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Zeitzeichen Eike Ernrich und Jens Flatau Kaffeetrinken in Organisationen Zur sozialen Bedeutung von Alltagsroutinen in formalisierten Arbeitsverhältnissen 1 Einleitende Bemerkungen Bürokratien mit ihren formalen Hierarchien, ihren an gesatzten Ordnungen orientierten Entscheidungsrichtlinien, ihren Prinzipien von Aktenmäßigkeit und fachlich beglaubigter Sachkompetenz der Entscheidungsträger verdrängen als entseelte Maschinerie das menschliche und persönliche Moment (zur büro- kratischen Herrschaft vgl. Weber 1980 [1921]: 125ff., 551ff.). Es handelt sich um eine fur moderne Gesellschaften typische Form der Vergesellschaftung und Herrschaftspraxis. Die Beobachtung alltäglicher Routinen und Handlungsmuster in hoch for- malisierten Organisationen zeigt gleichzeitig, dass es auch dort höchst hetero- gene Formen der Vergemeinschaftung gibt, womit Weber (1980 [1921]: 21, Her- vorhebung im Original) jene Formen der sozialen Beziehung bezeichnet, die be- züglich der Einstellungen sozialen Handelns „auf subjektiv gefühlter (affektu- eller oder traditioneller) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht", während die für formale Organisationen eigentlich prägende Form der Vergesellschaf- tung hinsichtlich der Einstellung sozialen Handelns auf wert- oder zweckratio- nal motiviertem Interessenausgleich und -Verbindung beruht. Insbesondere Mayo (1933) sowie Roethlisberger und Dickson (1939) begründeten durch die Entdeckung informeller Normen unter Fabrikarbeitern 1 die Human-Relations- Forschung, die u.a. als Ausgangspunkt einer Betrachtung von Organisationen als natürliche Systeme angesehen werden kann. 1 Dalton (1959: 241ff.) konnte zeigen, dass auch in den höheren Schichten informelle Systeme existieren. sozialersinn, 3/2004, S. 507-522 Dieses Dokument ist lizenziert für Saarländische Uni- und Landesbib., uk00242A. Alle Rechte vorbehalten. © sozialer sinn. Download vom 18.04.2019 13:41 von www.wiso-net.de.

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Zeitzeichen

Eike Ernrich und Jens Flatau

Kaffeetrinken in Organisationen

Zur sozialen Bedeutung von Alltagsroutinen in formalisierten Arbeitsverhältnissen

1 Einleitende Bemerkungen

Bürokratien mit ihren formalen Hierarchien, ihren an gesatzten Ordnungen orientierten Entscheidungsrichtlinien, ihren Prinzipien von Aktenmäßigkeit und fachlich beglaubigter Sachkompetenz der Entscheidungsträger verdrängen als entseelte Maschinerie das menschliche und persönliche Moment (zur büro-kratischen Herrschaft vgl. Weber 1980 [1921]: 125ff., 551ff.). Es handelt sich um eine fur moderne Gesellschaften typische Form der Vergesellschaftung und Herrschaftspraxis.

Die Beobachtung alltäglicher Routinen und Handlungsmuster in hoch for-malisierten Organisationen zeigt gleichzeitig, dass es auch dort höchst hetero-gene Formen der Vergemeinschaftung gibt, womit Weber (1980 [1921]: 21, Her-vorhebung im Original) jene Formen der sozialen Beziehung bezeichnet, die be-züglich der Einstellungen sozialen Handelns „auf subjektiv gefühlter (affektu-eller oder traditioneller) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht", während die für formale Organisationen eigentlich prägende Form der Vergesellschaf-tung hinsichtlich der Einstellung sozialen Handelns auf wert- oder zweckratio-nal motiviertem Interessenausgleich und -Verbindung beruht. Insbesondere Mayo (1933) sowie Roethlisberger und Dickson (1939) begründeten durch die Entdeckung informeller Normen unter Fabrikarbeitern1 die Human-Relations-Forschung, die u.a. als Ausgangspunkt einer Betrachtung von Organisationen als natürliche Systeme angesehen werden kann.

1 Dalton (1959: 241ff.) konnte zeigen, dass auch in den höheren Schichten informelle Systeme existieren.

sozialersinn, 3/2004, S. 507-522

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2 Problemstellung

Soziologische Forschung besteht zu einem wesentlichen Teil in der Rekonstruk-tion vermeintlicher Selbstverständlichkeiten und eingeschliffener Routinen2, die es theoretisch zu reflektieren gilt, hier etwa die allseits beobachtbare Tatsache, dass Menschen in unserer Kultur in formalen Organisationen in bestimmten Si-tuationen Kaffee anbieten und trinken und dass sich damit spezifische Formen der Vergemeinschaftung verknüpfen. Das Anbieten und Trinken von Kaffee ge-hört zu den wenig reflektierten Alltäglichkeiten des sozialen Handelns in for-malen Organisationen, die sich aber in unserem Verhalten einen festen Platz erobert haben (zum Brauch als dumpfe Eingelebtheit vgl. Weber 1980 [1921]: 15). Das Anbieten, Servieren oder Servieren-Lassen und gemeinsame Trinken einer Tasse Kaffee gehört sozusagen zu den verbindlichen Rahmenbedingungen anderer alltäglicher sozialer Situationen in Organisationen wie z.B. Bespre-chungen und Geschäftsbesuche.

In diesem Beitrag geht es um die Struktur und Funktion3 der mikrosozialen Situation „Kaffeetrinken", in der die Ebene der Organisation und die Interakti-onsebene der handelnden Akteure deutlich auseinander treten. Wir wissen, wie Kaffee zubereitet wird, wo er herkommt, wie er physiologisch wirkt, welche Kaf-feesorten es gibt usw., aber über die soziale Funktion des Kaffeetrinkens in Or-ganisationen ebenso wie in anderen bekannten Situationen des Kaffeetrinkens, die sicherlich in Organisationen mit hineinwirken, wissen wir wenig. Obwohl solche „Alltäglichkeiten" zu einem festen, berechenbaren und in gewissem Sinn regelmäßigen Ablauf in Organisationen dazugehören, werden sie häufig aus ei-ner wissenschaftlichen Betrachtung ausgeblendet, da sie im Kern zum natürli-chen System der Organisation gehören und somit gewissermaßen zu seiner Hin-terbühne, auf der es „menschelt", während auf der Vorderbühne das Stück Ver-gesellschaftung und rationale Organisation gespielt wird. Zur weiteren Analyse bedienen wir uns der Hilfe analytischer Kategorien der allgemeinen Soziologie und lenken unseren Blick sowohl auf die angesprochene Vorderbühne wie auch auf die Hinterbühne der Organisation (Goffman 2003). Dabei werden folgende Fragen näher untersucht:

- Inwieweit dient Kaffeetrinken als sozialer Schutzmechanismus gegen indivi-duelle Überforderung durch Organisationsstress oder etwa auch als Be-schleunigungsfaktor zur Verbesserung individueller Leistungsvoraussetzun-gen in der formalen Organisation?

