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Kann die Sonnenentfernung durch Phasenmessungen am Mond bestimmt werden? A. Schmidt, Regionale Schule Sprendlingen , U. Backhaus, Universit¨ at Essen Didaktik der Physik Fr¨ uhjahrstagung Augsburg 2003 Abbildung 1: Phasengestalten des Mondes Beim Versuch, die Aristarch’sche Messung der Sonnenentfernung nachzuvollziehen, zeigt sich, dass die Winkeldistanz Mond-Sonne, z.B. mit einem Sextanten, ausreichend genau gemessen werden kann. Das entscheidende Problem bei dieser Methode besteht darin, den Zeitpunkt des Halbmondes auf wenige Minuten genau zu bestimmen, ohne dabei implizit den Wert der Sonnenentfernung vorauszusetzen. Die einzige M¨oglichkeit besteht anscheinend darin, die Mondphase direkt zu messen und damit den Zeitpunkt durch Beobachtung selbst zu bestimmen. Im Rahmen einer Staatsexamensarbeit ist untersucht worden, wie genau mit verschiede- nen Methoden der Phasenwinkel auf selbst aufgenommenen Mondfotos gemessen werden kann. 1 Einleitung: Die Entfer- nung der Sonne Die Entfernung zur Sonne ist eine der wichtig- sten Gr¨ oßen der Astronomie und Astrophy- sik ([1]). Deshalb wurden große Anstrengun- gen unternommen, den Wert der so genannten Astronomischen Einheit so genau wie m¨ oglich zu messen. Aristarch war der Erste, der sich f¨ ur den Wert interessierte, weil er aus der Entfernung der Sonne auf ihre Gr¨ oße schließen und daraus ein Argument f¨ ur ein heliozentrisches Weltmo- dell gewinnen wollte. Der von Aristarch angegebene Wert war um den Faktor 19 zu klein. Trotzdem wurde er fast 2000 Jahre ¨ uberliefert – ein Hinweis auf die Schwierigkeit der Messung. Nachdem 1672 die erste zuverl¨ assige Mes- sung anhand der Bestimmung der Mars- parallaxe gelungen war, lieferten etwa 100

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Kann die Sonnenentfernung durch

Phasenmessungen am Mond bestimmt werden?

A. Schmidt, Regionale Schule Sprendlingen , U. Backhaus, Universitat Essen

Didaktik der PhysikFruhjahrstagung Augsburg 2003

Abbildung 1: Phasengestalten des Mondes

Beim Versuch, die Aristarch’sche Messung der Sonnenentfernung nachzuvollziehen,zeigt sich, dass die Winkeldistanz Mond-Sonne, z.B. mit einem Sextanten, ausreichendgenau gemessen werden kann. Das entscheidende Problem bei dieser Methode bestehtdarin, den Zeitpunkt des Halbmondes auf wenige Minuten genau zu bestimmen, ohnedabei implizit den Wert der Sonnenentfernung vorauszusetzen. Die einzige Moglichkeitbesteht anscheinend darin, die Mondphase direkt zu messen und damit den Zeitpunktdurch Beobachtung selbst zu bestimmen.

Im Rahmen einer Staatsexamensarbeit ist untersucht worden, wie genau mit verschiede-nen Methoden der Phasenwinkel auf selbst aufgenommenen Mondfotos gemessen werdenkann.

1 Einleitung: Die Entfer-nung der Sonne

Die Entfernung zur Sonne ist eine der wichtig-sten Großen der Astronomie und Astrophy-sik ([1]). Deshalb wurden große Anstrengun-gen unternommen, den Wert der so genanntenAstronomischen Einheit so genau wie moglichzu messen.

Aristarch war der Erste, der sich fur den

Wert interessierte, weil er aus der Entfernungder Sonne auf ihre Große schließen und darausein Argument fur ein heliozentrisches Weltmo-dell gewinnen wollte.

Der von Aristarch angegebene Wert war umden Faktor 19 zu klein. Trotzdem wurde erfast 2000 Jahre uberliefert – ein Hinweis aufdie Schwierigkeit der Messung.

Nachdem 1672 die erste zuverlassige Mes-sung anhand der Bestimmung der Mars-parallaxe gelungen war, lieferten etwa 100

Mondphasen 2

Jahre lang die Beobachtungen von Venus-durchgangen die besten Werte fur die Son-nenentfernung ([2]).

