Kalypso: Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen

download Kalypso: Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen

of 334

description

Güntert, Hermann, Kalypso: Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen (Halle: Max Niemeyer, 1919).

Transcript of Kalypso: Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen

  • KalypsoBedeutungsgeschichtliche Untersuchungen aufdem Gebiet der indogermanischen Sprachen

    von

    Hermann Gntert

    Halle a. S.Verlag von Max Nicmeyer

    1919

  • -" '*'^'g!^^ t'J'"1 ' !;''PJJW .' '-

    JAN 2 3 1973 |

    Of

    Hier dacht' ich lauter Unbekannte

    Und finde leider Nahverwandte;Es ist ein altes Buch zu blttern:

    Vom Harz bis Hellas immer Vettern.Mephistopheles

    in Goethes Faust", Classischc Walpurgisnacht.

  • Franz Bollund

    Wilhelm Braunemit dem Ausdruci< herzlichster Verehrung

    ZU eigen.

  • Inhaltsbersicht.

    Vorwort

    Seite

    VII

    I. Abschnitt: Die Gestalt der Kalypso in der Odyssee.

    Einleitung: Die Kalypsodichtung als Idylle 11. Kapitel: Das Problem 42. Kapitel: Kalypso und Kirke 73. Kapitel: Irrwege 22

    4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel

    10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel

    IL Abschnitt: Sprachliche Analogien und Parallelen.

    Sprachwissenschaftliche Vorfragen 28Hei 86Eine vorindogermanische Totengottheit 44Nehalennia und Hludana 54Huldren und Eiben 63Die Unterirdischen 76Frau Holle und Frau Venus 89Hagen und Kriemhild 110Rmische und baltische Totengottheiten ,129Altindische Parallelen 139

    III. Abschnitt: Kalypso als Gttin.

    14. Kapitel: Der Eibentrank 15015. Kapitel: Die Toteninsel 16416. Kapitel: Seirenen und Totenfergen 17217. Kapitel: Die schwarze Aphrodite 182Rckblick: Des Odysseus Lebensbejahung 195

    Beilage I: Ein alter Fachausdruck der griechischen Aoiden 199Beilage II: Vom Seelenschmetterling 213Beilage III: Parze und Peri 239

    Seitenweiser:I. Sachverzeichnis 272

    II. Wrterverzeichnis 281

  • VI

    Verzeichnis der Abbildungen.Seite

    1. Titelbild: antike Grabseirene ans Athen, Beschreibung S. 195 (Quellennach-weis S. 195, Anm. 4).

    2. Nehalennia 56

    3. Die Nymphe Eos entfhrt einen Jngling (Quellennachweis S. 189, Anm. 4) 1904. Vasenbild einer vogelgestaltigen Harpyie, als Leichendmonin zwei Menschen

    raubend (Quellennachweis S. 195, Anm. 5) 198

    5. Antike Gemme mit dem Seelenfalter auf einem Totenschdel (Quellennach-weis S. 217, Anm. 2) 215

  • Vorwort.

    Unter allen Einzelfchern der indogermanischen Sprachwissen-

    schaft ist die Bedeutungslehre bis jetzt am meisten vernachlssigt.Gewi hat man stets bei etymologischen Problemen auch der Be-deutungsentwicklung Rechnung getragen; allein zweifellos wird all-gemein die Semasiologie als etwas im Vergleich zur Laut- und Wort-bildungslehre Nebenschliches, weniger Wesentliches angesehen, siewird noch nicht als eine selbstndige, wissenschaftliche Aufgabe deridg. Sprachforschung anerkannt. Entweder war bei einer Etymologieder Wandel der Bedeutung von vornherein einleuchtend, oder esgengten doch ein paar analoge Flle, um die Mglichkeit des be-treffenden Bedeutungswechsels darzutun. Da eine Etymologie nurdurch den Dreiklang lautliche Fragen, Wortbildung und Wortbedeutungerwiesen wird, ist zwar allgemein zugegeben. Wir aber verlangeneine systematische Erforschung auch des Bedeutungswandels; esmu der schwierige Versuch unternommen werden, die Bedeutungs-wandlungen in den indogermanischen Sprachen um ihrer selbst willen,nicht nur, um gelegentlich damit eine lautlich -morphologische Fragezu sttzen, zu sichten und womglich daraus allgemeinere psycho-logische Gesetze zu ermitteln. Das wird noch eine schne unddankbare Aufgabe spterer sprachwissenschaftlicher Forschung ab-geben : heute sind zu dieser Aufgabe noch nicht die einfachsten Vor-arbeiten unternommen, und manchem drfte eine Darstellung derGesetze des Bedeutungswandels, wie sie etwa W. Wundt in seinerVlkerpsychologie" ') versucht, schon deswegen als verfrht erscheinen,weil das ntige Material von der Sprachwissenschaft kritisch nochkeineswegs genug gesichtet ist. Was ntzt es, leere Schrnke mitvielleicht noch so geistreichem Sprungfedermechanismus zu bauen, solange man das Material nicht bersehen kann, da die einzelnenFcher fllen soll? Nur die romanische Sprachforschung hat diesesGebiet schon mehr gepflegt. Erst bedarf es des kritisch geprften

    >) II^2,459ff.

  • VIII

    Materials, und so gut man die Lautlehre, Wortbildungslehre undSyntax als besondere Aufgabe der Sprachforschung betrachtet undden Stoff fr Jedes dieser Fcher nach dem betreffenden Gesichtspunktgeordnet hat, so mu auch eine Semasiologie als ein jenen anderenGebieten gleichgeordneter Zweig sprachwissenschaftlichen Forschensanerkannt werden. Nur mit genauster Erfassung der Bedeutungs-frbung und namentlich jener leisen Schattierungen, der Gefhls-tne" usw., vermag man einem gestorbenen Wort einigermaen wiederLeben einzuhauchen. Wer sich auf Laut- und Wortbildungslehrebeschrnken wrde, der htte es nur mit starren Wortleichen zu tun;schon Schiller hat das ausgesprochen:

    natomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver:Geist und Leben entschlpft flchtig dem groben Skalpell,

    und der groe Wortknstler und Stilist Nietzsche hat ber dieseEmpfindlichkeit der Wrter in treffenden Versen gesprochen:

    Doch bleibt das Wort ein zartes Wesen,bald krank und aber bald genesen.Willt ihm sein kleines Leben lassen,mut du es leicht und zierlich fassen,nicht plumjJ betasten und bedrcken,es stirbt oft schon an bsen Blicken

    und liegt dann da, so ungestalt,so seelenlos, so arm und kalt,sein kleiner Leichnam arg vertvandeltvon Tod und Sterben migehandelt.Ein totes Wort ein hlich Ding,ein klapperdrres Kling -Kling -Kling.Pfni allen hlichen Gewerben,an denen Wort und Wrtchen sterben!

    Es geziemt sich wohl, da der Erforscher des Worts dieserWarnung von Knstlern des Worts Gehr schenke. Somit- sehen wir

    f in der Vernachlssigung der Semasiologie einen Mangel der seit-herigen Indogermanistik, einen Mangel, der freilich durch die garverschiedenartigen anderen zahlrfichen Aufgaben und Forderungender Sprachwissenschaft vllig entschuldigt wird. Mit der Lautlehre,der peinlich exakten Erforschung der historischen Lautbergnge,mute begonnen werden, wollte sich berhaupt die vergleichende idg.Sprachwissenschaft nach ihren ersten kindlichen Versuchen wissen-schaftlicher Arbeit auf eine methodische Forschung besinnen.

  • TX

    Die Semasiologie ist nun keineswegs der uninteressanteste Teilder Sprachwissenschaft; denn mehr als bei rein lautlichen, morpho-logischen oder syntaktischen Fragen lassen sich hier Gesetze mensch-lichen Denkens ermitteln : aber eben dies, die Erforschung des mensch-lichen Geistes und seiner Bettigung in Sprache und Kultur, dieErforschung des menschlichen Denkens und Denkenlernens, wird dochauch in der Sprachwissenschaft wie bei jeder historischen Geistes-wissenschaft" als letztes und hchstes Ziel gelten mssen.

    Freilich ist die Bedeutungslehre ein schlpfrig Gebiet : die Frage,ob sich eine Bedeutung in eine andere, abliegendere gewandelt habenkann, lt sich meist bejahen; ob es aber der Fall sein mu, dasist oft ein ander Ding. Launig hat man dieses Gebiet der Sprach-wissenschaft mit einem Grundstck verglichen,') in dem allerortenWarnungstflein schrecken mit der Aufschrift:

    ACHTUNG! HIER LIEGEN FUSSANGELN!

    AVie also ist es mglich, diese Schwierigkeiten, wenn nicht zuberwinden, so doch zu verringern?

    Zum ersten mssen natrlich jene beiden anderen Grundlagenjeder wissenschaftlichen Wortforschung, nmlich die lautliche Seiteund die Fragen der Wortbildung und, wenn ntig, der syntaktischenAnwendung im ganzen Satzgefge, vllig gesichert sein: ohne dieseVorbedingung kann man an semasiologische Probleme nicht heran-treten. Diese enge Verklammerung aber mit den anderen Einzel-gebieten sprachwissenschaftlicher Forschung verringert die subjektiveWillkr schon ganz betrchtlich. Dann aber und damit kommenwir zu meiner eigentlichen Absicht mu eine Bedeutungslehre,wenigstens insofern sie sich mit alten, lngst vergangenen sprachlichenGebilden beschftigt, unbedingt historisch angefat werden.

    Meringer hat in neuerer Zeit mit gutem Grund einer grerenBeachtung der Sachen und der Wissenschaft von dem sprachlichenAusdruck dieser Sachen das Wort geredet. Genau das gleiche abergilt auch von den geistigen Schpfungen und Vorstellungen deralten Vlker. Wie es lcherlich wre, bei der Behandlung eines altenWorts mit der Bedeutung Ofen" etwa stillschweigend von dem Aus-sehen und der Einrichtung unsrer modernen fen auszugehen oderbei einem altidg. Wort mit der Bedeutung ..Lampe, Licht" an dieelektrische Glhbirne, wenn vielleicht auch nur unbewut, zu denken,genau so lcherlich und unmethodisch -unwissenschaftlich ist es, beiVorstellungen geistiger, etwa religiser Art stillschweigend als Ma-

    ') STTBRLiN, Werden und Wesen der. Sprache, 1913, 37.

  • Stab fr die kritische Beurteilung einer Etymologie unsere heutigenreligisen oder ethischen Vorstellungen zu benutzen: praktisch wirddieser Fehler bis jetzt aber nur zu oft begangen.

    Jede sichere Etymologie, insofern sie historische Bedeutungs-wandlungen erweist, ist fr uns ein in der Sprache versteinerterGedanke eines Volks. Somit mu und wird eine exakte Er-forschung und zusammenfassende Beschreibung der hauptschlichensemasiologischen Tatsachen ein einzigartiges Mittel abgeben, an derHand solch alter Bedeutungsentwicklungen empirisch und strengwissenschaftlich ohne alle rein philosophischen oder spekulativenHypothesen nachzuweisen und zu beschreiben, wie unsere indogerma-nischen Vorfahren, wie die Menschheit denken gelernt hat. ber-blicken wir doch in der Indogermanistik die zusammenhngende,ununterbrochene sprachliche Entwicklung von rund dreitausend Jahren.Wie der Geologe an Hand erstarrter Erdformationen uns vom Werdenund Wandel der Erdoberflche berichten kann, so ist der Sprach-forscher imstande, mittels Erforschung der in der Sprache versteinertenGedankenbergnge und Begriffe einer Vorzeit uns rein empirischeinen Einblick in das geistige und seelische Wachsen und Werdender Menschheit zu geben. Gerade die Sprachwissenschaft scheint alsoberufen, ein gewichtig Wort bei jenem Grundproblem, das alle Geistes-wissenschaften beherrscht, der Entwicklungsgeschichte des mensch-lichen, primitiven Denkens, mitzusprechen.

    Aus diesen Andeutungen ergibt sich schon mit hinreichenderKlarheit, da wir den Satz: die einzige und wirkliche Aufgabe derSprachwissenschaft ist die Betrachtung der Sprache an sich und umihrer selbst willen", wie ihn Ferdinand de Saussuee i) ausgesprochenhat, fr unrichtig halten; ist er in seiner Einseitigkeit schon fr die

    Laut- und Formenlehre, fr Morphologie und Syntax nicht zu halten,so scheint er mir fr das Gebiet des Bedeutungswandels erst rechtverfehlt. Denn er geht von der irrigen Voraussetzung aus, die Sprachesei etwas Selbstndiges, ein Komplex rein mechanischer Vorgnge,der fr sich allein sich abwickle, whrend es in Wahrheit Spracheund Sprechen ohne Denken und Vorstellungen, ohne seelische Be-ttigung nicht gibt. Der Sprachforscher darf sich, da die Wort-prgungen so oft in uralter, meist vorhistorischer Zeit erfolgt sind,nicht isolieren, und die Wortforschung wird je nach dem besonderenFall Hilfe von Nachbarwissenschaften, von jeder Einzelphilologie indo-germanischer Vlker, von Kulturgeschiclite und Volkswirtschaftslehre,

    ') Vgl. Cours de linguistique generale, public par Charles Bally et Albert

    Sechehaye avec la coUaboration d'Albe?:t Riedlinger, 1916.

