Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus bei planwidrigem ... · Allen Standards ist gemein, dass sie...

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Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus Öffentliches Recht Freilaw 1/2015 www.freilaw.de ISSN: 1865-0015 21 Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus bei planwidrigem Einsatz von Standardpatenten Eva Fischer Kartellrecht, der Hüter des Wettbewerbs? Führt die Gel- tendmachung von Immaterialgüterrechten zu dysfunk- tionalen Effekten, wird das Kartellrecht oft als letztes Regulierungsinstrument bemüht. Am Beispiel der wirtschaftlich begehrten Standardpatente zeigt sich jedoch, dass das Kartellrecht insbesondere bei der Abgrenzung des relevanten Marktes und bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines Patentinhabers an seine Grenzen stößt. “Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of draw- ing a line between the things which are worth to the public the em- barrassment of an exclusive patent, and those which are not.” 1 Thomas Jefferson (1813) A. Einleitung Standardisierungen können einen missbräuchlichen Umgang mit Patentschutz verstärken. Ist die Offenhaltung von Märkten Aufgabe des Kartellrechts, so gewährt ein Schutzrecht dem Inhaber ausschließliche Nutzung. Weil andere Wettbewerber im Falle eines Standardpatents auf das Patent angewiesen sind, kann der Inhaber damit potentiell Wettbewerb beschränken. Grundidee der Patenterteilung war jedoch die Schaffung von Innovationsanreiz durch die Möglichkeit zur Refinanzierung der getätigten Investitionen. Patente sollten gerade nicht zur massiven Einschränkung von Wettbewerb, der Verschließung von Märkten oder der Verhinderung neuer innovativer Ent- wicklungen dienen 2 . Die Bedeutung von bestehenden Standards könnte sich durch ständig neue Innovation relativieren 3 . Schnelle technolo- gische Entwicklung und die folgende Patentierung nämlich überholen laufend einen gesetzten Standard. Damit hat der Inhaber von Standardpatenten nur für eine begrenzte Dauer ein marktmächtiges Instrument. Längst sind Standards jedoch Gegenstand von Wettbewerbsstrategien geworden. Bereits im Standardisierungsverfahren gibt es Verfahrensmissbräuche, sogenannte Patenthinterhalte. Die Bildung von Patentpools führt zur Akkumulation großer Patentportfolios, die durch die gepoolten Standardpatente entscheidenden Einfluss am Markt haben können. Besonders im Mobilfunksektor handeln soge- nannte Privateers. Diese erhalten Standardpatente von produ- 1 Jefferson, Jefferson to Issac McPherson, 13. August 1813, in: LIP- SCOMB/BERGH (Hg.), The Writings of Thomas Jefferson, Vol. 20: The Founder’s Constitution, Volume 3, Article 1, Section 8, Clause 8, Document 12, Washington 1905, 333 ff. 2 Diskutiert beim sog. „evergreening“; deutlicher im Urheberrecht bei neuen Werkformen wie „Mash-ups“. 3 Spulber, J. Com. L. & Ec. 2013, 778. zierenden Unternehmen für Verletzungsverfahren 4 . Grundsätz- lich verstärkt werden die Folgen der Standardsetzung durch sog. Netzwerkeffekte: Aktuell wird das iPhone 6 auf dem US- Markt mit Apple Pay Funktion vermarktet. War Google mit Google Wallet bisher nicht erfolgreich, sprechen Experten nun von einer zweiten Chance für das erste mobile Kreditkarten- zahlsystem mit NFC- Technik. Denn warum, so die Argumen- tation, sollten Warenhäuser neben Apple Pay nicht auch Google Wallet zulassen: Ist Apple Pay bei Verbrauchern beliebt, wären Android- Kunden zur Nutzung von Google Wallet motiviert. Beide Systeme machen sich nämlich gegen- seitig bekannt. Die NFC- Technik wäre dann für alle Smart- phonehersteller wichtig. Damit werden NFC- Patente so bedeu- tend, dass trotz Fehlens rechtlicher Verbindlichkeit der NFC- Standard den Austausch mit einer neuen Technologie mit glei- chen Funktionen unwahrscheinlich macht. Damit kann ein Standard den Markt für neue Innovation verschließen 5 . Dennoch kann Standardsetzung auf Informations- und Technologiemärkten positiv wirken. Bei schneller technologi- scher Entwicklung und kurzlebigen Produktzyklen hat ein einzelner Unternehmer nicht ausreichend Innovationspotenzial. Dieser ist auf die Nutzung von Standardtechnologie angewie- sen. Koordination bei Standardsetzung verhindert Doppelinno- vation und senkt Marktrisiken der beteiligten Unternehmen, die sich zum Beispiel auf die Nutzung des Standards durch andere Unternehmen einstellen können 6 . In diesem Zusammenhang wird das Kartellrecht häufig als Regulationsinstrument gesehen. Als letzter Anker zur Bewah- rung funktionierenden Wettbewerbs sollen die negativen Fol- gen von Standardisierung verhindert werden. Dies soll am Beispiel von Patentpool, Patenthinterhalt und Privateers hin- terfragt werden. Bei der Anwendung des Kartellrechts durch die Europäische Kommission (Kommission) konzentriert sich diese hauptsäch- lich auf die Verwertungshandlung der Standards 7 . Um wettbe- werbsschädigende Nutzung von Patenten zu verhindern, müss- ten – so die These dieses Beitrags – kartellrechtliche Mecha- nismen jedoch vor der eigentlichen Verwertungshandlung durch Lizenzierung greifen. Denn diese – nachträgliche – Kon- trolle kann die Schäden für den Wettbewerb nur noch begren- zen. Regulative außerhalb des Kartellrechts haben sog. Stan- 4 Abzugrenzen von Patenttrollen; vgl.: Jerruss/Feldmann/Walker, Duke L. & Tech. R. 2012, 359. 5 Lemley, Cal. L. R. 2002, 1938. 6 Baron/Pohlmann, J. Com. L. & Ec. 2013, 908; Gall/Waller, J. Com. L. & Ec. 2012, 449. 7 Komm., Leitlinien für Technologietransfer- Vereinbarungen, 2014/C 89/03, Rn. 7; EUGH, Slg. 1996, 429 - Consten und Grundig.

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Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus Öffentliches Recht Freilaw 1/2015

www.freilaw.de ISSN: 1865-0015 21

Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus bei planwidrigem Einsatz von Standardpatenten

Eva Fischer

Kartellrecht, der Hüter des Wettbewerbs? Führt die Gel-tendmachung von Immaterialgüterrechten zu dysfunk-tionalen Effekten, wird das Kartellrecht oft als letztes Regulierungsinstrument bemüht. Am Beispiel der wirtschaftlich begehrten Standardpatente zeigt sich jedoch, dass das Kartellrecht insbesondere bei der Abgrenzung des relevanten Marktes und bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines Patentinhabers an seine Grenzen stößt.

“Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of draw-ing a line between the things which are worth to the public the em-barrassment of an exclusive patent, and those which are not.”1

Thomas Jefferson (1813)

A. Einleitung

Standardisierungen können einen missbräuchlichen Umgang mit Patentschutz verstärken. Ist die Offenhaltung von Märkten Aufgabe des Kartellrechts, so gewährt ein Schutzrecht dem Inhaber ausschließliche Nutzung. Weil andere Wettbewerber im Falle eines Standardpatents auf das Patent angewiesen sind, kann der Inhaber damit potentiell Wettbewerb beschränken. Grundidee der Patenterteilung war jedoch die Schaffung von Innovationsanreiz durch die Möglichkeit zur Refinanzierung der getätigten Investitionen. Patente sollten gerade nicht zur massiven Einschränkung von Wettbewerb, der Verschließung von Märkten oder der Verhinderung neuer innovativer Ent-wicklungen dienen2.

Die Bedeutung von bestehenden Standards könnte sich durch ständig neue Innovation relativieren3. Schnelle technolo-gische Entwicklung und die folgende Patentierung nämlich überholen laufend einen gesetzten Standard. Damit hat der Inhaber von Standardpatenten nur für eine begrenzte Dauer ein marktmächtiges Instrument. Längst sind Standards jedoch Gegenstand von Wettbewerbsstrategien geworden. Bereits im Standardisierungsverfahren gibt es Verfahrensmissbräuche, sogenannte Patenthinterhalte. Die Bildung von Patentpools führt zur Akkumulation großer Patentportfolios, die durch die gepoolten Standardpatente entscheidenden Einfluss am Markt haben können. Besonders im Mobilfunksektor handeln soge-nannte Privateers. Diese erhalten Standardpatente von produ-

1 Jefferson, Jefferson to Issac McPherson, 13. August 1813, in: LIP-SCOMB/BERGH (Hg.), The Writings of Thomas Jefferson, Vol. 20: The Founder’s Constitution, Volume 3, Article 1, Section 8, Clause 8, Document 12, Washington 1905, 333 ff. 2 Diskutiert beim sog. „evergreening“; deutlicher im Urheberrecht bei neuen Werkformen wie „Mash-ups“. 3 Spulber, J. Com. L. & Ec. 2013, 778.

zierenden Unternehmen für Verletzungsverfahren4. Grundsätz-lich verstärkt werden die Folgen der Standardsetzung durch sog. Netzwerkeffekte: Aktuell wird das iPhone 6 auf dem US-Markt mit Apple Pay Funktion vermarktet. War Google mit Google Wallet bisher nicht erfolgreich, sprechen Experten nun von einer zweiten Chance für das erste mobile Kreditkarten-zahlsystem mit NFC- Technik. Denn warum, so die Argumen-tation, sollten Warenhäuser neben Apple Pay nicht auch Google Wallet zulassen: Ist Apple Pay bei Verbrauchern beliebt, wären Android- Kunden zur Nutzung von Google Wallet motiviert. Beide Systeme machen sich nämlich gegen-seitig bekannt. Die NFC- Technik wäre dann für alle Smart-phonehersteller wichtig. Damit werden NFC- Patente so bedeu-tend, dass trotz Fehlens rechtlicher Verbindlichkeit der NFC- Standard den Austausch mit einer neuen Technologie mit glei-chen Funktionen unwahrscheinlich macht. Damit kann ein Standard den Markt für neue Innovation verschließen5.

Dennoch kann Standardsetzung auf Informations- und Technologiemärkten positiv wirken. Bei schneller technologi-scher Entwicklung und kurzlebigen Produktzyklen hat ein einzelner Unternehmer nicht ausreichend Innovationspotenzial. Dieser ist auf die Nutzung von Standardtechnologie angewie-sen. Koordination bei Standardsetzung verhindert Doppelinno-vation und senkt Marktrisiken der beteiligten Unternehmen, die sich zum Beispiel auf die Nutzung des Standards durch andere Unternehmen einstellen können6.

