Keraunia (Beiträge zu Mythos, Kult und Heiligtum in der Antike) || Cirrus, Mallos oder Horuslocke...

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Cirrus, Mallos oder Horuslocke – Überlegungen zu einem römischen Knabenporträt in der Berliner Antikensammlung Mirko Vonderstein In der Berliner Antikensammlung im Alten Museum ist ein römisches Kna- benporträt mit einer ungewöhnlichen Frisur ausgestellt (Taf. 34). Vor mehr als achtzig Jahren erstmals publiziert, ist der »eindrucksvolle Kopf« (Erika Simon) später nur gelegentlich wieder erwähnt worden, so dass es lohnend erscheint, ihn an dieser Stelle erneut und ausführlich vorzustellen 1 . Der in der Berliner Antikensammlung gezeigte Kopf stammt ursprünglich aus der Sammlung des Hofrats Sigmund Röhrer. Geboren am 21. April 1861 in Vachendorf bei Traunstein studierte Röhrer zunächst Rechtswissenschaften und Philosophie, war dann jedoch als Künstler tätig und widmete sich dem Aufbau einer eigenen, in seiner Villa am Ammersee aufbewahrten Kunst- sammlung 2 . Der Schwerpunkt seines Interesses lag bei süddeutscher Kunst des 18. Jahrhunderts, doch umfasste seine Sammlung auch zahlreiche antike Ob- jekte, die er zumeist auf seinen Reisen durch die Mittelmeerländer erworben hatte. Nachdem Röhrer bereits 1912 einige mittelalterliche Stücke sowie Ge- mälde an das Bayerische Nationalmuseum und die Alte Pinakothek in Mün- chen gestiftet hatte, wofür ihm der Titel eines Hofrats verliehen wurde, machte Abbildungsnachweis: Taf. 34–36: Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung (Taf. 34, 1–3; 35, 1. 2: J. Laurentius; übrige Photographen unbekannt). 1 Ich danke dem Direktor der Berliner Antikensammlung, Andreas Scholl, für die Er- laubnis, den Kopf an dieser Stelle publizieren zu dürfen; ihm und den Kollegen in der Antikensammlung, vor allem Norbert Franken, Huberta Heres, Volker Kästner, Wolfgang Maßmann und Agnes Schwarzmaier, danke ich außerdem für weiterfüh- rende Hinweise. Der Fotograf der Berliner Antikensammlung, Johannes Laurentius, fertigte freundlicherweise eine Serie von Neuaufnahmen des Kopfes Sk 1894 an, durch die das Stück nun erstmals auch in der Rückansicht photographisch dokumen- tiert ist. Ihnen, liebe Frau Kron, gilt nicht zuletzt mein besonderer Dank für lang- jährigen Rat und tatkräftige Unterstützung! 2 Kurze biographische Hinweise zu Sigmund Röhrer im Vorwort bei A. Feulner, Die Sammlung Hofrat Sigmund Röhrer im Besitze der Stadt Augsburg (Augsburg 1926) sowie in G. Grünsteudel (Hrsg.), Augsburger Stadtlexikon 2 (Augsburg 1998) 756 f. s. v. Röhrer, Sigmund (G. Krämer). Brought to you by | St. Petersburg State University Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/18/13 2:26 PM

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  • Cirrus, Mallos oder Horuslocke berlegungen zu einem rmischen Knabenportrt

    in der Berliner Antikensammlung

    Mirko Vonderstein

    In der Berliner Antikensammlung im Alten Museum ist ein rmisches Kna-benportrt mit einer ungewhnlichen Frisur ausgestellt (Taf. 34). Vor mehr als achtzig Jahren erstmals publiziert, ist der eindrucksvolle Kopf (Erika Simon) spter nur ge legentlich wieder erwhnt worden, so dass es lohnend erscheint, ihn an dieser Stelle erneut und ausfhrlich vorzustellen1.

    Der in der Berliner Antikensammlung gezeigte Kopf stammt ursprnglich aus der Sammlung des Hofrats Sigmund Rhrer. Geboren am 21. April 1861 in Vachendorf bei Traunstein studierte Rhrer zunchst Rechtswissenschaften und Philosophie, war dann jedoch als Knstler ttig und widmete sich dem Aufbau einer eigenen, in seiner Villa am Ammersee aufbewahrten Kunst-sammlung2. Der Schwerpunkt seines Interesses lag bei sddeutscher Kunst des 18. Jahrhunderts, doch umfasste seine Sammlung auch zahlreiche antike Ob-jekte, die er zumeist auf seinen Reisen durch die Mittelmeerlnder erworben hatte. Nachdem Rhrer bereits 1912 einige mittelalterliche Stcke sowie Ge-mlde an das Bayerische Nationalmuseum und die Alte Pinakothek in Mn-chen gestiftet hatte, wofr ihm der Titel eines Hofrats verliehen wurde, machte

    Abbildungsnachweis: Taf. 3436: Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung (Taf. 34, 13; 35, 1. 2: J. Laurentius; brige Photographen unbekannt).

    1 Ich danke dem Direktor der Berliner Antikensammlung, Andreas Scholl, fr die Er-laubnis, den Kopf an dieser Stelle publizieren zu drfen; ihm und den Kollegen in der Antikensammlung, vor allem Norbert Franken, Huberta Heres, Volker Kstner, Wolfgang Mamann und Agnes Schwarzmaier, danke ich auerdem fr weiterfh-rende Hinweise. Der Fotograf der Berliner Antikensammlung, Johannes Laurentius, fertigte freundlicherweise eine Serie von Neuaufnahmen des Kopfes Sk 1894 an, durch die das Stck nun erstmals auch in der Rckansicht photographisch dokumen-tiert ist. Ihnen, liebe Frau Kron, gilt nicht zuletzt mein besonderer Dank fr lang-jhrigen Rat und tatkrftige Untersttzung!

    2 Kurze biographische Hinweise zu Sigmund Rhrer im Vorwort bei A.Feulner, Die Sammlung Hofrat Sigmund Rhrer im Besitze der Stadt Augsburg (Augsburg 1926) sowie in G.Grnsteudel (Hrsg.), Augsburger Stadtlexikon 2(Augsburg 1998) 756 f. s. v. Rhrer, Sigmund (G.Krmer).

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    er 1925 etwa 1000 weitere Objekte der Stadt Augsburg zum Geschenk. Als Gegen leistung erhielt er eine Leibrente3. Am 26. Mrz 1929 starb Rhrer in Mnchen.

