Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

10
HEIRAT Kuttner: Hier nach langer Zeit und Pause wieder ein schönes Expertengespräch mit Stefan Schwarz. Darüber freue ich mich sehr. Hier irgendwo neben mir muss er sich befinden. Stefan, steig doch mal da auf den Stuhl. Guten Abend. Schwarz: Guten Abend. Kuttner: Jetzt reicht er ran ans Mikrofon. Sehr schön. Unser heutiges Thema beschäftigt sich mit dem Problemkreis Flitterwochen, Hochzeitsnacht, Jus primae noctis 1 . Ohne jetzt vorwegnehmen zu wollen, was das bedeutet. Schwarz: Wir können schon mal verraten, es ist kein Getränk. Sonst würde es nämlich Juice Primenoctis heißen. 1 Ursprünglich ein feudaler Brauch, der dem jeweiligen Feudalherren das „Recht der ersten Nacht“ mithin das Recht auf die Entjungferung einer frischverheirateten Braut zugestand. Durch einen eigentlich geringfügigen Aufhebungsunterlaß der Heerfahrtspflichtskompensation im preußischen Landrecht für das ehemalige Lebuser Bistum konnte diese bedenkliche Vorrechtskonstruktion in den Landkreisen Märkisch-Oderland (MOL) und Dahme- Spreewald (LDS) bis in die heutige Zeit überdauern. Erst mal ging dieses Recht zu DDR-Zeiten an den jeweiligen Sekretär Arbeiterjugend der entsprechenden FDJ-Kreisleitung über, wurde aber, wie alles in der Ostzone überaus nachlässig und zum Teil willkürlich gehandhabt. Dazu ist es wichtig zu wissen, daß der BGH in seinem Urteil vom 12.05.1997 festlegte, daß das kostbare Rechtsrelikt des Jus primae noctis in den Landkreisen MOL und LDS des Landes Brandenburg durch die vierzig Jahre DDR nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben worden sei. Nach der deutschen Vereinigung kam so auf den Stellv. Abteilungsleiter Jugend, Familie und Sport beim Landrat die undankbare Aufgabe zu, die in vierzig Jahre aufgelaufenen Erstnachtsbeiwohnung abzuarbeiten. Wie undankbar mag man daran ermessen, daß die 62 jährigen Versandhausfilialleiterin Edeltraudt Kloss sich in Wahrnehmung dieses unverfallbaren Rechts den nachweislich kniegeschädigten und eigentlich nur als Schwangerschaftsvertretung eingesprungenen Stellv. Abteilungsleiter Jugend, Familie und Sport des Landkreis Dahme-Spreewald, Alfred Merbitz per Strafbefehl von zwei Gerichtsdienern zuführen und die „Erledigung“ nachher auch noch quittieren ließ. Unerwähnt sollte allerdings auch nicht bleiben, daß der Landkreis dadurch einem Bußgeld des Europäischen Gerichtshofes(EuGH) in sechsstelliger Höhe entging, das sonst für Kinderspielplätze verloren gegangen wäre. Das entspricht im Grunde auch der Argumentation des Landrates in einem persönlichen Gespräch mit Frau Dagmar Merbitz, der das aber nach ihren eigenen Worten „aber auch sowas von schnuppe“ war. Schade.

Transcript of Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Page 1: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

HEIRAT

Kuttner: Hier nach langer Zeit und Pause wieder ein schönes Expertengespräch mit Stefan Schwarz. Darüber freue ich mich sehr. Hier irgendwo neben mir muss er sich befinden. Stefan, steig doch mal da auf den Stuhl. Guten Abend.

Schwarz: Guten Abend.

Kuttner: Jetzt reicht er ran ans Mikrofon. Sehr schön. Unser heutiges Thema beschäftigt sich mit dem Problemkreis Flitterwochen, Hochzeitsnacht, Jus primae noctis1. Ohne jetzt vorwegnehmen zu wollen, was das bedeutet.

Schwarz: Wir können schon mal verraten, es ist kein Getränk. Sonst würde es nämlich Juice Primenoctis heißen.

Kuttner: Ein Problem ist jetzt natürlich, dass ich mich auf der einen Seite extrem freue, dass wir jetzt wieder ein Expertengespräch führen, andererseits außerordentlich verunsichert bin, weil ich mich frage, was legitimiert dich dazu, über Flitterwochen zu reden. Das könnte jetzt reine Buchstabengelehrtheit sein, oder?

