Karl Jaspers Augustin Piper (1976)

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S PBand 143

Zu diesem Buch

»Die geistige Entwicklung Augustins hat ür das Abendland einen vor-bildlichen Charakter gewonnen. Er vollzieht in persönlicher Gestalt, wasder geistige Prozeß von Jahrhunderten war: den Übergang von der Philo-sophie eigenständigen Ursprungs zur christlichen Philosophie. In Augu-stin sind Denkormen der antiken Philosophen angeeignet zum gläubi-gen Denken angesichts der Offenbarung. In der Wende der Zeitalter, als

die Philosophie ihre ursprüngliche Denkkrat verlor in bloßen Wieder-holungen, ergriff Augustin im christlichen Glauben als seinem Grundedes Philosophierens die damals originale Möglichkeit. Noch erweckt inder Denkkrat der heidnischen Philosophie, brachte er dem christlichenDenken seine Selbständigkeit au höchstem Niveau. Kein heidnischerPhilosoph seiner Zeit und der olgenden Jahrhunderte läßt sich auch nurvon ern neben ihm nennen.

Das lateinische christliche Denken vor Augustin (ertullian, Lactan-

tius) erreichte noch nicht den Umang und die iee einer eigenen phi-losophischen Welt. Was nach Augustin kam, zehrte von ihm. Augustinschu die christliche Philosophie in ihrer unüberbietbaren lateinischenGestalt.«

Karl Jaspers, geboren 1883 in Oldenburg, studierte zuerst Jura, dann Me-dizin; Promotion 1909 in Heidelberg. Während seiner Assistentenzeit ander Psychiatrischen Klinik habilitierte er sich ür Psychologie. Ab 1916war er Proessor ür Psychologie, ab 1921 ür Philosophie an der Uni-versität Heidelberg. 1937 wurde er – bis zu seiner Wiedereinsetzung im

 Jahr 1945 – seines Amtes enthoben. Von 1948 bis 1961 war er Proes-sor ür Philosophie in Basel, wo er 1969 starb. Jaspers gilt als einer derHauptvertreter der Existenzphilosophie. Seine Schriten – es sind über30 Bände – liegen in mehr als 600 Übersetzungen vor.

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Karl Jaspers

Augustin

PiperMünchen Zürich

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Auszug aus»Die großen Philosophen. Erster Band«, 1957

ISBN 3-492-00443-12. Auflage, 6.-8. ausend April 1985

© R. Piper & Co. Verlag, München 1976Umschlag: Federico Luci, unter Verwendung einer

Abbildung des Heiligen Augustinusvon Balthasar Permoser (Interoto)

Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany

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Inhalt

I. Leben und Schriten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9II. Von der Philosophie zur Glaubenserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12  1. Die Bekehrung. – 2. Verwandlung eigenständiger philosophischer Gedan-

ken in Elemente offenbarungsgläubigen Denkens. 3. Die Entwicklung desDenkens Augustins.

III. Augustins Denkweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 

1. Existenzerhellung und Bibel-Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22  a) »Metaphysik der inneren Erahrung«. Beispiele:

Gedächtnis. Selbstgewißheit. Zeit. – b) Bibel – Interpretation.  2. Vernunft und Glaubenswahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

a) Erkenntnislehre. – b) Offenbarung und Kirche. –c) Der Aberglaube.

  3. Gott und Christus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52  a) Das philosophische ranszendieren. – b) Jesus Christus. –

c) rinität.  4. Philosophische Gedanken in der offenbarungsgläubigen

  Klärung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67  A. Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

  Selbstreflexion. – Spaltung des Wollens vom Entschluß. – Angewiesenseinund Entscheidungsnotwendigkeit. – Herkunt der Freiheit. – Die Unmög-lichkeit des Bewußtseins guten Handelns. – Gegen die Stoiker. – Gegen diePelagianer. – Dogmatische Formulierungen. – Kontrast zu anderen Gestal-ten der Freiheit: Nördliche Krat, Propheten, Griechen, Römer, Plotin.

  B. Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83  Die Universalität der Liebe. – Die wahre Liebe. – Die Verassung des Men-

schen in wahrer Liebe. – Die Weisen der Liebe (caritas-cupiditas, rui-uti).Ordnung der Liebe (ordo amoris). – Gottesliebe, Selbstliebe, Nächstenliebe.– Charakteristik.

  C. Weltgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92  Augustins Ansatz und Resultat. – Augustins Interessenbereich, Begrün-

dungs- und Deutungsweise. – Geschichtlichkeit. – Charakteristik der Augu-stinischen Geschichtsphilosophie.

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IV. Charakteristik und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100  Die Persönlichkeit im ersten Gesamtaspekt. – 2. Vergleich mit Kierkegaard

und Nietzsche. – 3. Das kirchliche Denken. – 4. Widersprüche. – 5. DieWerkorm. – 6. Die Persönlichkeit.

V. Historischer Ort, Wirkungsgeschichte undgegenwärtige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1271. Historischer Ort. – 2. Wirkungsgeschichte. – 3. Augustins Bedeutung üruns.

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

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I. Leben und Schriften

1. Biographie:  In Tagaste, einer unbedeutenden numidi-schen Stadt Nordarikas, wurde Augustin 354 geboren alsSohn eines kleinen heidnischen Beamten, Patricius, und ei-ner christlichen Mutter, Monica. In seiner Heimatstadt,dann in Madaura und Karthago erwarb er sich die antikeBildung. Er nahm teil am ungebundenen heidnischen Le-

ben. 372 wurde ihm ein unehelicher Sohn, Adeodatus, ge-boren. Ciceros »Hortensius« erweckte 373 im Neunzehn- jährigen die Leidenschat zur Philosophie. Augustin schloßsich dem Manichäischen Denken an, durchschaute 382 end-gültig dessen Unwahrheit. Als Lehrer der Rhetorik hatte erErolg in Karthago, Rom (382), Mailand (385). Hier wur-

de er unter dem Eindruck der großen christlich-römischenPersönlichkeit des Bischos Ambrosius 385 Katechumene,gab 386 sein Lehramt der Rhetorik au, lebte mit Freunden,seiner Mutter Monica und seinem Sohn au dem Land-gut eines Freundes in Cassiciacum bei Mailand dem philo-sophischen Denken. 387 wurde er von Ambrosius getaut.Kurz vor seiner Rückkehr nach Arika starb seine Mutter inOstia. Von 388 an blieb Augustin sein ganzes Leben in Ari-ka. Dort wurde er 391 vom Bischo Valerius in Hippo »wi-der seinen Willen« zum Priester geweiht und 395 Bischo.Von diesem wenig bedeutenden Sitz aus übte er seine welt-

weite Wirkung.Als Knabe hatte Augustin den Rückschlag gegen das

Christentum durch den Kaiser Julianus Apostata erlebt unddann dessen Wiederherstellung durch Teodosius bis zurAuhebung der heidnischen Kulte. Aber Julian hatte noch

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kratvoll die Alemannen bei Straßburg besiegt. Als Augustinau der Höhe seines Lebens stand, eroberte Alarich Rom.Augustin starb während der Belagerung Hippos durch Gei-serichs Vandalen im Jahre 430.

2. Die Schriften:  Die zwöl Folianten der AugustinischenWerke sind wie ein Bergwerk. In den unergiebigen Ge-steinsmassen finden sich die Goldadern und Edelsteine. Die

Grenzenlosigkeit drängt sich au in rhetorischen Breiten,endlosen Wiederholungen; aber darin gibt es die knappen,geschlossenen, klassischen Stücke. Das Werk insgesamt zustudieren, ist eine Lebensaugabe ür Spezialisten oder eineMeditation ür Mönche. Es ist, als ob Augustin jeden aggeschrieben hätte und nun der Leser ein ebenso langes Le-

ben zum Lesen wie Augustin zum Schreiben brauche. Indem maßlosen Umang sind die Fundmöglichkeiten uner-schöpflich ür den geduldigen Arbeiter, der sie uns zeigt.

Alle erhaltenen Schriten stammen aus der Zeit nachdem großen persönlichen Eindruck, den Ambrosius auAugustin machte, und nach der Augabe des Rhetorenbe-rus inolge seiner Bekehrung. Die rühesten sind dem ge-meinschatlichen Philosophieren in Cassiciacum erwachsen.Die erste Gruppe sind philosophische Schriten, durchwegDialoge, in denen zunächst Christus und Bibelzitate seltenvorkommen. Aber seine christliche Überzeugung ist wirk-

sam und endgültig. Auch nach der aue bis zum Antrittdes Priesteramts (387-391) bleibt weitgehend der philoso-phische Stil. Nun olgen durch das ganze weitere Leben dieunabsehbare Masse der Predigten und Briee, die umang-reichen Bibel-Interpretationen (besonders Psalmen und Jo-

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hannes), die Lehrschriten (über den Unterricht der Neulin-ge, über die christliche Lehre, das Enchiridion) und danebendie großen Werke, unter denen drei von besonderer Bedeu-tung sind: 1. Die Bekenntnisse (Conessiones, um 400); Au-gustin preist und dankt Gott durch seine Autobiographie, inder philosophische und theologische Gedanken als Mäch-te dieses sich unter Gottes Führung wissenden Lebens er-scheinen. 2. Über die Dreieinigkeit (De trinitate), die tie-

sinnige rein spekulative Schrit (etwa 398-416). 3. Über denGottesstaat (De civitate Dei, 413-426), die große Rechter-tigung des Christentums nach Alarichs Eroberung Romsund zugleich eine Gesamtdarstellung des christlichen Glau-bens und Geschichtsbewußtseins. Als besondere Gruppengelten, wie rüher die Streitschriten gegen die Manichäer,

später die gegen die Pelagianer und gegen die Donatisten.

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II. Von der Philosophie zur

Glaubenserkenntnis

1. Die Bekehrung.  – Augustins Denken ist gegründet inseiner Bekehrung. Dem Kinde waren zwar schon christlicheMotive durch die Mutter Monica eingeprägt, während Er-ziehung und Zielsetzung zunächst vom Vater in der heidni-schen Überlieerung bestimmt wurden. Dieses Leben brach-

te ihm die Lust des Daseins, die sinnliche Fülle – und dieSchalheit. Der Neunzehnjährige eruhr den mächtigen Im-puls der Philosophie. Er drängte aus der Schalheit ins We-sentliche. Au Erkenntnis kam es ihm an. Der Weg durchmanichäisch-gnostisches Scheinwissen ührte zur Skep-sis. Plotin ermöglichte ihm den großen Schritt: zur Einsicht

in die Wirklichkeit des rein Geistigen, zur Bereiung vonder Bindung an die bloße Realität des Körperlichen. Doch,wenn die Einsicht ihn auch beglückte, es blieb das Ungenü-gen. Das Leben änderte sich nicht.

Entscheidend war erst die Bekehrung. Augustin war33 Jahre alt. Sie erolgte plötzlich nach langem Drängenund Zögern, in dem die christlichen Keime aus der Kind-heit wieder augebrochen, aber noch ohne durchschlagendeWirkung waren.

Augustin schildert: Sein Zustand der Unentschiedenheit

brachte ihn eines ages in Verzweiflung. Der innere Sturmergoß sich in einen ränenregen.

Er ging in den Garten. Dort hörte er aus dem Neben-haus die Stimme eines singenden Knaben: »Nimm undlies!« Wie einem übersinnlichen Beehl gehorchend griff er

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zu Paulus und tra au die Stelle »... ziehet den Herrn JesumChristum an und pfleget nicht des Fleisches in seinen Lü-sten«. Beim Schluß des Satzes »strömte das Licht der Si-cherheit in mein Herz ein«. Der Entschluß hatte sein We-sen bis in den Grund durchdrungen. Er war endgültig. DerGott, ür den die Mutter Monica ihn geboren hatte, hatteihn heimgeholt. Die Welt war verblaßt. »Denn du hast michbekehrt, so daß ich nun auch kein Weib mehr begehrte noch

sonst etwas, worau die Hoffnung dieser Welt gerichtet ist.«

In der Zeit unmittelbar nach der Bekehrung lebte Augustinim Kreis seiner Freunde au einem Landgut in Cassiciacumbei Mailand. In dem Frieden der Abgeschiedenheit sind dieFreunde in den täglichen Diskussionen im Medium antiker

Bildung (sie lesen und interpretieren auch Vergil) dem Ernstder Wahrheitsrage zugewandt. Noch einmal glaubt man inAugustins Denken etwas von der Krat antiken Philoso-phierens zu spüren: von der Leidenschat zur Reinheit derSeele. Aber man sieht die Verwandlung. Die FrühschritenAugustins zeigen die antike Philosophie in der Gestalt, inder sie die Krat ihres Ursprungs verloren zu haben schien.Umständlichkeit, Weitschweifigkeit, logische Spielerei undrhetorische Künste, endlose Argumentationen und Streite-reien, eine au Cicero sich gründende Art des Umgangs mitgriechischen Gedanken, das konnte Augustin nicht genü-

gen, während er noch daran teilnahm. Dieses Philosophie-ren Augustins, wie ein Spiel mit Gedanken und Geühlenspätantiken Denkens, hatte aber im Untergrund schon dievollzogene Bekehrung, die Entschlossenheit des christlichenGlaubens. Es ist, als ob die antike Philosophie in leer gewor-

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dene Sprache ausgegangen sei, in der der junge Augustinkeinen ursprünglichen und daher beriedigenden Gedankenmehr zu denken vermochte, und als ob jetzt eine neue ge-waltige, nunmehr grundlegende geistige Wirklichkeit da sei,gleichsam eine Blutzuuhr stattgeunden habe, ohne die dasPhilosophieren erloschen wäre. Das ihm Eigene, Neue undobjektiv Originale kommt erst in dem Christen Augustinzur Geltung, nun jedoch im Raum des vernüntigen Den-

kens mit dem Willen zur Vertieung dieses Denkens selber.Die Frühschriten Augustins zeigen schon beides. Die ge-waltige Umschmelzung des Denkens aber steht noch bevor.

Die Bekehrung ist die Voraussetzung des Augustini-schen Denkens. In der Bekehrung erst wird der Glaube ge-wiß, der durch nichts absichtlich erzwungen, durch keine

Lehre mitgeteilt werden kann, sondern von Gott in ihr ge-schenkt wird. Wer nicht selber die Bekehrung erahren hat,dem muß in all dem au sie sich gründenden Denken etwasremd bleiben.

Was bedeutet diese Bekehrung? Sie ist weder wie dieeinstige Erweckung durch Cicero, noch wie die beglücken-de Umwendung des Denkens in das Spirituelle durch Plo-tin, sondern ein dem Sinn und der Wirkung nach wesens-verschiedener, einmaliger Vorgang: im Bewußtsein, durchGott selbst unmittelbar getroffen zu werden, wandelt sichder Mensch bis in die Leiblichkeit seines Daseins hinein,

in alle riebe und Zielsetzungen. Darum war ür Augustinnach vergeblichem asketischem Bemühen nun erst die sinn-liche Begier erloschen. Mit der Denkungsart ist die Lebens-weise selbst verwandelt. Und darum wurde weiter durchdie Bekehrung ür Augustin der Boden gewiß in der Kirche

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und in der Bibel, nicht durch Einsicht und guten Willen,sondern durch eine unerschütterliche Fraglosigkeit, die er-ahren wurde als durch Gott selbst erwirkt. Es gilt nur nochder Gehorsam gegen Gott und dieser als Gehorsam gegendie Autorität der Kirche. Folge der Bekehrung war die au-e. Mit ihr wurde ür Augustin die Autorität unerschütter-lich und das Zölibat endgültig.

Solche Bekehrung ist nicht die philosophische, täglich zu

erneuernde Umwendung, nicht dieses Sichherausreißen ausdem Verkehrenden und Verschleiernden und Vergessen-den, das der philosophierende Mensch unablässig vollzieht,sondern ein biographisch datierbarer Augenblick, der in dasLeben einbricht und es neu begründet. Nach ihm kann jenephilosophische Umwendung in täglicher Bemühung blei-

ben. Aber sie selber hat nun ihre Krat aus einer radikaleren,absoluten Grundlegung, der Wesensverwandlung im Glau-ben selber.

Nach dem Leben in der Ziellosigkeit eines Suchens,das nicht findet, diesem Leben, das Augustin Zerstreutheitnennt, griff er zurück au das, was in der Kindheit durchseine Mutter als das Heilige ihm begegnet war und was inaktischer Gegenwart die Gemeinschat der Kirche bedeu-tete. Augustin griff zum Menschsein in der kirchlichen Ge-meinschat, die ihren Grund nicht in einem Allgemeinen,sondern in der geschichtlichen Offenbarung hat. Er ist nicht

mehr als Einzelner und Weltbürger bestimmt durch sto-ischen Logos, sondern als Glied und Bürger des Gottesstaa-tes durch den Logos, der Christus am Kreuze ist.

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2. Verwandlung eigenständiger philosophischer Gedanken in

Elemente offenbarungsgläubigen Denkens.  – Die philoso-phische Leidenschat verwandelt sich in Glaubensleiden-schat. Beide scheinen identisch und sind doch durch einenSprung, die Bekehrung, geschieden. Der Sinn des Denkensist ein anderer geworden. Die Erarbeitung des neuen Glau-bens erolgt in der Glaubenserkenntnis, die kein Ende hat.

Glaubenserkenntnis aber bedeutet das Erkennen des

Glaubensgehalts als kirchlichen Glauben. Die philosophi-sche Dogmatik wird kirchliche Dogmatik.

Diese Bewegung im Philosophieren vom eigenständigenzum christlich-glaubenden Philosophieren ist, als ob nochvom gleichen die Rede wäre. Und doch ist alles wie von ei-nem anderen, remden Blut durchströmt. Einige Beispiele:

a) Von Anang an ist Augustins Denken au Gott gerich-tet. Aber der räumlich leibhatige manichäische Gott imKamp mit seinem teuflischen Gegengott erwies sich ihmals phantastisches Märchen. Das Eine des Neuplatonismuszündete zwar durch seine reine übergeistige Geistigkeit, aberließ die Seele im Ungenügen vergeblichen, sich verzehren-den, sehnsüchtigen Denkens, ür das es keine Wirklichkeitin der Welt, keine umgreiende Gemeinschat durch Autori-tät als Garantie der Wahrheit gab. Ruhe and Augustin erstim biblischen Gott, der in der Schrit ihn ansprach, durchseine Krat das bis dahin zerstreute Leben einte, die Welt

und ihre Leidenschaten versinken ließ, ihn in eine wirkli-che, weltumassende Gemeinschat, die Kirche, aunahm.

Nun wurden die alten philosophischen Gedanken, diean sich selber ohnmächtig waren, zu Mitteln des nie zumAbschluß kommenden Erdenkens Gottes, der selbst nicht

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durch diese Gedanken, sondern aus anderer Quelle lebendiggegenwärtig ist. Ein Weg, aber nur einer, ist das Denken, umin ihm zu bestätigen und zu erhellen, was als Glaube schonunzweielhat ist. Wohl lassen sich auch die AugustinischenGottesgedanken wieder losgelöst als eigenständige philoso-phische Gedanken vollziehen. Aber so sind sie bei Augustinnicht gemeint, denn sie stehen unter Führung des Glaubens,der mit der Vernunt eins geworden ist. Augustin vollzieht

alle Möglichkeiten, im Denken Gott zu berühren. Aber die-se Gedanken werden zusammengehalten durch die Autori-tät, nicht durch ein philosophisches Prinzip.

Die Bewegung der Augustinischen Gottesanschauungbedeutete die Aneignung des biblischen Gottesgedankensdurch das Philosophieren, das darin selber zu einer anderen

Philosophie wurde. Die Frage ist, wie in dieser Metamor-phose der biblische Gott selber im Lichte des Philosophie-rens nicht blieb, was er in den Gestalten der Schrit war.

Augustin bringt den Gehalt der Bibel au eine einzigeEbene unter Verleugnung der Mannigaltigkeit und der Wi-dersprüche der der Entwicklung eines Jahrtausends angehö-renden biblischen exte. Er vollzieht reflektiert, was in derBibel unreflektiert war. Er bildet ort zu neuen Anschauun-gen. Die Bibel ist der Leitaden und dann der Halt, an dener, was er selber denkt, als dort vorgeunden bindet.

b) Plotins Philosophie macht sich Augustin zu eigen.

Nach wenigen Veränderungen würde sie christlich sein,meint er. Keine andere Philosophie hat au ihn solchen Ein-fluß gehabt. Stoiker und Epikureer beurteilt er stets ableh-nend. Aristoteles wird selten genannt. Plato kennt er nicht;er hält ihn ür eins mit Plotin.

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Einmütig mit dem Plotinischen Denken ergreit Augu-stin den Sinn der Philosophie als Kümmern um Gott unddie Seele, ergreit er das Denken, mit dem Ziel des wahrenGlücks in der Erkenntnis der ewigen Dinge, als die Züge-lung der Einbildungskrat, der Sinnlichkeit, um das Unsinn-liche, Übersinnliche als ein ganz Unkörperliches zu berüh-ren.

Einmütig ist er mit Plotin in bezug au eine Grundstruk-

tur des Gottesgedankens: In Gott hat alles seinen Grund. Erist als Wirklichkeit Ursprung des Daseins der Dinge; er istals Logos, als das intellektuelle Licht, Ursprung der Wahrheitder Dinge; er ist als das Gute an sich Ursprung des Gutseinsaller Dinge. Au ihn in diesem dreiachen Aspekt beziehensich die drei philosophischen Wissenschaten der Physik,

der Logik, der Moral. Ob eine Frage der Welt, der Erkennt-nis, der Freiheit, immer kommt Augustin au Gott.

Augenommen wurde aus Plotin das Weltdenken, dieStuenlehre, die Schönheit der Welt, in der das Schlechte,das Übel, das Böse nur eine Privation ist, ein Nichtsein indem, was als Sein immer gut ist.

Aber radikal ist die Verwandlung des Sinns des Ganzen,in den das alles augenommen ist: Das Eine Plotins, jenseitsvon Sein, Geist und Erkennen, wird bei Augustin identischmit Gott, der selber Sein, Geist, Erkennen ist. Die Plotini-sche Dreigliederung des überseienden Einen, des seienden

Geistes, der weltwirklichen Seele wird bei Augustin zur in-nergöttlichen Einheit der rinität, des einen Gottes in dreiPersonen. – Das Eine Plotins strömt aus über den Geist zurWeltseele und weiter bis zur Materie in der ewigen Gegen-wart dieses Kreislaus. Bei Augustin ist nicht ewige Emana-

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tion, sondern einmalige Schöpung der Grund der Welt, dieAnang und Ende hat. – Das Eine Plotins ist ruhend, derMensch wendet sich ihm zu. Der biblische Gott Augustinsist wirksamer Wille, der seinerseits dem Menschen sich zu-wendet. Plotin betet nicht.

Beten ist das Lebenszentrum Augustins. – Plotin fin-det den Auschwung in der Spekulation mit dem Ziel derEkstase, Augustin in der durchdringenden Selbstdurch-

leuchtung mit dem Ziel der Erhellung des Glaubens. Plotinfindet sich in der reien Verbindung von je einzelnen Phi-losophierenden, zerstreut in der Welt, Augustin in der Kir-che als Autorität in der Gegenwart einer machtvollen Orga-nisation.

3. Die Entwicklung des Denkens Augustins. – Die Ent-wicklung Augustins hat ihren einzigen Umschlag in der Be-kehrung, aber so, daß der Sinn dieser Bekehrung ein Lebenlang wiederholt und dadurch erst vollendet wird. In der Be-kehrung liegt das Gleichbleibende, die Entwicklung ist dieAusbreitung ihres Sinns und die Einschmelzung des demSinn dieser Bekehrung Fremden. Darum ist Augustins au-e nicht Vollendung, sondern Anang. Noch waren die Gelei-se antiken Philosophierens ihm geläufig; noch war es mehrein Wissen um die Kirche als die Erahrung der Kirche alsder katholischen; noch dachte er als ein Christ unter vielen,

nicht als in verantwortlicher Vertretung der Kirche krat desAmtes eines Priesters. Man kann als eine neue Epoche die-sen Übergang in die Praxis (391) ansehen. Augustin nimmtzunächst Urlaub, um durch Bibelstudium sich besser vorzu-bereiten. In Augustins Schriten ist ein Prozeß des Hinein-

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wachsens zu jener gewaltigen otalität christlicher, katholi-scher, kirchlicher Existenz, die mit durch ihn im Abendlanddie geistige Macht eines Jahrtausends wurde.

Die Bewegung des Denkens wird bei Augustin durchdie Augaben des Kampes der Kirche in der Welt erzeugt.Die realen und geistigen Situationen des kirchlichen Lebensbringen jeweils das Tema. Die Glaubenserkenntnis kommtzu ihrer Schäre in der Herausarbeitung gegen die heidni-

sche Philosophie und gegen die Häresien. Mit der Klarheitwird die Vertieung gebracht. Die Form des hellsten Spre-chens bringt den Glauben selbst erst zum vollen Bewußt-sein seines Gehalts. Das Wesen Gottes und die Natur desBösen wird klarer im Kamp gegen die Manichäer; Frei-heit und Gnade, Erbsünde und Erlösung werden klarer im

Kamp gegen Pelagius und die Pelagianer; die Katholizitätder Kirche als des einen corpus mysticum Christi und ihrerpraktischen Konsequenz wird klarer im Kamp gegen dieSchismatiker, hier die Donatisten. Und das Wesen dieserKirche in ihrer ewigen Substanz wird klarer in der Rechter-tigung gegen die Angriffe der Heiden, die nach der Erobe-rung Roms durch Alarich den Vorwur erheben, das Unheilsei durch das Verlassen der alten Götter bewirkt worden.

Aus dem seit der Bekehrung Gleichbleibenden erar-beitet Augustin seine neuen Gedanken. Dabei sehen wirihn in wichtigen Dingen radikale Positionswechsel vollzie-

hen: Sein Einsatz ür Freiheit der Verkündigung und Über-zeugung ohne Zwang weicht später seiner Forderung desZwanges zum Eintritt in die katholische Kirche (coge int-rare). Seine Lehre vom reien Willen geht ast ganz in derGnadenlehre verloren. Ihm selber werden im Rückblick Irr-

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tümer deutlich. Am Ende seines Lebens schrieb er die Re-traktationen (Zurücknahmen). Darin aßt er die Gesamt-heit seiner Schriten als ein Ganzes in zeitlicher Reihenolgeau und vollzieht in Einzelheiten eine sachliche Selbstkritikaus kirchlich-dogmatischem Gesichtspunkt. Ausdrücklichenternt er sich von seiner rüheren Einmütigkeit mit Plo-tin. Einst hatte er mit diesem die Präexistenz der Seele an-genommen; längst hat er diese Lehre verworen.

Vor allem aber hat sich die Wertschätzung der Philo-sophie völlig gewandelt. Für den jungen Augustin hattedas rationale Denken ausdrücklich die größte Bedeutung.Die Dialektik ist die Disziplin der Disziplinen, lehrt lernenund lehren. Sie beweist und eröffnet, was ist, was ich will;sie weiß das Wissen. Sie allein will nicht nur, sondern ver-

mag auch wissend zu machen. Jetzt ist die Beurteilung ge-ringschätzend geworden. Das innere Licht steht höher. »Diein jenen Wissenschaten Unerahrenen werden Wahres ant-worten, wenn sie gut geragt werden, weil ihnen das Lichtder ewigen Vernunt gegenwärtig ist, soweit sie es assenkönnen, wo sie die unveränderlichen Wahrheiten erblicken.«Er erkennt seine rühere Bewunderung der Philosophie alsweit übertrieben. Wohl ist die Seligkeit nur in der liebendenErkenntnis Gottes; aber diese Seligkeit gehört doch erst ei-nem zuküntigen Leben an, und der einzige Weg dahin istChristus. Die Geltung der Philosophie hat augehört. Das

biblisch-theologische Denken bleibt das allein wesentliche.

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III. Augustins Denkweisen

1. Existenzerhellung und Bibel-Interpretation

a) »Metaphysik der inneren Erahrung«

Augustins Denkweise hat einen in seiner Fruchtbarkeit un-absehbaren Grundzug: er vergegenwärtigt ursprüngliche Er-ahrungen der Seele. Er reflektiert au die Wunder der Ge-

genwärtigkeit unseres Daseins.Was immer in der Welt ihm vorkommt, die Dinge ha-ben ür ihn kein selbständiges Interesse. Er weiß sich imGegensatz zum geläufigen Verhalten: »Und die Menschengehen und bewundern die Höhen der Gebirge, die gewal-tigen Wogen des Meeres, den breiten Fluß der Ströme, den

Umang des Ozeans und den Umlau der Gestirne, au sichselbst aber achten sie nicht.« Sein einziger, alles in sich hin-einziehender Wille dagegen ist: Gott und die Seele begehreich zu wissen (deum et animam scire cupio); – Dich möch-te ich kennen, mich möchte ich kennen (noverim te, nove-rim me).