    Zu den Stcken fr Augsburg gehrten vor allem sddeutsche Kunst des Barock und Rokoko, aber auch Antiken wie Terrakotten, Bronzen, gyptische und syrische Kunsterzeugnisse sowie einige wenige Skulpturen darunter der hier besprochene Kopf. Nach der bergabe wurde die Hofrat-Rhrer-Samm-lung sogleich im Dominikanerkloster St.Magdalena, heute Sitz des Rmi-schen Museums Augsburg, ausgestellt und 1926 durch Adolf Feulner publi-ziert4. Bei der Bestimmung der antiken Objekte half laut Vorwort des Sammlungskatalogs Theodor Wiegand, zu jener Zeit Direktor der Antiken-abteilung der Museen in Berlin. Vermutlich ber diese Verbindung gelangte der Kopf bereits am 23. April 1926 als Dauerleihgabe in die Berliner Antiken-sammlung5. Im Austausch gaben die Berliner einen ursprnglich zu Augs-burg im Lech gefundenen, rmischen Helm aus der zweiten Hlfte des 1. Jhs. n. Chr. aus der Sammlung Lipperheide nach Augsburg6. Der Tausch wurde 1961 bei einem Briefwechsel zwischen der Charlottenburger Antikensamm-lung und dem damaligen Maximilian-Museum in Augsburg, heute Rmisches Museum der Stadt Augsburg, noch einmal bekrftigt, auch wenn sich der Kopf

    3 Nach Sigmund Rhrer ist in Augsburg auch eine Strae (Hofrat-Rhrer-Strae) be-nannt.

    4 Feulner a. O. (Anm. 2) 86 Nr. 1 mit Abb. 105. 106.5 Der Kopf wird noch einmal ausfhrlicher besprochen von Blmel 1933, 45 Taf. 64

    (R 109), anschlieend meist nur kurz erwhnt oder als Vergleichsstck angefhrt von (in chronologischer Reihenfolge): R.Zahn, Das Kind in der antiken Kunst, Vor-trag vom 20. 11. 1926, FuB 12, 1970, 30 Taf. 1, 3 (der Kopf war offenbar gerade frisch nach Berlin gekommen, s.die Angabe Zahns jetzt in Berlin); H. Ch. van Gulik, Catalogue of the Bronzes in the Allard Pierson Museum I (Amsterdam 1940) 7 (zu Nr. 12); Gonzenbach 1957, 39 Anm. 90; 43. 44 Anm. 105; Ch. Schwingen-stein, Stdtische Kunstsammlungen Augsburg, Rmisches Museum (Augsburg 1973) 7; G.Grimm, Die rmischen Mumienmasken aus gypten (Wiesbaden 1974) 105 mit Taf. 58, 4; Simon 1980, 175. 176; E.Alfldi-Rosenbaum, Characters and Caricatures on Game Counters from Alexandria, in: A.Bonacasa A.di Vita (Hrsg.), Alessandria e il mondo ellenistico-romano. Studi in onore di Achille Adriani II (Rom 1984) 388 Anm. 44 (Nr. 4); Goette 1989, 216 (Nr. 1); A.Bohne in: F.Fless K.Moede K.Stemmer (Hrsg.), Schau mir in die Augen Das antike Portrt. Aus-stellungskatalog Berlin (Berlin 2006) 184 Nr. 497.

    6 Der rmische Eisenhelm vom Typ Weisenau mit Fundortangabe Augsburg stammte ursprnglich aus der Sammlung von R.Forrer, Straburg, der ihn 1901 im Kunst-handel erworben hatte, bevor er ihn an den Berliner Verleger Franz von Lipperheide verkaufte. Letzterer wiederum bergab seine Helmsammlung 1905 den Berliner Mu-seen. In der Antikensammlung wird er mit der Inv.-Nr. L 84 gefhrt, in Augsburg er-hielt er die Inv.-Nr. VF 1053; s.G.Waurick in: Antike Helme. Sammlung Lipper-heide und andere Bestnde des Antikenmuseums Berlin (Mainz 1988) 531 f. Nr. 115 mit weiteren Literaturangaben. Zum Tausch s.auch noch einmal Schwingenstein a. O. (Anm. 5) 7.

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    zu diesem Zeitpunkt im Ostberliner Teil der Antikensammlung befand7. Dort wurde er offenbar zunchst im Magazin aufbewahrt, bis er schlielich seinen Platz in der Ausstellung erhielt8.

    Der 22cm hohe Kopf aus hellem, weiem Marmor beeindruckt sogleich durch die feine, qualittvolle Bildhauerarbeit9. Besonders auffallend sind in der Frontalansicht die hohe Stirn, die groen Augen und das sich stark ver-jngende, nach unten nahezu v-frmig zulaufende Gesicht. Dieser Eindruck wird vor allem durch die schmalen Wangen hervorgerufen, die kaum Volumen besitzen. Die Wangenknochen treten nicht hervor, und auch das Kinn ist wenig prononciert. Allein an der rechten Schlfe ist das Knochengerst un-ter der Haut erkennbar. In der Profilansicht fllt die starke Wlbung des Oberkopfes auf, der mit der Stirn nahezu ein Halbrund bildet. Die Wangen-partie erscheint in dieser Ansicht sehr flchig, die zurckspringende Unter-lippe und das leicht fliehende Kinn bilden eine abfallende Diagonale. Die Augenbrauen sind geritzt, den flachen Orbitalen liegt ein breites, plastisch hervorgehobenes Oberlid auf, die Iris ist ebenfalls eingeritzt, und die Pupillen sind gebohrt. Die Lippen haben nur wenig Volumen und sind leicht geschwun-gen.

    Besondere Aufmerksamkeit verdient die Frisur. Vom Ansatz ber der Stirn und an den Seiten ist das Haar straff nach hinten gekmmt. Am Hinterkopf laufen drei breite Haarstrnge zusammen (Taf. 34, 2). Dort werden sie zu einem kleinen Zopf gelegt, der von einem Band gehalten wird. Das kurze Ende des Zopfes ist offenbar am Hinterkopf nach oben genommen oder leicht ein-gerollt. Die beiden Enden des Haarbandes fallen lose links und rechts neben dem Zopf herab. Keinesfalls kann mit der Haargestaltung eine Kurzhaarfrisur gemeint sei, wie hufig in der Literatur zu lesen ist10. Gegen diese Annahme sprechen ganz entschieden der flieende bergang von oberer Stirnpartie und Haaransatz sowie die strenge Ausrichtung aller Haarstrhnen auf den Zopf am Hinterkopf.