Schwarz: Einspruch. Ganz entschiedener Einspruch.

Kuttner: Der sei Dir an dieser Stelle gestattet.

Schwarz: Ich bin ja meines Wissens zweimal verheiratet gewesen.

Kuttner: Gibt es Zeugen dafür?

Schwarz: Es gab richtige Trauzeugen, die sich noch heute trauen, das zu bezeugen.

Kuttner: Nun, immerhin hast Du ja hier gelegentlich auch als Meineidexperte reüssiert!

1 Ursprünglich ein feudaler Brauch, der dem jeweiligen Feudalherren das „Recht der ersten Nacht“ mithin das Recht auf die Entjungferung einer frischverheirateten Braut zugestand. Durch einen eigentlich geringfügigen Aufhebungsunterlaß der Heerfahrtspflichtskompensation im preußischen Landrecht für das ehemalige Lebuser Bistum konnte diese bedenkliche Vorrechtskonstruktion in den Landkreisen Märkisch-Oderland (MOL) und Dahme-Spreewald (LDS) bis in die heutige Zeit überdauern. Erst mal ging dieses Recht zu DDR-Zeiten an den jeweiligen Sekretär Arbeiterjugend der entsprechenden FDJ-Kreisleitung über, wurde aber, wie alles in der Ostzone überaus nachlässig und zum Teil willkürlich gehandhabt. Dazu ist es wichtig zu wissen, daß der BGH in seinem Urteil vom 12.05.1997 festlegte, daß das kostbare Rechtsrelikt des Jus primae noctis in den Landkreisen MOL und LDS des Landes Brandenburg durch die vierzig Jahre DDR nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben worden sei. Nach der deutschen Vereinigung kam so auf den Stellv. Abteilungsleiter Jugend, Familie und Sport beim Landrat die undankbare Aufgabe zu, die in vierzig Jahre aufgelaufenen Erstnachtsbeiwohnung abzuarbeiten. Wie undankbar mag man daran ermessen, daß die 62 jährigen Versandhausfilialleiterin Edeltraudt Kloss sich in Wahrnehmung dieses unverfallbaren Rechts den nachweislich kniegeschädigten und eigentlich nur als Schwangerschaftsvertretung eingesprungenen Stellv. Abteilungsleiter Jugend, Familie und Sport des Landkreis Dahme-Spreewald, Alfred Merbitz per Strafbefehl von zwei Gerichtsdienern zuführen und die „Erledigung“ nachher auch noch quittieren ließ. Unerwähnt sollte allerdings auch nicht bleiben, daß der Landkreis dadurch einem Bußgeld des Europäischen Gerichtshofes(EuGH) in sechsstelliger Höhe entging, das sonst für Kinderspielplätze verloren gegangen wäre. Das entspricht im Grunde auch der Argumentation des Landrates in einem persönlichen Gespräch mit Frau Dagmar Merbitz, der das aber nach ihren eigenen Worten „aber auch sowas von schnuppe“ war. Schade.

Page 2: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Schwarz: Das stimmt, darauf kann und will ich jetzt aber nicht eingehen. Zurück zum eigentlichen Thema! Ich war zweimal in den Flitterwochen. In meinen ersten Flitterwochen habe ich die…

Kuttner: Entschuldigung, würdest Du uns vielleicht verraten, wie lange die jeweils gedauert haben, die Flitterwochen? Ist auch eine interessante Frage.

Schwarz: Vierzehn Tage.

Kuttner: Zusammen, oder…

Schwarz: Nein, nicht zusammen. Jede der einzelnen Flitterwochen hat insgesamt vierzehn Tage gedauert.

Kuttner: Du hast die tatsächlich auch separat genommen, oder hast Du am Stück, also vier Wochen durchgeflittert?2

Schwarz: Nein, also bloß weil ich zweimal verheiratet war, also nein, das wäre nicht gegangen. Ich habe nach jeder…

Kuttner: Organisatorisch wäre das vielleicht besser, dass man sich frei nimmt, gewissermaßen.

Schwarz: Nein, wenn man eine Pauschalreise gebucht hat, dann wäre es günstiger gewesen, die vier Wochen am Stück zu nehmen, aber dass konnte ich ja nun nicht wissen.

Kuttner: … dass man dann nach zwei Wochen die Frau auswechselt und weiterflittert.

