Karikaturen zum Analphabetismus – Eine Form kultureller ... · PDF filenern) als komisch...

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  • FORUM

    DOI 10.1007/s40955-017-0081-5ZfW

    verffentlicht inZusammenarbeit mit

    Karikaturen zum Analphabetismus Eine Formkultureller Bildung

    Ekkehard Nuissl Ewa Przybylska

    Eingegangen: 19. Dezember 2016 / Angenommen: 9. Mrz 2017 Der/die Autor(en) 2017. Dieser Artikel ist eine Open-Access-Publikation.

    Zusammenfassung Karikaturen sind ein Medium politischer und kultureller Bil-dung. Sie berspitzen und bertreiben Sachverhalte, um auf Probleme aufmerksamzu machen, auch um zu agitieren. In diesem Beitrag werden beispielhaft einigeKarikaturen zum Problem des Analphabetismus und des Lesens vorgestellt und imHinblick auf Bildung interpretiert. Dabei werden die Leistung des Mediums Kari-katur gewrdigt und eine intensivere Forschung zum Gegenstand angemahnt.

    Schlsselwrter Karikatur Kulturelle Bildung Lesen Analphabetismus

    Caricatures on Analphabetism A Form of Cultural Education

    Abstract Cartoons are media of political and cultural education. By exaggerationthey point out existing problems, asking for action and solutions. In this article somecartoons are presented as examples, dealing with the problem of illiteracy and thetask of reading, followed by an interpretation regarding the pedagogical impact. Therole of cartoons in an educational context is valued, more research on the topic isproposed.

    Keywords Cartoons/Caricature Cultural education Reading Illiteracy

    Prof. Dr. habil. Dr. h.c.mult. E. Nuissl ()Nikolaus-Kopernikus-Universitt, Torun, PolenE-Mail: [email protected]

    Prof. Dr. habil. E. Przybylska ()Nikolaus-Kopernikus-Universitt, Torun, PolenE-Mail: [email protected]

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    http://crossmark.crossref.org/dialog/?doi=10.1007/s40955-017-0081-5&domain=pdfhttp://orcid.org/0000-0001-8338-5484

  • E. Nuissl, E. Przybylska

    1 Einleitung

    Bilder spielen eine groe Rolle bei der Aneignung von Kultur. Wie intensiv sinddoch noch im Erwachsenenalter die Bilder prsent, mit denen die Mrchenbcherder Kindheit ausgeschmckt waren. Und was wren die Verse von Wilhelm Buschoder Heinrich Hoffmann ohne deren Zeichnungen. Ein wenig wundert es da, wieselten Bilder und der Umgang mit ihnen aktuell Gegenstand der erwachsenenpd-agogischen Diskussion in Wissenschaft und Praxis sind, auch und gerade in Zei-ten einer digitalen Bilderflut. Als Ausnahmen sind hier die Arbeiten von Schffer(2009a, 2009b) und Drner und Schffer (2012), von Faulstich (2012) und Umbach(2016) zu nennen allerdings findet selten eine weitergehende Diskussion statt. InHand- und Wrterbchern der Erwachsenenbildung fehlt der Umgang mit Bildernals eigenstndiger Beitrag vllig.

    Die (wissenschaftliche) Pdagogik beginnt cum grano salis mit dem or-bis sensualium pictus des Comenius, Bild und Bildung haben nicht nur den-selben Wortstamm, sondern sind auch in der (Bildungs-)Geschichte miteinanderverschrnkt. Bilder als pdagogisches Programm oft verbunden mit oder in Er-gnzung zur oralen berlieferung bzw. Erzhlung sind seit dem Mittelalter undder frhen Neuzeit, und umso mehr seit Erfindung des Buchdrucks durch JohannesGutenberg, immer mehr durch geschriebene Texte ersetzt worden. An die Stelleder Fhigkeit, Bilder zu verstehen und zu interpretieren, trat bei lesenden Erwach-senen zunehmend der geschriebene Text (Bannasch 2007). Die Emblembcherdes fnfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts stellten ebenso wie diesakrale Fresken- und Glasmalerei Lehrwerke fr Erwachsene dar, bevor sie sichzu Bilderbchern fr des Lesens noch unkundige Kinder wandelten. Mit seinerZuordnung zum lernenden Kind erfhrt das bildende Bild im Buch eine Abwertung,die ihm (...) bis heute anhaftet (ebd., S. 297 f.). Die Nutzung des Bildes fllt ausein-ander: zum einen fr Kinder ein bildendes Element, zum anderen fr Erwachseneein Objekt der sthetischen Betrachtung. Gebildet und sthetisch kompetent zusein sind danach zwei unterschiedliche Dinge.

