Karl-Heinz Roth -Terror und Unperson

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    Kompass: Analytische Wegweiser (IV)ber Gewalt sprechen in Deutschland heit ber den Faschismus sprechen. Das Nazi-Regime, der Sieg der Konterrevolution ber die Arbeiterbewegung 1933 und die Selbstabschaffung der brgerlichen Demokratie hat eine Situation geschaffen, deren Wirkung auf die Gesellschaftbis heute anhlt. 1986 schrieb Gabriele Goettle in einem Beitrag fr einen Sammelband mit Texten der RAF:ber die RAF zu schreiben, ohne ber faschistische Gewalt undihre Rolle bei der Entwicklung der Bundesrepublik zu sprechen, istunmglich. Es ist zu zeigen, um was fr eine Gewalt es sich handelt, da sie zwar entnazifiziert, aber keineswegs neutralisiert wurde. Sie ist das Prinzip der Bewirtschaftung dieser Demokratie. Parlamentarische Demokratie ist primr ein zwischen zwei Klassenerrichtetes Vershnungskomitee. (Trotzki)( ..) Zwanzig Jahre nach Verkndung des Grundgesetzes wurde ~ i t der Verabschiedung der Notstandsgesetze eine faschistische Herrschaftstechnik installiert. Damit war dem Prinzip staatlicher Gewaltendlich auch das Mittel in die Hand gegeben, mit dem unbotmiges Volksverhalten in jene Schranken gezwngt werden konnte, dieman im Grundgesetz vor Schreck vergessen hatte vorzusehen ...Karl Heinz Roth hat in einem kritischen Portrt 1978 Hanns-MartinSchleyer als einen Akteur des faschistischen Terrors und der spterenbundesdeutschen Restauration beschrieben. Die Gewaltkonstellation,die den BRD-Eliten eigen ist und, ber den Deutschen Staat hinaus, die europischen Gesellschaften prgt, erscheint in dieser Untersuchung wie in einem Film des Neo-Realismus, in scharfen Konturen.Schandtaten in schwarzwei. Und so ist es intellektuell eine beschrnkte Sichtweise, die Gewalt des Deutschen Staates, von Benno Ohnesorg bis Stammheim, als zwischenzeitliehe Hysterie, berreaktionund dergleichen, die zudem von subalternen Teilen des Staatsapparates100

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    getragen wurde, einzusortieren. Vielmehr macht das Selbstverstndniseiner Elite, die keine Zgelung durch die Zivilgesellschaft als notwendigerachtet, die Gewaltfrmigkeit ihres Handeins zur Gnze aus. Jenseitsdes Schlachtfeldes nichts, nur der gepanzerte Krper des Kriegers, diePflicht, der Dienst, die Unterwerfung.

    Terror und UnpersonAllem Anschein nach ist die Marschlinie klar, auf die sich die zweiParteien zur Beerdigung gerstet haben. Pltzlich wird uns diesevon Schmissen zerhackte Visage, aus der eigentlich nur Bulligkeitund Brutalitt stiert, als hehres Antlitz angeboten, das Warmherzigkeit, Gte, Toleranz ausstrahlt.1 So der Berliner Extradienst, alsSchleyer noch nicht aus der Welt war. Aber stimmt das? Der Papierflut nach, die sich seit einigen Jahren ber ihn hermachte, gibtes keine andere Wahl. Alle personifizierten ihn, erhoben ihnzum Titanen, auch nachher (hier wre der Extradienst zu korrigieren: die Schmierenpresse versteht ihr Geschft zu gut, um aus ihmgleich den sanften Opa zu machen). Bo der Bosse, Spitzenmannder Industrie: geradlinig und fair, Ein respektierter Sprecherder deutschen Wirtschaft, Ein Mann, der eine ungewhnlicheArbeitslast fr die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaftgetragen hat - so die Medien des Kapitals. Der Linken ist Weitlufigeres eingefallen: Alt Heidelberg, Du feine ..., BilderbuchBo Hanns-Martin Schleyer usw., bevor ihr vom Staats schutz dasWort entzogen wurde. Unbestreitbar, da der Tote dem allen Vor-schub geleistet hatte. Gefragte Tugend: Unpopularitt, berschrieb er einen seiner in die Dutzende gehenden Artikel im Arbeitgeber-Zentralblatt.2 Eine Vollpersnlichkeit von hohem Rang unddabei ein menschlicher Mensch, kommunikationsfreudig ... begabtmit groer berzeugungskraft ... Motivationskraft ausstrahlend - einMann mit Vorbildwirkung in der Widmung an die Untemehmensziele, kurz: ein Menschenfhrer - so rsonierte er vor allem (bersich selbst im letzten Buch, das er gut 40 Jahre nach seiner Juradissertation geschrieben hat.3 Selbst Bll echauffierte sich gegen ihn,den Mann, der den Nationalsozialismus wieder unverhohlen uerlich trage. Man hat ja auch die entsprechenden Zitate ausgegraben.Etwa die Stze eines Schleyer, der dem Reichsinnenministerium1941 auf die Aufforderung, endlich seine Juristenkarriere anzufangen, antwortete, er habe sich fr die Vollpersnlichkeit desMenschenfhrers entschieden: Ich bin alter Nationalsozialistund darf fr mich in Anspruch nehmen, da mich keine uerlichenBeweggrnde hier festhalten. Der Prsident des Zentralverbandesder Industrie in Bhmen und Mhren und der Leiter der kriegswirt-

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    schaftlichen Abteilung haben mich aufgefordert, im Rahmender Protektoratswirtschaft mitzuarbeiten und mich kriegswirtschaftlichen Arbeiten zur Verfgung zu stellen ... Die uns in jungenJahren in der Kampfzeit anerzogene Bereitschaft, Aufgaben zusuchen und nicht auf sie zu warten, der stndige Einsatz fr dieBewegung auch nach der Machtbernahme, haben uns frher alssonst blich in Verantwortung gestellt. Diese Aufgabe glaube ichhier im Protektorat gefunden zu haben ...4 Sind das nicht dochtitanische Worte, zumal aus dem Mund des Sohns eines Landgerichtsdirektors? Wird da nicht einer vollpersnlich, wenn er -bei einem Interview auf dieses Zitat verwiesen - grinsend antwortet, das sei noch gar nichts, es gebe da noch ganz andere Sachen?Nein. Wir werden den Toten in keiner der beiden Marschsulen begraben, die sich da von einer grotesken Selbstdarstellung abgezweigthaben. Wir weigern uns, an der Dmonisierung einer Unperson zurVollpersnlichkeit teilzuhaben. Der Mensch Schleyer ist tot - ermu auch irgendwo Subjekt gewesen sein, wenn wir auch nichtwissen wo, das zeigen die fast schon staatsfeindlichen Trauergestenseiner Anverwandten. Reden wir ber die Unperson, an der eineabenteuerliche Abstraktheit und Klte ber das Funktionieren alsCharaktermaske des Kapitals hinausgetrieben worden ist. Es gehtuns dabei nicht um ein psychologisierendes Nachzeichnen desEntwicklungsgangs eines Menschen zur entuerten Reprsentationder Macht. Wir wollen uns mit ein paar historischen Skizzendarber begngen, wie die Kontinuitt des Modells Deutschlandeinen Menschen fortschreitend ausleert und schlielich aus demWeg gerumt hat.Manche Leserinnen/Leser mgen die Verweigerung des Konsens imNachruf auch gegenber linken Personifikatoren fr eine billigeMasche halten. Vor diesem Miverstndnis ist zu warnen. Wirhaben versucht, mit denen zu reden, die sich noch am ehesten alsOpfer des Menschenfhrers betrachten knnten. Viele waren esnicht. Die meisten, die vor langen Jahren im Kampf gegen dieBestialitt des Modells Deutschland auf ihn gestoen sein mssen,haben keine Spuren hinterlassen. Die tschechische Studentenavantgarde hat ihren Widerstand gegen die Germanisierung der Hochschulen des Protektorats, die ber das Reichsstudentenwerk inPrag lief, vor Hinrichtungskommandos und im KZ Oranienburg beendet. Namenlos ist das Schicksal derer, die ber die Protektoratsstelle der Reichsgruppe Industrie als Zwangsarbeiter ins Altreichverschleppt worden sind. Die Unfhigkeit der Skoda-Rstungsarbeiter, die raffinierte Mischung von modemen Soziallhnen und102