Schwarz: Was ich eigentlich sagen wollte ist, dass ich in meinen ersten Flitterwochen die 1400 Seiten starke Brecht-Biografie von Werner Mittenzwei gelesen habe und in meinen zweiten Flitterwochen die ebenfalls doch sehr erhebliche, nämlich 800 Seiten starke römische Geschichte von Mommsen, was allerdings nichts über die Qualität der jeweils mitreisenden Ehegattin aussagt, sondern über meine nachlassende Lesegeschwindigkeit im Alter.

Kuttner: Da würde mich natürlich interessieren, was du noch so an Lektüreplänen hast für die Zukunft, dass ich hier im Sendebereich das weibliche Geschlecht…

Schwarz: Wie gesagt, meine Lesegeschwindigkeit lässt ja nach, und bis man mich mit einem 400-500 Seiten starken Werk aus dem Buchladen kommen sieht, das könnte vielleicht gar nicht mehr so lange dauern.

Kuttner: Die Versuchung war aber noch nicht da, aus dem Buchladen hinaus zu gehen und zu heiraten, um die begehrte Lektüre tätigen zu können?

2 Dieser Flitterwochen-Separatismus Stefan Schwarz’ muß heute auf sympathische Weise konservativ anmuten an. In einer Zeit, in der Flitterwochen-Anbieter einen wahren Dschungel an Flitterwochen-Tarifen anbieten. So lassen sich in der Kategorie Customized-Wedding bzw. beim Modell „merry three - pay one“ oder dem beliebten XXL-Merrying bei denen man sich verpflichtet mindestens dreimal zu heiraten und dabei unglaubliche 46 Prozent zu sparen zuzüglich 60 Frei-SMS sowie einem Auslands- und einem Inlandsgespräch mit einem aus der TV-Werbung bekannten Scheidungsanwalt (siehe auch: www.flitterwochentarif.de, der größte web-gestützte Tarifvergleich (Achtung! Nicht verwechseln mit www.flittchen-wochentarif.de) bzw. www.einegehtnoch.de oder auch www.jaichwillnochmal.com oder auch für die besonders Sparsamen www.jeschtschorasposhaluista.ru). Bei vier Heiraten ist eine Gratis-Kindesadoption inklusive! (Siehe Schröder)

Page 3: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Schwarz: Über den Tresen hinweg?

Kuttner: Ja, über den Buchhändlertresen hinweg sich gleich in die Flitterwochen zu stürzen.

Schwarz: Das hat zu einem guten Teil damit zu tun, dass die physiognomische Ausstattung der meisten Buchhändlerinnen nicht meinen Präferenzen entspricht. Jetzt mal ganz vorsichtig ausgedrückt.

Kuttner: Um ehrlich zu sein, es gab auch hin und wieder Widerspruch von der anderen Seite des Tresens, oder?

Schwarz: Nein, also…

Kuttner: … eher weniger? Gut, deine sechste…

Schwarz: Von mir ist ja auch nicht so viel zu sehen hinter dem Tresen.

Kuttner: … deine sechste Ehe wird wahrscheinlich ungefähr am 17. Dezember sein und du wirst den restlichen Abreißkalender mit in die Flitterwochen nehmen, um die Rückseiten durchlesen zu können. Stefan Schwarz, die eigenen Erfahrungen haben wir jetzt abgehandelt. Gibt es eigentlich einen genuinen Zusammenhang zwischen Flitterwochen und Hochzeitsnacht? Die Reihenfolge scheint ja erstmal klar, oder? Also wenn, dann erst Hochzeitsnacht und dann Flitterwochen, oder?

Schwarz: Ja, für Gewöhnlich. Wir unterscheiden…

Kuttner: Bei dir war es auch so?

Schwarz: Bei mir war es relativ orthodox. Wir unterscheiden ja drei Arten der Flitterwochen.

Kuttner: Bei dir war es im Grunde Vorwort, Hochzeitsnacht und dann Flitterwochenlektüre?

Schwarz: Genau. Das ist die orthodoxe Variante. Dass man heiratet, dann feiert, mehr oder weniger kräftig, und sich dann der Hochzeitsnacht hingibt, also das erste Mal als Eheleute Geschlechtsverkehr hat.

Kuttner: Die auch augenzwinkernd Filmriss genannt wird, wenn man ordentlich gefeiert hat.