In diesem Zusammenhang wird das Kartellrecht häufig als Regulationsinstrument gesehen. Als letzter Anker zur Bewah-rung funktionierenden Wettbewerbs sollen die negativen Fol-gen von Standardisierung verhindert werden. Dies soll am Beispiel von Patentpool, Patenthinterhalt und Privateers hin-terfragt werden.

Bei der Anwendung des Kartellrechts durch die Europäische Kommission (Kommission) konzentriert sich diese hauptsäch-lich auf die Verwertungshandlung der Standards7. Um wettbe-werbsschädigende Nutzung von Patenten zu verhindern, müss-ten – so die These dieses Beitrags – kartellrechtliche Mecha-nismen jedoch vor der eigentlichen Verwertungshandlung durch Lizenzierung greifen. Denn diese – nachträgliche – Kon-trolle kann die Schäden für den Wettbewerb nur noch begren-zen. Regulative außerhalb des Kartellrechts haben sog. Stan-

4 Abzugrenzen von Patenttrollen; vgl.: Jerruss/Feldmann/Walker, Duke L. & Tech. R. 2012, 359. 5 Lemley, Cal. L. R. 2002, 1938. 6 Baron/Pohlmann, J. Com. L. & Ec. 2013, 908; Gall/Waller, J. Com. L. & Ec. 2012, 449. 7 Komm., Leitlinien für Technologietransfer- Vereinbarungen, 2014/C 89/03, Rn. 7; EUGH, Slg. 1996, 429 - Consten und Grundig.

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dardisierungsorganisationen etabliert8. Schnittstellen zum Kar-tellrecht finden sich auch im Marken- und Urheberrecht9. Ge-genstand des vorliegenden Beitrags sind jedoch Standardpaten-te.

Zunächst sollen daher ein Standard definiert und die Prob-lemlagen herausgearbeitet werden. Darauf sollen die kartell-rechtliche Verhaltens- und die Fusionskontrolle angewandt werden, um bezüglich deren Wirksamkeit zur Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs zu einer Beurteilung zu gelangen.

B. Standardsetzung auf dem Mobilfunkmarkt

I. Möglichkeiten der Standardsetzung

Standards wie NFC entstehen in Standardisierungsorganisatio-nen (SSO) wie beispielsweise der europäischen SSO ETSI10. Davon zu unterscheiden sind am Markt entstehende Standards, sogenannte de facto Standards11 und Normungen. Letztere werden von Unternehmen12 oder in staatlich anerkannten SSOs wie DIN gesetzt13.

Die NFC zugrunde liegenden Standards Bluetooth und RFID sowie NFC sind durch Patente geschützt, zu denen es (noch) keine technischen Substitute am Markt gibt14. Diese sind essentiell zur Standardimplementierung, also standardes-sentielle Patente (SEP).

Allen Standards ist gemein, dass sie aufgezeichnet werden und Regelungsgehalt haben15. Ihre wiederholte Anwendung ist durch mehrere Wettbewerber möglich. NFC kann etwa von iOS und Android getriebenen Smartphones implementiert wer-den. Ein Standard wirkt also vereinheitlichend16. Wegen dieser Gemeinsamkeiten sind Standards im Folgenden gleich zu be-handeln.

8 IPR- Policies wie Datenbank und Schlichtungsverfahren, BRUZ-ZONE/BOCCACCIO, Standards under EU Competition Law: The Open Issues, in: Caggiano,/Muscolo (Hg.), Competition Law and Intellectual Property. A European Perspektive, New York 2012, 96-111, 102. 9 Abgrenzungsvereinbarung bei Jette Joop; urheberrechtlich geschützte Schnittstellen zur Kompatibilität wie im Fall Microsoft. 10http://www.etsi.org/deliver/etsi_ts/102100_102199/102190/01.01.01_60/ts_102190v010101p.pdf (abgerufen: 6.11.2014), auch in ISO und ECMA. 11 Auch going-it-alone- Strategie, wegen steigender Investitionskosten ist die langfristige Durchsetzung wirtschaftlich unattraktiv: Lea/Hall, Info. Ec. & P. 2004, 75; etwa PAL & SECRAM; FORRESTER, The Interplay between Stand-ardization, IPR and Competition Law, in: Caggiano|Muscolo|Tavassi (Hg.), Competition Law and Intellectual Property. A European Perspective, New York 2012, 113-145, 117. 12 Sog. Werkstandards: WÖLKER, Entstehung und Entwicklung des Deutschen Normenausschusses, Berlin, u.a. 1992, 21 f. 13 Shapiron/Varian, Hav. B. S. P. 1999, 44, 228 ff.; synonyme Verwendung der Begriffe: KOMM., Leitlinien zu Technologietransfer- Vereinbarungen, 2004/C 101/02, Rn. 167. 14 Komm., Case No COMP/M.6381- Google/Motorola Mobility, Rn. 54; Ullrich, Patent Pools – policy and problems, in: Drexl, Research Handbook on Intellectual Property and Competition Law, Cheltenham/Northampton 2008, 139-161, 147. 15 Dorn, Technische Standardisierung im Spannungsfeld von Immaterialgüter-rechten, Kartellrecht und Innovation, Studien zur Rechtswissenschaft Bd. 322, Hamburg 2014, 11. 16 Auch Ziel der internationalen Standards der WTO: Struck, Product Regula-tions and Standards in WTO Law, Global Trade Law Series Bd. 45, Alphen aan den Rijn 2014, 70.

II. Märkte der Mobilfunkbranche

Grundsätzlich können in der Mobilfunkbrache drei Märkte unterschieden werden: Innovations-17, Technologie-, und Pro-duktemarkt18. Dabei ist der Innovationswettbewerb den beiden letzteren, und damit der Technologie und dem Produkt, vorge-lagert19. Dort entsteht durch Entwicklung etwa die NFC- Tech-nik. Idealerweise besteht zwischen diesen Märkten ein Wert-schöpfungszusammenhang. Einschränkungen des Wettbewerbs auf einer Stufe der Wertschöpfung aber werden durch knock-on Effekte weiter gegeben20.

Liegt ein SEP vor, ist der Innovationswettbewerb bereits abgeschlossen. Eine Technologie hat sich durchgesetzt. Daher ist der Technologiemarkt im Zusammenhang mit SEPs ent-scheidend.

III. Problemstellung auf dem Technologiemarkt bei Standardisierung

1. Patenthinterhalt

Vor der Verwendung eines Standards am Markt finden Wett-bewerbsbeschränkungen im SSO- Verfahren statt21. Beispiel-haft wird der sog. Patenthinterhalt herausgegriffen. Dabei un-terlassen Teilnehmer des SSO- Verfahrens die Offenlegung von Patenten und Patentanmeldungen, die Teil des Standards werden22. Nach Standardsetzung kann das Unternehmen mit dem Kartellrecht unvereinbare Verwertungshandlungen bege-hen oder sich kartellrechtskonform verhalten.

17 Kritisch zu Innovations“markt“, Hilty, http://www.ip.mpg.de/files/pdf2/Taetigkeitsbericht_2010-2011.pdf, (abgerufen am 1.11.2014), 36. 18 Überblick: Katz/Shelanski, Anti. L. J. 2007, 39 f.; Abgrenzung von drei Märkten: Komm., Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV, 2011/C11/01, Rn. 261; Picht, GRUR Int. 2014, 7; anwendbar wegen Gleichbe-handlung von Normung und Standardisierung: Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl., München 2012, § 8 Rn. 53. 19 Deskriptiver Begriff, engl. downstream market im Gegensatz zu upstream market, vgl. FRÜH, Immaterialgüterrechte und der relevante Markt, Schriften-reihe zum gewerblichen Rechtsschutz Bd. 181, Köln 2012, 159. 20 Wirtschaftsnobelpreisträger 2014, Jean Tirole in der Financial Times, Whipp/Harding, http://www.ft.com/intl/cms/s/0/01bc3910-52ca 11e4-a23600144feab7de.html?siteedition=intl#axzz3G6o8g1ps, (abgerufen am 14.10.2014). 21 Kooperation als Wettbewerbshindernis, negative Einflüsse auf Produk-temarkt durch Marktmacht, Ausschluss von Nichtmitgliedern und von alterna-tiver Technologie: vgl.: Walther/Baumgartner, WuW 2008, 162 ff. 22 Fall Rambus in SSO JEDEC, FTC, In the Matter of Rambus Inc., Docket No. 9302, http://www.ftc.gov/enforcement/cases-proceedings/011-0017/rambus-inc-matter (abgerufen: 6.11.2014), Immenga, GRUR Int. 2006, 929; ebenso: Dell-Fall endete mit Vergleich; FTC, In the Matter of Dell Computer Corpora-tion, Docket No. 3658, Consent Order v. 20.5.1996, S. 616 ff. (http://www.ftc.gov/system/files/documents/cases/960617dellconsentorder.pdf , Stand: 5.10.2014, 17h45); vgl. Fischmann, GRUR Int. 2010, 185; Stambler v. Diebold Inc., 11 U.S.P.Q.2d, 1709 ff. (1988); aktives Werben um Aufnahme in den Standard ohne Offenlegung der eigenen Anmeldung: Wang Laboratories, Inc. V. Mitsubishi Electronics America, Inc., 103 F3d 1571 ff. (1997); nach Verpflichtung, keine Patentanmeldungen nach Informationserhalt zu tätigen, werden Patente Teil des Standards: In the matter of Union Oil Company of California, FTC Compliant, Doc No. 9305; http://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/cases/2005/08/050802do.pdf (abgerufen: 10.10.2014). .

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2. Standards in Technologiepools

Nach Abschluss eines Standardisierungsverfahrens werden zur Lizenzierung der Patente häufig Patentpools gebildet. Dabei schnüren zumeist mehrere Parteien ein Paket meist zusammen-gehöriger Technologien, hier von SEPs23. Positiv verringert das „one-stop-shop“-Prinzip Transaktionskosten. Standards können wirksam implementiert werden, da der Hersteller die SEPs nicht separat lizenzieren muss24. Pools verringern jedoch den Anreiz, die Gültigkeit der Patente zu überprüfen und neue Technologien zu entwickeln25.