Heute ist der Wert mit fast beliebiger Ge-nauigkeit bekannt. Eine Vielzahl von Messme-thoden hat zu dieser Genauigkeit beigetragen.Das von Aristarch vorgeschlagene Verfahrenist deshalb nur noch von historischem unddidaktischem Interesse. Wahrscheinlich ist esfur tatsachliche Messungen niemals verwendetworden.

Von Interesse ist jedoch auch heute noch dieGenialitat von Aristarchs Idee und die prin-zipielle Einfachheit und Fruchtbarkeit seinesVorschlages. Deshalb wurde in der Vergan-genheit versucht, das Verfahren mit modernenMessgeraten zu wiederholen ([5]). Dabei stell-te sich heraus, dass die großte Schwierigkeitdieser Methode in der genauen Bestimmungdes Halbmondzeitpunktes liegt.

2 Aristarchs Methode zurMessung der Sonnenent-fernung

Bei Halbmond, wenn der Mond von der Er-de aus genau halb beleuchtet erscheint, istdas Dreieck Erde - Mond - Sonne beim Mondrechtwinklig. Misst man in dieser Situationden Winkelabstand ψ zwischen Mond undSonne, z.B. mit einem Sextanten1, dann kannman die Entfernung der Sonne als Vielfachesder Mondentfernung berechnen (Abb. 2).

ψ

rSrM

Erde

SonneMond

cosψ = rM

rS

Abbildung 2: Aristarchs Idee

Da der Erddurchmesser gegenuber der Mon-dentfernung nicht vernachlassigbar, die Mond-parallaxe also messbar ist, tritt der Zeitpunktdes Halbmondes an verschiedenen Orten derErde zu unterschiedlichen Zeiten auf (Abb. 3).Die in astronomischen Jahrbuchern fur denErdmittelpunkt angegebene Uhrzeit weichtdeshalb um bis zu zwei Stunden vom korrek-ten lokalen Zeitpunkt ab, muss also selbst be-stimmt werden.

ψ

ϕ

2◦

Mond

Erde

Sonne

Abbildung 3: Mondphase und Mondparallaxe

Im Prinzip ist der aktuelle Phasenwinkelϕ an der Phasengestalt des Mondes abzule-sen: Bei Halbmond, wenn der Mond dem Be-obachter genau halb beleuchtet erscheint, istϕ = 90◦. Ist der Mond sichelformig, ist derPhasenwinkel großer als 90◦, ist der Mondgewolbt, ist die Phase kleiner als 90◦.

Die der Arbeit zu Grunde liegende Idee be-stand darin zu versuchen, den genauen Pha-senwinkel durch Auswertung guter Mondfo-tos zu bestimmen. Sollte das mit genugenderGenauigkeit moglich sein, ware man zur Be-stimmung der Sonnenentfernung nicht auf denHalbmondzeitpunkt angewiesen: Misst mangleichzeitig den Phasenwinkel ϕ und die Win-keldistanz ψ zwischen Mond und Sonne, dannkennt man in dem Dreieck alle Winkel – unddamit alle Seitenverhaltnisse.

Mit diesem Ziel wurde der Mond mit ei-nem sehr guten Fernrohr der Brennweite f =1300mm fotografiert. Der Phasenwinkel wur-de anschließend durch Auswertung der ent-standenen Bilder nach verschiedenen Metho-den bestimmt und mit dem theoretischenWert verglichen.

1Dazu mussen Sonne und Halbmond gleichzeitig uber dem Horizont zu sehen sein.

Mondphasen 3

3 Methoden der Phasenbe-stimmung

Der genaue Zusammenhang zwischen Phasen-gestalt und Phasenwinkel ergibt sich folgen-dermaßen: Der Terminator, die Grenze zwi-schen Tag- und Nachtseite des Mondes, teiltden Mond, im Idealfall, in zwei gleich großeHalften, ist also ein Großkreis auf dem als ku-gelformig angenommenen Mond. Von der Erdeaus sieht man nicht senkrecht auf diesen Kreis,sondern unter dem Phasenwinkel ϕ. Der Kreiserscheint dadurch als Ellipse (Abb. 4).

ϕ

ϕ

R cosϕ

Sonnenlicht

Abbildung 4: Projektion des Terminators

Bezeichnet man mit R den Radius des Mon-des auf dem Bild und mit R′ die kleine Halb-achse der Terminatorellipse, dann lasst sichder Phasenwinkel ϕ offensichtlich aus der Be-ziehung

sin(ϕ− π

2) = cosϕ =

R′

R, (1)

berechnen.