Augustin schreitet an alle Grenzen, um im Rückgewor-ensein au sich selbst im Inneren ein Anderes zu hören.Denn über das Innerste der Seele ührt der Weg zu Gott.»Gehe nicht nach draußen, kehre in dich selber ein; im inne-ren Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du deine Na-

tur in ihrer Wandelbarkeit erkannt hast, überschreite auchdich selbst.« (Noli oras ire, in te ipsum redi; in interiore ho-mine habitat veritas; et si tuam naturam mutabilem invene-ris, transcende et te ipsum.) Augustins Seelenergründungist Gottesergründung, seine Gottesergründung ist Seelener-

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gründung. Er sieht Gott im Grund der Seele, die Seele inBeziehung au Gott.

Dieses Band wird nicht zerrissen zugunsten einer blo-ßen Psychologie. Man hat Augustin den ersten modernenPsychologen genannt, doch es handelt sich in dieser Psy-chologie, trotz aller Beschreibung wirklicher Erscheinungen,nicht um eine Wissenschat erorschbarer empirischer Rea-litäten, sondern um die Durchheilung inneren Handelns,

um die Gegenwärtigkeit in der Seele als den Ausgangspunktunseres Wissens.

Das Band der Seele zu Gott wird auch nicht zerrissenzugunsten einer bloßen Teologie. Man hat Augustins spe-kulative Begabung gerühmt, doch alle metaphysischen tran-szendierenden Gedankenbewegungen sind bei ihm weniger

Einsichten in ein Anderes als Erüllungen des Auschwungsseiner selbst. Man hat in ihm den großen Dogmatiker ge-sehen, der in der Dogmengeschichte einen hervorragendenPlatz einnimmt, aber seine Dogmen sind noch nicht Sätzeder späteren Teologie, sondern ursprüngliche Ergriffen-heiten, die nur rational zur Sprache kommen. Windelbandnannte diese Denkweise »Metaphysik der inneren Erah-rung«, mit Recht, weil es sich bei Augustin um die Erhel-lung der übersinnlichen Motive im Menschen handelt, mitUnrecht, wenn damit eine neue objektive Metaphysik derSeele gemeint wäre.

Nie vorher hatte der Mensch so vor seiner eigenen See-le gestanden, nicht Heraklit (»der Seele Grenzen kannst dunicht auskennen, so tieen Logos hat sie«), nicht Sokratesund Plato, denen alles am Heil der Seele lag. »Ein unend-licher Abgrund ist der Mensch (grande proundum est ipse

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homo). Du hast seine Haare, o Herr, gezählt, aber leichterürwahr ist, seine Haare als die Empfindungen und Neigun-gen seines Herzens zu zählen.«

All sein Betroffensein aßt er in den kurzen Satz: Ichbin mir selbst zur Frage geworden (quaestio mihi actussum). Augustin hält sich ot an alltägliche Erscheinun-gen. Aber er beschreibt nicht indifferente Erscheinungenals solche (wie Phänomenologen), sondern richtet sich au

Wirklichkeiten, die Gewicht haben, die hinzielen an dieGrenzen unserer Vermögen, unseres Denkens und an dieGrenzen ihrer selbst. Er findet die wunderbar einachenSätze, die mit wenigen Worten sagen, was vorher niemalseinem Menschen so bewußt geworden ist. Und er denktin der Form ragenden Weitergehens, der Fragen, die den

Raum öffnen und keineswegs einach beantwortet werden.Einige Beispiele:

Erstes Beispiel: das Gedächtnis. – Unter den sogenann-ten psychologischen Erscheinungen beschreibt Augustin,wie uns. aus unserem eigenen Inneren eine Welt zur Ver-ügung steht. Wir stellen uns vor Augen, was wir gesehenhaben und was unsere Phantasie hervorbringt, unabsehbar.Ein weites, unermeßliches inneres Heiligtum steht mir o-en. Es gehört zu meiner Natur. Aber solche Worte, meintAugustin, sind leicht gesagt. Mit ihnen wird nicht eraßt,was er vergegenwärtigen möchte, das immer mehr ist als

das, was ich von mir denke. Darum ährt er ort: Ich sagezwar »es gehört zu meiner Natur«, »aber dennoch asse ichnicht ganz das, was ich bin. Also ist der Geist zu eng, umsich selbst zu assen? Wo mag das sein, was er von sich nichtaßt? Gewaltige Verwunderung eraßt mich.« Wenn Augu-

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stin von den Wogen des Meeres, den Strömen und den Ge-stirnen spricht, wundert er sich, »daß ich dies alles, währendich davon sprach, nicht mit Augen sah, und doch würde ichnicht davon sprechen, wenn ich nicht Berge und Fluten undden Ozean, von dessen Vorhandensein ich nur gehört habe,innen in meinem Gedächtnis in eben so gewaltiger Ausdeh-nung wie draußen in der Wirklichkeit erblickte«.

Zweites Beispiel: die Selbstgewißheit. – Augustin hat zu-

erst – in vielen Fassungen – den Gedanken ausgesprochen:Der Zweiel an aller Wahrheit scheitert an der Gewißheitdes »ich bin«:

»Ob die Krat, zu leben, zu wollen, zu denken, derLut zukomme oder dem Feuer oder dem Gehirn

oder dem Blute oder den Atomen, darüber zweieltendie Menschen ... Wer möchte jedoch zweieln, daß erlebe, sich erinnere, einsehe, wolle, denke, wisse undurteile? Auch wenn man nämlich zweielt, sieht manein, daß man zweielt ... Wenn also jemand an allemandern zweielt, an all diesem dar er nicht zweieln.Wenn es das nicht gäbe, könnte er überhaupt übernichts zweieln.« Der Zweiel also beweist durch sichselbst die Wahrheit: ich bin, wenn ich zweifle. Dennder Zweiel selber ist nur möglich, wenn ich bin.

Nun ist die Frage, was in dieser Gewißheit liegt. Sie ist beiAugustin keine kahle Feststellung, sondern der Ausgang ei-ner nie zum Abschluß kommenden Besinnung. Die Gewiß-heit, die im äußersten Zweiel sich herstellt, enthält mehrals den Punkt bloßen Seins. Die Selbstgewißheit zeigt mir

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nicht nur, daß ich bin, sondern was ich bin. In olgendemDialog beginnt ein Fragen und Weiterragen:

»Du, der du dich erkennen willst, weißt du, daß dubist? Ich weiß es. – Woher weißt du es? Ich weißnicht. – Fühlst du dich als einach oder vielach? Ichweiß nicht. – Weißt du, daß du bewegt wirst? Ichweiß nicht. – Weißt du, daß du denkst? Ich weiß es.

– Also ist es wahr, daß du denkst. – Weißt du, ob duunsterblich bist? Ich weiß es nicht. – Was möchtestdu von all dem, was du, wie du sagtest, nicht weißt,am ehesten wissen? Ob ich unsterblich bin.

Du liebst also das Leben. Wenn du erährst, daßdu unsterblich bist, ist das genug? Es würde etwas

Großes sein, aber es ist mir zu wenig. Du liebst alsonicht das Leben seiner selbst wegen, sondern wegendes Wissens? Ich gebe es zu. – Wie aber, wenn dichdas Wissen der Dinge selber unselig macht? – Daskann, glaube ich, au keine Weise geschehen. Aberwenn es so ist, kann niemand glücklich sein, denn jetzt bin ich aus keinem anderen Grunde unselig alsdurch Unwissenheit der Dinge. Wenn das Wissenunselig macht, ist die Unseligkeit ewig.

Ich sehe, was du begehrst ... du willst sein, lebenund erkennen; aber sein, um zu leben, und leben, um

zu erkennen.«

Diese Selbstgewißheit wird sich ihrer selbst, daß sie Den-ken ist, bewußt. Sie findet sich, wenn sie sich zu einem Ob- jekt unter anderen macht, unter den Realitäten der Welt.

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Dann erkennt sie sich in ihrer Einzigkeit, indem sie sich un-terscheidet:

»Auch der Stein ist, und das ier lebt«, aber derStein lebt nicht, und das ier erkennt nicht. Weraber erkennt, dem ist auch Sein und Leben in ihmdas Gewisseste.

In der Selbstgewißheit finde ich die Wahrnehmung dessen,was über alle sinnliche Wahrnehmung und über alles Wis-sen von Dingen in der Welt hinausliegt:

»Wir besitzen noch einen anderen, über den leibli-chen Sinn weit erhabeneren Sinn, den Sinn des in-

neren Menschen, krat dessen wir das Rechte unddas Unrechte empfinden, das Rechte an der Überein-stimmung mit der übersinnlichen Form, das Unrech-te an der Abweichung davon. Dieser Sinn bestätigtsich, ohne daß er der Schäre des Auges bedürte.«

In der Selbstgewißheit finde ich meinen allumgreienden,unbändigen Willen zum Glücklichsein. Dieser Wille ist, wieder schon berichtete Dialog sagte, Liebe zum Leben unddieses Leben wieder Liebe zum Erkennen. Diese Grundge-wißheit wird reicher aussprechbar:

»Wir existieren, wir wissen um unser Sein, und wirlieben dieses Sein und Wissen. Und in diesen dreiStücken beunruhigt uns keine Möglichkeit eineräuschung. Denn wir erassen sie nicht wie die Din-

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ge außer uns mit irgendeinem leiblichen Sinn. Son-dern ohne daß sich irgendwie eine trügerische Vor-spiegelung der Phantasie geltend machen könnte,steht mir durchaus est, daß ich bin, daß ich das weißund es liebe. In diesen Stücken ürchte ich durchausnicht die Einwendungen: Wie aber, wenn du dichtäuschtest? Wenn ich mich nämlich täusche, dannbin ich. Folglich täusche ich mich auch darin nicht,

daß ich um dieses mein Bewußtsein weiß. Denn sogut ich weiß, daß ich bin, weiß ich eben auch, daß ichweiß. Und indem ich diese beiden atsachen liebe,üge ich auch diese Liebe als ein Drittes von gleicherSicherheit hinzu. Denn da in unserem Fall der Ge-genstand der Liebe wahr und gewiß ist, so ist ohne

Zweiel auch die Liebe zu ihm wahr und gewiß.«

Au die Frage, worau sich die Liebe des Grundwillens rich-tet, war die Antwort: au das Sein und au das Wissen. Bei-des wird in seiner Uneingeschränktheit und Absolutheitausgesprochen:

Der Gegenstand der Liebe ist das Sein. »So wenig es jemand gibt, der nicht glücklich sein möchte, gibt es jemand, der nicht sein möchte ... Das Sein ist mit ei-ner Art natürlicher Wucht so sehr eine Annehmlich-

keit, daß nur deshalb die Unglücklichen nicht zugrun-degehen wollen ... Würde ihnen eine Unsterblichkeitverliehen, bei der auch ihr Elend nicht auhörte, undihnen die Wahl gelassen, entweder in solchem Elendimmerdar oder überhaupt nicht und nirgends zu exi-

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stieren, sie würden wahrlich aufauchzen vor Freu-de und es vorziehen, au immer in diesem Zustandals überhaupt nicht zu existieren.« Weiter: Nicht nurmein Sein, sondern auch das Wissen als solches lie-be ich ohne Einschränkung. »Welchen Widerwillendie menschliche Natur gegen die äuschung hat, läßtsich schon daraus erkennen, daß jedermann rauerbei gesundem Geiste der Freude in Geistesgestört-

heit vorzieht.«

Der Grundgedanke brachte aus dem Zweiel an aller Wahr-heit au den Boden unzweielhater Gewißheit. Diese Ge-wißheit ist keine leere Gewißheit eines Seins überhaupt.Vielmehr liegt in der Selbstgewißheit auch die Erüllung.

Die Augustinische Gewißheit aber – so denken wir –kann zusammensinken: zur Unbezweielbarkeit einer blo-ßen gehaltlosen Seinsaussage, – zur Brutalität der Lie-be zum Leben, welcher Art es auch sei, – zur Leerheit derWahrheit als bloßer Richtigkeit. Es kann scheinen, als ob inder Erhellung der Selbstgewißheit zusammenfielen das em-pirische Dasein mit der ewigen Existenz, die Lebensgier mitder Sorge um das eigentliche Heil, die bloße Richtigkeit mitder gehaltvollen Wahrheit. – Zwei Fragen sind daher anAugustin zu stellen: Woher kommt die eigentliche Erül-lung? Was bedeuten jene Nichtigkeiten?

Au die Frage, woher die eigentliche Erüllung kommt,die der Selbstgewißheit erst Gehalt gibt, oder die Frage: woist der Ursprung des Entgegenkommenden im Unterschiedvon der Leerheit, des Sichgeschenktwerdens im Unter-schied vom Sichausbleiben, der Ruhe im Unterschied von

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der Verzweiflung der Bodenlosigkeit, ist die Antwort: alleinin Gott. Das Sein, das Wissen vom Sein und die Liebe zumSein und Wissen in der Selbstgewißheit stehen ür Augu-stin von vornherein in Beziehung zu Gott. In der Selbst-gewißheit als solcher liegt die Gottesgewißheit. Denn Gotthat den Menschen nach seinem Bilde erschaffen. Im Selbst-bewußtsein erblickt Augustin das Bild der Dreieinigkeit.

Fragen wir nach der Bedeutung der im Zusammensin-

ken der Selbstgewißheit bleibenden Nichtigkeiten, so ist dieAntwort: Da Augustin alles im Blick au Gott denkt, undihm das von Gott Unabhängige gar nicht besteht, vermagsein Denken, weil alles von Gott geschaffen ist, auch allemeinen Glanz zu geben, so auch noch den nichtigen Richtig-keiten als Abbild ewiger Wahrheit und noch der Lebensgier

als der geringsten Liebe zum Sein. Nur in der Verkehrungder Rangordnungen liegt die Unwahrheit. Was Leerheitscheint und wird, wenn es sich au sich selbst stellt, das istWahrheit im Abglanz dieser niederen Sphären. Augustinkennt nicht die ursprünglichen Fragen des Selbstmörders,kennt nicht die Verzweiflung am Leben im Nichtlebenwol-len, kennt nicht den Willen zur äuschung, nicht die be-wußte Selbsttäuschung, nicht die mögliche Fragwürdigkeitdes Sinnes aller »Wahrheit«.

Diese Augustinische Geborgenheit ist eine andere als diephilosophische Selbstgewißheit. Er lebt dorthin, wo »unser

Sein den od nicht kennen wird, unser Wissen nicht denIrrtum, unsere Liebe keinen Anstoß«. Hier aber in der Zeit,wenn wir »so sicher esthalten an unserem Sein, Wissenund Lieben«, tun wir das zwar zunächst »nicht au rem-des Zeugnis hin, sondern empfinden es in eigenster Per-

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son als wirklich vorhanden und erblicken es mit dem inne-ren, durchaus untrüglichen Auge« (also rein philosophisch).Aber wir »haben doch daür noch andere Zeugen, Zeu-gen, in deren Glaubwürdigkeit kein Zweiel gesetzt werdendar«. In schroffem Nebeneinander also läßt Augustin ste-hen die Selbstgewißheit und die anderen Zeugen (die Au-torität von Kirche und Offenbarung). Gehalt und Fülledes Selbst kommt ihm aus der Ebenbildlichkeit Gottes im

Menschen und ist ihm gewiß durch die Garantie jener ande-ren Zeugenschat.

Drittes Beispiel: Die Zeit. – Die Zeit, dies jeden Augen-blick Gegenwärtige, zeigt sich Augustin als unergründlichesGeheimnis, je mehr er sich ragend darin vertiet.

Wir sprechen von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunt.

»Ginge nichts vorüber, so gäbe es keine Vergangenheit; kämenichts heran, so gäbe es keine Zukunt; bestände nichts, sogäbe es keine Gegenwart.« Aber wunderlich: Vergangenheitund Zukunt sind nicht, jene nicht mehr, diese noch nicht,– und wäre die Gegenwart beständig gegenwärtig, ohne sichin die Vergangenheit zu verlieren, dann wäre sie keine Zeitmehr. Die Gegenwart, um Zeit zu sein, besteht darin, daß siesoort in Nichtsein übergeht.

Gibt es etwa nicht drei Zeiten, sondern nur eine, die Ge-genwart? Zukunt und Vergangenheit sind doch nur in derGegenwart. Wenn ich Vergangenes erzähle, so schaue ich

dessen Bilder in der Gegenwart. Wenn ich an die Zukuntdenke, so sind mir mögliche Handlungen und vorschweben-de Bilder gegenwärtig. Es gibt nur die Gegenwart und in derGegenwart drei Zeiten. Gegenwärtig in bezug au die Ver-gangenheit ist das Gedächtnis, gegenwärtig in bezug au die

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Gegenwart ist die Anschauung und gegenwärtig in bezugau die Zukunt ist die Erwartung.

Was aber ist die Gegenwart? Reden von kurzen und lan-gen Zeiten betreffen Vergangenheit und Zukunt. Hundert Jahre, ein Jahr, ein ag, eine Stunde, sie können nicht gegen-wärtig sein. Immer ist, so lange sie dauern, in ihnen nochVergangenes, Gegenwärtiges und Zuküntiges. Könnte mansich eine Zeit denken, die sich in keine kleinsten eilchen

mehr teilen läßt, so würde man diese allein Gegenwart nen-nen. Aber dieses Zeitteilchen geht so schnell aus der Zu-kunt in die Vergangenheit über, daß die Gegenwart keineDauer hat. Sie ist nur wie ein Punkt, eine Grenze, ist, indemsie schon nicht mehr ist.

Wenn wir die Zeit messen, messen wir offenbar nicht die

Gegenwart, die keine Dauer hat, sondern wir messen die Zei-ten, die wahrnehmbar sind, indem sie vorübergehen. Dannaber messen wir, was entweder nicht mehr oder noch nichtist. Mit welchem Maß messen wir die Zeit, die nicht ist?

Man hat gesagt, die Bewegungen der Sonne, des Mon-des, der Sterne seien die Zeiten. Wenn aber diese Bewegungdie Zeit ist, so jede Bewegung. Würden jene Himmelslichtereiern, könnte es die Drehung der öperscheibe sein. Aberin keinem Falle ist die Bewegung die Zeit, sondern mit derZeit wird die Bewegung gemessen, die bald länger, bald kür-zer sein kann. Bewegungen der Gestirne wie Drehung der

öperscheibe sind Zeichen der Zeit, nicht selber die Zeit. Jetzt aber handelt es sich darum, nicht was Bewegung undwas der ag ist, sondern was die Zeit ist. Mit ihr messenwir auch den Kreislau der Sonne. Wir messen nicht nur dieBewegung, sondern auch die Dauer des Stillstands der Zeit.

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So messe ich also, sagt Augustin, ohne zu wissen, wo-mit ich messe. Ich messe die Bewegung des Körpers mit derZeit, und doch messe ich die Zeit nicht? Womit messe ichdie Zeit selbst? Ich messe Längen von Gedichten, der Vers-üße, vergleiche sie, nehme eins als doppelt so lange dauerndals das andere wahr. Hieraus schließe ich, »daß die Zeit nureine Ausdehnung sei, aber wovon, das weiß ich nicht«.

Der Geist ist es – so ist die letzte Antwort Augustins –

, der selber die Ausdehnung der Zeit ist. Wenn ich ein Ge-dicht lese, messe ich die Silben, aber »nicht sie selbst, diebereits nicht mehr sind, sondern ich messe etwas, was sichmeinem Gedächtnis eingeprägt hat«. Also messe ich in mei-nem Geist meine Zeiten. »Den Eindruck, den die vorüber-gehenden Dinge au mich machen und der auch, nachdem

sie vorübergegangen sind, bleibt, diesen mir gegenwärtigenEindruck also messe ich, nicht das, was vorübergegangenist.« »Der Geist übt eine dreiache ätigkeit aus. Er erwar-tet, nimmt wahr und erinnert sich, so daß das von ihm Er-wartete durch seine Wahrnehmung hindurch in Erinnerungübergeht.«

So scheint die Lösung gewonnen. Der Geist mißt sichselbst in dem, was ihm gegenwärtig ist. So vermag er dasVorübergehende zu messen. Aber es zeigt sich weiter, »daßwir weder die zuküntige noch die vergangene, noch die ge-genwärtige, noch die vorübergehende Zeit messen, und den-

noch die Zeit messen.«

Augustin denkt ragend. Die Frage: Was ist die Zeit? wirdbeantwortet durch neue Fragen. Das Geheimnis wird nichtaugelöst, sondern als solches zum Bewußtsein gebracht.

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»Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand ragt, so weißich es; will ich es aber jemandem au seine Frage hin erklä-ren, so weiß ich es nicht.« »Ich orsche nur, ich stelle keineBehauptungen au.« Augustin begehrt, »in diese so alltäg-lichen und doch so geheimnisvollen Dinge« einzudringen.Wir sprechen ständig von Zeit, von wann und wie lan-ge, und dabei verstehen wir uns. »Es sind ganz gewöhnli-che und gebräuchliche Dinge, und doch sind sie wieder-

um ganz dunkel.« Und nach langen Erörterungen bekennter, »daß ich immer noch nicht weiß, was die Zeit ist, undwiederum bekenne ich, zu wissen, daß ich dieses in der Zeitsage ... Wie also weiß ich dieses, wenn mir der Begriff derZeit remd ist? ... Vielleicht weiß ich gar nicht, was ich nichtweiß!«

Zur Frage, was die Zeit sei, wurde Augustin gedrängtdurch die Erörterung des Einwands gegen die Schöpung:Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde schu? Wenner ruhte, warum ist er nicht in der Untätigkeit verblieben?Wenn es ein neuer Wille war, könnte man da noch von wah-rer Ewigkeit sprechen, in der ein Wille entsteht, der vorhernicht da war? Wenn aber der Wille von Ewigkeit her war,warum ist dann nicht auch die Schöpung ewig?

Diesen Einwand gegen den Schöpungsgedanken löst Au-gustin au: Gott hat mit der Schöpung auch die Zeit ge-

schaffen; es gab keine Zeit vorher. Die Frage ist sinnlos, weildas zeitliche Vorher ür den nicht ist, der alle Zeit schu,aber nicht in ihr ist. »Wo noch keine Zeit war, gab es auchkein Damals.« »Nie gab es eine Zeit, wo keine Zeit war.« Eskonnte keine Zeit vorübergehen, bevor Gott die Zeit schu.

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Die Zeit hat einen Anang – so sagt es die Bibel –, aber vordiesem Anang war keine Zeit, sagt Augustin.

Die Frage selber, was Gott vor der Schöpung getan habe,ist dreist. Augustin will nicht witzeln, wie einer, der antwor-tete: »Höllen bereitete er ür die, die so hohe Geheimnis-se ergründen wollen.« Er will einsehen und weiß: wenn wir»einsehen, daß die Zeit erst mit der Schöpung begonnenhat«, dann dulden wir nicht mehr das törichte Gerede, nicht

diese Fragen der Menschen, die »in sträflicher Neugierdemehr wissen möchten als sie verstehn«.

Was aber ist, so ragt Augustin doch selbst, die Ewig-keit vor aller Zeit? Einen Augenblick versucht er das ewi-ge Wissen Gottes, das in unbewegter Gegenwärtigkeit stän-dig ganz ist, zu vergleichen mit der Weise, wie uns ein Lied

gegenwärtig ist, das wir singen, so, daß uns alles Vergangeneund Zuküntige in ihm bekannt ist. Alle Jahrhunderte lägenso offen vor Gott wie vor uns das Lied, das wir singen. Abernicht so schlecht wie wir das ganze Lied weiß der Schöperalle Zukunt und Vergangenheit: »Du weißt sie weit, weitwunderbarer und weit geheimnisvoller.«

Was die Ewigkeit sei, spricht Augustin aus durch einHinausgehen über die Zeit, sie der Zeit kontrastierend:»Gott geht von der hohen Warte der allzeit gegenwärtigenEwigkeit allen vergangenen Zeiten voraus und überragt allezuküntigen.« »In der Ewigkeit geht nichts vorüber, sondern

in ihr ist alles gegenwärtig. Dagegen ist keine Zeit ganz ge-genwärtig.« »Deine Jahre gehen nicht und kommen; unse-re aber hienieden gehen und kommen. Deine Jahre beste-hen alle zugleich ... Unsere Jahre werden erst dann alle Jahresein, wenn unsere Zeitlichkeit vollendet ist.«

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Und dann spricht Augustin die Ewigkeit dadurch aus,daß er hinzeigt au das, wohin all unser Streben geht: nichtau etwas, das küntig und vorübergehend ist, sondern zudem, was vor uns liegt als das Unwandelbare. Jetzt, in »den Jahren des Seuzens«, »bin ich ganz augegangen in derZeit, deren Ordnung ich nicht kenne. Meine Gedanken, dasinnerste Leben meiner Seele, zerreißen sich in stürmischemWechsel.« Dort in der Ewigkeit ist Einheit, Unvergänglich-

keit, Seligkeit, unbewegte Gegenwart.Diese Ewigkeit spricht schon in der Welt: Gott leuch-

tet Augustin schon in ihr entgegen als etwas, das sein Herztrifft, »so daß ich erschaudere und erglühe, – erschaudere,insoweit ich ihm unähnlich, und erglühe, insoweit ich ihmähnlich bin«.

Fasse ich zusammen: Die Zeit wird erst durch das ragendeErdenken, was sie sei, als Geheimnis ganz ühlbar. Aber ichdenke es, um durch dies Geheimnis selbst mich des Sinnsder Ewigkeit, Gottes Ewigkeit und der eigenen, in der dieZeit getilgt ist, zu vergewissern.

b) Bibel-Interpretation

Wenn Augustin im reinen Denken sich ragend vergewis-sernd bewegt, dann berut er sich nicht au Offenbarung.

Es gelingen ihm die tiesinnigen Spekulationen in der kon-kreten Daseinserhellung. Aber dieses Philosophieren meintund will Erhellung der Existenz und Erdenken Gottesnicht aus der bloßen Selbstgewißheit sein, sondern im Be-wußtsein glaubender Interpretation der Bibel seine Wahr-

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heit finden. Die Denkorm dieser philosophischen Verge-genwärtigungen ist grundsätzlich au Offenbarung bezogen.Die »Konessionen« sind in der Form eines Gebets, ständigGott preisend und ihm dankend, geschrieben. In vielen ex-ten vollzieht sich die Einsicht als Bibel-Interpretation oderwird bestätigt durch Bibelworte.

Die Grundmeinung des Glaubens, allein in der Bibeldie Quelle der wesentlichen Wahrheit zu haben, verwan-

delt die Denkungsart. Die Meinung dieses Denkens grün-det sich nicht mehr au die Vernunt als solche und au das,als was sich der Mensch in ihr geschenkt wird, sondern mitihr au die Bibel. Wenn Augustin sich auch vom Geländerder Bibel löst und rei im Raum der Vernunt seine Einsich-ten findet, so kehrt er doch alsbald an das Geländer zurück,

an dem er zu den Antworten kommt au die abgründigenunbeantwortbaren Fragen, die in jenem Raum der Vernuntsich ihm audrängten.

Die Bibel wurde der nie versagende Leitaden zurWahrheit. Der tatsächliche außerordentliche Gehalt die-ses Depositums religiöser Erahrungen eines Jahrtausendsdes jüdischen Volks in Verbindung mit den unhistori-schen Interpretationsverahren erlaubten es, hier durchproduktives Verstehen einen unerschöpflichen Reichtum,eine nicht zu ergründende iee zu finden. Die Bibel wardie Sprache der Offenbarung, in der alle Wahrheit sich

gründete. Der philosophische Gedanke der ranszendenzwurde erüllt durch den biblischen Gottesgedanken, waraus der Spekulation zu lebendiger Gegenwart geworden.Die schönsten philosophischen Sätze erblaßten vor einemPsalmenwort.

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Vernunt und Glaube sind nicht zwei Ursprünge, die,zunächst und auch dauernd getrennt, sich dann treffen. Ver-nunt ist im Glauben, Glauben in der Vernunt. Einen Kon-flikt, der durch Unterwerung der Vernunt beendet werdenmüßte, kennt Augustin nicht. Ein sacrificium intellectus, dascredo quia absurdum ertullians ist ihm remd.

Daher geschieht die glaubende Wahrheitsvergewisse-rung bei Augustin nicht durch Ausgang von eindeutigen

Bibelsätzen, aus denen wie aus Dogmen deduziert würde.Vielmehr steht der Glaube als lebendig wirkende Gegen-wart aktisch (nicht bewußt) der Bibel rei gegenüber als ei-ner unergründlichen, erst noch zu verstehenden iee. Dieunphilologischen und unhistorischen Interpretationsme-thoden, die schon vor Augustin entwickelt waren, erlaubten

es, ast jeden Glaubenssinn in Bibeltexten wiederzufinden.Der sich selber noch dunkle Glaube begreit sich in der ak-tischen Freiheit des Selbstdenkens, das seine Gehalte in derBibel wiederzufinden, ja, überhaupt erst zu finden meint.Daher sind Augustins Schriten (noch nicht die rühesten)durchsetzt mit Bibelzitaten. Darüber hinaus spricht er gernin biblischer Sprache, mit biblischen Sätzen und Worten,so daß die Grenze von Zitat und eigener Sprache unscharwird. Andrerseits aber ist das Augustinische Denken we-gen der Freiheit seiner Vollzüge in seinen bedeutenden Ge-halten ür uns verständlich, ohne daß wir teilnehmen an

seinem Offenbarungsglauben. Dann ist es nachvollziehbarals unverlierbare Wahrheit im Raum der Vernunt, so dieErhellung der Innerlichkeit der Seele bis an die Grenzen,wo sie sich selbst überschreitet, so die Vergegenwärtigungder Zeit, des Gedächtnisses, der Unendlichkeit, so die Er-

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örterungen über Freiheit und Gnade, über Schöpung undWeltsein.