Schwarz: Ja. Dass man also die Hochzeitsnacht zwischen Bett und Schüssel verbringt. Das ist die orthodoxe Variante.

Kuttner: Entschuldigung, darf ich noch mal nachfragen?

Schwarz: Man nennt das auch schüsselfertiges Trauen, daß mal also während des Hochzeitfestes soviel Alkohol zu sich nimmt, daß die nächtlichen Zuwendung mehr der Schüssel neben dem Bett gilt als der nunmehrigen und später dann auch langjährigen Gattin. Oder auch dem Eimer, wie es ja auch im Schlager besungen wird. 3

3 siehe bzw. höre auch dazu: Zarah Leander: Ich weiß, es wird Eimer ein Wunder geschehen, Hans Albers: La Paloma oje, Eimer muß es vorbei sein. Oder das schöne alte Weihnachtslied: Eimer werden wir noch wach! Für Anspruchsvolle und Vergeistigte: Gottfried Benn in „Noch Eimer“: Noch Eimer weinen – und sterben/ Mit dir:

Page 4: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Kuttner: Hm, ja okay.

Schwarz: So war es auch bei mir. Tatsächlich, ich habe die Hochzeitsnacht…

Kuttner: Der Begriff Sanitärkeramik sagt dir gar nichts, oder?

Schwarz: Ich möchte jetzt nicht weiter darauf eingehen. Ich habe in beengten Verhältnissen gelebt. Ein gefliestes Bad kann sich nicht jeder leisten. Jedenfalls war es bei mir ganz normal und wie überall. Hochzeitsnacht, Notaufnahme, erkennungsdienstliche Behandlung4, wieder Laufen üben, mit dem Rehabilitationstherapeuten die Lebensgeschichte von dem Mann auf meinem Paßbild auswendig lernen, dann Flitterwochen, und das ist die erste Art der Flitterwochen, die wir kennen. An die Hochzeitsnacht schließt sich die Reise an. In einem anderen Fall, der mittlerweile sehr beliebt ist, ist es so, dass das Ehepaar gleich nach dem Ja-Wort nach Tempelhof oder nach Tegel oder nach Schönefeld fährt, dort den Flieger besteigt und dann nach Teneriffa abdüst.

Kuttner: Dieses Reisen ist ein Muss, ja? Aus der Geschichte sind jetzt keine Fälle bekannt, dass Leute – sagen wir mal – auf dem Balkon die Flitterwochen verbracht hätten, wenn das Wetter entsprechend war?

Schwarz: Nein, weiß ich jetzt nicht, eigentlich nicht, wenn dann auf dem Balkan...

Kuttner: Das scheint mir eine klare Antwort zu sein. Gut, okay. Die Reise schließt sich an…

Schwarz: Also man fährt nach Teneriffa und verbringt zwischen Tenne und Riff da vierzehn Tage seine Flitterwochen, manchmal auch nur eine Woche, je nachdem, ob das Geld reicht, und das ist schon ein wesentliches Moment für die dritte Art der Flitterwochen. Es gibt nämlich tatsächlich Flitterwochen, wo das Ehepaar auf die Flitterwochen gleich im Anschluss verzichtet, sondern sie hinausschiebt, bis die Wirkung von Kindergeld und Ehegattensplitting es materiell instand gesetzt hat, die Flitterwochen durchführen zu können. Für die jugendlichen Zuhörer: Ehegattensplitting ist keine Foltermethode, sondern das ist eine steuerliche Begünstigung der Institution Ehe.