  • xt

    von Religions- und Rechtswissenschaft, von Ethnologie und Volks-kunde zu erbitten haben. Soviel ist sicher: je lter ein Bedeutungs-wandel ist, desto mehr darf er nur historisch erklrt und erfatwerden ; es geht keinesfalls an, eine alte Bedeutungsvernderung still-schweigend von unserem heutigen Standpunkt, von modernemEmpfinden und Denken aus, abzuschtzen, sondern der Etymologemu, Meringers Parole von den Sachen auch auf das geistige Gebiet,auf die Welt der Vorstellungen und Gefhle, ausdehnend, primitivdenken" lernen, sich in alt -primitive Denkformen und Vorstellungen,in den Gesichtskreis und die Anschauungsweise lngst vergangener,kulturell ganz verschiedener Zeiten, so gut es geht, einfhlen. Daein Wort bei seinem ersten Aufkommen stets nur die Vorstellungendes Sprechenden von dem betreffenden Objekt, niemals aber das Objektunmittelbar verkrpert, gilt es eben diese Vorstellungen frherer Zeitenzu studieren, will man dem Worte und seiner alten Bedeutung gerechtwerden. Wir verlangen also eine historische Bedeutungslehre; auchder Etymologe mu Historiker sein.

    An einem eng umgrenzten, sehr bescheidenen Problem, das aufder Grenze zwischen Philologie, Sagenkunde und Religionswissenschaftliegt, habe ich in den folgenden Blttern den Versuch gemacht, einesemasiologische Frage in der Weise, wie sie mir als methodischempfehlenswert vorschwebt, zu behandeln. Dieses Problem stelltnichts als den einfachen Bedeutungswandel von verbergen, verhllen"zu tten", von verborgen, verhllt werden" zu sterben" dar. Aberdieser Wandel ist nur vom Standpunkt einer historischen Semasio-logie zu verstehen; werten wir ihn nach unserem heutigen Gefhl,so mssen wir notwendigerweise in die Irre gehen, wenn man ber-haupt ber bloes Raten und Phantasieren hinauskommt. Entsprechendder besonderen Natur gerade dieses Problems muten hier religiseVorstellungen den Ausschlag geben: denn der Tod und das Sterbenist fr den Menschen der Vorzeit eben lediglich vom Standpunktseiner religisen Vorstellungen verstndlich.

    Es traf sich eigentmlich, da unser rein sprachwissenschaftlichesProblem unlsbar verknpft schien mit einer homerischen Frage,nmlich der nach dem Wesen der Nymphe Kalypso und der Stellungdieser Episode im Gefge der Odyssee. Da die griechische Traditionselbst in diesem seltsamen Falle zu versagen scheint, mute ebenaus einem rein philologischen ein sprachwissenschaftlich-semasiologischesProblem entstehen, und in der berzeugung, da die Grenzen von

  • XII

    Sprachwissenschaft und Philologie oft durchaus flieend sind, bin ichder philologischen Seite der Aufgabe nicht aus dem Weg gegangen.Hat doch gerade in homerischen Fragen" die Sprachwissenschaftstets ihre selbstndige Bedeutung neben der Philologie im engerenSinne behauptet. So gab die Frage nach dem Wesen Kalypsos immermehr bei der fortschreitenden Untersuchung den festgefgten Kahmenab, innerhalb dessen unsere bedeutungsgeschichtlichen Studien ihrenPlatz fanden, und von dem sie zusammengehalten wurden. Aberstets lieferte die Sprachwissenschaft den Ariadnefaden, an demwir versuchten, uns durch das wirre Labyrinth aller auf uns ein-strzenden Fragen hindurchzuwinden : ein Heranziehen von Sagen undMrchen durfte somit nur in ganz beschrnktem Grade, Jedenfallsnicht im Sinne der sog. vergleichenden Sagen-, Mythen- und Mrchen-forschung erfolgen.

    Die semasiologischen Parallelen und Analogien, auf die wirstieen, drfen aber keinesfalls so aufgefat werden, als wollten wirdie betreffenden Anschauungen dem sagenverdunkelten, indogerma-nischen Urvolk" als Eigen zuschreiben. Wo uns fr die alten Vlker,deren Literatur wir besitzen, und die Aufhellung ihrer Kultur nochso unendlich viel zu tun bleibt, lockt das Trugbild einer urindo-germanischen Kulturerschlieung immer weniger. In diesem Punktemchte ich meine Untersuchungen nicht miverstanden sehen. Frmich ist indogermanische Uertumshmde'' eine vergleichende Kultur-geschichte altindogermanischer Vlker: die Behauptung, eine mehrerenGliedern der gemeinsamen Sprachfamilie eigene Vorstellung oder Sittereiche in die dunklen Zeiten hinauf, als die Vorfahren der indogerm.Einzelvlker noch eine sprachliche Einheit bildeten, wird um sogleichgltiger aufgenommen werden, als man bekanntlich nicht einmaleinwandfrei nachweisen kann, wo dieses Volk berhaupt nur gewohnthat, mit welcher prhistorischen Rasse es gleichzusetzen ist. Auf deranderen Seite hat es auch stets seinen besonderen Reiz, zu beobachten,wie eine hnliche oder gleiche Vorstellung, die sich in einer hnlichenBedeutungsentwicklung wiederspiegelt, sich doch beim schrferenZusehn in Jeder Sonderkultur ganz eigentmlich entwickelt und den be-sonderen Bedingungen entsprechend auch ihre ganz eigene Ausprgungerhalten hat. Denn Jedes Volk und Jede Zeit hat auch ihr Eigenes,Bodenstndiges, Individuelles, und dies darf bei allen Bedeutungs-parallelen nie bei aller allgemeinen hnlichkeit im groen und ganzenvergessen werden.

    Endlich mchte meine Auffassung der idg. Semasiologie die ver-breitete Ansicht widerlegen, als htte eine sprachwissenschaftlich-etymologische Behandlung religionswissenschaftlicher und mytho-

  • XIII

    logischer Fragen wenig Berechtigung. ^ Dieses Mitrauen hatte sichbei der sog, vergleichenden Mythologie" eines Max Mlleb als ge-rechtfertigt erwiesen, aber doch eigentlich nur aus dem Grunde, weildie sprachwissenschaftliche, methodische Forschung damals noch nichtdie strengen Vorstellungen vom lautgesetzlichen Verlauf sprachlicher

    Erscheinungen besa. So sehen wir denn auch heute die Sprach-forschung wieder khn am Werk, sogar Eigennamen mythologischerGestalten mit ihren Mitteln klar zu legen. 2) Somit drfte es wohlnicht mehr ntig sein, wie einst Fick tat, wegen sprachwissenschaft-licher Behandlung von Sagen und Mythen um Verzeihung zu bitten. 3)

    Eher wre dies vielleicht wegen der breiteren Fundamentierungunseres Problems angebracht. Da aber mein Buch aus mehrerenGrnden, vor allem schon deshalb, weil ja auch rein philologischeFragen nicht umgangen werden, mit einem weiteren Leserkreis rechnenmute, befleiigte ich mich einer ausfhrlicheren Darstellung, als essonst wohl in rein sprachwissenschaftlichen Werken der Fall zu seinpflegt: die Tatsache indessen, da sprachwissenschaftliche Fachwerkenachgerade oft nur noch nachgeschlagen, aber nicht hintereinanderdurchgelesen werden und oft auch nicht durchgelesen werdensollen! , scheint mir persnlich nicht sehr erfreulich, und so willich lieber den Vorwurf zu groer Ausfhrlichkeit auf mich nehmenals den unverstndlich -trockener Krze und bertriebener fachlicherEinseitigkeit. Zudem verlangt ein Problem des historischen Bedeutungs-wandels wohl stets eine breitere Behandlung als eine rein lautlicheoder morphologische sprachwissenschaftliche Untersuchung, weil einEinfhlen in lngst vergangene, kulturfremde Anschauungen nichteben leicht ist. Die kleine Bosheit, da ich die rein sthetischeWertung der homerischen Kalypsoepisode zu Anfang der Untersuchungabsichtlich in stark leuchtenden Farben und nicht ganz ohne senti-mentale Schattierung zeichnete, um dann spter 4) die Unrichtigkeitdieser modernen Auffassungsmglichkeit vom historischen Standpunktum so deutlicher hervortreten zu lassen, wird man zwar bemerken,mir aber gewi zu verzeihen wissen. Auch in den Beilagen sind nur

    Vgl. etwa HiLLEBRANDT, Vcd. MythoL, 1891, I, 509 ff.*) Vgl. z. B. Wackernagbls Deutung der Kabiren, KZ. 41,316, W. Schulze s

    Etymologie von Hv KZ. 42,316; Kretschmers Deutungen von Poseidon, Glotta1,27 ff. oder Nestor, Glotta 4,808; Frnkels Behandlung von Oefiig Glotta 4, 44 ff.

    ;

    SoLMSEN, Odysseus und Penelope KZ. 42, 207 ff.; Fr. Stolz, Agamemnon u. Klytai-mestra, Innsbrucker Festgru, S. 13 f.; Kretschmers Ausfhrungen ber Achillesund Kekrops, Glotta 4, 305. 309 ; Aly, Europa, Glotta 5, 63 f. ; E. Maas ber Aphrodite,N. Jahrb. f. d. klass. Altertum 27, 457 ff. usw.

    ) Fick, Hattiden und Danubier in Griechenland, 1909, S. V.*) S. 172.

  • XIV

    semasiologische Probleme behandelt, die mit dem Hauptgegenstandder Untersuchung in Beziehung stehen, deren Besprechung aber imZusammenhang der Hauptuntersuchung zuviel Raum beansprucht htte.

    Die Arbeit ist whrend des groen Weltkriegs mit seinen furcht-baren Opfern entstanden, und die Stimmung war daher den behandeltenernsten Vorstellungen nicht ungnstig. So gab die Anregung zu derkleinen Studie vom Seelenfalter ein einfacher Spaziergang, auf demich im Sommer 1917 zu meinem Erstaunen ganze Felder voll seltsamnickender weier Blten von fern wahrzunehmen glaubte; beim Nher-kommen waren es Kleecker, auf denen Tausende von Kohlwei-lingen sich im Sonnenglanze durcheinander tummelten. Aus weiterFerne aber, drben von den westlichen Schlachtfeldern herber, ver-nahm man dabei mit eigenem Gefhl in dem dumpfen Rollen undGrollen der Geschtze das gedmpfte Brllen und Grhlen blut-trunkener, menschenbluttrunkener Todesdmonen, das nun schonjahrelang nicht verstummen wollte . .

    .

    Seit Herbst 1918 lag das Manuskript abgeschlossen vor; fr dieschnelle Drucklegung und die gute Ausstattung, ungeachtet allerwidrigen Zeitverhltnisse, sage ich auch hier meinem Herrn Verlegerden besten Dank. Wie bei meinen frheren Arbeiten, so hat meinhochverehrter Lehrer, Herr Geheimrat Bartholomae, auch diesmaltrotz der schwer-wuchtigen Brde seines Universittsrektorats eineKorrektur mitgelesen : ich danke ihm aufs herzlichste fr diese Mhe.Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Geheimrat Kroll in Breslaufr die freundliche berlassung eines Aushngebogens von LamersKalypso -Artikel in der von ihm besorgten Neubearbeitung von Pauly-Wissowas Realenzyklopdie, X, 1777 ff.

    Mgen meine bescheidenen Beitrge zu einer historischenBedeutungslehre der indogermanischen Sprachen fr die Aufgabe, frdie sie eintreten, auch in weiteren Kreisen der gelehrten Welt einigesInteresse erregen, und mge etwas von der gelassenen Heiterkeit derSeele, von der still-ernsten Freude, die ich bei der Ausarbeitung diesesBuchs empfand, auch von dem wohlwollenden Leser bemerkt undwomglich mitempfunden werden!

    Gerade zu der Zeit, wo ich die letzte Hand an das Buch lege,hallen die Osterglocken wieder durchs Land. Vor ihrem jubelnden,sieghaften Klang muten sich einst all die Gespenster und Todes-dmonen, die man auf den folgenden Blttern zitiert findet, in ihreNacht und Finsternis verhllen: der Besieger dieser Ausgeburtenmenschlicher Angst und Todesfurcht, dem die Glocken entgegen-jauchzen, hat den Menschengeist aus den Schlingen und Banden jener

  • XV

    alten Larven befreit, die doch nur menschliche Phantasie selbst ge-schaffen hatte. Da der Zufall es nun einmal so fgt, mge es gestattetsein, dieses Glockengelute, das nicht nur den Sieg des Geistes berdas Fleisch, sondern auch des Geistes ber die Geister feiert, hierfestzuhalten und weiterklingen zu lassen gleichsam als allgewaltigenBannzauber gegen jene nchtlichen Dmonen:

    Christ ist erstanden!

    Freude dem Sterblichen,Den die verderblichen,Schleichenden, erblichen

    Mngel umwanden.

    Christ ist erstandenAus der Verwesung Scho.Beiet von BandenFreudig euch los!

    Heidelberg, am Osterfest 1919.

    Hermauu Gutert.