2. Vernunft und Glaubenswahrheit

Die Wahrheit ist nur eine. Sie ist »Gemeingut aller ihrerFreunde«. Der Anspruch eigener Wahrheit ist »vermesseneBehauptung« und »Überhebung«. »Weil deine Wahrheit, o

Herr, nicht mir, nicht diesem oder jenem, sondern uns allengehört, hast du uns zu ihr beruen mit der urchtbaren War-nung, sie nicht ausschließlich ür uns beanspruchen zu wol-len, da wir sonst ihrer verlustig gingen. Jeder, der sie als seinalleiniges Eigentum ansehen will, wird von dem gemeinsa-men Besitztum weg zu dem seinigen verwiesen, das ist von

der Wahrheit zur Lüge.«Daher will Augustin auch mit seinen Gegnern die Wahr-

heit suchen als gemeinsame. Das kann nur geschehen, wennbeiderseits die Anmaßung, schon in ihrem Besitz zu sein,beiseite gelassen wird. »Keiner von uns sage, er habe bereitsdie Wahrheit geunden. So wollen wir sie suchen, als kenn-ten wir sie beiderseits noch nicht; denn nur dann wird siehingebend und riedertig gesucht werden können, wennbeide eile unter Ablehnung jedes verwegenen Vorurteilsau den Glauben verzichten, sie sei bereits geunden und er-kannt.« Hier geht Augustin durchaus au dem philosophi-

schen Wege. Er weiß: Wer Wahrheit will, bringt den Frie-den, denn er geht mit dem Anderen au das Gemeinsame,nicht au Streit. Redet Augustin ehrlich? Ihm ist doch dieGlaubenswahrheit gewiß, nur deren besondere Formulie-rung kann zweielhat sein. Oder redet er trotzdem ehrlich?

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Er will hier mit dem Anderen sprechen, um ihn zu überzeu-gen, nicht um ihn zu kommandieren. Dies, was ür den Be-obachter wie Ehrlichkeit und Unehrlichkeit aussieht, beruhtau der einen großen, immer wieder vollzogenen Umwen-dung Augustins: vom Suchen zum Geundenhaben derWahrheit, die eine ist, – aber auch au der Verassung, dieim Geundenhaben immer wieder denkendes Suchen wird.Dieser Widerspruch ermöglicht die schärste Intoleranz

und das bereitwillige Entgegenkommen. Er hebt die Kom-munikation au, indem er sie sich in Schranken vollziehenläßt, die allerdings ihren Sinn vernichten. Sehen wir die Er-scheinung der grundsätzlich alles vorweg entscheidendenUmwendung näher an:

Die Frage ist, wie ich beim andern und bei mir selbst das

böse Merkmal des Eigenen, also Ungemeinsamen, also derLüge finde? Es ist nicht als gemeinsames, ür alle gültigesMerkmal zu finden, sondern liegt in der Entscheidung derkatholischen Autorität, die als die gemeinsame Wahrheitvorausgesetzt und beansprucht wird. Wenn von Augustindie Wahrheit in der gemeinsamen Freiheit der Vernunt mitdem Versuch, sich gegenseitig zu überzeugen, gesehen wird,so ist sie doch allein in Offenbarung, Kirche und Bibel da.Daher gelangt Augustin in der Praxis, entgegen seinen rü-heren Forderungen, sogar zur Anwendung von Gewalt ge-gen Andersgläubige. Die eigene Gemeinschat allein ist die

gemeinsame Wahrheit der Menschheit. Sie gilt, obgleich sieals eigene dieser Gemeinschat und aktisch ausschließendeda ist, doch nicht als Lüge. Die gegnerische Gemeinschatdagegen ist gemeinsame Wahrheit nur als die ihr eigene unddaher ausschließende und gilt daher als Lüge.

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Dieselbe Umwendung von der Offenheit der Kommuni-kation zum Anspruch au Gewalt der einzigen Autorität be-obachten wir in olgender Gestalt: Augustin verwehrt es inrommen Gedanken, irgend etwas an Gottes Stelle zu set-zen. Wir sollen die Glaubensautorität nicht im Vordergrün-digen sehen, gleichsam zu kurz greien. Denn dann »blei-ben wir au dem Wege stehen und setzen unsere Hoffnung(statt au Gott) au Menschen und Engel«. Stolze Men-

schen und Engel maßen sich an und haben ihre Freude dar-an, wenn andere ihre Hoffnung au sie richten. Heilige Men-schen aber und gute Engel »werden uns zwar aunehmen,wenn wir ermüdet sind, dann aber, wenn wir gestärkt wor-den sind, verweisen sie uns au den, in dessen Genuß wirso selig werden können wie sie«. Nicht einmal Jesus wollte

ür uns etwas anderes sein als Weg und verlangte, »daß wiran ihm vorübergehen sollen«. Nur allein Gott ist Autorität.Alles andere ist au dem Wege und wird Vergötzung, wennes statt Gottes genommen wird. Nun aber immer sogleichdie Umwendung. Au die Frage: Wo spricht Gott? ist im-mer Hie Antwort: in der Offenbarung. Mit ihr bleiben wirnicht au dem Wege, sondern gelangen durch Gottes uns er-greiende Liebe zu ihm im Glauben der Kirche, der wir unsim Gehorsam beugen.

Wieder anders sieht die Umwendung so aus: au demWege geschieht ein selbständiges Vernuntleben in ratio-

nalen Bemühungen. Solche bedüren, wenn Augustin sieselbst vollzieht, der Rechtertigung. Er meint, (in der SchritDe musica), er hätte dies Wagnis nicht unternommen, wennnicht der Zwang, die Ketzer zu widerlegen, gebiete, »sol-chen kindischen Beschätigungen des Sprechens und Erör-

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terns soviel Krat zu opern«. Also das Denken ist Hilsmit-tel ür Glaubensschwache. Da bedar es langsamer Wege,die von heiligen Männern im Fluge bewältigt und nicht desBetretens gewürdigt werden. Denn sie verehren in Glau-ben, Hoffen und Lieben »die wesensgleiche und unverän-derbare Dreieinigkeit des einen höchsten Gottes. Sie sindnicht durch die flimmernden menschlichen Vernuntschlüs-se, sondern durch das krätigste und brennendste Feuer der

Liebe gereinigt.« Aus solcher Geringschätzung des Denkensund der einzigen Hingabe an Glaube und Liebe, die krä-tig sind ohne und über alles Denken hinaus, aus dieser Klar-heit in bezug au die Ursprungsverschiedenheit von Denkenund Glauben erolgt jederzeit die Umwendung vom Den-ken zum Glauben. Wenn die höchste Wahrheit ganz nur zu

dem Glaubenden spricht, wenn kein Weiterdringen der Ver-nunt in ihrem unendlichen Suchen diese Wahrheit je er-reicht, so ist doch auch kein Glaube ohne Vernunt. Dahersagt Augustin: Sieh ein, damit du glaubst; glaube, damit dueinsiehst (intellige ut credas, crede ut intelligas). Auch Glau-ben ist Denken. Glauben selbst ist nichts anderes als mitZustimmung denken (cum assensione cogitare). Ein We-sen, das nicht denken kann, kann auch nicht glauben. Dar-um: liebe die Vernunt (intellectum valde ama). Ohne Glau-ben aber erolgt keine Einsicht. Die Jesaiasstelle (7, 9) gilt:Wenn ihr nicht glaubt, seht ihr nicht ein (wie es in der Sep-

tuaginta heißt, in der Vulgata: Wenn ihr nicht glaubt, bleibtihr nicht). Die Einsicht aber beseitigt nicht den Glauben,sondern beestigt ihn.

Die erstaunliche Augustinische Umwendung geht alsoerst zum Zwingen des Andersgläubigen (was wir an die

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Spitze stellten). Vorher ging sie zum Hören Gottes selbstin seiner Offenbarung und ging sie zur Einheit von Den-ken und Glauben. Diese Umwendung ist die allgemeine Er-scheinung der christlichen Welt, die in Augustin ihre größteDenkergestalt hat. Ist sie nur ein Irrtum, den wir mit au-klärenden Gedanken umassender Vernunt schnell ver-treiben können? Sind Jahrtausende lang Menschen hohenRanges, die schar und tie zu denken vermochten und herr-

liche Schöpungen in Kunst und Dichtung hervorbrachten,durch einen bloßen Irrtum genarrt? Oder hat im Kleide desOffenbarungsglaubens die eigentliche Philosophie gewirkt?Wir beschränken uns hier darau, näher zu sehen, was Au-gustin gedacht hat.

a) Erkenntnislehre

Erstens: Unsere Grunderahrung im Denken ist, daß unsein Licht augeht, in dem als allgemeingültig und notwen-dig erkannt wird, was zeitlos besteht, etwa daß die Winkeldes Dreiecks zwei Rechte betragen, daß 7 + 3 = 10 ist. Wirnehmen hier nicht etwas wahr, das au unsere Sinne wirkte,und bringen es doch nicht hervor, als ob es unsere Schöp-ung wäre, sondern finden es durch unser geistiges un,dem es sich zeigt. Es ist das Wunder der Wahrheit, daß esetwas gibt, was ich einsehe und was ich doch nicht in Zeit

und Raum außer mir sehe. Wie komme ich endliches Sin-nenwesen, das in Zeit und Raum lebt, zu solcher Wahrheitunsinnlichen, zeitlosen, unräumlichen Charakters?

Augustin antwortet mit Platonischen und eigenenGleichnissen: Die Wahrheit ruhte ungewußt in mir. Au-

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merksam gemacht, hole ich sie aus dem eigenen vorher ver-borgenen und immer noch unergründlichen Inneren. Oder:wenn ich sie einsehe, dann sehe ich sie in einem Lichte, dasvon Gott kommt. Ohne dieses Licht wäre keine Einsicht zuverstehen. Oder: es ist ein innerer Lehrer, und dieser selbststeht im Zusammenhang mit dem Worte, dem Logos, demWort Gottes, das mich belehrt.

Augustins Besinnung au das Rätsel gültiger Wahrheit

läßt ihn in dieser selber schon die Wirksamkeit Gottes er-spüren. Was später in reichen Abwandlungen, komplizier-ten Unterscheidungen und Kombinationen entaltet wur-de, und was heute Erkenntnistheorie heißt, hat in Augustinsmannigach gewonnenen und scharen Formulierungen sei-nen historischen Grund.

Aber ein Platonisches Moment hält Augustin stets est:in der Wahrheitserkenntnis sehen wir das Erkannte zwar ingöttlichem Lichte, schauen aber nicht Gott selber; und: un-ser Erkennen ist kein schwaches Abbild göttlichen Erken-nens, sondern wesensverschieden vom göttlichen Erkennen.

Zweitens: Die Wahrheit, die wir erkennen, ist zwar eine,aber ihre Momente sind mehrere. Erkenntnis und Wille sindeins und getrennt.

In der rennung ist Erkenntnis nichtig, in ihrer Einheitmit dem Willen erreicht sie erst ihren Sinn. Das Beweisen-

wollen Gottes erolgt nicht durch bloßen Verstand. Augu-stin beklagt seinen Irrtum, daß er einst das Unsichtbare ingleichem Sinne gewiß haben wollte, wie sieben und drei dieSumme zehn ergebe. Von Gott gibt es kein anderes Wis-sen in der Seele als durch die Weise, wie sie nicht weiß. Es

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gibt Rätsel über Rätsel: die Schöpung der Welt, die Einheitvon Seele und Körper. Aber das Denken soll ständig da-hin vordringen: »Siehe ein, was du nicht einsiehst, damit dues nicht ganz und gar nicht einsiehst.« Die hohe Wahrheitöffnet sich nur dem, der mit seinem ganzen Wesen (totus)in die Philosophie eintritt, nicht nur der sich isolierendenFunktion des Verstandes. Voraussetzung ür die Erkennt-nis der Wahrheit ist die Reinheit der Seele, ist die durch ein

rommes Leben erworbene Würdigkeit, ist die Liebe. Früherist der Eier, das Rechte zu tun, als die Begierde, das Wah-re zu wissen. Gott schauen wird, wer gut lebt, gut betet, gutstudiert. Dagegen wird solche Einsicht vernichtet durch denHochmut des Geistes.

b) Offenbarung und Kirche

Die Wahrheit hat die Momente der Vernunt und Offen-barung. Beide sind eins und getrennt. Gott erleuchtet nichtnur die Verstandeskenntnis, sondern er gibt die Wahrheitselbst durch Offenbarung der gegenwärtigen Kirche unddurch die Kirche der Bibel. Glaube ist kirchlicher Glau-be oder er ist gar nicht. Von außen kommt, was im Innerngeglaubt Aunahme findet. Von dort her wird alles anderebeurteilt. In dem Bewußtsein der Ohnmacht, des totalenAngewiesenseins der eigenen Bodenlosigkeit rettet die Er-

griffenheit von etwas, das von außen eindringend in der tie-sten Innerlichkeit seinen glaubenden Widerhall findet. Es istein Erleiden der in der Welt wirksamen heiligen Gegenwär-tigkeit, in der Gott selbst spricht. Es steht est ür Augustin,daß nur au diesem Wege Gott zu finden ist. Es ist nicht

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die Grunderahrung des Selbstseins als Sichgeschenktseins,sondern darüber hinaus noch einmal die Überwältigung die-ses Selbstseins von außen, so daß es sich und dem, wodurches sich geschenkt ist, nur dann vertraut, wenn die irdischeKirche die Bestätigung vollzieht. Die allgemein menschlicheGrunderahrung, bei wirklichem Ernst des eigenen unsdoch mich ergriffen zu wissen von dem, was nicht ich selberbin, daher mit meinem un im Dienste zu stehen, nimmt

bei Augustin die bestimmte historische Gestalt des Dien-stes in dieser Kirche an.

Bei Augustin ist der große Vorgang au dem höchstenkirchlich erreichten geistigen Niveau im Ursprung zu stu-dieren. Die Möglichkeiten schienen bei ihm manchmal nochweiter, noch offener, als sie sich später zeigten, nahmen dann

aber auch schon bei Augustin selbst die ganz bestimmtenFassungen an, durch die au den Geleisen der kirchlichenMacht, die längst gelegt waren, das Selbstbewußtsein dieserMacht sich verstand.

c) Aberglauben

Die Wissenschaten verachtet Augustin. Nur soweit sienützlich sind ür das Bibelverständnis, lohnt sich die Be-schätigung mit ihnen. Die Welt ist ür Augustin ohne In-teresse, außer daß sie als Schöpung au den Schöper weist.

Sie ist der Ort der Gleichnisse, Bilder und Spuren.Augustins Zeitalter hatte die Wissenschaten, deren

Fortgang schon im letzten Jahrhundert vor Christus auge-hört hatte, ast vergessen, obgleich die Bücher noch da wa-ren. Nicht Barbareneinälle, nicht materielle Nöte, nicht

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soziologische Beschränkungen haben den wissenschatli-chen Geist vernichtet, sondern einer jener großen histori-schen Prozesse, in dem die innere Verassung des menschli-chen Daseins ast aller jeweils Lebenden eine Wandlung zuerahren scheint, ohne daß wir die Notwendigkeit solchenGeschehens begreien.

In diesem Zeitalter sehen wir Augustin im Kamp mitdem Aberglauben und selbst dem Aberglauben verhatet.

Denn der biblisch bestätigte Aberglaube ist ür ihn keinAberglaube. Und das entscheidende Motiv gegen den Aber-glauben ist nicht bessere, weil methodische Einsicht in dieRealitäten der Welt und das, was als Realität in ihr vorkom-men kann, sondern der Glaube an Gott und der Wille zumHeil der Seele. Darum beobachten wir bei ihm ein denk-

würdiges Ineinander ast aller Motive.Im Kamp gegen die Manichäer operierte er mit Grün-

den. Er wollte ihr vermeintliches Wissen vom Weltall, vonden Sternen, von kosmischen Vorgängen, vom Kamp zwei-er kosmischer Mächte durch Gründe, die einsehbar sind,widerlegen. Sein Vorwur war: »Hier ließ man mich blind-lings glauben.« Er durchschaute die Grundlosigkeit ihresScheinwissens.

In dieser Verwerung des Scheinwissens als Aberglau-ben liegt die Macht des Gottesglaubens, die Abwehr gegendie Materialisierung der ranszendenz, die Abneigung ge-

gen Geheimwissen und Zauberei, gegen die Wichtigtuerei.Diese Macht des Gottesglaubens wirkt ür Redlichkeit undOffenbarkeit. Dann spürt Augustin, daß all dieses Weltwis-sen, mag es richtiges oder Scheinwissen sein, kein Heilswis-sen ist, das der Seele hilt. Daß er aber im Kampe gegen

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dieses Scheinwissen mit Gründen operiert, das bezeugt ei-nen Augenblick auch seinen Sinn ür wissenschatliche, dasheißt logische, methodische und empirische Forschung, undür die Unterscheidung dessen, was wißbar und was nichtwißbar ist. Dieser Sinn aber ist nur in momentanen, schnellabbrechenden und gar nicht methodisch estgehaltenen Ge-danken da. Er ist ganz unzuverlässig. Denn die zahllosenBehauptungen in bezug au Realitäten in der Welt, über die

eine Forschung allgemeingültig zu entscheiden vermag, wel-che Augustin aber au dem Boden des christlichen Glaubensvollzieht, verallen ür uns aus sachlichen Gründen demsel-ben Verdikt, das Augustin gegen das Scheinwissen der Ma-nichäer ällt. Sein Gottesglaube verhindert ihn nicht, in an-deren Zusammenhängen ein Scheinwissen zu behaupten

wie sie.

Ich wähle ein Beispiel, das zugleich den iesinn Augustinszeigt. Er bekämpt die Astrologie als ür das Seelenheil ge-ährlichen Aberglauben. Er bringt zum eil richtige Argu-mente, die auch heute gelten. Aber nun beobachtet er, daßnicht nur so viele Menschen diesem Aberglauben verallensind, dieser als solcher also eine Realität ist, sondern daßastrologische Voraussagen manchmal zutreffen. Wie ist daszu erklären? Augustins Antwort: Durch die Existenz derDämonen. In den unteren Lutregionen leben böse Engel als

Diener des euels. Sie bemächtigen sich der Menschen, dienach bösen Dingen lüstern sind, und geben sie dem Hohnund der äuschung preis. »Dieser teuflische Hohn undrug ist daran schuld, daß durch solche abergläubische undverderbliche Art von Weissagung gar manches Vergange-

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ne und Zuküntige nach dem wirklichen Verlau angegebenwird.«

Der tieere Sinn und der Realitätscharakter all dieses Un-ugs liegt darin, daß dieser »Wahn als gemeinsame Sprachemit den Dämonen verabredet worden ist«. Dieser Aberglau-be geht »au ein verderbliches Übereinkommen zwischenMenschen und bösen Geistern zurück«. An sich haben diesewahnhaten Dinge nicht Krat und Realität, sondern »weil

man sich mit diesen Dingen abgab und sie bezeichnete, er-langten sie erst Krat. Daher kommt ür einen jeden aus einund derselben Sache etwas Besonderes heraus je nach seinenGedanken und Vermutungen. Denn die au rug sinnendenGeister besorgen ür jeden gerade das, worin sie ihn schonan sich durch seine persönlichen Vermutungen verstrickt se-

hen.« Augustin vergleicht sie mit den von Menschen erun-denen Zeichen, den Ziffern und Buchstaben. »Wie sich dieMenschen bezüglich dieser Bezeichnung nicht deshalb ver-standen haben, weil diese Bezeichnung schon an sich einebezeichnende Krat besaß, sondern weil man sich eben be-züglich ihrer miteinander verstand, so haben auch jene Zei-chen, durch die man sich die verderbliche Gesellschat derDämonen erwirbt, Krat nur durch die ätigkeit desjenigen,der sie beobachtet.«

Augustin nimmt die Existenz der Dämonen als selbst-verständlich. Dies ist ihm kein Aberglaube (weil er durch

die Bibel belegt wird). Dann aber erblickt er vermöge sei-ner Logik des »Bedeutens« das Wesen des Übereinkom-mens als Realität. An dieser Realität zweielt er nicht. Aberder Unterschied von Realität und Irrealität ist nicht der vonWahrheit und rug. Die Dämonen können in den Aussagen

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der Abergläubischen recht behalten. Die Realität des ru-ges aber hört au, wenn die Wahrheit in der Lebenspraxisdes an den einen Gott Glaubenden zum Siege kommt. DieAbwehr der Realität geschieht daher nicht durch Gründe,sondern durch die Wirklichkeit des Ethos. Aberglaube undDämonenrealität und verdunkeltes Leben stehen ebenso inZusammenhang wie Glaube und Wirklichkeit Gottes unddas sittliche Leben. Nicht Gründe der Einsicht, sondern der

Glaube selbst entscheidet. Aberglaube ist der Akt, in demich mit den Dämonen paktiere.

Nicht nur in der Astrologie in bezug au die Wirkungder Sternkonstellationen, sondern bei allen Dingen, die Gottgeschaffen hat, ergehen Menschen sich in abergläubischenDeutungen. Wenn ein Maulesel Junge bekommt, wenn et-

was vom Blitz getroffen wird, dann »haben viele Menschenau bloß menschliche Mutmaßungen hin gleich viele Deu-tungen schritlich augezeichnet, als wären es regelrechteSchlußolgerungen«. Der Unterschied solcher Mutmaßun-gen ist, ob sie au der Linie des Aberglaubens oder au derLinie der christlich-kirchlichen Autorität liegen. Wenn siedurch Bibelstellen, durch Kirchenautorität gegründet wer-den, so sind sie Wahrheit. Augustin bekämpt den Aber-glauben der Astrologie durch den Offenbarungsglauben,aber mit dem Mittel des Aberglaubens an Dämonen.

Das gesamte Werk Augustins ist durchsetzt mit dem Aber-glauben, den man »Volksrömmigkeit« nennt. Er hat in derZeit seiner praktischen ätigkeit als Priester alles augenom-men, was bestand, so Hölle, Fegeeuer, Märtyrerkult, Reli-quien, Fürbitte. Er schreibt entzückt, daß »ganz Arika voll

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von heiligen Leibern ist«. Er nimmt kritiklos teil am Wun-derglauben. Er läßt praktisch an Bräuchen und Vorstellun-gen zu, was, sei es nützlich, sei es spontaner Ausdruck, re-ligiös-abergläubischen Sinnes ist. Sein praktisches Denkensucht die Kräte, die es rut und anerkennt, nur zu mäßigen.Er kann eingreien, und es entsteht dann eine Kritik im be-sonderen, die, weil sie nicht grundsätzliche Kritik ist, dochdie Sache in ihrem ganzen Umang bestehen läßt. Allem die-

sem aber kann man entgegenhalten Augustins wiederholteund großartige Bekämpung des Aberglaubens: Aberglaubeist alles, worin ein Geschöp als Gott verehrt wird.

Daß dieser hohe und wahre Maßstab nicht estgehal-ten wird, ührt zu den Widersprüchen, die sich im einzel-nen zeigen lassen, z. B.: der Märtyrer- und der Heiligen-

kult wird gerechtertigt durch eine Unterscheidung: in ihmände Verehrung (honorari), nicht Anbetung (colere) statt;dann aber wird das Wort colere doch an anderer Stelle gera-de ür die Verehrung der Heiligen gebraucht. Es ist ein Zei-chen, daß praktisch in der Seele der Gläubigen und Augu-stins die Unterscheidung nicht estgehalten wurde (es liegtbei Augustin übrigens nicht anders als in ast der gesamtenchristlichen Geschichte, nicht anders als bei Luther und vie-len Protestanten: sie bekämpen den Aberglauben, den sieselbst vollziehen: euel, Hexenglaube, Wunder).

Bei seinen Argumentationen gegen den Aberglauben hat

Augustin nicht selten den gesunden Menschenverstand, erbenutzt auch auklärerische Gedankengänge, aber nicht auder Ebene gereinigter wissenschatlicher Methoden, die ernicht kennt, sondern zuällig und ohne Grundsätzlichkeit.Sie sind kein entscheidendes Motiv. Entscheidend ist allein

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der biblische Gottesglaube und die Geahr eines alschenMeinens ür das Seelenheil.

Augustin ergeht sich, wo es sich um reale, wissenschat-lich erorschbare Probleme handelt, in umständlichen, un-methodischen, insoern leichtsinnigen Erörterungen. Brok-ken eines einmal angeflogenen Realwissens, rationalistischeArgumentationen, Imaginationen beremden uns. Sie sindder dunkle Nebel, der sein Werk durchdringt. Aber die-

se Nebel zerstreuen sich immer dort, wo die eigentlich Au-gustinischen Gedanken in herrlicher Klarheit wie zu einemanderen Raum sich erheben.

3. Gott und Christus

Die Bewegung der Augustinischen christlichen Gottesan-schauung hat zwei Richtungen. Die eine Bewegung läßt Gottimmer tieer, immer weiter, immer spiritueller werden, – siegreit hinaus über jede Vorläufigkeit, – sie läßt Gott immerunbegreiflicher, unerschöpflicher und immer erner werden.Die andere Bewegung läßt Gott ganz gegenwärtig, leibhatiganwesend sein in Christus: Gott ist Mensch geworden undin der Kirche als dem corpus mysticum Christi ganz nah. Esist, als ob au dem ersten Weg die Gottesanschauung unau-haltsam weiter ins Unermeßliche wüchse, au dem zweitenWege sich gleichsam einhäuse.

Der Gott Augustins ist untrennbar von Christus, die-ser einmaligen Gottesoffenbarung, von der die Kirche zeugt.Das ist der Sinn der Bekehrung: Gott nur au dem Wegüber Christus und die Kirche und das Wort der Bibel zu fin-den. Augustins Gottesdenken vollzieht sich zwischen dem

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unendlich ernen, verborgenen Gott und dem durch Chri-stusanschauung kirchlich offenbaren, gleichsam eingeange-nen Gott. Geht man mit Augustin au dem einen Weg, sowird man zurückgeworen au den anderen, wechselseitig.

In Augustin ist der große Atem des biblischen Eingot-tesgedankens, bei dem von Christus gar nicht die Rede ist.Und in Augustin ist die ihn überwältigende Krat des Chri-stusgedankens, in dessen leibhatiger Enge und Nähe am

Ende von Gott kaum noch die Rede ist.Der Gedanke an den Menschen Jesus, den unermeß-

lich leidenden, au die schrecklichste Weise sterbenden, denMenschen in seiner Niedrigkeit, in seiner Demut und sei-nem Gehorsam bis in den od, übersetzt sich in den Chri-stusgedanken: Der eine allmächtige Gott nahm zur Er-

rettung der Menschen Knechtsgestalt an. Seine Stärkevollendet sich in der vollkommensten Schwäche, seine ein-zige unveränderliche Wirklichkeit im Untergang an die-ser Welt. Jesus, der Mensch, ist Vorbild ür uns. Jesus, derChristus, ist der Logos, ist Gott selber, erlöst uns, wenn wiran ihn glauben. »Er nahm Knechtsgestalt an, ohne die Ge-stalt Gottes zu verlieren, die Menschheit anziehend, ohnedie Gottheit auszuziehen, Mittler, soern er Mensch ist, alsMensch auch der Weg.«

Die Spannung des gedanklich Unvereinbaren, des Got-tesgedankens und Christusgedankens wird gelöst nicht in

einer vollendbaren Einsicht, sondern in den christologi-schen und trinitarischen Spekulationen, die das Mysteriumnicht begreien, aber erhellen sollen.