3. Standards in Portfolios von Privateers

Ebenfalls über große Patentportfolios mit SEPs verfügen auf dem Technologiemarkt Privateers26. Die SEPs werden durch andere Unternehmen an Privateers wie Rockstar übertragen. Rockstar erwarb 6000 Patente des insolventen Nortel- Kon-zerns aus finanziellen Mitteln von Apple, Microsoft, Sony, Ericsson und Blackberry27. Bei anschließenden Verletzungs-klagen gegen Wettbewerber setzen Privateers auf einen güns-tigen Vergleich. Diese sind besonders wegen der hohen Kosten bereits vor Prozessbeginn28 erzielbar. Sollte dies fehlschlagen, können attraktive Lizenzgebühren ausgehandelt werden. Prak-tischer Hintergrund ist, dass etwa Rockstar kein Interesse an sog. Kreuzlizenzen hat29, da Rockstar mangels produktiver Tätigkeit keiner Lizenzen bedarf. Somit könnte der Zugang zu SEPs erschwert und ein Wettbewerber auf dem Produktemarkt für einige Zeit verhindert werden. Die Zugangsverhinderung verringert die Produktauswahl für den Verbraucher30. Zur rechtlichen Bewertung fehlen aber oft Detailinformationen31.

C. Verhaltenskontrolle als Ausgleichsmechanismus für Standardsetzung

I. Anwendbarkeit von Kartellrecht

Lange war die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf immateri-elle Güter fraglich32. Jetzt ist anerkannt, dass Patent- und Kar-tellrecht gemeinsame Ziele von Wettbewerbs- und Wohl-standsförderung verfolgen33. Grund dafür ist schon der auf Verfassungsebene verankerte Schrankenvorbehalt des Eigen-

23 Klawitter, Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. München 2008, § 13 Rn. 302. 24 Verbruggen/Lörincz, GRUR Int. 2002, 827. 25 Heyers, GRUR Int. 2011, 215. 26 Pools als Trolle: Schickedanz, GRUR Int. 2009, 902. 27 McMillen, How Apple and Microsoft Armed 4,000 Patent Warheads, http://www.wired.com/2012/05/rockstar/all/ (abgerufen am 22.10.2014), 1; Nach Veröffentlichung dieses Artikels wird es Rockstar nicht mehr geben, s.: http://www.ft.com/intl/cms/s/0/2ab78182-8ad1-11e4-be0e-00144feabdc0.html#axzz3MzfUwW2c (abgerufen: 23.12.2014). 28 Andrews, Col. Sc. & Tech. L. R. 2011, 222. 29 Kostenreduktion, US Supreme Court in Standard Oil Co. v. United States, 283 U.S. 163 (1931). 30 Geradin, J. L. & Ec. 2013, 1126. 31 Ewing/Feldmann, Stan. Tech. L.R. 2011, Rn. 14, 90. 32 Haedicke, Handbook Patent Law, München 2014, § 1 Rn. 180; Vardner, Hav. J. L. & Tech. 2001, 226. 33 Aufgabe Inhaltstheorie, sog. Komplementaritätsthese: Drexl, GRUR Int. 2004, 720.

tums, Art. 14 II GG34. Damit ist jedes Marktverhalten an den Wettbewerbsregeln zu messen35.

II. Kontrolle durch Missbrauchsverbot einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV

Die missbräuchliche Verhaltensweise in einer SSO, eines Pa-tentpools, oder eines Privateers wie Rockstar müsste von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen.

1. Marktbeherrschende Stellung

a) Adressatenstellung

Die Teilnehmer des SSO-Verfahrens und die Mitglieder eines Patentpools erfüllen unproblematisch den funktionalen Unter-nehmensbegriff, indem sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen36. Rockstar könnte hingegen Unternehmen oder Unternehmensvereinigung sein. Eine Unternehmensvereini-gung liegt dann nicht mehr vor, wenn Rockstar aufgrund ei-genständiger Tätigkeit im Geschäftsverkehr als Unternehmen auftritt37. Rockstar handelt nach eigenen Angaben selbststän-dig38 und ist daher Unternehmen.

b) Relevanter Markt

Die unternehmerische Tätigkeit müsste auf dem relevanten Markt stattfinden. Nach dem Bedarfsmarktkonzept grenzt sich der sachlich relevante Markt nach der Substituierbarkeit der Produkte aus Sicht der Marktgegenseite ab39. Bei Patenten könnte auf die Nachfrager der Technologie bzw. des Produktes abzustellen sein.

Aus Sicht der Produktnachfrager könnten alle Smartphones mit einem NFC- Feature zum gleichen Produktemarkt gehö-ren40. Auf dem vorgelagerten Technologiemarkt ersetzt ein Patent bzw. eine Technologie wie NFC das Produkt41. Um überhaupt auf dem Produktemarkt tätig zu werden, also das Smartphone mit NFC- Feature herstellen zu können, muss Zugang zur Technologie erlangt werden42. Eine alleinige Kon-zentration auf den Technologiemarkt würde jedoch eine Sub-stituierbarkeit des Standards auf dem Produktemarkt unberück-sichtigt lassen. Bei Berücksichtigung käme es allerdings auf die Sicht der Nachfrager des Produktes an. Für den Zugang

34 Art. 17 I 3 GRCh., WALZ, GRUR Int. 2013, 719; vorher: Ausschließlich-keitsrechte stehen nicht im Widerspruch zur Wettbewerbsordnung; schutz-rechtsimmanente Schranken: Lober, GRUR Int. 2002, 7. 35 Vgl. Dorn, 206 ff. m.w.N.; Nebeneinander der Schutzrechte: Schmidt, Lizenzverweigerung als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Schriften zur Rechtswissenschaft Bd. 49, Berlin 2005, 60 ff. 36 EuGH, Slg. 2004, I-2493 Rn. 46 – AOK. 37 Zimmer, Immenga/Mestmäcker, § 1 Rn. 72. 38 „We are separate“ – John Veschi, McMillen, 1. 39 EUGH Slg. 1998, I-7791 Rn. 32 f. – Bronner; KOMM., Bekanntmachung zum relevanten Markt, 97/C 372/03, Rn. 7, 15; Kritik: FRÜH, 205 m.w.N. 40 Sofern als austauschbar angesehen: zumindest getrennte Märkte Feature Phones/Smartphones, Komm., Fn. 14, Rn. 41. 41 Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik Bd. 231, Baden-Baden 2009, 274; missverständlich zwei Produktionsstufen: EUGH, GRUR Int. 2004, 644, Rn. 45 – IMS Health; Spindler/Apel, JZ 2005, 135. 42 Bspw.: EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 - Magill, Rn. 56; Schwintowski, WuW 1999, 850.

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zum Produktemarkt relevant ist aber allein die Marktgegenseite zum Patent, also der Nachfrager der durch das Patent geschütz-ten Technologie43.

Der Umfang dieses Technologiemarktes richtet sich nun da-nach, ob andere Technologien bestehen, die gleiche Funktio-nen erfüllen. Dies können andere geschützte oder freie Lehren sein, die mit dem fraglichen Standard konkurrieren44. Dieser Grundsatz müsste nun auf das Vorliegen von SEPs übertragen werden. Dabei verzichtet die Kommission häufig auf eine Abgrenzung des relevanten Marktes, weshalb es an Kasuistik fehlt45. Dennoch müsste wegen der fehlenden Austauschbarkeit des SEPs mit anderen geschützten oder nicht geschützten Leh-ren der Markt auf das einzelne SEP begrenzt werden46. Damit bliebe aber die faktische Austauschbarkeit mit anderen Stan-dards auf dem Technologiemarkt unberücksichtigt. Überzeu-gender ist es daher, auf austauschbare Standards als auf die Austauschbarkeit des SEPs abzustellen47. Dafür spricht auch, dass es unbillig wäre, ein Unternehmen als Inhaber eines SEPs dem Kartellrecht zu unterstellen, wenn der dahinterstehende Standard auf dem Markt jeglicher Relevanz entbehrt.

Der räumlich relevante Markt besteht aus dem Wirtschaft-raum, in dem sich die objektiven Wettbewerbsbedingungen gleichen48. Im Mobilfunksektor besteht ein weltweiter Wirt-schaftsraum49. Der zeitlich relevante Markt deckt sich grund-sätzlich mit der Geltungsdauer der wettbewerbsrelevanten Maßnahme und ist daher nicht separat zu bestimmen50.

c) Marktbeherrschende Stellung auf relevantem Markt

Auf dem relevanten Technologiemarkt müsste die Marktmacht von Rockstar oder Teilnehmern der SSO ausreichen, sich un-abhängig von Verbrauchern, Wettbewerbern und Abnehmern zu verhalten51. Wird einer engen Abgrenzung des relevanten Markts gefolgt, dann hat der Inhaber eines SEPs konsequen-terweise per se eine marktbeherrschende Stellung. Denn das SEP ist zur Implementierung des Standards nicht substituierbar und der Inhaber kann sich aufgrund der Alleinstellung unab-hängig von anderen Marktteilnehmern verhalten. Mit einer solchen per se Betrachtung blieben jedoch die Marktrealitäten außer Betracht. Die tatsächliche Marktmacht eines Inhabers

43 Burghartz, Technische Standards, Patente und Wettbewerb, Schriften zum Technikrecht Bd. 10, Berlin 2011, 203. 44 Picht, Strategisches Verhalten bei der Nutzung von Patenten in Standardis-ierungsverfahren aus der Sicht des europäischen Kartellrechts, in: Drexl, Josef (Hg.), Münchner Schriften zum Europäischen und Internationalen Kartellrecht, Band 31, Bern 2013, 434 f. 45 Melischek, The Relevant Market in International Economic Law, Cambridge international Trade and Economic Law, Cambridge University Press 2013, 33, Grund: Marktbeherrschung kann ohnehin verneint werden. 46 Komm., Fn. 14, Rn. 54. 47 Komm., Fn.18, Rn. 116; Komm., Case AT.39985 – Motorola – Enforcement of GPRS Standard Essential Patents, Rn. 192. 48 EuGH, Slg. 2001, II-3414 - AAMS, Rn. 39. 49 So zumindest: “client PC operating systems, work group server operating systems and media players”, Komm., Case COMP/C-3/37.792 – Microsoft, Rn. 427; erweitert auf Betriebssysteme von Mobiltelefonen: Komm., Fn. 14, Rn. 31, 33. 50 Jakobs, Standardsetzung im Lichte der europäischen Wettbewerbsregeln, Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 259, Baden-Baden 2012, 82. 51 EuGH Rs. 85/76, Slg. 1979, 461– Hoffmann-La Roche/Kommission, Rn. 38.

hängt – zumindest wirtschaftlich – von der Bedeutung des Standards auf dem Produktemarkt ab. Bestehen dort andere Standards, die den Bedürfnissen der Verbraucher ebenfalls gerecht werden, verringert das die Marktstellung des SEP-Inhabers52. Somit bedeutet die Wesentlichkeit des SEPs für den Standard noch nicht, dass daraus Marktmacht folgt53.