  • %^nter den vielen Abenteuern, die der gttliche Dulder durch-zumachen hat, bevor er am Apollonfest sein geliebtes Vaterlandwiedersehen darf, ist der Aufenthalt bei der schnlockigen NympheKalypso in der Odyssee mit besonderer Zartheit geschildert. Es istdem Dichter dieses Abschnitts gelungen, eine lieblich-innige Idylleauszumalen, die wirksam und bedeutungsvoll im ganzen Ton der Dar-stellung von der sonstigen Erzhlungsweise absticht. Nach all denmannigfachen Erlebnissen bei fremden Vlkern, bei Menschenfressernund Kyklopen, nach dem Abenteuer bei der tckischen ZauberinKirke und der grausen Hadesfahrt, nach dem Verlust aller seinerGefhrten wird Odysseus, an eine Planke seines zerschellten Schiffessich anklammernd, zu Kalypsos schner Insel von den Meereswellengetragen und rettet so nichts als das nackte Leben; aber liebevollnimmt die Nymphe" den fremden Gast auf und versucht bald, ihnin zarte Liebesketten zu verstricken, die Gttin den Sterblichen.Doch vergebens verheit sie dem Helden Unsterblichkeit und ewigeJugend, vergebens sucht sie mit ihrem holdseligen Liebreiz, mit ihrergttlichen Anmut Penelopeias Bild aus seinem Herzen zu verdrngen, all die berauschenden Wonnen seliger Gtterliebe, all die senLockungen unvergnglichen Glckes vermgen die unerschtterlicheTreue des Odysseus nicht wankend zu machen. Jahr verrinnt aufJahr im Tanze der Hren, und noch immer mu der Held in seinemparadiesischen Gefngnis schmachten; er meidet, soviel er kann, dieGesellschaft der wunderholden, Jugendschnen Gttin; drauen sitzter am felszackigen Meeresgestade und sieht sehnschtig ber diewildtosenden Wogen in die weite weite Ferne und vergeht fastvor Heimweh und innigem Verlangen nach seinem felsigen Ithaka,vor tiefem Sehnen nach Weib und Kind. Gewi, man wrde dieseherrliche Episode, in der Treue und Heimatliebe des Helden so starkhervortreten wie sonst nie, ungern in dem epischen Gewebe missen:alle uerlichkeiten aufregender Vorgnge oder stark spannenderMrchenmotive treten im Gegensatz zu fast allen anderen Gesngender Odyssee hier zurck hinter dem rein inneren, seelischen, gttlich-menschlichen Konflikte. Und doch ist es gewi die schwerste Prfung

    H. Gntert, Kalypso. 1^

  • und hrteste Versuchung des vielduldenden Helden gewesen. Diesuert sich schon darin, da der Verfasser unserer jetzigen Odysseegerade mit dieser Episode die Handlung einsetzen lt; er hat ihralso unter dem berreichen Stoff die bevorzugteste, bedeutungsvollsteStelle eingerumt. Zehn Jahre, mithin so lange als der ganze Kampfvor Troja dauerte, whrten Odysseus'" Leiden bis zur endlichen Heim-kehr: volle sieben davon sind allein dem Aufenthalt auf Ogygia inder Dichtung zugesprochen. Zugleich aber bildet dieses Abenteuerden Abschlu aller Leiden und Prfungen; denn vom schtzendenZauberschleier Leukotheas gegen die Schrecken und Gefahren desWeltmeers gefeit, gelangte der Held zu den hilfreichen Phaiaken,wo seine Lage sich zum bessern wenden sollte. Somit gebhrt derKalypsoepisode eine ganz besondere Beachtung. Gerade weil Kalypsokeine Zauberin ist wie die tckische Kirke und nicht wie diese mitGewalt und Hexenlist vorgeht erst aus Angst vor Odysseus' hhererZauberkraft gibt Kirke spter klein bei

    ,

    gerade weil Kalypso,sage ich, nur mit ihrer liebreizenden, blhenden Weiblichkeit denHelden an sich fesseln mchte, ist diese letzte aller Prfungen be-sonders gefhrlich fr den von soviel Leid zermrbten, mde gewordeneuOdysseus, dem es nach all den Mhsalen beschieden scheint, in denweichen Armen einer gttlichen Frau Ruhe und Frieden, Erlsungund unvergngliches Jugendglck zu finden, freilich fern von denLanden der Sterblichen auf einer abgelegenen, weltfernen Wunder-insel, von den Menschen, von seiner Familie und seinen Freundenauf ewig getrennt durch die wildbrausenden Wasser des Okeanos.Strker aber als diese Lockungen eines idyllischen Glckes ist dieMacht der Treue und Heimatliebe, und von Hermes gemahnt, mudie liebende Gttin am Ende ihrem heien Sehnen nach dem be-scheidenen, aber herzinnigen Glck sterblicher Liebe entsagen undden teuren Mann scheiden sehn, verlassen und einsam in all ihrerPracht . .

    .

    In wohlberechneter Harmonie zu dieser sehnschtigen, schwer-mtigen Grundstimmung, die in seltsam moderner Art durch dieKalypsoepisode hindurchbebt, hat der Dichter die Natur des schnen,

    stillen Eilands beschrieben; ganz im Widerspruch zur sonst herrschendenTechnik im homerischen Epos, wie sie schon Lessing in seinem'Laokoon' beobachtet hat, wird hier gemalt, wie es bei Idyllen ber-haupt kaum anders mglich ist. Den Mittelpunkt der Insel und dengewhnlichen Aufenthaltsort der schnen Nymphe bildet eine tiefeGrotte, die oft erwhnt wird;i) hier trifft Hermes die Gttin an, als

    ') svQV omoq e 77, sv aneaai yXaipvQolai et 15 , f 155.

  • er ihr Zeus' Befehl berbringen mu, hier steht der groe Webstuhl,an dem Kalypso mit goldener Spule zu arbeiten pflegt. Auf goldnemSessel nimmt der Gott Platz, mit Ambrosia und rotschumendemNektar wird er bewirtet. S wallende Dfte brennenden Rucher-werks

    ') umhauchen mit ihrem Wohlgeruch die schne Gtterbehausung;das wunderherrlichste aber ist die paradiesische Landschaft in ihremstillschlummernden Frieden rings umher, deren ergreifende Prachtund zaubervolle Schnheit der Dichter nicht weiter zu steigern ver-mochte, als da er von ihr sagt, selbst ein Unsterblicher msse beiihrem Anblick ins Staunen geraten. 2) So bleibt auch Hermes, eheer in die Felsengrotte zu unliebsamer Pflichtentledigung eintritt, inall die stille, fast feierliche Schnheit versunken stehen und freutsich ein fr diese alte Zeit hchst bemerkenswerter Zug derholden Naturpracht 3):

    vXi] S jceog d^(pl jtg)vxi T?/X&coOa,xhjd^Qi] r' aiysiQOQ xe xa) vc66r]q xvjcccQiOOog.h'&a de r' gvid-sg ravvoijiTEQOi evvd^ovro,xcjceg r' llQtjx&g rs ravvyXcool rs xoQcovaislvdhai, rfjaiv te {haXdia sgya (iSfir/kev.1) 6' avTov rerdwOTO Ttegl ojisiovg yXatpvQoto?jf(Qlg rjcofoa, Td^7JXei de ozacpvXfjOiv.xgfjvat 6' e^elrig jtiovQeg qsop vari Xsvxc,jrXfjiai dX?.ij?.ojv rergafifitvai dXXvig XXij.dficpl 61 Xsifjwveg f/aXaxol liov ^e oeXivovO-ijXeov . . .

    Wer diese Verse sich zum knstlerischen Bilde gestaltet unddabei fr den Hellenen etwas Selbstverstndliches die blendendeHelle der sdlichen Sonne und den azurnen Himmel hinzunimmt, derwird zugeben, da das keine irgendwie objektive Schilderung einerbestimmten Gegend mehr sein kann; es ist unserem heutigen Gefhlnach eine idealisierte, verklrte Landschaft ruhig heiteren Charakters,wie sie der Knstler als Hintergrund fr sein ses Sehnsuchtsliedbrauchte, so da der Sieg seines Helden ber diese Lockungen des stillen,paradiesischen Naturfriedens und der hei-glhenden Leidenschaft einesverfhrerischen, unsterblichen Weibes in umso leuchtenderem Lichteerstrahlen mu: es scheint uns wie altgriechische Stimmungspoesie.

    ') s 60.

    2) 6 73 f.) 6 6373.

    1*

  • 1.

    ^ie homerischen Gedichte sind in erster Linie groe Kunstwerkeund wollen daher zunchst immer wieder auch nur als solche behandeltwerden; deshalb muten wir bei einer Untersuchung ber das WesenKalypsos uns vor allen Dingen erst den dichterischen und knstlerisch-sthetischen Gehalt der ihr geweihten Episode wieder vergegenwrtigen.Allein die homerischen Gedichte stehen andrerseits auch am Anfangder hellenischen Literatur, und die knstlerisch so unschtzbarenDichtungen sind fr die Wissenschaft zugleich die wertvollsten Quellenzur Erforschung altgriechischen Denkens, Glaubens und Lebens. Wenneine rein knstlerische Betrachtung mit dem inneren Schauen undNacherleben der geschilderten Vorgnge zufrieden sein mag, so bergendieselben Bilder eine Menge rein wissenschaftlicher Probleme. Demnur sthetisch Genieenden kann es vllig gleichgltig sein, obetwa die Gestalt der Kalypso von der Phantasie eines Aoiden ganzselbstndig und neu geschaffen worden ist, oder ob in diesem Liedealte Vorstellungen des hellenischen Volksglaubens zum Kunstwerkgeformt und verklrt wurden genug, wenn er am poetischenBilde selbst sich freuen kann. Er nimmt Kalypso, wie sie der alteDichter zeichnete: woher dieser seine Nymphe" hat, interessiert ihnweiter nicht.

    Der Forscher aber wird ermitteln wollen, ob sich nicht dasEntstehen einer Gestalt, wie die Kalypsos, gleichwie in so manchanderen Fllen weiter verfolgen lt. Da aber befindet man sich bisjetzt in einer seltsamen, ja einzigartigen Lage; nur negativ ist manmit Erfolg vorgegangen; man hat nachweisen knnen, da alle weiterenAngaben des Epos selbst ber Heimat, Abstammung und Verwandt-schaft der schnen Nymphe relativ recht jungen Datums sind. Somitentfllt fast alles, was die Odyssee selbst von Kalypso zu meldenwei, zerbrckelt morsch dem prfenden Forscher unter der Hand,wenn man es bei der Untersuchung ber ihr Wesen wissenschaftlichverwerten will. In seinen homerischen Untersuchungen" hat esnmlich v. WiLAMOwiTz-MoELLENDOEFr erwiesen, da in dem ersten

  • Teil des 5. Buches i) die lteste Kalypso -Dichtung vorliegt, und daalle anderen Angaben in der Odyssee und in spterer Tradition letzthinauf diese Stelle zurckgehen. In diesem 5. Buch aber wird Kalypsonur Nymphe" genannt, von ihrer Abstammung wird kein Wortgesagt, woraus man'^) schlieen zu drfen glaubt, die Angaben imersten Buch, Kalypso wre eine Tochter des Atlas, 3) sei sptere Er-findung. Hesiod Theog. 359 fhrt sie neben anderen Nymphen anund nennt daher Okeanos und Tethys ihre Eltern; man folgert daraus,Hesiod habe nur die Stelle s doch wohl als Einzellied? gekannt,aber nicht die Partie zu Anfang des ersten Buchs oder die Verse;;241ff. Mir scheint dieser Schlu zu wenig begrndet: gibt mandoch andrerseits ^) zu, da der Anfang des einst selbstndigen Gedichtsvon Kalypso und Leukothea weggeschnitten" sei; was also hier stand,das lt sich nicht mehr erraten, gerade am Anfang einer solchen'oi'////', wie die Ehapsoden eine epische Einzelballade nannten, &) wirdGelegenheit gewesen sein, die Herkunft der Heldin zu berichten.Andrerseits kann ich mir nicht die geringschtzende Art zu eigenmachen, wie meistens von der Flickarbeit" des ersten Buchs gesprochenwird. Gesetzt selbst, alles sei richtig, was von v. Wilamowitz 6) undanderen gegen den dichterischen Wert dieses Gesangs nach KirchhofesVorgang vorgebracht wird, so schliet dies doch nicht aus, da auchim ersten Buch altes Gut verarbeitet und zusammengeflickt" seiknnte. Wenn die poetischen Motive ganz ebenso wie die Versefremdes Gut" sind,^) dann ist, je geringer wir die dichterische Selb-stndigkeit dieses Rhapsoden einschtzen, gerade erst recht anzunehmen,da auch hier in Einzelangaben sich Trmmer bester berlieferung,allerdings mit Jungen Zutaten vermengt, vorfinden.

    Gleich zu Anfang der Odyssee spricht Pallas Athene von Kalypsoin der Gtterversammlung,) ohne aber ihren Namen zu nennen:

    v^Om EP dfi

  • Man hat dies eine Unbedachtsamkeit" genannt, i) die sich daraus erklre,da der epische Stoff lngst bekannt und poetisch ausgebildet gewesensei, ehe dieser Dichter ihn als gegebenen neu zusammenzufassenversuchte". Dies scheint mir aber nicht richtig geurteilt: Athenekennt vielmehr den Namen dieser Gttin tatschlich nicht, wie jaauch die Beschreibung ihrer Insel eine ganz allgemeine ist; sie weinur von irgend einer sonst ganz unbekannten Atlastochter, die irgendwoauf einer abgelegenen, weltfernen Insel, die sie nie gesehen, inmitten

    des Okeanos wohnt. Dazu stimmt auch, da sie selbst ihrem Schtzlingpersnlich nicht beisteht, offenbar nicht beistehen kann, wie sonst sooft, sondern da sie nur die Absendung des Gtterboten herbeizufhrensucht. Ebenso bin ich berzeugt, da in der Stelle 56 ff.