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    gezieltem Terror kollektiv zu durchbrechen, erschliet sich nurnoch aus den Archiven. Wir haben uns auf die beschrnken mssen,die der leitenden Unperson in der Kommandozentrale bei DaimlerBenz (Planung und Verwaltung) unterworfen gewesen sind. Wir sahen unsere Vermutungen besttigt: die Arbeiter kannten Schleyernicht. Der Menschenfhrer ging nicht durch die Werkhallen. Er, derals stellvertretender Vorsitzender und Personalchef das Scharnier beider alltglichen Vergegenstndlichung von lebendiger Arbeit bildete, war bei den kleinen Abteilungsreibereien und den groen Streiksnicht sichtbar. Schleyer-Karikaturen gibt es nicht in den Blttern,die die Arbeiter fr ihre eigene Kommunikation machen. DerDiskurs ber die Schmissen-Visage erreichte sie nicht. Die Angst derArbeiter vor dem Scharnier der Auspresserei, vor dem Unsichtbaren,der 1963 den nicht weniger unsichtbaren Gegenspieler auf IGMetall-Seite, den eisernen Ottos, ein fr allemal an die Wandgespielt hatte, war viel prziser. Institutionen hatten sich einenbegrenzten Vernichtungskrieg geliefert, nicht Arbeiter und Kapitalisten. 1971, bei der zweiten groen Massenaussperrung in BadenWrttemberg, soll es berlegungen gegeben haben, die Unpersonfr ein paar Stunden in der Personalchefetage festzuhalten - es gabVorbilder aus Frankreich und Italien. Die Arbeiter haben sich denSchrecken, es pltzlich mit einem Menschen zu tun zu haben,whrend sich die Macht von ihm absetzte und sich gegen ihn undsie selbst neu personifizierte, erspart. Was jetzt ablief, sagten unsArbeiter, war nicht der Krieg, den wir fr unser Leben so bitter ntighaben. Es war der Krieg zweier Staaten, wobei der eine davonerst noch Staat werden will: er Hat Prgel gekriegt, weil er dieBestialitt des Etablierten noch nicht ganz drauf hatte. Beide Terrorarmeen haben sich voneinander Geiseln genommen. Sie habendie Menschen, die irgendwie in diesen Geiseln steckten, wechselseitig kalt gemacht. Die Arbeiter haben dabei zugeschaut. Die Angstvor dem Scharnier, das ihre Lebensbedrfnisse in immer aberwitzigeren Arbeitsrhythmen zersetzt, hat nicht abgenommen. Sie sindallenfalls noch ein bichen ohnmchtiger geworden. Ihren Ha aufdas immer siegreiche Monster haben sie freilich behalten, nachdemseine menschliche Hlle zerstrt worden war. Und der ist unabhngig von jener Hlle, auf die die Linken so abgefahren sind.

    2. Reichsstudentenwerk: Heide/berg - Innsbruck - PragBeginnen wir mit dem Diskurs ber die Umstnde, die aus demJugendlichen Schleyer einen nationalsozialistischen Terroristengemacht haben. Da ist die autoritre Sozialisation in der Familieeines Richters, sdwestdeutsche Provinz, Ordnung, gerader Schei-

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    tel, patriarchalische Despotie, Organisationsstaat im berlebenskampf gegen das Bndnis der Fchse von Versailles mit dembolschewistischen Untermenschenturn. In ruhigen Zeitlufen htteder Jugendliche zweifellos so weitergemacht wie der Vater, pflichtbewut, von tiefster Sittlichkeit erfllt, kleine Ganoven angeklagtoder verknackt. Die Zeiten waren nicht danach. Die disziplinarischeKeimzelle der Richterfamilie konnte den Jugendlichen nicht halten.Er trat frh nach drauen, ohne freilich dabei das Korsett zu zerbrechen, das seine Sozialisation bestimmt hatte. Die Ordnungszellewar vom Umsturz bedroht. Die Kinder, die sie entlie, wurden dieHierarchie der Unterwerfung nie mehr los. Der Sechzehnjhrigeschlpfte in die HJ-Uniform, drei Jahre spter holte sich der Neunzehnjhrige die brigen Stigmata als Jurastudent an der UniversittHeidelberg: schlagende Verbindung, SS, spter Aktivist des Rasseund Siedlungshauptamtes. Etwas zu viel fr einen Mitlufer, derdem berwltigt werden durch die im sozialen Aufstieg mchtigwerdende Unperson keinen Rest von Subjektivitt bewahrt hlt.Beginnt da die Karriere eines fanatischen berzeugungstters, miteinem auergewhnlichen Ma an krimineller Energie? In derTerminologie der damaligen wie heutigen Staatsschutzpolizeienzweifellos. Nur da die alles unternehmen, um die untergrndigeVerzweiflung vor sich selbst ihren Opfern anzudrehen, sie so weitwie mglich nach ihrem Ebenbild umzugestalten und ihnen - stattihrer selbst - den Garaus zu machen. Fr uns zhlen andereZusammenhnge. Zunchst ist die viel zu laute Kameraderie auffllig, mit der das Subjekt Schleyer sich in die Mittelklasse hineinentuert: fr einen SS-Mann war es verpnt, sich in schlagendenVerbindungen herumzutreiben und zu randalieren. Das brige,was wir sonst aus der Zeit wissen, gehrte dagegen durchaus zumguten Ton: Die Gleichschaltung und Reinigung der UniversittenHeidelberg und Freiburg von Nazigegnern, Judenstmmlingen undMiesmachern.6 Die gezielte Denunziation aller, die nicht mitmachten.? Die Umwandlung der Universitt Heidelberg in eineForschungs- und Erziehungsanstalt nationalsozialistischer Geistesprgung.8 Dies sind alles Formen der Aneignung der umgebendenWelt, derart, da sie fr das eigene Entuert sein bewohnbar werden kann. Aber das Entuert sein hatte, wie schon gesagt, Kameraderie zur Grundlage. Die Kameraderie ging zerstrerisch nachauen, sie reflektierte gleichzeitig nach innen die soziale Dynamikder studentischen Schichten der radikalisierten Mittelklassen. Eswar die groe Krise, die aus dem autoritr sozialisierten Schleyereinen echten Faschisten machte, eine jugendliche Unperson, diemit den ueren Miesmachern nicht nur den inneren um die Ecke104

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    brachte, sondern gleichzeitig ihre eigenstndigen Reproduktionsinteressen anvisierte. Seit der Weimarer Rationalisierung und dergroen Krise waren die Studenten in eine merkwrdige Verschiebung ihrer Klassenkonstellation geraten. Sie waren massiv verarmtbis in die Gruppierungen, die aus den freiberuflichen oberen Mittelklassen kamen. Die Perspektive, nach dem Examen mindestensan die Einkommen und den Status der Vter heranzukommen, waraussichtslos geworden. Die Massenarbeitslosigkeit ging bis ins Berufsbeamtenturn und an die Pensionen. Der Reproduktionszyklus derGesellschaft schrumpfte, die tertiren Staatsarbeiter waren nicht davon ausgenommen. Die Studenten verwandelten sich zum erstenmalin der Geschichte in latente Arbeitslose. Aufgrund ihrer sozialenHerkunft wurde die Expansion des Staatssektors zum natrlichenFernziel, dieses verband sich mit ihrem inneren Disziplinarkodexzu einer brisanten Mischung sozialer Eruption; die sich nicht gegenden Staat und die Vter, sondern gegen die noch schwcherenUnterklassen (Frauen, Arbeiter, Linke) richtete. Daneben gab esNahziele. Die uniformierte Kameraderie ging auch auf Selbsthilfe.Und deshalb wurde Schleyer nicht nur alter Kmpfer und SS-Scharfhrer, sondern auch -Amtswalter. Er baute mit aller Energie ausden mickrigen Vorlufern der Systemzeit eine universitts naheHilfszentrale fr die Studenten auf. Er wurde Chef der HeidelbergerBezirksstelle des Reichsstudentenwerks. Um diese Einrichtungranken sich die wildesten Gerchte. Die Studentenwerke, die nach1933 sprunghaft expandierten, waren keineswegs nur Tamfirmendes Sicherheitsdienstes der SS, und sie erschpften sich nicht darin,Mannschaftshuser fr studentische SS-Mitglieder zu unterhalten.Sie haben den Studenten, natrlich den nationalsozialistischenzuerst, ganz gehrig unter die Arme gegriffen. Sie praktiziertenstudentische Sozialpolitik: Aufbau von Mensen, Wohnheimen,Arbeitsvermittlungen. Sie eroberten die Krankenversicherung. Siekmpften um Stipendien. Sie fhrten eine Berufsberatung ein, dievon den Interessen der Studenten ausging.9Natrlich holten sie das alles erst mal fr sich. Sicher benutzten siedas als Hebel der Gleichschaltung der Universitten, die ohne denstudentischen Aktivismus von unten nie funktioniert htte. OhneZweifel hatten sie die greren Geldgeber. Das alles ist aber keinGrund, um die materielle Kehrseite der Medaille wegzumanipulieren. Es handelt sich nicht nur um einen entscheidenden Aspekt derSchleyer-Biographie: hier hat Schleyer erstmals seinen Terrorismusauf solide soziale Interessen gestellt. Vielmehr wre ein exemplarischer Fall sichtbar zu machen, wo sich modernste Sozialpolitikmit den finstersten Ambitionen des Machtstaats verbindet. Da die