den dunklen Sinn / von Liebe und Verderben/ den fremden Göttern hin4 Wer jetzt neugierig geworden ist und mehr darüber erfahren will, dem sei das Kompendium „Schlag nach – für Volkspolizisten“ aus der Publikationsabteilung des Ministeriums des Innern der DDR, übrigens wohltuend durchgesehen von dem legendären Begründer des Polizeilektorats, dem verdienten Lektor des Volkes, Major der VP Bruno „der Kommafuchs“ Gleinert, 2. Auflage 1972, in der dazu verwiesen wird auf die „VO üb. Die Kosten für ärztliche Behandlung und Beförderung bei Alkoholmißbrauch v. 22. Sept. 1962 sowie 1. DB hierzu v. 23. Sept. 1962 ( GBl. II S. 684), Gesetzessammlung DVP – E 9 / 1- 2.“ Hinter diesem scheinbar trockenen Paragraphenwust verbirgt sich die Erklärung für den seit Ende September 1962 rapide ansteigenden Alkoholmißbrauch in den bewaffneten Organen der DDR. In irrer Hoffnung auf baldige „Beförderung bei Alkoholmißbrauch“ gaben sich selbst dem strikten Temperenzlertum nahestehende Offiziere rettungslos dem Branntwein hin, was den Offiziersausbilder Günther Wuttke in seiner „Anleitung für inidviduelle Gymnastik des Offiziers“ zu der äußerst säuerlichen Bemerkung verführte,“ daß sich übermäßiger Alkohol- und Tabakgenuß auf das Zielen mit dem Karabiner, der Pistole, dem MG usw. sowie auf das Führen von Gefechtsfahrzeugen nachteilig auswirkt.“, wobei es Wuttke freilich nicht bewenden läßt, sondern die Drohung hinterdreinschickt, daß „Alkohol und Nikotin die Ursache schwerer Erkrankungen wie Lungenkrebs, Sklerose, Schrumpfleber , Bauchwassersucht, Raucherbein usw.“ sei. Diese für einen Offiziersausbilder fast schon apokalyptisch anmutende Haßtirade wird verzeihlich, wenn man weiß, daß Wuttke ehemals gleichgestellte Angehörige des Offizierscorps sich durch den als „Verzehr“ apostrophierten Genuß seines unbeaufsichtigt im Waschraum zurückgelassenen Rasierwassers in einen Zustand zu bringen vermochten, der die Anwendung der oben erwähnten VO vom 22. Sept. 1962 zwingend zur Folge hatte und aus ihnen Vorgesetzte machte.

Page 5: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Kuttner: Das ist das, was man früher eigentlich Wechselreiterei nannte, oder? Man borgt sich Geld, um seine Schulden bezahlen zu können, in der Hoffnung, die nun neu entstandenen Schulden durch erneutes Borgen usw. Man kassiert Kindergeld, um die in den Flitterwochen entstandenen Kinder…

Schwarz: … zu vernachlässigen, um in die Flitterwochen zu fahren. Der Staat liegt hier noch ein bisschen mit im Bett. Vater Staat heißt es ja auch.

Kuttner: Schöne Vorstellung. Wollen wir jetzt gleich etymologisch werden?

Schwarz: Ja.

Kuttner: Gut kommen wir zum Honeymoon.

Schwarz: Also in den romanischen Ländern, auch in Großbritannien, in Kleinbritannien und Mittelbritannien heißt es ja Honeymoon oder lune de miel oder luna de miela.

Kuttner: Auch luna de miel. Mond des Honigs. Honig des Mondes. Mond des Honigs. Da ist auch eine interessante Unterscheidung.

Schwarz: Es gehört auch zu meiner intellektuellen Redlichkeit, dass ich mich verbessern lasse.

Kuttner: Westeuropa: Honigmond. Deutschland: Flitterwochen. Norwegen: Brillupsreise.

Schwarz: Ich hatte das mit der Schüssel schon erwähnt.

Kuttner: Und Russland?

Schwarz: Swadepnaja pudischestwije.

Kuttner: Und Sowjetunion?

Schwarz: Genau dasselbe.

Kuttner: Bei den nordisch-östlichen Ländern wird also eher das Fluchtmotiv betont.

Schwarz: Ja, da geht es gar nicht darum, was die Ehegatten miteinander treiben, während dieser Flitterwochen.

Kuttner: Sondern bloßes: Nichts wie weg hier.

Schwarz: Einfach erstmal ausschalten aus dem gesellschaftlichen Trott. Es unterscheidet sich ganz klar. Wir haben Honeymoon und Flitterwochen. Und Honeymoon bedarf einer Erklärung, weil Honeymoon oder lune de miel, also Honigmond, die verbreitetste Bezeichnung für diese Zeit nach der Hochzeitsnacht ist. Und das ist etymologisch sehr interessant und auch psychoanalytisch sehr aufschlussreich, denn wir haben ja den Mond zur Nachtzeit, der Mond scheint und macht natürlich vieles einfacher.

Kuttner: Begradigt viele Unebenheiten und wirft einen aphrodisierenden Glanz über…

Page 6: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Schwarz: Ich würde es einfach ganz deutlich und ganz nüchtern und prosaisch mal ausdrücken…

Kuttner: Geschwüre und Hautunreinheiten.

