf dieser Welt. Sie wurde durch die Katastrophe ersetzt. Man lebte in einer permanenten Unruhe, in der einer dem anderen nicht trauen konnte war ich dafr verantwortlich? Twinnings, der mich unschlssig sitzen sah, schien mei- nen schwachen Punkt zu kennen; er sagte: Theresa wrde sich sicher freuen, wenn Du mit etwas Festem ankmest.

    2 Das erinnerte mich an die Zeit, in der wir Kriegsschler gewesen waren; es war lange her. Twinnings sa neben mir. Er hatte schon damals etwas Vermittelndes und stand mit allen gut. Es war eine harte Zeit gewesen; wir wur- den nicht mit Handschuhen angefat. Monteron war unser Erzieher; wir saen immer im Druck vor ihm. Montags war es besonders schlimm. Das war der Tag der Abrechnung, des Gerichts. Um sechs Uhr waren wir in der Reitbahn, mit schwerem Kopf. Ich entsinne mich, da ich oftmals gern gestrzt wre, um ins Lazarett zu kommen, aber solange die Knochen noch ganz waren, konnte keine Rede davon sein. Hier gab es kein Fieber- chen wie zuhaus. Monteron hielt die Strze fr sehr ge- sund. Sie waren gut fr die Ausbildung und gaben den Knien erst den rechten Schlu. Die zweite Stunde war am Sandkasten, aber es kam selten dazu. In der Regel trat Monteron, er war Major, wie ein Erzengel mit drohender Gewitterfalte ein. Es

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    gibt heute natrlich noch Leute, vor denen man Angst hat, aber es gibt diese Autoritt nicht mehr. Heut hat man einfach Angst, damals kam noch das schlechte Ge- wissen hinzu. Die Kriegsschule lag in der Nhe der Hauptstadt, und wer nicht gerade den Urlaub gestrichen bekommen hatte oder im Loch sa, machte sich in Vorort- und Pferde- bahnen oder im Wagen dorthin auf. Andere ritten und stellten die Pferde bei Verwandten ein, denn es gab noch zahlreiche Stlle in der Stadt. Wir waren alle glnzend in Form, hatten auch Geld in der Tasche, denn auf dem bungsplatz konnte man nichts ausgeben. Es gab daher keinen schneren Augenblick als den, in dem sich das Lagertor ffnete. Am Montagmorgen sah es anders aus. Wenn Monte- ron in sein Bro kam, lag schon ein Pckchen von un- angenehmen Briefen, Anzeigen und Tatberichten auf dem Tisch. Dazu kam unfehlbar die Meldung der Lagerwache, da zwei oder drei den Urlaub berschritten hatten und ein Vierter noch nicht eingetroffen war. Dann gab es die Kleinigkeiten der war notiert, weil er vor der Schlo- wache geraucht, und jener, weil er den Stadtkomman- danten schlapp gegrt hatte. Meist fehlte es aber auch nicht an einem Glanzstcke. Zwei hatten in einer Bar Skandal bekommen und die Einrichtung demoliert, ein anderer hatte sich zur Wehr gesetzt und blank gezogen, nachdem ihn die Ronde arretiert hatte. Sie saen noch irgendwo fest und sollten geholt werden. Zwei Brder, zu einer Beerdigung beurlaubt, hatten in Homburg ihr Geld verspielt. Jeden Sonnabend beim Appell musterte Monteron noch einmal den Anzug durch. Wenn er sich vergewissert

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    hatte, da niemand in Phantasieuniform erschienen war, worunter er winzige Abweichungen verstand, ent- lie er uns mit einem Abschiedswort. Er warnte uns vor den Versuchungen. Und jedesmal stoben wir mit den besten Vorstzen auseinander und in der Gewiheit, uns werde dergleichen nicht anfechten. Aber die Stadt war verhext, war ein Irrgarten. Es war unheimlich, mit welcher List sie ihre Fallstricke auslegte. So ein Urlaubstag zerfiel in zwei Hlften, die ziemlich genau durch das Nachtmahl begrenzt wurden, in eine helle und eine dstere. Er erinnerte an gewisse Bilder- bcher, in denen man auf der einen Seite den guten und auf der anderen den bsen Knaben abgemalt sieht nur mit dem Unterschied, da hier die beiden Knaben sich in einer Person vereinigten. Nachmittags besuchten wir Verwandte, saen im Sonnenlicht vor den Cafes oder flanierten im Tiergarten. Manche sah man in den Kon- zerten oder sogar bei Vortrgen. Sie boten ein Bild, wie es Monteron vorschwebte, frisch, wohlerzogen und wie aus dem Ei geschlt. Es war eine Lust. Dann kam der Abend mit seinen Verabredungen. Man traf sich allein mit seiner Freundin, man traf sich zu mehreren. Man begann zu trinken; die Stimmung wurde ausgelassener. Dann schwrmte man aus und traf sich wieder um Mitternacht, bei Bols oder im Englischen Bffet. Das setzte sich fort, und die Lokale wurden zwei- deutiger oder gehrten sogar zu den ausdrcklich ver- botenen. Im Wiener Cafe verkehrten Schwrme von Halbweltdamen, und man kam leicht mit unverschmten Kellnern in Konflikt. In den groen Bierpalsten stie man auf Studenten, die Skandal suchten. Endlich waren nur wenige Sttten noch geffnet, wie die Ewige Lampe

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    und die Wartesle der Bahnhfe. Hier wogen die Betrun- kenen vor. Es kam zu Hndeln, bei denen Ruhm nicht zu ernten war. Die Kommandantur kannte diese Orte, und es war kein Zufall, da ihre Streifen immer gerade dann eintrafen, wenn man in einen Auftritt verwickelt war. Man sah im Gewhl die Helmspitzen auftauchen, und es hie: rette sich, wer kann. Oft war es zu spt. Man mute mitkommen, und der Streifenfhrer freute sich, da er wieder einen Kriegsschler erwischt hatte. Die Berichte fand Monteron am Montag auf seinem Tisch. Sie kamen mit dem Frhzug oder wurden tele- fonisch durchgesagt. Monteron gehrte zu den Vor- gesetzten, die morgens besonders schlechter Laune sind. Das Blut stieg ihm leicht zu Kopf. Er ffnete dann den Uniformkragen. Das war ein schlechtes Vorzeichen. Man hrte ihn brummen: Unglaublich, wo die sich rum- treiben. Es kam uns nun selbst unglaublich vor. Es gibt keinen greren Unterschied als den zwischen einem schweren, schmerzenden Kopf am Morgen und seinem ausgelasse- nen Ebenbild am Vorabend. Und doch ist es ein und der- selbe Kopf. Da wir da oder dort gewesen sein, das oder jenes gesagt oder gar getan haben sollten, kam uns vor, als ob es uns ber einen Dritten erzhlt wrde. Es konnte und durfte garnicht sein. Trotzdem hatten wir, whrend uns der Reitlehrer im Sprunggarten umher jagte, ein dunkles Vorgefhl, da etwas nicht in Ordnung war. Wenn man mit geknoteter Trense und auf die Hften gesttzten Armen ber die Hrden setzt, heit es, die Gedanken parat haben. Den- noch kam es vor, da wir wie im Traum galoppier-

  • ~ 22 ~

    ten, whrend unser Kopf mit dem dunklen Rebus, als welchen die verflossene Nacht sich darbot, beschftigt war. Der wurde uns dann am Sandkasten durch Monteron in einer Weise gelst, die alle Befrchtungen bertraf. Vorgnge, die uns bruchstckhaft und verschleiert im Ge- dchtnis waren, erschienen da als hchst unangenehmes Ganzes in berscharfem Licht. Twinnings, der damals schon recht hbsche Gedanken hatte, meinte einmal, es sei eigentlich unanstndig, nchterne Streifen auf ange- heiterte Urlauber Jagd machen zu lassen man msse sie gleich auf gleich stellen. Wie dem auch sei es fing kaum eine Woche ohne Gewitter an. Monteron konnte noch alle Schleusen der Autoritt aufziehen; das ist auch eine Kunst, die heute verloren gegangen ist. Er konnte noch ein echtes Bewut- sein der beltat hervorrufen. Wir hatten nicht einfach dies oder das verbt. Wir hatten die Axt an die Wurzel des Staates gelegt, die Monarchie in Gefahr gebracht. Daran war allerdings insofern etwas Richtiges, als fast alle Welt tat, was sie wollte, ohne da darum viel Auf- hebens gemacht wurde, denn die Freiheit war gro und allgemein; wenn aber ein Kriegsschler im geringsten abwich, dann fiel dieselbe Welt, dieselbe ffentlichkeit einhellig ber ihn her. Das war schon ein Vorzeichen der groen Vernderungen, die bald danach eintraten. Mon- teron sah sie wahrscheinlich voraus. Wir aber waren ein- fach leichtsinnig. Im Rckblick will es mir scheinen, da diese Straf- gerichte meist glimpflicher abliefen, als wir erwarteten. Wir waren in der Furcht des Herrn. Wenn wir uns nach der Reitstunde in aller Eile umzogen und der Stuben-

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    lteste uns antrieb: Ihr knnt euch auf was gefat machen der Alte hat schon den Kragen auf, dann war das schlimmer als spter, wenn es hie: Alles bereit machen. Im Grunde hatte der Alte ein goldenes Herz. Und im Grunde wuten das alle, das erklrte den Dampf vor ihm. Wenn er sagte: Lieber einen Sack Flhe hten als einen Jahrgang Kriegsschler, oder: Wenn mir der Knig endlich das Gnadenbrot gibt, dann habe ich es redlich verdient, so hatte er recht, denn es war kein leichtes Amt fr ihn. Es gibt Vorgesetzte, die sich freuen, wenn einer sich in die Tinte reitet; sie knnen dann ihre Macht zeigen. Monteron tat es weh. Und weil wir das wuten, konnte es vorkommen, da einer, der ganz in der Klemme sa, des Abends zu ihm ging und beichtete. Als Gronau das viele Geld verspielt hatte, fuhr der Alte noch nachts in die Stadt, um die Sache in Ordnung zu bringen, aber es war doch schon zu spt, als er am nchsten Mittag wiederkam. Nun gut, er wollte uns hart machen. Aber er verletzte den Kern nicht dabei. Am Montagmorgen pflegte es zu hageln Arrest, Urlaubsentziehung, Stallwache, Mel- dung im Ordonnanzanzug. Aber mittags hatte das Wet- ter sich schon verzogen; wir gaben uns auch besondere Mhe beim Dienst. Zwei oder drei Flle gab es in unserem Jahrgang, bei denen es anders verlief. Da war dann etwas vorgekom- men, das sich durch Arrest nicht reparieren lie. Und es war doch erstaunlich, was alles der Alte mit Arrest gut- machte. Bei diesen Fllen, an die ich denke, kam auch kein Unwetter. Es herrschte vielmehr eine gedrckte Stim- mung, als ob da etwas wre, von dem man nicht reden