Die behauptete Menschwerdung Gottes – »den Judenein Skandal, den Griechen eine orheit« – enthält einen ho-

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hen Sinn, den menschliche Vernunt sich zugänglich ma-chen kann: die Auffassung des äußersten menschlichen Un-heils, die Aneignung der tieen jüdischen Leidenserassung,die Sprache der Gottheit im Scheitern, – im entsetzlichstenLeiden das Erspüren des Opers, das Menschen zugemu-tet wird, – das Durchschauen nicht nur der menschlichenGrenzen, sondern des untilgbaren Restes seines in jedemphilosophischen Sich-au-sich-selbst-Verlassen auch irren-

den Stolzes, – die Demut der Seele, die der ranszendenzgewiß wird. Aber das alles geht aus vom Menschen Jesus. Esbedeutet nicht, daß Jesus auch Christus, Gott selber sei.

a) Das philosophische ranszendieren. – Im philosophischenranszendieren vollzieht Augustin au neuplatonischem

Boden, zunächst aus der Leidenschat des Glaubens an denbiblischen Einen Gott, olgende Gedanken:

Da Gott nicht Gegenstand einer unmittelbaren Wahr-nehmung ist, gibt es ür die Erkenntnis nur den Weg desAustiegs zu ihm. Diesem dienen die »Gottesbeweise«. Au-gustin läßt sie nicht systematisch und nicht abstrakt zurGeltung kommen, sondern in einer erregenden Anschau-lichkeit. Die Zweckhatigkeit und Ordnung der Welt weistau Gott. Das Unsichtbare wird aus der sichtbaren Schöp-ung eingesehen. Alle Dinge, Himmel und Erde, Sonne,Mond und Sterne, Pflanzen und iere und der Mensch

sprechen gleichsam: Gott hat uns geschaffen.

»Ich ragte den Himmel, die Erde, die Sonne, denMond, und jeder sagte: ich bin nicht dein Gott, – ichragte das Meer und die Abgründe und die iere, und

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sie antworteten: wir sind nicht dein Gott, rage überuns hinaus ... Und ich sagte allen: ihr habt mir vonmeinem Gott gesagt, daß ihr nicht er seid, sagt miretwas von ihm; und sie rieen mit gewaltiger Stimme:er hat uns geschaffen.«

Gott ist überall verborgen, überall offenbar. Niemandem istes erlaubt, zu erkennen, daß er ist, und niemandem, ihn nicht

zu kennen. Atheismus aber, sagt Augustin, ist ein Wahnsinn.Wodurch ruen Himmel und Erde und alle Dinge, daß

sie geschaffen sind? Dadurch, daß sie sich verändern undsich wandeln. Nur im Sein, was »nicht geschaffen ist unddennoch ist, in dem ist nicht etwas, das vorher nicht war«.Darum ruen alle Dinge durch die Weise ihres Daseins:

»Wir sind, weil wir geschaffen sind; wir waren nicht, bevorwir sind, so daß wir uns aus uns hätten schaffen können.«

Dies wissen wir dank Gott. Aber unser Wissen ist, demseinen verglichen, Nichtwissen. Denn ihn selbst erkennenwir nicht. Für die Gotteserkenntnis gilt: »Wenn du ihn be-greist, ist er nicht Gott.« »Gott ist unaussagbar. Wir kön-nen leichter sagen, was er nicht ist, als was er ist.« »Alleskann von Gott gesagt werden, und nichts wird angemessenvon Gott gesagt.«

Denken wir Gott, so denken wir ihn in Kategorien, ohnedie kein Denken möglich ist. Da er aber in keiner Kategorie

steht, können wir ihn nur denken, indem wir mit Katego-rien, diese zerbrechend, gleichsam über sie hinaus denken.So ormuliert Augustin, daß wir, wenn wir können, Gott soerkennen, daß er gut ist ohne die Qualität der Güte, großist ohne Quantität, über allem thront ohne örtliche Lage,

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alles in sich aßt, ohne es in sich zu enthalten, überall ganzist ohne örtliche Bestimmtheit, ewig ist ohne Zeit, Schöp-er der veränderlichen Dinge ist ohne Veränderung seinerselbst.

Wenn jede Aussage unzutreffend ist, so ist die beste, dieEinachheit (simplicitas) von ihm zu sagen. Denn nichtskann in Gott unterschieden werden, nicht Substanz von Ak-zidens und nicht Subjekt von Prädikat. Daher ist die Identi-

tät des Ununterschiedenen, die Einheit der Gegensätze eineangemessene Aussageorm, aber eine solche, in der nichtsgesagt wird. Das Ende des Gotterdenkens ist Schweigen.

b)  Jesus Christus. – Im philosophierenden ranszendie-ren wird alles Denkbare durchbrochen. Gott wird in sei-

ner Wirklichkeit ühlbar dadurch, daß nichts gesagt wird.Gottes Wirklichkeit ist so, daß jede, auch die gewaltigste,Endlichkeit und Denkbarkeit vor ihm zu nichts zu werdenscheint und als Nichts unähig ist, von Gott eine Vorstel-lung oder Denkbarkeit zu bringen. Wenn so im ErdenkenGottes unserem endlichen Denken alles entzogen wird, ihmnichts bleibt, dann ist beides möglich: dies Sprechen destranszendierenden Philosophierens als angemessenen Aus-druck ür die existentielle Überwältigung durch die einzigeWirklichkeit zu erahren, oder dies Sprechen als das völli-ge Scheitern der Denkbarkeit Gottes, als Verschwinden des

Seins Gottes ür uns, in seiner Inhaltlosigkeit enttäuscht zuverweren.

Hier liegt der entscheidende Punkt. Der Mensch be-gehrt Leibhatigkeit. Gott ist da in Christus. »Das Wortward Fleisch.«

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Der unheilbare Stolz soll durch Gottes Selbsterniedrigungzur verachtetsten Gestalt des Menschseins geheilt werden.»Welcher Stolz kann geheilt werden, wenn ihn die Demutdes Gottessohns nicht heilt?« »Gott hat sich erniedrigt, undder Mensch ist noch stolz!«

Zweitens wurde Gott Mensch, um Gnadenmittel zur Er-lösung des Menschen zu sein. Christus ist gestorben, aberan ihm ist der od gestorben. »Vom ode getötet, tötete er

den od.« In Gottes at schaut der Glaubende an den tie-sten, zur Errettung der Seele nach Adams Fall notwendigenProzeß und erährt die Wirkung dieser at. »In dem Men-schen Jesus sollte die Gnade selbst gewissermaßen zur Na-tur werden.«

Indem Augustin beides – das Vorbild und die Gnade des

göttlichen Aktes –, das rechte menschliche Sichverhaltenund die Anschauung des göttlichen uns, – sich ineinanderspiegeln läßt, erwachsen ihm die merkwürdigen, großartigenund absurden Sätze, die selber wieder sich überschlagen zuneuen Unlösbarkeiten.

Denn Leiden und Sterben Jesu, seine Kreuzigung undseine Auerstehung, Himmelahrt und sein Eingang in dasReich Gottes sind zugleich das Leben, das der Glaubendelebt. »Wir wollen Dank sagen, daß wir nicht nur Christengeworden sind, sondern Christus. Denn wenn er das Hauptist, wir die Glieder, so ist dieser ganze Mensch Christus, er

und wir.«Die Unlösbarkeiten – von Augustin als Abgründe des

Menschseins erleuchtet – sind radikal. »Der sich erniedri-gende Christus wurde am Kreuz erhöht; unmöglich konn-te seine Erniedrigung etwas anderes sein als Hoheit.« Dem

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entspricht beim Menschen: »Die Demut ist unsere Voll-kommenheit selbst.« Das Niedrigste wird zum Höchsten,die Demut zur Herrlichkeit des Menschen.

Aber nun: die gewollte Demut, die die Niedrigkeit er-strebt, sich an ihr teilnehmend erbaut, wird als solche so-gleich zu neuem Stolz. Als mit sich zurieden ist die De-mut schon nicht mehr demütig. Zwinge ich mich asketischzur Demut, so liegt in solcher Vergewaltigung meiner selbst

schon der Stolz; die aktive Askese wird in der Macht übersich selbst zum riumph des stolzen Selbstseins. Solche Pa-radoxien werden wir in Augustins Erdenken von Freiheitund Gnade zur Helligkeit gebracht sehen.

Weren wir den Blick au einige andere Folgen der Gegen-

setzung von humilitas und superbia:Es handelt sich um eine Umwendung des natürlichen, vi-

talen, tätigen Selbstbewußtseins, das sich behauptet, in derMacht Würde, in der Haltung Vornehmheit will und dasNiedrige verachtet, in eine radikal entgegengesetzte Lebens-verassung, die in der Welt unmöglich scheint.

Dann: In der Lebenswirklichkeit kann nur ein Selbst-sein, das tätig im Stolze war, demütig werden, ohne passivduldend nichts zu tun. Nur wer mit Selbstvertrauen in derWelt wagt und dadurch hervorbringt, kann erahren, wiedieses Selbstvertrauen gar nicht au sich selbst ruht, son-

dern angewiesen ist au das, wodurch ich selbst bin.Schließlich: Seitens der in der Welt durch ihre Artung,

durch ihr Unglück, durch ihre niedrige Stellung Schlecht-weggekommenen entsteht nicht nur immer der Haß gegendas Höhere, das Edlere, das Glücklichere, sondern im Klei-

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de dieser christlichen Umwertung des Niederen in das Hö-here nimmt dieser Haß Rache an dem Höheren. Eine Um-älschung der Werte ermöglicht es, daß die Ohnmacht sichMacht, der tiee Rang sich den hohen Rang gibt (Nietz-sche). Diese psychologischen Verstrickungen sind endlosund ein ergiebiges Feld einer entlarvenden, verstehendenPsychologie.

Aber all das kann nicht gegen die Wahrheit im Ur-

sprung dieser Gedanken und Wirklichkeiten gewendet wer-den. Denn in jeder Überlegenheit, in jedem Gelingen, in je-dem riumph, im Mehrsein als solchem liegt etwas, das sichin Frage stellt. Es ist keine Freude im Sieg, wenn der Geg-ner nicht Freund wird. Was an Achtung vor dem Gegner, anKamp ohne Haß, an Versöhnungsbereitschat in der Welt

ist, kann zwar selber dem sublimen Machtwillen entsprin-gen, der immer noch mehr will, indem er vordringt in höhe-re Stuen des Seins, aber es kann auch nur wahrhatig demBewußtsein der eigenen totalen Ohnmacht entspringen, je-ner Ohnmacht im Schein realer Macht, jener Demut, in derder Mensch sich selbst nie genug ist, sondern den andern,alle sucht, ohne die er nicht er selbst sein kann. Hier ent-springen die Fragen der Ritterlichkeit, des Adels im Kamp-e, der Solidarität. Eine undurchdrungene Welt des Ethosöffnet sich mit dem mythischen Christusgedanken, soernhier die Quelle und das Vorbild menschlichen uns in ein-

achen Chiffren vor Augen gestellt wird.

c) rinität. – Der Gottesgedanke des philosophischenranszendierens gründet in der Vernunt, der Christusge-danke im Glauben an Offenbarung. Jenes ranszendieren

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geschieht in zeitindifferenten Vollzügen gerichtet au dasZeitlose, dieser Christusgedanke im zeitlich bestimmten,geschichtlich entscheidenden Glauben an ein geschichtlichesEreignis (ein mythischer Glaube, der sich durch die histori-sche Realität des Menschen Jesus vom Mythos unterschei-den möchte). Beides scheint unvereinbar. Die Ergriffenheitvon philosophischen Gedanken erscheint leer von diesemGlauben her. Dieser Glaube erscheint absurd vom Philoso-

phieren her. Daß der Glaube vernüntig werde und im Phi-losophieren sich bestätige, daß Glaube und Philosophie das-selbe werden, dazu soll das Erdenken der rinität durchAugustin helen. Er hat die größte, lebenwährende Müheau diese Spekulationen gewendet und in seinem umang-reichen Werk über die rinität niedergelegt. Aber in dieser

Einheit von Philosophie und Glauben, die nicht Syntheseist, weil Augustin sie grundsätzlich nirgends trennt, wieder-holt sich der Grundzug des gesamten Augustinischen Den-kens. Die rinität ist ein Mysterium der Offenbarung, dasim Denken zu einer Wissensorm des gesamten Seins wird,die schönsten Einsichten zu bringen scheint, aber wiederumim Schweigen des Nichterkennenkönnens endigt. Die at-sache, daß das rinitätsdenken im Abendland durch Jahr-tausende so außerordentliche Geltung und Wirkung hat-te, verbietet es, nur eine Absurdität darin zu sehen, weil dierinität keine wirksame Chiffre mehr ist. Wir ragen, wel-

che Motive sich im rinitätsdenken zeigen, und suchen unseinzudenken in das, was es in jenen Erahrungen des glau-benden Denkens bedeutet haben mag.

Ein Motiv ür die rinitäts-Spekulation ist olgendes:Wenn Gott in Christus Mensch wird, so soll dies Geheim-

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nis deutlich werden durch die rinität: die zweite Person,der Logos, wird Mensch. Ohne rinität ist der Gottmenschür das Denken nicht begreiflich. Mit einer seiner drei Per-sonen, dem Sohn oder Logos, wird Gott Mensch und istdoch in drei Personen Einer. Der Einsatz der Glaubenser-kenntnis steigert das Mysterium, in dem der Glaube zwardoch nicht begreit, aber sich deutlicher macht die Mensch-werdung.

Ein anderes Motiv des rinitätsdenkens ist der Wille,in Gottes Wesen einzudringen: Gott wird Person, ist abermehr als Person. Denn Personsein ist Gestalt des Mensch-seins. Wäre Gott in diesem Sinne Person, so wäre er be-dürtig nach anderen Personen, mit ihnen in Kommunikati-on zu treten. Die Unmöglichkeit, Gott als die eine absolute

Person zu denken, ohne ihn herabzuziehen in die Ebene desmenschlichen Personseins, drängt zu der anderen Unmög-lichkeit, Gott in seiner Überpersönlichkeit als Einheit vondrei Personen zu denken.

Das Eine der ranszendenz soll ür das menschliche Den-ken nicht Leere bleiben, nicht Nichts. Es wird eingedrun-gen in ein inneres Leben der Gottheit, die Bewegung in ihrzu erblicken, den lebendigen Gott denkend zu erahren. Eswird die Beriedigung einer Versenkung in Gott gesucht, alsob man sein inneres Wesen erschauen oder doch erdenken

könnte. Etwa: Gott sei nicht der Einsame, der nach lieben-der Gemeinschat sich sehne, daher ein Anderes schüe, dieWelt und den Menschen, sondern Gott lebe vielmehr in derSelbstgenügsamkeit der Gemeinschat dreier Personen, dieeine sind.

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Nach der negativen Teologie des Philosophierens, dienur sagt, was Gott nicht ist, um nun indirekt, aber ohne In-halt, seiner Überschwenglichkeit innezuwerden, statt desbloßen »Überseins« des unabschließbaren ranszendierens,soll das Positive der Gottheit zur Erscheinung kommen.Dies aber ist, gemessen an jedem möglichen Gedanken, My-sterium. Die rinität ist in ihrer Undenkbarkeit und Un-vorstellbarkeit ein Bild des absoluten Geheimnisses. Daher

die gewaltige Krat dieses Bildes au Menschen, die in ihmGenüge anden: dann ist es einach da durch Autorität undBibel-Interpretation, ist nicht nur Bild, sondern offenbart,wird jeden Augenblick bestätigt durch Kirche und Bekennt-nis, ist Ausgang, nicht Ergebnis der Spekulationen. Die Fra-ge nach den Motiven des Bildes ist wesenlos. Jede Spekulati-

on aber dieses Geheimnisses, wenn sie es rational begreiflichmacht, muß, außer daß sie eine orheit ist, allein des Be-greiflichkeitsanspruchs wegen schon eine Häresie sein. Allerinitäts-Spekulationen, die zu einem scheinbar klaren Er-gebnis kommen, stehen daher als ebenso viele Häresien umdie unbegreiflichen Formeln des Mysteriums.

Herkunt und Wirkung der rinitäts-Spekulationen sindzum eil verständlich durch ihre Auzeigung des Drei-schritts – der Dialektik – in allen Dingen, in der Seele, in jeder Realität. Der Dreitakt im Denken alles Seienden ist

ein Abbild der Gottheit. Das Bildsein wird wechselweise ge-dacht: Durch die Erscheinungen der riaden in Seele undWelt, die uns Bilder werden, steigen wir au zu Gott, – Gottin der Wirklichkeit seiner rinität zeigt sich in den unend-lich vielen Abbildern der Dreierverhältnisse des Seienden.

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Zahllos sind die Augustinischen riaden, zum Beispiel: In

der Seele: Sein, Erkennen, Leben (esse, intelligere, vivere),– Sein, Wissen, Lieben (esse, nosse, diligere) – Gedächt-nis, Erkenntnis, Wille (memoria, intelligentia, voluntas)– Geist, Kunde, Liebe (mens, notitia, amor). – In der Be-

ziehung zu Gott: Gott ist Licht unseres Erkennens, rägerunserer Wirklichkeit, das höchste Gut unseres Handelns, –er ist Grund der Einsicht, Ursache des Daseins, Ordnung

des Lebens (ratio intelligendi, causa existendi, ordo viven-di), – er ist Wahrheit der Lehre, Ursprung der Natur, Glückdes Lebens (veritas doctrinae, principium naturae, elicitasvitae). – In allem Geschaffenen: Bestehen, Unterschieden-sein, Übereinstimmen (in quo res constat, quo discernitur,quo congruit), – Sein, Wissen, Wollen (esse, nosse, velle),

– Natur, Erkenntnis, Gebrauch (natura, doctrina, usus). –In Gott selbst: Ewigkeit, Wahrheit, Wille (aeternitas, veritas,voluntas-caritas).

Das Dreierdenken des Göttlichen reicht über die christli-che Welt hinaus: Die Dreiheit ist seit Plato geläufig gewor-den: Bei ihm ist im Sein des Guten die Einheit des Guten,Wahren, Schönen gedacht (Symposion), anders ist die Drei-heit von Gott (dem Demiurgen), der ewigen Ideenwelt, audie er blickt, und des Kosmos des Werdens, den er hervor-bringt. Bei Plotin ist die Dreiheit des überseienden Einen,

des Ideenreiches und der Weltseele. Die christliche rinität:Vater, Sohn-Logos, Pneuma (Heiliger Geist).

Man mag die Unterschiede herausheben: etwa daß die Ideenbei Plato und Plotin ein selbständiges Reich, im christlichen

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Denken Gedanken Gottes seien. Man mag eine Dreiheitdes Übersinnlichen in sich (das Eine, die Ideen, die Weltsee-le, diese drei Plotinischen Hypostasen, – oder: Vater, Logosund Heiliger Geist) unterscheiden von der Dreiheit, die dieWelt einschließt. Man mag au die Gleichnisse hinweisen,durch die die Beziehungen der Drei gedacht werden (Zeu-gung des Sohnes, Hauchung des Geistes, – Ursprung derWelt im Überfließen oder Ausfließen des Seins ohne Ver-

lust des Seins, als Schöpung aus Nichts, als Hervorbrin-gung durch planvolle Gestaltung). Man mag die Katego-rien betonen, in denen die Beziehungen der drei Personen(Gleichheit, Unterordnung, Nebeneinander, Ineinander) ge-dacht werden (und dann eben die bloße Beziehung – Re-lation – ür die leichteste, unbeschwerteste, also ür die der

Sache angemessene Kategorie halten). Es hilt alles nichts:keine Vorstellungs- und Denkweise hat einen Vorzug, man-che haben eine eigentümliche Sprachkrat, alles in allemhandelt es sich um Kombination und Permutation der Be-griffe und Gleichnisse, mit denen Abendländer sich andert-halb Jahrtausende beschätigt haben, um, in der Form einesdenkenden Erkennens, die Meditation des Geheimnisses zuvollziehen, oder um sich wild mit der rabies theologorumzu bekämpen. Augustin ist eine Fundgrube aller Möglich-keiten. Es ist ein historisch denkwürdiges Phänomen: diesewie eine große Musik gehörten Weisen ormalen ranszen-

dierens, die in dem Gehalt des ganzen Seins wieder zu er-klingen scheinen. Alle Kategorien, alle sachlichen und sinn-lichen Erscheinungen dienen als Material. Die Augabe wargestellt, von Augustin zum erstenmal gehört und dann im-mer von neuem abgewandelt: das Orchester der Gedanken

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zum einheitlichen Spiel zu bringen, aus all den verschiede-nen Instrumenten es im durchsichtigen Aubau eines Wer-kes zum Einklang zu bringen, die eine Melodie in uner-schöpflichen Abwandlungen zu spielen, darin die logischeDramatik (bis zu den Geisteskämpen um die Mittel undGrundmotive dieses Spiels) zu finden und dann wieder dieHöhepunkte der Ruhe in stillen, vollendenden Sätzen zuhaben.

Augustin vergißt nicht, was er eindringlich und immerwieder ausspricht: daß Gott unausdenkbar, unaussprech-bar, der Eine ist, daß kein denkendes Vorstellen Gottesihn erreicht, vielmehr jedes auch alsch ist. Das trinitari-sche Mysterium der Gottheit ist allein durch Offenbarungkund. »Wer begreit die allmächtige Dreieinigkeit? Und wer

spricht nicht von ihr, wenn er sie dennoch zu begreien ver-meint?«

Alles Denken und Reden ist vergeblich, aber es ist un-umgänglich. Daher sagt Augustin am Schlusse seines gro-ßen Werkes (De trinitate) über dieses: »Ich habe mit derVernunt zu schauen verlangt, was ich glaubte (desidera-vi, intellectu videre, quod credidi) ... Es waren nicht vieleWorte, weil es nur die notwendigen waren. Bereie mich, oGott, von der Vielrederei (a multiloquio) ... Ich schweige janicht in meinen Gedanken, selbst wenn ich mit dem Mun-de schweige ... Aber zahlreich sind meine Gedanken, die wie

die Menschengedanken eitel sind ... Gewähre mir, daß ichihnen nicht zustimme, daß ich sie, auch wenn sie mein Er-götzen erregen, dennoch mißbillige.« Die in der Zeitlichkeitunüberwindbare Spannung, die Augustin in seinem Gottes-denken erährt, kommt hier an ausgezeichneter Stelle zum

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Ausdruck: das Erkennenwollen, die Leidenschat des Den-kens und das Bewußtsein der Nichtigkeit solchen uns. Dieautoritative Entschiedenheit seines Behauptens dar manaugustinisch einschränken durch sein Sichzurückholen ausallen Gedanken zu Gott selbst. Man könnte meinen, daßAugustin spüre, wie sehr es ein Antasten Gottes, eine Zu-dringlichkeit sei, ihn und gar sein Inneres mit menschlichenVorstellungen assen zu wollen. Aber dem widerspricht die

ungezügelte Lust, in der Breite aller möglichen Gedankenund Vorstellungen hinzudringen, wohin kein Mensch den-kend gelangen kann, wenn auch nicht selten in der ragen-den und der preisenden Haltung, in der stets ein leises Zu-rücknehmen anklingt.

4. Philosophische Gedanken in der

offenbarungsgläubigen Klärung 

In der Klärung des Offenbarungsglaubens entspringen phi-losophische Gedanken. Wenn Augustin das Philosophierenvom Denken des Offenbarungsglaubens nicht trennt, so istdie Frage, ob der Natur der Sache nach eine rennung mög-lich ist, das heißt, ob Wahrheit der Gedanken auch dannbleiben kann, wenn der Christusglaube erloschen ist.

A. Freiheit

Die Selbstreflexion: Augustins ständige Gewissensprüungerkennt Ansätze und Geühle und endenzen, welche sei-nem bewußt Gewollten widerstreiten. So erkennt er dieSelbsttäuschungen, z. B. in seiner Bitte an Gott um ein Zei-

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chen, um seinen Auschub dessen zu rechtertigen, was so-gleich geschehen sollte; oder in der Lust der Neugier, diesich als Wissenwollen ausgibt. Er erkennt die fleischlichenErgötzungen der Sinne beim Singen des Psalters, die mehrdie Ohren beglücken als daß der Inhalt wirkt. Beim Es-sen, das notwendig ist, meint er gegen die Begier kämpenzu müssen, die sich damit verknüpt. Den Beischla kann erunterlassen, aber nicht die sexuellen räume. Er tut etwas,

was recht ist, zwar gern, aber auch damit die Menschen ihnlieben. Hinter allem steckt noch ein Anderes. Das mensch-liche Leben au Erden ist ohne Unterbrechung die Versu-chung durch Sinne, durch Neugier, durch Hoffart (denrieb, geürchtet und geliebt zu werden). Und wir merkenes nicht. Noch genauer will er sich ragen: »Warum werde

ich weniger erregt, wenn jemand anderes unrecht getadelt,als wenn ich getadelt werde? Warum werde ich von demSchimpe, der mich trifft, mehr gequält als von demselben,wenn er einen anderen mit derselben Unbilligkeit in mei-ner Gegenwart trifft? Weiß ich auch das nicht? Ist auch dasnoch übrig, daß ich mich selbst verühre?« Augustin beginntdie entlarvende Psychologie und merkt, daß er an kein Endekommt. Daher rut er Gott an: »Sehr ürchte ich meine ver-borgenen Fehler, welche deine Augen kennen, die meinigenaber nicht.«

Ich kann mich selbst nicht kennen und durchschauen. Woimmer ich mich durchorsche, stoße ich au das nicht Be-greifliche. So war es schon beim Gedächtnis: ich asse nichtdas, was ich bin; der Geist ist zu eng, um mich selbst zu as-sen. So ist es auch im Durchschauen dessen, was in mir vor-

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geht: »Wenn auch kein Mensch weiß, was im Menschen zu-geht, als nur der Geist des Menschen, der in ihm selbst ist(Kor. 4. 3), so gibt es doch etwas im Menschen, was selbstder Geist nicht weiß, der in ihm selbst ist; du aber, o Herr,du kennst ihn ganz genau, denn du hast ihn geschaffen.«

Spaltung des Wollens vom Entschluß: Die erregendste Selbst-beobachtung enthüllt ihm, daß der Wille nicht eindeutig

will. Der Wille war ihm die Mitte der Existenz, war ihmdas Leben selbst. »Wenn ich etwas wollte oder nicht woll-te, dann war ich ganz sicher, daß nicht ein anderer als ich eswollte oder nicht wollte.« Und gerade hier im Mittelpunktseines Wesens eruhr er das Erschreckende (er schildert esals den Zustand vor seiner Bekehrung): Er wollte und er

konnte sich doch nicht entschließen: »Ich tat das nicht, wasmir in unvergleichlich höherem Grade zusagte und was ichgekonnt hätte, sowie ich nur wollte. Hier war Können undWollen eins, das Wollen selbst schon un und doch geschahes nicht. Leichter gehorchte der Körper dem leisesten Wil-len der Seele als die Seele sich selbst.«

»Woher und warum dieser ungeheuerliche Sachver-halt? Der Geist befiehlt dem Körper und findet sogleichGehorsam, der Geist befiehlt sich selbst und stößt au Wi-derstand.« Warum? »Er will nicht ganz, deshalb befiehlt erauch nicht ganz ... Wenn er ungeteilt wäre, so brauchte er

nicht erst zu beehlen ... Zum eil wollen und zum eil nichtwollen, ist aber kein ungeheuerlicher Sachverhalt, sonderneine Krankheit der Seele.« Sie wird nicht von der Wahr-heit emporgezogen, sondern von der Gewohnheit herabge-zogen. »Deshalb gibt es zwei Willen.« Nicht zwei Mächte,

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eine gute und böse, beherrschten ihn, vielmehr: »Ich war es,der wollte, ich, der nicht wollte ... Denn weder mein Wollennoch mein Nichtwollen war ganz und ungeteilt. Daher warich uneins mit mir.« »Ich sagte in meinem Innern zu mir:bald wird es werden, bald, und mit dem Worte stand ichschon an der Schwelle des Entschlusses. Schon war ich dar-an, es zu tun, und tat es doch nicht; aber ich glitt auch nichtau meinen rüheren Standpunkt zurück, sondern blieb ste-

hen und schöpte Atem.« »Je näher der Zeitpunkt kam, daich ein anderer werden sollte, desto größere Schrecken jag-te er mir ein. Dieser hielt mich in der Schwebe ... orheitund Eitelkeit, meine alten Freundinnen, flüsterten mir zu:du willst uns verlassen? Und. von diesem Augenblick wirstdu dies und das in Ewigkeit nicht mehr tun düren!«

Die Umkehr, der Sprung, erolgte plötzlich. Mit einemSchlage war die Entzweiung zu Ende. Es »strömte das Lichtder Sicherheit in mein Herz ein«. Gott hat ihm geholen.

Augustin hat zum erstenmal den Kamp des Willens mitsich selbst rückhaltlos gezeigt, das Zögern, die Entschlußlo-sigkeit, die Bedeutung des Entschlusses, der au das Ganzedes Lebens geht, unwiderruflich ist. Er zeigte an sich selbstden Menschen in seiner Schwäche. Ihn bekümmerte nichtdas Unvornehme, das Würdelose. Er deckte es au als zu un-serem Menschsein gehörig. Und dann zeigt er die Unbegrei-lichkeit der Gewißheit, diese Sicherheit des Wollens, das nun

gar nicht anders kann. Der Wille wird Notwendigkeit. Daßer will, bedeutet das Erlöschen allen Zögerns, aller Unsicher-heit, allen Zweielns, aber auch aller Gewaltsamkeit des blo-ßen Sichzwingens. Dieser Wille ist die Ruhe im Gewähl-thaben, die nicht mehr wählt, sondern muß. Der reie Wille

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kann nicht anders und ist dadurch rei. Solange er unrei ist,will er nicht eigentlich und kann noch auch anders wollen.Was ist die Freiheit des Willens, der kann? Woher kommtsie? Was geschieht in dem Entschluß, der volle Gewißheitund unwiderrufliche Sicherheit des Wollens bringt?