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    Linke die beiden Komponenten nicht voneinander zu trennen vermag, bleibt sie immer hinter den materiellen Inhalten der Massenbedrfnisse zurck. Sie sieht immer nur die Schmisse, die bsenZitate und die SS-Mitgliedsnummern. Die soziale Praxis bersiehtsie, die den Erscheinungsformen ihre Dynamik gibt. Wichtig wregerade die Geschichte des Amtswalters Schleyer, in der sich erstmals die Aggressivitt des Terroristen mit den modernsten Methoden der Sozialkontrolle zur Unperson verdichtet.Reden wir weiter ber die erste Phase der Unperson, den Amtswalter und Faschisten. Der studentische Sozialpolitiker hatte sich schonfrh, in Verlngerung seiner Mittelklassen-Sozialisation, mit der nationalsozialistischen Rassenideologie befat. Er war wie alle, fr diemodeme Sozialpolitik lediglich als Hebel ihrer wie auch immer begrenzten Macht dient, Sozialdarwinist. Die Suberung der Universitten war 1936/37 abgeschlossen. Es lockten grere Aufgaben.Als SS-Fhrer mute Schleyer einen Riecher dafr haben, was esbedeutete, da das Rasse- und Siedlungshauptamt des ReichsfhrerSS ber Heydrich mit dem Sicherheitsdienst der SS zu fusionierenanfing. Der Rassist Schleyer studierte die Zusammenhnge zwischen Rassenideologie und Geopolitik: Die Dimensionen seinesTerrorismus weiteten sich in die Richtung europischen Volkstums.Er wurde 1937 rassentheoretischer Schulungsleiter in einer SSStandarte. Was er dabei indoktrinierte, war europische Rassengeographie. Er dachte noch in Volksrumen, wenn er ber Europasprach. Vom europischen Growirtschaftsraum verstand ernoch nichts, er war noch Faschist. Er drfte sich die NeuordnungEuropas noch so vorgestellt haben, wie sie in Heidelberg undFreiburg im Kleinen vonstatten gegangen war: als einen Reinigungsproze, dem strenge Erziehung und Sozialfrsorge auf demFu zu folgen hatte. Im Mrz 1938 absolvierte er seinen erstenAuslandseinsatz in sterreich, das er in eine deutsche Ostmarkumgestalten half. Er etablierte die erste Auslandsfiliale des Reichsstudentenwerks in einem okkupierten Gebiet. Erstmals bereicherteer seine Erfahrungen im sozialpolitischen Terrorismus um denAspekt der ueren Volkstumspolitik. Im Auftrag des Reichskommissars fr die Festigung deutschen Volkstums half er, Studentenaus. Sdtirol an die Universitt Innsbruck zu bringen. Die Betreuung der Studenten aus den umgesiedelten Volksgruppen erfolgte infolgenden Etappen: 1. Erfassung, 2. Beratung und Eignungsprfung,3. Einberufung zum Studium, 4. Aufnahme in die Studienfrderung,5. Eingliederung in den Studentenbund (NSDStB) und den BundAuendeutscher Studenten (BADSt)lO Reibungen mit dem befreundeten italienischen Faschismus sorgten dafr, da diese zu-106

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    stzliche Rekrutierungsbasis fr das Korps der Polizei-, SD- undWirtschaftsfhrer relativ schmal blieb. Schleyer hatte Zeit brig, erwurde in Innsbruck Jura-Doktor. Er produzierte einen dnnen Aufgu jener Denkschemata, wie sie damals fr einen vierundzwanzigjhrigen Aktivisten typisch gewesen sind.Seit Herbst 1938 zerstckelte der Nationalsozialismus unter Zustimmung der alten Entente die Tschechoslowakische Republik:Annexion des Sudentengaus, im Mrz 1939 Einmarsch in dieResttschechei, Aufspaltung in die faschistische Slowakei und dasProtektorat Bhmen und Mhren. Nach zwanzig Jahren Latenzzeit praktizierte der deutsche Imperialismus wieder Besatzungspolitik in einem fremdsprachigen Land.Auf die Inhalte der Okkupationspolitik kommen wir weiter untenzurck. In diesem Zusammenhang sind die ersten Experimente derWiderstandsbewegung wichtiger. Nach der ersten Verhaftungswellehatte sich bis zum Sptsommer 1939 ein labiles Gleichgewicht zwischen Terror und Widerstand eingespielt, das fr alle Anfangsphasen kennzeichnend ist: intensive Reorganisation der Kommunikationsnetze auf der Seite der Unterdrckten mit relativ wenigenoffenen Aktionen, Aufbau des ersten berwachungs- und SpitzelSystems seitens der Gestapo und des SD. 11 Dann begann die Bewegung, das Besatzungsregime in sich steigernden Massenaktionenzu testen. Sie kulminierten in einer spektakulren Massendemonstration in Prag am 28. Oktober 12, die in ihrem Verlauf wie eineFortsetzung der 1918er Massenkmpfe gegen die Habsburger Monarchie erschien. Die Besatzungsmacht hielt sich auffllig zurck,sie schickte lediglich die deutsche NS-Studentengruppe als Provokateure vor. 13 Am 15. November 1939 kam es nach der Ermordungeines tschechischen Studenten zu einer weiteren Demonstration,weniger militant als die Oktobermanifestation, fast ausschlielichvon Studenten getragen. Erst jetzt entschlo sich das Regime zumoffenen Terror. Am 16.11. wurden neun angebliche Rdelsfhreraufgrund von Spitzelberichten der NS-Studenten verhaftet undeinen Tag spter erschossen. Die tschechischen Studentenheimewurden gestrmt, 1200 Studenten ins KZ Oranienburg deportiert,alle tschechischen Hochschulen wurden fr die Dauer von 3 Jahrengeschlossen.l4 So wurde erstmals Volkstumspolitik in die alltglicheBesatzungspolitik integriert, der erste Adressat war die Intelligenz,whrend die Neuzusammensetzung der Unterklassen weniger akuterschien. Die Intellektuellen galt es umzusiedeln oder auszurotten.Die deutschsprachige Intelligenz vor allem der Sudetengebietewurde beschleunigt in die Resttschechei importiert. So kam es,da das Reichsstudentenwerk lange vor den Zwangsarbeitsbehrden107

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    etabliert wurde. Die Prager Bezirksstelle , zustndig fr das Protektorat und den Sudentengau, wurde am l. April 1940 erffnet.Die deutschen NS-Studenten, die wackeren Provokateure undSpitzel, wurden reichlich belohnt. Schleyer, zwischenzeitlich zurWehrmacht eingezogen, fand ein neues Wirkungsfeld. Auf demBoden des bedingungslosen Terrors gegen die tschechischen Studenten etablierte er die Hochschulpolitik des NS-Regimes im Protektoratsgebiet. 1941 belief sich der Jahresetat der Bezirksstelle Pragdes Reichsstudentenwerks einschlielich Liegenschaften auf zehnMillionen Reichsmark, Schleyer kommandierte 160 Angestellte. 15Klar, da die Bedeutung seiner Arbeit auf politischem undvlkischem Gebiet gerade im Protektorat nicht hoch genug eingeschtzt werden konnte. 16