    Gesellschaftliche Fragen und Probleme werden seit jeher in der bildenden Kunstaufgegriffen und finden sich auf unterschiedlichste Weise als gestaltetes Bild wieder.Es gibt zahlreiche, oft mythologische oder biblische Motive, die in verschiedenenEpochen auf eine je spezifische Art und Weise von unterschiedlichen Knstlerinnenund Knstlern verbildlicht wurden. Gbe es nur eine Wahrheit, knnte es nicht soviele verschiedene Bilder zum gleichen Gegenstand oder Vorgang geben prziserals mit diesen Worten, die Pablo Picasso zugeschrieben werden, kann der Unter-schied zwischen eindeutigen Lehrzielen und Mehrdeutigkeiten kultureller Praxisnicht benannt werden.

    Zu diesen Formen der Aufbereitung und bildnerischen Verarbeitung gesellschaft-licher Themen gehren auch Karikaturen.1 Schon in Altertum, Mittelalter und frherNeuzeit gab es karikierende Darstellungen in Bildern und Texten und zunehmend

    1 Wir konzentrieren uns hier auf Karikaturen in Bildern und Zeichnungen. Karikierende Texte, Videosetc. unterliegen als andere Medien auch anderen Interpretationsprinzipien. Bilder (z. B. Gemlde) undZeichnungen (z. B. Graphiken) folgen hnlichen Gestaltungsprinzipien.

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  • Karikaturen zum Analphabetismus Eine Form kultureller Bildung

    auch als in Heften zusammengebundene Sammlungen, die nach Einfhrung desBuchdrucks und mit Erscheinen erster Zeitschriften weitere Verbreitung fanden.Eng verbunden mit gesellschaftlichen Problemen ist die politische Karikatur, wiesie als Ausdrucksform besonders in totalitren Systemen Kritik ermglicht und bn-delt. Wahrlich beneidenswert, was die Satire alles sagen darf. Und es wird ihr nichtnur nicht belgenommen, es wird auch noch ber sie gelacht wenn auch sicher-lich manchmal zhneknirschend so Alice Schwarzer ber Karikaturen und dieKarikaturistin Franziska Becker (Mannheimer Kunstverein 1985, S. 7).

    Aber auch in vielen anderen Bereichen wird karikiert, z. B. bei der Auseinan-dersetzung mit dem Fremden und Unbekannten, bei der Gegenberstellung vomEigenen und Anderen oder zur Bearbeitung religiser Fragen. Die DarstellungsformKarikatur ist auch immer dann hilfreich, wenn es darum geht, die eigene Identittmit Hilfe eines Gegenbildes zu konstruieren (vgl. Glavac 2013, S. 17 ff.). Kultur-und zeitkritische Karikaturen sind Interpretationen aktueller Anlsse und Ereignissesowie gesellschaftlicher Phnomene, die in der ffentlichkeit zu Debatten fhrenwerden oder gefhrt haben. ber das Medium der Karikatur werden Bedrfnisse undVerhaltensweisen der modernen Gesellschaft, Lebensstile, das Spannungsverhltniszwischen konomie und kologie, das Konsum- und Mobilittsverhalten, Umweltund Nachhaltigkeit, die berbewertung von Belanglosigkeiten, ein diagnostizierterMangel an hheren ethischen und sthetischen Werten und viele andere gegenwarts-relevante Themen zum Gegenstand der Reflexion (vgl. Fuchs 1901, S. 26; Heuss1954).