Fraglich ist, woran die Marktmacht erkennbar ist. Die Marktmacht könnte sich am Marktanteil des Standards festma-chen lassen54, der durch substituierbare andere Standards auf dem Markt begrenzt wird und dadurch bestimmt werden kann55. Jedoch sind die Normadressaten die Unternehmen, die Inhaber eines SEPs, nicht aber des Standards sind. Der Anteil eines SEPs am Marktanteil, den der Standard messbar auf sich vereinigt, ist aber wohl nicht feststellbar. Denn in den Produk-ten wird der Standard, nicht das einzelne SEP implementiert56. Daher kann der Marktanteil nicht als Kriterium herangezogen werden und es ist auf das SEP, nicht auf den Standard zur Bestimmung der Marktmacht abzustellen.

Ausnahmsweise kann sich Marktbeherrschung durch ein SEP beispielsweise durch eine gesetzliche Vorschrift zur Ein-haltung eines bestimmten Standards oder aus faktischer Ver-bindlichkeit ergeben. Eine solche besteht etwa, wenn Verbrau-cher nur Produkte annehmen, die einen bestimmten Standard implementieren57.

Fraglich ist jedoch die Bestimmung von Marktmacht im Normalfall. Marktmacht könnte bestehen, wenn das SEP wie eine Marktzutrittsschranke wirkt. Dabei können Parameter wie Ablösewahrscheinlichkeit des Standards oder die Lizenzneh-merquote mitberücksichtigt werden58. Diese Marktzutritts-schranke kann sich verschiedentlich äußern. Sog. switching costs der Nutzer zwischen den Standards binden die Nutzer an einen Standard und verstärken die Marktmacht des Inhabers der dahinterstehenden SEPs59. Netzwerkeffekte etwa zwischen Google Wallet und Apple Pay haben gleiche Wirkung60. Dar-aus kann etwa ein natürliches Monopol entstehen, da neue

52 Keine Marktmacht per se: EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 - Magill, Rn. 46; Schommer, Die „essential facility“- Doktrin im Europäischen Wettbew-erbsrecht, Münchner Juristische Beiträge Bd. 38, München 2003, 210. 53 Monopolmacht bejahend: Conde Gallego, GRUR Int. 2006, 22. 54 Komm.: keine Marktmacht bei weniger als 40 %; EuGH: Marktmacht bei 75 %, EuG 70 %; zwischen 25% und 70% nachzuweisen, Übersicht: Holzmüller, Einseitige Wettbewerbsbeschränkungen als Regelungsproblem des internatio-nalen Kartellrechts, Münchner Schriften zum Europäischen und Internatio-nalen Kartellrecht Bd. 21, Bern 2009, 182; Picht, 440. 55 Ullrich, GRUR 2007, 827; Weiß, Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Kommen-tar, 4. Aufl., München 2011, Art. 102 AEUV, Rn. 14. 56 Etwa: Picht, 440. 57 Burghartz, 205. 58 EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 – Magill, Rn. 47; etwas unklar getrennt: BGH, GRUR 2004, 966 (968); Berücksichtigung von Marktverhalten, Dy-namik, Standardnutzung trotz Substituierbarkeit, Marktdynamik, Picht, 442 ff.; Maaßen, Normung, Standardisierung und Immaterialgüterrechte, KWI Bd. 13, München 2006, Rn. 547 ff. 59 Farrell/Klemperer, Coordination und Lock-in: Competition with Switching Costs und Network Effects, in: Armstrong,/Porter, Handbook of Industrial Organization, Handbooks in Economics Bd. 3, 3. Aufl., Oxford 2007, 1967-2072, 1967; sog. log-in Effekte, etwa Maaßen, Rn. 229. 60 Knott, Apple Pay nach 72 Stunden: Millionen Fans in den USA, Alibaba inklusive. Trotz prominentem Widerstand, http://www.netzwelt.de/news/149631-apple-pay-72-stunden-millionen-fans-usa-alibaba-inklusive.html, (abgerufen am 2.11.2014)1.

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Nachfrager dem bestehenden großen Netzwerk beitreten anstatt einem alternativen61. Sollte sich das Bezahlsystem durchsetzen, haben Kaufhäuser beispielsweise nur Vorrichtungen für NFC- Erkennungstechnik, nicht für alternative Datenübertragungs-möglichkeiten.

Das von Rockstar erworbene Nortel- Portfolio umfasste un-ter anderem SEPs für Wlan62. Eine Marktzutrittsschranke läge vor, wenn Rockstar anderen Unternehmen die Verwendung der Wlan-Technik untersagen könnte, da Mobiltelefone ohne Wlan für Kunden unattraktiv wären. Portfolios von Privateers zeich-nen sich durch fehlende Zusammengehörigkeit der Patente aus, so dass die vorhandenen SEPs nicht zwangsläufig genügen, um einen Standard wie Wlan gänzlich zu blockieren63. Ob eine Marktzutrittsschranke vorliegt, ist daher vom Beweisvortrag abhängig.

d) Beeinträchtigung des Binnenmarktes

Der Binnenmarkt als ganzer ist bei Vorliegen einer marktbe-herrschenden Stellung auf dem Mobilfunkmarkt aufgrund seiner internationalen Bedeutung betroffen.

e) Zeitpunkt der Marktbeherrschung

Beim Patenthinterhalt stellt sich das Problem, dass zwischen der Verwertungshandlung und der Unterlassung der Offenle-gung zu unterscheiden ist. Bei Vornahme der Missbrauchs-handlung muss Marktbeherrschung vorliegen. Während der Verwertungshandlung verleiht der implementierte Standard dem Inhaber Marktbeherrschung. Ausnahmsweise kann bei der Verletzung der Offenlegungspflicht hohe Nachfrage nach ei-nem Patent vor Standardsetzung dem Inhaber Marktmacht verleihen64. Dies dürfte aber schon deswegen selten sein, da interne Verfahrensregeln von SSOs die Standardisierung eines bestehenden Patentes oft verhindern. Daher liegt Marktmacht erst mit Standardimplementierung vor.

Bei SEPs könnte es jedoch gerechtfertigt sein, auf Markt-macht zu verzichten65. Dazu könnte rechtsvergleichend die Figur des attempt to monopolize herangezogen werden. Nach Sherman Act Section 2 ist im us-amerikanischen Rechtssystem lediglich die Wahrscheinlichkeit von Monopolmacht nachzu-weisen66. Zwar hat Art. 102 AEUV mit der Voraussetzung eines Missbrauchs eine andere Schutzrichtung, der Rechtsge-danke von Section 2 zur Erfassung missbräuchlichen Verhal-tens vor signifikanter Marktmacht könnte jedoch übertragbar sein67.

61 Heinemann, Immaterialgüterrechte in der Wettbewerbsordnung, Jus Priva-tum. Beiträge zum Privatrecht Bd. 65, Tübingen 2002, 63. 62 http://www.justice.gov/opa/pr/statement-department-justice-s-antitrust-division-its-decision-close-its-investigations (abgerufen: 22.10.2014). 63 Genau darauf baut das Prinzip von Privateers auf, da sie einen Standard wie Wlan nicht blockieren wollen, wohl aber Tantiemen durch Verletzungsverfah-ren erhalten: CRANE, Tex. L. R. 2009, 286. 64 Weck, NJOZ 2009, 1187. 65 Picht, GRUR 2014, 17. 66 Swift & Co. v. US, 196 US 375; Spectrum Sports Inc. v. McQuillan, 506 US 447, 456 (1993); gegen Ausweitung des Kartellrechts: Kobayashi/Wright, J. Com. L. & Ec. 2009, 516. 67 Bjorkman, Pug. L. R. 1982, 290; AMERICAN BAR ASSOCIATION, Anti. L. J. 1980, 1197.

Andererseits wäre eine „antizipierte“ marktbeherrschende Stellung anzunehmen, wenn aufgrund des Hinterhalts nach Standardsetzung Marktmacht erlangt würde68. Dabei ist aber bereits die Bestimmung des relevanten Marktes schwierig, da der Markt des SEPs noch gar nicht besteht69.

In Hinsicht auf die Rechtssicherheit ist beides abzulehnen. Die besondere Verantwortung des Unternehmens, die die An-wendung des Kartellrechts auf das Ausschließlichkeitsrecht rechtfertigt, ergibt sich erst mit Marktmacht. Es widerspräche auch einer liberalen Wirtschaftsordnung, wenn Kartellamt bzw. europäische Kommission auf diese Weise die Kompetenz er-hielten, jede Standardsetzung zu kontrollieren.

Aufgrund der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung von Standards ließe sich aber argumentieren, dass eine Kontrolle der Standardsetzung rechtspolitisch wünschenswert wäre. Denn durch einen Missbrauch kann eine Technologie zum Standard werden, die nicht die beste ist und somit nicht zum Wohle der Verbraucher künftig in allen Endprodukten imple-mentiert wird. Die Annahme hängt davon ab, ob sich im Fol-genden die Verletzung von Offenlegungspflichten im Zuge eines Patenthinterhalts als missbräuchlich darstellt.

2. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

a) Missbrauch durch Patenthinterhalt

Der Patenthinterhalt findet vor der Verwertungshandlung statt. Daher müsste sich die Verletzung der Offenlegungspflichten als missbräuchlich darstellen. Wie eine solche einzuordnen ist, wird unterschiedlich bewertet. Die Durchsetzung eines Patents als Standard wird von manchen Stimmen als kartellrechtsneut-ral eingestuft70. Andere weisen darauf hin, dass auch einzelne Unterlassungen der Offenlegung Teil eines Gesamtplanes sein könnten und damit als Ganzes als Missbrauch angesehen wer-den müssen71. Ferner könnten die Teilnehmer des SSO- Ver-fahrens zur Garantie unverfälschten Wettbewerbs und damit von vornherein zur Offenlegung verpflichtet sein72. Eine solche Garantenstellung wurde bisher aber nur nach Art. 101 AEUV angenommen73. Auch finden bei Patenthinterhalt nicht mehrere Missbräuche statt, sondern es wird die SSO- Pflicht zur Offen-legung verletzt74. Daher ist die Verletzung nicht missbräuch-lich. Auf eine Modifizierung des Marktmachterfordernisses kommt es folglich nicht an.

b) Missbrauch durch Privateers oder Patentpool

Bei Privateers und Patentpools stellt sich dies Problem nicht. Ihre relevanten Handlungen entstehen erst nach Standardset-

68 Petritsi, World Com. 2005, 34 ff. 69 Geradin/Rato, ECJ 2007, 160. 70 Staniszewski, JIPLP 2007, 676; berufend: EuGH, v. 6.10.1988, Rs. C-238/87 – AB Volvo v Erik Venk UK Ltd, Rn. 8. 71 Fischmann, GRUR Int. 2010, 192. 72 Loest/Bartlik, ZWeR 2008, 52. 73 Dreher, ZWeR 2008, 288, 290. 74 Brakhahn, Manipulation eines Standardisierungsverfahrens durch Paten-thinterhalt und Lockvogeltaktik, Europäische Hochschulschriften, Reihe 2: Rechtswissenschaft Bd. 5560, Frankfurt/Main 2014 , 172; dagegen: PICHT, 480.