    2. Neuordnung des europischen WirtschaftsraumsSchleyer war auf dem Weg zur terroristischen Unperson weit fortgeschritten. Er war in ein Geflecht von Besatzungsherrschaft integriert, in dem Volkstumspolitik und gezielter Massenterror einanderergnzten. Schleyer karrte die erforderlichen volks- und sudetendeutschen Abiturienten heran, damit anstelle der tschechischen einedeutsche Reichsuniversitt erffnet werden konnte. Whrenddessenwaren die tschechischen Studenten und Dozenten - wohl gemerktalle! - arbeitslos oder im Untergrund. Gegen den Widerstand gibt eseben kein Pardon, selbst wenn er nur von den Universittenkommt. Die Vernichtungswut, mit der Unpersonen vom Schlageines Schleyer seit zehn Jahren gegen die Studentenbewegung unddie Intellektuellen hetzen, kommt nicht von ungefhr. Sie ist Auslufer einer Blutlinie, die der Vergessenheit entrissen werden sollte.Freilich erlernte der Amtsleiter in. seiner Protektoratszeit unendlichviel mehr als nur den Umgang mit widerspenstigen Studenten undIntellektuellen. Sein Horizont weitete sich in jeder Beziehung. DerKontakt des NS-Studentenwerksfhrers zur SD-Leitstelle Pragwar eng genug, um aus dem berzeugten Faschisten der Kampfzeitjenen zynischen Terroristen der Macht zu formen, wie er seit derKrise von 1939 berall in die Kommandostellen des NS-Systemseinrckte. Der SS-Oberscharfhrer, zustndig fr die Neuzusammensetzung der Intelligenz im Protektorats gebiet , erlernte dieGrundprinzipien des social engineering. wie sie von den Intellektuellen im SD um Heydrich und um Todt, Kehrl und Speer inder Wirtschaft entwickelt worden sind. Er bekam die Techniken derstatistischen Geiselnahme und Vernichtung aus nchster Nhe mit,und vor allem seit der bernahme des Besatzungsregimes durch denSD-Chef und Reichskommissar fr die Festigung deutschen Volks-108

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    turns, Heydrich, im Jahr 1941, begriff er die Notwendigkeit, dieMassen durch modernste sozialpolitische Manahmen von denAvantgarden des Widerstandes zu entsolidarisieren.17Aber das Protektorat war erstes und entscheidendes Experimentierfeld nicht nur in dieser Beziehung. Als Amtsleiter der Hochschulpolitik war Schleyer auf vielfltige Weise mit Funktionren undIdeologen des deutschen Grokapitals in Kontakt gekommen. Beispielsweise hatte er an der Berufung von Ferdinand Fried teilgenommen, der kurz nach dem Ausscheiden Schleyers aus demReichsstudentenwerk an der Deutschen Karls Universitt in Prageine Antrittsvorlesung ber die Germanisierung der europischenWirtschaft hielt. 18Aber auch die Kameraderie des alten NS-Studentenkmpfers wirkte fort. Als das Reichsinnenministerium Schleyer endlich in die Fustapfen des Vaters zurckholen wollte - wir zitierten seine Antwortin der Einleitung -, trat er mit Hilfe der Prager Kameraderiedie Flucht nach vom an, in die Wirtschaftspolitik. Bernhard Adolf,Prager Ex -NS-Student und einer der Drahtzieher der studentischenProvokationen vom Oktober und November 1939 gegen die Widerstandsbewegung, war zum Beauftragten des Reichsprotektors beimZentralverband der Industriellen in Prag avanciert. Ende 1941 bernahm er den Vorsitz. Er machte Schleyer zum Leiter seines Prsidialbros.l9 Es ist im Folgenden davon auszugehen, da alle wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen der ReichsgruppeIndustrie in Sachen Protektoratswirtschaft ber Telefon und Schreibtisch des Chefs des Prsidialbros im Zentralverband der Industriefr Bhmen und Mhren gelaufen sind, der berdies noch Leiterder kriegswirtschaftlichen Parallel-Abteilung gewesen ist.Wir haben nachgezeichnet, wie aus dem faschistischen Studentenpolitiker ein Zyniker der Macht wurde, der in einem Herrschaftsgeflecht funktionierte, dem es darum ging, mit einem terrordurchsetzten sozialpolitischen Programm eine feindliche Bevlkerung zuentpolitisieren und zu beruhigen. Jetzt mssen wir versuchen,die Lernprozesse nachzuzeichnen, die in der Unperson abliefen, alssie zum Kapitalmanager aufstieg, der das hochindustrialisierte Protektorat in das Projekt der Germanisierung und Neuordnung deseuropischen Wirtschaftsraums einbrachte. Die Hintergrnde desAnpassungsprozesses von faschistischer Rassenbiologie und Geopolitik an die Strategie des Kapitals waren Schleyer bis dahin sichernoch weitgehend unbekannt geblieben. Er hatte viel nachzuholen.Er studierte die Plne der Reichsgruppe Industrie, seiner neuenBerliner Leitzentrale, die sich seit 1940, am Hhepunkt der NS-Expansion, auf den Aufbau einer vom deutschen Kapital beherrschten

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    Europischen Wirtschaftsgemeinschaft konzentrierte.2o Er vollzogmit, wie sich in den geheimen Memoranden praktisch aller Kapitalgruppen seit 1938 jener Proze vollzogen hatte, der noch heute weitgehend tabuisiert ist, da er doch im Ergebnis alle faschistischenAnfnge des NS-Regimes in einen gigantischen Modernisierungsproze des Kapitals aufsaugte, der die entscheidende Wurzel desheutigen Westdeutschland darstellt. Schleyer wute, da sich1937/38 auf der Seite der Arbeiterklasse ein neuer Kampfzyklusentfaltet hatte, der mit seinen Auswirkungen auf die Wanderungsbewegungen und das Lohnniveau jenseits aller traditionellen Arbeiterorganisationen das Regime in seinen Grundfesten erschtterte.Ihm wurde jetzt mitgeteilt, wie diese Dynamik auf die DeutscheArbeitsfront fortgewirkt hatte, derart, da die Funktionre des Grokapitals ein DAF-Verbot forderten.21 Ohne Zweifel wre im Falleines Verbots der ganze Institutionalisierungsproze des Klassenkampfs, der unter dem NS gerade in Gang gekommen war, in dieLuft gesprengt worden. Fr die Fortexistenz des Machtstaats bliebnur das Dampfablassen durch uere Expansion als Alternative.Schleyer erkannte in den geheimen Memoranden die wirklichenBeweggrnde der Blitzbesetzungen und -kriege, die mit sterreichund den Sudeten angelangen hatte. Um die deutschen Arbeiterniederzuhalten, war ihre Integration in einen europischen Arbeitsmarkt erforderlich. Sie sollten in einenVorarbeiter Europas durchdreierlei Manahmen umgewandelt werden: Requalifizierung,Einkommenssteigerung und Durchsetzung des Rassismus aufder inneren Klassenlinie. Es sollte eine kapitalistisch-staatlicheKlassenhierarchie auf europischer Ebene durchgesetzt werden,die den gigantischen Hunger nach immer neuer Arbeitskraft miteinem geographisch -rassistisch-Iohnpolitischen Hierarchiegefllekombinierte.22 Die Planung der Arbeitskraft war zum zentralenMotor der nazistischen Neuordnung des europischen Growirtschaftsraums geworden.Die Transformation seiner rassistisch-geopolitischen Ideologie ineine nchterne kapitalistische Arbeitskrfteplanung ist Schleyer sicher nicht schwergefallen. Die Verallgemeinerung zur Unpersonbrachte ihn endgltig ber die Hochschulpolitik hinaus, stelltegleichzeitig aber eine ungeheure Konkretion dar. Der Terrorist warim Zentrum der Macht angekommen. Er fing an, die Protektoratswirtschaft an die Konzeption des Zentrums anzupassen. Im Protektorat existierte ein hochentwickeltes Industriepotential und eine entsprechend qualifizierte Arbeiterklasse. Ihre Einverleibung,bewerkstelligt vor allein von der Dresdner und Deutschen Bank,23ins deutsche Wirtschaftspotential war schon weitgehend abge-110