    7 s. Brief des damaligen Direktors der Antikenabteilung der Staatlichen Museen zu Berlin in Charlottenburg, Adolf Greifenhagen, an den Direktor des Maximilian-Museums vom 8. 11. 1961 mit Besttigung vom 22. 11. 1961 (laut Karteikarte in der Antikensammlung zum Helm) sowie noch einmal durch Ulrich Gehrig, ebenfalls Antikensammlung in Charlottenburg, mit Brief vom 18. 12. 1969 mit der Bitte um Zusendung von Photos des Helmes.

    8 Der Kopf hatte in der Sammlung Rhrer die Inv.-Nr. 91; in der Berliner Antiken-sammlung wurde er am 10. 11. 1959 mit der Inv.-Nr. Sk 1894 inventarisiert und im spter angelegten Leihgabenbuch als Leihgabe vermerkt (22. 11. 1983).

    9 Tiefe von Hinterkopf bis Nasenspitze 20cm.10 s.Feulner a. O. (Anm. 2) und zuletzt Bohne a. O. (Anm. 5). Das Bildnis des Philippus

    Minor in Castle Howard, das zeitlich unserem Portrt entsprechen drfte (s. u.), zeigt zumindest ber der Stirn noch einen kleinen Absatz, der das auf dem Kopf auf liegende Haar markiert, whrend die Schlfenhaare bergangslos ansetzen, K.Fittschen, Mdchen, nicht Knaben, RM 99, 1992, Taf. 80, 4.

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    Der am Hals auf Hhe des Kinns gebrochene Kopf ist insgesamt gut erhal-ten; leichtere Bestoungen oder kleinere Fehlstellen finden sich allein an bei-den Ohren sowie an der linken Augenbraue. Am Hinterkopf ist zudem das untere Ende des Zopfes unterhalb des Haarbandes teilweise ergnzt; die erhal-tenen Reste zeigen aber, dass dabei die ursprngliche Form gewahrt blieb. Die beiden herabhngenden Enden des Bandes, mit dem das Haar zusammenge-halten wird, sind gebrochen und wieder zusammengefgt worden. Mehrere, zum Teil wohl nach der Auffindung geschlossene waagerecht verlaufende Risse umziehen den Kopf unterhalb von Ohren, Haaransatz im Nacken und Nase. Hinten am Nacken sind einige weitere Fragmente bei einer Restaurie-rung wieder zusammengefgt worden. Der Kopf scheint zudem vor allem im Gesicht eine starke Reinigung erfahren zu haben. Dabei knnten auch Versin-terungen, die noch seitlich am Haar zu sehen sind, weggenommen und die ori-ginale Oberflche stellenweise abgearbeitet worden sein11.In der Erstpublikation von Feulner wird der Kopf als Portrt eines etwa sech-zehn Jahre alten Knaben von ausgesprochen semitischem Typus beschrie-ben. Robert Zahn sieht in dem Bildnis das eines syrischen Knaben und eine gute Wiedergabe der seelischen Eigenart des Stammes, und auch Victorine von Gonzenbach mchte zumindest eine nicht-rmische Schdelbildung erkennen12. Dabei gehen diese Beurteilungen offenbar auf die Angaben zurck, dass der Kopf 1912 bei Nachmann in Kairo erworben (siehe Feulner) und in Alexandria (siehe Blmel) gefunden worden sei13. Es gibt bisher keine Grnde, an einer gyptischen Herkunft des Kopfes zu zweifeln, zumal auch zahlreiche andere antike Objekte der Sammlung Rhrer aus gypten stammen, darunter ein schnes Frauenportrt, das ebenfalls in Alexandria gefunden wor-den sein soll14. Doch sind mit einer gyptischen Herkunft nicht gleich auch afrikanische oder aber orientalische Gesichtszge zu erwarten, wie nicht nur der bereits genannte Frauenkopf aus der Sammlung Rhrer zeigt15. Unvorein-genommen lassen sich bei dem Kopf in Berlin jedenfalls keine ausgeprgten

    11 Hinweise zu den vermutlich in der Zeit nach der Auffindung restaurierten Stellen verdanke ich W.Mamann, Restaurator der Berliner Antikensammlung, anlsslich einer gemeinsamen Autopsie des Kopfes.

    12 Feulner a. O. (Anm. 2); Zahn a. O. (Anm. 5); Gonzenbach 1957, 44 Anm. 105. Bl-mel 1933, 45 sieht hingegen in der knstlerischen Haargestaltung aegyptische Formgebung, was ich so nicht erkennen kann.

    13 Nicht mehr nachvollziehen lsst sich, woher Blmel 1933, 45 die Fundortangabe hat. Mit der Angabe Nachmann bei Feulner drfte der in Kairo ansssige, fr seine Zeit bedeutende Antikenhndler Maurice Nahman (18681948) gemeint sein.

    14 Zu den aus gypten stammenden Objekten der Sammlung Rhrer s.Feulner a. O. (Anm. 2) 88 Nr. 6290, vgl. auch Schwingenstein a. O. (Anm. 5) 7; zum marmornen Frauenkopf (um 120/130 n. Chr.) Feulner a. O. (Anm. 2) 86 Nr. 3; K. Parlasca in: Parlasca Seemann 1999, 267 Nr. 172.

    15 Zu weiteren rmischen Portrtkpfen aus gypten s. unten die Literaturhinweise unter Anm. 68.

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    ethnischen Merkmale, sondern m. E. allein physiognomische Besonderheiten erkennen wie der im Profil stark gewlbte Oberkopf, die hohe Stirn und der trapezfrmige, sich nach unten verjngende Gesichtsumriss16. Vor allem der Eindruck der zu den Seiten stark ausladenden Kalotte drfte durch die ohne Zsur ansetzenden Haare hervorgerufen sein, die obgleich streng zurckge-kmmt eigenes Volumen haben17.

    Das Alter ist bei Kinderportrts hufig nur schwer einzuschtzen, was auch Hans R. Goette betont. Er macht den meist ernsten Gesichtsausdruck fr eine in der Regel zu hohe Einschtzung des Alters verantwortlich18. So er-scheint auch mir die von Feulner vermutete Altersangabe von etwa sechzehn Jahren fr den Kopf als zu hoch. Stattdessen mchte ich in dem Bildnis das etwa lebensgroe Portrt eines zwlf bis vierzehnjhrigen Kindes bzw. Jugend-lichen sehen. Schlielich bleibt noch die Frage zu beantworten, ob es sich berhaupt um die Darstellung eines Knaben handelt, wie von Feulner angege-ben und in der Literatur bisher auch nicht bezweifelt wurde. So knnte die Fri-sur mit Zopf am Hinterkopf zunchst theoretisch auch auf ein Mdchen hin-weisen. Das Geschlecht jedoch nur anhand der Physiognomie zu entscheiden, ist oftmals nicht leicht, und so hat bereits Klaus Fittschen bei Kinder-darstellungen mit kurzgeschnittener Fransenfrisur auf die Schwierigkeit hin-gewiesen, das Geschlecht ohne weitere Hinweise sicher zu bestimmen19. Fr