    Deutschland blickt verglichen etwa mit Frankreich (Callot, Daumier, Philipon,Rops u. a.) oder England (Cruikshank, Gillray, Hogarth u. a.) auf eine vergleichs-weise kurze nationale Geschichte der Karikatur. Erst ab Mitte des 19. Jahrhundertsentwickelte sich eine entsprechende Tradition (vgl. Hermann 2014). Auch entstandenin dieser Zeit Zeitschriften, die zunehmend satirische Zeichnungen bzw. Karikatu-ren enthielten. Gerade in Mnchen wurden solche Magazine gegrndet (FliegendeBltter, Leuchtkugeln, Mnchner Bilderbogen, und natrlich der Simplicissimus), inderen Umfeld sich Gruppen aus nationalen und internationalen Knstlern bildeten.Viele Knstler sind ber die Karikatur bekannt geworden, zu nennen etwa CarlSpitzweg und Wilhelm Busch, spter dann Heinrich Zille, George Grosz, KlausStaeck, aktuell etwa Klaus Stuttmann und Tomi Ungerer.

    2 Karikieren: Kunst und Bildung

    Das Verfahren der berfremdung in Karikaturen hnelt dem aus konstruktivistischenAnstzen bekannten Prinzip der Perturbation, dem Erzeugen von Aufmerksamkeitber das In-Frage-Stellen vorhandener Deutungen und Deutungsmuster (vgl. Arnoldund Siebert 1995). Die Botschaften der Karikatur sind eingebettet in eine gewisseKomik, eine Satire gerade, wenn es sich um ein sehr ernstes Problem handelt odereinen sthetischen Schock, der zur Deutung erst herausfordert (Neuber 1993,S. 354). Karikaturen sind auch sthetische und knstlerische Produkte, sie sind abervor allem Aussagen, die in bildender Absicht erzeugt werden. Die Karikatur ist einknstlerisches Genre, das immer zeichnerisch und oft in der Kombination mit kurzen

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  • E. Nuissl, E. Przybylska

    Texten umgesetzt wird. So entsteht hufig ein Portrt, das mittels Deformierung undbertreibung die Merkmale eines Protagonisten (z. B. sein ueres und bestimmteBewegungen) oder ein gesellschaftliches Phnomen (z. B. Verfallserscheinungen inder Politik) hervorhebt.

    Die Karikatur richtet durch diese berbetonung die Aufmerksamkeit des Be-trachters auf ein konkretes Phnomen, eine drngende Frage. Johann Wolfgang vonGoethe warnte in seinen Schriften zur Kunst vor solchem Schock: Man kann mitVerstand und Vorsatz von der Harmonie abweichen, und dann bringt man das Cha-rakteristische hervor; geht man aber weiter, bertreibt man diese Abweichung, oderwagt man sie ohne richtiges Gefhl und bedchtige berlegung, so entsteht dieKarikatur, die endlich Fratze und vllige Disharmonie wird und wofr sich jederKnstler sorgfltig hten sollte (Goethe 1820, S. 301). Seinem Verstndnis nach be-steht die Gefahr darin, dass der berschuss an Charakteristischem gegen den gutenGeschmack, gute Sitten und Gebruche verstt und damit nicht nur ein sthetischesProblem ist, sondern auch eines der gemeinsamen kulturellen Werte.

    Dem stehen gegenwrtige Auslegungen gegenber. Das sthetische wird heuteweiter definiert als zu Goethes Zeiten. Geistige Bewegungen drcken den Protestgegen traditionelle Werte und Normen aus (wie etwa der Surrealismus oder derExpressionismus) oder sie glorifizieren das Triviale und Wertlose, die Welt desKonsums und der Medien (z. B. die Pop Art). Heute ist das in der klassisch-idealis-tis