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    schlossen, als Schleyer seinen Posten antrat. Die Weichen warenalso schon gestellt, auch gegenber der Arbeiterklasse. Skizzierenwir kurz, woran die Unperson hinsichtlich der Realisierung beteiligtwar. Denn es handelt sich hier um die Periode unter Heydrich,die fr die Effektivierung des gesamten NS-Regimes exemplarischeBedeutung hatte.Bei der Dreiteilung des europischen Growirtschaftsraums inentwickeltes Machtzentrum, umgebenden Industrialisierungsgrtelund Zwangsarbeiter liefernde sd-, sdost- und osteuropische Peripherie24 war das Protektorat aufgrund seines hohen Industrialisierungsgrads dem Zentrum zugeschlagen worden. Es kam alsodarauf an" eine langfristige Germanisierungskonzeption mit demtagespolitischen Zwang zur effektiven kriegswirtschaftlichen Ausnutzung des Arbeitskrftepotentials in Einklang zu bringen. Dabeigingen Heydrich und die Protektorats gruppe der RGI von bereinstimmenden Prinzipien aus. Ihr gemeinsamer Rassismus transformierte sich immer in einen Hebel der Klassenspaltung von innen

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    heraus, er wurde zum Scharnier, mit dessen Hilfe die Geschmeidigkeit der alltglichen Ausbeutung in das groe Projekt der Germanisierung hinberfhrte. Es ist von entscheidender Bedeutung, zu begreifen, da jetzt die Hingabebereitschaft als Arbeitskraft dieWerteskala des Rassismus definierte. Slawische Untermenschenzeichneten sich fortan vor allem durch deutlich ungeordnetes, unsorgfltiges Familienleben bei Mangel jeglichen Gefhls fr Ordnung, fr persnliche und husliche Sauberkeit, Mangel an jeglichem Streben nach einem Vorwrtskommen aus.25Entsprechend war es um die langfristigen Ziele bestellt. Da das Kapital inzwischen in fester Hand war, galt es. innerhalb von etwa 30Jahren die Hlfte des tschechischen Volksbestands durch Assimilation einzudeutschen: die tschechischen Industriearbeiter nmlich, die sich durch eine germanisierbare Arbeitsmoral auszeichneten. Die andere Hlfte sollte dagegen durch getarnte wie offeneManahmen eliminiert werden; die enteigneten Bauern, Dorfhandwerker und Kleinhndler sollten als Zwangsarbeiter ins Reich, dietschechisch-jdischen Mischlinge und die Intellektuellen radikalausgemerzt, das brige Sklaventurn durch Geburtenbeschrnkung usw. reduziert werden. Diese Plandaten sind wohlgemerktnicht Heydrich-Akten, sondern Dokumente aus der Protektoratszentrale der Reichgruppe Industrie26 entnommen.Und wie sah es mit der Tagespolitik aus? Hier hatte das Prsidialbro der Protektorats-RGI zusammen mit der Protektorats leitungschon entscheidende Fakten geschaffen, auf denen nach 1941 aufgebaut werden konnte. Die tschechische Krone war um 30% abgewertet, zur Verbesserung der deutschen Kapitalbilanz gegenberder tschechischen war im Oktober 1940 eine Zollunion mit demAltreich durchgesetzt worden (Anschlu ans Zentralclearing).Zusammen mit direktem Kapitalraub (Arisierungen) warenverstrkte Emigration, Preisinflation und Verschlechterung derErnhrungslage die Folge. Das alles waren aber nur vorbergehende krisenpolitische Manahmen gewesen, um Klasse und Wirtschaftdes Protektorats in den Griff zu bekommen: das Protektorat warja Teil des entwickelten Zentrums! Die ra Heydrich-Adolf-Schleyer stand folglich ganz im Zeichen der Stabilisierungspolitik. Jemehr sie den Wirtschafts- und Verwaltungsapparat unter Kontrollebrachte (vgl. die berhmten heydrichschen Verwaltungsreformenim Zusammenhang mit dem Ausbau der Lokalstellen der RGI) ,desto flexibler wurde sie. Auf der einen Seite die Grndung vonBetriebsausschlssen und einer Einheitsgewerkschaft im DAFStil27 , Lohnerhhungen, Betriebskantinen, Zeitzulagen, Ausbauder Sozialversicherung und Umwandlung der Rstungsbetriebe in112

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    Hochlohn-Distrikte; auf der anderen Seite eine Przisierung desstatistischen Terrors, der fortan auf den direkten Widerstand konzentriert wurde. Die Geiselermordungen und Strang-Hinrichtungenbeim Betriebsappell nach Sabotageaktionen gehrten sehr wohl indas Handwerkszeug dieser gemigten Besatzungspolitik.28Schleyer war seit Ende 1941 an alldem beteiligt, er war einer derzentralen Exekutoren einer Politik des sozialpolitischen Zuckerbrotsund der terroristischen Peitsche, die, abgesehen von der Terrorwelle nach dem Attentat auf Heydrich, bis zum Kriegsende fortgesetztworden ist. In bereinstimmung mit dem SD hat das ProtektoratsZentralbro seit 1942 der Einheitsgewerkschaft die Flgel wiederbeschnitten, nachdem sie ihren Einflu auf die Arbeiter vollstndigverloren hatte, und setzte auf direkte betriebliche Sozialpolitik. Auchdie terroristische Seite der Klassenkontrolle wurde immer mehr aufdie unmittelbaren Konflikt-Punkte zugeschnitten. Arbeitsfaule wanderten nicht mehr gleich in die KZs, sondern in Arbeitserziehungslager gleich neben den Betrieben. Die Przisierung ihrerHerrschaft zum social engineering hinderte die Besatzungsmachtfreilich nicht daran, beim bergang zum totalen Krieg im Interesseder Reichszentrale zu handeln und verstrkt Zwangsarbeiter und Kapitalien ins Altreich zu exportieren. Wo die materielle Sozialpolitik, das social engineering Lgen strafte, versumte sie zumindestnicht die sprachliche Ideologisierung. Adolf-Schleyer haben nichtetwa Metallfacharbeiter aus Brunn nach Stuttgart verschleppt, sondern einenAustausch zwischen den Metallfacharbeitern Brunnsund Stuttgarts organisiert.29 Unpersonen sind eben immer Menschenfhrer: sie geben sich um so einfltiger und kommunikativer,je nchterner, je klter und prziser ihr Umgang mit der Klasse alsArbeitskraft geworden ist.

    3. Die Weichen werden neu gestelltNach der vorbergehenden Blockierung des neugeordneten europischen Growirtschaftsraums und seiner langwierigen Rekonstruktion im Westen war es lange um Schleyer still. Der kaumDreiigjhrige bte mit seiner Person drei Jahre lang als automatisch Arretierter der Alliierten fr die allzu rasante Ver-selbstndigung zur terroristischen Unperson. 1948 kam er in derBadischen Indutrie- und Handelskammer als Leiter des Auenhandelsbros unter. 1951 wurde er von Flick, dem grten Wirtschaftsgangster der deutschen Geschichte30 , ins Management derDaimler-Benz AG geholt: eine der personellen Seiten, ber die sichder selbst von den Westalliierten als Kriegsverbrecher klassifizierte31 Kohlen- und Steinmagnat in die chemische und Metallindustrie

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    hineindiversifizierte. ber die Aktivitten dieser Jahre wissen wirwenig.Schleyer wurde in dem Augenblick unentbehrlich fr die Personalplanung , als der Konzern statt der osteuropischen Flchtlingeimmer mehr sdeuropische Emigranten an die Bnder holte. InSachen multinationaler Ausbeutung war er zweifellos firm, und erbeschftigte sich zum ersten Mal wieder publizistisch mit ihreninneren und europischen Zusammenhngen. Seine Erfahrungenerwiesen sich als unverzichtbar, derart, da er, inzwischen zumPersonalchef aufgestiegen, zwischen 1959 und 1961 zum direktenAngelpunkt fr die 'Arbeitskraftstrategie des Unternehmensvorstandes wurde.32Die Figur des spteren stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden undDaimler-Personalchefs werden wir unten weiter verfolgen. Hier gehtes uns zunchst um eine Beschreibung des Funktionierens der Unperson in den sozialpolitischen Institutionen des Kapitals, bei denArbeitgeberverbnden.Die westdeutschen Gewerkschaften, unter Kontrolle der Westalliierten von den Sozialdemokraten nach dem Prinzip der Deutschen Arbeitsfront reorganisiert33 , hatten seit Ende der 50er Jahre iminstitutionellen Konflikt mit dem Kapital entscheidende lohnpolitische Barrieren durchbrochen. Gerade in den Zeiten dsterster politischer Repression hatten sie tief hineingebissen in das Zuckerbrotder Entpolitisierung des Klassenkerns: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ausbau der Sozialversicherung. Die Antwort des Kapitalswar vielfltig. Auf erweiterter Stufenleiter wurden die Inhalte derKonfrontation von 1937/38 wiederholt, wenn auch ohne die sichtbaren Aspekte der Germanisierung. Verstrkt wurden Arbeitsemigranten beschafft, um den SD vertrauten Mechanismus der rassistischen Klassenspaltung lautlos zu reproduzieren. Eine weitereAntwort bestand in einem sprunghaften Rationalisierungsboom, umden Reallohndruck durch verkrzte Arbeitsrhythmen auf Betriebsebene wieder zu berholen. Die dritte Angriffsebene lief ber diegroe Lohntarifspolitik zwischen Arbeitgeberverbnden und Gewerkschaften. Hatte die Unperson Schleyer nur innerhalb eines bestimmten Konzerns der Autoindustrie an zwei Aspekten dieser Weichen-Stellung teil, so wurde sie hinsichtlich des letzten zu einemBezugspunkt, auf die sich das gesamte Kapital orientierte. Schleyerwurde zum ersten Mal Reprsentant einer Konzeption sozialpolitischer Planung; das Netz, in dem er sich bislang bewegt hatte, machte ihn selbst zum Knotenpunkt.Bis Ende 1961 war auf der institutionellen Ebene des Lohnkampfesdie Initiative eindeutig auf der Seite der Gewerkschaften. Sie hatten114