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    durfte, von dem man nur munkelte. Es war ein Kom- men und Gehen, ein Wesen hinter verschlossenen Tren, und dann verschwand der Betreffende. Sein Name wurde nicht mehr genannt, oder wenn er doch einmal fiel, so war es aus Versehen, und alle taten, als htten sie ihn nicht gehrt. An solchen Tagen konnte der Alte, der sonst von un- erbittlicher Prsenz war, zerstreut, gedankenverloren sein. Er konnte whrend des Unterrichts mitten im Satz ab- brechen und gegen die Wand starren. Man hrte dann Stze eines Selbstgesprches, das wider Willen auf seine Lippen trat, wie etwa folgenden: Ich mchte doch schwren, da wenn sich eine In- famie ereignet, ein Weib dahintersteckt. Das tauchte in meiner Erinnerung auf, whrend Twin- nings auf meine Antwort wartete. Natrlich hatte es nur einen entfernten Bezug, und gewi htte Monteron bei seinem Satze nie an eine Frau wie Theresa gedacht. Aber es ist auch gewi, da ein Mann fr eine Frau Dinge tut, die er niemals fr sich tte. Ein solches Ding war Zapparonis Ausschreibung. Ich konnte nicht sagen, warum es so war. Es gibt dem Ver- dchtigen gegenber ein Vorgefhl, das selten trgt. Es bleibt eben ein Unterschied, ob man Staatsgeheimnisse zu hten hat oder die eines Privatmannes, selbst in unse- ren Zeiten, wo die meisten Staaten auf den Hund gekom- men sind, wenigstens die anstndigen. Ein Posten wie der bei Zapparoni fhrte frher oder spter auf einen Auto- unfall zu. Wenn man die Trmmer untersuchte, fand man zwanzig bis dreiig Einschsse im Fond. Das war kein Fall fr die Verkehrspolizei. Und vom Begrbnis las man weniger in den Anzeigen als in den Vermischten

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    Nachrichten. Es wrde nicht die beste Gesellschaft sein, die Theresa am offenen Grabe she, und sicher niemand aus unserer guten Zeit. Nicht einmal Zapparoni wrde anwesend sein. Ein Unbekannter wrde ihr in der Dm- merung ein Kuvert bringen. Als mein Vater beerdigt wurde, sah es noch anders aus. Er hatte ein ruhiges Leben gefhrt, doch sich am Schlusse auch nicht mehr recht wohlgefhlt. Auf seinem Kranken- bette hatte er mir noch gesagt: Junge, ich sterbe gerade zur rechten Zeit. Dabei hatte er mich bekmmert an- geblickt. Er hatte da wohl schon manches vorausgeschaut. Das und noch anderes kam mir in den Sinn, whrend Twinnings auf meine Antwort wartete. Es ist unglaub- lich, welche Lawine von Gedanken in einer solchen Mi- nute abrollen kann. Man mte das wie ein Maler in ein Bild bringen. Aber ich sah unsere kahle Wohnung, unseren erlosche- nen Herd, wenn ich mir diese poetische Wendung gestat- ten darf zur Umschreibung der Tatsache, da seit Tagen der Strom abgeschaltet war. Die Post brachte nur Mah- nungen, und wenn es klingelte, wagte Theresa nicht zu ffnen aus Angst vor unverschmten Glubigern. Ich hatte kaum Grund, heikel zu sein. Dabei hatte ich noch das Gefhl des Lcherlichen, den Eindruck, da ich ein altmodischer Kunde war, einer von denen, die sich noch mit solchen Grillen abgeben, wh- rend alle anderen den Profit mitnahmen, wo er sich anbot, und dabei auf mich herabblickten. Zweimal hatte ich mit zahllosen anderen fr unfhige Regierungen die Zeche gezahlt. Wir hatten weder Lohn noch Ruhm davon- getragen, im Gegenteil. Es wurde Zeit, da ich die fossilen Urteile ablegte.

  • ~ 26 ~

    Neulich hatte mich noch jemand darauf aufmerksam ge- macht, da meine Unterhaltung von berstndig gewor- denen Ausdrcken wimmelte, wie alte Kameraden oder jemanden am Portepee fassen. Das wirkte komisch in unseren Tagen wie das Getue einer alten Jungfer, die sich auf ihre abgestandene Tugend noch etwas einbildet. Zum Teufel, das mute aufhren. Ich hatte ein unangenehmes Gefhl im Magen, ganz einfach Hunger, und die Galle scho mir ins Blut. Gleich- zeitig fhlte ich Sympathie fr Zapparoni aufkeimen. Da war doch noch einer, der sich um mich kmmerte. Wahr- scheinlich war er, bei allem Unterschied der Mittel, in hnlicher Lage: er hatte die Zeche zu zahlen und wurde moralisiert obendrein. Er wurde geschrpft, bestohlen, und war der Ausbeuter. Und die Regierung, unweiger- lich servil der greren Anzahl gegenber, nahm seine Steuern und lie ihn ausplndern. berhaupt, wenn alte Kameraden komisch wirkte, warum sollte man dann Worte wie Regierung noch ernst nehmen? Hatten diese Figuren etwa das Recht ge- pachtet, nicht komisch zu sein? Machten sie hinsichtlich der Abwertung der Worte eine Ausnahme? Gab es ber- haupt noch jemanden, der anderen beibringen konnte, was Anstand war? Ein alter Soldat war auch kein alter Soldat mehr, aber das hatte auch seine Vorteile. Es wurde Zeit, da man auch einmal an sich dachte. Wie man sieht, begann ich mich bereits ins Recht zu setzen das ist das erste, wenn man sich auf eine schiefe Sache einlassen will. Es ist merkwrdig, da man nicht einfach hingehen kann, um jemandem Unrecht zu tun. Man mu sich erst einreden, da er es verdient habe. Selbst ein Ruber, der einen Unbekannten ausplndern

  • ~ 27 ~

    will, wird erst Streit mit ihm anfangen und sich in Zorn bringen. Das fiel mir nicht schwer, denn meine Laune war der- art, da mir bald jeder recht kam, um sie an ihm auszu- lassen, auch wenn er unschuldig war. Es war sogar schon so weit gekommen, da ich Theresa unter ihr leiden lie. Obwohl ich schon fast entschlossen war, machte ich doch noch einen Versuch auszuweichen, indem ich zu Twinnings sagte: Ich kann mir nicht denken, da Zapparoni expre auf mich gewartet hat. Er wird doch eher die Qual der Wahl haben. Twinnings nickte. Das ist ganz richtig, er hat ein groes Angebot. Aber es handelt sich um einen Posten, der schwer zu besetzen ist. Die meisten wollen die Sache zu gut machen. Er lchelte und fgte hinzu: Alles Leute mit solchen Vorstrafen. Er fuhr dabei mit den Armen auseinander, als ob er ein Register entfaltete, und wiederholte die Bewegung wie ein Angler, der in stillen Wassern einen Hecht gefan- gen hat. Da hatte er wieder einen wunden Punkt berhrt. Ich fhlte, wie der letzte Rest meiner Laune schwand. Wer hat denn heute keine Vorstrafen? Du vielleicht, weil du schon immer ein feiner Hund gewesen bist. Sonst aber nur solche, die sich in Krieg und Frieden gedrckt haben. Twinnings lachte. Reg dich nicht auf, Richard wir wissen doch alle, da du einige Schnheitsflecke hast. Aber der Unterschied ist der: deine Vorstrafen sind die richtigen. Er mute es wissen, hatte ja damals im Ehrengericht

  • ~ 28 ~

    mit ber mich getagt nicht in jenem ersten, in dem ich wegen Vorbereitung zum Hochverrat kassiert wurde, nachdem ich vom Kriegsgericht bereits verurteilt worden war. Beides erfuhr ich erst in Asturien, wo es mir ntz- lich war. Nein, ich meine das zweite Ehrengericht, das mich in meinen Rang wieder einsetzte. Aber was sind Ehrengerichte, wo auch das Wort Ehre zu denen gehrt, die ganz und gar verdchtig geworden sind? Ich wurde also von Leuten rehabilitiert wie Twin- nings, der wohlweislich bei seinen englischen Verwandten gewesen war. Eigentlich wre es doch an ihm gewesen, sich zu verantworten. Und es ist merkwrdig: in meinen Papieren blieb die Verurteilung bestehen. Die Regierun- gen wechseln, die Akten sind unerschtterlich. Es blieb das Paradoxon, da in den Registern des Staates die Tat- sache, da ich fr ihn den Kragen riskiert hatte, zugleich als Verrat unauslschlich gefhrt wurde. Wenn mein Name genannt wurde, zogen die Papierhengste in den mtern, die erst durch mich und meinesgleichen auf ihre Sthle gekommen waren, ein schiefes Gesicht. Auer dieser groen Sache gab es in meinen Papieren noch einige Kleinigkeiten das will ich zugeben. Dazu gehrte einer der Streiche, die wir aushecken, wenn es uns zu gut geht, er fiel noch in die Monarchie. Auerdem war eine Denkmalsschndung verzeichnet das ist auch eines der Worte, die auf altes Ansehen pochen in einer Zeit, in der Denkmler keine Denkmler mehr sind. Wir hatten einen Betonklotz umgeworfen, der einen Namen fhrte, ich wei aber nicht mehr von wem. Erstens hatten wir viel getrunken, und zweitens vergit man heute nichts leichter als die Namen, die gestern noch in aller Munde waren, und die Gren, nach denen die Straen

  • ~ 29 ~

    benannt wurden. Der Eifer, ihnen Denkmler zu setzen, ist auerordentlich und berdauert oft kaum die Leb- zeiten. Es ist richtig, all das hatte mich nicht nur geschdigt, sondern war auch durchaus unntig. Ich dachte nicht mehr gern daran. Aber die anderen hatten ein vorzg- liches Gedchtnis dafr. Twinnings meinte also, es wren die rechten Vorstra- fen. Doch war es mir wiederum nicht recht, da Zap- paroni sie fr die rechten hielt. Denn was bedeutete das? Es bedeutete, da er jemanden suchte, der zwei Enden hatte, nicht nur ein solides, an dem man anfassen kann, sondern auch ein anderes. Er brauchte jemanden, der so- lide, aber nicht durch und durch solide war. Im Volksmund nennt man ein Faktotum wie das ge- suchte jemanden, mit dem man Pferde stehlen kann. Das Sprichwort mu aus Zeiten stammen, in denen der Pferde- diebstahl zwar ein gefhrliches, aber kein anrchiges Unternehmen war. Gelang es, so war die Sache rhmlich, wenn nicht, so hing man am Weidenbaum oder man mute die Ohren in Kauf geben. Das Sprichwort traf die Lage ziemlich genau. Es war allerdings noch ein kleiner Unterschied: Zapparoni suchte zwar offenbar einen Menschen, mit dem er Pferde steh- len konnte, aber er war ein viel zu groer Herr, um mit auf Fahrt zu gehen. Aber was half es schon? Es gab noch einen anderen Spruch, der auf meine Lage pate, nmlich jenen, da in der Not der Teufel Fliegen frit. Ich sagte also zu Twinnings: Nun gut, ich will es versuchen, wenn Du meinst. Vielleicht nimmt er mich. Aber ich sage Dir unter alten Kameraden: auf windige Sachen lasse ich mich nicht ein.