    :

    aisl S [iaXay,ol6L xal ai^vXioLOi XoyoLLVd-iXysi, ojicoq ^daxt/g ejciXfjasraL' avtg 'OdvootvglifiBVog xal xajtvv diod^Qtaxovxa vorjoairg yairjg d^avhiv Ifieigstai

    trotz des jungen Xoyog statt des epischen tjcog altes Gut benutzt undverarbeitet ist; das Bild von dem Helden, der sich sehnt, den Eauchvon seiner Heimat noch einmal aufsteigen zu sehen, ist so cliarakte-ristisch, so aus der Stimmung des Kalypsolieds heraus entstanden,da es sicher von Anfang an zu ihm gehrte; so etwas erfindet keinflickender Schluredaktor", wenn er auch vielleicht in der dem ber-nommenen, fertigen Bild neu gegebenen Fassung im einzelnen fehl-greifen konnte. Fr v. Wilamoavitz aber sind die Verse trivial". 2)

    Kann ich mich schon in solchen weniger wichtigen Einzelheitennicht mit der Kritik der homerischen Untersuchungen", soweit sieunser Problem betreffen, einverstanden erklren, so stehe ich demHauptergebnis ber Kalypsos Gestalt erst recht vllig ablehnendgegenber, obwohl dies als die zur Zeit herrschende Ansicht bezeichnetwerden mu : nach v. Wilamowitz ist die Gestalt der Kalypso lediglichnach dem Vorbild der Kirke geschaffen, Kalypso soll einfach eineDoppelgngerin Kirkes sein ! ein Aoide soll Gott wei, aus welcherGrille eine Silhouette jener "Zauberin geschnitten haben, und dannsoll das Bildchen samt der Originalgestalt in den groen epischenSack, der da Odyssee heit, hineingesteckt worden sein! Ein artigesWortspiel wei diese Auffassung zu kennzeichnen s)

    :

    >) V. Wilamowitz, a. a. 0. 16.2) a. a. 0. 20.

    3) a. a. 0. 116.

  • Es ist keine Frage, das t hat die Kalypso frei erschaffen. 'Die

    Verbergerin' tat ihre Schuldigkeit, indem sie Odysseus sieben Jahreverbarg; dann sank sie selbst in die Verborgenheit zurck".

    2.

    fHan sollte meinen, wenn diese seltsame, aber eben weitverbreitete ')Ansicht richtig wre, so sollte das ganze Kalypsolied im 5. Buch vonder Kirkedichtung beeinflut sein, wie man dies frher derselben

    Theorie zuliebe tatschlich zu zeigen versucht hat. 2) Aber mit ge-wohntem Scharfsinn wendet sich v. Wilamowitz selbst gegen dieseAnsicht und weist nach, da gerade umgekehrt die Darstellung des5. Buchs auf die oi^ir] von der Kirke eingewirkt habe.) So wird inden gleichlautenden Versen 228 231 = ;c 542 545 das gttlicheWesen eine Nymphe" genannt, aber das ist Kirke nicht, folglichsind die Verse ursprnglich von Kalypso gesagt. In beiden Episoden'

    kommt ein Eidschwur vor; aber der Eid, den Odysseus von Kalypsofordert, ist viel richtiger motiviert und viel genauer geschildert, alsder, den Kirke leistet, und der mit ein paar oberflchlichen, nichts-sagenden Versen abgemacht ist ^) : keine Frage, in der Kirkeerzhlungist der Eid aus dem Kalypsolied bernommen. 5) Diese Tatsachen 6)aber sind einer Theorie, die Gestalt der Kalypso sei nach dem VorbildKirkes geschaffen, wenig gnstig; man mu also schon annehmen,nur von der Kirke-Sage sei das Kalj^psolied beeinflut gewesen,das fertige Lied von Kalypso aber habe dann auf die oi^nj von Kirke,wie sie im 10. Buch unserer Odyssee aufgegangen ist, eingewirkt)Damit jedoch lockert sich das Gefge dieser Theorie schon ganz be-

    1) Widerspruch uerten z. B. E. Mbykr, Hermes 30,266, nm. 3; Groegbr,Philologus, 1900, S. 206 ff.; Eothe, Ilias als Dichtung, 1910, 50 ff.; H. Draheim,Die Odyssee als Kunstwerk, 1910, S. 51 u. 118, und seltsamerweise v. Welamo-wiTz selbst, da er Ilias und Homer", 1916, 488 ff. einen Gegensatz zwischen derGeschichte von Kirke und Kalypso anerkennt.

    2) Niese, Entw. d. hom. Poesie 174, 184 ff.; Kayser, Homer. Abhandl. 82 ff.=) a.a.O. 117 ff.

    *) r) d' avTix' anutfivvBV, (oq escelevov x 345.

    ') s. v. Wilamowitz, a.a.O. 121 f.; mit einfachem Athetieren ist natrlichnichts geholfen ; Blass , Interpolationen in der Odyssee, 1904, S. 86 ff.

    ) Weitere Einzelheiten, auf die es hier Aveiter nicht ankommt, hei v. Wilamo-witz, a.a.O. 117 ff.; Lamer bei Pauly-Wissowa-KrolP, X, 1798 ff.

    '') So stellt in engem Anschlu an v. Wilamowitz' Ergebnisse auch Immischbei Rscher M. L. die Sache dar.

  • 8denklich; denn wenn nur ganz allgemein die Sage von Kirke, nichtaber der betreffende Abschnitt unserer Odyssee das Vorbild war, soheit dies doch nur, Kalypso sei eine Art Kirke", also einezauberkundige Hexe gewesen, wenn der Dichter dann auch dieseZauberei habe zurcktreten lassen. Man knnte ebenso gut eineandere Zauberin, etwa Medeia, als allgemeines Vorbild fr Kalypsoausgeben: zu beweisen drfte weder das eine noch das andere sein,weil es sich ja nicht mehr um einen Charakter der Odyssee undepischen Dichtung, sondern allgemein um eine Gestalt der griechischenSage handelt. Denn Kirke kann nur als eine Zauberin gefat werden,eine andere Charakteristik ist undenkbar. Wie aber kann danny. WiLAMOwiTz trotzdem eine engere Verwandtschaft beider Gestaltenannehmen ? Hren wir ihn selbst i) : Bei Kirke geht Hermes ausund ein; 2) Kalypso besucht er ungern auf Zeus' Befehl, aber wir sehenihn doch da. Kalypso liebt den Odysseus, erweist ihm Gutes, entltihn und geleitet ihn mit ihrer Frsorge. Kirke tut desgleichen, sobaldihr Zauber wirkungslos geblieben ist. Beides sind gttliche Wesen,begehren und genieen der Liebe des Sterblichen. Beiden gegenber,trotz ihrer Gttlichkeit und ihren Eeizen, siegt des Helden Sehnsuchtnach der Heimat; bei Kirke, nachdem er eine Zeitlang sein Selbstvergessen hat. Man kann die hnlichkeiten hufen: ein Knstlerwrde schwerlich aus der Poesie Mittel nehmen knnen, sieverschieden zu charakterisieren. =^) Es ist ganz undenkbar, dabeide Personen nicht identisch sein sollten, die eine der andern nach-gebildet. Das Verhltnis der Sage gibt die Antwort: Kalypso isteine fingierte Person, also ist sie die sptere. Folglich gab es eineZeit, wo Odysseus zwar bei Kirke war, aber nicht bei Kalypso."

    Fr mich ist dies leider nur eine Kette von Trugschlssen undschiefen Behauptungen, die zu einer unhaltbaren Kombination fhrenmssen. Eine gewisse rein uerliche hnlichkeit zwischen Kalypsound Kirke mag in der Tat zuerst auffallen; schon J. Gbimm*) undMLLENHOFF^) erwhutcu dies; aber diese hnlichkeit beschrnktsich bei nherem Zusehen lediglich auf das allgemeine Motiv, daschne Frauen den Helden auf seiner Heimfahrt auf-zuhalten suchen; mit Recht reihte MtJLLENHOFF auch JSausihaaan, da die Phaiaken als halbgespenstige graue Mnner" und See-

    ') a. a. 0. 116.

    2) X 331.3) Von mir gesperrt! Den Gegenbeweis zu erbringen, bemht sich unsere

    Untersuchung.*) D. Myth> n, 781, Anm. 1.) D. Altertumsk. I, 31

  • leute des Fabellands') gleichfalls mehr den berirdischen Wesen an-gehren. Die Dreizahl Kirke, Kalypso, Nausikaa wird allerdingskaum zufllig sein.^) Sobald wir aber ins einzelne gehn, kann keineEede mehr davon sein, da Kalypso nach dem Muster der Kirkeentstanden sei. Das Auftreten des Hermes, das als Beweisstck an-gefhrt wird, ist beidemal ganz verschieden motiviert: im Kirkeliederscheint er mit der Zauberwurzel, ohne die Odysseus seinem Ver-derben entgegengeeilt wre, er greift also bedeutsam selbst in dieHandlung ein; zu Kalypso aber wird er ganz uerlich als Gtterbotegesendet, um den Befehl des Zeus zu berbringen, ohne im geringstenselbst an der Handlung beteiligt zu sein*): wo bleiben da wirklichbeweisende hnlichkeiten? Die Idylle des Sangs von der Kalypsohaben wir uns gleich zu Anfang mit ihrer sehnschtigen Grund-stimmung und ihrer herben Se zu vergegenwrtigen gesucht; wievllig verschieden davon ist die Stimmung, die Tonart und die ganzeMotivierung der Handlung in der Geschichte von der bsen, tckischenHexe, die des Helden Gefhrten verzaubert hat und kalten Herzensihn selbst gleichfalls mit ihren Zauberknsten verdorben htte, *)wenn nicht Hermes ihm das geheimnisvolle Moly als wirksamesGegengift gegeben htte! Wer kann wirklich den vlligen Unter-schied in der Charakteristik der beiden schnen Frauen bersehen?Hier die boshafte Tcke einer herzlosen, schnen Hexe, die erst ausAngst vor der greren Zaubergewalt kirre und zahm wird, dort dietiefe Liebe und das Sehnen einer in all ihrem Glck vereinsamten

    *) v. WiLAMOWiTZ, a. a. 0. 138.*) Man entsinne sieh an das Motiv der drei Wrfe nach Odysseus, worber

    v. WiLAMOWiTZ , Homer. Unters. 28 ff. zu vergleichen ist , oder an die dreimaligeneZQa der Achaier durch Agamemnon, 11. BIa.

    ^) Dazu ist es auch fr den, der einen Zusammenhang zwischen dem Auf-treten des Hermes in beiden o2(j,ai annehmen will, viel wahrscheinlicher, da in demKirkelied die KoUe des Hermes als Beschtzer des Helden von der Kalypsoepisodebernommen ist, und nicht umgekehrt ; so schon E. Meyer, Hermes 30, 266, Anm. 8.

    *) Es ist von den Alten schon betont, da Kalypso keine Zauberin wie Kirkewar, vgl. das Scholion T zu rj2i5: SoXeaaa KaXvipc' xal fz^v ovx rjv (pagixaxlq,aXX' ort avxov rjyev i^anarcaa xal a

  • wGttin nach warmer Menschenliebe und einem heipochenden Menschen-herzen; hier eine ganz typische formelhafte Beschreibung einesSchlosses ohne irgend welche besondere Charakteristik, dort ein aufshchste gesteigertes Ideal einer Landschaft von traumschner Herr-lichkeit, an der selbst ein Gott sich nicht satt sehen kann; hierweilt der Held selbstvergessen, geniet mit dem Kecht des Siegersdie Liebe der schnen, berlisteten Unholdin und mu erst mitbittren Worten von seinen Gefhrten an seine Heimat erinnertwerden, dort dagegen verzehrt er sich in Sehnen und Bangen nachseinem Vaterlandes):

    dXX' Tj TOI iwxtag fihv iavsxtv xal dvdyxnV jrei yXa

  • 11

    ihren Geliebten" in ein Schwein verwandelt htte, wre ihr freieMacht geblieben!

    Jene paar uerlichen hnlichkeiten knnen diese These gewinicht erhrten; die Schilderung der Kalypsoepisode war nachweislichfr die Kirkeerzhlung des 10. Buchs unserer Odyssee vorbildlich.Warum also sollten nicht ein paar weitere Einzelheiten, wie dasMotiv des Webens und des Gesanges, ebenso entlehnt worden sein? ^)Und schlielich: was ist dies berhaupt fr eine Vorstellung, einaltgriechischer Rhapsode habe eine Gestalt wie die Gttin Kalypsofrei erschaffen" und nur in Umrissen nach dem Portrt der Helios-tochter gebildet! In so alter Zeit erschafft nicht ein Dichter einfacheine Gottesgestalt aus freier Phantasie, wie etwa unser Mbike sichseine Weyla im Land Orplid ersann. Nach allem, was wir wissen,benutzten die Aoiden vorliegende Sagengestalten und lebendigereligise Vorstellungen, aber keineswegs gestalten sie Gottheiten ausdem Nichts; dies htten ihre Hrer gar nicht verstehen knnen, jasie wren leicht verletzt worden in einer Zeit, als der religiseGlaube doch noch durchaus lebendig war. Nur aus allgemein be-kanntem Sagengold haben die althellenischen Snger ihre olnaL aus-gemnzt, vorliegendes Material haben sie vielleicht auch variiert undverschieden in Einzelheiten dargestellt; wren dem Hrer aber dieHauptzge des epischen Stoffes nicht vertraut gewesen, so httensie den epischen Balladen gar nicht folgen knnen. Wie htte sichda ein Aoide unterfangen sollen, von einer niemand bekannten NympheVerhergerin^^ denn jedermann mute den Namen so verstehen zu singen, wie htte er Verstndnis fr seine neuerfundene, fingiertePerson" erwarten drfen? 2) Nein, zur Zeit des epischen Sangsstand die Poesie mit dem religisen Leben, dem Volksglauben, mitSagen und Mrchen immerhin in so engen Beziehungen, da das

    ') Zudem ist dies ein so allgemeines Motiv, da wir zur Erklrung dieses derKalypso und Kirke gemeinsamen Einzelzugs nicht einmal zu solchem Mittel zu greifenbrauchen. Was sollte eine gttliche Frau, wie sie hier geschildert wird, anders tun?In welcher sonstigen Beschftigung htte der Dichter seine Heldinnen schildernknnen? Pindar. gebraucht von einer Nymphe das Beiwort /^voaXnarog Nem. 5, 36.Von den Nymphen auf Ithaka heit es v 107 f.