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    nach langen innerorganisatorischen Prozeduren der Versachlichungbis jetzt noch Luft genug gehabt, um die Tarife zu kndigen, Lohnforderungen zu stellen, institutionelle Drohgesten durchzufhrenund notfalls, begrenzt auf Schwerpunktstreiks, mit unmittelbarenArbeiterinteressen zu operieren: die Arbeitgeberverbnde hatten reagiert und den Kompromi-Stil des collective bargaining hingenommen. Damit war es jetzt vorbei. Seit 1961 wurde eine Linie der Gegenkonfrontation entwickelt und beschlossen, dem institutionellenReformismus in seinem am besten organisierten Zentrum den Boden zu entziehen. Als Hochburg des Gewerkschaftsreformismuswurden die baden-wrttembergischen Metallgewerkschaften definiert, der Gegenangriff auf sie festgelegt. Im UnternehmerverbandGesamtmetall wurde ein Tarifpolitischer Ausschu gegrndet, derMotor prventierter Lohnpolitik mit eigenen Tarifkndigungen undber-Aussperrungen im Fall von Streiks hie Schleyer. Die regionale Arbeitgeberorganisation gruppierte sich gleichzeitig in eineZentrale der Gegenoffensive um, der Verband der Metallindustriellen Nordwrttemberg-Nordbadens erhielt einen neuen Vorsitzenden: Schleyer. Die Tarifbewegung 1962 war das Vorspiel, es wurdeim letzten Augenblick mit einem Komprorni beendet. Anders 1963.Die Arbeitgeber kndigten von sich aus die Tarife und begannenmit einer provokatorischen Kampagne fr eine Null-Lohnerhhung.34Gleichzeitig begannen sie, den Institutionenkampf in der Mobilisierungsphase auf das Tarifgebiet Nordbaden-Nordwrttemberg zukonzentrieren: es war als einziges auf eine groe Aussperrungsaktion vorbereitet. Dann sorgten sie ber die Unperson Schleyerdafr, da das institutionelle Gewerkschaftskarussell ins Leerestie, indem sie es dauernd mit Scheinverhandlungen hinhielten. DieIG Metall verzichtete auf den ersten Kndigungstermin der Tarife,bot dann eine Entfristung der Kndigung an, kndigte schlielichnur in zwei Tarifgebieten, verschob den Streikbeginn. So war dieInstitution Gewerkschaft am Ende kunstvoll zum Kampf auf aussichtsloses Terrain gestellt, die Arbeiter waren lngst demoralisiert,einen Tag nach Streikbeginn erfolgte die Aussperrung.35 Die westdeutsche Gewerkschaftsbewegung war in ihrem aktivsten Zentrum besiegt. Es war nicht mehr ntig, sie zu verbieten. Sie behielt, kunstvoll/ integriert in die nachnazistische Produktivittsgesellschaft, gerade soviel Spielraum. wie sie zur Selbsterhaltunggegen etwaige Tendenzen der Arbeiterautonomie bentigte. DasScharnier Schleyer hatte den Arbeitern demonstriert, da die Gewerkschaften nicht mehr zu ihnen gehrten. Die Lektion war dabei so organisiert, da das Resmee: mit den Gewerkschaften er-

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    reichen wir so gut wie nichts, ohne sie noch weniger, die Kmpfejahrelang blockierte.Ende der sechziger Jahre begann ein neuer Zyklus der Massenkmpfe, der zum erstenmal wieder die Kontinuitt des ModellsDeutschland als Leistungsgesellschaft in Frage stellte. Innerhalbeiner breiten Revolte der Jugend und der unentlohnten Unterklassenentwickelten sich erste Anstze zum autonomen Arbeiterradikalismus. Die herrschende Macht erinnerte sich an ihre bislang extremgezgelten Grenztrger gegenber der Revolte, Sozialdemokratieund Gewerkschaften. Sie mute berkonzessionen - aus ihrer Sicht- an die Masseneinkommen machen, bevor sie zu einer rigidenNeubestimmung des Verhltnisses von Terror und Sozialpolitikberging und schlielich die Krise, genauer; die Kombinationvon Massenarbeitslosigkeit, Inflation und Unterdrckung als Hebeldes globalen Gegenangriffs einsetzte.Seit 1971/72 diktierte das Kapital die Gegenoffensive, so wie siesich bis 1974 mit der Regierung Schmidt in die institutionelle Spitze hinein fortgesetzt hat. Zur Zentralfigur wurde Schleyer, derdamit den Proze seiner Entpersnlichung vollendete. 1971 organisierte Schleyer eine zweite Massenaussperrung gegen die badenwrttembergischen Metallgewerkschaften, im wesentlichen einRckgriff auf die 1963 angewandten taktischen Mittel. Die mittleredeutsche Arbeitergeneration wurde in die alten Resignationenzurckgetrieben, der Kampfzyklus gespalten, auf multinationaleGruppen beschrnkt und im Auguststreik 1973 vernichtet. Die so erfolgreiche Unperson Schleyer rckte endgltig in die gesamtkapitalistische Spitze: 1973 Arbeitgeber-Prsident, seit 1976/77 fusionierten die Arbeitgeber und der BDI ber sie. Schleyer vollendete sichals Trommler des roll back, der Leistungsgesellschaft gegen dieLeistungsmuffel. Er kmpfte mit kaum verhllten InvestitionsstreikDrohungen dafr, da die Personalpolitik gewerkschaftlichenEinflssen entzogen blieb.36 Er legitimierte die Krisenstrategie desKapitals mit der lakonischen Umdrehung einer Floskel der NeuenLinken: auch die Unternehmer seien keine Wachstumsfetischisten.37Er verteidigte die Bestimmung der Arbeitsrhythmen als reines UnternehmermonopoI.37a In kaum zu berbietender Demagogie warfer den Gewerkschaften Europafeindlichkeit vor, indem er ihrKonzept fr die Europisierung des westdeutschen Mitbestimmungsmodells gegen sie benutzte.38 1975 schlug er neue Spaltungsund Disziplinierungsmethoden gegen die jugendlichen Arbeitslosenvor.39 Er, der in seiner Jugend studentischer Sozialpolitiker gewesenwar, warb jetzt offen fr die Restriktion des gesamten Bildungswesens, denn die jetzigen Akteure der Studenten- und Schlerinter-116