2 Merton hat bekannterweise sinngemäß darauf hingewiesen, dass das Dilemma des Soziologen darin besteht, dass er Widerspruch erzeugt, wenn er scheinbar Alltägliches als eben nicht so alltäglich herausarbeitet. Bestätigt er allerdings eine öffentlich mehrheitlich vorhandene Auffassung, gilt er leicht als überflüssig.

3 Weber (1980 [1921]: 7) erwähnt auf die Frage nach der Funktion das berühmte Kol-leg-Diktum eines Physiologen: „§ x: Die Milz. Von der Milz wissen wir nichts, meine Herren. Soweit die Milz!" Obwohl der Betreffende Weber zufolge sicher einiges über die Milz wusste, z.B. Lage, Größe, Form etc., wusste er eben doch nichts über die Funktion, und dieses Unvermögen nannte er „Nichtswissen".

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- Inwieweit dient Kaffee als Einstiegshilfe in die Kommunikation und inner-halb dieser als taktisch eingesetztes aggressionsdämpfendes Mittel?

- Inwieweit eröffnet die mikrosoziale Situation „Kaffeetrinken" Anschluss-kapazitäten, z.B. als Mittel zur Vertiefung sozialer Beziehungen etwa in Form von Kollegialitätsbestätigungen oder ermöglicht andererseits die Her-vorhebung und Demonstration von Rangunterschieden?

- Welche Bedeutung haben etwa Kaffeeküchen als spezifische soziale Räume, innerhalb derer das natürliche System der Organisation im Vordergrund steht?

Einige Fallbeispiele sollen jeweils an ausgewählten Stellen zur Illustrierung dienen.

3 Funktionen des Kaffeetrinkens auf der individuellen Ebene

3.1 Kaffeetrinken als Bremsfaktor im Ablaufgeschehen der Organisation

Kaffeetrinken dient einerseits als Tempo verlangsamendes soziales Mittel, eben als Bremsfaktor und somit als stillschweigendes, häufig nicht einmal mehr be-wusstes Einschränken der Arbeitsleistung, wenn etwa die geforderte Arbeitsleis-tung zu hoch oder der Stress in einer Organisation unerträglich wird (zu Brems-faktoren in der industriellen Arbeit vgl. Weber (1988) [1908/09]: 153). Dabei un-terscheiden sich offensichtlich die Bremsfaktoren, die die psychophysischen Belastungen reduzieren helfen, je nach Betrieb bzw. Typus der Organisation. Sie reichen je nachdem, ob es sich um formale Bürokratien oder um Industrie-betriebe im Bereich der Produktion handelt, vom Dienst nach Vorschrift als Modus subalterner Renitenz (Helfer 1963) bis hin zur Zigarettenpause oder zum bewussten Verlangsamen von Arbeitsgängen und eben dort, wo es möglich ist, bis hin zum Kaffeetrinken. Das Kaffeetrinken bietet vornehmlich in Bürokrati-en den Angestellten die Chance, das Tempo auch außerhalb offizieller Pausen zu verlangsamen, ohne die eigentliche Berufs- bzw. Funktionsrolle verlassen zu müssen. Die hohe Temperatur des Getränkes unterstützt diese Funktion, weil sie physiologisch bedingt langsames Trinken verlangt bzw. legitimiert und so-mit Zeit kostet. Die Werbung verdeutlicht uns in übersteigerter Reinkultur die-sen Aspekt der beruhigenden Wirkung des Kaffeetrinkens im Sinne einer „indi-viduellen Auszeit".

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3.2 Kaffeetrinken als Beschleunigungsfaktor im Ablaufgeschehen der Organisation

Andererseits aber ist der Kaffee auch der alltägliche legale und legitime Mun-termacher, eine physiologische Stimulanz und sozusagen „legitime Droge", die das Hineingleiten in die sozialen Verpflichtungen des Tages erleichtern soll. Deutlich wird dies in einem anonymen Gedicht von Montagearbeitern:

„Wie hinter fortgewehten Hüten, so jagen wir Terminen nach. Vor lauter Hast und Ar-beitswüten, liegt unser Innenleben brach. Wir tragen Stoppuhr'n in den Westen und gur-geln abends mit Kaffee. Wir hetzen von Geschäft zu Festen und denken stets im Exposé. [...]" (anonymes Gedicht, zit. in Messing 1981: 266).

Große geistige Leistungen bedürfen der Konzentration, und Konzentration ver-bessert man mit Kaffee. Als Genussmittel einerseits und legitime Droge ande-rerseits ermöglicht er dem geistig tätigen, aber körperlich untätigen Menschen, seine gedankliche Leistung im Alltag von Organisationen zu erbringen. Kaffee und das in ihm enthaltene Koffein sind in großen Mengen nicht nur ein verbo-tenes Dopingmittel für den olympischen Athleten, sondern auch ein die Wach-heit steigerndes Stimulans, das den Boden für hohe Leistungen von Funktions-trägern bereitet. Das Kaffeetrinken hilft somit, den Geist über manche sich an-deutende Ermüdungshürde hinweg zu tragen, hilft somit gleichsam den Sieg des Geistes über die Materie, hier den Körper, zu erringen. Kaffee und das in ihm enthaltene Koffein sind physiologisch gesehen kein körperlich aufput-schendes Mittel, er vermindert eher den physiologischen Stoffwechsel, schärft aber das Bewusstsein (Ray 1983) und erweist sich so als ideales Getränk bei vorwiegend sitzender Beschäftigung, wie sie für Teile der Mittelschichten ty-pisch ist (Schivelbusch 1978). Die geistig wach haltende Wirkung des Kaffees führt auch zum wissenschaftlich zweifelhaften Handlungsmuster, Angetrunke-ne oder gar stärker alkoholisierte Personen mit Hilfe von Kaffee wieder zu hö-herer Wachheit und damit zu berechenbareren Verhaltensweisen zu befähigen.