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zung. In Betracht kommen zunächst missbräuchliche Lizenz-verträge, auf die zwar Art. 102 AEUV anwendbar ist, aber die nicht Inhalt dieses Beitrags sind.

Darüber hinaus verwendet ein Privateer präventiv vor Li-zenzverhandlungen Abmahnungsstrategien, welche einen Missbrauch begründen könnten. Ein solches Verhalten kann auch der Pool75 aufgrund der gepoolten SEPs begehen.

Ob ein solcher Missbrauch durch die Geltendmachung von SEPs vorliegt, bestimmt sich danach, ob der Beklagte dem Anspruch den sog. Zwangslizenzeinwand nach Art. 102 AEUV entgegenhalten kann. Anwendbares Recht wäre in einem sol-chen Unterlassungsverfahren das Recht des Schutzlands76. Bei einem deutschen Patent ist die Anwendbarkeit des Zwangsli-zenzeinwandes, gerichtlich mit „Orange-Book“77 bestätigt und neben § 24 PatG anerkannt78. Die gerichtliche Geltendmachung des SEPs als Ausschließlichkeitsrecht ist noch nicht miss-bräuchlich. Es müssten also weitere Umstände hinzukommen, die die Anwendung des Missbrauchstatbestands rechtfertigen79. Ein gültiges SEP wie GSM, 3G, 4G, LTE im Rockstar- Portfo-lio könnte auf dem Produktemarkt ein Erzeugnis verhindern. Diese Verhinderung wäre bei Geltendmachung aber gerechtfer-tigt. Zwar sind die Anforderungen an ein Angebot des Lizenz-suchers derzeit strittig und die Entscheidung des EuGH noch abzuwarten. Dass aber gar kein vorheriges Angebot ausreichen könnte, ist eher unwahrscheinlich80. Da ein Privateer aber gerade wahllos abmahnt, dürfte kein Angebot zum Lizenzver-trag des Beklagten vorliegen.

Sollte der Zwangslizenzeinwand dennoch greifen, etwa bei einem Pool, fehlt es an einer generellen Abschreckungswir-kung, da das einzige Prozessrisiko des Klägers in der Gewäh-rung einer angemessenen Lizenz liegt. Bereits die Erhebung der Unterlassungsklage hat erhebliches Schädigungspotenzial beim Beklagten, führt doch die drohende Unterlassungsverfü-gung in den meisten Fällen zur Einstellung des Unterfangens und zu womöglich vernichtenden wirtschaftlichen Schäden81. Langwierige Prozesse und etwaige Schadensersatzforderungen verleihen schon der Klageerhebung zusätzlich Drohpotenzial82.

3. Würdigung

Ein wirksamer Ausgleichsmechanismus müsste daher mög-lichst früh in der Wertschöpfungskette greifen. Fällt der Inno-vationswettbewerb bei Standardsetzung schon aus dem An-wendungsbereich, so kann eine marktbeherrschende Stellung bzw. eine Marktzutrittsschranke auf dem Technologiemarkt schwer nachgewiesen werden. Selbst der prozessuale Aus-

75 Die Unternehmen; der Pool selbst, sofern als juristische Person organisiert; Komm. Fn. 7, Rn. 244. 76 Pitz, Patentverletzungsverfahren. Grundlagen – Praxis – Strategie, 2. Aufl., München 2010, Rn. 236. 77 BGH v. 06.05.2009 – KZR 39/06, Rn. 26; zum damaligen Streitstand: Rn. 24 und 25. 78 BGH GRUR 2004, 967 - Standard- Spundfass. 79 Gastner, Schröter/Thinman/Mederer, Kommentar, 2. Auf., Baden-Baden, 2014, Art. 101 AEUV, Rn. 1021 (zit. NK-). 80 LG Düsseldorf, GRUR Int. 2013, 552. 81 Barthelmeß/Gaus, WuW 2010, 633. 82 Heyer, GRUR Int. 2011, 214.

gleich greift bei Privateers oft zu kurz und führt im Ergebnis zu einer angemessenen Lizenz.

Ebenso kann bei Patenthinterhalt zwar die Verwertung regu-liert, nicht aber die ursprünglich missbräuchliche Durchsetzung verhindert werden. Dahingehend sind auch die Vorschläge aus der Literatur zu verstehen, die neue Verwertungsmodelle für den Fall des Patenthinterhalts anregen wie niedrigere Lizenz-gebühren nach Patenthinterhalt oder ein transparenteres Lizen-zierungsverfahren83.

Art. 102 AEUV ist damit auf die Verwertungshandlung an-gelegt. So hat die Kommission nach Art. 9 VO 1/2003 die Möglichkeit, bei Verpflichtung zu angemessener Lizenzierung von der kartellrechtlichen Sanktion abzusehen84. Auch beför-dert ein Mangel an Offenlegung vor allem sog. hold-up Strate-gien. Das Tätigen von Investitionen in Erwartung des Stan-dards aber und die anschließende Ausnutzung dieser Abhän-gigkeit des investierenden Unternehmens durch den SEP- In-haber ist durch Lizenzregulation zu verhindern85.

III. Kontrolle durch Kartellverbot, Art. 101 AEUV

Zweiseitige Verhaltensweisen könnten bei einem Patentpool, bei Standardsetzung oder im Beispielsfall Rockstar zu spürba-ren Wettbewerbsbeschränkungen führen.

1. Koordinierung, Art. 101 I AEUV

Es müsste eine Koordinierung mindestens zweier Unternehmen über ein zukünftiges gemeinsames Auftreten am Markt vorlie-gen86. Eine Standardsetzung zwischen Unternehmen in einer SSO und Errichtungsvereinbarungen von Pools erfüllen diese Voraussetzung.

Bei Privateers könnte eine Koordinierung mit den investie-renden Unternehmen vorliegen. Zwischen diesen könnte aber ein Beherrschungsverhältnis bestehen, sodass nicht unabhängi-ge Unternehmen am Markt tätig wären. Folglich würde das sog. Konzernprivileg greifen87. Ein Beherrschungsverhältnis setzt die Möglichkeit zur Einflussnahme voraus. Dies wird bei Anteilsmehrheit, § 17 II AktG, oder bei vertraglichem Beherr-schungsvertrag vermutet. Bei Rockstar könnte dafür Indiz sein, dass systematisch nur Android nutzende Unternehmen verklagt werden und Apple den Kauf der Nortel- Patente zu überwie-gendem Anteil finanziert hat. Dies würde für ein Beherr-schungsverhältnis und das Konzernprivileg sprechen. Ob ein koordiniertes Verhalten nach Art. 101 I AEUV oder ein Be-herrschungsverhältnis vorliegt, ist eine Beweisfrage. Wird letzteres abgelehnt, dann stellen sich für die Annahme von Koordinierungen zwischen Rockstar und Apple die gleichen Beweisprobleme. Zumindest nach eigenen Angaben handelt Rockstar eigenständig. Art. 101 AEUV ist daher mangels an-ders gelagerter Beweise nicht auf Privateers anwendbar.

83 Schnelle, GRUR- Prax. 2010, 170. 84 Rambus: Komm., Pressemitteilung v. 9.12.2009, IP/09/1897; vgl.: Klees, EuZW 2010, 161. 85 Dorsey, Col. Sc. & Tech. L. R. 2013, 129; Scott Miller, Ind. L. R. 2007, 366 f. 86 Weiß, Callies/Ruffert, Art. 101 AEUV, Rn. 47. 87 Lettl, Kartellrecht, 3. Aufl., München 2013, § 2 Rn. 22.

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2. Wettbewerbsbeschränkung

Mit Koordinierung müsste nach Inhalt und Ziel der Hand-lung eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem relevanten Markt bezweckt oder bewirkt werden88. Durch Standardsetzung und die Schaffung eines Pools zur Verwertung des Standards kön-nen der Wettbewerb zwischen den Vertragsparteien verringert und alternative Technologien ausgeschlossen werden89. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt vor.

3. Spürbarkeit und Zwischenstaatlichkeit

Bei Annahme von Marktmacht ließe sich bei Vereinbarung eines internationalen Mobilfunkstandards mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass zumindest potenziell der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten betroffen ist90. Dies wäre aufgrund der Marktmacht durch SEPs91 auch spürbar. Das ist genauso wie bei Art. 102 AEUV eine Beweisfrage.

4. Ausnahmen vom Kartellverbot, Art. 101 III AEUV

Eine Freistellung des SSO- Verfahrens oder eines Pools ist möglich, wenn Vorteile für Verbraucher, Produkte und Fort-schritt überwiegen, Art. 101 III AEUV.

a) Freistellung des Standardisierungsverfahrens

Standardsetzung gilt zwar als grundsätzlich wettbewerbsför-dernd und wird generell freigestellt.

Die Kommission könnte jedoch im Rahmen der Freistellung Offenlegungspflichten als interne Verfahrensregeln verlangen, obwohl diese zu den IPR- Policies der SSO gehören92. Dadurch könnte einem Patenthinterhalt, der nicht von Art. 102 AEUV erfasst ist, vorgebeugt werden. In der SSO ETSI kam es zur Verletzung von Offenlegungspflichten, da das ETSI-Mitglied Sun Teile der Patente mit Relevanz für den neuen Standard GSM 03.19 nicht offenlegte93. Nach Bekanntwerden verlangte die Kommission eine Änderung der Verfahrensregelungen von ETSI. Dabei leitete sie ein Verfahren, gestützt auf Art. 101 AEUV, ein. Anschließend implementierte ETSI die Vorschläge der Kommission im SSO- Verfahren94. Damit waren die fol-genden Verfahren der Standardisierung von ETSI wieder nach Art. 101 III AEUV freigestellt. Somit kann die Kommission Einfluss auf Verfahrensvorschriften nehmen.

b) Freistellung eines Patentpools

Der Patentpool könnte bereits durch die TT-GVO freigestellt sein. Mangels Herstellungselement und der Vereinbarung von

88 Komm., Fn. 18, Rn. 25. 89 Komm., Fn. 7, Rn. 246. 90 EuGH, Rs. 5/69 – Völk, Rn. 7; Angleichung von Spürbarkeit und marktbe-herrschender Stellung, Aicher/Schuhmacher u.a., Grabitz/Hilf, Art. 81 EGV, Rn. 514. 91 Zimmer, Fn. 37, Art. 101 AEUV, Rn. 217. 92 Durch Setzung von Leitlinien etwa, Freistellung selbst erfolgt nicht durch Einzelfallentscheidung, Chiao/Lerner/Tirole, Rand J. Ec. 2007, 907 ff. 93 Picht, 127. 94 Komm., Pressemitteilung v. 12.12.2005, IP/05/1565.

mehr als zwei Unternehmen (Art. 1 c) TT-GVO) ist dies aber nicht der Fall95.