3.1 Methode 1: Flachenmessungam Computer

Ist ein Mondfoto digitalisiert, bestehtgrundsatzlich die Moglichkeit, automatischzwischen beleuchteten und unbeleuchtetenPixeln zu unterscheiden. Aus Abstand undLange paralleler Sehnen des beleuchteten Tei-les kann dann der Krummungsradius, und

damit die Gesamtflache des Mondes AMond

auf dem Bild berechnet werden. Die Gesamt-zahl der beleuchteten Pixel ist dann ein Maßfur den beleuchteten Teil Ahell der ”Mond-scheibe“. Da sich diese aus der halben Mond-flache und der halben Flache der Ellipse, diedurch den Terminator gebildet wird, zusam-mensetzt, lasst sich aus dem Verhaltnis derPhasenwinkel berechnen:

ϕ = arccos

(AhellAMond

2

− 1

)(2)

Ein Blick auf die Fotos in Abb. 1 veran-schaulicht jedoch die Schwierigkeiten, die sichbei dieser Methode der Phasenbestimmung er-geben:

1. Die Mondoberflache ist nicht glatt, derTerminator demzufolge keine Ellipse.

2. Der Schattenubergang am Terminatorerfolgt selbst an glatten Stellen nicht ab-rupt.

3. Die Oberflache ist nicht gleichmaßig hell.

Diese Umstande fuhren dazu, dass bei derAuswertung die Grenze zwischen ”hellen“ und

”dunkeln“ Pixeln nach verschiedenen Krite-rien, immer aber recht willkurlich festgelegtwerden muss.

3.2 Methode 2: Radiusmessungan Ausdrucken

Abbildung 5: Prinzip der Ausmessung

Mondphasen 4

An einem Fotoabzug oder einem Computer-ausdruck lasst sich die Phasengestalt des Mon-des, wie in Abb. 5 angedeutet, ausmessen.

Abbildung 6: Ausmessung der Phasengestalt

Abb. 6 zeigt, dass sich bei dieser Methodedieselben Problemen wie der Flachenmessungergeben.

3.3 Methode 3: Schablonenme-thode

Die großten Erfolgsaussichten eregeben sich,wenn man die menschliche Fahigkeit zur Mu-stererkennung ausnutzt, um berechnete Kreis-bzw. Ellipsenschablonen an die unscharf be-grenzten Formen des Mondumfanges und derSchattengrenze anzupassen: Bei dieser Metho-de kommt es nicht auf lokale Entscheidungenuber hell/dunkel an. Die Anpassung erfolgtvielmehr durch globale Optimierung der Be-grenzungskurve.

3.3.1 Simultanprojektion

In der Examensarbeit wurde diese Anpas-sung durchgefuhrt, indem berechnete Schablo-nen mit einem Videobeamer den projiziertenMonddias uberlagert wurden (Abb. 7).

Abbildung 7: Simultanprojektion

3.3.2 Am Computer

Spater wurde zur Vereinfachung ein Compu-terprogramm entwickelt, das es ermoglicht,eingescanten Mondfotos am Computermoni-tor Kreis- und Ellipsenschablonen zu uberla-gern und diese durch einfache Tastensteuerungan die Phasengestalt anzupassen. Abb. 8 zeigtein typisches Beispiel2.

Abbildung 8: Schablonenanpassung am Computer

4 Ergebnisse

Insgesamt wurden ca. 200 Fotos aufgenommenund davon etwa die Halfte, zum großten Teilin der Nahe des Halbmondes3, ausgewertet.Dabei erwies sich die Methode der automa-tischen Flachenbestimmung als vollig unzu-reichend. Die Ausmessung von Computeraus-drucken war etwa um den Faktor 10 genau-er, aber gemessen an dem gesetzten Ziel, dieSonnenentfernung zu messen, trotzdem unzu-reichend4.

Die genauesten Ergebnisse wurden bei derSimultanprojektion erzielt – wahrscheinlich ei-ne Folge der Bildgroße und der fehlenden Di-

2In der CD-Version dieses Artikels kann nach einem Mausklick auf das Bild das Programm an Beispielbilderngetestet werden.

3In der Nahe des Halbmondes andert sich die Phasengestalt mit zunehmendem Phasenwinkel am schnellsten – einUmstand, der bei regelmaßiger Mondbeobachtung auffallig ist. Er lasst bei ϕ ≈ 90◦ die besten Ergebnisse erwarten.