Der Kaffeegenuss ist insofern Teil eines Zivilisationsprozesses, in dessen Mittelpunkt das Zurückdrängen körperlicher Triebe und körperlicher Reaktio-nen im Sinne einer rationaleren Handhabe des Körpers steht (vgl. Elias 1997 [1939]). Auch die körperlichen Funktionen haben sich sozusagen den von außen im Organisationsalltag von Menschen aufgezwungenen Erwartungen zu unter-werfen. Kaffee hilft, den modernen Menschen zu „erzeugen".

3.3 Kaffee als Mittel zur erträglicheren Gestaltung des Organisationsalltags und Bewahrung des Menschlichen

Organisationen sind stets auch eingedenk aller Divergenz zwischen individuel-len und kollektiven Zielen herrschaftliche Apparaturen. Weber (1986 [1920]) zu-folge entwickeln sie sich im Zuge der fortschreitenden Rationalisierung zu ei-nem stahlharten Gehäuse der Disziplinierung, ein Vorgang, der von Argyris (1954: 267) auch als „fusion of an individual with the organization" bezeichnet

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wurde, ein Vorgang, innerhalb dessen theoretisch Position und Rolle verschmel-zen. Da sich rationales Handeln wie im Allgemeinen so auch im Management von Organisationen am verfügbaren Wissensbestand orientiert, ist der „orga-nization man" (Whyte 1956) zu tatsächlicher, organisationswissenschaftlich verordneter Zweckrationalität verpflichtet, welche wiederum als formale Ratio-nalität Strukturen und Prozesse in allen größeren Organisationen in gleicher Weise formt (vgl. ebd.: 25ff.; zu struktureller Isomorphie von Organisationen als Folge „rationalen" Managements vgl. z.B. Meyer & Rowan 1977: 345; DiMaggio & Powell 1983). Diese Gesichtspunkte sind in Zeiten zunehmender Orientierung am shareholder value aktueller denn je.

Der Genuss von Kaffee, welcher sowohl arbeitsbegleitend als auch in Form einer eigenen Pause vollzogen werden kann, entlastet auf der psychologischen Ebene, indem er zwar von der allgemeinen Tristesse der alltäglichen Arbeits-notwendigkeit ablenkt, die Fokussierung auf die aktuelle Aufgabe jedoch gleich-zeitig zu verbessern vermag.4 Er ist Symbol für den Erhalt eines gewissen Ma-ßes an Natürlichkeit der im eisernen Käfig zum Teil des Räderwerks mutieren-den Person, der auch im Sinne der organisationalen Zielerreichung funktional sein kann (s. Abschnitt 5).

4 Funktionen des Kaffeetrinkens auf der Ebene der Interaktion

Je bewusster die Tatsache, dass formale Bürokratien - und dies ist eine eigent-lich triviale Feststellung - auch soziale Systeme sind, dass sie folglich menschli-che Natur nicht gänzlich eliminieren dürfen, selbst wenn sie es könnten, je be-wusster also die Tatsache, dass sie, um erfolgreich zu sein, auf dem Kontinuum zwischen formaler und informaler Organisation irgendwo zwischen diesen Polen zu verorten sind (vgl. Irle 1963: 70ff.), desto klarer wird die Bedeutung von Kommunikation, sowohl innerhalb der Organisation als auch mit Externen, welche durch Informalität gleichsam erforderlich und erleichtert wird. Hierbei ist zunächst nicht relevant, ob die Gespräche selbst formell oder informell sind. Und zu beiden Formen gehört auch das Trinken von Kaffee, das durchaus ge-eignet ist, die Formalitäts-Informalitätsspanne (vgl. Elias 1989) so zu beein-flussen, dass der Eintritt in die Kommunikation erleichtert wird.

4 Dies gilt für das Kaffeetrinken insbesondere angesichts der Zurückdrängung des Ta-bakgenusses durch gesellschaftliche und betriebliche Normen sowie der Selbstdiszip-linierung infolge verinnerlichter medizinischer Gesundheitswarnungen.

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4.1 Kaffee als Einstiegshilfe in die Kommunikat ion5

Ein kurzes Fallbeispiel zu Beginn: Der Chef erhalt Besuch. Der Termin war lange vereinbart, die Kaffeetassen (demonstrativ festliches Rosendekor ist hier eher unwahrscheinlich, weil es wenig funktional wirkt), Kaf-feelöffel, Zucker und Milch befinden sich schon auf dem Tisch des Besprechungszimmers, als der Besuch von der Sekretärin ins Chefzimmer geleitet wird. Noch mit der höflichen Begrüßungsformel erfolgt schon die Frage: „Sie trinken doch einen Kaffee?" Nach direkter Bejahung (zuweilen wird auch um eine Tasse Tee oder ein Glas Mineralwasser gebeten) serviert die noch im Zimmer befindliche Sekretärin den Gästen, die gerade Platz genom-men haben, eine Tasse Kaffee.

Wie das Gespräch über das Wetter oder über die letzten Spielergebnisse der Bundesliga oder die Frage nach der Befindlichkeit gehört das Anbieten, Servie-ren und Trinken einer Tasse Kaffee zu den sozialen Handlungen, die das Auf-nehmen einer Interaktion erleichtern, gewissermaßen das „Hineingleiten" in sie ermöglichen. Es erweist sich so als kulturtypisches6 soziales Hilfsmittel für die Bewältigung von Handlungsoffenheit und damit potenzieller Unsicherheit in of-fenen und komplexen Kommunikationssituationen und dient als eine Art kultu-reller Konstante, eben als fester Orientierungsrahmen in komplexen Situatio-nen, in denen die typischen Rollen des Gastgebers und des Gastes, des Fremden bzw. Besuchers und des Büroinhabers als Rahmung zu finden sind. Gleichzeitig dient der so geschaffene neue Rahmen als symbolische Markierung des Über-gangs in eine neue Situation, in welcher der Gastgeber seine Aufmerksamkeit dem Gast zuwendet.