Daher ist auf Art. 101 III AEUV abzustellen. Positive Effek-te des Pools wie etwa Kostensenkung durch zentrale Lizenz-vergabe96 führen zu Verbesserung der Warenerzeugung und dienen dem Fortschritt. Preiskartelle und Ausschluss alternati-ver Technologien haben gegenteilige Wirkung97. Das Über-wiegen positiver oder negativer Effekte hängt entscheidend an der gepoolten Technologie. Dies bestimmt daher über die Frei-stellung.

Dafür lassen sich die Leitlinien zur TT-GVO heranziehen98, die auf die Förderung der Innovation durch Anreize für For-schung und Entwicklung abzielen99. Dafür entwirft die Kom-mission einen „Safe-Harbour“ für einen Technologiepool, also eine garantierte Freistellung.

Dies gilt für wesentliche Technologie100. Darunter fällt sol-che, die innerhalb und außerhalb des Pools kein wirtschaftlich oder technisch mögliches Substitut hat101. Solange ein SEP Patentschutz genießt und eine nicht ersetzbare Technologie schützt, kann der Pool freigestellt werden. Dass tatsächlich SEPs gemeint sind, ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss aus der Abgrenzung zu „nichtessentiellen Technologien“102.

Neu eingeführt ist, dass der Pool offen sein muss. Sensible Information darf nur eingeschränkt ausgetauscht. Nicht- Ex-klusivlizenzen zwischen Pool und Inhaber sowie Lizenzen zwischen Pool und Dritten nur nach FRAND- Bedingungen vergeben werden dürfen. Die Gültigkeit der SEPs muss über-prüfbar bleiben103. Der Ausschluss von Wettbewerbern soll damit verhindert werden. Die Beschränkung des Informations-austausches soll Missbräuche im Verfahren und sog. over dec-larations verringern104. Damit sollen Wettbewerber zur Partizi-pation und zur Lizenzierung ihrer Patente durch den Pool nach Standardsetzung durch garantierte Freistellung motiviert wer-den105. Denn ein Pool basiert auf Freiwilligkeit106. Soll dieser aber gerade seine positiven Effekte wie das „one-stop-shop“- Prinzip verwirklichen, müssen alle SEPs durch die Inhaber an den Pool gegeben werden.

Dass diese Lizenzen ferner nicht exklusiv sein dürfen, dient der Abgrenzung zu Privateers, die die Patente exklusiv erhal-ten. Durch die Möglichkeit zur ständigen Überprüfung der gepoolten SEPs kann neue Technologie auf den Markt kom-men107. Die Kommission ermöglicht damit, über Privilegierun-

95 Komm., Fn. 7, Rn. 247; Erwäg. 7, VO 316/2014. 96 Komm., Fn. 7, Rn. 245 ff.; Pfaff/Osterrieth, Rn. 214. 97 Farrell/Hayes/Shapiro/Sullivan, Anti. L. J. 2007, 614. 98 Komm., Fn. 7, Rn. 57; Frenz, EuZW 2014, 534. 99 Komm. EuZW 2014, 284; Besen/Slobodenjuk, GRUR 2014, 741; gefordert: Heyers, GRUR Int. 2011, 222. 100 Komm., Fn. 7, Rn. 261 b. 101 Komm,. Fn. 7, Rn. 252. 102 Komm., Fn. 7, Rn. 262; weniger deutlich: Komm. Leitlinien zu Technolo-gietransfer- Vereinbarungen, C(2013) 924 draft, Rn. 245: „nichtwesentliche“. 103 Komm., Fn. 7, Rn. 261. 104 Dorn, 107 ff. 105 Safe Harbour, auch bei Lizenzen, Müller/Henke, GRUR 2014, 663 f. 106 Fröhlich, GRUR 2008, 216. 107 Kriegel, Wash. U. L. R. 2006, 223.

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gen auf dem Technologiemarkt auch den Innovationswettbe-werb zu fördern.

Mit berücksichtigt werden typische IPR- Policies wie die Einschaltung von Sachverständigen und die Etablierung von Streitbeilegungsverfahren108. Somit entsteht ein starker Anreiz zu deren Einhaltung auch durch Auferlegung von Bußgeldern durch die SSO. Diese verhindert damit kartellrechtliche Sank-tionen und wird für Unternehmen interessant.

Im Safe Harbour ist der Pool freigestellt, was der Kommis-sion die Durchsetzung von wettbewerbspolitischen Zielen bei SEPs ermöglicht.

5. Würdigung

Trotz des möglichen Einflusses auf die Verfahrensvorschriften einer SSO zur Verhinderung eines Patenthinterhalts oder der Begrenzung negativer Pooling – Effekte bleiben die Folgen begrenzt109. Verfahrensvorschriften können nur als nicht rechtsverbindliche Codes of Conduct vorliegen110. Ein Scha-densersatzanspruch der SSO aus einem Gesellschaftsvertrag kann nach § 280 I BGB gegen den Verletzer bestehen111, als inter alia Pflicht aber nicht gegenüber Dritten. Ob die Patente tatsächlich standardessentiell sind, ist auch nicht überprüfbar. Besonders nach Patenthinterhalt wäre die Forderung nach Standardrücknahme effektiver. Wegen der dann verlorenen Entwicklungskosten und der log-in Effekte, die am Markt an den Standard binden112, ist dies angesichts einer unterlassenen Offenlegung eines Patents nicht interessengerecht.

Durch mehr Bereitschaft zur Partizipation, dem Ziel des Sa-fe Harbours, könnten Missbräuche verringert werden113. Sind die Verfahren attraktiver für Wettbewerber, kann das Prinzip des „one-stop-shop“ verbessert werden, da die Wahrschein-lichkeit der freiwilligen Lizenzierung wächst. Denn wegen des Bedarfs zahlreicher SEPs zur Standardimplementierung ist Pooling wirtschaftlich sinnvoll114. Der dem Safe Harbour ent-sprechende Pool hat also Ausgleichsfunktion für Schwachstel-len des SSO- Verfahrens. Insofern lässt sich ein kartellrechtli-ches Regulativ festmachen. Dieses ist jedoch wegen der blei-benden Freiwilligkeit der Teilnahme begrenzt.

D. Fusionskontrolle als Ausgleichsmechanismus nach Standardsetzung

Wenn, wie gezeigt, das Marktverhalten schwer greifbar ist, könnte bereits die Entstehung eines Privateers durch die Fusi-onskontrolle zu regulieren sein. Die Fusionskontrolle ist dabei Gegenspieler zur Verhaltenskontrolle und will die Marktstruk-tur als solche schützen. Daher könnte sie angemessenes Kon-trollinstrument sein. Dabei sollen die kritischen Punkte in Kür-ze dargestellt werden. Beispielhaft ist das Verfahren Motorola

108 Komm., Fn. 7, Rn. 265, 258. 109 Einfluss notwendig: Stadheim, Alb. L. J. Sc. & Tech. 2009, 485. 110 Etwa ECMA, Übersicht: Brakhahn, 112. 111 Maaßen, 705. 112 Staniszewski, JIPLP 2007, 670; Blind/Pohlmann, GRUR 2014, 715. 113 Tsilas, Hav. J. L. & Tech. 2004, 500. 114 Früh, 236.

Mobility/Google zu nennen, in dem die Kommission den Er-werb von SEPs gestattete.

I. Aufgreifkriterien

1. Unternehmenszusammenschluss, Art. 3 FKVO

Zwischen den Unternehmen,115 etwa Rockstar und Nortel, müsste ein Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO vorliegen116. Dafür gelten, anders als für die deutsche Fusionskontrolle, qualitative Kriterien117.

a) Voraussetzungen von Art. 3 FKVO

Auf das Beispiel Rockstar angewandt, müsste das Unterneh-men mit rund 6000 erworbenen Patenten die Möglichkeit zur bestimmenden Einflussnahme haben. Dabei ist ein Kontroller-werb i.S.v. Art. 3 I b) FKVO bereits an einem Unternehmens-teil möglich118, sofern dieser eigenen Umsatz und rechtliche Selbstständigkeit hat119. Dass Rockstar etwa nicht alle Unter-nehmensteile von Nortel kaufte, sondern nur große Teile des Patentportfolios, schadet demnach nicht. Fraglich ist weiter, wer Erwerber im Falle Rockstar wäre. Dies bestimmt sich nach Art. 3 I b) FKVO. Ein Privateers wie Rockstar könnte ein eigenes Unternehmen sein oder mit Apple, Microsoft, Sony, Ericsson und Blackberry in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen. Dies würde eine 10%-ige Beteiligung der Mutter an der Tochter voraussetzen120. Dies ist wohl nicht beweisbar. Weil einige Nortel- Patente nach dem Erwerb an Google verkauft wurden121, könnte Google, nicht Rockstar Erwerber sein. Der Zwischenerwerb durch Rockstar und der Weiterverkauf hätten jedoch vorab rechtsverbindlich festgelegt werden müssen122. Dies ist nicht erkennbar. Rockstar ist also Erwerber.

b) Problematisch: das Kontrollmittel

Im Falle des Erwerbs von SEP ist jedoch das Kontrollmittel zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der FKVO problematisch. Nach Art. 3 II 3. HS FKVO setzt Kontrolle die bestimmende Einflussnahme voraus. Die Möglichkeit (2.HS) der Ausübung über Rechte, Verträge und faktische Mittel ist durch Gesamt-schau aller Umstände zu ermitteln123. Unter einen Vermögens-erwerb nach Art. 3 I lit. a) FKVO (Asset Deal) fallen durch Übertragung124 oder Lizenzierung125 auch Patente126. Diese

115 Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 8. 116 Umsatzschwellen i.S.v. Art. 1 II FKVO dürften erreicht sein, damit ist FKVO vor §§ 37 ff. GWB anwendbar. 117 Unterschiede wegen Abweichungen in Mitgliedsstaaten, vgl. Hirsbrun-ner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 1. 118 Jaglarz, Die fusionskontrollrechtliche Behandlung von Immaterialgüter-rechtsakquisitionen im US-amerikanischen, europäischen und deutschen Recht, Osnabrücker Schriften zum Wirtschafts- und Unternehmensrecht Bd. 16, Frankfurt 2012, 209. 119 Quark, Vermögenserwerb als Zusammenschlusstatbestand in der Fu-sionskontrollverordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Dezember 1989, in: Loewenheim/Raiser (Hg.), Festschrift für Fritz Traub, Frankfurt 1994, 321-330, 323. 120 Art. 3 RL 90/435/EWG. 121 http://www.heise.de/mac-and-i/meldung/Apple-erwirbt-ueber-1000-Patente-von-Rockstar-Patentgemeinschaft-1751292.html (abgerufen: 24.11.2014). 122 Komm., Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, 2009/C 43/09, Rn. 31. 123 Henschen, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 963 f. 124 Erwerb des Vollrechts nach Art. 3 II a) 1. Alt. FKVO.