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    essen waren nicht nach seiner Unperson geschnitzt. Ende 1976blickte Schleyer auf groe Erfolge zurck. Aber das roll back warnoch nicht beendet, ein Interview trug den bezeichnenden Titel: DieKrte nicht umsonst geschluckt.4o4. Die Daimler-Arbeiter und eine UnpersonWar Schleyer nicht doch in den letzten Jahren so etwas wie einBoder Bosse, der Spezialist, der wieder einmal den institutionellenReformismus angriff, sobald von der Klasse selbst keine Gefahrmehr ausging? Fr die institutionelle Linke ist diese Frage auerZweifel. Er war fr sie ein Mann der Reaktion, der Kerl mit denSchmissen, der SS-Mann, der Gewerkschaftsfeind, der bse deutsche Unternehmer schlechthin. Er geht in ihre Geschichtsbcher alsder Mann ein, der in seiner letzten aktiven Lebensphase die gewerkschaftliche Mitbestimmung hintertreibt. Der laute Bo derBosse wird von ihr wrtlich genommen, strategisch bis zur allerletzten Interview-uerung.Wir sind nicht der Meinung. Wir haben versucht, Argumente fr einegnzlich andere Beurteilung zu unterbreiten. Schleyer ist fr uns aufgrund seiner Geschichte eine Figur im Zentrum des kapitalistischenMachtstaats, an deren Eigenschaft ihre Komponenten teilhaben,auch die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften. In seiner letzten Phase nahm Schleyer freilich arbeitsteilige Funktionen wahr. Erschwor alle Institutionen der herrschenden Macht seit 1971/72 aufdie Strategie des Krisenangriffs gegen die Klasse ein. Die sozialliberale Koalition bernahm unter Schmidt seit 1974 bedingungslosdie konomische Floskel des Angriffs, die Philips-Kurve.4oa DieSozialdemokratie machte sich an die Feinarbeit in einer historischenKonstellation, die mit der Restriktion der Masseneinkommen, alsodes Zuckerbrots, notwendig die Peitsche, den polizei staatlichenTerrorismus, strker benutzen mute als zuvor. Die Entwicklungder heute fhrenden Politiker in Sozialdemokratie und Gewerkschaften hat genau die gleichen Phasen zur Unperson durchlaufen,zur Kombination von social engineering und gezieltem Terror. Essind die seit 1938 aufgestiegenen Sozialingenieure des damaligenModell Deutschland, die heute als 55- bis 65 jhrige die Kommandostnde der Macht besetzt halten. Sie stehen voll zu ihrer Geschichte, zu ihrer Vergangenheit. Die institutionellen begrenztenKonflikte, die sie nach auen ber die Medien inszenieren, sind eineFarce. Sie dienen nur der Verschleierung. Sie haben nur den Zweck,den Kontakt, der ber die reformistischen Jugendorganisationen indie neue Klassengeneration der Revolte luft, nicht abbrechen zulassen. Die Sozialingenieure der Macht verstehen sich auf das Ge-

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    schft der Verschleierung. Sie wissen zu gut, da ihre Wechselbdervon moderner Sozialpolitik und berwachung nur so lange greifen,solange die autonome Massenbewegung fr sie lesbar bleibt.Wir befinden uns mit dieser Einschtzung in bereinstimmung mitden Arbeitern. Fr die Proletariergenossen bei Daimler und in derAutoindustrie war Schleyer kein rechter Schreihals, der die Sozial-demokratie und die Gewerkschaften gefhrdete, sondern ein Mon-strum. Fr sie ist es kein unlsbares Problem, da die leitende Un-person der Metallindustrie die Gewerkschaften mitsamt den langevorher schon demoralisierten Arbeitern 1963 und 1971 durch Mas-senaussperrungen aufs Kreuz legte und 1973 einen Rahmentarifver-trag hinsichtlich der unmittelbaren Arbeitsbedingungen (Begren-zung der Taktzeiten, bezahlte Pausen usw.) abschlo, der von denGewerkschaften als eine Art Revolution gefeiert wurde.41 Fr siegehrt es auch in das Kalkl des Personalchefs Schleyer, da beiDaimler seit 1972 links gewerkschaftliche Betriebsrte existieren:ein gewerkschaftseigenes Unternehmen htte sie lngst gefeuert, siewurden ja auch von der IG Metall ausgeschlossen. Schleyer konntealso, wenn es dem Interesse des kapitalistischen Plans entspricht,sehr fortschrittlich sein, sehr sozialpolitisch, und im nchstenAugenblick bedingungslos zugreifen, wenn es um die Unter-drckung direkter Widerstandsformen ging. Denn die UnpersonSchleyer stammte aus der Generation der Kehrl, Speer und Hey-drich. Ihre Entwicklungsgeschichte ist typisch fr all die Sozialin-genieure, die an einer lautloseren und prziseren Neuauflage derNeuordnung des europischen Growirtschaftsraums arbeiten.Fr sie gibt und gab es immer nur ein Ziel: um jeden Preis dieKonstituierung gesellschaftlicher Zonen zu vermeiden, die auer-halb ihrer Kontrolle sind. Gengte die Sozialpolitik von oben nicht,gab es immer einen bruchlosen bergang zum Vernichtungsangriff.Wohlgemerkt ist die deutsche Sozialdemokratie und Gewerk-schaftsbewegung seit Legien, Ebert und Noske voll in diese Linieintegriert, wenn sie auch zeitweilig whrend des nationalsoziali-stischen va banque aus ihr heraus gefallen ist.Mit der Verzweiflung und Unfhigkeit der revolutionren Kader inDeutschland, diese Einkreisung durch das social engineering derherrschenden Macht zu durchbrechen, lieen sich ganze historischeBibliotheken fllen. Die Stadtguerilla der jngsten Vergangenheit istdafr nur das letzte Beispiel. Die Haftbedingungen,.denen ihre ge-fangenen Genossen ausgesetzt waren, hnel(te)n immer mehr demZustand von Geiseln, ihr Verdmmern in der Isolationshaft war eineProvokation, die an die Substanz der gesamten Massenbewegungging, wie sie aus der Revolte der sechziger Jahre entstanden ist.118

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    Einige Zirkel hofften die Einkreisung zu sprengen, indem sie anfingen, den Terrorismus der Sozialingenieure auf diese selbst anzuwenden. Dabei begaben sie sich von vornherein in einen aussichtslosen Clinch. Sie pokerten mit dem Krisenstab der herrschendenMacht in der berzeugung, da eiserne eigene Kontrolle ber dieKrper der Isolationsgefangenen zurcknehmen wrde, um diePerson Schleyer zu retten. Aber Personen und Krper bedeuten denSozialingenieuren nichts, auch und gerade die, die zu Hllen derMacht geworden sind. Was wre geschehen, wenn die Entfhrerdie Person Schleyer freigelassen htten! Befangen in der Imitationder von ihnen angegriffenen Macht, hatten sie diese Gre nicht.Sie haben die Unperson zurckgegeben, indem sie die Person vernichteten. Sie haben ihre Niederlage selbst vollstreckt.

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    Funoten zu Karl Heinz Roth: I. So Martin Buchholz: Schleyer - eine deutscheKarriere, in: Berliner Extradienst, 9.9.77. 2. U. M. Schleyer: Gefragte Tugend: Unpopularitt! in: der Arbeitgeber, Nr. 24, 1974, S.1040 ff. 3. Vgl. H. M. Schleyer: Dassoziale Modell, Stuttgart 1973.4. Zit. nach B. Engelmann: Groes Bundesverdienstkreuz, Reinbek 1976, S. 63. 5. D. h. Otto Brenner. 6. Zit. nach W. Simon: Macht undHerrschaft der Unternehmerverbnde BDI, BDA und DIHT. 7. Besonders bekannt121