Das Anbieten einer Tasse Kaffee, also das Geben, erinnert auch im Ablauf komplexer moderner Organisationen an Relikte vermittelnder Rituale zwischen der Rolle des Fremden und der Rolle des Gastgebers (vgl. Simmel 1983 [1908]).7

In ihm zeigt sich das von Mauss (1925) beschriebene Grundmuster des Gebens und Nehmens im sozialen Leben, also der Gabe im Rahmen der Gastfreund-schaft, die bei nächster Gelegenheit mit einer entsprechenden Gegengabe zu be-antworten ist und für Verhandlungen aller Art einen entsprechenden Rahmen

5 Obwohl es schon in der Bibel heißt, dass das Weib mit dem Wort ficht, und obwohl „Kaffeekränzchen" nebst dazugehörigem Kaffeeklatsch und die mit dem Kaffeetrinken verknüpften Kommunikationsformen verbreiteten Stereotypien nach als etwas für das weibliche Geschlecht spezifisches betrachtet werden, gehen wir nach intensiven Selbstversuchen davon aus, dass Kaffeeklatsch genauso eine Kommunikationsform für Männer ist.

6 Wie sehr dieses Verhaltensmuster und die informelle Höflichkeitsnorm, auf der es ba-siert, kulturtypisch sind, fallt erst auf, wenn man den angestammten Kulturraum verlässt und sich etwa bei Eröffnung eines Büros in Japan mit der Frage befassen muss, ob auch dort das Anbieten einer Tasse Kaffee üblich ist.

7 In den wenigsten Organisationen dürfte dabei das Anbieten von Kaffee formal gere-gelt sein. Da es aber zweifelsohne als spezifische Umgangsweise mit Externen be-trachtet werden kann, wird deutlich, dass der rationalen Steuerung einer Organisati-onskultur Grenzen gesetzt sind.

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schafft. Es zeigt aber auch die schon von Gehlen (1993) [1940] diskutierte Ent-lastungsfunktion sozialer Institutionen.

Angesichts des Warten-Müssens in Organisationen auf wichtige Termine, die sich (manchmal auch als kleine Machtdemonstration) verzögern, wird die Frage „Was machen wir jetzt?", die einerseits eine gewisse Unsicherheit, andererseits aber auch drohende Untätigkeit und damit verknüpfte unangenehme Gefühle an-gesichts des eigenen Pflichtbewusstseins und damit eine notwendigerweise in so-zial akzeptierter Weise zu überbrückende Zeitspanne andeutet, damit beantwor-tet, dass man vorschlägt, eine Tasse Kaffee trinken zu gehen, also Kaffee als „so-ziales Überbrückungsmittel" und legitime Möglichkeit, die Zeit „totzuschlagen".

4.2 Kaffee als taktisch eingesetztes und aggressionsdämpfendes Mittel

Seit Stunden wird diskutiert. Vertreter verschiedener Organisationen verhandeln über die künftige Abgrenzung und Gestaltung ihrer Arbeit. Es wird lauter, der Ton wird schärfer, die Skepsis über einen guten und ertragreichen Ausgang der Besprechung nimmt zu. Ins-gesamt wird die Atmosphäre angespannter und die Teilnehmer zunehmend nervös gereizt. Jemand hat die rettende Idee: „Können wir nicht mal eine Kaffeepause machen?" So ge-schieht es. Die sich vorher direkt im Raum gegenübersitzenden Diskussionsparteien gehen gemächlich zum Tisch mit dem Kaffee, Keksen, Kuchen etc., schenken sich dort gegenseitig höflich Kaffee ein, nehmen noch ein Stückchen Kuchen, Kekse oder ein Stück Obst und kommunizieren mit Eintritt der Pause in völlig anderer Weise miteinander. Der Ton wird verbindlicher, das Thema der Pausengespräche dreht sich nicht mehr ausschließlich um die strittigen Punkte, andere Punkte werden thematisch berührt, teilweise sogar Privates angesprochen.

Simmel (1983 [1908]) hat schon daraufhingewiesen, dass beim Zusammentref-fen verschiedener Menschen zu geselligen Anlässen Essen und Trinken der kleinste gemeinsame Nenner ist. Aber auch in offiziellen Situationen in forma-len Organisationen benötigt man zuweilen einen solchen kleinsten gemeinsa-men Nenner, gewissermaßen eine organisatorische Auszeit, um letztlich doch noch zum Ergebnis zu kommen und die sozialen Beziehungen zu erhalten oder gar zu vertiefen; also eine Tasse Kaffee, die einerseits zwar mit keinen größeren organisatorischen Mühen verbunden ist, andererseits jedoch auch noch nach Einführung der Kaffeemaschinen mehr Aufwand zur Zubereitung erfordert als vergleichsweise das Anbieten eines gekühlten Flaschengetränkes. Insofern wird hier speziell für andere Personen in der Zusatzrolle des Gastes ein spezifischer Aufwand betrieben, der besänftigt.

Derart veränderte Vorzeichen signalisieren einen Wechsel von der Vorder-bühne, auf der die Akteure beider Seiten zweckrationalen Verhaltenserwartun-gen unterworfen sind, auf die Hinterbühne, wo Menschlichkeit (im Sinne be-züglich der Zielerreichung vermeintlicher affektueller und emotionaler Schwä-chen) möglich ist, der so genannte gesunde Menschenverstand eingesetzt wer-den darf und sich dadurch die Anzahl der Freiheitsgrade im Handeln der Orga-nisationsmitglieder erhöht. Dies wird dadurch verstärkt, dass an die Stelle des

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Plenums nun viele kleine Kommunikationskanäle, die in der Regel für die kleinste mögliche Kommunikation, den Dialog, genutzt werden, treten. So kann unter der Voraussetzung, dass tatsächlich auch über den offiziellen Anlass der Zusammenkunft gesprochen wird, parallel über die Sache diskutiert werden, was rein quantitativ die Vielfalt von Ideen zur Lösung des Problems steigert. Zudem kommt es abseits von Verhandlungsprotokollen zur Herabsetzung der Verbindlichkeit und unter Abwesenheit allgemeiner Zuhörerschaft zum Abbau möglicher Hemmungen, was auf der qualitativen Ebene zu mutigeren bzw. kreativeren Lösungsansätzen beitragen kann (vgl. zur Bedeutung „inoffiziellefr] Kommunikationswege" für die soziale Interaktion Goffman 2003: 173f.).