Schwarz: Ja. Akne und entzündete Hauterhebungen sind im Mondlicht aufgrund des Spektrums des Mondlichts einfach nicht zu sehen.

Kuttner: Sie bekommen die Anmutung von Schönheitsflecken.

Schwarz: Genau, denn es ist ja für die Vereinigung doch sehr hinderlich, wenn man am Hals der Geliebten einen Mitesser entdeckt, auf den man ständig starren muss und der einen natürlich auch ablenkt.

Kuttner: Das ist freilich in erster Linie ein Größenproblem. Wenn man sich eine Frau aussuchen würde, die ungefähr dieselbe Größe hätte, dann könnte man ihr in die Augen schauen, wo ja Mitesser so ohne weiteres nicht zu entdecken wären. Es sei denn, man spiegelt sich selber in der Pupille der Geliebten.

Schwarz: Das ist mir nicht gegeben.

Kuttner: Gut, Du zappelst also, mit den Augen in Halseshöhe, auf der angetrauten rum und greifst dann doch lieber zur 1400-seitigen Brecht-Biografie von Werner Mittenzwei. Um jetzt noch mal den Bogen zurückzuschlagen zum Beginn unseres Gespräches, das erklärt ja doch einiges.

Schwarz: Geschlagen ist das richtige Wort. Was ich noch sagen wollte, ist…

Kuttner: Da war Mondlicht offensichtlich knapp, in deinen Flitterwochen.

Schwarz: Ich kann mich eigentlich nicht mehr erinnern. Es war auch bewölkt. Aber das spielt keine Rolle, denn die Hoffnungen, die sich während des Honeymoons auf den Mond richten, sind ja folgende: Zum einen überdeckt und tilgt er die Hautunebenheiten und Hautunreinheiten durch ein gewisses Lichtspektrum, vor allem aber ist es ja auch so: der Mond hat eine gewisse Anziehungskraft auf die Erde, darauf beruhen Ebbe und Flut und es ist so, dass viele…

Kuttner: Er zieht also quasi alles an Flüssigkeit mit sich.

Schwarz: Und viele Männer, die sich nach ihrer Hochzeit mit dem Problem auseinandersetzen müssen, plötzlich mit einer Ehefrau, einer gestandenen Ehefrau ins Bett zu gehen...

Kuttner: Eine immerhin völlig überraschende Situation.

Schwarz: ...und dort auch ehrliche Pflichten ausüben zu müssen, deswegen auch das Wort Standesbeamte, daran spiegelt sich ja schon die Pflicht zur ersten Nacht.

Kuttner: Diese Unsicherheit, wir haben es vorhin auch diskutiert, zeichnet sich ja auch schon ab in dem Begriff Heiraten.

Page 7: Jürgen Kuttner:Stefan Schwarz - Expertengespräch 03Heiraten

Schwarz: Das stimmt, es heißt ja Hei-Raten und nicht Hei-Wissen. Man errät erstmal, ob man überhaupt im Stande sein wird, das zu können und diese Unsicherheit wollen viele Männer unterstützt wissen durch die wohltuenden Anziehungskräfte des Mondes. Denn weil der Mond imstande ist, gewaltige Millionen und Milliarden von Kubikmetern Wassermassen zu sich zu ziehen, dürfte es ihm doch ein leichtes sein, die wenigen Milliliter, die es braucht, um den Schwellkörper zu füllen, auch noch zu fluten.

Kuttner: Mit dem Honigmond verbindet sich also die Hoffnung auf so eine Schwellkörperflut.

Schwarz: Und das ist ein süßes Gefühl. Und insoweit sind die Flitterwochen gar nicht so weit ab vom Honigmond, auch wenn es erstmal gar nicht nach etwas Gemeinsames klingt, aber das kommt ja wie gesagt aus dem Altdeutschen und heißt eigentlich Fluterwochen.

Kuttner: Ist klar. Wie könnte man jetzt enden? Vielleicht mit einer Verabschiedung oder mit Erika Kästner: Es gibt nichts flutes, außer man tut es. Stefan Schwarz, vielen Dank, dass du hier warst, war mir ein bisschen theoretisch heute, aber schön.

Schwarz: Ich habe mein Bestes gegeben. Hallo nach Deutschland.

Kuttner: Danke.