    16 Auch Borg 1996, 160 f. (vgl. auch Borg 1998, 44) warnt zumindest am Beispiel der Mumienportrts davor, hinter den Darstellungen nach ethnischen Zugehrigkei-ten zu suchen, da die Mumienportrts eine ethnisch stark durchmischte Gesell-schaft(sschicht) reprsentieren, in der nur noch ganz vereinzelt griechische bzw. nrdliche, semitische und gyptisch-afrikanische Elemente greifbar sind. Vgl. hierzu auch St. Schmidt, Das hellenistische Alexandria als Drehscheibe des kulturellen Aus-tauschs? (Katalog), in: Beck Bol Bckling 2005, 592 Nr. 165, der bei einem mnnlichen Kopf aus grnem Basalt des 1. Jhs. v. Chr. aus Alexandria (heute London, British Museum) keine negroiden Einschlge erkennen kann.

    17 Vgl. einen vermutlich etwa zeitgleichen (s. u.) Mnnerkopf in Turin, G. Cantino Wataghin, Ritratti inediti del Museo di Antichit di Torino, in: N. Bonacasa G. Rizza (Hrsg.), Ritratto ufficiale e ritratto privato. Atti della II Conferenza in-ternazionale sul ritratto romano, Roma 26.30. 9. 1984 (Rom 1988) 2628 Abb. 4. 5. Mit weit ausladendem Schdel beschreibt K.Schade auch den Kopf der Berliner Knchelspielerin, der dem hier diskutierten Portrt auch aufgrund der nur flach ausgearbeiteten Melonenfrisur hnelt, ohne dass in der Knchelspie-lerin bisher fremde Einflsse in der Physiognomie vermutet wurden, K. Schade, Die zwei Gesichter der Berliner Knchelspielerin, JbBerlMus 40, 1998, 190 mit Abb. 5.

    18 Vgl. Goette 1989, 209 mit Anm. 26; Borg 1996, 116.19 Fittschen a. O. (Anm. 10) 301305 bezweifelt bei zwei Kinderbildnissen aus der

    Mitte des 3. Jhs.n. Chr. im Cleveland Museum of Art und im Wellesley College Mu-seum, dass mit ihnen Knabenportrts gemeint sind. Es handelt sich hierbei allerdings um die Darstellung von Kindern im Alter von etwa vier bis fnf Jahren mit eingeritz-ter Bubikopf-Frisur. Bei lteren Mdchen msste man um die Mitte des Jahr-hunderts hingegen stark gewelltes Haupthaar erwarten, vgl. die Portrts von Julia

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    Mumienportrts gelten bisweilen hnliche Probleme20. Eine definitive Ant-wort hinsichtlich des hier betrachteten Portrts lsst sich erst im Zusammen-hang mit der Deutung der ungewhnlichen Haartracht geben, deren Ur-sprnge im Anschluss nher untersucht werden sollen21. Bis dahin wird der Kopf hier der Einfachheit halber weiter als Knabenbildnis angesprochen.

    Vergleichsweise unproblematisch ist die Datierung des Portrts. So weist die kappenartige Haargestaltung bereits in die Zeit der Soldatenkaiser. Gute Vergleiche finden sich bei Bildnissen Gordians III. (reg. 238244 n. Chr.); hier sind allerdings noch einfache Pickungen als Haarangabe mit der a-penna-Technik kombiniert22. Einen Schritt weiter geht die Haargestaltung bei Por-trts des Philippus Minor (reg. 247249 n. Chr.): Bei ihnen werden die Ein-kerbungen lnger, und es sind nicht mehr wie noch bei Gordian III. jeweils zwei von ihnen parallel gesetzt, um einzelne Haarspitzen anzudeuten. Statt-dessen verlaufen die Pickungen wie bei dem Kopf in Berlin mehr oder weniger in Streichrichtung des Haares23. Eine Datierung des Kopfes in Berlin kurz vor der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. erscheint daher sinnvoll24.

    Die ungewhnliche Frisur hat in der Forschung zu unterschiedlichen Deu-tungen des Kopfes Anlass gegeben. Die lteste Interpretation stammt von Carl Blmel, der in dem Haarschopf einen typischen Hinweis auf den Sklavenstand des Dargestellten sah25. Dabei bezog er sich auf eine Besprechung zweier Kna-benkpfe mit Locken bzw. Zpfchen durch Johannes Sieveking, die dieser

    Mamaea bis Etruscilla, s.M. Bergmann, Studien zum rmischen Portrt des 3. Jahr-hunderts n. Chr. (Bonn 1977) Taf. 7. 8.

    20 Borg 1996, 115118 und u. a. ein Mumienbildnis im Kopenhagener Nationalmu-seum, Inv. 3892, s.Borg, 1998, 55 Abb. 69 und H. G. Frenz in: Parlasca Seemann 1999, 153 Nr. 52.

    21 Bei Frauenportrts ist diese Frisur jedenfalls nicht zu finden, s.D. Ziegler, Frauen-frisuren der rmischen Antike Abbild und Realitt (Berlin 2000).

    22 s.K. Fittschen P. Zanker, Katalog der rmischen Portrts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom I (Mainz 1985) 128130 Nr. 108. 109.

    23 Bergmann a. O. (Anm. 19) 3537; zu Fragen der Haargestaltung s.auch K.Fittschen, Bemerkungen zu den Portrts des 3. Jahrhunderts n. Chr., JdI 84, 1969, 206214. 218.; H. v. Heintze, Studien zu den Portrts des 3. Jahrhunderts n. Chr., RM 66, 1959, 179.

    24 ber die Datierung des Kopfes herrscht auch in der Literatur weitgehend Einigkeit: Zahn a. O. 30: 2.3. Jh. n. Chr.; Blmel 1933, 45: um die Mitte des 3. Jhs. n. Chr.; Gonzenbach 1957, 43: Mitte des 3. Jhs. n. Chr.; Grimm a. O. (Anm. 5) 105: um 250 n. Chr.; Simon 1980, 175: 3. Jh. n. Chr.; allein bei Feulner a. O. (Anm. 2) 86 findet sich die vermutlich auf Wiegand (s. o.) zurckgehende Einordnung aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, der nachhadrianischen Zeit. Mit dieser zeitlichen Einordnung gut vereinbaren lsst sich auch die Form der Augenbohrung, vgl. K.Par-lasca in: Parlasca Seemann 1999, 265 Nr. 170 zu einem in Angabe der Haarstrh-nen und Augenbohrung sehr hnlichem Knabenportrt mit Jugendlocke im Muse Royal de Mariemont, Morlanwelz (2. Viertel 3. Jh. n. Chr.).