4.3 Kaffeetr inken als Mitte l sozialer Differenzierung, zur Distanzverringerung und als mikropolitisch nutzbare Rahmung

Der Chef schaut vorbei. Offensichtlich ist er angespannt und spürt das Bedürfnis nach ei-ner Pause. „Ich brauch' jetzt 'ne Tasse Kaffee, trinken Sie auch eine?", fragt er die Sekretä-rin. Diese bereitet zwei Tassen Kaffee zu und gemeinsam trinken sie diese im Dienstzim-mer der Sekretärin.

Diese Ankündigung, gerne eine Tasse Kaffee mit der Sekretärin trinken zu wollen, definiert eine außeralltägliche Situation, in der die Informalität in den Vordergrund tritt. Die Chef-Position wird teilweise aufgegeben, der Mensch bzw. seine Persönlichkeit treten stärker in den Vordergrund, die soziale Distanz zwischen der Position des Chefs und der Sekretärin wird demonstrativ verrin-gert. Es handelt sich somit hier um eine interne Übergangsform von der Vorder-zur Hinterbühne von Organisationen, die über die zugrundeliegende Formali-täts-Informalitätsspanne (vgl. Elias 1989) deutlich wird.

Ein ähnliches Beispiel:

Der Chef ist außer Haus. Freundlich schaut der Mitarbeiter im Büro der Sekretärin des Chefs vorbei: „Kommen Sie mit in die Cafeteria, ich habe Lust auf eine Tasse Kaffee."

Der Reiz dieses Angebotes ist vielfaltig. Die, die ansonsten den Kaffee kochen und zuweilen auch servieren muss, bekommt hier das Angebot, eine woanders zubereitete Tasse Kaffee gemeinsam zu trinken. Es handelt sich hier um eine eindeutige Kollegialitätsbestätigung und Wertschätzung der eingeladenen Per-son: Man nimmt sich Zeit für eine Tasse Kaffee, welche als vordergründiger „Zweck" gleichzeitig dafür sorgt, dass die Situation unverfänglich bleibt.

Für die Zeit des Kaffeetrinkens wird die formal-hierarchische Statusdiffe-renz beider Interaktionspartner nivelliert, was die Kommunikation erleichtert (vgl. Argyle 1975: 89), insofern der Rollenwechsel von Funktionen tragenden Mitarbeitern zu „Menschen" tatsächlich vollzogen wird.8 Dies schließt nicht aus,

8 Allerdings kann es in Abhängigkeit vom Gesprächsthema bei offenbaren wissens- und erfahrungsbasierten Kompetenzen zur Ausbildung neuer, informeller Statusasymme-trie kommen.

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dass neben privaten auch organisationale Themen dennoch Gegenstand der Kommunikation sind. Dies geschieht dann allerdings unter einer Erweiterung der Perspektive, welche nun Meinungen, Gefühle und Spekulationen gegenüber den angesprochenen Sachverhalten beinhaltet, ohne dass Sanktionen befürchtet werden müssen, da auch diese Situation wiederum nicht offiziell verbindlich ist. Es kommt also auch hier zur Freischaltung von unter formalen Bedingungen geschlossenen Kommunikationskanälen, die zur Informationsbeschaffung ge-nutzt werden können. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich kleine Pausen „auf eine Tasse Kaffee" aus verschiedenen Gründen hervorragend als Aktivität in der Konkurrenz um Macht und Einfluss in Organisationen eignen. Einerseits kann der Inhalt solcher Pausengespräche im Nachhinein leicht abgeleugnet werden bzw. kann man sich nicht offiziell darauf berufen. Andererseits stellen Informationen auch innerhalb von Organisationen eine harte Währung im Spiel um Macht in Form „konspirativer Autorität" (Bosetzky 1988: 29) dar.

Außerdem ergibt sich - ob als bewusst eingesetztes taktisches Mittel oder nicht - für die statushöhere Person die Möglichkeit, die eigene, situativ irrele-vante formale Autorität auf lange Sicht zu festigen, da bestimmte Kompetenzen (z.B. soziale) und Werthaltungen u. U. informell besser demonstriert werden können. Nach der Weber'schen Typologie (1988 [1919]: 507f.) kann dieser Pro-zess als Verstärkung der Legitimität legaler Herrschaft bezeichnet werden. Umgekehrt kann die private Sympathie des Statushöheren dem Statusniederen in Form von Irradiation von Nutzen sein, wenn sie die Wahrnehmung in Bezug auf seine formale Position (z.B. der Leistung) beeinflusst (vgl. Bosetzky, Hein-rich & Schulz zur Wiesch 2002: 102).

Kaffeetrinken versöhnt aber auch mit dem Warten auf den Gesprächspart-ner oder auch dann, wenn etwa die Inspektion des Wagens zum vereinbarten Termin noch nicht fertig ist. Das Warten in Amtsfluren wird gemeinhin nicht durch gereichten Kaffee erleichtert, eben weil man weder Gast noch Kunde, sondern Behördengänger ist.9 Dies gilt auch für andere Leistungsbezieher in asymmetrischen Beziehungen: Welcher Professor bietet in der Sprechstunde seinen Studenten oder welcher Arzt seinem Patienten schon eine Tasse Kaffee an? Die Statusdifferenz und zuweilen auch eine demonstrativ zelebrierte Zeit-knappheit in Verbindung mit einem hohem Maß an funktionaler Spezifität und affektiver Neutralität verhindern dies. Die soziale Situation des Kaffeetrinkens bietet also auch eine Reihe von Möglichkeiten zur Demonstration sozialer Diffe-renzen, und zwar von formalen Hierarchieunterschieden innerhalb der formalen Organisation zwischen deren Mitgliedern wie auch von Statusunterschieden zwischen Organisationsmitgliedern und Organisationsexternen sowie zwischen Organisationsexternen, obwohl doch gerade in formalen Organisationen das An-

9 Im Zuge der Technisierung wurden in zahlreichen Behörden und in den Kantinen von Betrieben Getränkeautomaten eingeführt, aus denen man Kaffee in Pappbechern be-ziehen kann. Es handelt sich allerdings häufig um solche Organisationen, in denen Klienten die Wartezeit durch die Möglichkeit des Getränkeerwerbes erträglich gestal-tet wird. Auch dies ist Merkmal einer sozialen Differenzierung, denn gewöhnlich las-sen sich in den Hierarchien höher angesiedelte Personen den Kaffee durchaus noch zubereiten.