    :

    iv 6' laxol Xi&eoi nsQifjii^xeeg, sv&a ze vvfxcpai(paQe' v

  • 12

    vllige Neuschaffen einer Grottheit, von der ein ganzes Einzelliedhandelt, ein Ding der baren Unmglichkeit ist.

    Wenn es auch ein richtiger Gedanke sein mag, da Bezeich-nungen gttlicher Wesen mit durchsichtigen Namen sich nicht gutzu einer individuell gedachten Gttergestalt eignen, so steht esandrerseits natrlich sicher, da eine ganze Reihe von Gttern undDmonen durchsichtige Namen tragen.') Mag Kalypso also gewinur eine Sondergottheif^ im Sinne Useners gewesen sein, vielleichtauch nur Beiname" oder Hypostase" einer anderen Gottheit, jeden-falls wird der Dichter die Gestalt als solche im Volksglauben bereitsirgendwie vorgefunden haben. Man mu den redenden Namen" derNymphe brigens richtig auffassen. Man hat gemeint, eben diesesdurchsichtigen Namens wegen sei sie eine bloe Phantasiegestalt;dazu stimme, da sich so drftige, von Homer unabhngige Zeugnisseber sie aus spterer Zeit vorfinden. Auch wir geben selbstverstnd-lich zu, da Kalypso keine persnlich gedachte, Aveitverehrte Gottheitwar; da wir aber andrerseits das Vorhandensein einer sivt) dsgKaXvipco im Volksglauben unbedingt voraussetzen, erklren wir esuns gerade aus dem durchsichtigen Namen, da sich Kalypso nichtzur vollen Gottesgestalt entwickeln konnte: eben dieser deutlicheName verwehrte das Ausreifen dieser Sondergottheit" zur persn-lichen Gttin. Solche Sondergottheiten, die Schwestern der Kalypso,werden wir spter nachzuweisen versuchen.^) Wenn Kirke in Kunstund Kult eine viel grere Rolle gespielt hat, so hat dies seinebesonderen Grnde; vor allem war die Geschichte von der Zauberinin Sage und Mrchen viel volkstmlicher und gab einem Maler diedankbarsten Motive, 3) die bei der verinnerlichten Motivierung desKalypsolieds so gut wie ganz fehlten. Vielleicht kommen auch be-sondere Umstnde hinzu, die uns erklren, warum Kalypso sichweniger fr kultische Verehrung eignete.*) Zudem fehlt es nichteinmal gnzlich an jeder Spur einer Verehrung dieser Nymphe, ihrName kommt mehrfach sonst vor, wenn auch nur in kurzen Notizen.^)Man hat bereits darauf hingewiesen, da Kalypso mit Milet) zu-

    ') vgl. dazu Verf. Reimwortbildungen S. 203 ff.2) S. unten Abschnitt 17.3) vgl. die Kirkedarstellungen bei Rscher, M. L. II, 1, 1195 ff.*) Bilder der Kalypso gab es im Altertum mehrere, z.B. von Nikias; Plin.

    34, 133 erwhnt neben lo und Andromeda eine Darstellung Kalypsos. Dazu dieHesperide" Kalypso der Asteasvase, s. Immisch bei Rscher 942 ; Lamer bei Pauly-Wissowa-Kroll X, 1802 ff.

    ^) V. WiLAMOWiTZ, Unters. 139.8) auf Kreta?

  • sammen genannt wird: Eustath. zu Dionys. 823: X^yetai de ttjv Kalv-xpovQ vfj6ov MiXrjTov yJ.7jd^ijral xots. Es liegt doch nahe, hier aueinen alten Kult zu denken. Vor allem aber scheint bei Puteolieine Heroine Kalypso als Wasserg'ottheit und chthonische Gttinwegen des Avernersees verehrt worden zu sein. Bei Cassius Dio 48, 50 1)liest man : sgya^ofitvcov ' avxmi^ sixcov riq vjceq rf/g jiovQvi
  • 14

    punkt einer gro ausgefhrten Episode zu machen, die nachweislichauf die homerische Darstellung des Kirkeabenteuers eingewirkt hatund also ihr Original an Originalitt berragt! Zudem sieht dieoifiri der Kalypso mit ihrem dichterischen Gehalt wenig nach einembloen Fllstck" aus. Schon die Rcksicht auf das poetisch tiefsteund schnste" Buch der Odyssee') htte jene Deutung als bloesFllsel verwehren sollen. Dazu kommt ein weiterer Umstand, derdiese uerlich-oberflchliche Auffassung der Kalypsoepisode verbietet:glaubt man denn wirklich, der Zeitraum von sieben Jahren sei nurdie zufllige Additionssumme, die man zur Zeitdauer der anderen,ursprnglicheren Abenteuer lediglich deswegen hinzuzhlen mute,um eine runde Dekade zu erhalten? Wie, wenn gerade umgekehrtdieser Gedanke uns ein Beweisstck mehr fr die unbedingte Selb-stndigkeit und das Alter des Kalypsolieds ergbe? wie, wenn dieZeitangabe bei Odysseus' Aufenthalt auf Ogygia vielmehr die vonvornherein gegebene Gre war, nach der sich die Zeitberechnungder anderen Abenteuer richten muten, wollte man anders den ab-gerundeten, zehnjhrigen Nostos erhalten? Die Ursprnglichkeit einessiebenjhrigen Zeitabschnitts wird durch die zahlreichen Analogien 2)erwiesen, in denen die siebenjhrige Zeitspanne in hnlichen Sagenwiederkehrt. 3) Und wre es nicht in der Tat hchst seltsam, wennman einem lediglich zur besseren Abrundung beigesteuerten Stoffe,einem bloen Fllsel mehr als die Hlfte des ganzen Zeitraums derAbenteuer des heimkehrenden Odysseus eingerumt htte, 4) wennman mit diesem Fllstck selbst die ganze Dichtung htte einsetzenlassen! Glaube das, wer es mag! Fr uns ist eben dies aus derZeitangabe genommene Argument ein gutes Beweisstck mehr frdie Ursprnglichkeit und Selbstndigkeit des Kalypsolieds.

    Endlich fragt man sich bei jener Hypothese vllig vergebens,was eigentlich einen Aoiden zum Erfinden seiner Phantasiegestalthtte veranlassen knnen. Der Dichter unserer Odyssee htte ja denHelden genau so gut von der Insel Kirkes zu den Phaiaken kommen,htte ihn viel lnger bei Kirke verweilen lassen knnen. &) Er mochte

    1) V. WiLAMOWiTZ, Ilias und Homer 488.2) Vgl. EosCHER, Abhandl. d. kgl. schs. Ges. d. Wiss. XXIV, Nr. 11, 1906.) Vgl. ^285: tnxeTsq fievov und den siebenjhrigen Nostos des Menelaos.*) Mit Recht meint Radermacher, Die Erzhlungen der Odyssee, 1915, S. 49

    :

    Der lange Aufenthalt auf Ogygia ist in der Tat das Eigentmlichste an der ganzenGeschichte, weil er in der konomie des Epos sehr wenig begrndet ist." Wohl;daraus ergibt sich eben, da der Zeitraum von 7 Jahren von vornherein der Kalypso-geschichte eignete, als sie noch selbstndige oiixri war.

    ^) S. auch H. Dkaheim, Die Odyssee als Kunstwerk, 1910, S. 118.

  • 15

    mit Leichtigkeit schildern, wie etwa infolge der greren Zauberkraftdes Helden eine Leidenschaft Kirkes einsetzte. Wem die gewhnlicheDarstellung der Kirke aus irgend einem Grunde nicht gefiel, demstand es ja frei, im einzelnen neu zu motivieren und besondereCharakterzge im Bilde seiner Heldin umzugestalten : allein aus diesemGrunde wre er gewi nimmermehr dazu gekommen, auch den Namenseiner Nymphe zu ndern und von dem Grundmotiv der zauberkundigenHexe und listigen Gttin abzugehn.

    Vllig verfehlt ist schlielich die seltsame Ansicht, Kirke sei einsemitischer Name, er stamme aus dem Syrischen" und bedeute dieUmhllerin" : Kalypso sei also die griechische bersetzung dersemitischen Kirke, und daraus ergebe sich die Abhngigkeit derHerrin von Ogygia von der Mrchenhexe. Ich wrde diese Phantastereigar nicht erwhnen und sie zu dem Kehrichthaufen so manch anderersemitischen Homerdeutungen stillschweigend geworfen haben, i) httesie nicht in einem so trefflichen Kenner der griechischen Mythologiewie Gruppe'^) einen Vertreter gefunden. Wie sich damit seine Auf-fassung von Hestia als der verhllten" deckt, ob dies etwa aucheine bersetzung aus dem Syrischen" sein soll, entgeht mir.^) Vonallem anderen zu schweigen, was gegen diesen bizarren Einfall spricht,sei nur auf die Unklarheit des Ausdrucks syrisch" hingewiesen: wassoll das Syrische, das wir erst aus nachchristlicher Zeit kennen, freine althomerische Gttergestalt beweisen? Setzen wir aber auchphnizisch" ") oder altsemitisch" dafr ein, so gewinnen wir keinerleisprachliche Anzeichen fr jene Behauptung. &) Die Etymologie" desKirkenamens ist nicht sicher, aber jedenfalls sind aus dem griechischenSprachgut selbst soviele Deutungsmglichkeiten zu gewinnen, da es

    ') Vgl. z. B. Champault,Pheniciens et Grecs en Italic d'apres l'Odyss^e, 1906.

    Gar vieles auch in Bbrard, Les Pheniciens et l'Odyss^e, 1902. ber Jensens Hypo-thesen s. u.

    ^2) Gr. Myth. 709, Anm. 1402.

    ^) Siehe unten.

    *) BifiRARD, Les Pheniciens et l'Odyssee, 1902.

    ^) Wenn Gruppe, a. a. 0. 1402 Kirke mit rp'D wiedergibt, so soll damit wohlsyr. -13 Burg, Festung" in Zusammenhang gebracht werden. Ein syr. "r^na ver-hllen" ist nicht vorhanden. Da ein solch vager Anklang zweier zeitlich so weitabstehenden Sprachen, wie es homerisches Griechisch und Syrisch sind, auch nichteine Spur besagen will, brauche ich nicht erst zu begrnden. Da lge es nher,KiQXT] mit xQLxoq, xiqxovv, lat. circus z\i verbinden und etwa an den Zauberkreis,der bei magischen Handlungen eine Eolle spielt, zu denken! Sogar der stets nacheiner Semitenetymologie lsterne Lewy, Die semitischen Fremdwrter im Griechischen,hat Kirke unangetastet gelassen.

  • 16

    mit semitisclien Kombinationen hchst bel bestellt ist. Scheadee^)fate /iT/px/^ als Weberin" zu xq^ym, tcqoytj, Yg\. K^Qxlq;''-) abertrotzsolcher Dubletten wie xiQxog : xQixog leuchtet dies weder aus sprach-lichen noch aus sachlichen Grnden ein. Das einzig Wahrscheinlicheist xiQxog, xiQxr/ als das zu nehmen, was es im Griechischen sonstist; nmlich als Vogelnamen, 3) Da Frauennamen von Tieren ge-nommen sind, lt sich leicht nachweisen,^) man denke nur an MiXirra,XsXiviov usw., vor allem an Penelopeia.^) Ob in dem Namen dasHabichtsartige" im Charakter Kirkes ausgedrckt sein sollte, oderob es noch ein Nachhall an die Hexe sein mag, die im Mrchen oftVogelgestalt annimmt, ) lassen wir billig dahin gestellt.

    Weder aus dem Namen Kirkes noch aus ihrem Charakter undWesen lt sich irgendwie nachweisen, da sie das Vorbild fr Kalypsoabgegeben htte. Kalypso gehrt keinem anderen altgriechischenSagenkreis an, also ist die ihr geweihte Episode ein altes Glied derOdysseussage. Die jetzige Odyssee ohne Kalypsolied ist jedenfallsundenkbar; mag man ber das vielbeachtete Schweigen des bettler-gestaltigen Odysseus von seinem Verweilen auf Ogygia in seinen Er-zhlungen vor Penelope, t 978, denken, wie man will, jedenfalls bedeutetdas Kalypsoabenteuer den Hhepunkt der Prfungen des Helden; mitihm setzt der Dichter ein, und man hat mit vollem Recht betont,

    ')

    das Gegenstck zur Treue des Odysseus sei das Bild seiner Gattin,die allen Einwirkungen der Freier trotzend bei Nacht das Gewebewieder lst, das sie tagsber gewirkt. Gerade in dieser gegenseitigenGattentreue liegt das Grundmotiv unserer Odyssee, und ohne Kal3''pso-lied ist diese ethische Vertiefung undenkbar. Streichen wir es, so fehltnicht nur die schnste Dichtung, es fehlt auch der ethische Grund-gedanke, der durchs ganze Epos geht; was bleibt, ist ein Mrchenbuchvon Reise- und Seeabenteuern, wie Sindbads Reisen in Tausend undeine Nacht". Gerade bei Kirke aber vergit der Held der Heimkehr,seine Gefhrten mssen ihn an seine Pflicht erinnern; wie dieserWiderspruch im Vergleich zum Grundgedanken von der Gattentreueallgemein und zum Charakter des Odysseus im besonderen sich aus

    ) Sprachvergleichung und Urgeschichte', 523.2) bei Bechtel, Histor. Personennamen d. Griechischen, 1917, 603.*) So auch V. WiLAMOWiTZ, Ilias und Homer, S. 488.) s. Bechtel, Die attischen Frauennamen, 1902, 86 ff.^) Meriners Deutung dieses prosaischen Namens als Gewebewirkerin" kann

    ich nicht hilligen, vgl. auch Solmsen, KZ. 42, 232.) so Radebmachbr, Sitzungsb. d. kaiserl. Ak. in Wien 178,1, 1915, S. 8,

    Anm. 4.n Lambr bei Pauly-Wissowa-Kroll^ X, 1798 f.