4Bei Halbmond weicht die Winkeldistanz zwischen Sonne und Mond nur um 0.15◦ vom rechten Winkel ab. DerFehler der Phasenmessung darf also hochstens von dieser Große sein.

Mondphasen 5

gitalisierungsfehler. Bei dieser Methode wur-de wenigstens annahernd die erforderliche Ge-nauigkeit erzielt.

Methode mittl. Abweichung ∆ϕ

1 ≤ 24◦

2 ≈ 2◦ (< 10◦)3 a ≈ 0.44◦ (oft ≈ 0.25◦)3 b +2.4◦

Die Schablonenanpassung am Computerwurde am haufigsten und von den meisten

”Probanden“ getestet5. Trotzdem erwies sichdas Verfahren als nicht ausreichend genau. Al-lerdings wurde hier deutlich, dass der Pha-senwinkel fast immer zu groß gemessen, diebeleuchtete Flache also zu klein eingeschatztwird. Hier deutet sich ein systematischer Feh-ler an, an den erst kurzlich von Schlosser ([4])erinnert wurde.

5 Schlussfolgerungen

Die im Prinzip einfache Aristarch’sche Metho-de zur Messung der Sonnenentfernung schei-tert daran, dass es nicht gelingt, durch Beob-achtung selbst zu entscheiden, wann der Halb-mond eintritt. Selbst durch Computerauswer-tung sehr guter Fotos kann der Phasenwinkelnicht genugend genau gemessen werden.

Von den vier untersuchten Verfahren erwiessich die Anpassung berechneter Schablonen andie fotografierte Phasengestalt des Mondes alsam genauesten. Mit dieser Methode ware esimmerhin moglich, das von Aristarch ange-gebene Ergebnis deutlich zu verbessern. Al-lerdings lasst sich diese Genauigkeit nur anNachtaufnahmen des Mondes erzielen. Einegleichzeitige Messung der Winkeldistanz zurSonne ist deshalb nicht moglich.

6 Zugabe: Ist der Mondam Horizont großer?

In den langen Nachten der Mondfotografie er-gab sich nebenbei die Gelegenheit, die be-

kannte Mondillusion, derzufolge der auf- oderuntergehende Mond viel großer erscheint alsder hochstehende Mond, nicht nur zu wider-legen, sondern sogar ins Gegenteil zu wen-den: Der genaue Großenvergleich des hochste-henden und des untergehenden Mondes mitder in 3.3.2 beschriebenen Schablonenmetho-de (Abb. 96) zeigt:

Der Mond ist objektiv am Ho-rizont sogar kleiner als bei sei-ner Kulmination.

Der Effekt beruht darauf, dass der Mondbeim Untergang um fast einen Erdradius wei-ter vom Beobachter entfernt ist als bei seinerKulmination. Tatsachlich ergab sich fur dieAufnahmen vom 3./4.2.1998 (19.00 Uhr und0.00 Uhr) ein Großenverhaltnis von 1.014, dasvom berechneten Wert von 1.012 wenig ab-weicht. Die gute Ubereinstimmung lasst darandenken, aus dem Vergleich zweier solcher Fo-tos eine Abschatzung fur die Entfernung zumMond zu gewinnen.

Abbildung 9: Vergleich zwischen horizontna-hem (roter Kreis) und hochstehendem Mond

5Wir danken den Mitarbeitern der Arbeitsgruppe Didaktik der Physik der Universitat Essen, den Herren Dr.Wilfried Suhr und Thomas Kersting.

6In der CD-Version dieses Artikels kann nach einem Mausklick auf das Bild das Programm an Beispielbilderngetestet werden.

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Literatur

[1] U. Backhaus, Die Entfernung der Son-ne, Astronomie und Raumfahrt 35/1, 30(1998)

[2] U. Backhaus, Der Venusdurchgang 2004– Start eines internationalen Projektes –, Vortrage auf der Fruhjahrstagung derDPG, Leipzig 2002

[3] A. Schmidt, Einsatz eines Linsenfernroh-res bei Messungen am Mond, Staatsex-amensarbeit, Koblenz 1986

[4] W. Schlosser, Einfache Beobachtungen –uberraschende Folgerungen, Astronomieund Raumfahrt 40/1, 4 (2003)

[5] D. Vornholz, U. Backhaus, Wer hat recht– Aristarch oder der Sextant?, Astrono-mie und Raumfahrt 31, 20 (1994)