  • ~ 30 ~

    Twinnings beruhigte mich. Schlielich bewarb ich mich ja nicht bei diesem und jenem, sondern bei einer Welt- firma. Er wrde noch heute anrufen und mir Bescheid geben. Ich hatte Aussichten. Dann klingelte er, und Fried- rich trat ein. Friedrich war auch schon alt geworden; er ging ge- bckt und trug um seine Glatze einen dnnen, schloh- weien Kranz. Ich kannte ihn noch aus den uralten Zei- ten, in denen er Twinnings' bunten Rock in Ordnung hielt. Wenn man Twinnings besuchte, traf man Friedrich im Vorzimmer. Er hatte meist ein heute lngst museums- reif gewordenes Instrument in den Hnden, das die Knopfschere hie. brigens mag man ber einen Mann wie Twinnings denken, was man wolle wenn es ein Diener ber Jahrzehnte bei ihm aushlt, so ist das ein Plus fr ihn. Als Friedrich eintrat, erhellte ein Lcheln sein Gesicht. Das war ein schner Augenblick, ein Augenblick der Harmonie, der uns zu dritt verband. Ein Schimmer der sorglosen Jugend kam zurck. Mein Gott, wie hatte sich die Welt verndert seit jener Zeit. Manchmal dachte ich, da dieses Gefhl einfach das Alter anknde. Schlielich blickt jede Generation auf eine alte gute Zeit zurck. Aber bei uns war es doch etwas anderes, etwas entsetzlich anderes. Es war freilich auch ein Unterschied gewesen, ob man etwa unter Heinrich IV., Ludwig XIII. oder Ludwig XIV. gedient hatte. Aber man hatte doch immer zu Pferde gedient. Nun sollten diese herrlichen Tiere aus- sterben. Sie verschwanden von den Feldern und Straen, aus den Drfern und Stdten, und lngst hatte man sie nicht mehr beim Angriff gesehen. berall wurden sie durch Automaten ersetzt. Und dem entsprach auch eine

  • ~ 31 ~

    Vernderung der Menschen; sie wurden mechanischer, berechenbarer, und oft hatte man kaum noch das Gefhl, unter Menschen zu sein. Doch manchmal hrte ich noch das Alte wie den Klang der Trompete im ersten Sonnen- strahl und wie das Wiehern der Pferde, das die Herzen erzittern lie. Das ist vorbei. Twinnings bestellte Frhstck: Toast, Schinken mit Eiern, Tee, Portwein und anderes mehr. Er hatte schon immer gut gefrhstckt, wie man es oft bei positiven Naturen trifft. Er hatte unter den Unbilden der Zeit weit weniger gelitten als ich und mancher andere. Leute wie Twinnings braucht jeder, ohne da sie groe Konzes- sionen machen; die Regierungen gleiten an ihnen ab. Sie nehmen alles gerade so ernst und wichtig, wie es ntig ist; der Wechsel geht nur bis zur Haut. Er hatte mit zu Gericht gesessen ber mich. Das war mein Schicksal: da Leute kamen und ber mich zu Gericht saen, fr die ich mich exponiert hatte. Er go mir Portwein ein. Ich splte den Groll hin- unter: Dein Wohlsein, alter Merkurier. Er lachte. Bei Zapparoni wirst Du auch nicht leben wie ein Hund. Wir wollen auch gleich Theresa anrufen. Sehr freundlich, da Du daran gedacht hast aber sie ist beim Einkaufen. Warum sagte ich ihm nicht, da sie mir, wie alle An- schlsse, auch das Telefon gesperrt hatten? Wahrschein- lich war das keine Neuigkeit fr ihn. Er wute auch sicher, da sich mir vor Hunger der Magen umdrehte, der listige Fuchs. Aber mit dem Frhstck hatte er ge- wartet, bis ich zustimmte. Nach dem Gesagten wird wohl niemand auf den Ge-

  • ~ 32 ~

    danken gekommen sein, da er sich fr mich gratis an- strengte. Die einzige Ausnahme, die er bei alten Kame- raden machte, war, da er ihnen keine Provision abnahm. Das holte er aber bei den Partnern ein. Leuten wie Zap- paroni kam es auf ein paar Pfund nicht an. Twinnings hatte ein gutes Geschft. Das Gute war, da es kaum aussah wie ein Geschft. Es bestand darin, da er eine Unzahl von Leuten kannte und daraus Nut- zen zog. Ich kannte auch viele Menschen, ohne da es etwas fr meine konomie bedeutete. Es machte mir eher Unkosten. Wenn aber Twinnings mich und Zap- paroni kannte, so war es ein Geschft fr ihn. Dabei hatte er keine Arbeit davon; ich kannte niemand von angenehmerer, gleichmigerer Lebensart. Er machte die Geschfte beim Frhstck, beim Mittagessen und abends, wenn er ins Theater ging. Es gibt Menschen, denen das Geld leicht und unauffllig zufliet: sie kennen nicht die Schwierigkeiten der meisten anderen. Zu ihnen gehrte Twinnings, man hatte ihn nie anders gekannt. Er hatte schon reiche Eltern gehabt. Ich will ihn aber nicht in ein zu ungnstiges Licht setzen. Jeder Mensch hat seine Schwchen und Vorzge. Twinnings htte zum Beispiel nicht ntig gehabt zu tun, was ihm jetzt einfiel nmlich nach nebenan zu gehen und mit einer Fnfzigpfundnote wiederzukommen, die er mir einhndigte. Er brauchte mich nicht lange zu nti- gen. Ohne Zweifel wollte er nicht, da ich ganz abgebrannt zu Zapparoni kam. Aber es war da noch etwas anderes: alte Gemeinsamkeit. Es war Monterons Schule, die sich bei keinem verleugnete, dem sie zuteil geworden war. Wie oft hatten wir ihn verflucht, wenn wir todmde auf

  • ~ 33 ~

    den Betten lagen nach einem Tage, an dem ein Dienst den anderen gehetzt hatte, zu Fu, zu Pferde, im Stall und auf den endlosen Sandflchen. Monteron kannte diese Augenblicke der Verzweiflung; er liebte es dann, seinen Clou darauf zu setzen, etwa einen Alarm zur Nachtbung. Ich mu zugeben, da das faule Fleisch verschwand. Die Muskeln wurden wie Stahl, der auf dem Ambo eines erfahrenen Schmiedes von jeder Schlacke gereinigt worden ist. Auch die Gesichter nderten sich. Man lernte Reiten, Fechten, Strzen und vieles andere. Man lernte es auf Lebenszeit. Auch in den Charakteren blieben Spuren auf Lebens- zeit zurck. Besonders unangenehm konnte Monteron werden, wenn er erfuhr, da man einen Kameraden im Stich gelassen hatte, whrend er sich in unsicherer Lage befand. Hatte ein Bezechter sich in die Tinte geritten, so war Monterons erste Frage, ob jemand bei ihm gewesen sei. Dann gnade Gott dem, der ihn verlassen oder sich nicht um ihn gekmmert hatte wie um ein kleines Kind. Da man den andern nie, unter keinen Umstnden in der Gefahr allein lassen darf, weder in der Grostadt noch im Gefecht, das gehrte zu Monterons Grundst- zen, die er einhmmerte, sei es am Sandkasten, sei es im Gelnde, sei es an den furchtbaren Montagen. Obwohl wir eine windige Gesellschaft waren in die- ser Hinsicht hatte er Erfolge, das lt sich nicht abstrei- ten. Wenn wir am Abend, bevor wir zu den Regimentern zurckkehrten, mit ihm und um ihn beisammensaen - er konnte dann sehr heiter werden so war das mehr als ein gewhnliches Abschiedsmahl. Er sagte dann etwa: Ein groes Kirchenlicht ist diesmal nicht darunter, und auch sonst hat man seine Mhe gehabt. Aber es ist auch

  • ~ 34 ~

    keiner drunter, auf den sich der Knig nicht verlassen kann. Das ist schlielich die Hauptsache. An diesem Abend trank keiner zuviel. Es wurde deut- lich, da etwas hinter dem Alten stand, mehr als der Knig, mehr als sein Amt. Das teilte sich mit; es hielt frs Leben und vielleicht lnger vor. Es hielt noch vor, als niemand mehr wute, wer der Knig gewesen war. Auch Monteron war lngst vergessen es war damals der letzte Kursus gewesen, den er leitete. Dann war er als einer der ersten gefallen, ich glaube vor Lttich in der Nacht. Und auch von seinen Schlern lebten wenig mehr. Aber immer war noch erkennbar, da er sie in der Wolle gefrbt hatte. Man traf sich im Jahre ein- oder zweimal in den Hinterzimmern kleiner Lokale, inmitten der Stdte, die sich so seltsam verwandelt hatten und von denen manche inzwischen zweimal zerstrt und wieder aufgebaut worden war. Dann fiel unweigerlich wie durch Flammenvorhnge hindurch Monterons Name, und die Stimmung jener Abschiedsfeier, des letzten Abends, war wieder da. Seine Nachwirkung zeigte sich selbst bei einem Ge- schftemacher wie Twinnings, zu dem er einmal gesagt hatte: Twinnings, Sie sind auch mehr leicht als Reiter, ein bitteres Wort. Ich bin berzeugt, da Twinnings, als er mich am Tisch sitzen sah wie einen armen Verwandten und als er nach nebenan ging, um mir Bewegungsgeld zu holen, gegen seine Natur handelte. Aber er konnte nicht anders, nachdem er mich in den sauren Apfel hatte bei- en lassen, denn Monteron stand in ihm auf. Twinnings erkannte eine der Grundfiguren, die Monteron uns ein- gepaukt hatte nmlich da ich an der Front, wenn auch an keiner guten, und er in Reserve stand.