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    geworden ist die Denunziation des damaligen Rektors der Freiburger Universitt,Prof. Friedrich Metz. 8. Zit. nach Engelmann, ebenda, S. 61. 9. Es gibt noch keinehistorisch-kritische Analyse des Reichsstudentenwerks. Wichtig, wenn auch apologetisch, ist: Reichsstudentenwerk. Bericht ber die Arbeit im Kriege, Berlin 1941.10. Bericht ber die Hilfsrnanahmen fr die Studierenden aus Estland, Lettland, demehemaligen Polen und Sdtirol an den Reichskommissar fr die Festigung deutschenVolkstums, zit. nach ebenda, S. 52 f. 11. Vgl. dazu: D. Brandes: Die Tschechenunter deutschem Protektorat, Teil 1. Mnchen und Wien 1969, S. 53 ff. 171 ff.12. Vgl. ebenda, S. 83 ff. 13. Vgl. ebenda, S. 85 ff. 14. Ebenda, S. 89 ff. 15. Zit. nach:B. Engelmann: Schwarzbuch: Strau, Kohl & Co., abgedruckt in: Arbeiterkampf,Hamburg, Nr. 113, v. 19.9.77, S. 3. 16. So der Schwiegervater von H. M. Schleyer,der SA-Obergruppenfhrer Dr. med. Ketterer, zit. nach ebenda. 17. V gl. dazu als Dokumentensammlungen V. Kral (Hrsg.): Die Vergangenheit warnt, Prag 1960; sowieders. (Hrsg.) Die Deutschen in der Tschechoslowakei 1933-1947, Prag 1964.18. Vgl.Ferdinand Fried: Die geistigen Grundlagen der weltwirtschaftlichen Strukturwandlung. Antrittsvorlesung Prag, Deutsche Karls-Universitt, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultt, gehalten am 19. November 1941, Stuttgart und Berlin 1941.19. Zu Adolf vgl. V. Kral (Hrsg.): Die Vergangenheit warnt, S. 98. Zu Schleyer: Engelmann: Groes Bundesverdienstkreuz, S. 62, Simon, a.a.O., S. 116.20. Das Archivder Reichsgruppe Industrie ist bis heute verschollen. Folgende Dokumentenbndeaus der DDR enthalten Schriftstcke mit Friedensplnen aus den Jahren 1939/40:D. Eichhoitz, W. Schumann (Hrsg.): Anatomie des Krieges, Berlin 1969; G. Hass,W. Schumann: Anatomie der Aggression, Berlin 1972; K. Drechsler u.a.: Europaplne des deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg, in: Zeitschrift fr Geschichtswissenschaft, 1971, H. 7; Autorenkollektiv: Konzept fr die ,,Neuordnungder Welt. Berlin 1977; W. Schumann: Neue Dokumente der Reichsgruppe Industriezur Neuordnung Europas, in: Jahrbuch fr Geschichte, Bd. 5, Berlin 1971, S. 379ff. 21. V gl. die neueste Aktenpublikation zu den Auseinandersetzungen um ein DAF-Verbot 1938, in: Archiv fr Sozialgeschichte, 1977. 22. Dieser Feststellung wirdheute mehr denn je mit Mitrauen begegnet. Sie ist aber beweisbar. V gl. beispielsweise die RGI-Denkschrift ber Aspekte der Lohnpolitik bei einer NeuordnungEuropas vom 1.8.1940, abgedruckt in W. Schumann, Neue Dokumente, als Dok.Nr. 8, S. 411 ff.; sowie den Vortrag von Hans Kehrl vor der Industrie- und Handelskammer der Niederlausitz ber Groraumwirtschaft vom 9.9.1940, abgedruckt inR. Opitz: Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, Kln 1977, S. 777 ff.,insbs. S. 786: Im Groraum knnen deutsche Arbeiter in Zukunft nur fr hochwertige und bestbezahlte Arbeit, die den hchsten Lebensstandard ermglicht, angesetztwerden; Produkte, die diese Voraussetzungen nicht erfllen, werden wir in zunehmendem Mae den Randvlkern zur Produktion berlassen und berlassen mssen.Wir werden uns fr den deutschen Arbeiter bei der industriellen Produktion Europasdie Rosinen herauspicken ... 23. V gl. dazu die Dokumente in den von V. Kral herausgegebenen Dokumentensammlungen (Fun. 17).24. Dies war, in einem Satz zusammengefat, das Resultat aller Neuordnungsdebatten. Leider fehlt noch eineAnalyse der Zusammenhnge aus der Sicht der Planung der Arbeitskraft. 25. Soder Reichsprotektor fr Bhmen und Mhren, Frank. V gl. Der Reichsprotektor frBhmen und Mhren, Vorschlge zur Vorbereitung der Umvolkung im ProtektoratBhmen und Mahren, v. 30. November 1940, abgedruckt als Dok. Nr. 17 in: V. Kral,Die Vergangenheit warnt, S. 109 ff., zit. hier S. 113.26. Ein Zitat aus der DenkschriftDie Aufgaben der Wirtschaft bei der Eindeutschung des Protektorats Bhmen undMhren, v. 2.11.40, verfat vom Protektoratschef der RGI, Bernhard Adolf: Eskann angenommen werden, da es mglich ist, durch Assimilation etwa 50% destschechischen Volksbestandes einzudeutschen, da durch Auswanderung im Laufe122

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    von 30 Jahren etwa 10% diesen Raum verlassen, durch Manahmen zur Einschrnkung der Geburtlichkeit der tschechische Volksbestand um 3-5% vermindert, dadurch radikale Ausmerzung der tschechisch-jdischen Mischlinge ... mindestens weitere 5% erfat werden. Sind auf diese Weise etwa 70% des tschechischen Volkes indiesem Rume liquidiert, so ist der Rest von 30%, der zum Groteil aus einem rassischen Untermenschenturn besteht, dessen Assimilation unerwnscht ist, soweit inseiner Bedeutung gesunken, da er ohne Schwierigkeiten ausgesiedelt oder sonst unschdlich gemacht werden kann. (zit. nach Kral, a.a.O., S. 100 f.). ber den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Protektorats- und Sdost-Planung vg1. imbrigen die Dokumente bei W. Schumann (Hrsg.): Griff nach Sdosteuropa. Berlin1973. 27. ber die kapitalistisch-SD-mige Arbeiterpolitik im Protektorat vgl.Brandes, a.a.O., S. 225 ff. 28. Diese im Grunde zynische Beurteilung trifft leiderzu, wenn das, was im Protektorat geschah, mit der Strategie der Rekolonialisierung gegenber Polen und der Sowjetunion verglichen wird! 29. Vg1. LageberichtRstungsinspektion Prag vom 14.2.1942, Bundesarchiv Koblenz, WO 8-122/10,S. 103 ff. 30. Vg1. K. Drobisch (Hrsg.): Fall 5, Dokumente und Urteil des FlickProzesses, Berlin 1965.31. Vg1. ebenda, passim. Zu seinen Verbrechen an den auslndischen Zwangsarbeitern vg1. K. Drobisch: Die Ausbeutung auslndischer Arbeitskrfte' im Rick-Konzern wrend des zweiten Weltkriegs, Berlin: Phil. Diss.Humboldt-Universitt, 1964.32. Vg1. dazu Engelmann, a.a.O. (l und 2), W. Simon,S. 116.33. Ein bislang aus bezeichnenden Grnden noch unerschlossenes Kapitel derNachkriegsgeschichte. Vg1. dazu in ersten Anstzen J. Klein: Hand in Hand gegendie Arbeiter, Hamburg 1974. 34. Vg1. Gesamtverband der Metallindustriellen Ar-beitgeberverbnde e.Y.: Lohnpause! 1963.35. Interessant ist in diesem Zusammenhang Schleyers eigene Retrospektive. Vg1. seinen Bericht in: Versachlichung derLohnpolitik, Protokoll der Tagung fr leitende Mnner und Frauen der Wirtschaftvom 1. bis 3. November 1963, Evangelische Akademie Bad Boll, Protokolldienst 47,1963.36. Vgl. H. M. Schleyer: Betriebsverfassung. Sozialer Motor - ja! Wirtschaftliche Bremse - nein!, in: der arbeitgeber, Nr. 20,1971.37. ders.: Wachstum kein Unternehmerfetisch, ebenda, 1972, Nr. 12, S. 455 f. 37; 37a. ders.: 50 Jahre Refa, Grundlagen fr Tarifvertrge, ebenda, Nr. 9 1974, S. 331 fF. 3S. 38. derselbe: DGBeuropafeindlich? in: plus, Zeitschrift fr Fhrungspraxis, 1973, Nr. 9,S. 9-12.39. ders.: Stopp der Jugendarbeitslosigkeit - Vorschlge der Arbeitgeber, in: derarbeitgeber, Nr. 3, 1975.40. in: Capital, 1976, H. 11, S. 50. 40a. Kombination vonInflation und Arbeitslosigkeit, um den Reallohn zu senken. 41. Freilich vllig zuunrecht. Vgl. Stuttgarter Arbeiter, Tarifbombe mit Zeitznder, Erfahrungen mitdem Meilenstein von Baden-Wrttemberg, in: Kursbuch, 1976, H. 43, S. 68 ff.(Aus: Autonomie, Materialien gegen die Fabrikgesellschaft, Nr. 10, 1/1978). Wolfgang Schlier, Tupamaros-Gebrauchsanweisungen,Auszug aus Carlos Nunez / Wolfgang Schller, Stadtguerrilla - Neue Strategie. Schulungstext 1, Editions clandestines, Toulouse-Berlin, 1970. Original: Sozialistische Politik, Berlin, Nr. 2 / 1969.Wolf Biermann, Interview, 10. Juni 1972, ohne Quellenangabe. Aus: BewaffneterKampf. Texte der RAF, Auseinandersetzung und Kritik, Verlag Rote Sonne, Graz(Hamburg) , 1973.