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sehen der Person hinter die reine Sachlichkeit der Amtsführung zurückzutreten hat. „Nicht einmal eine Tasse Kaffee hat man uns angeboten", heißt es nach mancher enttäuschend verlaufenen Besprechung zwischen Organisationsmit-gliedern und Organisationsexternen.

Im Verhältnis zwischen Besucher und Büroinhaber bzw. Vorgesetztem eröff-net sich gleichzeitig die bescheidene Möglichkeit, in gewissem Umfang die zeit-liche Ausdehnung der Situation zu definieren (informelle Regelsetzung): „Möch-ten Sie noch eine Tasse Kaffee?" versus Nicht-Nachschenken bzw. von vornher-ein nur eine Tasse anbieten.10 So lässt sich am Ausmaß der (Nicht-)Anwendung der informellen sozialen Norm des Anbietens von Kaffee mehr als nur die (Un-) Höflichkeit des Gastgebers ablesen. Es handelt sich zudem um die Demonstra-tion formaler Statusdifferenzen bzw. der „Wertigkeit" des Gastes, welche sich in der Regel daran bemisst, in wie weit man von seinem Wohlwollen abhängig ist.

Von Bedeutung ist ferner die Frage, wer mit dem Servieren und Einschen-ken die Strukturierung der sozialen Situation übernimmt. In der Regel wird diese Rolle vom Sekretariat übernommen. Abweichungen von dieser Regel kön-nen wiederum ein besonderes Verhältnis gegenüber dem Gast symbolisieren. So bringt das persönliche Anbieten, Servieren, und Einschenken des Kaffees durch den Büroinhaber eine außergewöhnliche Höflichkeit und/oder Wertschätzung gegenüber seinem Gast zum Ausdruck. Wird der gebrachte Kaffee jedoch stehen gelassen, ohne ihm einzuschenken oder die Selbstbedienung anzubieten, so wird - sei es aus Nachlässigkeit oder beabsichtigterweise - eine Höflichkeitsnorm verletzt, wodurch die Situation einen peinlichen Beigeschmack erhält. Es ob-liegt dann dem Gast, sensibel abzuwägen, ob er die Situation hinnimmt oder die entstandene Spannung aufzulösen versucht, indem er unter Verletzung der Eti-kette die Situationsstrukturierung übernimmt und sich unaufgefordert selbst bedient.

Fast immer verbirgt sich hinter einem Nicht-Angeboten-Bekommen eine eher unterschwellig wahrgenommene Missachtung der Norm der Gastfreund-schaft und zuweilen auch der jeweiligen Person, es dient als eine Art Statusdif-ferenzierung. Das Servieren einer Tasse Kaffee dient organisationsintern auch als Hierarchieanzeiger der asymmetrischen Beziehung zwischen Chef und Se-kretärin und somit zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Es zeigt sich eben, dass bestimmte Positionen über anderen stehen und erinnert an die Techniken zur „Eindrucksmanipulation", die Goffman (2003: 189ff.) vielfältig beschreibt.

Sekretärinnen treten normalerweise ohne Klopfen oder sofort nach betont kurzem Klopfen in das Chefzimmer ein, werden aber gewöhnlich von Chef und Besuchern nicht weiter beachtet. Im Sinne Goffmans (2003: 208, 250) handelt es sich hier um eine Person, gegenüber deren Eintreten man sich nicht durch sorg-faltiges Kontrollieren von Gestik, Gesichtsausdruck, Wahl der Kommunikati-onsinhalte etc. kontrollieren muss. Dies bringt das Recht für den Ranghöheren

10 Eine gleichzeitig zum Kaffee angebotene Zigarre - hier zeigt sich eine Benachteili-gung der Frauen, denen gewöhnlich keine Zigarre angeboten wird - weist noch ein-drücklicher auf den mit der sozialen Situation verknüpften demonstrativen Zeitkon-sum hin.

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mit sich, auch Formfehler zu begehen, ohne dass diese negativ sanktioniert würden. Normalerweise gilt in Organisationen eine spezifische Form des An-stände, die Goffman (2003: 102) „Beschäftigungstheorie" nennt. Bei Anwesen-heit von Vorgesetzten sollen Mitarbeiter stets den Eindruck der Geschäftigkeit erwecken, was besonders in militärischen Organisationen die seltsamsten Er-scheinungen zutage fördert. Der in der Hierarchie höher Stehende soll glauben, Untergeordnete seien in ihre Arbeit vertieft. Diese gegenseitige Anerkennung von Inszenierung und deren bereitwilliger Akzeptanz durch Vorgesetzte stellt eine spezifische Form des Einverständnishandelns (Weber 1988 [1913]: 456) dar, mit dem sich zuweilen noch Formen des taktorientierten Handelns mi-schen, will man doch die ursprüngliche Intention der Inszenierung nicht ge-fährden. Insofern wäre es ein Kennzeichen flacher Hierarchien, wenn bei Anwe-senheit des Chefs keine Aktivität „inszeniert" würde.

In unserer Sondersituation wird nicht nur diese Regel eine Zeit lang außer Kraft gesetzt, es wird auch Kommunikation außerhalb der in der Organisation vorgegebenen Rollen möglich. Man nimmt gewissermaßen eine Auszeit, die von den Erwartungen an die eigene Position fiir kurze Zeit suspendiert, verlässt zeitlich befristet sowohl die Rolle des Vorgesetzten und markiert und legitimiert dies zugleich mit der Frage: „Möchten Sie auch eine Tasse Kaffee?" Mit einem leichten Seufzer, „Na, dann wollen wir mal wieder weitermachen", wird das En-de der Auszeit ebenfalls sozial markiert und danach von den Akteuren die ei-gentlichen Rollen wieder übernommen. Auch im Alltag von Organisationen, nicht nur auf der Bühne, werden somit Szenenwechsel, in denen neue Rollen auftauchen, sozial gekennzeichnet, in unserem Fall mit dem gemeinsamen Trinken einer Tasse Kaffee.

5 Kaffeetrinken als organisierte Informalität - Zur sozialen Funktion der Kaffeeküche

Versetzen wir uns gedanklich in eine kleine betriebliche Verwaltungsorganisa-tion mit etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über eine solche eige-ne Kaffeeküche verfugt. Sie liegt am Ende eines der Flure, von dem aus man alle Büros und die Besprechungsräume erreichen kann. Sofort, wenn man von ihr spricht, beschleicht uns der Duft von frischem Kaffee und ein eigentümliches Gefühl sozialer Nähe. Die kleine Küche ist gerade so groß, dass einige Leute sich darin aufhalten können. Sie wird trotzdem häufig aufgesucht, allerdings geschieht dies nicht nur zum Kaffeekochen und -mitnehmen.