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    Wir waren uns also einig, und Twinnings begleitete mich vor die Tr. Dort fiel mir noch etwas ein: Wer hat denn bis jetzt diesen Posten gehabt? Auch so ein Italiener, Caretti, ist aber schon seit einem Vierteljahre fort. Hat sich wohl zur Ruhe gesetzt? So hnlich. Verschollen, spurlos verschwunden, und niemand wei, wo er geblieben ist.

    3 Das war an einem Sonnabend gewesen, am Montagmor- gen sa ich in einer Taxe und fuhr nach den Werken hin- aus. Twinnings hatte mir noch am gleichen Tage zu- gesagt. Bei Zapparoni wurde natrlich auch sonntags ge- arbeitet. Theresa hatte meine Sachen in Ordnung gebracht. Die Nachricht hatte sie hoch erfreut. Sie sah mich schon in einer groen Stellung im Rahmen der Weltfirma. Wenn es etwas Erfreuliches an der Sache gab, so war es ihre Be- geisterung. Theresa gehrte zu den Frauen, die ihre Mn- ner berschtzen; sie hatte sich da etwas zurechtgemacht. Sie hatte von mir eine zu gute Meinung; das war viel- leicht notwendig fr sie. Sie war verzagt in allem, was ihre eigene Person betraf. Sie hatte die fixe Idee, da sie mein Hemmschuh sei, da sie mich belaste, schdige. Das Gegenteil war der Fall. Wenn ich auf dieser immer tr- ber werdenden Welt noch etwas wie eine Heimat hatte, war es bei ihr. Wenn es uns schlecht ging, wie es in der letzten Zeit die Regel war, hrte ich nachts oft neben mir die leise Er-

  • ~ 36 ~

    schtterung, wie eine Frau sie hervorbringt, die ihr Wei- nen verbergen will. Ich drang dann in sie und hrte das alte Lied, wie es doch viel besser wre, sie wre garnicht erst geboren, ich htte sie nie gesehen. Sie habe mir die Bahn verdorben, mich ruiniert. Ich hatte da gut sagen, da ich noch immer Manns genug gewesen wre, mich selbst und ohne Beistand zu ruinieren, und da mir nichts so gut geglckt sei wie eben dies sie lie sich die Hirn- gespinste nicht austreiben. Es gibt uns andererseits einen gewissen Halt, wenn wir berschtzt werden. Es regt die guten Krfte in uns an. Ich sagte bereits, da ich das von meiner Mutter her gewhnt war, mit deren Erinnerungsbild Theresa bri- gens unmerklich sich vereinigte. Wie oft hatte die Mutter dem Vater gegenber fr mich Partei ergriffen, wenn wieder einmal Sturm im Hause war. Sie pflegte dann zu sagen: Der Junge ist doch nicht schlecht, worauf der Alte erwiderte: Er ist und bleibt ein Taugenichts. Dann sagte die Mutter wieder: Aber schlecht ist er nicht, denn die Frauen mssen immer das letzte Wort haben. Die Zapparoni-Werke lagen ziemlich auerhalb. Sie hatten eigentlich in jeder Stadt grere oder kleinere Filialen, Schwester-, Zweig- und Lizenzfirmen, Lager-, Ersatz- und Reparaturstellen. Hier war der Kopf, die groe Modellschmiede, und Jahr fr Jahr flossen wie aus einem Fllhorn neue und wundersame berraschungen in die Welt. Hier wohnte auch Zapparoni, wenn er nicht gerade auf Reisen war. Am Sonnabend war also Twinnings' Telegramm gekom- men: ich sollte mich vorstellen. Am Sonntag war es mir noch gelungen, Carettis Hausarzt aufzutreiben, denn mir ging nach, was Twinnings im Flur gesagt hatte. Die

  • ~ 37 ~

    Unterredung hatte mich beruhigt. Der Arzt glaubte, kein Geheimnis preiszugeben, wenn er mir mitteilte, was mit Caretti gewesen war. Es war weithin bekannt. Wie viele Skrupulanten Zapparonis war Caretti allmhlich sonder- bar geworden, zuletzt ber das zulssige Ma hinaus. Eine von den rzten als Przisionszwang bezeichnete Manie hatte sich mit einem Verfolgungswahn gepaart, dem technische Visionen Stoff gaben. In solchen Fllen glauben die Patienten, durch raffiniert ersonnene Ma- schinen bedroht zu werden, und ihre Welt verwandelt sich allmhlich in ein Szenarium, wie es mittelalterliche Maler ausdachten. Caretti whnte sich von winzigen Flugzeugen umschwebt, die ihm Bses antaten. Es ist nicht ungewhnlich, da solche Kranke ver- schwinden und nie wieder auftauchen. Der Arzt, ein klei- ner, nervser Psychiater, entsann sich eines Patienten, dessen berreste man nach Jahren in einem Dachsbau aufgefunden hatte: er war dort hineingekrochen und hatte sich umgebracht. Der Doktor war gesprchig und beschrieb die Symptome mit so lustvoller Pedanterie, da ich auf dem Heimweg schon whnte, von hnlichen Gril- len bedroht zu sein. Im Grunde hatte er mich beruhigt. Man sah die Werke schon von weitem: niedrige weie Trme und flache Ateliers in groer Menge, ohne Ma- sten und Schornsteine. Sie waren in bunte Farben ein- gekleidet, weil die Umfassungsmauer zahllose Plakate trug. Ein Nebengeschft:, das Zapparoni indessen mit be- sonderer Liebe pflegte, war das Lichtspiel, dem er mit seinen Robotern und Automaten eine fast mrchenhafte Perfektion verlieh. Es gibt Prognosen, die behaupten, da unsere Technik eines Tages in reine Zauberei ausmnden wird. Dann

  • ~ 38 ~

    wre nur alles Anlauf, an dem wir teilnehmen, und die Mechanik wrde sich in einer Weise verfeinert haben, die grober Auslsungen nicht mehr bedarf. Lichter, Worte, ja fast Gedanken wrden hinreichen. Die Zapparoni-Filme nherten sich solchen Prognosen schon deutlich an. Was alte Utopisten ersonnen hatten, war demgegenber grobdrhtig. Die Automaten hatten eine Freiheit und tnzerische Eleganz gewonnen, die ein eigenes Reich erschlo. Hier schien verwirklicht, was man zuweilen im Traum zu fassen glaubte: da die Materie denkt. Daher besaen diese Filme eine mchtige Anziehungskraft. Besonders die Kinder wurden durch sie gebannt. Zapparoni hatte die alten Mrchenfiguren entthront. Wie einer der Erzhler, die sich in arabischen Cafes auf einen Teppich niederlassen und den Raum ver- wandeln, spann er seine Fabeln aus. Er schuf Romane, die man nicht nur lesen, hren und sehen konnte, son- dern in die man eintrat, wie man in einen Garten tritt. Er war der Meinung, da die Natur sowohl an Schn- heit wie an Logik nicht genge und da sie zu bertref- fen sei. In der Tat brachte er einen Stil hervor, dem sich auch die menschlichen Schauspieler anpaten, der ihnen Vorbild war. Man traf die charmantesten Puppen bei ihm, betrende Traumbilder. Die Filme hatten Zapparoni noch in besonderer Weise beliebt gemacht. Er war der gute Grovater, der Ge- schichten erzhlt. Man sah ihn mit weiem Vollbart wie frher den Weihnachtsmann. Die Eltern beklagten sich sogar, da er die Kinder zu stark beschftige. Sie konn- ten nicht einschlafen und trumten unruhig, berreizt. Aber das Leben war schlielich berall anstrengend. Das formte die Rasse, und damit mute man sich abfinden.

  • ~ 39 ~

    Ankndigungen solcher Filme also verhllten die Um- fassungsmauer, die quadratisch das Werk umschlo und die in ihrer ganzen Lnge von einer Strae umzogen war, deren Breite schon eher an ein Vorfeld erinnerte. Ohne die bunten Plakate htte sie ohne Zweifel zu nchtern, zu festungshnlich ausgesehen, vor allem, da sie in Zwi- schenrumen durch bleiche Trme berhht wurde. Ein gelber Balkon stand ber dem Komplex. Am Wegrand kndeten helle Zeichen, da wir in ein Sperrgebiet einbogen. Der Fahrer wies mich pflichtgem darauf hin. Wir muten langsam fahren und durften weder Waffen noch Strahlenzhler noch optische Aus- rstung mitfhren. Auch Schutzanzge und Sonnenbril- len waren nicht erlaubt. Es herrschte starker Verkehr sowohl auf der Strae wie um die Umfassungsmauer, da- gegen lagen die Nebenwege vollkommen unbelebt. Allmhlich wurden die Plakate deutlicher. Sie schil- derten Heinz-Ottos Besuch bei der Termitenknigin: Tannhuser im Venusberg, fr kindliche Gemter trans- poniert. Hier traten Zapparonis Roboter als reiche und mchtige Zwergwesen auf. Die Pracht, die Wunder der unterirdischen Palste verrieten schon keine Spur von technischer Bemhung mehr. Solche Filme zogen sich in zwlf Kapiteln durch das Kalenderjahr. Die Kinder ver- zehrten sich in der Erwartung der Fortsetzung. Sie wur- den durch das Kollektivspiel in ihren Moden und Nei- gungen bestimmt. Man sah sie bald als Raumfahrer, bald als Hhlenforscher, dann wieder als Matrosen von Unter- seebooten oder als Trapper auf ihren Spielpltzen. Mit diesen technisch gefrbten Mrchen und Abenteuern rief Zapparoni eine nicht nur starke, sondern auch chronische Begeisterung hervor. Die Kinder lebten in seiner Welt.