  • 17

    der Entwicklung des Epos erklren mag, kann uns hier ganz gleich-gltig sein: nur erfasse man von diesem Gesichtspunkt aus, vomGrundmotiv der Gattentreue, die ungeheuerliche Behauptung, dasBild Kalypsos und das Verweilen des Helden auf ihrer Insel sei nachder Kirkegeschichte geformt!

    Kirke ist eine Gestalt wie Medeia und Agamede, wie Pasiphaeund HeJcate; sie kam in Sage und Mrchen auch auerhalb derOdyssee noch nachweislich oft vorj) Was wunders, da sie auch indem nationalen Epos der Odyssee, wo schon soviel einzelne Mrenund Mrchen eine Stelle gefunden hatten, eine Sttte erhielt? Esdurfte doch bei der Schilderung all der mannigfaltigen Gefahren, diedem herumirrenden Helden drohen, neben den Menschenfressern, Riesenund Seeungeheuern die Hexe und Zauberin nicht fehlen! So kamaus anderen Sagenkreisen und beliebten Mrchen Kirke auch in dieOdyssee; lokale Verschiedenheiten in der Schilderung von Odysseus'Erlebnissen mgen gleichfalls eine Rolle gespielt haben, ehe das Eposals ganzes entstanden war. Wir kennen ja auch sonst solche Parallel-motive, wie z. B. Hadesfahrt und Teiresiasbeschwruug als vexQoiiavreiaauf der Oberwelt oder den Zorn Poseidons ber Polyphems Blendungals Grundmotiv der Irrfahrten neben dem Zorn des Helios ber dieTtung seiner heiligen Rinder usw. Mglich ist also von vorn-herein, da die Kirke- und Kalypsoballade einst selbstndige Liederwaren, denen der gemeinsame Grundgedanke von der Fesselungdes auf die baldige Heimkehr bedachten Odysseus durchschne Frauen zugrunde lag: aber daraus folgt doch immer nochkeineswegs, da Kalypso nach dem Muster der Kirke von einemAoiden geschaffen sei; im Gegenteil, bei solchen Parallelmotivenhandelt es sich um einen berflu an Stoffmenge, und so wrde sichvon diesem Gesichtspunkt das Kalypsolied als durchaus selbstndiges,vllig unabhngiges und ebenbrtiges Gegenstck zur oif^rj von derKirke herausstellen, Kalypso und Kirke wren bei dieser Auffassungerst recht von Haus aus voneinander ganz unabhngige Gestalten.

    Eine gewisse uere hnlichkeit allgemeinster Art mit denGeschichten von Kalypso und Nausikaa begnstigte diese Aufnahmedes Kirkemrchens nur, da der Held jetzt von drei schnen Frauen,aber stets in anderer Weise, gefesselt und auf der Heimfahrt auf-gehalten wird. So verstehen wir den nachweisbaren Einflu, den dieDarstellung des Kalypsoabenteuers auf die Kirkegeschichte unserer

    *) H. Draheim, Die Odyssee als Kunstwerk, S. 50, betont mit Recht, da dieFlankten und die Kirkegestalt aus der Argonautensage stammen

    , 0. Seeck, Quellender Odyssee S. 270, da Hekats die Tochtes des Perses, Kirke die der Perse sei.

    H. Gntert, KaljT)8o. o

  • 18

    Odyssee ausgebt hat. Darf man aus dem Fehlen des Aufenthaltsbei Kalypso in der Bettlererzhlung, r 273 ff., schlieen, da es einsteine Odysseedichtung ohne Kalypso gegeben hat,') so ist bei dieserVoraussetzung erst recht nicht daran zu denken, da Kalypso nachder Kirkegestalt gebildet sei, gerade weil die beiden Motive so vlligverschieden sind: die Kirkegeschichte ist Bestandteil des Buchs derSeeabenteuer und Irrfahrten und stammt sehr wahrscheinlich aus denliQyovavTixd, mit dem Kalypsolied dagegen kommt erst das neueGrundmotiv der beiderseitigen Gattentreue in die Dichtung. Man hatweiter'^) mit Recht bemerkt, da in der uns vorliegenden Odysseevon einer verliebten Nausikaa" keine Eede sein kann. Aber es istgar nicht unmglich, da das Motiv einer Zuneigung der Knigstochtereinst in der Tat in der noch selbstndigen otfaj von den Phaiakeneine grere Rolle gespielt hat. Die breite Schilderung, die dieserFigur gewidmet ist, lt diese Vermutung leicht aufkommen; wardoch auch in Goethes Nausihaa-Flan diese Liebe Nausikaas alsHemmnis der Heimkehr des Helden das Grundmotiv. Freilich wersich diese liebende Nausikaa einmal denkt, fr den wirkt die Wieder-holung eines Motivs, das eben erst in der Kalypsoepisode so breitausgefhrt war, hchst ermdend und strend: die gttliche Nymphekonnte mit dem Versprechen ewiger Liebe und mit ihrer Feenschn-heit dem Odysseus viel strkere Fallstricke legen, als Nausikaa, diesterbliche Knigstochter. Es ist mir daher recht wahrscheinlich, danur deshalb, um eine Wiederholung des gleichen Motivs zuverhindern, bei der Komposition der jetzigen Odyssee die Liebeder Phaiakenprinzessin von dem Dichter zurckgedrngt worden ist. s)Mir jedenfalls erscheint in diesem Sinne die innerliche hnlichkeitvom Liede der Kalypso mit dem von Nausikaa grer, als jeneuerlichen Zge, die Kirke mit der Nymphe auf den ersten Blickgemeinsam zu haben scheint. *) Daraus folgt aber keineswegs etwa

    1) So Lambr bei Pauly-Wissowa- Kroll, X, S. 1798.*) V. WiLAMOwiTZ, Untersuchungen VIIL8) Gibt es doch sogar eine Tradition, da Telemach Nausikaa geheiratet habe.

    Siehe dazu Hartmann, Sagen vom Tod des Odysseus, 177, Anm. 12.*) Die Phaiaken waren einst Totenfergen, Alkinoos einst ein Hllenfrst,

    wofr z. B. selbst v. Wilamowitz, Ilias und Homer, 491, eintritt; Arete mu alsoeine Totenkuigin gewesen sein, wofr noch in der jetzigen Phaiakengeschichteunserer Odyssee ihre groe Selbstndigkeit spricht: Odysseus mu sich an Aretenach dem Rate Nausikaas wenden (^310), nicht an Alkinoos. Bercksichtigen wiralso erst, was einst Nausikaa gewesen sein mu, die der Dichter dann so ganz ver-menschlicht hat, dann wird die hnlichkeit dieser Knigstochter" mit der NympheKalypso" immer grer. An die Formel Xi?.aiofxsvTj naiv eivai, die a 15 aufKalypsos Sehnen geht, klingen Nausikaas Mdchenwnsche berraschend an (t, 244 f.):

  • 19

    eine gegenseitige Abhngigkeit der dichterischen Gestalten von Kalypsound Nausikaa, obwohl die Shne der Nymphe, Nausithoos und Nausinoos,die nach Hesiod theog. 1017 ihrem Liebesbunde mit Odysseus erblhten,ihre Namen unverkennbar von Nausikaa und dem Phaiaken Nausithoos i)bezogen haben. 2)

    Mit v^eiteren Schilderungen des Seelenleids und des Schmerzesder Kalypso bei und nach dem Abschied des Odysseus gibt sich derDichter der homerischen oXiirj nicht ab, wie es berhaupt die Artder alten Aoiden war, Beschreibungen und Ausmalungen seelischerZustnde aus dem Weg zu gehen; zudem steht die homerischeSchilderung durchaus auf selten des Helden. Sptere Dichter aberhaben dies auch vom anderen Standpunkt geschildert: in alexandri-nischer Zeit gab es jedenfalls ein vielgelesenes Gedicht ber Kalypso,vielleicht von Philetas, das spter die rmischen Dichter benutzt zuhaben scheinen; Ovid behandelt in der ars amat. 11, V, 125 ff. dieEpisode, vor allem aber hat Properz sich wiederholt 3) mit dem Stoffbeschftigt, und er steht auf selten der verlassenen Kalypso, er ltsie tief empfundene Klagen um den treulosen Helden aussprechen:Multos illa dies incomptis maesta capillis sederat iniusto multa locutasalo*) Man hat ferner schon fter die hnlichkeit zwischen DidosSchmerz um den scheidenden Aeneas und Kalypsos Trauer wegenOdysseus verglichen;^) es ist kein Zweifel: auch Vergil wird vondiesem alexandrinischen Gedicht ber Kalypso, wie Ovid, Properzund Naevius, angeregt worden sein. 6) Ja es scheint, da ein spterDichterling, der seinen Homer wenig verstand, unter dem Eindruck derLiebesgeschichte von Aeneas und Dido sich auch die Gttin" Kalypsoals Selbstmrderin vorstellte! Bei Hygin^) steht diese fade Geschmack-losigkeit: Calypso Atlantis filia propter amorem Ulyssis ipsa se interfecit.Kalypso unter den liebeskranken, selbstmrderischen Heroinen! s)

    ai yccQ ifxol roiooe noiq xexkrjfisvog eir],ivd-e vaieidiov xai oi aSoi avr&i (xifxvEiv . . .

    f] 56.

    ^) . Hartmann, Untersuchungen ber die Sagen vom Tod des Odysseus,Mnchen 1917, S. 103.

    8) 1,15; 111,21; V, 9ff.*) I, 15, 11.

    *) FiNSLER, Homer in der Neuzeit, 1912, 299, 370.) s. auch Maas, Orpheus 279, Anm. 67.') Fabul. 243, p. 136.^) Dabei mag man sich allerdings entsinnen, da Nymphen zwar lnger leben

    als Menschen, jedoch keineswegs unsterblich sind. Kalypso aber erhlt ja fter dasBeiwort &e, 6siv^ &e6g ?? 255, ^449; Za &ecov 14, e 78, 85, 116, 180, 202 usw.,um vor solchen Ansichten geschtzt zu sein. Kalypso war eine Gttin, nicht nurein liebendes Weib; das mu immer wieder gesagt sein.

    2*

  • 20

    Und doch ist auch bei Homer die Liebe der Nymphe deutlichgeschildert; man beachte ihre leidenschaftlichen Klagen, als Hermesihr Zeus' Befehl mitgeteilt hat'); fast klingt es wie ein wehes, leiden-schaftliches Aufschluchzen. Wie bezeichnend ist der kleine Zug, alssich Kalypso auf Odysseus' Forderung zum feierlichen Eidschwur ent-schlieen mu: schmerzlich lchelt sie ber des Helden bervorsichtigeKlugheit, der hinter ihrer pltzlichen Aufforderung, sich im leicht-gefgten Flo aufs brausende Weltmeer zu wagen, nur eine furcht-bare Tcke vermuten konnte: sie streichelt ihn liebkosend^): i^Lgirt fiiv xartQs^evl Und selbst beim letzten, gemeinsamen Mahle verrtsich ihre innere Erregung in dem Versuch, immer noch einmal denHelden zum Verweilen zu berreden, vor allem auch in den etwasneidischen Worten, mit denen sie Penelopes gedenkt 3):

    .... IfieiQfievg jcsq lid-aiGrjv Xoyipv, xfjq t' uIev hileai rj/iara jidvra.ov fiiv d^rjv xsivr/g ys ^tQcov evionai dvaiov tfiag ovs q)vi]V, tjctl ov jccog ove eoixti^d-vrirg d^havdri^OL dtfiag xal Eidog eQiCsn\

    Beim Abschied hat freilich Homer fr die Gefhle der ver-lassenen Nymphe" keine weiteren Worte; trotzdem ist mir unver-stndlich, wie man*) behaupten kann, eine verliebte Kalypso seiunhomerisch, wo doch die Gttin wenigstens in der jetzigen Moti-vierung der Odyssee nur der Liebe und Ehe wegen den Helden zurck-hlt. In der Kalypsoepisode ist sogar weit mehr der Stimmung undinneren psychologischen Motivierung Rechnung getragen als in denanderen Teilen des Epos, und wenn man gesagt hat, das Kalypsoliedmit seiner sehnschtigen Stimmung sei ein Produkt der Kunstpoesieund setze eine lange Entwicklung voraus, 5) so will ich das nichtleugnen; ich sehe aber nicht, weshalb dies in unserer Frage eineRolle spielen sollte, da ja zugegebenermaen trotzdem das Kalypso-lied lter ist als die Darstellung des Kirkeabenteuers, und da unsereOdyssee ohne Kalypso undenkbar ist. Alt" und jung" sind hier sehrdehnbare Begriffe, wo wir hinsichtlich der Persnlichkeit der Aoidendoch so vllig im Unklaren sind: jedenfalls war es ein hochbegabter,feinsinniger Dichter, der zuerst das Lied von Odysseus und Kalypso

    >) e 118 ff.) 6 181.') e 209 ff.*) Maas, Orpheus 279, Anm. 67.6) Homer. Unters. 139.

  • 21

    gesungen hat; auf seine Kunst ist die von der sonstigen Technik sostark abweichende Grundstimmung dieser Episode zurckzufhren.