Angewiesensein und Entscheidungsnotwendigkeit: Die End-lichkeit unseres Daseins hält uns in Abhängigkeit von der

Umwelt, vom Zuall der Begegnungen, von den Chancenund Grenzen der Situationen. Wir sind überall angewiesenau anderes. Wir sind in der Situation, entscheiden zu müs-sen (ob wir nun so oder so handeln, ob wir handeln odernicht handeln) und durch unsere Entscheidung ür dieseverantwortlich zu sein.

Die Gewißheit in der Bekehrung macht Augustin inzwei Weisen der Entscheidung deutlich (H. Barth). Wennich eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Prüung und Wahlvor mir habe, so sind Wollen und Können nicht dasselbe.Ich entscheide und verwirkliche, soweit meine Verügungreicht, über je Besonderes und Einzelnes, anders, wenn dieEntscheidung au mein Wesen selber im ganzen geht. Dannwerden Wollen und Können dasselbe, aber dieses Wollenkommt mir unbegreiflich zu. Ich kann es nicht als Wollenwollen, sondern will aus ihm. Meiner Entscheidung schaueich nicht zu. Ich verüge nicht über ihre Verwirklichung.

Mich entscheidend bin ich schon entschieden. In dieserEntscheidung habe ich nicht mich in der Hand. Ich bin dar-au angewiesen, daß Gott mich mir schenkt.

Wenn ich mir nun aber so meines Wesens im ganzen be-wußt wurde, wenn ich, dann meine Freiheit preisgebend,

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mich selber als ein ewiges Sosein und Nichtandersseinkön-nen auffasse und vor mir verzweielnd erschrecke, so ant-wortet Augustin: das Verdorbensein durch die Erbsündeist angewiesen au die Gnade der Erlösung und gewinnt dieHoffnung im Glauben.

Herkunft der Freiheit: In der Freiheit unseres Handelns istdie Grunderahrung: Ich will, aber ich kann nicht mein Wol-

len wollen. Ich muß ursprünglich erahren, woraus ich will,ich kann diesen Ursprung nicht hervorbringen, nicht dasMich-entschließen-Können. Ich liebe, aber wenn ich nichtliebe, kann ich keine Liebe in mir schaffen. Ich bin ich selbst,aber ich kann mir ausbleiben. Ich muß mir vertrauen, kannmich aber nicht au mich verlassen. Glückliches empera-

ment, reundliche Charakteranlagen und andere Naturgege-benheiten sind kein ester Boden. Daher bin ich in meinemWillen, meiner Freiheit, meiner Liebe nicht schlechthin rei.Ich werde mir geschenkt, und als mir geschenkt kann ich reisein und ich selbst werden. Ich habe mich nicht selbst her-vorgebracht darin, daß ich mich hervorbringe. Nicht nur dieäußeren Bedingungen meines Daseins, sondern auch michselbst verdanke ich nicht mir selbst. Daher Augustins Satz:Was hast du, das du nicht empangen hättest (quid habes,quod non accepisti)?

Es bleibt die Paradoxie: Gott ist es, der im Menschen

die Freiheit hervorbringt, den Menschen nicht der Naturüberläßt. Gott läßt aber damit die Möglichkeit einer Akti-vität des Menschen gegen ihn, gegen Gott selbst zu. Gottläßt den Menschen rei; wenn dieser sich aber gegen Gottgewandt hat, so ermöglicht ihm erst Gottes Hile und Gna-

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de, daß er mit seinen eigenen Handlungen doch zum Gu-ten komme.

In der Freiheit zum Guten bin ich Gottes Werk. MeineFreiheit ist geschenkte Freiheit, nicht eigene. Ich kann michmeiner Freiheit nicht rühmen. Es ist Hochmut (superbia),wenn ich mir selbst verdanken will, was ich Gott verdan-ke. Gehörig ist die Demut (humilitas) in der Freiheit selbst.Wenn ich mir zuschreibe, was von Gott kommt, werde ich

in meine eigene Finsternis zurückgeworen. Hochmut istes, wenn ich an mir selber als meinem Werk meine Freudehabe. Demut ist die Stimmung, die die Wahrheit aller gutenHandlungen bedingt.

Unmöglichkeit des Bewußtseins guten Handelns: Augustin

kennt die unauslöschliche, weil in unserer Endlichkeit un-umgängliche Verkehrung der Selbstzuriedenheit: Um gutzu handeln, muß ich das Gute sehen und mein Handeln alsgut erkennen. Indem ich aber dieses Bewußtsein habe, voll-ziehe ich schon den Ansatz des Stolzes. Ohne Wissen wer-de ich nicht gut, mit Wissen bleibe ich es nicht rein. Und dieDemut selber, ihrer bewußt, ist nicht mehr demütig, son-dern wird sogleich zum Stolz der Demut.

Grund dessen ist die Selbstliebe des Menschen. Er ge-langt nicht aus ihr heraus, es sei denn unbegreiflich durchdie Hile Gottes, die ihn demütig werden läßt, ohne in das

gewußte Demütigsein zu verallen, die ihn das Gute tunläßt, ohne ihn stolz werden zu lassen, die ihn in der höch-sten Freiheit sein Sichgeschenktsein von Gott erahren läßt.Die Hile Gottes läßt ihn mit der Vollendung der Freiheitdurch diese selber zu Gott gelangen.

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Die großen Grundgedanken des Menschseins sind uni-versellen Charakters. Das wäre in einer historisch-systema-tischen (problemgeschichtlichen) Darstellung der Grund-ragen und Antworten der Philosophie zu zeigen. Hier seiür die eben berichtete sublime ethische Haltung au eineAnalogie hingewiesen. schuang-tse: »Keine schlimmerenRäuber als ugend mit Bewußtheit ... wer sich selbst be-trachtet, ist verloren« ... »Das Schlimmste ist, von sich selbst

nicht loskommen« ... »Vom großen ao wird nicht gespro-chen ... Große Güte brüstet sich nicht als Güte ... Das ao,welches glänzt, ist nicht ao.«

Gegen die Stoiker – Augustin kennt ihre Lehre: Der Menschist in seiner Freiheit unabhängig, unter der Voraussetzung,

daß er sich begnügt mit dem, worüber er Herr ist. Herr ister nur über sich selbst und seine Vorstellungen und seineEntschlüsse. Daher geht ihn nur dies und nichts anderes ei-gentlich an. Er beschränkt sich au sich selbst, ist sich selbstgenug (Autarkie). Dabei zweielt der Stoiker nicht, daß wirin der at Herr sind unserer Vorstellungen. Er meint die-ses Herrseins in der Lenkung unserer Aumerksamkeit, inder Verwirklichung unserer Vorsätze gewiß zu sein. Unse-re Freiheit hat keinen Grund, sondern sie ist Grund. Sie istidentisch mit der Vernunt. Der Gegensatz zur Freiheit istZwang von außen. Ich kann daher um so reier sein, je mehr

ich mich unabhängig von äußeren Dingen mache, je weni-ger Bedürnisse ich habe, so daß ich au möglichst wenig an-gewiesen bin. Frei bleibe ich, wenn ich in der Natürlichkeitder Anpassung an die äußeren Dinge lebe. Wenn dann abertrotz meiner Bedürnislosigkeit der Zwang von außen – un-

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umgänglich im Dasein – mich doch trifft, so brauche ich inmeinem Inneren mich selbst nicht zu ügen. Unrei werdeich nur, wenn ich mich dadurch erregen lasse. Daher ist Frei-heit die unberührbare Seelenruhe (Apathie). Durch sie blei-be ich rei auch noch unter dem gewaltsamsten Zwang vonaußen, noch als Sklave unter der Folter, noch in der qual-vollsten Krankheit. Und im äußersten Fall habe ich die Frei-heit, mir das Leben zu nehmen.

In dieser stoischen Haltung sieht Augustin nichts alsSelbsttäuschung. Keine Gemütsbewegung haben, sich nichtsangehen lassen, das wäre der od der Seele. Aber diese Un-betroffenheit in Schmerz und Zwang und Folter ist zudembloße Einbildung. Der Mensch kann sich nur vorlügen, daßer sie verwirkliche. Vor allem aber: in der Freiheit meines

Entschlusses selber bin ich nicht rei durch mich selbst.

Gegen die Pelagianer: In diesem letzten Punkt stellte sichAugustin gegen Pelagius. Für Pelagius ist der Mensch, alsrei geschaffen, nun nach Gottes Willen unabhängig vonGott. Der Mensch hat die Freiheit der Entscheidung (liber-tas arbitrii). Er hat die Möglichkeit, zu sündigen oder nichtzu sündigen. Auch wenn er schon zum Sündigen sich ent-schlossen hat, bleibt die Möglichkeit der Umkehr und da-mit Freiheit bestehen. Wenn er will, kann er jederzeit nochden Geboten Gottes, dem Guten olgen, kann nach dem

schlimmsten Leben jederzeit gleichsam von vorn anangen.Augustin dagegen sieht die Entscheidung im Entschluß

des reien Menschen so: der Mensch kann von sich aus dasBöse tun, nicht das Gute. »Das Gute an mir ist dein Werkund deine Gabe, das Böse an mir meine Schuld und dein Ge-

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richt.« Der Wille ist rei im un des Bösen (wenn auch nichteigentlich rei, sondern rei zum Nichtseinkönnen), im undes Guten bedar er Gottes. Es ist Augustins überwältigen-de Grunderahrung in der Gewißheit der Bekehrung als We-sensverwandlung: »Du hast aus meines Herzens Grunde denSchlamm des Verderbens herausgeschöpt. Dies ist nichts an-deres als: nicht mehr wollen, was ich will, und wollen, was duwillst. Aber wo war denn in so langen Jahren mein reier Wil-

le, und aus welcher tieen und geheimnisvollen Verborgenheitwurde er jetzt in einem Augenblicke vorgezogen?«

Dogmatische Formulierungen: Daß Gottes Wille in seinerUnbegreiflichkeit gedacht wird als der alles umgreiende,auch die Freiheit des Menschen noch allmächtig bestim-

mende, erzwingt das Dogma von der Prädestinaton  jedeseinzelnen Menschen: zum Stand der Freiheit in der Gna-de oder zum Stand der Unreiheit im Bösen. Der Menschselber vermag nicht zu ändern, wozu er bestimmt ist. Wieer sich selbst nicht geschaffen hat, so auch nicht seine Frei-heit. Er ist in der Freiheit total abhängig von Gottes Willen,in seinem Wesen durch ihn vorherbestimmt.

In der Sprache der in Unterscheidungen und Komplizie-rungen reich entalteten Dogmatik begegnen und bekämp-en sich Grundverassungen der Frömmigkeit. Wir habenihnen nicht nachzugehen. Wie aber der objektivierende Ent-

wur der Heilsgeschichte und der stets gegenwärtige Prozeßin der Seele des einzelnen Menschen sich gegenseitig spie-geln, sei kurz angedeutet.

Der  faktische Zustand des Menschseins, der sich in demdogmatisch in Begriffen ausgeeilten Mythus spiegelt, ist

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in der Welt sind, wird die Erbsünde, während ihre Folgennoch ortbestehen, ür den Glaubenden zugleich schon inder Hoffnung au das Jenseits augehoben. In diesen my-thisch-dogmatischen Vorstellungen spiegelt sich die Anti-nomie von Angewiesensein und Freiheit unseres gegenwär-tigen zeitlichen Daseins. Während umgekehrt dieses Daseinin seinem Sosein begriffen wird aus einer übersinnlichenGeschichte. Das sieht näher so aus:

Es olgen sich nach dem Sündenall: Erstens: das Gesetz, dasGott austellt (die Zehn Gebote); der Mensch versucht, eszu erüllen und macht die Erahrung, es nicht zu können.Sein Ungenügen bringt ihn zur Einsicht in seinen Sünden-zustand und in Verzweiflung. Zweitens: der Glaube an Chri-

stus, den Gott zur Erlösung sendet; der Mensch verzichtetau seinen eigenen Willen im Glauben, erährt das Eindrin-gen der Gnade in seinen Sündenzustand. Drittens: die Liebe

(caritas), durch die dem Menschen, dessen Glauben sie ge-schenkt wird, die eigentliche Heilung von der Sünde zuteilwird. Viertens: die Erfüllung der Gebote nicht mehr als ver-gebliche Erüllung eines gesetzlichen Sollens, sondern alsFolge der Liebe; jetzt ist der reie Wille da, der, weil er liebt,das Recht ganz und gar tut, aber in dem Bewußtsein, sichnicht selbst zu erwirken, sondern von Gott erwirkt zu erah-ren. – Dieses Nacheinander in der Folge der Zeiten ist zu-

gleich ein Ineinander der je gegenwärtigen Seele. Denn diesevollzieht in der Zeit immer wieder die ganze Folge von derVerzweiflung bis zur Gnade in der Liebe. Die dogmatischenFormulierungen geraten zwar stets in das nur Objektive. Wirwundern uns über die Leidenschat, die die Kämpenden mit

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bestimmten einzelnen Sätzen verbinden. Der Sinn der For-mulierungen, die als solche, zumal in ihrer stets bleibendenWidersprüchlichkeit, den Charakter von Chiffren haben, istaber das Aussprechen dessen, was als innerer Vorgang nur indiesen Objektivierungen aussprechbar wird und durch sol-che Sprache selber erst zur Verwirklichung kommt.

Der Augustinische Prozeß läßt sich in eine einzige Antithe-

se assen. Die Welt der Unfreiheit des Willens ist das Sol-len, dem der Wille nicht olgt, ist das Wollen, das nicht voll-bringt, sind die guten Vorsätze, die vor der Leidenschatdahinschwinden, ist das Wollen, das nicht wollen kann, istdas Hören der Forderung, die zwar sagt: du kannst, denndu sollst, aber die Schwäche des Nichtkönnens ist, die sich

doch als Nichtkönnen nicht anerkennen kann. – Die Weltder Freiheit des Willens tut sich au, wenn die Liebe kei-nes Sollens mehr bedar, vielmehr vollbringt, ohne sich guteVorsätze zu machen, durch ihre Wirklichkeit die Leiden-schaten sich auflösen läßt. Diese Wirklichkeit kann, was siewill, weil ihr liebender Wille selbst das Können ist. Aber derMensch hat nicht die Wahl zwischen beiden Welten, son-dern in der Zeitlichkeit sind beide in ihm, aber so, daß dieeine seinem absichtlichen Planen, die andere seinem Sichge-schenktwerden entspricht.

Kontrastierung zu anderen Gestalten der Freiheit: In der Ge-schichte begegnen uns andere Weisen des Freiheitsbewußt-seins und dem entsprechend andere Weisen der Persön-lichkeit. Wir sehen Augustin deutlicher, wenn wir an sie er-innern.

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Es gab die nördlichen Persönlichkeiten, die sich au die ei-

 gene Kraft verließen, stolz und unerschütterlich in den odgingen, durch ihr Sterbenkönnen sich bewiesen, was sie wa-ren, und an Nachruhm dachten. Sie lebten in persönlicherreue, kannten Götter, aber vermochten ihnen zu trotzen,und sahen den Untergang der Welt samt der Götterweltvoraus.

Es gab die jüdischen Propheten, die sich als Werkzeug Got-

tes wußten. Sie erlitten es, sein Wort verkünden zu müssen.Sie nahmen es au sich und blieben unerschütterlich. Sie lie-ßen sich innerlich nicht überwinden durch Mächte der Welt,weder durch die eigenen Könige, noch durch die Priester,noch durch die Weltreiche, die die kleinen Völker ausneh-men wie Vogelnester. Nur Gott und das Bewußtsein, Gott

zu gehorchen, machte sie rei gegen alles, was in der Weltvorkam, auch gegen die priesterliche, sich eigenmächtig auGott beruende Hierarchie (der historischen Vorbildungder katholischen Kirche). Darin gründete die menschlichePersönlichkeit des Abendlandes, die sich im Wahrnehmendieser Propheten immer wieder ihre Krat holte.

Es gab die herrliche Fülle der  griechischen Persönlichkei-

ten, unter der Idee des Maßes; alle natürlichen Möglichkei-ten des Menschen wurden in schönen und auch in maßlo-sen, erschreckenden Gestalten verwirklicht.

Es gab die römische Persönlichkeit, die ihre Unerschütter-

lichkeit aus der Hingabe an die res publica gewann, im Op- fer ihres Eigenen sich bewährte, zweckhat und romm dach-te zuerst in der Ordnung des eigenen Volkes und dann sichverwandelte in das Bewußtsein der Weltsendung des Ewi-gen Rom als des Friedens und Heils aller Menschen in der

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imperialen Ordnung. Die römische Persönlichkeit des gro-ßen Willens war in der Armut an menschlichen Entaltun-gen von gewaltiger Krat.

Die spätantike Persönlichkeit, am eindrucksvollsten inPlotin, ühlte sich als Glied des Kosmos, wie ast alles griechi-sche Denken. Noch wenn Plotin den einen Drang hatte zurEinung mit dem Einen, und wenn er damit die Welt über-schreiten wollte, so war dies doch nur eine Rückkehr in den

Weltgrund. Die Seele kehrt heim, gibt sich in ihrer Welt-lichkeit au, erweitert sich ins Unendliche und verschwimmtdurch die einander übergeordneten Sphären zum Ursprunghin. Die Persönlichkeit geht au in der Verwirklichung derspekulativen Mystik.

Man kann au diese historischen Erscheinungen hin-

weisen, um darin Momente der Freiheit in der Persönlich-keit Augustins zu finden (mit Ausnahme der nördlichenund der griechischen Persönlichkeit). Aber allen gegenüberist bei Augustin das entscheidend Andere. Erst Augustinhat den Gedanken der Freiheit, die nun Schönheit und Ei-genständigkeit und ragik verliert, in eine vorher nicht er-ahrene iee geührt, allerdings mit uneinheitlichen, sichüberkreuzenden und widersprechenden Gedanken, einmalin ergreienden Darstellungen, dann in schematischen Ab-straktionen.

Dieses Neue erwächst dem biblischen Glauben, gründet

sich in Paulus, aber es war keineswegs bei den rüheren Kir-chenvätern, gar nicht bei Origenes da. Es mag ein Momentdes prophetischen Bewußtseins darin sein; aber die Prophe-ten dienten unmittelbar Gott, Augustin Gott au dem Wegeüber den Glauben an die Kirche. Es mag ein Moment von

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römischem Willen und Opermut ür das Ganze der Ö-entlichkeit bei Augustin sein, aber der Römer diente derres publica und dem Imperium, Augustin dem Gottesreichder Kirche. Es mag vor allem ein Moment PlotinischenWeltüberwindens in die reine Spiritualität durch Augustinübernommen sein. Aber der Unterschied ist gewaltig: Au-gustin drängt nicht in das gestaltlose Eine, sondern in denBezug des Menschen zu Gott, als das Ich zum Du. Die-

ses philosophisch nie als Wirklichkeit erreichbare Grund-verhältnis ist bei Augustin aber von philosophischer Wir-kung: der Mensch ist radikaler, als es je in dem kosmischenDenken möglich gewesen wäre, aus der Welt herausgeris-sen, steht nun unmittelbar zu Gott. Die Welt ist nur seineStätte, seine Weltverwirklichung die Bestimmung von Gott

her. Der antike Philosoph bewährte sich in dieser Welt,zwar sich der Welt gegenüberstellend, in der er standhieltals Stoiker, sich augab im Grunde des Plotin, aber selbereinsam, nur Ich und hingegebenes Ich. Augustin dagegensteht der Welt radikaler gegenüber und ihr grundsätzlichern, weil er mit Gott ihr gegenübersteht in der Gemein-schat der Geister. Er verschwindet nicht als Persönlichkeitim Einen, sondern ist Gott gegenüber, zu Gott drängend,selber Persönlichkeit. Er denkt sich als Persönlichkeit un-sterblich in der Ewigkeit. Wenn das, wie ich Gott erahre,das Maß des eigenen Wesens ist, dann muß das spekulativ

gedachte und mystisch unbestimmte Eine einen ganz ande-ren Menschen zur Folge haben als der geglaubte persönli-che Gott. Das wundersam leuchtende Unbestimmte imSelbstsein Plotins ist historisch gekennzeichnet durch dasVerschwinden des Menschen Plotin vor unserem Blick. Er

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wollte sich nicht zeigen, er sprach nie von sich selbst. An-derthalb Jahrhunderte nach Plotin steht Augustin dagegenleibhatig vor uns. Die Persönlichkeit ist da, die sich bis indie häßlichsten Winkel ihrer Seele zu zeigen wagt, um da-mit den Glaubensgenossen au den Weg zu Gott zu helen.Mit ihm wird das Sich-selbst-Denken selber zur metaphy-sischen iee.

Allen Philosophen vor Augustin bleibt außer Sicht die

Fraglichkeit der Freiheit und die Frage nach dem Grund ih-rer Möglichkeit und nach ihrem eigentlichen Sinn. Augu-stin aber denkt sie mit ortwirkender Überzeugungskratvermöge der Aneignung des Paulus.

B. LiebeDie Universalität der Liebe: Augustin sieht im menschlichenLeben nichts, worin nicht Liebe ist. Der Mensch ist in allem,was er ist, zuletzt Wille, und das Innerste des Willens ist dieLiebe. Liebe ist Streben zu etwas, das man nicht hat (appe-titus). Wie das Gewicht die Körper bewegt, so die Liebe dieSeelen. Sie sind nichts anderes als Willenskräte (nihil ali-ud quam voluntates sunt). Liebe ist Begierde (cupiditas),wo sie nach dem Besitz des Geliebten drängt; sie ist Freu-de (laetitia), wo sie es besitzt; sie ist Furcht (metus), wo sieden Besitz bedroht sieht und wo sie das Widrige flieht; sie

ist rauer (tristitia), wo sie den eingetroffenen Verlust emp-findet. Die Liebe geht allumgreiend au Sachen und Perso-nen, au gedachte Dinge und leibhatige Wirklichkeiten, aualles, was ür uns erst darum ist, weil es uns nicht gleichgül-tig ist.

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Was im Menschen wirkt, tut die Liebe, auch das Schlech-te. »Schändlichkeiten, Ehebrüche, Verbrechen, Morde, alleAusschweiungen, wirkt sie nicht die Liebe?« Es gibt nichtden Ausweg, nichts mehr zu lieben. Denn das hieße »trä-ge, tot, verächtlich, elend sein«. Es gilt nicht, die geährlicheLiebe zum Erlöschen zu bringen, sondern die Forderung:Reinige deine Liebe; lenke das »Wasser, das in die Kloakefließt, zum Garten hin«. »Liebet, aber sehet zu, was ihr lie-

bet.« »Liebt, was liebenswert ist.»

Die wahre Liebe: Liebenswert ist das, worüber hinaus wirnichts Besseres finden. Das ist Gott. Alle rechte Liebe istGottesliebe. Und zu Gott gelangen wir nur durch Liebe.

Die Gottesliebe aber ist unerschöpflich, unbestimmbar,

allbegründend, allumassend. »Was liebe ich, wenn ich dich(Gott) liebe? Nicht Körpergestalt, noch zeitliche Anmut,nicht den Glanz des Lichts, noch die süßen Melodien, nichtder Blumen und wohlriechenden Gewürze lieblichen Dut,nicht Glieder, denen des Fleisches Umarmungen angenehmsind. Nicht Liebe ist dies, wenn ich meinen Gott liebe. Unddoch liebe ich ein gewisses Licht, eine gewisse Stimme, ei-nen gewissen Geruch, eine gewisse Umarmung, wenn ichmeinen Gott liebe, nämlich das Licht, die Stimme, den Ge-ruch, die Umarmung meines inneren Menschen. Wo meinerSeele leuchtet, was kein Raum aßt, wo erklingt, was keine

Zeit raubt, wo dutet, was der Wind nicht verweht, und wovereint bleibt, was kein Überdruß trennt. Das ist es, was ichliebe, wenn ich meinen Gott liebe.«

Will ich bestimmen, was in der Gottesliebe geliebt wird,so: das schlechthin Unvergängliche, Unwandelbare, – das

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Leben, das nicht stirbt, – das Gute, das nicht ür ein ande-res, sondern an sich selbst geliebt werden kann und soll, –das, in dessen Besitz jede Furcht, es verlieren zu können,auhört, – daher die rauer eines Verlustes ausbleibt unddie Freude des Besitzes unstörbar ist.

Aber das alles ist negativ gesagt. Das höchste Gut sel-ber wird nicht ausgesprochen, sondern als das, dem dieAngst, die Sorge, die Ungewißheit, das Verlieren und Ster-

ben in der Welt ern ist. Alle Geahren der Liebe in derWelt sind hinällig geworden. Sind nun etwa doch die In-halte unserer Liebe in der Welt geblieben, bereit von ih-ren Mängeln und bestätigt von anderswoher? Oder wasist, wenn sie dies nicht sind, das Positive des als Gott Ge-liebten?

Nur überschwenglich, in identischen Sätzen, durch keinanderes wird es ausgesprochen: Gott lieben heißt ihn um-sonst (gratis) zu lieben und nicht außerhalb Gottes einenLohn zu suchen. »Erflehe von ihm dein Heil; und er wirddein Heil sein; erflehe es nicht als ein Heil anderswoher.«Daher: »Was wäre mir alles, was du mir gäbest, außer dir!Das heißt Gott umsonst lieben: Gott von Gott erhoffen; ei-len, um von Gott erüllt, von ihm gesättigt zu werden. Denner genügt dir; außer ihm genügt dir nichts.«

Die Gottesliebe ist einzig, in dieser Welt und ewig. Glau-ben und Hoffen gehören nur zu diesem Dasein in der Zeit,

Liebe aber bleibt:

»Denn auch, wenn einer zum ewigen Leben gelangtist, und wenn die beiden anderen ugenden auge-hört haben, dann wird doch die Liebe (nämlich die

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Gottesliebe) noch vorhanden sein, und zwar in einemgesteigerten und gesicherten Grade.«

Die Verfassung des Menschen in wahrer Liebe: Das Wesen desMenschen liegt in seiner Liebe. «Wenn man ragt, ob einerein guter Mensch sei, so ragt man nicht, was er glaubt oderhofft, sondern was er liebt.« »Ein guter Mensch ist nicht,wer weiß, was gut ist, – sondern wer es liebt.«

Wo Gottesliebe ist, da hat die Liebe den Gegenstand,au den sie sich verlassen kann. Der von ihr erüllte Menschwird überall das Gute erblicken und das Rechte tun. Für ihngilt: Liebe und tue, was du willst (dilige et, quod vis, ac).Denn wer Gott erblickt, wird, in der Liebe zu ihm, sichselbst so gering, daß er Gott nicht bloß dem Urteil nach,

sondern in der Liebe selber dem Ich vorzieht. Hier wird esunmöglich zu sündigen. Aus jener Liebe kann der Menschnicht aballen zum Wohlgeallen an sich selbst.

Dies große Gut ist, wenn es einmal sichtbar wird, »mitsolcher Leichtigkeit zu erreichen, daß das Wollen zugleichschon der Besitz des Gewollten ist.« Denn nichts ist ür den

guten Willen so leicht, als sich selbst zu haben, zu haben,was er wollte.

Die Weisen der Liebe: Wir sind in der Welt. Gott ist nichtsichtbar, sondern nur ür den Glauben da. Unsere Liebe,die ihren Gegenstand gegenwärtig begehrt, ist, da sie in ih-

rer Mannigaltigkeit au Leibhatiges in der Welt gerichtetbleibt, keineswegs reine Gottesliebe. Der Grundunterschiedunseres Liebens liegt daher in der Richtung ihrer Bewegungentweder au Gott hin (caritas) oder zur Welt hin (cupidi-tas).

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Der Sprachgebrauch ist nicht regelmäßig. Beide Rich-tungen heißen amor (appetitus), soern der Antrieb zu demnoch nicht Erreichten gemeint ist. Caritas (audi dilectio) be-deutet immer die recht gerichtete Liebe. Cupiditas heißt im-mer die verkehrt gerichtete Liebe.

Caritas, die Liebe zu Gott (amor dei) liebt, was alleinum seiner selbst wegen geliebt werden dar, während sie al-les andere Gottes wegen liebt. Cupiditas, die Liebe zur Welt

(amor mundi) will Zeitliches erlangen. Ohne Bezug auGott ist diese Liebe verkehrt, heißt libido, ist Liebe des Flei-sches (carnalis cupiditas).

Die Bewegung der Liebe ist entweder au dem Wege zumBegehrten, das ich nicht habe, oder ich bin angelangt am Zielund im Besitz. Au dem Wege liebe ich etwas eines anderen

wegen; wo ich am Ziel bin. seiner selbst wegen. Dort au demWege vermag ich etwas jenes anderen wegen zu gebrauchen(uti), hier am Ziel es seiner selbst wegen zu genießen (rui).