  • ~ 40 ~

    Bei den Eltern und Lehrern waren die Ansichten darber geteilt. Die einen meinten, da die Kinder so spielend lernten, whrend die anderen frchteten, da sie ber- hitzt wrden. Allerdings konnte man oft seltsame und bengstigende Folgen beobachten. Aber was im Zuge der Zeit liegt, lt sich nicht aufhalten. Im brigen konnte man fragen, ob nicht die reale Welt noch phantastischer sei. Wo wurden die Kinder nicht berhitzt? Wir bogen auf den Parkplatz der Arbeiter ein. Mein Mietwagen nahm sich ihren Limousinen gegenber aus wie eine Krhe, die sich in eine Fasanerie verirrt. Ich ent- lohnte den Fahrer und begab mich zur Anmeldung. Obwohl die Sonne schon hoch am Himmel stand, herrschte am Eingang ein reges Kommen und Gehen. Da Zapparonis Arbeiter wirklich Herren waren, be- zeugte kein Umstand besser als der, da ihnen keine Arbeitszeit gesetzt wurde. Sie kamen und gingen, wie es ihnen lag, vorausgesetzt, da sie nicht gerade im Team arbeiteten. Das war im Modellwerk die Ausnahme. Frei- lich mu ich hinzufgen, da diese Regelung oder viel- mehr Nichtregelung fr Zapparoni gnstig war. Das Arbeitsethos in seinen Werken lie nichts zu wnschen brig; man schaffte dort nach Art der Knstler, die von ihrem Opus besessen sind. Es gab keine Arbeitszeit das hie eher, es wurde fast immer gearbeitet. Die Arbeiter trumten von ihren Kunstwerken. Da sie Herren waren, lie sich daraus ersehen, da sie Zeit hatten. Das hie aber nicht, da sie Zeit verschwendeten. Sie hatten diese Zeit vielmehr, wie reiche Leute ihr Geld im Sack haben. Ihr Reichtum ruht im Sack, nicht in der Ausgabe. Man sprt ihn aber in ihrem Auftreten. Die Ein- und Ausgehenden waren in weie oder far-

  • ~ 41 ~

    bige Laborantenmntel gekleidet und passierten ohne weiteres. Sie muten also wohlbekannt sein, denn der Torweg, in dem auch die Anmeldung lag, war bewacht. Ich sah dort kleine Gruppen stehen wie jene, die den Pas- sagier empfangen, der ber den Laufsteg ein groes Schiff betritt. Er stt dort auf Matrosen, Stewards und anderes Personal, das ebenso diskret wie aufmerksam die Eintretenden beobachtet. Der Torweg war weit und tief. Die Mauern waren von Eingngen durchbrochen ich las Empfang, Hausmeister, Wache und andere Aufschriften. Bei der Anmeldung wurde ich empfangen wie jemand, der erwartet wird. Kaum hatte ich meinen Namen aus- gesprochen, als sich bereits ein Lufer meldete. Er hatte auf mich geharrt. Zu meinem Erstaunen sah ich, da er mich nicht in das Werk hinein-, sondern wieder auf dem Torweg heraus- fhrte. Er brachte mich zu einer kleinen Untergrund- bahn, die neben dem Parkplatz mndete. Nachdem wir hinabgestiegen waren, betraten wir einen winzigen Wagen, der auf den Schienen stand und sich nach Art eines Fahrstuhls bedienen lie. Nach zwei Minuten waren wir am Ziel. Wir hielten vor einem altertmlichen Gebude innerhalb einer Parkmauer. Ich stand vor Zapparonis Privatwohnung. Ich hatte bestenfalls erwartet, in eine Abteilung des Personalamtes gefhrt zu werden und von dort, wenn meine Befragung gnstig verlief, vielleicht zum Personal- chef selbst, weil ich durch Twinnings empfohlen war. Daher verschlug es mir den Atem, als ich mich pltzlich, aus der Erde auftauchend, im Allerheiligsten sah, in der Sphre eines Mannes, von dem manche behaupteten, da

  • ~ 42 ~

    er in Wirklichkeit nicht existiere, sondern die vielleicht beste Erfindung der Zapparoni-Werke sei. Schon sah ich einen Diener die Treppe herabkommen und den Lufer ablsen. Herr Zapparoni erwartet Sie. Es war kein Zweifel mglich, ich befand mich in Zap- paronis Residenz. Sein Hauptwerk hatte frher an einem anderen Ort gelegen, bis er, der ewigen Um- und An- bauten berdrssig, beschlossen hatte, es hier nach einem neuen Plan zu jener Vollkommenheit zu bringen, die im groen wie im kleinen seine Schpfungen auszeichnete. Bei Prfung des Baugelndes hatte sich ergeben, da in einiger Entfernung ein Zisterzienserkloster lag. Es war seit langem in die ffentliche Hand geraten, doch kaum be- nutzt worden. Die Kirche und das Hauptgebude waren der Zeit zum Raub gefallen, doch die Umfassungsmauer und das Refektorium waren unzerstrt. Der Refekto- riumsbau umfate auer dem groen Speisesaal der Mnche noch Rume, die als Kchen, Vorrats-und Gste- kammern gedient hatten. In ihnen richtete Zapparoni sich ein. Das Haus hatte stattliche Ausmae. Ich hatte zu- weilen Abbildungen in den illustrierten Zeitschriften ge- sehen. Das groe Tor in der Umfassungsmauer blieb stets ge- schlossen; zum Kommen und Gehen der Hausbewohner und der Gste diente die kleine Untergrundbahn. Es war mir aufgefallen, da ich nicht an einem Endpunkt ein- gestiegen war. Wahrscheinlich fhrte sie nicht nur bis zum Parkplatz, sondern auch in das Werk hinein. Die Regelung hatte den Vorteil, da Zapparoni sich stets auf eigenem Gebiet befand und da eine genaue Kontrolle aller Besucher mglich war. Auf diese Weise war der Hausherr vor der Zudringlichkeit der Reporter

  • ~ 43 ~

    und vor allem der Fotografen geschtzt. Er war darauf bedacht, alles im Halbdunkel zu lassen, was seine Person und seine Gewohnheiten betraf. Die abnutzende, verzeh- rende Kraft der Propaganda war ihm bewut. Es sollte zwar viel von ihm gesprochen werden, doch nur in un- bestimmter Weise, in Andeutungen. Desgleichen sollte von seinen Konstruktionen der Eindruck entstehen, da ihr sichtbarer Teil noch der geringste war. Die Auswahl der Bilder und Berichte, die ber ihn erschienen, wurde von ihm und seinen Fachleuten besorgt. Sein Pressechef hatte ein System der indirekten Be- richterstattung entwickelt, das die Neugier anreizte, doch nie befriedigte. Einen Menschen, von dem man Bedeu- tendes hrt, doch dessen Gesicht man nicht kennt, hlt man fr schn, fr majesttisch vielleicht. Einen Men- schen, von dem viel gesprochen wird, doch von dem man nicht wei, wo er sich aufhlt, vermutet man berall; er scheint sich auf wunderbare Weise zu vervielfltigen. Ein Mensch, der so mchtig ist, da man von ihm nicht mehr zu sprechen wagt, wird fast allgegenwrtig, da er unser Inneres beherrscht. Wir meinen, da er unsere Gesprche mithrt und da seine Augen auf uns ruhen, whrend wir in unserer Kammer sind. Ein Name, den man nur flstert, ist mchtiger als einer, der auf den Mrkten aus- geschrien wird. Zapparoni war das bekannt. Er durfte andererseits die Propaganda nicht vernachlssigen. Das fhrte vexierbildhafte berraschungen in sie ein. Es war ein neues System. Ich will nicht leugnen, da mich ein Schrecken ergriff, als ich den Diener sagen hrte: Herr Zapparoni erwar- tet Sie. Ich sprte das krasse Miverhltnis zwischen einem Mchtigen der Erde und einem, der kaum das

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    Geld fr seine Rckfahrt in der Tasche hat. Jh berfiel mich die Einsicht, da ich der Begegnung nicht gewach- sen war. Das war ein Zeichen, da ich doch schon her- untergekommen war, ein Gefhl, das ich frher nicht gekannt hatte. Ein Leichter Reiter durfte unter keinen Umstnden dieses Gefhl haben. Das hatte Monteron uns oft gesagt. Er sagte auch: Erst wenn der Kapitn von Bord geht, ist das Schiff verloren, ist herrenloses Gut. Aber der rechte Kapitn geht unter mit seinem Schiff. Das kam mir in den Sinn, als mir die Knie zitterten. Und ich dachte auch an die ganz alten Zeiten, in denen wir diese Stahl-, Tuch- und Kohlenfritzen nicht fr voll genommen hatten von Lichtspiel und Automaten war damals noch nicht einmal die Rede oder hchstens auf den Jahrmrkten. Ein kleiner Gutsbesitzer mit zweihun- dert Morgen, den seine Schulden nicht schlafen lieen, kam eher bei den Leichten Reitern an als sie, die man da- mals in den ersten Automobilen fahren sah, mit denen sie die Pferde scheu machten. Die Pferde witterten, was kam. Inzwischen hat sich die Welt verkehrt. Wenn Zapparoni sich die Zeit nahm, mich zu empfan- gen, war ich also ein Partner fr ihn. Dieser Gedanke versetzte mir einen neuen Stich. Konnte ich denn ein Partner fr regulre Geschfte sein? Wenn beispielsweise ein armes Mdchen in einer groen Firma angestellt wird, um Akten zu ordnen, zu stenografieren oder Ma- schine zu schreiben, wird ihr der Chef vielleicht nie zu Gesicht kommen. Sie ist keine Partnerin fr ihn. Es wre dennoch mglich, da sie eines Tages mit dem Chef ge- sehen wrde, etwa in einem Seebad oder in einem Nacht- lokal. Dann wrde ihre Bedeutung wachsen und zugleich