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müssten einen Geschäftsbereich bilden, dem ein Marktumsatz zuzuordnen ist127. Grund dafür ist, dass erst mit Leistung an Dritte strukturelle Veränderung der Marktbedingungen eintre-ten, die eine Anwendung der FKVO rechtfertigt128. Microsoft etwa übernahm mit Nokia auch Verkauf und Produktion von Feature- Phones129.

Problematisch ist die Übertragung rein immaterieller Assets. Statt eines Geschäftsbereichs verlangt die Kommission dann Exklusivlizenzen auf einem Gebiet mit umsatzgenerierender Tätigkeit130. Rockstar erwarb lediglich die Patente ohne um-satzgenerierende Tätigkeit. Danach wäre die FKVO unan-wendbar. Zweck dieser Einschränkung ist, dass der Erwerber in die bestehende Markstellung des Veräußerers eintreten soll, welcher ausscheidet131. So würde der Erwerb zur weiteren Marktkonzentration beitragen. Dies wäre anzunehmen, wenn die immateriellen Güter Marktbedeutung hätten. Für das Krite-rium spricht, dass die Kommission wegen der Beurteilungs-schwierigkeiten im Fall des Erwerbs rein immaterieller Assets von Unternehmensteilen in einer Gesamtschau auf den wirt-schaftlichen Gehalt des Zusammenschlusses abstellt132. Rechtsvergleichend könnte die Figur des loss of going concern hinzugezogen werden133. Scheidet der Veräußerer also aus dem relevanten Markt aus, kommt es zur Verschiebung von Markt-strukturen. SEPs gültiger Mobilfunkstandards sind Güter mit großer Marktbedeutung, denn sie sind in der Lage, die Imple-mentierung eines Standards zu verhindern. Dies spricht dafür, den Kauf von SEPs mit der Übertragung des Geschäftsbereichs gleichzusetzen134. Zahlreiche SEPs wären Kontrollmittel über einen Teil des Nortel-Konzerns.

II. Eingriffsvoraussetzungen, Art. 2 FKVO

Der Zusammenschluss müsste mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sein, sog. SIEC- Test135.

1. Relevanter Markt

Der Umfang des relevanten Marktes könnte durch die Zielrich-tung der FKVO von dem der Verhaltenskontrolle abwei-chen136. Nach der Kommissionspraxis ist dabei der Verwen-dungszweck maßgeblich137. Ein SEP kann auf dem Technolo-

125 Art. 3 II lit. a 2. Alt. FKVO, als Exklusivlizenzen: Strohmayr, GRUR 2010, 584. 126 Komm., Bekanntmachung zum Zusammenschlussbegriff, 98/C 66/02, Rn. 11; Komm. nur bezüglich „Marken oder Lizenzen“, nicht abschließende Aufzählung, Komm., Fn. 122, Rn. 24. 127 Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 16. 128 Henschen, Schulte, Fusionskontrolle, 2. Auflage 2009, Rn. 1045. 129 Komm., EuZW 2014, 85; damit FKVO wegen Nichtexklusivlizenzen nicht auf Pools anwendbar, vgl. zur Freistellung: Komm., Fn. 7, Rn. 261 d). 130 Komm., Fn. 122, Rn. 24. 131 Henschen, Rn. 1046. 132 Henschen, Rn. 1046. 133 Sec. 7 Clayton Act; JAGLARZ, 291. 134 Jaglarz, 211 f.; damit wesentlicher Teil; Streit vgl.: Immenga/Körber, Fn. 37, Art. 3 FKVO, Rn. 51 m.w.N.; nicht: Heinemann, 523. 135 Hacker, NK-Art. 2 FKVO, Rn. 8 f. 136 Komm., Definition des relevanten Marktes, 97/C 372/03, Rn. 12. 137 Keine Definition in FKVO: Rösler, NZG 2000, 762.

gie- oder Produktemarkt eingesetzt werden138. Auf dem Tech-nologiemarkt stellt die Kommission nicht auf den Standard, sondern auf das einzelne SEP ab139. Diese Reduktion ist sach-gerecht, da der Zusammenschluss von Unternehmen durch einzelne Assets und nicht durch den ganzen Standard ge-schieht. Denn das Unternehmen hat nur einzelne SEPs inne. Auf dem Produktemarkt entstehen Abgrenzungsschwierigkei-ten zwischen den Implementierungen der SEPs in den Produk-ten. Grundsätzlich besteht ein Markt für mobile devices140. Für Rockstar wäre nur der Technologiemarkt relevant.

2. Marktbeherrschende Stellung, Art. 2 III FKVO

a) Marktanteil

Kriterium für Marktmacht (Art. 2 III FKVO) des Unterneh-mens ist der Marktanteil, der sich an der Zahl und der Bedeu-tung der Wettbewerber misst141. Zwar besteht keine Marktbe-herrschungsvermutung, dennoch spricht ein Marktanteil von unter 25% gegen Marktmacht142. Die Kommission verglich das Portfolio von Google post-merger etwa mit dem des Wettbe-werbers Sony143. Rockstar wäre noch unbedeutender als Google. Marktmacht ist aber schwer am SEP zu messen144.

b) Marktzutrittsschranken

Ein Wettbewerbshindernis kann durch Zutrittsschranken ent-stehen. Anders als bei der Verhaltenskontrolle müssen diese nicht Marktmacht statuieren, sondern es müssen post-merger signifikante Wettbewerbsbeschränkungen eintreten.

aa) Wahrscheinlichkeit von Markeintritten

Diese abschottende Wirkung könnte sich an der Wahrschein-lichkeit des Marktzutritts anderer Wettbewerber messen145. Google könnte nach Erwerb Android nur noch in eigenen End-geräten, den ursprünglichen Motorola Geräten, implementie-ren146. Google generiert hauptsächlich durch Online-Dienste Einkommen. Dazu muss Android möglichst weit verbreitet sein147. Trotz Smartphones von Google können neue und be-stehende Hersteller Android nutzen. Der Zugang zum Betriebs-system und damit der Zugang zum Smartphone- Markt wird also nicht entscheidend versperrt. Durch die Abmahnstrategie von Rockstar und das fehlende Interesse an Lizenzierung könn-ten aufgrund fehlender Substituierbarkeit der SEPs Zutritts-schranken entstehen. Wettbewerber wären am Markteintritt gehindert.

138 Zwischen horizontalen, vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen zu trennen; meist verbunden und gleiche Zielrichtung der Beurteilung post-merger, Ritter/Dreher/Kulka, 1414 ff. 139 Komm., Fn. 14, Rn. 53. 140 Komm., Fn. 14, Rn. 73. 141 26. Erwäg. FKVO; Montag/Kacholt, Dauses, Handbuch des EU- Wirtschaftsrechts. Band 1, München 2014, § 4 Rn. 73. 142 32. Erwäg. FKVO. 143 Komm., Fn. 14, Rn. 110. 144 S. B.II.1.c)aa). 145 Zeise, Schulte, Fusionskontrolle, 2. Auflage 2009, Rn. 1348. 146 Komm., Fn. 14, Rn. 111. 147 Komm., EuZW 2012, 165.

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Dennoch ist der schnell wachsende Mobilfunkmarkt für po-tenzielle Wettbewerber sehr rentabel148. Dies schwächt das blockierende Verhalten von Rockstar ab. Auch ist Rockstar kein etablierter Wettbewerber, der den Wettbewerbsdruck derart verringert, dass der Eintritt für andere Wettbewerber wegen des Erwerbs der SEPs unrentabel würde. Trotz des Zusammenschlusses besteht noch potenzieller Wettbewerb. Dies spricht gegen wirksame Marktzutrittsschranken.

bb) Förderung weiterer Wettbewerber

Würden durch den Zusammenschluss Newcomer ermöglicht, würde das den Wettbewerb bestärken, statt zu beschränken149. Dennoch waren Newcomer nach bisheriger Kommissionspraxis nicht ausreichend zur Verneinung von Marktzutrittsschran-ken150. Mit Erwerb erhalten Microsoft und Google erstmals Mobilfunkpatente und hardware- Produktion151 und können Smartphones herstellen. Dies betrifft allein den Produktemarkt, weshalb dies nicht berücksichtigt wird. Berücksichtigung fin-det, ob die Bereitschaft von Google zur Lizenzierung abneh-men oder verstärkt würde, da insofern Google durch Inhaber-schaft der SEPs neuer Wettbewerber ist. Dies wird zwar ver-neint152. Bei einem Privateer würde jedoch Gegenteiliges gel-ten, denn Lizenzbereitschaft an den erworbenen assets besteht gerade nicht. Dies spräche für Beschränkungen des potenziel-len Wettbewerbs post-merger.

Ob durch Verhinderung von Newcomern also doch Markt-zutrittsschranken anzunehmen wären, kann offen bleiben, wenn es an der Kausalität nach Art. 2 III FKVO fehlt oder Abhilfemaßnahmen vorliegen.

c) Kausalität, Art. 2 III FKVO

Der Zusammenschluss zwischen Rockstar und Nortel ist nach Art. 2 III FKVO nicht zu untersagen, wenn das wettbewerbs-schädliche Verhalten nicht kausal aus dem Zusammenschluss folgt (not merger specific153)154. Nicht kausal ist unabhängiges Unternehmensverhalten155. Da etwa Nokia das Mobilgerätege-schäft mit Verkauf aufgab, könnte auch Nokia die SEPs zu Verletzungsklagen nutzen. Denn nach Zusammenschluss mit Microsoft blieben die SEPs bei Nokia, Microsoft erhielt nur für 30.000 SEPs eine Nicht-Exklusivlizenz156. Daher versicherten Microsoft und Nokia, keine Absprachen bezüglich des Um-gangs mit den Nokia- SEPs getroffen zu haben157. Nokia würde bei Abmahnung aufgrund eigener SEPs eigenständig handeln.