    25 Blmel 1933, 45.

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    ebenfalls als Darstellungen von Sklaven deutete, ohne hierfr allerdings ent-sprechende Vergleiche beibringen zu knnen26. Auch wrde es verwundern, dass gerade ein Sklave mit einem derart qualittvollen und sicherlich entspre-chend kostspieligen Portrt geehrt wurde, zumal Marmor aus Griechenland oder Kleinasien nach gypten importiert werden musste27. Und so hat auch V. von Gonzenbach, die den Kopf in der Berliner Antikensammlung im Rah-men ihrer Untersuchung zu den Knabenweihen im Isiskult behandelt, dieser berlegung zu Recht widersprochen. Allerdings ordnet sie ihn nicht in die Reihe von Kpfen mit sog. Jugend- oder Horuslocke ein, die fr den Isiskult typisch sind und auf die hier weiter unten noch detaillierter eingegangen wer-den soll. Stattdessen sieht sie in der Haartracht ein typisches Kennzeichen fr die Athletenfrisur, den sog. cirrus28. Er kennzeichnet seit dem 1. Jh. n. Chr. und verstrkt im 3./4. Jh. n. Chr. die Darstellungen von Athleten, hufig, jedoch nicht ausschlielich, von Faustkmpfern. Wie V. von Gonzenbach aber selbst anmerkt, zeichnet sich diese, auf Mosaiken und auch bei Kleinbronzen und in der Groplastik wiedergegebene Haartracht dadurch aus, dass der Schdel na-hezu kahlrasiert bzw. das Haupthaar kurz geschoren ist bis auf vom Haarwir-bel am Hinterkopf ausgehende, lange Haarlocken. Diese knnen wiederum nahe am Schdel durch ein Band zusammengehalten sein und stehen dann flammenartig vom Hinterkopf ab, oder sie legen sich, wie bei einem Portrt-kopf in Berlin (Taf. 35, 1), sternfrmig auf das Hinterhaupt29. Eine andere Va-riante zeigen noch einige Bronzestatuetten, aber auch Darstellungen auf Mo-saiken und Spielsteinen aus Alexandria: Die Haarlocke hat hier ebenfalls am

    26 J.Sieveking, MJb 1, 1906, 151 f.27 Vgl. K.Parlasca in: Parlasca Seemann 1999, 267 zu Nr. 172; K.Parlasca, Rundplas-

    tische, zumeist kaiserzeitliche Bildnisse aus gypten, in: Beck Bol Bckling 2005, 390.

    28 von Gonzenbach 1957, 42 f. Zum cirrus s.B. Gssowska, Cirrus in Vertice One of the Problems in Roman Athlete Iconography, in: Mlanges offerts Kazimierz Michaowski (Warschau 1966) 421427; R.Boyer, Bronze figur en Agenais, Aqui-tania 15, 1997/98, 319326; J.-P. Thuillier, Le cirrus et la barbe, MEFRA 110, 1998, 351380; J.-P. Thuillier, Sport im antiken Rom (Darmstadt 1999) 145148; Z.Newby, Greek Athletics in the Roman World (Oxford 2005) 50 mit Anm. 30.

    29 Kopf in Berlin, Sk 465 (Mitte 3. Jh. n. Chr.): Blmel 1933, 48 Taf. 77; E.Khne C. Ewigleben (Hrsg.), Caesaren und Gladiatoren. Ausstellungskatalog Hamburg (Mainz 2000) 83 Abb. 72; vgl. auch einen hnlichen und auch zeitlich entsprechen-den Kopf aus Aphrodisias: J. Inan E. Alfldi-Rosenbaum, Rmische und frh-byzan tinische Portrtplastik aus der Trkei. Neue Funde (Mainz 1979) Taf. 144, 1. 3. 4 (Nr. 190). Eine gute bersicht ber die Tragweisen des Zopfes geben die Um-zeichnungen vor allem der Mosaikdarstellungen bei Thuillier a. O. (Anm. 28 [1998]) 354356. Zu einem seit dem 19. Jh. bekannten, krzlich erneut vorgestellten bron-zenen Balsamarium in Form eines Athletenkopfes mit cirrus s.C. Tovar, Battered but Unbeaten. A New Getty Acquisition, Apollo. The International Magazin of Collec-tors 2008, H. 2, 6267; vgl. die Gegenberstellung mit dem Berliner Kopf Sk465 in B.Schrder, Sport im Altertum (Berlin 1927) Taf. 32.

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    Wirbel ihren Ursprung, ist jedoch deutlich lnger als bei den zuvor genannten Beispielen und fllt als schmale Haarstrhne ber den Hinterkopf und teil-weise bis in den Nacken; bisweilen scheint sie zudem wie zu einer Schlaufe hochgelegt zu sein30. Das Haupthaar ist aber auch in diesen Fllen kurz gehal-ten. Hierin liegt der grundstzliche Unterschied zwischen Darstellungen mit cirrus und dem Knabenkopf in Berlin, bei dem das gesamte Haupthaar lang gewachsen und am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengefasst ist. Eine typische Athletenfrisur kann also nicht gemeint sein, auch wenn auffllig ist, dass einige der Athletendarstellungen mit cirrus, so auf den Spielsteinen oder bei den Bronzestatuetten, ebenfalls aus Alexandria bzw. Untergypten stam-men31.

    In eine andere Richtung geht die Deutung von Goette, der in der Nachfolge von V. von Gonzenbach noch einmal ausfhrlich Knabenbildnisse mit Ju-gend-/Horus locken zusammengestellt und diskutiert hat32. Wie V. von Gon-zenbach sieht er in diesen Portrts, die aus nahezu allen Teilen des Rmischen Reiches bekannt sind, Bildnisse von Knaben, die im Kindesalter der Isis ge-weiht waren, ohne bereits als vollwertige Mysten in den Kult aufgenommen worden zu sein33. Zu den Darstellungen zhlen neben rundplastischen Werken auch zahlreiche Mumienbildnisse34. Kennzeichen sind wie bei den Darstel-lungen des gyptischen Horusknaben jeweils eine oder mehrere Haarstrhnen, die deutlich lnger sind als das brige, krzer getragene Haupthaar. Gelegent-

    30 s. zwei Kpfchen aus Blei in Warschau, Gassowska a. O. (Anm. 28) 422 Abb. 1. 2. Zu den Spielsteinen aus Alexandria s. Alfldi-Rosenbaum a. O. (Anm. 5) 387389 Taf. 68 f. Nr. 1720; S.Walker, Gaming Counters with Portraits, in: S.Walker P.Higgs (Hrsg.), Cleopatra of Egypt. Ausstellungskatalog London (London 2001) 316 f. (s.vor allem Nr. 331). Der Einwand von Alfldi-Rosenbaum, es handle sich in diesen Fllen nicht um einen cirrus, da dieser nicht so lang sei, berzeugt nicht im-mer; so tragen einige der Athleten, die auf dem Mosaik aus den Thermen bei der Porta Marina in Ostia dargestellt sind, einen hnlich langen, bis weit in den Nacken fallenden cirrus wie die Darstellungen auf den Spielsteinen: Thuilier a. O. (Anm. 28 [1998]) 363 Abb. 10.