Da nun allein Gott seiner selbst wegen zu lieben ist,wahre Liebe nur Gottesliebe ist, so ist das frui nur an Gott,an allen weltlichen Dingen nur ein uti berechtigt. Daher istdas Wesen aller Verkehrung der Liebe: das, was zu genie-ßen ist, gebrauchen zu wollen, und das, was zu gebrauchenist, genießen zu wollen. Das heißt: Alle Liebe zu Menschenund Dingen in der Welt ist wahr nur, wenn sie Gottes we-gen und nicht ihrer selbst wegen geliebt werden. Dagegen

wäre es schlimmste Verkehrung, Gott zu gebrauchen, umMenschen und Dinge in der Welt zu genießen.

Ordnung der Liebe (ordo amoris): Wir sind in der Welt undlieben als Wesen in der Welt. Würden Gottesliebe und

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Weltliebe völlig getrennt, dann schlössen sie sich gegenseitigaus. Aber Weltliebe ist nur dann verwehrt, wenn in der Weltnicht uti, sondern rui stattfindet, das heißt, wenn irgen-deinem Wesen, das nicht Gott ist, eine Liebe allein seinerselbst wegen zuteil wird. Dann spricht Augustin von einemBeschmutztwerden der Seele durch die Liebe zur Welt.

Es kommt also darau an, daß Gottesliebe und Weltliebeau rechte Weise verbunden werden, au die Ordnung der

Liebe (virtus est ordo amoris). Diese Ordnung heißt, dasuti und rui nicht zu vertauschen, nämlich alles in der Weltnur im Sinne des uti zu lieben, nicht seiner selbst wegen zugenießen. Es zeigt sich jedoch, »daß Gott uns schon in derWelt Güter gibt, die ihrer selbst wegen zu erstreben sind,wie Weisheit, Freundschat, daß andere wegen irgend etwas

notwendig sind, wie Lehre, Speise, rank. Wir können garnicht anders: Dieses rui ist cum delectatione uti. Wenn dasGeliebte anwesend ist, bringt es die Freude daran notwendigmit sich. In den Retractiones nimmt Augustin ausdrücklichzurück: Er habe vom sichtbaren Körper gesagt, ihn liebensei Gottentremdung (alienari). Aber es sei keine Gottent-remdung, die körperlichen Gestalten zum Lobe Gottes zulieben.

Diese Ordnung der Liebe liegt, anders ausgedrückt, dar-in, dem Gleichen und Ungleichen seinen rechten Platz an-zuweisen. Alle Dinge in der Welt sind liebenswert: »Wie

mit der Schönheit des Leibes, verhält es sich mit jeder Krea-tur. Indem sie gut ist, kann sie sowohl gut als schlecht geliebtwerden, gut, wenn man die Ordnung beobachtet, schlecht,wenn man die Ordnung verkehrt.« Sogar den eigenen Leibzu lieben, hat Augustin ür gehörig erklärt. »Niemand haßt

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seinen Leib.« Etwas mehr zu lieben als den Leib, heißt nochnicht, den Leib zu hassen.

Was aber die Liebe in der Welt bedeutet, wie sie in derErüllung Beriedigung und doch nicht. Erüllung, weil Wei-terdrängen ist, zeigt Augustin am Gleichnis des Wanderns.

Die geliebten Wesen nehmen uns au, wenn wir müde sindund ruhen wollen, erquicken uns, aber treiben uns weiterzu Gott, der allein bleibende Ruhe ist. Die Ruhe des Fußes

beim Wandern, wenn wir ihn niedersetzen, läßt den Wil-len mit einer gewissen Beriedigung ausruhen und ist dochnicht das, wozu er hinstrebt. Nur wenn man den Ort derRuhe nicht ansieht wie das Vaterland des Bürgers, sondernwie die Herberge des Wanderers, ist die Beriedigung wahr.Einkehr bei Freunden kommt der Bewegung zum Ewigen

zugute.

Gottesliebe, Selbstliebe, Nächstenliebe: In der durch Gotteslie-be geordneten Weltliebe haben Platz die Selbstliebe und dieNächstenliebe.

Die Selbstliebe ist recht und notwendig. Es ist unmög-lich, daß, wer Gott liebt, nicht sich selbst liebt. Mehr noch:wer von Gott geliebt wird, liebt sich selbst. Sich selbst aberliebt au rechte Weise der, der Gott mehr liebt als sich. DieNächstenliebe olgt nach Augustin der Selbstliebe. Dennwer ist dem Menschen näher als der Mensch? Wir stammen

alle von Adam und sind verwandt durch die Herkunt. Unsalle spricht die Offenbarung durch Christus an, und wirwerden eins im Glauben. Aber die Liebe zum Nächsten istwahre Liebe nur als Caritas, nicht als cupiditas. Jene ist dieLiebe von Seele zu Seele als heitere Helle der Liebe (sere-

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nitas dilectionis), diese als Nacht und Schwindligwerden inrieben (caligo libidinis).

Die Liebe ist in Gegenseitigkeit. Der Liebende »erglühtum so heißer, je mehr er die andere Seele von demselbenFeuer ergriffen sieht«. Es gibt »keine stärkere Macht, dieLiebe zu erwecken und zu mehren, als sich geliebt zu sehen,wenn einer noch nicht liebte, oder sich wiedergeliebt zu ho-en, wer zuerst liebt«. Die Liebe will je zwei verbinden. Aus

dem allgemeinen Wohlwollen wird sie zur Freundschat(amicitia): »Ich ühle meine und des Freundes Seele zu ei-ner geworden in zwei Körpern.«

Das sind bei Augustin seltene Sätze. Durchweg richtetsich die christlich-augustinische Liebe au den Nächsten, je-den Nächsten als Menschen. In ihr wird nicht der Mensch

als dieser Einzelne geliebt. Den liebt Gott, dessen Liebe wi-derscheint in der Selbstliebe. Die Nächstenliebe ist Anlaßund Weg zur Gottesliebe. Sie liebt auch den Sünder, auchden Feind. »Denn du liebst in ihm nicht, was er ist, sonderndas, was du willst, daß er sei« (non quod est, sed quod vis, utsit), nämlich das Liebenswerte, das er als Gottliebender ist.

Charakteristik: In der Geschichte der Philosophie der Lie-be (Plato, Dante, Bruno, Spinoza, Kierkegaard) nimmt Au-gustins Denken einen wesentlichen Platz ein. Er trifft wiealle Philosophie der Liebe die Quelle dessen, worau es dem

Menschen ankommt, das Unbedingte, Einschränkungslo-se, Übergreiende, das, wovon alles abhängt, was Fülle undSinn hat, das, woran alles sein Maß hat.

In Augustins Caritas trifft zusammen: die Vollendungeines akosmistischen Liebesgeühls, – das Haben (rui),

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das nicht mehr begehrt, – das handelnde Helen. Dies allesist unpersönlich, vertretbar in der Gemeinschat der Men-schen im corpus mysticum Christi. In der Gottesliebe liegt:die Vergewisserung der Ewigkeit, aus der und in der allesist, – das Ja zum Sein als Sein, nicht nur Vertrauen zu ihm,sondern das Innewerden des Seins, – ein gegenstandslosesGlück.

Kritische Fragen sind: 1. Ist hier ein ursprüngliches In-

newerden der Fülle Sprache geworden oder der Ausweg austrostlosem Elend zu einer galvanisierenden Selbststeige-rung? (sagt doch Augustin, daß der uns eigentümliche Frie-de hienieden »nicht so sehr Freude in Glückseligkeit ist alsvielmehr rost in Unseligkeit«.) – 2. Hat die in der Weltwirkliche Liebe bei Augustin die endenz, sich zu verwan-

deln in eine außerweltliche, daher in der Welt unwirklicheLiebe? Ist die in der Welt mögliche Liebe, die in geschichtli-cher Gestalt quer zur Zeit die Gegenwart der Ewigkeit seinkann, versäumt zugunsten ungeschichtlich allgemeiner, un-persönlicher Liebe einer abgründigen Einsamkeit, die nurGott kennt und doch nicht hat außer in der Kirche und derdurch die Kirche garantierten Offenbarung? – 3. Beruhtbeides au einem durchgehenden Zug Augustinischen Den-kens, der die mögliche Erahrung der Ewigkeit im Augen-blick verwandelt zu einem Gegenstand in der Zukunt, zueinem Jenseits, zu einer erst gleichsam zuküntigen Zeit jen-

seits der Zeit? Ist die Struktur des Strebens nach einem Be-gehrten (wahr in der zeitlichen ätigkeit au ein zukün-tiges Ziel in der Zeit hin) übertragen au einen Bezug zurEwigkeit, die dadurch erst ür solches Vorstellen zuküntiggeworden ist? Hat hier darum auch die rennung des sitt-

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lichen uns von einem ihm erst olgenden Lohn oder einerolgenden Strae einen Ursprung (gegen den philosophi-schen Satz, daß der Lohn des guten Handelns dieses Han-deln selbst sei)? Ist damit überhaupt die rennung von Weltund Jenseits erolgt derart, daß es sich um zwei Realitätenhandelt? Ist durch solche rennungen die Einheit des Zeit-lichen und Ewigen, diese eigentliche Geschichtlichkeit per-sönlicher Existenz, die mit dem biblischen Denken zum Be-

wußtsein gekommen ist, wesenlos geworden?Diese Fragen sind Augustin gegenüber schwer zu ent-

scheiden. Es kommen von ihm die Anstöße, die wir als diewahren meinen, und es geschieht ständig die Bewegung in jene Verengungen dadurch, daß, was helle Chiffre war, zuropaken Objektivität zusammensinkt. Jene Vorstellungen

von Zukunt und Jenseits können zwar wahre Chiffren seinund dann ohne jene trennenden Folgen und ohne Materia-lisierung zur Realität bleiben, aber sie können leicht in die-se geraten.

C. Weltgeschichte

Augustins Ansatz und Resultat: Weltgeschichte ist die Ge-schichte von Schöpung und Urstand, von Adams Fall undder aus ihm olgenden Erbsünde im Menschengeschlecht, vonder Menschwerdung Gottes und der Erlösung. Jetzt stehen

wir in der unbestimmt langen Zeit bis zum Weltende, nachdem allein das Gottesreich und die Hölle bleiben werden.

Au dem Wege ist die Geschichte als solche gleichgül-tig. Es handelt sich allein um das Heil jeder Seele. Nun abersind die großen Realitäten des römischen Staates und der

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katholischen Kirche da. Die Heiden geben nach der Erobe-rung Roms durch Alarich (410) den Christen die Schuldam Unheil. Weil sie die alten Götter verlassen haben, ha-ben diese ihrerseits Rom verlassen. Augustin unternimmt inseinem großen Werk vom »Gottesstaat« die Verteidigung.In dieser spielt eine Hauptrolle die Vergegenwärtigung derWeltgeschichte. Es sind zwei Staaten von Anbeginn, näm-lich seit Kain und Abel, der weltliche Staat (civitas terrena),

der au Kain und die Sünde zurückgeht, und der Gottes-staat (civitas dei), der au Abel und sein Gott wohlgeälligesLeben zurückgeht. Beide Staaten sind seit Christus o-enbar geworden.

Alles menschliche Dasein ist zweiach. Es besteht einer-seits von Adams Fall her au Grund der natürlichen Zeugung

eine Gesellschat, in der die Menschen aueinander angewie-sen sind und seit Kain sich bekämpen. Sie bilden Gemein-schaten, die Kriege ühren. Sie ordnen das sündige Leben.Es besteht andererseits jeder Einzelne als Geschöp Gottes,unmittelbar zu Gott. Diese Einzelnen finden sich zusammenin der Gemeinschat des Glaubens. Sie sind einander Anlaß,in der Nachahmung das wahre gottgewollte Leben zu üh-ren, dabei aber nicht aueinander angewiesen, sondern nurau Gott, das heißt au Offenbarung und Kirche.

Der anschauliche Ausgang Augustins waren Kirche undStaat als katholische Kirche und römisches Imperium. Sein

Resultat war die Vorstellung der gesamten Weltgeschichteals Kamp von Gottesstaat und Weltstaat.

Augustins Interessenbereich, Begründungs- und Deutungsweise:

Alle bestimmten historischen Fragen werden bei Augustin

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durch Argumente aus der Offenbarung, nicht aus einer em-pirischen Untersuchung beantwortet: So ist die Dauer derWelt 6000 Jahre seit der Erschaffung Adams. Das wissen wiraus der Bibel. Entscheidend ist, daß Mensch und Welt nichtimmer gewesen sind. Die Kürze der Zeit seit der Schöpungmacht, meint Augustin, den Ansatz nicht unglaubwürdigund ist an sich zudem gleichgültig. Denn wäre auch eine ge-waltige Zahl von Jahrtausenden verflossen, sie würden doch

als angebbare Zeit gegen die Ewigkeit nur sein wie ein rop-en Wassers gegen den Ozean. – Warum die besonderen hi-storischen Ereignisse eingetreten sind, darau antwortet Au-gustin entweder, daß mit menschlichem Wissen GottesAbsicht nicht zu ergründen ist: Gott verleiht die Herrschatdem Augustus wie dem Nero, dem Christen Konstantin und

dem Apostaten Julian. Oder Augustin antwortet mit mögli-chen Deutungen: Konstantin hatte als christlicher Herrscheraußerordentliche Erolge, damit man sehe, daß die Vereh-rung der heidnischen Götter zu einer glänzenden Herrschatnicht nötig sei. Andere christliche Herrscher blieben erolg-los, damit man das Christentum nicht als ein Mittel zur Si-cherung gegen irdische Mißerolge ansehe. rotzdem ist esür die Menschheit das größte Glück, wenn solche, die inwahrer Frömmigkeit leben, zugleich die Kunst besitzen, Völ-ker zu regieren. – Eine andere Deutung: Die römische Welt-herrschat war der verdiente Lohn ür die ugenden der Frei-

heitsliebe und Ruhmsucht, ugenden zwar der Heiden, diekein höheres Vaterland kannten als das irdische. Dann aberwar dieses Reich auch ein Beispiel ür die Christen, wie sehrsie das himmlische Vaterland lieben und zu welchen Opernür dieses sie bereit sein sollen.

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Die reale politische Geschichte erscheint ür mensch-liches Wissen durchweg als sinnlos, während der Glaubeweiß, daß alles Unbegriffene durch Gottes Willen geschehenist. Die Ereignisse des Weltstaats verdienen kein Interesse,werden aber beurteilt. Reiche sind, wenn die Gerechtigkeitehlt, nichts anderes als große Räuberbanden; wie Räuber-banden, wenn sie stark werden, Reiche sind. »Das römischeReich ist nur gewachsen durch Ungerechtigkeit. Es wäre

doch eben klein, wenn ruhige und gerechte Nachbarn durchkein Unbill zum Krieg herausgeordert hätten [Augustinmacht sich also die römische Teorie der Gerechtigkeit derKriege Roms zu eigen; die Ungerechtigkeit liegt bei den an-deren] und so zum Glück ür die Welt alle Reiche klein wä-ren, einträchtiger Nachbarlichkeit sich erreuend.«

Die Struktur der Weltgeschichte aber als die Reihenol-ge der Zeitalter, in denen das Gottesreich durch diese Weltwandert, denkt Augustin am Leitaden der Zahl der sechsSchöpungstage: von Adam bis zur Sintflut, bis zu Abra-ham, bis zu David, bis zur Babylonischen Geangenschat,bis zu Christus, bis zum Weltende. – Wegen des Nichtwis-sens über den Gang der politischen Ereignisse wird AlarichsRom-Eroberung gar nicht als endgültig angesehen. Rom hatschon viel Unheil überstanden und wird vielleicht auch die-ses überdauern.

Die Gesamtanschauung beruht ihrem Sinn gemäß nir-

gends au historischer Forschung, sondern allein ausdrück-lich au der Offenbarung durch die Bibel, ür den modernenLeser aber au der Spiegelung des Selbsterahrenen in derGeschichte: der persönlichen Bekehrung und ihrer Folgenaus Glaubenserahrung und Glaubenserkenntnis. Was im

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Kleinen, ist im Großen, wechselweise. Was zeitlich ausge-streckt, ist zugleich ineins gegenwärtig. Die großen christli-chen Denker bezeugen die Einheit ihrer Geschichte mit derchristlichen Geschichte.

Geschichtlichkeit: Dieser Glaubensinhalt macht das mensch-liche Dasein ür das Bewußtsein zum erstenmal wesentlichgeschichtlich (im Gegensatz zum nur wiederkehrenden Na-

turdasein). Denn nun ist dem Menschen eine Vergangen-heit verbindlich. Er ist, was er ist, durch diese Vergangen-heit. Aber diese Vergangenheit ist die der Sünde, die, indemsie bezwingend zwar das Staatsleben notwendig und gültigmacht, doch paradoxerweise mit diesem ganz und gar über-wunden und vernichtet werden soll. Und dies durch den

Gottesstaat, in dem die Einzelnen in der Glaubensgemein-schat durch die Christusoffenbarung erst jenes andere zuüberwindende geschichtliche Faktum überhaupt sehen. Weilder Einzelne als Kreatur sich au Gott bezieht und dies nurvermöge der geschichtlichen Offenbarung in Wahrheit kann,begreit er, wie er als Mensch einerseits geschichtlich in derdurch den Fall gegründeten Sündhatigkeit stehen muß, dienach der Menschwerdung Gottes noch ortwirkt und in demirdischen Staat zur Erscheinung kommt, und andrerseitsdurch den Glauben an die geschichtlich zu bestimmter Zeitgeschehene Menschwerdung zum Heile gelangt. Beide Staa-

ten sind geschichtlich gegründet, der eine im Sündenall, derandere in der Offenbarung. Was verborgen von Anang anwar, das ist offenbar seit Christus geworden.

Die geschichtliche Doppelheit des Menschen in der Zeithat mit den zwei Staaten zur Folge: die zwei Weisen der

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Liebe, hier die Gottliebe, dort die Welt- und Selbstliebe, –und die zwei Weisen der Gleichheit der Menschen: hier inihrem gemeinsamen Glauben, dort durch ihre sündige Ver-gangenheit.

Charakteristik der Augustinischen Geschichtsphilosophie: Manhat in Augustin den Anang der abendländischen Geschichts-philosophie gesehen. Er hat in der at die Frage nach Ur-

sprung und Ziel unentrinnbar gestellt. Er hat den Sinn ür dieübersinnlich gegründete Geschichtlichkeit unseres menschli-chen Wesens erweckt. Diesen Sinn hat er in seiner besonde-ren christlichen Gestalt ausgesprochen: Kirche und Staat hater in ihrem au die Zeitlichkeit beschränkten Wesen auge-aßt und ihren Kamp ormuliert. Er hat die große Spannung

allen menschlichen Daseins zwischen wahrem Glauben undalschem Unglauben in ihrer geschichtlichen Erscheinung ge-deutet.

Aber Augustin hat einen konkreten Entwur der Welt-geschichte unter Beragung der atsachen nicht einmal imAnsatz gewollt. Daher sind die großen philosophisch ge-gründeten Entwüre der Weltgeschichte der letzten Jahr-hunderte aus einem anderen Ursprung entstanden, nichtetwa als »Säkularisierung« der Aspekte Augustins zu be-greien. Ihre Grundhaltung ist, im Sinne moderner Wis-senschat das Empirische zu erorschen und dadurch au

atsachen und Grenzen zu stoßen, die das philosophischeBewußtsein erregen. Die hier entstandene neue Geschichts-auffassung hat einerseits das empirische Wissen der Welt-geschichte unermeßlich erweitert und kritisch gesichert;sie befindet sich au einem noch heute nicht abzusehenden

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Wege. Andrerseits haben die spekulativen Entwüre ihregeistig beschränkende Macht eingebüßt. Ob zum BeispielZyklen ewiger Wiederkehr oder einmalige lineare Geschich-te, das sind nicht mehr zu entscheidende Alternativen. Seit-dem der Anspruch eines – sei es metaphysischen, sei es wis-senschatlichen – otalwissens hinällig geworden ist, sindan die Stelle jener Alternative zweierlei Verahren getreten:

Was in ihnen an kosmologisch eststellbarer atsächlichkeitgetroffen wird, ist Frage der Forschung, die ihrem Wesennach unabschließbar ist. Einlinige Einmaligkeit und kreisen-de Wiederkehr sind in bezug au besondere Erscheinungen je zu prüende und zu bewährende Gesichtspunkte, im gan-zen außerhalb des menschlichen Erkennens, das in der Welt

grenzenlos voranschreitet und über jede scheinbar abschlie-ßende Gesamtauffassung hinaus neue Perspektiven sich er-öffnen sieht.

Was sie als Chiffren bedeuten, bezieht sich au möglicheExistenz des Menschen. Dann haben beide, einmalige Einli-nigkeit und sich wiederholender Kreis, ür dieselbe Existenzin verschiedenen Zusammenhängen ihre mögliche ergrei-ende Bedeutung: die Linie ür den Ernst der ewigen Ent-scheidung, der Kreis ür den Ernst der ewigen Gegenwärtig-keit in der Wiederholung. Der Kamp der Chiffren beginntin der Situation der Existenz, wenn sie an alscher, weil ins

Nichts ührender Stelle sich als absolute Gleichgültigkeitbehaupten wollen. Es ist nicht der Kamp eines abschließ-baren Wissens im ganzen, das sich theoretisch ür das eineoder andere entscheiden müßte. Eine solche Entscheidungim ganzen ist, wie sie wissenschatlich unmöglich ist, so phi-

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losophisch sinnwidrig. Sie gehört einer abwegigen Gestaltder rationalistisch ins Leere ührenden Philosophie pseudo-wissenschatlichen Argumentierens an. Dieses trat leichterin Erscheinung, als die Klärung unseres gesamten Bewußt-seins durch die universale moderne Wissenschatlichkeitund die Wiedererweckung der eigentlich philosophischenAntriebe noch nicht erolgt war.

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IV. Charakteristik und Kritik 

1. Die Persönlichkeit im ersten Gesamtaspekt

Die Persönlichkeit Augustins, obgleich ast leibhatig voruns, bleibt ein Rätsel. Dieser in seiner Zeit allumassen-de, immer schaffende Geist, von unbändiger Leidenschatgetrieben, durchhellt ständig sich selbst, teilt diese Durch-

hellung mit dem Willen zur vollkommenen Offenheit mitund läßt uns doch am Ende ragend stehen. Sein Wesenscheint Züge von Adel und von Gewöhnlichkeit zu zeigen.Sein Denken bewegt sich in sublimsten Spekulationen undin rationalistischen Plattheiten, ist getragen vom hohen bi-blischen Gottesgedanken und versagt sich nicht dem Aber-

glauben. Die großen sachlichen Fragen sind in ihrer Dia-lektik zugleich Momente seines persönlichen Lebens. Erscheint sich ins Äußerste zu wagen und ist doch ast ge-ahrlos gebunden in der nicht wankenden Grundgewißheit.Sein Denken bewegt sich in gewaltigen Widersprüchen. Esist stets aktuell au seine gegenwärtige Erahrung und zu-gleich au das Eine, worau alles ankommt, bezogen, wendetsich den gerade begegnenden Gegnern und den praktischenAugaben zu. Es erzeugt einen Strom von Schriten anläß-lich der wechselnden Situationen und bringt damit im gan-zen ein Werk hervor, das mit Recht von ihm selbst als ein

großer Zusammenhang augeaßt wird und ein Gegenstandder Interpretation seit anderthalb Jahrtausenden ist.

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2. Vergleich mit Kierkegaard und Nietzsche

Für uns Gegenwärtige ist ein Vergleich Augustins mit Kier-kegaard und Nietzsche lehrreich. Sie alle sind ursprünglichErschütterte. Sie denken aus ihrer Erahrung des Mensch-seins leidenschatlich, eruptiv, in einem unablässigen Schrei-ben durch ein Leben hindurch, in starken Wandlungen. DieUnmittelbarkeit ihres Denkens scheint au der Bodenlo-

sigkeit ihres persönlichen Wesens zu schweben, sie werdennicht Gestalt, sondern erscheinen in vielen Gestalten. – Siealle denken durch Eindringen in das Ursprüngliche, mit ei-ner Psychologie, die Existenzerhellung ist, mit Lehren, dieihre Funktion in einer Lebendigkeit der Denkvollzüge ha-ben. Sie schreiben mit ihrem Blut. Daher das Erregende

und Unnachahmliche in vielen ihrer Sätze. – Sie wagen dieWidersprüche, weil sie sich keinem ursprünglichen Impulsversagen, vielmehr jedem olgen, aus dem Drang zur gan-zen, umassenden Wahrheit. Die Vielachheit und Gegen-sätzlichkeit der Möglichkeiten in ihrem Denken ist wie dasLeben selber. Sie denken jedoch mit einer Intensität, diestets systematisch wird unter Ausbleiben eines Systems. –Alle haben zur Sprache, ohne Absicht, aber mit nachträg-licher Reflexion, eine Beziehung des Schaffens. Noch dieSprachlichkeit des Rhetorischen bei Augustin, wie Sprach-manieren bei Nietzsche, sind Vordergründe dieser Lust des

Sprechens. – Sie alle haben ein Maximum von bewußterSelbstauffassung und Selbstkontrolle. Augustin schreibt dieerste wirkliche Autobiographie und beschließt sein Schrit-werk mit einem kritischen Rückblick (wie Kierkegaard undNietzsche). Sie bringen dem Leser nicht nur die Sache, son-

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dern auch die Auffassung der Sache in der Reflexion überderen Bedeutung. Weil in ihnen allen die Sache persönlicheErscheinung geworden ist, ist die Selbstdarstellung dieserPersönlichkeiten selber zur Sache gehörig.

Alle Analogien zwischen diesen Denkern bezeugen dieiee der Erregtheit, die Fähigkeit zu äußersten Erahrun-gen, die Gewalt der Persönlichkeit, die »Modernität« Augu-stins. Aber sie werden in den Hintergrund gedrängt durch

den radikalen Unterschied: Augustins rüh einsetzenderWille zum Mitwirken am Bau der Gemeinschat, seine klu-ge Weltlichkeit, seine unermüdliche Krat alltäglichen prak-tischen Wirkens. In allen Schriten Augustins herrscht eineandere Stimmung als bei jenen großen Erweckern: ein Maßund eine Verantwortlichkeit in aller Leidenschat. Denn

Augustin spricht im Namen und unter der Autorität derchristlichen Glaubensgemeinschat der Kirche. Das konn-te er, so wie er es tat, in solcher Freiheit wohl nur in diesemAugenblick der kirchlichen Entwicklung. Kierkegaard undNietzsche dagegen sind Einzelne, sind Ausnahmen, undwissen sich als solche. Augustin ist begründend, einer Welt-macht zugehörig, er dient der Kirche. Alles ist bei ihm aueine einzige Wahrheit bezogen, er selbst ist augenommenin die Sicherheit der Überlieerung der Autorität. Kierkeg-aard dagegen steht einsam gegen die Kirche, ein Polizeispi-on im Dienste Gottes, wie er sich nennt. Nietzsche ist ein-

sam, ohne Gott, grenzenlos ragend und ragwürdig, suchtvergeblich einen Halt in »ewiger Wiederkehr«, in »Willezur Macht«, in »dionysischem Leben«. Augustins Einsam-keit wird zwar nicht au menschlichem Wege, aber ür ihnals Glied der Kirche augehoben.

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3. Das kirchliche Denken

a) Größe und Grenze Augustins liegt in seiner Ursprüng-lichkeit des Denkens der kirchlichen Autorität. Aus demUngenügen an der Philosophie wurde er zum Christen imSinne des Gehorsams gegenüber der Glaubensautorität derKirche: »Ich würde dem Evangelium keinen Glauben schen-ken, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche

dazu bewegte.«Man ragt wohl, ob Augustin Philosoph oder Teologesei. Solche Scheidung gilt ür ihn noch nicht. Er ist noch bei-des in einem, eines nicht ohne das andere. Er weiß sein Den-ken als rei erst durch den Glauben an Gottes Offenbarung.Für ihn gibt es nicht von vornherein das Problem von Auto-

rität und Vernunt, von Glaube und Wissen als Feinden.Der Weg Augustins ührte ihn von der reien Philoso-

phie, die er nur als leer und unselig eruhr, zum Offenba-rungsglauben, dessen Gehalt und Seligkeit in theologischerDogmatik gedacht wurde. Aber im Unterschied von spä-terer Dogmatik steht Augustin noch im Werdeprozeß derTeologie. Er deduziert nicht aus dogmatischen Prinzipien.Denn er hat noch die Augabe, die dogmatischen Glaubens-inhalte herauszuarbeiten, die noch unklaren Glaubensur-sprünge zu bestimmtem Glauben zu entwickeln. Ot ist seinDenken, ein Denken gleichsam im Stimmungsraum dieses

Offenbarungsglaubens, ein selbständiges, philosophisches,ursprüngliches Denken. Und dies ist ein eindringendes, ver-gegenwärtigendes Denken. Es ist Philosophie.