Zuweilen haben Organisationen eine oder, abhängig von der Organisations-größe, mehrere kleine Kaffeeküchen, manchmal gibt es auch nur für alle Mitar-beiter eine gemeinsame Cafeteria. Mit diesem Ort verknüpfen sich für die Besu-cher bzw. die Anwesenden spezifische Wahrnehmungsschranken (vgl. zu „orts-bestimmte[m] Verhalten" Goffinan 2003: 99ff.). Man gerät dort leicht ins Ge-spräch, hört von anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die neuesten In-

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formationen, kann dadurch jederzeit in den offiziellen Pausen an den Gesprä-chen, dem Klatsch oder Spekulationen über die bestimmenden Tagesthemen teilnehmen, aber eben auch gezielt Informationen und auch zumindest dem Ruf Einzelner nicht förderliche Mitteilungen in Umlauf bringen. Der „Neue", also der Mitarbeiter, der von nun an wohl jeden Tag kommen wird, hat dabei gerade aufgrund seiner noch bestehenden Fremdheit, seines Verhältnisses von Nähe und Entferntheit zu den künftigen Kollegen, seiner noch nicht bestehenden Ge-bundenheit an Gruppenverpflichtungen, eine große Chance, schon am ersten Tag die sensibelsten Informationen vermittelt zu bekommen. Mancher Neuling in einer Abteilung oder auf Wohlwollen angewiesene Externe führt sich mit der unverfänglichen Gabe einer Packung Kaffee für die Kaffeeküche ein. Die infor-melle Gleichheitsstruktur, die in der Kaffeeküche herrscht, erleichtert also die rasche Integration neuer Mitarbeiter.

Die Kommunikation in der Kaffeeküche folgt strengen Mustern und orien-tiert sich an den sozialen Normen geselligen Verhaltens. Man kann Persönli-ches von sich preisgeben, aber man darf nicht allzu gezielt nach Persönlichem bei anderen nachfragen. Allzu Terminologisches muss unterbleiben und der no-torisch präzise formulierende und definierende Akteur verfehlt das Ziel und wird aus der künftigen Kommunikation allmählich ausgeblendet. Überhaupt ist es allzu auffällig, dass die menschliche Vergesellschaftung zwar durch das Sprechen-Können bedingt ist, aber der gezielte Einsatz des Schweigen-Könnens, also des Wartens auf den richtigen Zeitpunkt, bis man spricht, offensichtlich sehr bedeutsam für einen regulierten sozialen Verkehr ist.11 Statt Rhetoriktrai-nings braucht man zumindest zuweilen eher Schweigetraining (vgl. Simmel (1983 [1908]: 285), manchmal ist eben Reden nur Silber und Schweigen Gold. Mit dem Kaffeetrinken verknüpft sich damit die spezifisch soziale Atmosphäre der Geselligkeit, also der natürliche Gegenpol der auf Schnelligkeit, Effizienz und Unpersönlichkeit ausgerichteten Verfahrensweisen formaler Organisatio-nen, innerhalb der jene Konversationsthemen Vorrang haben müssen, die einen allgemeinen Bekanntheitsgrad haben und so niemanden von der Kommunikati-on ausschließen und damit die Atmosphäre der Geselligkeit gefährden. Diese spezifische Atmosphäre wird durch die Benutzung höchst unterschiedlicher pri-vater Kaffeetassen unterstrichen, die, von zu Hause mitgebracht, die nüchterne soziale Atmosphäre der formalen Organisation erträglicher gestalten. Die tem-porär vergemeinschaftende Funktion dieser Situation wird auch genutzt, um „Background"-Informationen über mögliche Interaktionspartner zu bekommen. Je stärker die Statushierarchie in einer formalen Organisation ausgeprägt ist und je ambivalenter die Rollenerwartungen sind, um so größer die Bedeutung des ( Kaffee-)Klatsches. Da aber der Informationsgewinn begrenzt ist durch die

11 Konsequenterweise vermittelt man Kindern erst die Fähigkeit des Schweigen-Könnens („man redet nicht dazwischen" usw.). Erwachsene bedürfen dann erstaunli-cherweise wieder des Kommunikationstrainings. Gehlen (1986 [1940]): 263ff.) hat daraufhingewiesen, dass es auch eine Art inneres Sprechen bzw. „lautloses Denken" gibt. Man braucht dann das Gedachte nicht auszudrücken, muss es eben nicht kund-tun. An dieser Stelle treten Sprache und Denken auseinander. Schweigen-Können darf also nicht mit Teilnahmslosigkeit verwechselt werden. Im Übrigen ist auch Schweigetraining nichts weiter als Kommunikationstraining.

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Norm des guten Betragens, informiert man sozusagen nur „hinter vorgehaltener Hand" und am liebsten jeweils nur andeutend. Dem Wunsch des einen, sich zu informieren, steht dabei stets die Notwendigkeit des anderen gegenüber, die Verbreitung von Informationen über ihn zu kontrollieren (vgl. dazu Dreitzel 1968: 210ff.).

Allerdings sind mit dem Kaffeetrinken und der Kaffeeküche auch höchst or-ganisationsspezifische Kommunikationsthemen verknüpft. So ist die Kaffeekü-che auch häufig der Geburtsort des aus dem Klatsch durch in der Regel affektiv beeinflusstes12 Hinzufügen, Weglassen oder Verändern des Klatsches entste-henden Gerüchts13. In einem Gerücht drückt sich nicht selten eine irgendwie geartete Beziehung zur jeweiligen Autorität einer formalen Organisation aus.