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    die Achtung vor ihr abnehmen. Sie wre nun eine irregu- lre Partnerin geworden und trte damit in ein Macht- verhltnis ein. Sie wre auf der legitimen Seite schwach gewesen und wrde auf der illegitimen stark. Wenn Zapparoni mich, den Hungerleider und ab- gedankten Reiter, in seinem Haus empfing, so hatte das hnliche Bewandtnisse. Er konnte mit mir keinen Staat machen. Ich konnte ihm weder in seinen Bros noch in seinen technischen Betrieben von Nutzen sein. Und selbst wenn ich in diesen Betrieben geglnzt htte, wrde er sich kaum um mich persnlich bemht haben. Er mute also etwas anderes in mir suchen, etwas, das man nicht jedem zutrauen oder zumuten kann. Dieses bedenkend, fhlte ich Lust umzukehren, als ich schon auf der Treppe stand. Aber da war Theresa, da waren meine Schulden, meine verfahrene Situation. Wahr- scheinlich war es gerade ein Mann in solcher Lage, der gesucht wurde. Wenn ich nun umkehrte, wrde ich es bereuen. Noch etwas anderes kam hinzu. Wozu soll ich mich besser machen als ich bin. Monteron hatte sich kaum je mit Philosophie beschftigt, es sei denn, da man Clause- witz als Philosophen nehmen will. Er hatte dennoch einen Lieblingsspruch, der von einem groen Philo- sophen stammte und den er gern zitierte, nmlich: Es gibt ein fr alle Mal Dinge, die ich nicht wissen will. Die Vorliebe fr diesen Spruch verriet einen rechteckigen, eingleisigen Geist, der keine Winkelzge und Seitenpfade liebt. Da gab es kein Alles verstehen heit alles ver- zeihen. In der Beschrnkung zeigt sich nicht nur der Meister, sondern auch der ethische Mensch. Obwohl ich nun von Monteron viel gelernt und an-

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    genommen habe, bin ich doch in dieser Hinsicht seinem Beispiel nicht gefolgt. Im Gegenteil gibt es leider wenig Dinge, in die ich meine Nase nicht gesteckt habe. Aber man kann seine Natur nicht umkrempeln. Schon mein Vater hatte das gergt. Wenn wir etwa zusammen aus- wrts aen und er mir die Speisekarte gereicht hatte, pflegte er zu sagen: Es ist doch merkwrdig, da der Junge sich sicher das Ausgefallenste bestellt. Dabei ist das Men hervorragend. Das war richtig, bei Kasten gab es ein gutes Men. Dort aen die Reitschler. Aber das Men war lang- weilig. Ich studierte an Bambussprossen und indischen Vogelnestern herum. Der Alte gab nach und sagte zur Mutter: Von mir kann er das nicht geerbt haben. Das war wiederum richtig, aber auch meine Mutter hatte einen guten, einfachen Geschmack. Es fragt sich berhaupt, ob solche Kuriositten vererbt werden. Ich habe eher den Eindruck, da sie gezogen werden wie Treffer und Nieten in der Lotterie. Um bei der Speisekarte zu bleiben, so pflegten die Ge- richte mich meist zu enttuschen, die ich dem Namen nach aussuchte. Spter, auf Reisen, erging es mir hnlich mit den exotischen Finessen und Stimulantien, die ich sel- ten vorbergehen lie. Anrchige Huser und Kneipen, verrufene Straen und Viertel, obszne Antiquariate zo- gen mich in gleicher Weise an. Dem Typ, der mich auf dem Montmartre in einen Hausflur winkte, dem kleinen Ara- ber, der mich zu seiner Schwester fhren wollte, konnte ich schlecht widerstehen. Daran wre nichts Besonderes gewesen, wenn mich nicht zugleich ein so lebhafter Widerwille gehemmt htte. Aber die Neugier berwog.

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    Doch trug ich keine Lust davon. Wie ich die Gerichte mit den seltsamen Namen lustlos hinunterwrgte, so konnte mich der Anblick der menschlichen Entwrdigung nicht befriedigen. Das Laster lie eine dstere, schmerz- hafte Erinnerung in mir zurck, die lange andauerte. Das erklrt, warum ich nicht in ihm verweilen konnte, doch bleibt es ein Rtsel, warum ich es immer wieder auf- suchte. Erst als Theresa kam, erfuhr ich, da eine Hand- voll Wasser strker als alle Essenzen ist. brigens kam mir die Neugier bei den Leichten Rei- tern zuweilen sogar zustatten, da die Hauptaufgabe die- ser Waffe die Aufklrung ist. Auf Streifen in unsicherem Gelnde trieb ich die Erkundung oft ber den Auftrag und die taktische Notwendigkeit hinaus. Das fhrte zu unvermuteten Entdeckungen und machte einen guten Eindruck auf die Fhrer der Vorhuten. Jeder Fehler hat ja auch seine Vorzge, und umgekehrt. Kurz und gut, ich fhlte auf Zapparonis Treppe, da ich mich in ein zweideutiges Abenteuer wagte, obschon in Zwangslage. Zugleich aber wurde die alte, leidige Neugier in mir rege und stachelte mich an. Es lockte mich zu erfahren, was der alte, mchtige Mann mit mir im Schilde fhrte und warum er geruhte, sich mit mir zu beschftigen. Die Neugier spornte mich fast strker als die Aussicht auf Gewinn. Ich hatte schlielich den Kopf im Leben schon aus mancher Schlinge gezogen, hatte von manchem Kder gekostet, ohne an die Angel gegangen zu sein. Ich folgte daher dem Diener in das alte Haus. Es machte den Eindruck eines Landsitzes. An den Eingang schlo sich ein Flur, in dem nicht nur Hte und Mntel hingen, sondern auch Flinten und Angelgerte verwahrt

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    wurden. Dann kam eine Halle, die durch zwei Stock- werke ging, mit Trophen und Stichen von Riedinger. Es folgten zwei, drei Rume, die grer als ein Zimmer waren, doch kleiner als ein Saal. Die Rume lagen auf der Sdseite, denn die Sonne fiel gedmpft durch matte Scheiben auf die Teppiche. Ich wurde in die Bibliothek gefhrt. Auf den ersten Blick schien keines dieser Stcke die Verhltnisse eines wohl- habenden Privatmannes zu berschreiten, ihr Anblick ent- tuschte meine Erwartungen. Ich hatte unter dem Ein- flu der Zeitungen vermutet, in eine Art von Zauber- kabinett zu kommen, in dem der Besucher durch auto- matische berraschungen halb in Erstaunen, halb in Be- strzung versetzt wurde. Ich sah sogleich, da ich mich in dieser Hinsicht verschtzt hatte. Ich htte mir freilich denken knnen, da ein Zauberer und Herr der Auto- maten dergleichen in seiner Intimitt nicht liebt. Wir pflegen uns doch alle in einer Weise zu erholen, die von unseren Geschften so weit wie mglich verschieden ist. Ein General spielt kaum mit Zinnsoldaten, und ein Brieftrger macht sonntags keine Gewaltmrsche. Ebenso sagt man, da die Clowns in ihren vier Wnden meist ernsthaft, ja melancholisch sind. In dieser Einrichtung stie man nicht auf die Ge- schmacklosigkeit von Leuten, die ber Nacht reich ge- worden sind. Es gab nichts Trimalchionisches. Zapparoni mute nicht nur einen vorzglichen Innenarchitekten besitzen, sondern auch selbst Geschmack haben. Das sah man der Ausstattung an. Sie zeigte eine Harmonie, die nicht auf Bestellung geliefert werden kann, sondern die nur ein inneres Bedrfnis, nur die Gediegenheit des sich Behausenden erzeugt. Hier war keine kalte Pracht, kein

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    bloes Scheinenwollen; die Rume waren bewohnt von einem intelligenten und kultivierten Wesen, das sich in ihnen wohlfhlte. Diese Sdlnder, selbst wenn sie aus einem sizilischen Dorfe oder aus einem neapolitanischen Basso kommen, verfgen hufig ber einen untrglichen Geschmack, wie er nur durch Geburt erworben werden kann. Sie haben ein unfehlbares Ohr fr Melodien und einen unbestech- lichen Blick fr die Meisterhand in der bildenden Kunst. Ich hatte das oft beobachtet. Die einzige Gefahr in dieser Hinsicht liegt in ihrer Eitelkeit. Das Ganze war von gediegener Nchternheit, nicht prchtig, aber Leben ausstrmend. Das galt vor allem fr die Kunstwerke. Ich hatte mitunter Gelegenheit gehabt, berhmte Bilder und Statuen, wie man sie nur von den Kalendern oder aus Museen kennt, in Husern schnell reich oder mchtig gewordener Mnner anzusehen. Der Anblick enttuschte, weil sie ihren Ausdruck, ihre Sprache verloren hatten wie Vgel, die Gesang und Glanz ein- ben, wenn man sie in einen Kfig sperrt. Ein Kunst- werk stirbt ab, verblat in Rumen, in denen es einen Preis hat, aber keinen Wert. Es kann nur leuchten, wo es von Liebe umgeben ist. Es mu in einer Welt verkm- mern, in der die Reichen keine Zeit und die Gebildeten kein Geld haben. Doch nie stimmt es erborgter Gre zu. Zapparoni, das sah ich im Vorbergehen, mute Zeit haben. Die fnf, sechs Bilder, die an den Wnden hingen, machten den Eindruck von Dingen, auf denen tglich und mit Liebe das Auge des Herren ruht. Keines von ihnen konnte nach 1750 gemalt worden sein. Ein Poussin war dabei. Gemeinsam war ihnen, da sie ein ruhiges Leben ausatmeten und auf Effekt verzichteten. Ich meine damit

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    nicht die heutigen Effekte, die im Niedagewesenen sich erschpfen, sondern solche, wie sie Meister hervorbrin- gen. Die Bilder, die Zapparoni hier um sich versammelt hatte, konnten niemals, und auch nicht von den Zeit- genossen, als berraschend empfunden worden sein. Sie muten von Anfang an vertraut gewirkt haben. Der Eindruck teilte sich dem Hause mit. Er harmo- nierte mit einem anderen, der reine Machtfragen betraf, und wurde durch ihn verstrkt. Ich sagte bereits, da wir in Zeiten leben, in denen die Worte ihren Sinn ver- loren oder gendert haben und doppelgrndig geworden sind. Das gilt auch fr das Wort Haus, das frher der Inbegriff des Soliden und Bestndigen war. Nun ist es seit langem zu einer Art von Zelt geworden, ohne da sein Bewohner die Freiheit des Nomaden geniet. Nun wird es ebenso flchtig in die Hhe getrieben, wie es zu Tausenden in den Wind geblasen wird. Das wre noch nicht das Schlimmste, wenn man wenigstens fr eine Weile das Gefhl haben drfte, im Eigenen und Unantastbaren zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Der Mann, der heute den Mut hat, ein Haus zu bauen, er- richtet einen Treffpunkt fr Leute, die ihn zu Fu, im Wagen oder telefonisch heimsuchen. Es kommen die An- gestellten von Gas-, Licht- und Wasserwerken, Agenten von Versicherungen und Brandkassen, die Baupolizisten und Rundfunkkassierer, die Hypothekenglubiger und Finanzbeamten, die den Mietwert fr das Wohnen im eigenen Hause feststellen. Wenn das politische Klima ein wenig schrfer wird, kommen noch ganz andere Leute, die sogleich wissen, wo man zu finden ist. Zu diesen Plagen tritt hinzu, da man mit dem Odium des Eigen- tmers behaftet ist.