Als Christ wurde Augustin der philosophische Den-ker, der Kirche und Bibel interpretierte. Mit der Vernunt,

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die er nicht preisgab, erarbeitete er die Glaubenserkenntnis.Das autoritäre Denken, das wir als dem philosophischenentgegengesetzt ansehen müssen, wird hier selber philoso-phisch, das heißt ursprünglich gedacht. Damit sind bis heu-te andauernde, immer nur scheinbar gelöste Fragen gestellt.Das Philosophieren, auch wenn es sich dieser Haltung ent-gegensetzt, das heißt aus einem Glauben denkt, der nichtOffenbarungsglaube und nicht Kirchenglaube ist, hat das

dringendste Interesse daran, diesen anderen Glauben nachKräten zu verstehen.

Das Prinzip der Autorität ist eine Sache größten Gewichts,wirksam in allen Zeiten, unbestimmt in der Gestalt, ob alsMoment in der Bewegung oder ob als absolute Starrheit ei-

nes Bestandes, ob als lebendige Ergriffenheit oder als Ge-wohnheit der radition, ob als geistige Macht oder als inap-pellable Instanz, die krat ihrer Gewalt entscheidet und dieDurchührung der Entscheidung erzwingt, ob als Mysteri-um einer Kirche oder eines Weltreiches (der Staue Fried-rich II.), ob als Dogmatik einer Glaubenswelt oder ob alsPrinzip der Legalität der Daseinsordnung. Die Geschichtelehrt, wie Autorität mit anderer Autorität in Kamp gerät,vor allem und maßlos in den christlichen Ländern der Erde.Man sieht, wie Glaubenskämper nicht miteinander redenkönnen.

Ohne Autorität ist nicht möglich: ein gemeinschatlichesLeben, ein verbindender Geist, die Erziehung, die militäri-sche Ordnung, der Rechtsstaat und die Geltung der Geset-ze. Autorität ist unumgänglich. Ihr Verlust hat zur Folge dieEntwertung der Menschen und ihre gewaltsame Ordnung

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durch den error des Nichts. Autorität ist durchbrechbar,während sie zugleich bewahrt und verwandelt wird, aber nurin der Reie des Einzelnen, der den Gehalt der Geschich-te in sich zur Wirksamkeit hat kommen lassen. EntarteteAutorität erzeugt Auruhr, in dessen Chaos die Gründungneuer Autorität selten gelingt.

b) Bei Augustin beobachten wir: Die Autorität wird ür ihn

eine alles übergreiende Macht, weil sie als vom Schöper al-ler Dinge durch seine Offenbarung gestitet geglaubt wird.Sie wird ür Augustin zugleich zur Sicherung in der verläß-lichsten Gemeinschat, die nicht au menschlichem Vertrag,sondern au Gottes Menschwerdung beruht. Daher gehörenalle Menschen zu ihr. Der Beweis ür ihre Wahrheit ist, daß

sie die Welt umaßt, von Spanien bis zum Osten (der alteGedanke des consensus gentium); Häretiker wie die Dona-tisten sind nur lokal. Dem Anspruch der Katholizität kön-nen nur orheit oder Bosheit des Eigenwillens vergeblichwiderstehen. Der Beweis dar verstärkt werden durch denZwang, der alle unterwirt. Dieser Beweis der Katholizitätist zwar historisch widerlegt. Aber von ihm ist noch heuteein Rest in dem den katholisch Gläubigen beflügelnden Ge-meinschatsbewußtsein, mit dem er in allen Erdteilen sei-ne Kirche und seinen Kultus wie eine Heimat wiederfindenkann.

Bei keinem Augustinischen Gedanken düren wir verges-sen, daß er ihn denkt in der unerschütterlichen Gewißheitder Autorität der Kirche, die allein zu Christus und durchdiesen allein wiederum zu Gott ührt. Augustin vermag Sät-ze und Gedankenbewegungen ursprünglicher Selbstgewiß-

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heit und Gottesgewißheit großartig auszusprechen. Aber esliegt ihm seit der Bekehrung ern, in existentieller Unabhän-gigkeit – ohne Mittler und ohne Kirche – nur vor Gott zuphilosophieren. Er ist geborgen und steht nicht mehr in derMöglichkeit der Verzweiflung: daß Gott nicht sei oder daßer ein Wesen sei, gegen das die Seele im rotz sich auflehntwegen der Unerträglichkeit schuldloser Leiden, der Geistes-krankheiten, der mörderischen Verbrechen. Er ist nicht der

Mensch als er selbst, mit dem als Menschen in reie Kom-munikation zu treten wäre, sondern nur unter der Voraus-setzung gemeinsam anerkannter Autorität, jener »anderenZeugen« des gemeinschatlichen Glaubens. Sein philoso-phisches Denken geht in das dogmatische, und beide sindgerechtertigt nur im kirchlichen Denken.

Es wäre alsch (am Maße der Ketzer, Sekten, Protestan-ten, die es wagten, der Autorität der Kirche durch die hö-here Autorität der ihnen jeweils unmittelbar aus der Bibelaugehenden – zumeist vermeintlich allein wahren – Glau-benseinsicht zu trotzen), Augustin einen Mangel an Mutvorzuweren. Er hat genug Mut in seinem Leben bewie-sen. Sein Autoritätsglaube war selbsterworben, nicht auge-zwungen. Er war nicht hineingeboren, sondern hatte ihn inder Bekehrung gewonnen, um in ihn hineinzuwachsen. Erwar nicht Gewohnheit, sondern seine eigene positive, erül-lende Wahrheit. rotz gegen die Kirche wäre ür Augustin

Selbstvernichtung gewesen. Sie auzugeben, war so unmög-lich, daß es nicht einmal eine Versuchung werden konnte.Er kam nie in Konflikt, denn er war der geistig Mitschaffen-de dieser Autorität nach ihrer weltlichen Erscheinung. Über jeden Gegensatz, der einen Konflikt hätte abgeben können,

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war die Kirche übergeordnet. Auch seine radikalsten Ge-danken waren von ihm immer noch im Raum der Kirchegemeint.

In Augustin ist in der at nicht eine Spur von Neigungzur Unabhängigkeit der antiken Philosophen. Er bedar undwill ein Anderes, von außen Kommendes, an das er sich hal-ten kann. Dies Andere, die Kirche, hat seine Krat in Augu-stin, weil er es nicht nur als ertig vorfindet, sondern sie sel-

ber denkend mitwirkend konstruiert. Es ist seine Freiheit,die in diesem Denken den Schwung des Wahrseins bringt.

c) Beide – Kirchenglaube und philosophischer Glaube – be-kennen ihr Nichtwissen. Durch dieses hält sich der Kirchen-

 glaube in allen Widersprüchen an die Realität der Kirche als

leibhatiger Gegenwart, der philosophische Glaube an denschlechthin verborgenen, in seiner Sprache durch die Weltimmer zweideutigen, in seiner Existenz selbst zweielhatenGott. Der  philosophische Glaube steht in der Leibhatigkeitseiner je einmaligen, nicht katholischen, geschichtlichen Ge-genwärtigkeit, durch die er der eigentlichen Wirklichkeit ge-wiß werden kann, ür die es keine Garantie gibt außer in derFreiheit des Menschen selbst und ihrer kommunikativenVerwirklichung am Abgrund des Scheiterns in der Weltrea-lität.

Das Nichtwissen erüllt sich kirchlich in der Leibhatig-

keit der einen Kirche, dem Reichtum ihrer Erscheinungen,oder  philosophisch im Wagnis der existentiellen Geschicht-lichkeit aus der Vielheit ihrer sich begegnenden Ursprünge,hingezogen zu dem schlechthin transzendenten, der allge-meingültigen Leibhatigkeit entbehrenden Einen.

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Erstens: Die Souveränität Gottes soll ohne Einschrän-kung in einer raum-zeitlichen Gestalt wirksam sein. Ausder Erahrung der menschlichen Ohnmacht erwächst pa-radoxerweise die ür ein Jahrtausend stärkste Organisation

menschlicher Macht. Sie schließt alles aus, was ihr gegenüberselbständig sein möchte, mit dem Verdikt, es sei Aufleh-nung gegen Gott. Sie schließt, ihre Arme weit öffnend, al-les ein, soern es mit seiner Besonderheit sich als zu ihr ge-

hörend bekennt.Augustins Erdenken des Anspruchs der Kirche steigert

sich, seitdem er Priester ist. Seine Lebenspraxis wird Bodenund Auswirkungseld seines Philosophierens. Er steht in dermachtvollen geistigen und politisch-realen Entwicklung derInstitution, die das Abendland bis zum Beginn der Neuzeit

beherrscht hat. Es ist die merkwürdigste Umwendung derInnerlichkeit. Aus der Weltverachtung wird Weltbeherr-schung, aus der Kontemplation ein unbeugsamer Wille, ausder Freiheit tiesten Besinnens der Zwang gewaltsamer Ei-nigung, aus dem Wissen des Nichtwissens und seiner Spe-kulation ein Lehrbestand, aus der zeitlichen Bewegung desSuchens die Welt der Dogmen, die grundsätzlich unverän-derlich, keinem Zweiel ausgesetzt, Voraussetzung, nichtGegenstand weiter eindringenden Denkens sind.

Die eigene Unterwerung erzeugt die Neigung zum Un-terdrücken, das eigene Oper die Neigung, vom andern das

gleiche Oper zu ordern. Dazu kommt bei der bleibendenUngewißheit (da ihre Gewißheit in der tatsächlichen Allge-meinheit des Glaubens einen ihrer Gründe hat), daß es un-erträglich ist, das Dasein anderer zu sehen, die die Kirchenicht einmal verneinen, sondern denen sie gleichgültig ist.

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Diese Unerträglichkeit und das Machtbewußtsein verstärk-ten jenen Anspruch »an alle«.

Man hat gesagt, daß in diesem Kirchendenken eine Ver-schmelzung des Christentums mit dem Sinn der imperialen,ordnenden, juristischen und politischen Kräte Roms statt-geunden habe. Der Ewigkeit des römischen Weltreichs, diedie Heiden glaubten und selbst die Christen ür die Zeit derWelt nicht ür unmöglich hielten, entspräche die Ewigkeit

der katholischen, römischen Weltkirche. Aber die Autori-tät der Kirche war im Vergleich zur oleranz des römischenImperiums gegenüber allen Lebens- und Glaubensormen(mit Ausnahme allein der sie selbst verneinenden christli-chen) unermeßlich gesteigert und gültig bis in das Innersteder Seele dadurch, daß sie in Anspruch nimmt, Gott sprä-

che allein durch sie. Dadurch ist auch der Staat verpflichtet,wie es Augustin denkt, der Kirche zur Durchsetzung ihrerForderungen zur Verügung zu stehen, z. B. gegen die Do-natisten, gegen die Pelagianer. Es entwickelt sich die Vor-stellung des christlichen Staats, der nicht in eigenem Na-men, sondern im Namen Christi seine Gewalt hat und sieür Christus verwendet.

Zweitens: Der Glaube dieser Kirche will allen alles, willkatholisch sein. Was immer menschenmöglich ist, so wirktder tiee Instinkt der kirchlichen Denkmethoden von rüh an,das muß seine Rechtertigung und zugleich Ordnung und

damit Beschränkung erahren: Praktisch hat der asketischeMönch und der weltregierende Kaiser, Ehelosigkeit undEhe, Kontemplation und Weltarbeit, hat alles seinen Ort.Teoretisch entsteht das bewunderungswürdige Denkge-bäude einer complexio oppositorum, das weltbeherrschend

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werden kann, weil alles in ihm einen Platz zu finden vermagund das nur in einem radikal ist: in dem Anspruch absolu-ter Geltung der kirchlichen Autorität selber. Nun ist dieseallgemeine Form des kirchlichen Denkens nicht zu identi-fizieren mit dem eigentümlichen Denken Augustins. Diesesist viel zu leidenschatlich, um die Ruhe des systematischenotalwissens anzustreben, viel zu sehr dem je Besonderenhingegeben, um das Ganze anders als in der unbegreiflichen

Gotteinheit und Gottesliebe gegenwärtig zu haben. AberAugustin hat durch seine vielen durchgeührten systema-tischen Ansätze und durch seine in alles sich erstreckendeaktische Widersprüchlichkeit dem kirchlichen Denken diekostbarsten und wirkungskrätigsten Werkzeuge gelieert.

Drittens: Wenn die Kirche alle Menschen einschließen

soll, so muß die Leibhaftigkeit ihrer Erscheinung allen Be-dürnissen Genüge tun. Augustin verstärkt durch sein kirch-liches Denken die Geltung des Aberglaubens. Er hat durchseine Lehre, daß das Sakrament der aue schon beim Kin-de die Reinigung und Wiedergeburt und ewige Seligkeit be-wirkt (die dem ungetaut sterbenden Kinde versagt ist), diemagische Auffassung der Sakramente geördert.

e) Das Augustinische Leben bedeutet in seiner Weltentsa-gung zugleich den Willen, allen Menschen den Weg zumewigen Heil zu zeigen, als Priester ür sie zu wirken und

krat der Autorität der Kirche über sie zu herrschen.Die Augustinische Weltbejahung – Gott sagte am Ende

der Schöpung, daß sie gut sei – gelangt nie dahin, in derWelt selbst den von der ranszendenz her erleuchteten ge-genwärtigen Sinn als Erüllung zu erahren (außer in den

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kirchlichen Erscheinungen) und das in ihr entspringen-de Ethos zu entalten. Er sieht wohl die glänzenden u-genden des römischen Opersinns und der edlen Ruhmbe-gier in der Hingabe an den Staat, aber sie bleiben ür ihnin der Unseligkeit. Augustin sieht nicht und kennt nichtdie menschliche Nähe und reue: weder in der Liebe nochin der Freundschat. Auch der einzelne Mensch ist ür ihnersetzbar, zwar nicht vor Gott, aber ür die anderen Men-

schen. Gemeinschat ist nur durch den Glauben oder durchdie Pflicht der gegenseitigen Hile. Jeder ist völlig einsam,weil er er selbst nur vor Gott, mit Gott, nicht erst er selbstmit und durch das andere menschliche Selbst ist. Einsam-keit ist augehoben nicht durch Kommunikation, sonderndurch Gott. Selbstliebe geht der Nächstenliebe voran.

Die Kommunikation selber gerät unter die Bedingungender Autorität. In einer rühen Schrit will er sich noch lieberzu denen halten, die überzeugen, als zu denen, die beehlenwollen. Wenn er einst mit den Manichäern sprach, verlang-te er, daß beide eile sich nicht im endgültigen Besitz derWahrheit wissen düren, wenn das Gespräch einen Sinn ha-ben soll. Von diesen Ansätzen einer anderen Möglichkeit istnichts übriggeblieben.

) In der Realität Augustins und der Kirche liegt eine un-geheure Frage. Denn durch sie ist nicht nur bezeugt, son-

dern auch verdorben der Wille zur Wahrheit, die verbindetund Frieden bringt. Bezeugt ist der große Wille in mächti-gen Gestalten: Augustin hat den Denkraum geschaffen, indem Gregor der Große, Anselm und Tomas möglich wur-den. Verdorben ist der Wille, weil er hetigere und erbar-

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mungslosere und tückischere Kämpe in die Menschenweltgebracht hat als je waren, und weil er, gespalten in sich selbstdurch die »Konessionen«, zu anatischer Selbstvernichtunggelangte, und weil er nach außen erobernd in Kreuzzügenautrat, und das alles immer und überall mit dem Selbstbe-wußtsein, allein im Besitz der einen Wahrheit, nämlich deseinen Gottes gültiger Offenbarung zu sein. Damit wurdenalle bösen Machttriebe als im Dienste Gottes stehend ge-

rechtertigt. Was daraus geworden ist, ist hier nicht zu schil-dern. Daß mit diesen Kräten sich solche iee der mensch-lich möglichen Fragen, so manche edle Menschlichkeit, soechte, unbezweielbare Frömmigkeit, ja, auch alles das ver-bunden hat, was diese bösen Kräte zum Erlöschen bringenmöchte, ist das Unheimliche unserer abendländischen Ge-

schichte.Von außen wird man nie ganz verstehen, was in dem

Menschen echten Kirchenglaubens wirklich ist. Wohl ist dienach außen tretende Erscheinung ür uns sichtbar. Wir se-hen die Strukturen, die aktischen Methoden der Macht vonden sublimen Formen, die die Seelen überwältigen, bis zuden groben Formen politischer Gewalt, wenn sie zur Verü-gung steht. Wir sehen nicht, was der sich Opernde im odeeinsam mit Gott erährt. Es ist, von außen und psycholo-gisch vergleichbar, so unzugänglich wie das enthusiastischeGehorchen und Sichopern und Sterben so vieler Kommu-

nisten. Wir stehen einer Macht gegenüber, die die Kommu-nikation abbricht, sich in sich zurückzieht, alles Sprechenunter der Voraussetzung der eigenen einzigen Wahrheitvollzieht und in entscheidenden Augenblicken die Gewaltgebraucht, die sie sonst demütig verwirt, und die dahin ge-

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langen kann, daß sie ihre Feinde dadurch liebt, daß sie sietotschlägt, daß sie durch Bezug au Gott das Äußerste, wiedas Ausrotten von Völkern und Kulturen (Albigenser-Krie-ge) und die große Reihe anderer Gewaltakte au sich nahm.

g) In allen großen Ansätzen Augustins meine ich philoso-phische Gedankenbewegungen zu sehen, soern die ewigenFragen des Philosophierens zur Geltung kommen. Nirgends

sonst aber meine ich so erregend, so beunruhigend die Be-wegung philosophischen Denkens aus einem philosophie-widrigen Prinzip in der christlichen Kirchlichkeit wahrzu-nehmen. Er lehrt, das Wirkliche in der Kirchlichkeit auchnoch von unserer Ferne her zu sehen durch die Weise, wieer denkend in ihr sich bewegt.

4. Widersprüche bei Augustin

Zunächst eine Reihe von Beispielen gewichtiger Wider-sprüchlichkeiten:

a) Woher das Böse? Augustin verwar die zwei Urmächte derManichäer. Denn Gott ist einer. Aber woher dann das Böse?

Das Böse ist das Nichts. Weil der Mensch aus Nichts ge-schaffen ist, ist er sündig. Aber dies Nichts, das keinen Ein-fluß haben soll (denn dann wäre es etwas), wird doch so-gleich eine ungeheure Macht. Was Nichts ist, steht gegen

Gott.Das Böse ist die Freiheit des Menschen, die in Adams

Fall, und seither in der Erbsünde wiederholend in jedemMenschen, sich gegen Gott wendet. Nicht Gott bewirkt dasBöse, sondern der Mensch. Aber Gott hat es zugelassen.

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Die Unveränderlichkeit Gottes verlangt das Nichtseindes Bösen. Angesichts dieses Gottes ist die manichäischeSubstantialität des Bösen selber eine böse Phantasie. Dieübermächtige Realität des Bösen aber verlangt Anerkennungihres Daseins und Erklärung ihrer Herkunt. Augustins Ge-danken wollten, je nach Lage, beiden Ansprüchen Genügeleisten. Sie konnten es nur um den Preis des Widerspruchs.Gott ist einer und Ursache von allem, was ist. Gott dar nicht

mit der Schuld am Dasein des Bösen belastet werden.Man hat in unauhörlichen Diskussionen diesen Wider-

spruch zur Schäre und Deutlichkeit zu bringen und ihnauzulösen versucht, ohne Ergebnis. Gegen den Auweis desWiderspruchs – das Böse ist bloß rübung des Guten, istMangel und Schatten und das Böse ist eine Macht von über-

wältigender Wirkung – hilt man sich: Das Böse ist wohl ansich nichts, aber es ist nicht nicht. Denn es ist nichts, weilihm keine göttliche Idee entspricht. Es ist nicht nicht, weiles getan wird. Weil Augustin das Böse als Folge einer ur-sprünglichen Handlung – Adams Fall – sehe, so – meinteman – lehre er keinen metaphysisch substantiellen Dualis-mus, wie die Manichäer, sondern einen ethischen Dualismus,der durch die gottgeschenkte Freiheit in die Welt trat undauhören wird im Weltende und Gericht. Aber, sagen die an-dern, Gott habe die Freiheit so geschaffen, daß sie sich ge-gen ihn selber wenden konnte, ist also indirekt selber Urhe-

ber des Bösen – und die Scheidung der Reiche bleibe in denewigen Höllenstraen bestehen, nachdem Gott das Weltge-richt vollzogen habe. Die manichäisch-iranische Lehre derScheidung von Licht und Finsternis sei in Umgestaltung inder at doch der christlichen Lehre eingeügt.

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Durch Augustins Werk geht der Dualismus in mannig-achen Gestalten: Gott-Welt, civitas dei – civitas terrena,Glaube – Unglaube, caritas – cupiditas, Sünde – Gnade.

b) Die Weltstimmung Augustins vollzieht sich in radika-lem Widerspruch. Die Welt ist Schöpung Gottes, ist gut,ist schön wie ein Kunstwerk, die Disharmonien steigern dieSchönheit. Selbst das Böse ist im Ganzen ein Element des

Guten. Ohne Adams Fall nicht die Herrlichkeit des Erlö-sers, des Mensch gewordenen Gottes.

Und dagegen: Es ist die höchste Weisheit, durch dieVerachtung der Welt nach dem Himmelreich zu streben – jenseits aller Zeitlichkeit. Denn hienieden, so hörten wir, istunser Friede, sowohl der gemeinsame als der uns eigentüm-

liche, nicht Freude in Glückseligkeit, sondern nur rost inUnseligkeit.

Wenn aber das Ziel – das Sein bei Gott – allein undganz im Auge ist, dann gilt: nichts in der Welt dar au demWeg uns esseln, auch nicht Christus, denn »nicht einmalder Herr selbst verlangt, daß wir uns bei ihm auhalten, son-dern nur, daß wir an ihm vorübergehen sollen: An jenenzeitlichen Dingen vollends, die er bloß zu unserem Heileübernahm und ausührte, wollen wir nicht schwächlich ha-ten, damit wir wie im Fluge bis zu dem vorzudringen verdie-nen, der unsere Natur vom Zeitlichen bereit und zur Rech-

ten des Vaters gestellt hat.«

c) Die Kirche ist das Gottesreich, »wir sind seine Bürger«,»alle guten Gläubigen sind erwählt (electi)«. Der Gottes-staat ist die aktische Gemeinschat der Gläubigen, das

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heißt der Heiligen. Die reale Gemeinschat der Kirchen-glieder aber schließt aktisch Unheilige und Ungläubige ein.Also wird von Augustin die unsichtbare im Unterschied vonder sichtbaren Kirche gedacht. Die wahre Kirche als derewige vom Anang bis zum Ende durch die zeitliche Weltwandernde Gattesstaat ist unsichtbar, also als solche nichtidentisch mit der sichtbaren Kirche. Dann ist es begreiflich,daß Heilige, Angehörige des Gottesstaats auch außerhalb

der Kirche würden leben können.Diese Unterscheidung wird verschärt mit der Durch-

ührung des Prädestinationsgedankens. Gott in der Freiheitseines unbegreiflich Ratschlusses hat die einen zum Standder Gnade, die anderen zu Geäßen seines Zorns bestimmt.Er läßt die zum Stande des Heils Erwählten auch außerhalb

der sichtbaren Kirche sein, er läßt ewig Verworene in derKirche mitwandern. Erwählte, die außerhalb der sichtbarenKirche in der unsichtbaren leben, sind unzerstörbar das, wassie dank Gottes Willen sind. Sie sind nicht angewiesen audie sichtbare Kirche. Dagegen behauptet die sichtbare Kir-che (und mit ihr Augustin), daß alle au die Gnadenmitteldieser Kirche (die Sakramente) angewiesen sind. Diese sindunerläßlich. »Außerhalb der Kirche ist kein Heil«, und da-mit ist von Augustin wieder die sichtbare Kirche gemeint.Eine unabschließbare Diskussion mit immer neuen Unter-scheidungen hat sich an diese Schwierigkeiten angeschlos-

sen. Am Ende aller widerspruchsvollen Gedanken steht dieUnerschütterlichkeit des Kirchenglaubens selbst, der sagt:die Kirche ist wirklich und doch unbegreiflich.

Diesem rationalen Widerspruch entspricht in Augustineine innere Spannung, die nur als Widerspruch aussprech-

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bar und doch sein Leben ist: Er hat im kirchlichen Denkenvöllige Gewißheit. Die Autorität der Kirche birgt ihn, stütztihn, beruhigt, beseligt ihn. Aber in seinem Erdenken desewigen unbegreiflichen Ratschlusses Gottes, der Prädesti-nation jedes Einzelnen, unveränderlich entweder zum Standder Gnade oder dem der Verworenheit, überällt ihn dieUngewißheit. Niemand, sagt er, kann seine Erwählung wis-sen. Man könnte meinen, Augustin verlasse sich nicht ganz

au die Garantien der Kirche. Die Ungewißheit der Erwäh-lung – die Gewißheit der Kirchengliedschat, eins schlägtins andere um. Es bleibt die Unruhe, in der er weder durchSicherheit (securitas) übermütig noch durch Verzweiflung(desperatio) verhärtet werden will.

d) Augustins Bibel-Interpretation ist, wie es scheint, grund-sätzlich widerspruchsvoll. Er denkt in der Bibel, was erdort findet, mit der Radikalität, die die Angriffe gegen dieGrundlagen der Kirche ermöglicht. Er stellt aber jede Bibel-Interpretation unter die Autorität der Kirche, die die Bibelals solche beiseite zu schieben vermag. Die Frage nach derrechten Interpretation wird allein von der Kirche entschie-den. Die Bibel ist Quelle – dann wird sie ür die Kirche ge-ährlich. Die Bibel ist Mittel – dann bestimmt die Kircheihren rechten Gebrauch. Die Bibel ist wörtlich zu nehmen;die Bibel ist mit dem Geiste auzuassen.

Nichts ist leichter, als Widersprüche bei Augustin zu finden.Wir verstehen sie als einen Zug seiner Größe. Keine Philo-sophie ist ohne Widersprüche – und kein Denker kann denWiderspruch wollen. Aber Augustin gehört zu den Den-

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kern, die sich in Widersprüche hineinwagen, von der Span-nung ungeheurer Widersprüche lebendig gehalten werden.Er gehört nicht zu den Denkern, die von vornherein auWiderspruchslosigkeit ausgehen; vielmehr läßt er sein Den-ken an Widersprüchen stranden, wenn er Gott erdenkenwill. Augustin läßt die Widersprüche stehen, mehr noch:er treibt sie zum Äußersten. Er läßt die erregende Grenz-rage ühlbar werden, ob und wo wir au Widersprüche sto-

ßen müssen: nämlich immer dort, wo wir, vom Ursprungsdes Seins und dem unbedingten Wollen in uns ergriffen, ge-danklich, das heißt sprachlich, uns mitteilen wollen. Weilwir hier sogleich in rationale Widersprüche uns verstricktsehen, wäre die Widerspruchslosigkeit hier der existentielleod und das Auheben des Denkens selber. Weil Augustin

die Widersprüche, die in der Natur der Sache liegen, ergri-en hat, geht von ihm bis heute die erregende Krat aus. Weiler mit den Methoden kirchlichen Denkens das Maximumder Widersprüche – auch gegen die Natur der Vernunt –in sich augenommen hat, ist er den kirchlichen Bedürnis-sen unter deren Autorität ohne System in einem höchstenMaße gerecht geworden.

Die beremdenden Widersprüche Augustins sind gro-ßenteils zu erklären und damit als unwesentlich zu erken-nen aus der atsache, daß er sorglos au verschiedenen Ebe-nen denkt. Sein kirchliches Denken, dann sein au Bibel

und Paulus gegründetes Freiheitsdenken (seine Sünden-und Gnadenlehre), dann sein reines, vom Geländer der Bi-bel und der Kirche sich lösendes Denken haben nicht einengemeinsamen Ursprung. Wenn man au einer dieser Ebe-nen Augustins gesamtes Denken auzuassen meint und

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ten, Bibel-Interpretationen, Selbstbekenntnisse zieht hineinin dies ständig bewegte, veranlaßte, beanspruchte Denken.

Er denkt systematisch, aber hat nie ein System erdacht,an dem er estgehalten hätte. Wenn sein Denken ein Systemist, so kann es das nur werden durch die Erüllung der un-endlichen Augabe, es herauszuarbeiten, so daß jeder Ge-danke seinen Platz und Sinn erhielte. Es gibt bei ihm keinsystematisches Hauptwerk, dem alle anderen dienen. Die-

ser Zustand seiner riesigen Werkmasse bedeutet auch äu-ßerlich eine enorme Anregungskrat.