Wie mancher Kommunikationskanal verläuft, wer bevorzugt wen worüber informiert, all das lässt sich durch gezielte Gespräche in einer Kaffeeküche er-fahren. Dabei gilt fur diesen räumlichen Bereich tendenziell das, was Goffman (2003: 180) für die Kombüse auf dem Schiff behauptete. Eine alte Regel im Seemannsleben besagt, dass jeder in der Kombüse frei aussprechen dürfe, was er wolle, das Gesagte dürfe nicht gegen ihn verwendet werden. Die Kombüse ist gewissermaßen der Dorfplatz des Schiffes und die Kaffeeküche der Dorfplatz der formalen Organisation; und beiden kommt eine eminente psychohygienische Funktion zu.14

Diese psychohygienische Funktion soll kurz umrissen werden. Kaffeepausen mit ihrer ungezwungeneren und unkontrollierteren Form der Kommunikation erlauben in enormem Umfang das Aushandeln und Definieren informaler Be-ziehungsaspekte und damit das Spielen mit Macht und Status in formalen Or-ganisationen. Jeder geordnete Betrieb braucht eben seine „sozialen Ventile" wie Schimpfen und Lachen, Schimpf- und Lobklatsch.15 Die Parallelität von Gerüch-teerfindung und -Verbreitung und Kaffeetrinken („Haben Sie schon gehört?") ist häufig offensichtlich. Ein veraltetes, mittlerweile allgemein bekanntes und so-mit keinen Neuigkeitswert mehr besitzendes Gerücht wird interessanterweise zuweilen als „kalter Kaffee" bezeichnet. Gleichzeitig ermöglicht der Besuch der Kaffeeküche durch ihren unverfänglichen Charakter den stets leicht span-nungsgeladenen und nicht immer unproblematischen Umgang von Menschen, die in besonderen Beziehungen zueinander stehen.

12 Das Streuen von Gerüchten kann auch berechnend geschehen und ist dann wiederum mikropolitische Hinterbühnenaktivität.

13 Zur Einführung in die Erscheinungs- und Verbreitungsweisen sowie die Funktion die-ses „ältesten Massenmediums der Welt" vgl. z.B. Kapferer (1995).

14 Uber die vielfach einseitig geführte Diskussion zum Mobbing, zu Gerüchten, Intrigen usw. vgl. Paris (1998).

15 Goffman (2003, 156ff.) schildert unter dem Oberbegriff „Behandlung der Abwesenden" z.B. das Dienstleistungsgewerbe, in dem in der offiziellen Situation respektvoll be-handelte Kunden verhöhnt und ausgelacht werden. Ahnliches gilt für Ensembles hin-ter der Bühne, die das Publikum herabsetzen. Es scheint sich fast um eine Art sozia-ler Regelmäßigkeit zu handeln, wenn die jeweils Abwesenden in solcher Weise behan-delt werden, deshalb in der Antike die Verhaltensregel „de absentiis nihil nisi bene".

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6 Organisationale Funktionen des Kaffeetrinkens

Formale Bürokratien stellen nicht notwendigerweise den erfolgreichsten Weg zur Zielerreichung dar, weil selbst rationalste allgemeine Regeln individuell nicht intendierte Folgen zeitigen können, nämlich im Falle von Organisationen „trained incapacity" (Vehlen 1994 [1914]: 347) der Mitarbeiter. Merton (1995 [1957]: 192) bringt diese Problematik bürokratischer Strukturen auf den Punkt: „... erzeugen dieselben Elemente, welche zu Effizienz im allgemeinen führen, Ineffizienz im besonderen." Die im Zuge der Rationalisierung voranschreitende Arbeitsteilung führt einerseits zwar zu Effizienzsteigerungen, andererseits aber auch zu einer Komplexität, welche die zentrale Steuerung aller Einheiten un-möglich und formalisierte Regeln häufig inadäquat werden lässt (vgl. Vaughan 1999: 276). Situative Handlungsfreiheiten der Organisationsmitglieder und ho-rizontale wie vertikale Kommunikation werden erforderlich. Aus diesen Er-kenntnissen heraus entwickelten sich Modelle von Organisationen als natürli-che Systeme, welche die Fähigkeiten und die Initiative des Individuums fördern (vgl. Scott 2003: 60) und in denen informelle Interaktionen, denen das Kaffee-trinken häufig als Rahmenhandlung dient, nicht nur möglich sind, sondern auch für die Organisation als Ganzes funktional sein können, indem sie intraor-ganisationale Kommunikation und Kooperation fördern. Gross (1953) gelangt in seinen Untersuchungen über informelle Strukturen in formalen Organisationen zu folgenden Erkenntnissen:

- In informellen Cliquen, deren Mitglieder unterschiedlichen Abteilungen ent-stammen, kommt es zur Kommunikation über die jeweiligen speziellen Auf-gaben, zu gegenseitiger Unterstützung und zum Bewusstwerden der Bedeu-tung der eigenen Tätigkeit für das Ganze (ebd.: 370), so dass diese Gruppen als bedeutsam für das Funktionieren der Organisation betrachtet werden können (ebd.: 373). Die Mitgliedschaft ist nicht an persönliche Fähigkeiten, sondern an die Akzeptanz durch die anderen Mitglieder gebunden (ebd.: 371).

- Solche „produktiven" Cliquen können sich nur dann bilden, wenn sich die (Kaffee-) Pausenzeiten ihrer Mitglieder überschneiden: „[...] cliques [...] ten-ded to be composed of persons who had coffee „breaks" at the same time of day [...]" (ebd.: 371).

Problemlösen und vertikale Kommunikation finden häufig in informellen Sitzungen bei Kaffee statt: „The [...] problem is in part solved by informal ses-sions - one commanding officer sees to it that officers report to the club daily for coffee - where experiences are traded and higher ranking officers gain knowl-edge of what is taking place in their work sections." (ebd.)

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7 Zusammenfassende Bemerkungen

Kaffee ist eine jener seltenen „Gaben" im Alltag, die aufgrund ihres heute ge-ringen materiellen Wertes keine direkt spürbare Verpflichtung zur Gegengabe hervorrufen. Gleichzeitig verknüpfen sich mit dem Kaffeetrinken auch in for-malen Organisationen teilweise jene sozialen Erfahrungen, die mit Kaffeetrin-ken bei Feiern, Geburtstagen, Literatencafés verbunden sind. Was aber auch deutlich wurde, ist, dass sich in formalen Organisationen in institutionalisierter Form Elemente einer Organisationskultur wiederfinden, die, unabhängig von den persönlichen Motiven, Kaffee zu trinken, wie etwa Durst, Müdigkeitsbe-kämpfung etc., den Menschen mit der Organisation teilweise versöhnen, ihn auf diese Weise motivieren und integrieren, bei Konflikten beschwichtigend wirken und Kommunikationskanäle öffnen, die den Informationsfluss verbessern und somit funktionalen Charakter fìir das Individuum besitzen, aber auch die Zielerreichung der Organisation erleichtern.

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