    Es war gewi nicht der Odysseedichter, d. li. der Dichter deruns heute vorliegenden Odysseedichtung; denn es wird sich baldzeigen, da an der alten ot//?/ nderungen und MotivVerschiebungenvorgenommen worden sind, weil die Episode zum Ausgangspunkteiner ganz neuen Motivreihe, nmlich der Gattentreue, gewhlt wurde.Der Dichter unserer Odyssee bentzte die alte o'/,a/y, die vielleichtKaXvipovg vTQov geheien haben mag,i) weil sie ihm ohne weiteresdie Zeitspanne von sieben Jahren ausfllte. Dabei aber mute einevllige Uramotivierung der alten Geschichte, des alten Verhltnissesvon Odysseus und der schnlockigen Nymphe, eintreten; doch brauchteder Dichter nur zu verwischen, die scharfen Konturen des altenBildes zu mildern, und jenes Einzellied war fr seine Absicht ver-wendbar. Die Frage, ob die Freierwerbung erst bei dieser Durchfhrungdes Motivs von der beiderseitigen Gattentreue eingelegt wurde,^) undwie die Telemachie damit zusammenhngt, geht ber den Rahmenunserer Untersuchung hiiaus. Wir sehen, welch glckliche Handv. WiLAMowiTz hatte, als er in der Kalypsoepisode noch deutlich einin sich gerundetes Einzelgedicht erkannte. Als dann die ganz selb-stndig und unabhngig von dem Kirke- und Nausikaastoff entstandeneoififj mit den vielen anderen Einzelliedern zu einer einheitlichengroen epischen Dichtung, unserer Odyssee, vereinigt, umgedichtetund berarbeitet wurde, knnen in Einzelheiten leicht von jenen ver-wandten Motiven Ausgleichungen und Einflsse hinber und herbererfolgt sein: die Gestalt der Kalypso aber und die ganze Stimmungder alten Ballade blieb in der Hauptsache gewahrt. Davon, da erstnach dem Muster der Kirke ein Dichter aus freier Phantasie undnur in Variation des Kirkeabenteuers eine Nymphe Verbergerin"vllig neu geschaffen habe, kann nach unserer. Prfung keine Redemehr sein. Wie die Verwertung der alten Kalypsoballade im einzelnenvor sich ging, ist fr unser weiteres Ziel, die Erforschung vonKalypsos eigentlicher Natur, ganz gleichgltig, 3) und ich habe nichtdie Aufgabe, ber die Stellung des Kalypsolieds im Ganzen der

    ') Aelian nat. anim. XV, 28: Ikyovoi 8e xal zovg axmaq (atv xal"OfxrjQog evOvaada fxtfirtjTai At/cov noXXovq avzorq negl x6 avTQOv x6 ttjq KaXvxpovq ev-vat,eoO-ai) xal txeivovq u'/.loxeoO^ai oq/j'josi. Doch lege ich weniger Wert alsImmisch bei Rscher 940 auf diese Angabe.

    ^) Lambr bei Pauly-Wissowa- Kroll X, 1798.*) Man vgl. V. Wilamowitz, Homer. Unters. 136 ff., Ilias und Homer 488;

    Hennings, Homers Odyssee, 1903, 160 ff.; Seeck, Quellen der Odyssee, 1887, 269;FiNSLER, Homer^ 415 ff.; Lambr bei Paul-Wissowa-KroU X, 1793 ff.

  • 22

    Odyssee weitere Untersuchungen anzustellen oder gar zur meist allzunegativen Zerfetzungsarbeit und der oft bertriebenen Fugen- undNhtespherei mancher modernen VfjfjQOf/dariyeg mein drftiges Scherf-lein beizutragen. Vielmehr gestatte man mir, ein herrliches Wortanzufhren, womit v. Wilamowitz ') die oYfitj von Kalypso charakteri-siert hat: Eine Blume von diesem Dufte neben anderen Blumenmit anderen Dften in dem Straue des groen Epos zu finden,wahrlich das ist mehr wert als ein von Grund aus einheitlicher Plan,einheitliche Auffassung und Stil, die man doch nur dann dem Gedichteaufzwingt, wenn keiner seiner Teile zu seinem Rechte kommt."

    3.

    ^enn Kalypso nicht die freie Phantasiegestalt eines althellenischenDichters sein kann, und wenn sie mit Kirke nur ein paar uer-lichkeiten gemeinsam hat, sich im Charakter aber vllig von ihrunterscheidet, dann erwchst uns freilich die Aufgabe, das Wesenund die ursprngliche Natur dieser Gttin und jenen ursprnglichenSinn der Geschichte von Odysseus und dieser Nymphe" zu erforschen.War es eine wirklich lebendige Gestalt der Sage und des Volks-glaubens, die der Aoide zuerst fr seine olfj?] dichterisch verwendete ?Nicht mehr darum handelt es sich jetzt, was Kalypso in unsererOdyssee bedeutet, und welche Rolle sie der Dichter spielen lt,sondern um das Wesen der vorhomerischen Kalypso. Denn nachunseren frheren Ausfhrungen lehnen wir die Ansicht ab, dieseGttin sei nur eine fingierte Person", ein liebendes Elementarwesen,fr den irrenden Odysseus und nur fr ihn von der Phantasie desVolks geschaffen und vom Dichter mit schpferischer Kraft gestaltet",'^)sie sei nichts als eine Nymphe wie tausend andere", und ihre Inselsei eine Insel des Weltmeers wie tausend andere". 3) Hoffentlichgelingt es mir, im weiteren Verlaufe unserer Untersuchungen dieUnrichtigkeit dieses rein negativen Ergebnisses zeigen und wahr-scheinlich machen zu knnen, da die Sage von Odysseus und Kalypsoauf uralten Volksanschauungen und religisen Vorstellungenberuht, und da erst der Dichter unserer Odyssee dieseGttin aus knstlerischen Grnden schrfer bezeichnenderEigenschaften beraubt hat.

    ') Ilias und Homer S. 489.2) Kranz, Hermes 50, 106.*) V. Wilamowitz, Homer. Unters. 115.

  • 23

    Auch CliiuppE 1) ist iiiclit bei jeiiein negativen Resultat geblieben'-)und hat sich bemht, die Gestalt der Kalj^pso mit anderen Gottheitenin Zusammenhang zu bringen und die Vorstellungen zu ergrnden,die zur Bildung dieser Gottesgestalt gefhrt haben. So einverstandenich aber auch mit dieser prinzipiellen Voraussetzung bin, da esnmlich Aufgabe der Forschung ist, in Sage und Religion nach Vor-stellungen zu suchen, die Kalypsos Wesen uns erlutern knnen, daKalypso wirklich eine Gottheit war, ehe sie ein Dichter zur Heldineiner Dichtung erkor, so kann ich Gruppes weiteren Ergebnissenleider nicht zustimmen. Nach ihm soll Kalypso eine ParallelgestaltHesas sein; denn einmal werde Ogygia fiqaXlc O-aXdaotjg^) genannt,Hestia aber erhalte Eurip. Ion 476 das Beiwort fi6{j^a/iog. Dannfhrt er fort^): Kalypso ist die Verhllerin" oder die Verhllte",und eben dies scheint Hestia &) zu bedeuten. Kalypsos Namen scheintaus dem Phoinikischen bersetzt; er hngt damit zusammen, da derMensch die Feuergttin nicht unverhllt" schauen darf. Dies wirdin der indischen Legende von Urvasl erzhlt, deren Namen das untereReibholz bezeichnete. In welchem Sinne dies verhllt genannt wurde,ist aber ganz dunkel, und es steht auch keineswegs fest, da auchdie alten Boioter unter ihrer Hestia das untere Reibholz betrachteten.Umdeutungen knnen nicht ausgeblieben sein. Nannten sie den HerdUmhllerin", weil sich die Schutzflehenden verhllt an ihm nieder-setzen?" Diesen Ausfhrungen kann ich freilich in keiner Weise bei-stimmen; die Etymologie von Vesta als Verhllte" steht auf sehrschwachen Fen. 6) Die Annahme, Kalypsos Name sei eine ber-

    1) Gr. Mythol. u. Rel. II, 1402 u. .^) Von frheren Auffassungen erwhne ich nur die von Schwartz, Ursprung

    der Mythologie, 1860, 105; Poetische Naturanschauungen, 1879, II, 18, KalypsosInsel sei die verhllende Wolkeninsel" gewesen und der Nabel des himmlischenMeeres" genannt worden. Nach Ngelsbach-Autenrieth, Hom. Theologie ^ 87 f.sollen Kalypso und Atlas Symbole der Schiffahrt" (!) sein, hnlich B:^rard, LesPheniciens et l'Odyssee. Nach Skeck, Quellen der Odyssee, 1887, S. 269 bezeichnetder Name Kalypso nichts anderes als die Nacht", was Fries, Mitt. vorderasiat. Ges.,1911, XVI, 181 u. 187 billigt, s. dazu Lamer bei Pauly-Wissowa-KroU'' X, 1777 ff.AUe diese Hypothesen bedrfen keiner weiteren Widerlegung. In dem phantastischenWerk von Ernst Krause, Tuisko-Land, 1891, der erweisen will, da die Edda lterist als Homer, finde ich Kalypso als Unterweltsgttin aufgefat und mit der skandi-navischen Hulda verglichen S. 564 ff. : unter Bergen von Schutt und Gerll einKrnchen Wahrheit ! (s. u.).

    ) 50.

    *) a. a. 0. II, 1402.

    *) Fto-ria; vgl. af/,(fJi-J^eo-vv(zi.

    8) Vgl. die Literatur bei Boisacq, Dict. et. 290 u. 1110, wozu Verf., Eeimwort-bildungen 220, Anm. 1 und Idg. Ablautprobleme 23 ; zum Sachlichen Fbhrle, Kult.Keuschheit im Altertum, 1910, S. 210 ff.

  • 24

    Setzung aus dem Phnizischen, ist vollends eine unbeweisbare,' hchstunwahrscheinliche Vermutung. Die Sage von rvaii hat mit derKalypsoepisode gar nichts zu schaffen, und ich verstehe nicht, wieman sie hier heranziehen will, blo um das Wesen der Verhllungzu deuten. Die Sage von PurUravah und Urvasi ist eine Varianteder Melusinenmrchen; die Apsarase verschwindet, sobald sie den sterb-lichen Gatten nackt sieht, oder sobald der Gatte den Sohn, den sieihm schenkte, als den seinigen anerkannt hat; es kommt also beidieser Sage auf das Motiv an, da die Gttin den Sterblichen ver-lassen mu, sei es fr eine gewisse Zeit, sei es fr immer, wennirgend welche besonderen Geheimnisse nicht gehtet werden.') Woaber, so fragt man sich vergebens, wo begegnet in der Kalypsoepisodeein hnliches Motiv? Fgen wir noch hinzu, da nach Gruppe dieangebliche Feuergttin, die Schwester des Prometheus, doch auchmit der Wassergottheit mphitrite verwandt sein soll, und da siezugleich Zge der Aphrodite tragen soll, so sieht man wohl, wieunsicher die jetzigen Ansichten ber die Natur unserer Nymphe sind. 2)

    Natrlich wurde auch Kalypso, wie nachgerade jede griechischeGottheit, als ursprnglich semitische Schpfung in Anspruch genommenund mit der assyr. Siduri Sabltu gleichgesetzt. ^^ Da dies bei einerGottheit mit so echt griechischem Namen wie unserer Nymphe vonvornherein abzulehnen ist, bedarf fr mich keiner weiteren Worte.Dies schliet freilich nicht aus, da in altorientalischem Glaubenhnliche Gottesgestalten bestanden haben knnen, die man wohl ver-gleichen mag als Parallele, ohne aber zugleich einen geschichtlichenZusammenhang anzunehmen. Eine Prfung lehrt aber in unseremFall, da die Reise des Gilgames mit der Kalypsoepisode unsererOdyssee gewi nichts zu schaffen hat: der semitische Held gelangtnach abenteuerlicher Fahrt durch den finsteren Berg Masu in denGttergarten, der Edelsteine als Frucht trgt und Zweige von Lasur-stein hat. Hier wohnt Siduri Sabitu das Mdchen vom Sahuherg^'-,auf dem Thron des Meeres", mit einer Hlle verhllt". Als sieden Wanderer von ferne erblickt, verriegelt sie vor ihm ihr Tor.*)Erst auf des Helden Drohen gibt sie nach. Die Jungfrau warnt ihnvor der berfahrt ber die Gewsser des Todes, verrt ihm aber

    ^) vgl. darber Kohler, Ursprung der Melusinensage, Leipzig 1895, S. 2 u, 31,sowie Kuhn, Herabkunft des Feuers 73 f., Klidsa, VikramorvasTyam V. Akt.

    2) Das gesteht brigens Gruppe auch selbst ein: a. a. 0. 1143, Anm. 5und 1402.

    3) ScHRADER, Keilschrift u. Altes Testament ' 574, Anm. 3.*) s. die bersetzung bei P. Jensen, Assyr. -babylonische Mythen und Sagen,

    1900 = Keilinschr.- Bibliothek VI, 1, S. 212 f.

  • 25

    dann den Aufenthaltsort des Totenfhrmanns. Gilgame kommtschlielich zum Lebensquell und dem Baum des Lebens; er bemchtigtsich der wunderkrftigen Zauberpflanze, aber unterwegs raubt sie ihmder Erdlwe".') Man wundert sich, da Jensen nicht in Kirke diegriechische Entsprechung seiner Siduri Sabttu erkennt: denn diesegibt doch Odysseus Auskunft bei seiner Hadesfahrt, nicht Kalypso.Von einem gewaltsamen Eindringen des Odysseus bei Kalypso istkeine Rede. Es bleibt also berhaupt nichts Beweisendes brig, alsda in einer Beschreibung einer orientalischen Gottheit gesagt wird,sie sei bekleidet gewesen! Die Stelle heit in Jensens eignerbersetzung wrtlich: sie haben ihr eine (Kleid)schnur gebunden,haben ihr [eine . .