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    In frheren Zeiten war das einfacher. Man kannte zwar weniger Bequemlichkeiten, aber man hatte ein gutes Gewissen, wenn man die Beine unter den eigenen Tisch streckte. Eben dieses Gefhl empfand ich bei Zap- paroni: da hier noch ein Herr im Hause war. Ich htte wetten mgen, da es hier weder Zhler noch An- schlsse gab, wenigstens nicht solche, die aus dem Grund- stck hinausfhrten. Wahrscheinlich hatte Zapparoni das Muster des geschlossenen Handelsstaates frherer Zeiten auf seinen Haushalt bertragen, dann hatten seine Auto- maten ihn dazu instand gesetzt. Im Automaten wird die abstrakte Kraft konkret, kehrt in den Gegenstand zu- rck. Indessen sah ich nichts dergleichen, es handelte sich eher um eine atmosphrische Wahrnehmung. Es standen sogar Kerzen auf den Tischen und eine Sanduhr auf dem Kamin. Hier wohnte offenbar einer, der keine Rente zog, der eher Renten austeilte. Hier konnte die Polizei nicht ein- dringen, gleichviel mit welchem Auftrag oder unter wel- chem Vorwande. Zapparoni hielt nicht nur seine eigene Polizei, die seine Weisungen und keine anderen aus- fhrte. Sein Werkgelnde und seine Verbindungswege wurden auerdem von Polizisten und Ingenieuren des Staates und des Heeres berwacht, die dem Buchstaben nach im Einvernehmen mit ihm zu handeln hatten, jedoch in Wirklichkeit keine andere Meinung haben konnten als die seinige. Es erhebt sich natrlich die Frage, warum ein Mann mit solchen Befugnissen ausgerechnet auf meine Hilfe angewiesen war, auf die Hilfe eines Mannes, dem das Wasser am Halse stand. Hier ruht eben das Mysterium, das ich bereits berhrt habe. Es ist eine merkwrdige

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    Tatsache, und sie mu tief gegrndet sein, da ein Mensch, der ber noch so viel gesetzliche Handhaben verfgt, zur Durchsetzung seiner Plne doch noch auf Nebentren angewiesen ist. Der Rechtsraum, er mge klein oder gro sein, grenzt immer an das Ungesetzliche. Die Grenze wchst mit den Befugnissen. Wir finden da- her bei groen Herren mehr Unrecht als beim kleinen Mann. Wo die Befugnisse absolut werden, kommt es zu einem Zustand, bei dem die Grenzen zu verschwimmen drohen und Recht und Unrecht schwer zu unterscheiden sind. Man braucht dann Leute, mit denen man Pferde stehlen kann.

    4 Nachdem der Diener mich in die Bibliothek gefhrt hatte, lie er mich allein. Er war von vollendeter Hf- lichkeit. Ich erwhne diese Wahrnehmung, weil sie den mitrauischen Zustand beleuchtet, in dem ich mich be- fand. Ich beobachtete jeden, mit dem ich zusammenkam, und war viel leichter als frher verletzt. Das Benehmen des Dieners lie jedenfalls nicht darauf schlieen, da der Hausherr eine abfllige Bemerkung ber meinen Be- such gemacht hatte. Nun, ich zweifelte immer noch, da ich ihn zu Gesicht bekommen wrde wahrscheinlich wrde gleich einer seiner Sekretre eintreten. In der Bibliothek war es still und angenehm. Die Bcher strmten eine ruhige Wrde aus. Sie reihten sich in den Regalen in Einbnden aus hellem Pergament, geflammtem Kalbleder und braunem Maroquin. Die Pergamentbnde waren mit der Hand beschrieben; die

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    Lederrcken trugen rote und grne Titelschilder oder waren mit goldenen Lettern bedruckt. Trotz ihrem Alter machte die Bchersammlung nicht den Eindruck, da sie da war, um Tapisserie zu bilden, sondern da sie benutzt wurde. Ich las einige Titel, die mir wenig sagten: frhe Technik, Kabbala, Rosenkreuzer, Alchemie. Vielleicht er- holte sich hier ein Geist auf lngst berwucherten Irr- wegen. Die starken Mauern htten den Raum verdstert, wenn er nicht durch die Fenster, die fast auf den Boden reich- ten, viel Licht gehabt htte. Die Glastr stand offen; sie fhrte auf eine breite Terrasse hinaus. Der Blick fiel auf den Park wie auf ein altes Bild. Die Bume strahlten im frischen Laubglanz; das Auge fhlte, wie sie ihre Wurzeln im Grunde feuchteten. Sie sumten die Ufer eines Baches, der trge dahinflo und sich zu- weilen zu Flchen erweiterte, auf denen ein grnes Mie- der von Wassermoosen schimmerte. Das waren die Fisch- teiche der Mnche gewesen; die Zisterzienser hatten wie die Biber in den Smpfen gebaut. Es war ein Glcksfall, da die Mauer noch erhalten war. Meist, und vor allem in der Nhe von Stdten, sind diese Ringe abgetragen; sie haben als Steinbrche ge- dient. Hier aber sah man hin und wieder durch das Laub der Bume den grauen Stein. Die Mauer schien sogar feldmige Flchen einzuschlieen, denn ich sah in der Ferne einen Bauern, der hinter dem Pfluge ging. Die Luft war klar; die Sonne blinkte auf dem Fell der Pferde und auf der Scholle, die sich im Schnitte wendete. Das Bild war heiter, wenngleich befremdend im Anwesen eines Mannes, der unter anderem auch mit Traktoren fr Grtner handelte, die wie Maulwrfe die Beete lok-

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    kerten. Indessen sprach ja alles an seinem Haushalt fr museale Neigungen. Vermutlich wollte er keine Maschi- nen sehen, wenn er auf der Terrasse seine Bume und Weiher betrachtete. Das hatte zudem den Vorteil, da auf seinen Tisch nur Frchte kamen, die auf die alte Weise gebaut waren. Auch hier gilt der Satz, da sich die Worte verndert haben, denn Brot ist nicht mehr Brot und Wein ist nicht mehr Wein. Es sind verdchtige Chemikalien. Man mu schon auergewhnlich reich sein, wenn man heute Vergiftungen vermeiden will. Die- ser Zapparoni war ohne Zweifel ein Schlaufuchs, der in Malepartus zu leben wute, und zwar auf Kosten der Dummkpfe, wie ein Apotheker, der sich seine Drogen und Wundermittel mit Gold aufwiegen lt, whrend er selbst sich nach der Vter Weise gesund erhlt. Wahrhaftig, es war friedlich an diesem Ort. Das Brau- sen der Werke, der Parkpltze und Anfahrtstraen drang nur als feines Summen durch die Laubgipfel. Dafr hrte man die Melodien der Stare und Finken, und an den morschen Stmmen hmmerte der Specht. Die Dros- seln hpften und weilten auf den Rasenpltzen, und zuweilen ertnte im Teichgrund das Klatschen eines Karp- fens, der aufschnellte. Auf den Rabatten und Medaillons vor der Terrasse, wo sich die Blumen drngten, kreuzten die Bienen und teilten sich mit den Faltern den sen Raub. Es war ein Maitag in seiner vollen Pracht. Nachdem ich die Bilder und die Bcher mit den selt- samen Titeln betrachtet hatte, setzte ich mich an einen kleinen Tisch, vor dem zwei Sthle standen, und blickte durch die weit offene Tr. Die Luft war reiner als in der Stadt, berauschend fast. Das Auge ruhte auf den alten Bumen, den grnen Teichen und auf dem braunen

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    Felde in der Ferne, auf dem der Bauer die Furchen zog und in den Kehren wendete. Wie wir an einem warmen Frhlingstage den Winter noch in den Knochen spren, so fhlte ich vor diesem Bilde die Unzufriedenheit, die mein Leben in diesen Jahren getrbt hatte. Ein abgedankter Reiter spielte eine traurige Figur inmitten dieser Stdte, in denen kein Pferd mehr wieherte. Wie hatte sich doch alles verndert seit Monterons Zeit. Die Worte hatten ihren Sinn ver- loren, auch Krieg war nicht mehr Krieg. Monteron wrde sich im Grabe umdrehen, wenn er erfhre, was sie heute als Krieg bezeichneten. Friede war schlielich auch nicht Friede mehr. Wir waren noch zwei, drei Mal geritten auf den Ebenen, auf denen sich seit der Vlkerwanderung immer wieder bewaffnete Reiter bewegt hatten. Bald sollten wir erfahren, da es nicht mehr mglich war. Wir hatten noch die schnen, bunten Uniformen getragen, auf die wir stolz waren und die weithin leuchteten. Doch sahen wir keinen Gegner mehr. Wir wurden von unsicht- baren Schtzen auf groe Entfernung aufs Korn genom- men und aus dem Sattel geholt. Wenn wir sie erreichten, fanden wir sie in Drhte eingesponnen, die den Pferden die Fesseln zerschnitten und ber die kein Sprung hin- wegfhrte. Das war das Ende der Reiterei. Wir muten absitzen. In den Panzern war es eng, hei und lrmend, als ob man in einem Kessel se, an dem Schmiede hmmerten. Es roch nach l, Treibstoff, Gummi, verschmortem Iso- lierband und Asbest, und, wenn man in Schuweite kam, auch nach Pulver, das aus den Kartuschen abqualmte. Man sprte Erschtterungen im weichen Grunde, dann

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    schrfere und nhere Schlge, auch Treffer bald. Das war keiner der groen Reitertage, von denen Monteron uns erzhlt hatte. Es war heie Maschinenarbeit, un- sichtbar, ruhmlos und immer von der Aussicht auf den Feuertod begleitet, die sich nicht abweisen lie. Ich empfand es als widrig, da der Geist sich so der Macht der Flamme beugen sollte, aber es mu tief in der Natur liegen. Auerdem nahm das Metier einen anrchigen Charak- ter an. Ich machte bald die Erfahrung, da auch Soldaten nicht mehr Soldaten sind. Das Mitrauen war gegen- seitig und wirkte auch auf den Dienst. Frher hatte der Fahneneid gengt. Nun mute man zahllose Polizisten anwerben. Das war eine bestrzende Vernderung. ber Nacht war Irrtum, ja war Verbrechen geworden, was frher Pflicht gewesen war. Wir merkten es, als wir nach dem verlorenen Kriege in die Heimat zurckkehrten. Die Worte hatten ihren Sinn verloren war nun auch das Vaterland nicht Vaterland mehr? Wofr waren sie dann alle dahingegangen, Monteron und die Seinigen? Die Frage bedrckte mich und mit mir viele andere. Wir begannen zu grbeln und fanden die Lsung nicht. Es zeigte sich nun, da unsere Erziehung zwar stark, doch eng gewesen war. Wir verstanden die einfachsten Dinge nicht. So ist es doch unbestreitbar, da von zwei Armeen, die miteinander Krieg fhren, falls es nicht zum Remis kommt, die eine verlieren mu. Da nun uns die- ses Los getroffen hatte, konnten wir nicht bewltigen. Wir konnten es nicht vollziehen; es mute da eine blinde Stelle in unserem Inneren sein. Wir nahmen die Nieder- lage nicht an, die doch so offensichtlich, so handgreiflich war.