148 Montag/ v. Boning, Hirsch/Montag/Säcker (Hg.), Münchner Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht). Band 1: Europäisches Wettbewerbsrecht, München 2007, Art. 2 FKVO, Rn. 290 (zit. MüKo). 149 Hacker, NK-Art. 2 FKVO, Rn. 201. 150 Montag/ v. Boning, MüKo, Art. 2 FKVO, Rn. 296. 151 Besonders: WiFi, LTE, UMTS, Komm., Fn. 14, Rn. 7, 62. 152 S. C.II.2.b)aa). 153 Etwa: Komm., Fn. 156, Rn. 261. 154 Zeise, Rn. 1467. 155 Komm., Fn. 156, Rn. 224 f.; 244 (Durchsetzung von SEPs nach der Fusion), 250 (möglicher Anstieg der Gebühren), 258, 261. 156 Komm., Case No COMP/M.7047 – Microsoft/Nokia, Rn. 3 f.; d.h. kein Kontrollmittel; C.I.1.c). 157 Komm., Fn. 156, Rn. 263.

Auf die Kausalität, auch failing company defence, kommt es aber nur in der Sanierungsfunktion an158. Nokia schied wegen fehlender Wettbewerbsfähigkeit aus dem Mobilfunkmarkt post-merger aus. Rockstar aber kaufte die SEPs aus der Insol-venzmasse159 von Nortel. Damit schied Nortel nicht erst in naher Zukunft160 aus dem Markt, sondern war bereits ausge-schieden. Da Rockstar nicht zwangsläufig der Nortel- Marktan-teil zugewachsen wäre, ist das Verhalten post-merger auf den Zusammenschluss rückführbar.

d) Abhilfemaßnahmen

Ein Zusammenschluss kann auch dann nicht nach Art. 2 III FKVO untersagt werden, wenn sich die Parteien zu Abhilfe-maßnahmen verpflichten. Zwar zielt die Fusionskontrolle hauptsächlich auf strukturelle Maßnahmen zur Wettbewerbssi-cherung.161 Dennoch sind Verhaltenszusagen anerkannt162. Diese Privilegierung des Zusammenschlusses ist besonders bei SEPs sachgerecht. Denn dadurch kann die Verwertung der SEPs etwa durch FRAND- Verpflichtung erreicht werden. Ohne den fraglichen Zusammenschluss würden die SEPs näm-lich ohne Verwertungspflicht beim Veräußerer bleiben.

Google etwa verpflichtete sich zu FRAND-Lizenzen163 ebenso wie Nokia164. Rockstar sicherte zu, die SEPs aus dem Nortel- Portfolio nicht für Unterlassungsklagen zu verwen-den165. Damit war eine Genehmigung durch die amerikanische Kartellbehörde möglich. Da die spezifische Wirkung mögli-cher Zutrittsschranken dadurch entfällt, könnte dies auch von der Kommission angenommen werden.

III. Würdigung

Ist das Vorliegen von Markzutrittsschranken schon fraglich, ist bei einer Abhilfemaßnahme die Untersagung des Zusammen-schlusses nicht mehr gerechtfertigt. Wird durch den Zusam-menschluss negatives Verhalten ermöglicht, verweist die Kommission auf Art. 101, 102 AEUV166. Die Entstehung eines Privateers wird also nicht verhindert.

Die Patenthäufung bei Unternehmen wie Google oder Apple könnte aber deshalb nicht wünschenswert sein, da beispielwei-se der Kauf von Motorola durch Google hauptsächlich dazu diente, Gegenklagen gegen Rockstar anzustrengen. Handelt es sich dabei schon um unabhängiges Unternehmensverhalten, muss sich die Bewertung der Fusion auf den dafür relevanten Markt beziehen. Obwohl Google durch den Ankauf von Paten-ten nunmehr auch Smartphones herstellt und der Konzern als solcher sich vergrößert, kann nur der Markt des SEPs berück-sichtigt werden. 158 Zeise, Rn. 1468. 159 http://www.justice.gov/opa/pr/statement-department-justice-s-antitrust-division-its-decision-close-its-investigations (abgerufen: 25.10.2014). 160 Komm., Leitlinien horizontale Zusammenschlüsse, 2004/C 31/03, Rn. 89 ff.; trotz Lockerungen bestehend: Zeise, Rn. 1476. 161 Komm., Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen, 2008/C 267/01, Rn. 15. 162 EUG, Slg. 1999, II-753 - Gencor/Kommission, Rn. 319. 163 Komm., Fn. 14, Rn. 9. 164 Komm., Fn. 156, Rn. 244 ff. 165 Camesasca/Langus/Neven/Treacy, J. Com. L. & Ec. 2013, 286. 166 Komm., Fn. 14, Rn. 111.

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Ferner ist das Wohl des Verbrauchers Maßstab für die Beur-teilung des Zusammenschlusses. Dem ordnet sich die Beurtei-lung des potenziellen Wettbewerbs unter167. Ein Zusammen-schluss kann Qualität und Quantität der Innovationen för-dern168. Dies wäre zum Wohle der Verbraucher. Damit werden Zusammenschlüsse grundsätzlich nicht allzu restriktiv behan-delt. Dies ist auch sachgerecht, da die Vorhersage künftiger Marktverhältnisse schwer ist169. Gegen eine Erweiterung der Befugnisse der Kommission zu restriktiveren Fusionskontrol-len spricht auch die Vertragsfreiheit der Unternehmen i.S.v. Art. 16 GRCh170.

E. Abschließende Betrachtungen

Grundidee des Patentschutzes ist, dem Erfinder eine angemes-sene Vergütung für seine Leistungen verschaffen. Auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Unternehmen übertragen, soll durch die Möglichkeit zur Patentierung der Innovation eine Refinanzierung gesichert werden.

Mit Standardsetzung aber wird zwischen konkurrierender Technologie ausgewählt und somit deren Wettbewerb beendet. Da die Implementierung von Standards für die Kaufentschei-dung relevant ist, benötigen Unternehmen Lizenzen für die SEPs. Dabei ist die Verwertung im Technologiepool wirt-schaftlich sinnvoll. Jedoch kommt es zu ungewollter Ausnut-zung dieser Privilegierung, wenn Wettbewerber ausgeschlos-sen werden oder alte Technologie gepoolt wird. Denn dann verliert sich der Anreiz für Investitionen in Forschung und Entwicklung, weil die Refinanzierung versperrt ist. Daher ist die Freistellung eines Pools an wettbewerbsschützende Krite-rien zu binden.

Verläuft aber schon die Standardsetzung missbräuchlich, ist zweifelhaft, ob sich die beste verfügbare Technik durchsetzt. Kartellrechtlich bedenklich ist insbesondere der Patenthinter-halt; dieser fällt nicht unter Art. 102 AEUV. Die Prävention

167 Werden, Consumer welfare and competition policy, in: Drexl/Kerber/Podszun (Hg.), Competition Policy and the Economic Approach, Cheltenham/Northampton 2011, 11-43, 17; international: „total welfare“, Evans, The consumer and competition policy: welfare, interest and engage-ment, in: Ezrachi (Hg.), Research Handbook on International Competition Law, Cheltenham/Northampton 2012, 545-564, 547 ff. 168 Buss, The Impact of Technological Acquisitions to Innovation Quality, in: Audretsch/Lehman/Link (Hg.), Technology Transfer in a global Economy, Boston 2012, 143-184, 144; zurückhaltende Genehmigung bei Effizien-zgewinn, Kokkoris, Merger control: substantive issues, in: Lianos/Geradin (Hg.), Handbook on European Competition Law, Cheltenham/Northampton 2013, 516-560, 559. 169 Mackenrodt, IIC 2005, 116 f. 170 Jarass, Kommentar, 2. Aufl., München 2013, Art. 16 GRCh, Rn. 1; vgl. Art. 2 I GG.

mit Hilfe der Durchsetzung von Verfahrensvorschriften über die Freistellung des Standardisierungsverfahrens nach Art. 101 III AEUV bietet geringen Schutz. Dem Schutzzweck besonders evident zuwider läuft die Abmahnstrategie eines Privateers, welcher damit auf Verringerung des Substitutionswettbewerbs zielt171. Neben stattfindender Wettbewerbsverzerrung erfolgt durch das Patent keine Refinanzierung und nicht nur eine Ver-hinderung des Imitationswettbewerbs. Wegen Beweisfragen und wegen fehlender Marktmacht eines Privateers ist Art. 101, 102 AEUV meist unanwendbar. Zwar könnte die Entstehung über die FKVO reguliert werden. Ist dabei aber das Kontroll-mittel schon fraglich, verhindern Abhilfeerklärungen die An-wendung von Art. 2 III FKVO. Eine Abhilfeerklärung abzuge-ben, ist aber reizvoll, da die Abmahnstrategie eines Privateers auch mit nicht standardessentiellen Patenten gelingen kann. Andererseits scheint sich dieses Strategie nicht durchzusetzen. Zumindest zeigt der Ausverkauf aller Rockstar- Patente und die Beruhigung der Patentkriege in eine andere Richtung.

Auf Standardpatente kann wegen Marktzutrittsschranken al-so grundsätzlich Kartellrecht angewandt werden. Eine Kontrol-le von Offenlegungspflichten und Privateers unterbleibt. Über die Freistellung ist ein geringes Maß an Kontrolle möglich. Abgesehen von Ausnahmen kann das Kartellrecht damit nur zur Kontrolle der Lizenzierung der Patente greifen und ist damit ein Mittel zur Schadensbegrenzung.

Die Autorin war studentische Hilfskraft bei Herrn Prof. Dr. D. Murswiek und ist derzeit am Max-Planck-Institut für Innova-tion und Wettbewerb in München. Sie studiert Rechtswis-senschaft und Geschichte (BA) an der Ludwig- Maximilians- Universität München. Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Seminararbeit im Schwerpunktbereich 3 (Wettbewerb, Geistiges Eigentum und Medienrecht) zum Thema „Gebrauch und Missbrauch von Schutzrechten: Kar-tellrecht als Ausgleichsmechanismus?“ im WS 2014/15.

171 Lamping, Innovationsförderung nach TRIPS, in: Hilty/Jeager/Lamping (Hg.), Herausforderung Innovation, MPI Studies on Intellectual Property and Competition Law Bd. 17, Heidelberg 2012, 119-143, 143.

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