    .] gebunden . . . mit einer Hlle ist sie umhlltund [...]". Wir haben also nur eine einfache Beschreibung derKleidung dieser Gttin; was in aller Welt soll dies mit dem Eigen-namen Kalypso zu tun haben? Man hat, wohl mit Recht, in derSabitu vor allem eine Sibylle gesehen und an die jdische Sibylle Sa(m)-bethe erinnert;^) was aber hat dies alles mit dem Charakter der Herrinvon Ogygia zu schaffen? Wohnt diese etwa auf einem Berge? istsie vielleicht eine Braut ? Nehmen wir noch hinzu, da nach Jensen ')die Knigin Sabttu eine Knigin von Saba oder gar die Kniginvon Saba der Sage" sein soll, so ergibt sich die vllige Haltlosigkeitdieser vagen Phantasien. Nach solcher Methode" kann man auchHerakles' Fahrt zu den Hesperiden oder die Fahrt der Finnenheldendes Kalewala zum Nordlande Fohjola heranziehen.^) Gegenber derallzugroen Bereitwilligkeit, griechische Gttergestalten aus semi-tischen Sprachmitteln abzuleiten, ist die grte Zurckhaltung amPlatz, und in unserem besonderen Falle sind die angeblichen hnlich-keiten schon beim ersten Zusehn in nichts zerronnen.

    ') Vgl. ScHRADER, Keilinschr. u. das Alte Testament'^ 1903, S. 575; P.Jensen,

    Keilinschr.- Bibliothek VI, 1, 212 ff., Zeitschrift fr Assyriologie XVI, 125. 414,Gilgames-epos in der Weltliteratur 1,33, Anni. 3; Jeremias, Hlle und Paradiesbei den Babyloniem 23 ff.

    ') Zimmern bei Jensen, Keilinschr. - Bibl. VI, 1, 470; Bousset, Zeitschr. f.d. neutestamentl. Wissensch., 1902, 23 ff. ; E. Schradbr, Keilinschr. u. d. Alte Testam.'575, Anm.

    ') a. a. 0. 470.

    *) Wer die Hufigkeit des Motivs von der Fahrt nach den Inseln der Seligenin den Sagen der Weltliteratur kennen lernen will, unterrichte sich in der trefflichenArbeit von Zemmrich, Toteninseln und verwandte geographische Mythen, Leipz.Diss. 1891, wo eine Menge Parallelen beigebracht sind; wer diese Sagenflle undSagenhnlichkeiten bei ganz unverwandten Naturvlkern sieht, dem werden solchevoreiligen Hypothesen ber historische Abhngigkeit herausgegriffener Einzelzgein dichterischen Darstellungen immer unertrglicher.

  • 26

    V. Cheist-Schmid 9 fassen, wie v. Wilamowitz , die GestaltKalypsos als eine Variante der alten Zauberin Kirke" und legendabei Wert auf die Verse l 29 35, wo Odysseus bei seiner groenErzhlung vor den Phaiaken von einem Zurckhalten" durch Kalypsound Kirke spricht:

    rj (iiv // avxod' sQVXt KaXv^pio ia ihtdcov,IV Ojciooi yXa(pvQolOi, XiXaiof(tv?j Jioiv drai'(dg 6' avTOjg KiQxtj xartQi'iTVtv Iv (JtydQotivAiair] oXeOa, XiXaiofavrj jtooiv th'afdXX' kfiOV OV JtOTB vflOV tri 0Tl]iy800lV tJltLihoV

    (hg ov\,v yXvTCiov rjg jtarQiog ovds roxrj(X)VyiyveTai.

    Ich kann dieser Stelle keineswegs besondere Beweiskraft bei-messen : es wird nur auf den gemeinsamen Zug, da die beiden schnenFrauen den Helden zurckhielten, aufmerksam gemacht, deshalbbrauchen doch Kirke und Kalypso keine Varianten zu sein. brigensverrt die unertrgliche Wiederholung der beiden Halbverse dieungeschickte Interpolation; sodann aber stimmt es sachlich nicht, daKirke den Helden zurckhalten wollte, sondern er selbst hatte Heimatund Eltern vergessen; sobald seine Freunde ihn gemahnt hatten, istdie Gttin keineswegs gewillt, ihm ernstlich Widerstand zu leisten,und sie lt ihn ziehen. Hier ist also eine ungeschickte Interpolationdeutlich zu erkennen, und zwar passen diese Verse vorzglich auf dieKalypsoepisode : von hier sind sie auch auf die Kirkegeschichte aus-gedehnt worden, und gewi nicht umgekehrt. E. Kohde^) sieht inKalypso nur die Nymphe, die den geliebten Sterblichen entrckenwill; der Gestalt selbst und ihrer Geschichte geht er nicht weiter nach.

    In G. FiNSLERS Homerbuch finde ich lediglich die kurze Angabe,^)der Hain Kalypsos erinnere mit der trbseligen Vogelgesellschaft,die er berge, sehr an den Hain der Persephone; so sei aus einerdsteren Unterweltsgttin in der Poesie die herrliche Gestalt derliebenden Nymphe geworden. So hatte schon Eduard Metee')Kalypso als eine Variante der Totenknigin" aufgefat, worberkein geringerer als E. Kohde s) weidlich gespottet hat. Dieselbe An-sicht finden wir auch bei Gekcke,^) der wenig wahrscheinlich die

    Geschichte der griech. Literatur^ (1908) S. 54, Anm. 3.2) Psyche* II, 374, Anm. 2.) 2. Aufl. 1913, S. 803.

    *) Hermes, 1895, 30, 266, Anm. 3.s) Rhein. Mus. N. F., 1895, 50, 634.*) Neue Jahrhcher, 1905, 15, 326 ff. hnlich bezeichnete A. Dieterich in

    einem Homerkolleg, das ich in Heidelberg im Winterhalbjahr 1905,6 hren durfte.

  • 27

    Behauptung uert: Aber Kirke, Kalypso, Arete, Polyphem gehrtenja wohl ursprnglich alle dem Totenreiche an". Dagegen wendetsich Lamer') mit der Bemerkung, nichts, auch nicht ihre Insel,weise bei Kalypso auf eine Unterweltsgottheit, v, Wtlamowitz-)vergleicht die Nymplie, das gttliche Mdchen", mit Mrchengestalten:wenn Odysseus an diese Insel verschlagen ist und nun dort fest-gehalten wird, so ist das nichts anderes, als wenn in unseren Mrchendie Nixe einen Sterblichen zu sich in den Grund gezogen hat, oderFrau Holle ihn in ihrem Brunnen hlt". Auf das Mrchen, ins-besondere das Elfenmrchen weist endlich auch Radebmacher^) hin,ohne aber zu deutlicheren Motivanalysen und greifbaren Ergebnissenzu gelangen: der an sich gewi richtige Hinweis auf das reicheinternationale Sagengut, auf ein uraltes Weltmrchen", das in demStoff der Odyssee aufgegangen sei, und auf sptere Verwirrung einsteinfacherer Motive ist viel zu allgemein, um uns fr das Kalypso-problem im besonderen zu befriedigen. Gerade das Aufsuchen all-gemeiner hnlichkeiten in Mrchen und Sagen der Weltliteratur, wiees Eadermacher^) versucht, scheint mir im Einzelproblem mehr zustren als zu frdern, solange der Nachweis fehlt, wie historischsolche hnlichkeiten in Sagen, Mrchen und Novellen der verschie-densten, entlegendsten Literaturen aufzufassen sind: das bloe Fest-stellen von allgemeinen hnlichkeiten und vor allem das einseitigeHervorheben eines Einzelmotivs trotz der grten Verschiedenheitenim ganzen Zusammenhang, aus dem es mit Unrecht losgerissen wird,erscheint mir bis jetzt, sobald man in das Einzelne geht, dasVerstndnis der altgriechischen Epen wenig gefrdert zu haben:somit wenden wir uns gleich beim Eingang unserer Untersuchung vondem Pfade der sog. vergleichenden Mrchen- oder Mythenforschung ab.

    Kalypso als Totengttin, ohne aber weitere Beweise hinzuzufgen; er hielt Kirkefr lter als Kalypso. Nur aus der Eezension B. philol. Wochenschr., 1915, Sp. 1563 ff.erfahre ich von einem mir unzugnglichen Werk von Ferkabino, Kalypso. Saggiod' una storia del mito, Turin 1914. Nach dieser Besprechung zu schlieen, drftefr unsere Zwecke aus diesem Buche nichts zu gewinnen sein, das die Sagen vonPerseus, Demeter, Cacus und Kyreue behandelt, aber nichts zum Wesen Kalypsosbeitrgt. Unzugnglich war mir auch die Zeitschrift Mitra fr vergleichendeMythenforschung.

    ') a. a. 0. 1779.

    2) Ilias und Homer, 1916, S. 489.') Die Erzhlungen der Odyssee, Sitzungsber. d. Kaiserl. Akad. d. Wissensch.

    in Wien, 1915, 178, 1, S. 50.*) a. a. 0., hnlich frher Gekland, Altgriech. Mrchen in der Odyssee, 1869,

    und Bender, Die mrchenhaften Bestandteile der Homer. Gedichte, Progr. 1878;Evelyn White, Classical Review, 1910, 24, 204.

  • 28

    Damit ist die bersicht ber die mir bekannten neueren Auf-fassungen Kalypsos erschpft. Wie finden wir in dem Gewoge soverschiedenartiger Ansichten meist recht subjektiver Natur einenfesten Halt? Gibt es Mittel, um zu einer besser begrndetenobjektiveren Ansicht vorzudringen ? Oder hat der Mangel an Quellenund alten, selbstndigen Zeugnissen der Wissenslust auch hier eineunberwindliche Grenze gesetzt?

    4.

    2.lei dem eigenartigen Problem, das Kalypsos Wesen enthlt,haben wir offenbar keinen festen Sttzpunkt in der griechischenTradition, die natrlich zunchst befragt werden mte. Denn alldie spteren, weiteren Angaben, sie sei Okeanide,^) Nereide') oderHesperide^) gewesen, ihre Insel sei in Nymphaia oder Gaudos odervor dem lakinischen Vorgebirge oder am LuJcrinersee zu suchen, ihrVater sei Atlas oder OJceanos gewesen, ihre Shne seien Nausithoosund Nausinoos^) oder Telegonos'^') all diese Angaben sind leichtals sptere Erfindungen zu erkennen, die zwar an sich auch erklrtsein wollen, die aber schon wegen der Widersprche sich nicht zumAusgangspunkt der Untersuchung eignen: wie will man hier zwischenrichtigen und erfundenen Zgen unterscheiden? Nur soviel stehtfest, da die Angabe, die Gttin Kalypso sei eine Nymphe" gewesen,nicht befriedigte und nicht unangefochten blieb: schon das Altertumalso hatte das Empfinden, da der Dichter zu seiner Heldin nichtnur eine wirklich lebendige Gestalt des Volksglaubens benutzt hat,

    sondern zugleich auch, da das dichterisch verklrte Bild der Dichtungnicht in allen Einzelheiten mit dieser alten Gottheit mehr stimmenknne. So bleibt in dieser merkwrdigen Lage kaum eine andereMglichkeit, als sich zunchst an den Namen zu halten und denInhalt der Kalypsoepisode mit diesem Namen in eine innere, glaub-hafte Verbindung zu bringen: es gilt die Vorstellungen zuermitteln, die zu dieser Gottheit ;,Verbergerin, Verhllerin"

    1) Hesiod Theog. 359.'0 Eurip. Cycl. 264.3) Neapl. Asteasvase.

    *) Hesiod Theog. 1017.5) s. V. WiLAMOWiTZ, Hom. Uuters. 115, Anm. 3 ; Immisch bei Rscher M. L.

    490; Hartmann, Sagen vom Tod des Odysseus 103.. 205.

  • 29

    gefhrt haben, und nur die Sprachwissenschaft kann unshier eine zuverlssige Fhrerin sein: aus einer rein philo-logischen Frage wird somit fr uns ein Problem der historischen,indogermanischen Semasiologie.

    Ka).v\p( gehrt natrlich zu xalvjireiv, und zwar scheint die Formvom Aoriststamm ausgegangen zu sein. Dies ist nichts weiter Auf-flliges; haben wir doch in Kompositen wie (pd-Eioi-fiQOTog : l(pd^La,Aa^iaoo-ayoQq : edfiaOOa, (px^y-cdyjiijc. : tqjvyov, TSQ^pl-figoroq : STEQipa,Tavvi-jTTtQOQ : irdvva usw. den deutlichen Beweis, da als erstesKompositionsglied Aoriststmme vorkommen, i) Man hat angenommen,da es sich um falsche Auffassung einiger Komposita handle, derenerster Bestandteil eine Infinitivfoi^m auf -ti- gewesen sei, die man dannmit s-Aoriststmmen assoziiert habe. '^) Wie dem auch sei, die Tatsacheselbst lt sich nicht bestreiten, und so erledigen sich die Bedenken,wie das xp des Namens zu erklren sei. 3) Gewi ist KaXvtpco als Kurz-form" eines Kompositums zu denken. Die ganze Wortbildung erweistalso von vornherein, da wir es mit einer einzelsprachlichen Bildungzu tun haben, und sie verwehrt es allein schon, an eine indogermanischeGottheit im Sinne der vergleichenden Mythologie Max Mllers zudenken. Wie nun andere Flle, *) z.B. Usid^cd : jteid^ofiai, nt(pQ7^6m^): JibCfQaov, (jfjQdC,(o, KXo){hoj : Tclcod^m, Klur : ep.xXsico, att. x>lt'o>;jri:V&(6 : jrv{hof(ai, xsqcS Fuchs" : xtgog, xsQaivco, rjyco : r/yr], iayt'j< *fi-fax-, fpsico : (peio/jai, Arjxoi : lat. lteo, 2{^evco : &tvoc, usw.zeigen, ist vom aktiven Sinne auszugehen: Kalvipoi ist weder dieVerhllte"**) noch die sich Verhlle