Die Schäre seiner begriffl ichen Bestimmungen entwik-kelt sich im Kampe. Die Auffassung der gegnerischen Po-sitionen und des eigenen Willens ordern die Unterschei-dungen, die den Sinn des Kampes erst zur Klarheit bringen

sollen. Diese Kämpe selber und ihre Begriffl ichkeit ha-ben andere Stimmungen, wenn es sich um das Wesen dermenschlichen Freiheit handelt (pelagianischer Streit), wennes sich um das Wesen Gottes, der ranszendenz, handelt(gegen Manichäer und Neuplatoniker), wenn es sich umdas Wesen der Kirche handelt (gegen die Donatisten). Essind jedesmal andere Leidenschaten im Spiel: das Selbstbe-wußtsein, das Gottesbewußtsein, das Autoritätsbewußtsein.Aber alle beziehen sich au einander, weil die Entscheidun-gen des einen Kampes auch den Sinn des anderen mitbe-stimmen.

Augustin hat der lateinischen Sprache neue Verwirkli-chungen geschaffen: die Vollendung der Prägnanz der theo-logischen Sprache, die Biegsamkeit zum Ausdruck der see-lischen Innerlichkeit, der Qualen und Spannungen, dasPathos des Glaubensauschwungs.

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6. Die Persönlichkeit

Dieser hintergründige Mensch, der den ehrlichen Dranghat, sich ganz zu offenbaren, hat doch nicht das Antlitz ei-ner Persönlichkeit, die ganz und gar als sie selbst da ist.

Ein Gesichtspunkt kann olgendes Bild zeigen: Er ist einchaotischer Mensch, darum begehrt er die absolute Autori-tät, – er neigt zum Nihilismus, darum bedar er absoluter

Garantie, – er bleibt in der Welt ohne wirkliche Bindung,weder an eine Frau, noch an Freunde, darum sucht er Gottohne Welt. Solche Gegensatzpsychologie ist vielleicht aueiner Ebene klärend, aber au ihr wird der Ernst Augustini-schen Denkens nicht erreicht.

Ein verwandter Gesichtspunkt kann sagen: Ein Denken

wie das Augustins ist nur nach diesem Jugendleben, nichtohne ein solches, möglich und daher immer noch von die-sem Leben als einem von ihm abgestoßenen bestimmt. DieBekehrung gehört so wesentlich zum Sinn vieler seiner Ge-danken, daß sie ohne sie ihre Wahrheit einbüßen. Wem sol-che Bekehrung remd ist, kann bei Augustin nicht sein Vor-bild finden.

Auch muß das Leben des in den katholischen Kirchen-glauben Hineingeborenen und in ihm von rüh an Erzogenengleichsam natürlicher, ruhiger, ragloser sein als das Augu-stins. Soern es sich in Augustin wiedererkennt, verschlei-

ert es sich dessen Wirklichkeit und nimmt seine Gedankennicht in. ihrer Radikalität und Konsequenz, es sei denn, daßes das Dasein des Mönchs oder Priesters verwirklichte.

Die Paulinisch-Augustinische Einsicht in die Unmög-lichkeit des Sich-sich-selbst-Verdankens braucht nicht die

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Stue des Selbstbewußtseins zu verleugnen, au der diesesSich-sich-selbst-Verdanken doch gilt. Sie schließt nicht aus,sondern ein, daß wir im Vordergrunde wissen, wo wir überuns Herr sein können, wo wir Zutrauen haben düren zumGrund unserer Liebe, zu dem gottgeschenkten eingebore-nen Adel (nobilitas ingenita der Pelagianer). Das kann ohneÜbermut (superbia) bleiben, wenn es sich in unserem ak-tischen Wollen verwirklicht, ohne daß wir in der Reflexion

davon zu wissen brauchen und ohne daß wir älschlich zumBesitz machen, wozu wir Vertrauen haben, aber was wirnicht durch uns selbst zu eigen haben.

In unserem Kamp um das Bild des Menschen, das inder Verwirklichung sich bewährt, ist das Bild Augustinsnur eine Möglichkeit. Für Menschen wesenhater Einheit-

lichkeit, die keine Bekehrung erahren, aber die philosophi-sche Umwendung lebenwährend erneuern, ist Augustin einGegenbild. Er erweckt, aber ist nicht in gleichem Sinne lie-benswert wie das Vorbild und der Freund. Man muß ver-weren, wenn es sich um die Frage von Wegweisung und Le-benslenkung handelt.

In seiner Jugend spielen Freundschaten eine Rol-le, die Atmosphäre des verbindenden Schwungs in Cas-siciacum, wo Monica, sein Sohn Adeodatus und eine Rei-he von Freunden leben und die Idee einer philosophischenGemeinschat autaucht – diese Idee selber schon wirkt wie

eine leise Andeutung des Fremden: denn was darin gemeintwar, erüllt sich in der universalen Kirche. Es war nicht dieFreundschat gemeinsamen Philosophierens. Denn späterwird vollends deutlich, daß Freundschat ür Augustin viel-mehr der Einsamkeit der Selbstliebe vor Gott entspringt

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als bloßes Sichtreffen im gemeinsamen Glauben. Er hat dieFreundesliebe als Leidenschat gekannt, nicht die reue. Inseinem später entschiedenen Kirchenglauben gibt es zwar inder Freundschat ein Geühl des Verbindenden der objekti-ven Gemeinschat. Aber reue gibt es nur gegen Gott unddie Kirche, sonst nur Einsamkeit.

Es sind in Augustin Züge von Inhumanität, die manzu leicht übersieht (ich wähle das Wort mit Bedacht; man

könnte auch von Rücksichtslosigkeit gegen Frauen oder vonkaltem Hinweggehen über menschliche Beziehungen re-den):

Er selbst berichtet mit erstaunlicher Gleichgültigkeit ohneSchuldbewußtsein (um so auffälliger bei Augustins ständigenAnklagen gegen sich) von seinem Umgang mit Frauen: Seine

langjährige Konkubine, die Mutter seines Sohnes, schickter einach weg, als seine Mutter Monica ihm die Chance ei-ner gehörigen standesgemäßen Heirat eröffnet. Aber ür dieZwischenzeit (bis das noch zu junge Mädchen das heirats-ähige Alter erreicht hat) nimmt er sich zunächst eine an-dere Konkubine. Wenn Augustin im Rückblick über Frau-en spricht, so geht sein Entsetzen stets entweder au seineSinnlichkeit oder au sein rachten nach einer schönen,standesgemäßen Gattin (uxor): beides ist ür ihn Weltlust.Bei dem jungen Augustin ist die Gewöhnlichkeit des Genie-ßens und das Fehlen der Liebe im Verhältnis zu Frauen zu

spüren.Es scheint unmöglich, Augustins Verhalten zu den Kon-

kubinen und die Art seiner berechnend in Aussicht genom-menen Ehe (obgleich dies Verhalten durch alle Zeiten undheute millionenach stattfindet und von vielen stillschwei-

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gend als selbstverständlich anerkannt wird) nicht ür nied-rig zu halten.

Augustin hält – wie schon heidnische Sekten und eini-ge Stellen im Neuen estament – die Geschlechtlichkeit üran sich böse. Er kennt das sich isolierende sinnliche Begeh-ren in seiner Zügellosigkeit und dann die asketische Vernei-nung aller Sinnlichkeit. Es scheint wiederum unmöglich, Au-gustins Loslösung der Geschlechtlichkeit von der Liebe nicht

ür menschenunwürdig zu halten. Da Augustin entweder zü-gellos oder Asket ist, kennt er nicht die Achtung der Frauen-würde und verletzt sie in jeder seiner Beziehungen.

Seinen Auschwung erährt er einzig in der Gotteslie-be. Das menschlich Einache ist ihm remd. An seine Stelletritt das übermenschlich oder unmenschlich Großartige. Er

versäumt das menschlich Mögliche um des menschlich Un-möglichen willen. Dieses sucht er dann aber in einer nichtendenden Unruhe, die seine tieen Blicke und hellsehendenGedanken hervorbringt, welche ihn uns so kostbar machenals großen Philosophen.

Im Kamp mit dem heidnischen Glauben hat Augustinin der Predigt zur Zerstörung der Götterbilder augeor-dert. In Karthago 401 sagt er: Gott will, daß der heidnischeAberglaube vernichtet werde. In Rom sind die Götterbil-der zerschlagen. Er rut: »Wie Rom, so auch Karthago.« Erwühlt dabei die Masse au durch Erinnerung an die rühe-

ren Christenverolgungen. Es scheint nicht gleichgültig, daßAugustins Gemüt auch einmal (nur die eine Stelle ist mirbekannt) an den Schändlichkeiten anatischen Glaubens(heidnischer wie christlicher Art), in Erregung höhnendund hetzend, teilnehmen konnte. Von größter grundsätz-

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licher Bedeutung aber ist sein Schritt, der ihn von der Frei-heit der Verkündigung zum Zwang ührte (dem coge intra-re). In der Praxis des Donatistenstreits verließ ihn die hoheMenschlichkeit christlicher Liebe zugunsten des Gewaltordernden Einheitsgedankens der sichtbaren Kirche, einSymptom jenes Prozesses, der die christliche Liebe hat sozweideutig werden lassen ür das Urteil der gesamten, zu-mal auch der nichtabendländischen Menschheit.

Augustins Persönlichkeit ist den anderen größten Phi-losophen nur von ern verwandt. Man würde bei ihm nichtvom Adel der Seele sprechen können. Es ist erstaunlich, die-se beremdenden Züge bei einem Manne zu finden, der inso vielen seiner Gedanken einzig tiesinnig ist. Es ist quä-lend, die Antipathien gegen die von uns nur kurz berühr-

ten Seiten seiner Wirklichkeit nicht verscheuchen zu kön-nen und nicht verleugnen zu düren.

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V. Historischer Ort, Wirkungsgeschichte und

gegenwärtige Bedeutung 

1. Historischer Ort

Augustin lebte kurz vor dem Ende der abendländischen An-tike in ihrem Untergang. Noch bestand der römische Staat,standen Bauten und Kunstwerke, galten Rhetorik und Phi-

losophie, gab es die öffentlichen Spiele und Teater. Ari-ka war eine relativ reiche Provinz. Karthago war eine Groß-stadt: mit üppigem Luxus. Aber der Gesamtzustand warim Verall. Weder waren die Probleme wachsender Unzu-riedenheit innerlich zu lösen (die christliche Sonderkircheder Donatisten vereinte sich mit plündernden Rebellen, den

Circumcallionen), noch blieb eine Widerstandsähigkeit ge-gen von außen einbrechende Mächte (die Vandalen bela-gerten Hippo, als Augustin starb). Augustins Leben ällt inden Zeitraum des politisch-ökonomischen Untergangs derwestlichen römischen Welt. Es ist, als ob durch ihn im letz-ten Augenblick der geistige Grund ür eine ganz andere Zu-kunt gelegt wurde. Augustin ist im Verall des Ganzen dieletzte antike Größe. Das Vorhergehende reicht er, es ver-wandelnd, in seinem Werke einem neuen Jahrtausend dar,das er geistig entscheidend mitbestimmt hat. Aber Augu-stin selber dachte und sah es nicht so. Er hat nicht den Un-

tergang der antiken Kultur vorausgesehen. Diese war ihmebenso raglos selbstverständlich wie gleichgültig als die einemenschliche Kultur, die es gab. Wenn wir Augustin lesen,müssen wir die römisch-antike Welt vor Augen haben, nichtetwa die des Mittelalters. In der zunehmenden Not, in der

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wachsenden Gewaltsamkeit in allen Verhältnissen, in derVerzweiflung an der Welt verwirklichte Augustin eine muti-ge Haltung, mit der zu leben möglich war. Sie war nicht po-litisch, nicht ökonomisch, nicht in weltlichen Hoffnungengemeint, sondern transzendent gebunden allein dem Heilder Seele im ewigen Gottesreich zugewandt. Damit vollzogAugustin abschließend, was in der Philosophie der vorher-gehenden Jahrhunderte gesucht, begehrt war und erreicht

schien, aber nun ganz anders, au christlichem Boden, undunter Verwerung der großen, reinen, unabhängigen Philo-sophie selber. Und damit wurde Augustin der schöperischeDenker, der, selber über die antike Welt nicht hinausden-kend, dem mittelalterlichen Selbstbewußtsein einer ganzanderen soziologischen und politischen Wirklichkeit den

Grund und die geistigen Waffen bereitete. Augustin selberlebte und dachte noch nicht in der weltbeherrschenden Kir-che des Mittelalters.

Philosophisch und christlich gehört Augustin einer ge-waltigen Überlieerung an. Wirksame Größe ist nie verein-zelt aus dem Nichts erwachsen, sondern getragen von gro-ßer Überlieerung, die ihr die Augaben stellt. Sie ist neu,weil niemand sonst tat, was ihr gelingt. Sie ist alt, weil sieergreit, was gleichsam au der Straße liegt. Es ist alsch,ihre Originalität zu übertreiben, denn sie ist gerade großim Aneignen des Wesentlichen, und sie ist getragen vom

geistigen Ganzen, das vorher war und in dessen Zeitgenos-senschat sie steht. Es ist ebenso alsch, ihre Originalitätzu unterschätzen, denn sie konnte nicht erwartet werden:die vorgeundenen Gedanken werden gleichsam einge-schmolzen und in ursprünglicher Lebendigkeit wiederer-

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schaffen. Auch traditionelle Doktrinen der Kirche scheinteine neue eigene religiöse Erahrung erst gewichtig zu ma-chen. Augustin ist nicht das Sammelbecken aller antiken,philosophischen und christlichen Motive, wie es ein Syste-matiker wäre, sondern der erneuernd mit der Seele Scha-ende, der augreit, was ihn bewegt, und dem er eine be-wegte Gestalt gibt, die unabsehbar ortwirkend ruchtbarwird. Da er aber dies in der kirchlichen Praxis tut, fluten

breite Stoffmassen mit, Durchschnittlichkeiten, die wedersystematisch geordnet sind, noch lebendige große Impul-se bedeuten.

Die geistige Entwicklung Augustins hat ür das Abend-land einen vorbildlichen Charakter gewonnen. Er vollziehtin persönlicher Gestalt, was der geistige Prozeß von Jahr-

hunderten war: den Übergang von der Philosophie eigen-ständigen Ursprungs zur christlichen Philosophie. In Augu-stin sind Denkormen der antiken Philosophen angeeignetzum gläubigen Denken angesichts der Offenbarung. In derWende der Zeitalter, als die Philosophie ihre ursprünglicheDenkkrat verlor in bloßen Wiederholungen, ergriff Augu-stin im christlichen Glauben als seinem Grunde des Philo-sophierens die damals originale Möglichkeit. Noch erwecktin der Denkkrat der heidnischen Philosophie, brachte erdem christlichen Denken seine Selbständigkeit au höch-stem Niveau. Kein heidnischer Philosoph seiner Zeit und

der olgenden Jahrhunderte läßt sich auch nur von ern ne-ben ihm nennen.

Das lateinische christliche Denken vor Augustin (er-tullian, Lactantius) erreichte noch nicht den Umang unddie iee einer eigenen philosophischen Welt. Was nach Au-

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gustin kam, zehrte von ihm. Augustin schu die christlichePhilosophie in ihrer unüberbietbaren lateinischen Gestalt.

Man hat mit Augustin die Teologie in ihrer dogmati-schen Entwicklung vom Orient zum Okzident übergehengesehen. Der spiritualistische Geist der östlichen christli-chen Denker blieb wohl ein Moment, aber er bekam jetztdie Stärke realistischer Praxis. Im Abendland ist die gro-ße Spannung von Weltverneinung und Weltverwirklichung

zur vorantreibenden Krat geworden. Die Möglichkeit derWeltentsagung, verwirklicht im Mönchtum, das im Zeital-ter Augustins sich im Westen ausbreitete und dem er sel-ber zugetan war, lähmte nicht die Möglichkeit einer un-endlich geduldigen Aktivität in der Welt. Der Sinn dieserAktivität blieb zwar das Hinlenken aller Dinge zum ewigen

Reich, aber nicht nur durch weltabseitige meditative Vertie-ung, sondern durch praktische Arbeit in der Welt. Sie wardie Leidenschat des Kirchenmannes Augustin. Er schu dieFormeln und Gründe, mit denen diese Arbeit sich recht-ertigte. Gemessen am christlichen Orient ist hier der Wegbeschatten, der die Aktivität mannigacher Gestalt immerstärker werden läßt bis zum calvinistischen Berusgedankeninnerweltlicher Askese und bis zur Loslösung dieses Gedan-kens von dem spirituellen Sinn zu leerer Leistungshatigkeitdes modernen Lebens ohne Sinn.

2. Wirkungsgeschichte

Augustin war Abschluß des längst gegründeten und Ur-sprung des seitdem sich vollziehenden abendländischenchristlichen Denkens mit anscheinend unerschöpflicher

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Nachwirkung. Denn seine Wirkung ist das im Getroffen-sein von ihm zu neuem ursprünglichem Denken erregtePhilosophieren.

Die Wirkung Augustins ist eine doppelte, die seiner alleHäretiker übertreffenden Originalität und die seines unbe-dingten, durch nichts in Frage zu stellenden Glaubens andie Autorität der katholischen Kirche.

Aus dem ersten Moment kamen die Impulse ür die

Häretiker. Denn weil Augustin den ganzen Umang derWidersprüche in sich augenommen hatte, konnten sichau seine exte nicht nur entgegengesetzte Parteien derKirche, sondern auch die tieen, gegen die Kirche sich au-bäumenden Haltungen: der Mönch Gottschalk (9. Jahr-hundert), Luther, die Jansenisten (17. Jahrhundert) be-

ruen. Aus dem ersten Moment kamen auch bis heute dieImpulse ür ein reies, ursprüngliches Philosophieren. Ausdem zweiten Moment aber begründete sich mit Recht dieInanspruchnahme Augustins durch die Kirche ast in al-len ihren großen geistigen und politischen Kämpen. Bei-des ist begründet: das erste in den je besonderen Denkbe-wegungen und Sachen, denen Augustin die Krat gab, daszweite in der beherrschenden Grundgesinnung Augustins.Augustin ist die Einheit der in der Natur christlichen, ka-tholischen Denkens liegenden Polaritäten und Widersprü-che. In Augustin liegt der Grund zu ast allem wesentlichen

christlichen Denken so, als ob von den großen Kampposi-tionen der Folgezeit her aus Augustin immer etwas Parti-kulares herausgenommen wäre unter Vernachlässigung desGanzen. Gegner innerhalb der christlichen Welt konntensich durchweg beide au ihn beruen.

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Geschichte des Augustinismus zu schreiben, das wür-de zu einer Geschichte des christlichen Denkens überhaupt.Will man sein Wesen assen, um es im christlichen Denkender Folgezeit wiederzuerkennen, so beriedigt keine Formel:es ist die endenz zur Ursprünglichkeit innerer Vollzüge imGegensatz zu bloß intellektuellen Operationen; – es ist dieRadikalität des Durchdenkens; – es ist das Denken aus demGlaubensgrunde, nicht das Denken der intellektuellen Ab-

leitung aus vorausgesetzten Dogmen; – es ist das Denken,das sich keiner Methode und keinem System verschreibt;– es ist das Denken aus dem ganzen Menschen, das wiederden Menschen im ganzen in Anspruch nimmt.

Der Augustinismus hatte bis zum zwölten Jahrhundertallein die Herrschat. Mit dem Aristotelismus und Tomis-

mus des dreizehnten Jahrhunderts kam Gegnerschat undErgänzung. Tomas‘ Wirkung aber beschränkt sich au diekatholische Welt. Augustinus Wirkung ist nicht geringerbei Protestanten als bei Katholiken.

Spricht man von Augustinismus in besonderen histori-schen Zusammenhängen, so meint man nicht das Ganze je-nes ständig erwärmten existentiell-psychologischen Den-kens (im Unterschied vom methodischen Denken rationalerSystematik und Deduktion), sondern einzelne Lehren: sodie Prädestination und die ihr entsprechende Gnadenlehre(Luther, Calvin, Jansenisten) im Unterschied vom Semipela-

gianismus der Kirchenlehre, – oder die »Illuminationstheo-rie« des Erkennens im Unterschied von der AristotelischenAbstraktionstheorie, – oder das Einssein von Teologie undPhilosophie (das Verschwinden der Philosophie als unab-hängiger Ursprung) im Unterschied von der Stuenlehre,

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nach der die Philosophie ein selbständig erorschbares Pro-blemeld wäre, das durch die Teologie überwölbt und er-gänzt, nicht verdrängt würde.

3. Augustins Bedeutung für uns

Bei Augustin, wie kaum bei einem anderen, ist die christ-lich-katholische Glaubenswirklichkeit (nicht etwa Jesus und

nicht die Christlichkeit des Neuen estaments) zu studie-ren. An ihm vorzüglich lernen wir die mit dem christlichenDenken in die Welt gekommenen Grundprobleme kennen.Wir müssen wissen, soweit das möglich ist, auch wenn wirnicht daran teilhaben, wie der so Glaubende durch Got-tes Offenbarung sich gerettet weiß. – Nicht in der schlech-

ten Auklärung von Reduktion der Kirche au Priestertrug,Denkirrtümer, Aberglauben, sondern in der Fühlung mitden tieen Motiven Augustins kann der Philosophierende,indem er seinen wahren großen Gegner findet, die Positio-nen klären, die in diesem Kamp angemessen sein könnten.An Augustin studieren wir die Motive der Katholizität inihrem tiesten Sinn. Er kannte noch nicht das Unheil, dasdie Kirche als Institution der Macht und Politik in die Weltgebracht hat, kontinuierlicher, raffi nierter, konsequenterund erbarmungsloser als die anderen Weltmächte vergäng-licheren Charakters. Augustin nahm teil an der Errichtung

der Kirche, die schon da war als verolgte, eben erst staat-lich anerkannte. Er vollzog mit dem Enthusiasmus des Au-ßerordentlichen in statu nascendi, was kirchliches Bewußt-sein in seiner relativ reinsten, reiesten, erülltesten Formsein konnte. An ihm läßt sich au höchstem Niveau der ewi-

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ge Gegensatz einsehen, der durch die Kirche hell gewordenist: zwischen Katholizität und Vernunt, zwischen der ge-schlossenen Autorität und der Offenheit der Freiheit, zwi-schen der absoluten Ordnung in der Welt als Gegenwartder ranszendenz und den relativen Ordnungen in derWelt als Dasein im Sichvertragen des Vielachen der Mög-lichkeiten, zwischen dem Lebenszentrum im Kultus und inder reien Meditation, zwischen der äußeren Gemeinschat

des Betens, in der jeder sich in seine Einsamkeit verschließt,in der er Gott findet, und der Einsamkeit vor Gott, die inder Kommunikation mit Menschen durch den unendlichenProzeß liebenden Selbstwerdens ihrer Auhebung zustrebt.

Dann aber ist uns wesentlicher: Aus Augustin gewin-nen wir jene uns unerläßlichen Grundpositionen des Got-

tes- und Freiheitsdenkens, der Erhellung der Seele, und jeneGrundvollzüge der Vergewisserung, die auch ohne Offenba-rungsglauben ihre Überzeugungskrat bewahren. Mit sei-nem Denken treffen wir jenen innersten Seelenpunkt, dersich selber überschreitet, von dem her Führung und Sprachekommen, in dem sich Menschen als Menschen begegnenkönnen, auch wenn Augustins Sinn in der Vollendung undRechtertigung der absoluten Einsamkeit der Seele vor Gottliegt, Augustin läßt uns teilnehmen an seiner Erahrung derGrenzsituationen, der Hoffnungslosigkeit des Weltseins alssolchen, der Verkehrungen des Menschseins und ihrer Aus-

weglosigkeit, – und dann ist dies alles augenommen nichtin eine Freiheit der Vernunt, die ihren Weg sucht ohne Ga-rantie, in der bloßen Hoffnung au Hile, wenn sie im Ernsttut, was sie kann, sondern in die Gewißheit der Gnade, ga-rantiert durch die kirchliche Autorität und ihrer einen aus-

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schließlichen Wahrheit. Die Großartigkeit der ErscheinungAugustins ür philosophierende Menschen liegt darin, daßwir von einer Wahrheit ergriffen werden, die so, wie sie unsergreit, nicht mehr die christliche Wahrheit Augustins ist.

Für die unabhängige Philosophie bedeutet das Mitden-ken mit Augustin: die Erahrung der sachlichen und exi-stentiellen Koinzidenz seiner Denkbewegungen mit ur-sprünglich philosophischen, und die kritische Frage, wie

diese Denkbewegungen in Loslösung von dem christlichenGlaubensgrund vielleicht nicht mehr dasselbe, aber dochnoch wahr und wirksam sind.

Es ist ein ständiges Beremdetsein im Umgang mit Au-gustin. Wenn wir in seinem Gottesbewußtsein das eigenewiedererkennen, so doch zugleich (wenn wir nicht einige

Seiten aus seinem ext isolieren) in einer remden Gestal-tung, die uns enternt und die Sache, die eben aus der ieesprach, wieder unglaubwürdig macht.

Durch die Größe seines Denkens haben wir in Augu-stin das eindrücklichste Beispiel ür diesen unumgänglichenatbestand: den ungeheuren Anspruch, daß der Menschden Menschen über Gott belehren will, und daß er Zeu-gen der Offenbarung absolut setzt, die doch ür menschli-ches Wissen ohne Ausnahme selber nur irrende Menschenwaren. Wenn in diesem Anspruch auch die Liebe des Men-schen zum Menschen wirksam ist, die den anderen an der

Glaubensgewißheit teilnehmen lassen möchte, die den Ver-kündenden selber beglückt, so ist darin doch unumgänglichder Machtwille wirksam, dem ein Unterwerungswille ent-gegenkommt, der in dem Hauptpunkt nicht mehr selberdenken möchte.

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Es ist eine unheimliche Atmosphäre der hochmütigenDemut, der sinnlichen Askese, der ständigen Verschleierun-gen und Umkehrungen, die durch die christlichen Gehal-te wie durch keine anderen gehen. Augustin hat sie als er-ster durchschaut. Er kannte die Qual des Nichtstimmens,der alschen und verborgenen Motive, – das Dogma von derErbsünde hat dieses Unheil ür das Weltdasein absolut ge-macht und gleichsam gerechtertigt. Dieses Selbstdurch-

schauen ging weiter durch die christlichen Denker bis zuPascal, bis zu Kierkegaard und Nietzsche.

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Ausgewählte Schriten, Bd. 1-12 (Gottesstaat, Vorträge über das Evangelium deshl. Johannes, Bekenntnisse, Über die christliche Lehre, Vom ersten kateche-tischen Unterricht, Vom Glauben und von den Werken, Euchtridion, Briee,Fünzehn Bücher über die Dreieinigkeit), Bibliothek der Kirchenväter;München 1911-1936.

Drei Bücher gegen die Akademiker, herausgegeben v. K. Emmel; PaderbornReflexionen und Maximen, gesammelt u. übers. v. A. v. Harnack; übingen 1922.Vom seligen Leben, übers. v. J. Hessen (Phil. Bibl. Bd. 183); Leipzig 1923.

Das Handbüchlein des hl. Augustinus, übertr. v. P. Simon; Paderborn 1923.Musik, übers. v. C. J. Perl; Straßburg 1937.Gottes Weltregiment; des Aurelius Augustinus »Zwei Bücher von der Ordnung«,

übertr. v. P. Keseling; Münster (West.) o. J. (Vorwort 1939)Selbstgespräche über Gott und die Unsterblichkeit der Seele,

latein. u. deutsch v. H. Fuchs u. H. Müller; Zürich 1954Augustinus. Das Antlitz der Kirche; Auswahl

deutsch v. H. U. v. Balthasar; Einsiedeln/Köln 1942.Augustinus Leben von Possidius, übers. v. A. v. Harnack(Preuß. Akad. d. Wiss.); Berlin 1930.

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II. Literatur

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einigen; Augsburg 1865.Hertling, Georg von: Augustin; Mainz 1902.Holl, Karl: Augustins innere Entwicklung (1922); in: Gesammelte Ausätze zur

Kirchengeschichte, Bd. III; übingen 1928. Jonas, Hans: Augustin und das paulinische Freiheitsproblem; Göttingen 1930.Marrou, Henri-Irénée: Saint Augustin et la fin de la culture antique; Paris 1937 –

dazu Retractatio; Paris 1949.Mausbach, Joseph: Die Ethik des Heiligen Augustinus, 2. Bde.; Freiburg 1909.Meer, F. van der: Augustinus der Seelsorger (Übersetzung aus dem Holländi-

schen); Köln 1951Nörregaard, Jens: Augustins Bekehrung; übingen 1923.Portalié, E.: Saint Augustin; Dictionnaire de Téologie catholique,

3. Aufl.; Paris 1923, I, 2268-2472.Reuter, Hermann: Augustinische Studien; Gotha 1887.Schmaus, Michael: Die psychologische rinitätslehre des hl. Augustinus;

Münster 1927.Scholz, Heinrich: Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte – Ein Kommentar

zu Augustins de civitate dei; Leipzig 1911.

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