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    Nichts konnte verkehrter sein. Wir htten sie schluk- ken, verdauen mssen wie eine bittere Medizin. Statt dessen begannen wir uns einzureden, da nur Verrat uns gefllt haben konnte und da wir gegen die Spielregeln besiegt waren. Das mute auf eine schiefe Bahn fhren. Ich denke ungern an jene Jahre zurck, in denen sich alles verndert hatte, und mchte sie aus dem Gedchtnis tilgen wie einen bsen Traum. Jeder sah in dem anderen den Schuldigen. Wo Ha an der Saat mitwirkt, kann nur Unkraut die Ernte sein. Ein furchtbares Erlebnis verleidete mir diese Um- triebe. Es mu in die Zeit gefallen sein, in der wir das Denkmal umgeworfen hatten; es war einem der neuen Tribunen gesetzt, der bereits wieder unpopulr gewor- den war. Das ist auch eines der Worte, die davon leben, da es einmal ein rmisches Imperium gegeben hat. Wir hatten getrunken; es war nach Mitternacht, und das Mo- nument lag im grellen Licht einer Baustelle. Die Arbeiter liehen uns ihre Vorschlaghmmer, und wir machten so grndliche Arbeit, da nur noch zwei ungeheure Beton- stiefel vom Postament in die Luft ragten. Ich entsinne mich kaum noch des Ortes und der Namen, die mit die- sem obskuren Hermenfrevel zusammenhngen; wer daran Interesse hat, wie Zapparoni, mag es in meinen Papieren nachlesen. Wir pflegten uns bei einem Kameraden zu treffen, der ein Zimmer im obersten Stockwerk eines Mietshauses bewohnte, wie sie damals ebenso schnell wie unsolide gebaut wurden. Das Zimmer hatte ein breites Fenster, aus dem man wie durch einen tiefen Schacht auf den Hof blickte, der aus der Hhe kaum grer als ein Karten- blatt erschien. Der Kamerad hie Lorenz; er war ein

  • ~ 58 ~

    schlanker, etwas nervser Junge und hatte auch bei den Leichten Reitern gedient. Wir hatten ihn alle gern; es war etwas von alter Freiheit, von alter Leichtigkeit in ihm. Fast jeder hatte damals eine Idee; das war eine be- sondere Eigentmlichkeit der Jahre, die jenem Krieg folgten. Die seine bestand darin, da die Maschine die Quelle allen bels sei. Er wollte daher die Fabriken in die Luft sprengen, das Land neu verteilen und in ein groes Bauernreich umwandeln. Da wrden alle fried- lich, gesund und glcklich sein. Um diese Meinung zu belegen, hatte er eine kleine Bibliothek erworben zwei, drei Reihen zerlesener Bcher, vor allem von Tolstoi, der sein Heiliger war. Der arme Junge wute nicht, da es heute nur eine Bodenreform gibt: die Expropriation. Dabei war er selbst der Sohn eines enteigneten Landwirtes, der seinen Verlust nicht berlebt hatte. Besonders merkwrdig er- schien der Umstand, da er diese Ideen auf der Spitze eines Mietshauses verfocht und inmitten eines Kreises, dem es zwar an verworrenen Plnen nicht mangelte, der aber in technischer Hinsicht auf der Hhe war. Infolgedessen fehlte es nie an heiteren Zwischenrufen, wenn er seine Ideen entwickelte, wie etwa: Zurck zur Steinzeit oder Neandertal, du bist mei' Freud. Wir bersahen aber oder wir sahen nicht deutlich genug, da etwas von heiligem, wenngleich ohnmchtigem Zorn an unserem Freunde zehrte, denn das Leben in diesen Stdten, die wie von ehernen Schnbeln ausgeweidet glhten, war grauenhaft. Lorenz htte damals nicht in unsere rde Gesellschaft gehrt, sondern in die Obhut einer Familie, in die Hnde einer liebenden Frau. Mon- teron hatte ihn besonders gemocht.

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    An diesem schrecklichen Abend, es war eher schon gegen Morgen, war viel getrunken worden, und die Kpfe hatten sich erhitzt. Geleerte Flaschen standen auf dem Tisch und an den Wnden, und aus den Aschen- bechern schwelte Rauch durch das offene Fenster, durch das der Blick auf einen ungesunden Himmel fiel. Das war vom Frieden der Drfer weit entfernt. Ich war fast eingeschlafen, und nur der Lrm der Unterhaltung hielt mich wach. Pltzlich schreckte idi auf; ich fhlte, da sich etwas im Rume vollzog, das hchste Aufmerksamkeit forderte. So beginnt ein Emp- fnger zu schwingen, wenn er angesprochen wird. Die Musik wird unterbrochen durch die Signale eines Schif- fes, das mit dem Untergange kmpft. Die Kameraden schwiegen; sie blickten auf Lorenz, der sich erhoben hatte und sich in uerster Erregung befand. Sie mochten ihm wohl wieder zugesetzt haben, hatten scherzhaft genommen, was eigentlich die Hilfe eines erfahrenen Arztes erforderte. Zu spt erkannte jeder, wie ungewhnlich das alles gewesen war. Lorenz, der brigens nichts getrunken hatte und nie zu trinken pflegte, war offensichtlich in eine Art von Trance verfallen; er verfocht seine Idee nicht mehr. Er klagte vielmehr, da Mnner fehlten, die das Gute wol- len; dann liee es sich leicht verwirklichen. Die Vter htten es uns gezeigt. Und dabei sei es doch so leicht, das Opfer zu vollbringen, das die Zeit erwartete. Dann wrde der Spalt sich schlieen, der die Erde zerri. Wir blickten ihn an und wuten nicht, worauf es hin- auslaufen sollte; halb war es uns wie bei einer unsinnigen Tirade zumute, halb wiederum wie bei einer Beschw- rung, bei der Unheimliches heraufglnzte.

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    Er wurde jetzt ruhiger, als wge er eine besonders berzeugende Wendung ab. Er lchelte und wiederholte: Es ist doch so leicht. Ich will es euch vormachen. Dann rief er: Es lebe , und schwang sich aus dem Fen- ster hinaus. Ich will nicht wiederholen, welche Widmung er aus- brachte. Wir glaubten zu trumen, aber zugleich war es, als wrden wir an einen Starkstrom angeschlossen; wir saen wie eine Versammlung von Gespenstern mit ge- strubten Haaren im leer gewordenen Raum. Lorenz, obwohl der Jngste von uns, war Vorturner gewesen; ich hatte ihn oft genug gesehen, wie er die Flanke ber den Barren oder das Pferd machte. Genau so verschwand er aus der Mansarde; er hatte die Hand leicht auf das Fensterbrett gelegt und schwang sich ge- wandt herum, soda sein Gesicht noch einmal herein- blickte. Waren es fnf Sekunden, waren es sieben einer auer- ordentlichen Stille, die nun folgte ich wei es nicht. Jedenfalls mchte man, selbst in der Erinnerung, einen Keil in die Zeit treiben, damit sie ihre Logik, ihre Un- umwendbarkeit verlre, einen Keil in die unerbittliche Zeit. Dann tnte aus der Tiefe des Hofes der furchtbare Aufschlag, dumpf, doch zugleich hart; es war kein Zwei- fel, da er tdlich war. Wir strzten die Treppen hinab, hinaus in den engen, zwielichtigen Hof. Ich will verschweigen, was dort fr ein Wesen kauerte. Aus solcher Hhe pflegt der Krper bald mit dem Kopf nach unten zu strzen da Lorenz es fertig gebracht hatte, auf den Beinen zu landen, zeigte, da er ein guter Turner war. Der Sprung wre ans dem zweiten, ja vielleicht aus dem dritten Stockwerk noch

  • ~ 61 ~

    geglckt. Doch es gibt Dinge, die unmglich sind. Ich sah zwei helle Spangen, an denen Gespinste hingen: die Schenkel hatten im Anprall die Hften durchstoen und bleichten in der Luft. Der eine rief nach einem Arzte, der andere nach der Pistole, der dritte nach Morphium. Ich fhlte, da Irr- sinn mich bedrohte, und rannte in die Nacht. Die unselige Tat hatte mich tief getroffen und einen untilgbaren Schock hinterlassen; sie hatte auch in mir etwas zerstrt. Ich kann sie daher nicht als Episode behandeln, nicht mit der Bemerkung abtun, da es viel Sinnloses gibt auf der Welt. Gibt es denn Sinnloses? Es gibt wohl Dinge, die wir mehr oder weniger verwinden, und einige sind in der Tat selbst fr die Heiligen zu hart. Aber das ist noch kein Grund, den lieben Gott zu beschuldigen. Es gibt aller- dings Grnde, an ihm zu zweifeln, aber zu ihnen gehrt nicht der, da er die Welt nicht so einrichtete, wie wir uns unsere gute Stube vorstellen. Das spricht eher fr ihn. Frher hat man das besser gewut. Was nun Lorenz betrifft, so gab er in der Tat ein Bei- spiel, wenngleich ein anderes, als er