    31 s. z. B. eine ebenfalls Anfang des 20Jhs. in Kairo von Nahman zum Kauf angebotene Bronzestatuette eines Athleten: D.Kent Hill, Catalogue of Classical Bronze Sculp-ture in the Walters Art Gallery (Baltimore 1949) 67 f. Nr. 142 Taf. 31.

    32 Goette 1989.33 von Gonzenbach 1957, 74 Anm. 191 hatte unter den Portrts mit Jugendlocke auch

    Bildnisse von Mdchen erkennen wollen, doch fehlen hierfr zweifelsfreie Belege, s.Goette 1989, 205 f. Zur berlegung, dass die Knaben mit Jugendlocke der Isis geweiht waren, s.Goette 1989, 209 f.; Borg 1996, 114; Borg 1998, 68 f.; anders je-doch W.Burkert, Antike Mysterien 2(Mnchen 1991) 32, der die Frisur als Brauch ikonographischer Apotheose frhverstorbener Kinder deutet; vgl. auch A.Backe-Dahmen, Innocentissima aetas Rmische Kindheit im Spiegel literarischer, recht-licher und archologischer Quellen des 1. bis 4. Jhs. n. Chr. (Mainz 2006) 94; A.Backe-Dahmen, Die Welt der Kinder in der Antike (Mainz 2008) 116.

    34 Borg 1996, 113121; Borg 1998, 68 f.

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  • Cirrus, Mallos oder Horuslocke 169

    lich ist aber auch der gesamte Kopf bis auf die langen Haarstrhnen kahl-rasiert. Auf den Bildzeugnissen wird diese Locke meist hinter dem rechten Ohr gezeigt wie bei einer 1854 in Smyrna im Kunsthandel erworbenen Bste im Besitz der Berliner Antikensammlung (Taf. 35, 2)35. Beides, Kahlrasur und eine Locke an der rechten Kopfseite, seien auch so der am Anfang des 5. Jhs. n. Chr. schreibende Macrobius bestimmend fr das Bild des Horus36. Vereinzelt sitzt bei den rmischen Knabenbildnissen die Locke jedoch an anderen Stellen des Kopfes. Diese Beobachtung nahm V. von Gonzenbach zum Anlass, hierin eine chronologische Abfolge zu vermuten: Anfangs, im 1. Jh. n. Chr., sei die Jugendlocke als Strhne am Hinterkopf, anschlieend als Zopf und erst seit hadrianischer Zeit den altgyptischen Horusbildnissen entsprechend seitlich am Kopf getragen worden37. Dieser zeitlich orientierten Systematik widerspricht Goette, da zumindest einige der Portrts aufgrund ihrer Datierung nicht in dieses Schema passen38. Damit wrde die Position, aber auch die Art, wie die Locke getragen wurde, ob als Strhne oder zu einem Zopf geflochten, keine weiteren Differenzierungen zulassen; entscheidend sei allein, dass es sich bei allen diesen Bildnisse um Portrts von Knaben handle, die eine besondere Beziehung zu den Isis-Mysterien hatten39. In diesen Kon-text ordnet Goette nun auch den Kopf in Berlin ein, der ja von V. von Gonzen-bach aus der Gruppe von Portrts mit Horuslocke ausgeschieden worden war40.

    hnliche Bedenken, wie sie hier zuvor bereits im Zusammenhang mit dem cirrus geuert wurden, gelten aber auch fr die von Goette zu einer Gruppe zusammengeschlossenen Kpfe: So ist die von Darstellungen des Horos-Kna-ben abgeleitete Jugendlocke, wie bereits erwhnt, dadurch charakterisiert, dass sie ebenfalls als lange Haarstrhne aus kurz geschorenem Haar hervorwchst41. Zur Vorsicht, unseren Kopf unvoreingenommen mit dem Isis-Kult in Verbin-dung zu bringen, mahnt bereits Erika Simon, allerdings aus anderen Grnden:

    35 Sk 429; s.A.Conze, Beschreibung der antiken Skulpturen mit Ausschluss der perga-menischen Fundstcke (Berlin 1891) 169 Nr. 492; K.Jucker, Das Bildnis im Bltter-kelch (Olten 1961) 28 Anm. 3. Mit dem eingeritzten Schriftzug auf der Brust wird der dargestellte Knabe als bezeichnet.

    36 Macr. Sat. 1, 24, 1314: Apud esodem Apollo, qui est sol, Horus vocatur: [] Idem Aegyptii volentes ipsius solis nomine dicare simulachrum figuravere raso capite, sed dextra parte crine remanente.

    37 von Gonzenbach 1957, 3963.38 Goette 1989, 205; s.zuletzt auch Backe-Dahmen a. O. (Anm. 33 [2006])93 f.39 Goette 1989, 208.40 Goette 1989, 216 (D) Bildnisse mit einem Zpfchen am Hinterkopf Nr. 1. An zwei-

    ter Stelle fhrt Goette hier noch einen Bronzekopf im Moskauer Puschkin-Museum an, der sich allerdings von unserem Kopf dadurch unterscheidet, dass nahezu der ganze Schdel kahlrasiert ist mit Ausnahme mehrerer, zu einem Zopf gedrehter Haarstrhnen, s. von Gonzenbach 1957, 38 Taf. 3.

    41 s. L III (1980) 273 f. s. v. Jugendlocke (Ch.Mller); vgl. Borg 1996, 117.

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  • 170 Mirko Vonderstein

    Erst wenn der Fundort bekannt sei, knne man die Kpfe mit Mittelzopf auch zweifelsfrei einem speziellen Kult zuweisen42.

    Hinzu kommt, dass das Alter der Isis-Knaben in der Regel niedriger ist, wie in einigen Fllen die zugehrigen Inschriften, aber auch die Darstellungen selbst zeigen, mit denen jung Verstorbenen auf Grabmonumenten gedacht wurde: Die meisten waren noch keine zehn Jahr alt43.Nur erwhnt seien an dieser Stelle auch noch rmische Bronzestatuetten un-terschiedlichen Typus, die ebenfalls hnliche, im Detail aber doch von unse-rem Kopf abweichende Frisuren besitzen. Der erste Typus zeigt einen voll-kommen in einen Mantel eingehllten Knaben, nur der Kopf mit zu Boden gesenktem Blick ist freigelassen. Das Haar wird kurz getragen, und am Hinter-kopf befindet sich wieder eine lange Locke44. Auch hierbei drfte es sich um einen Horus-Knaben handeln. Ein zweiter Typus stellte einen in der Regel als Possenreier oder Sklaven gedeuteten Mann mit kurzem Chiton dar, dessen Haar am Hinterkopf zu einem Schopf zusammen gefasst wird im Unter-schied zum hier diskutierten Bildnis allerdings weiter oben am Kopf und von kegel- oder sternfrmigem Aussehen, wie die beiden Statuetten in der Berliner Antikensammlung zeigen (Taf. 35, 3. 4)45. Ein dritter Typus, ein Knabe mit auf dem Rcken gefesselten Hnden, trgt ebenfalls wieder kurzes Haupthaar mit Ausnahme einer lngeren Locke am Hinterkopf46.

    42 Simon 1980, 176.43 Goette 1989, 209 mit Anm. 27. Ein etwas lterer, vielleicht zehn- bis zwlfjhriger

    Knabe scheint auf einem Grabmedaillon aus Flavia Solva dargestellt zu sein, s.E.Diez, Horusknaben in Norcium, Jh 49, 196871, 115 Abb. 2. Zu Erwachse-nendarstellungen mit Horuslocke gehren auerdem zwei Bronzestatuetten in Baltimore und Athen, die einen Ptolemer beim Ringkampf zeigen, H. Kyrieleis, , AntPl 12 (Berlin 1973) 133147; H.Kyrieleis, Die Bild-nisse der Ptolemer, AF 2 (Berlin 1975) 173 E 6. 7 Taf. 43, vgl. Goette 1989, 205 Anm. 12; D. Willers, Ptolemische Fingerringe eine Suchanzeige, AntK 50, 2007, 89 f.

    44 s.J. Petit, Bronzes Antiques de la collection Dutuit (Paris 1980) 95 f. Nr. 34; 97 Nr. 35.45 Taf. 35, 3: Antikensammlung Berlin, Inv. Fr. 2127: K.Neugebauer, Die griechischen

    Bronzen der klassischen Zeit und des Hellenismus (Berlin 1951) 89 f. Nr. 73 Taf. 39 (weitere Informationen in der von W.-D. Heilmeyer und N.Franken erarbeiteten di-gitalen Bilddatenbank Friederichs, [05. 04. 2010]). Taf. 35, 4: Inv. 30927: Neugebauer a. O. 90 f. Nr. 74 Taf. 39. Die Statuette Inv. 30927 erinnert hinsichtlich der Frisur am ehesten an den Athle-tenkopf Sk465 (Taf. 35, 1), unterscheidet sich jedoch von diesem durch das lange Haupthaar. Zum Typus der Bronzestatuetten vgl. auch van Gulik a. O. (Anm. 5) 8 f. Nr. 13 Taf. 6.

    46 van Gulik a. O. (Anm. 5) 6 f. Nr. 12 Taf. 6. Die Bronzestatuette gehrte vormals zur Sammlung von Bissing und stammt ebenfalls aus Untergypten, F. W. Frhr.von Bis-sing, Hellenistische Bronzen aus gypten, Jh 15, 1912, 78 f. Abb. 5557; bei der ebenfalls dort (S.80 Abb. 58) wiedergegebenen Bronzestatuette aus der Sammlung Dattari knnte es sich wieder um einen Athleten mit kurz geschorenem Haupthaar und cirrus handeln.

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  • Cirrus, Mallos oder Horuslocke 171

    Scheiden somit sowohl cirrus als auch Horuslocke als Interpretation aus, so hat vor einiger Zeit Barbara Borg im Zusammenhang mit den von ihr behan-delten Mumienportrts auf ein gyptisches Ritual aufmerksam gemacht, das auch auf den Berliner Kopf zutreffen knnte47. Ausgangspunkt fr ihre ber-legungen waren Mumien portrts von in der Regel lteren Knaben, deren Haar-tracht sich deutlich von denen der Isis-Knaben mit einzelnen langen Haar-strhnen bei sonst kurzem Haar oder kahlgeschorenem Haupt unterscheidet: Bei ihnen ist das Haar hinten am Kopf mit einem Band zu einem Zopf zu-sammengefasst48. Dass es sich bei den Dargestellten um Knaben und nicht um Mdchen handelt, ist aufgrund der weien Gewnder und des Fehlens von Schmuck in den meisten Fllen sehr wahrscheinlich49; allein auf einem Mu-mienportrt im gyptischen Museum in Kairo ist auch ein Mdchen mit klei-nem Nackenzopf abgebildet50.

    Borg trennt auerdem noch einmal Portrts mit kurzem Kalottenhaar, das nicht in den Zopf am Hinterkopf miteingebunden ist, von solchen mit lan-gem, in der Mitte gescheitelten Haar, das in der Locke zusammengefasst ist51. Richtig ist zwar, dass in der ersten Gruppe der Mittelscheitel fehlt, doch scheint mir auch in diesen Fllen das Haar jeweils lang gewachsen und am Nacken zu einem Zopf zusammengefasst zu sein, so dass sich diese beiden Untergruppen nicht derart konsequent voneinander scheiden lassen. Dies be-trifft auch zwei Mumienportrts in Berlin, die in die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. (Taf. 36, 1) bzw. in die zweite Hlfte des 3. Jhs. n. Chr. (Taf. 36, 2) datiert und von Borg in die erste Untergruppe mit kurzem Kalottenhaar eingeordnet wer-den52. Bei beiden drfte stattdessen ber der Stirn und an den Kopfseiten nach hinten gestrichenes, langes Haar gemeint sein, das am Hinterkopf gut sichtbar zu einem Zopf zusammengefasst ist. Dieser ist jeweils unter dem rechten Ohr zu sehen53. Wie bei dem rundplastischen Portrt sind auch bei den beiden Mu-

    47 Borg 1996, 112121; Borg 1998, 55 f.48 Borg 1996, 115, Gruppe 3. Einen tatschlich kahlgeschorenen Kopf mit Ausnahme

    der langen Haarlocken zeigt allein das Mumienportrt im J. Paul Getty Museum, Malibu, s.Parlasca 196980, III 67 Nr. 647 Taf. F.

    49 s.Borg 1998, 56.50 Kairo, gyptisches Mus., C. G. 33216: Parlasca 196980, I 48 Nr. 83 Taf. 20, 2;

    s.Borg 1998, 70 Abb. 84. Auffllig ist auch, dass das Mdchen im Dreiviertel-Profil von links zu sehen ist, whrend mit Ausnahme von Parlasca 196980 I Nr. 153 alle anderen Portrts eine Dreiviertel-Ansicht von rechts wiedergeben.

    51 Borg 1996, 115: Gruppe 3 a und 3 b.52 Taf. 36, 1: SMB Berlin, Antikensammlung, Inv. 31161, 23, s.Parlasca 196980, II 96

    Nr. 473 Taf. 115, 1; Borg 1996, 115 Taf. 31; Borg 1998, 69 Abb. 82 (von Borg aller-dings in der Beischrift zur Abbildung als Isisknabe bezeichnet), U.Schdler in: Parlasca Seemann 1999, 158 Nr. 56. Taf. 36, 2: SMB Berlin, Antikensammlung, Inv. 31161, 41, s.Parlasca 196980, II 96 Nr. 474 Taf. 115, 2; Borg 1996, 115 Taf. 42; Borg 1998, 94 Abb. 116 (hier als Knabe mit Jugendlocke beschrieben).

    53 Bei den Mumienbildnissen Parlasca 196980, III 6265 Nr. 654. 659. 660. 663. 665 Taf. 155, 1; 156, 2. 3. 6; 157, 1 knnte ebenfalls langes, nach hinten gestrichenes

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  • 172 Mirko Vonderstein

    mienbildnissen die lose herabfallenden Enden der Binde, mit der das Haar zu-sammengehalten wird, deutlich erkennbar54.

    Fr die Erklrung der Frisur hat Borg, Vorarbeiten von Dominic Montserrat und Bernard Legras folgend, m. E. bereits auf die richtige Verbindung auf-merksam gemacht55. Erste Hinweise auf die Bedeutung der Frisur gibt eine in der Forschung in diesem Zusammenhang bereits mehrfach zitierte und be-sprochene Stelle bei Lukian von Samosata, Das Schiff oder Die Wnsche (23)56: Vier befreundete Athener unterhalten sich im Pirus ber ein gerade eingetroffenes gyptisches Getreidefrachtschiff, auf dem sie auch einen Kna-ben sehen, der das Haar von beiden Schlfen zurckgekmmt und hinten zu einem Knoten oder Zopf () gebunden hat. Er spricht griechisch mit fremdem Akzent57. Nachdem der Knabe aufgrund seiner Herkunft und Frisur zunchst als Sklave gedeutet wird, kann einer der vier Athener die Haartracht als Kennzeichen einer edlen Geburt erklren, die in gypten bis zum Er-reichen des Jnglingsalters getragen wurde. Diese Beobachtung lsst sich nun mit einem bisher nur aus gypten bekannten Brauch verbinden, der erst jngst mit Hilfe einiger Papyri rekonstruiert wurde58. So enthlt einer der Papyri die Reste eines Briefes aus dem Jahr 58 n. Chr., in dem ein alexandrinischer Brger davon berichtet, wie seinem Sohn Theon im groen Serapeum der Mallos abgeschnitten worden sei ( ) zu Ehren der Stadt und in An-wesenheit des Priesters und alexandrinischer Offizieller59. Dabei hat Mallos, ursprnglich eine Bezeichnung fr ein Bschel Wolle, hier offenbar eine hnliche Bedeutung wie oder cirrus und ist als Haarbschel oder -strhne zu verstehen60. In einem anderen Papyrus vom Ende des 3. Jhs. n. Chr. wird eine Personengruppe als Mallokureten ( []) be-zeichnet61. Ein weiterer Papyrus beinhaltet die Einladung durch einen Apollo-nios aus Anlass der Feier einer Mallokuria. Mit diesem Ereignis drfte das Abschneiden des Mallos gemeint sein, wenn die vorgeschlagene Ableitung von dem Substantiv (= die Schur, das Scheren) bzw. dem Verb (= scheren) richtig ist62. Hier sind es vielleicht die Brder des Apollonios, die

    Haar gemeint sein, doch haben hier die langen Haarlocken ihren Ausgangspunkt jeweils ber dem rechten Ohr.

    54 Auf die Sichtbarkeit wurde offensichtlich besonderer Wert gelegt, vgl. Borg 1996, 117.55 Montserrat 1991; Legras 1993.56 s. auch Grimm a. O. (Anm. 5); Gonzenbach 1957, 5052; Legras 1991, 125; Borg

    1996, 119 f.; Borg 1998, 56.57 [] [] und

    [], [].58 s.Montserrat 1993; Legras 1991, 125.59 P.Oxy XLIX 3463, Z. 69, vgl. Montserrat, 1993, 45 mit Anm. 8; Legras 1991, 114 f.60 s.Legras 1991, 120, vgl. Borg 1996, 116.61 P.Oxy. XXIV, 2407, Z. 37 f., s.Legras, 1991, 115 f.; Montserrat 1993, 45.62 P.Oxy. XII, 1484, s. Legras 1991, 115 f.; Montserrat 1993, 45. Alternativ wre an

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  • Cirrus, Mallos oder Horuslocke 173

    die Mallokuria durchlaufen, doch ist das entsprechende Bezugswort im Origi-nal nicht erhalten. Auch in diesem Fall scheint jedenfalls die Zeremonie im Rahmen der Verehrung von Serapis ( ) stattgefunden zu haben63. Aus einem letzten Papyrus, dem Schreiben des alex-andrinischen Brgers Herakleides, geht schlielich erneut hervor, dass das Abschneiden des Mallos im Serapeum und darber hinaus in Anwesenheit offi zieller Vertreter der Stadt vollzogen wurde und den bergang zum Erwach-senenalter bzw. zur Ephebie markierte64. Legras vermutet fr einige Mallo-kureten schlielich auch die Zugehrigkeit zum Kreis der sogenannten Gym-nasiumsklasse und der sogenannten 6475 arsinoitischen Katken, d. h. zu Bevlkerungsgruppen, die sich auf griechischen Ursprung zurckfhrten65. Demnach scheint die Mallokuria ein Brauch gewesen zu sein, wie er mit dem aus vielen anderen griechischen Poleis und Kulten bekannten Haaropfer im Rahmen des bergangs von Kindes- zum Erwachsenenalter vergleichbar ist66.Wenn die Verbindung der bildlichen berlieferten Haartracht mit dem aus-gehend von den Papyri rekonstruierten Ritual zutrifft, dann ist nicht nur mit den Mumienportrts, sondern auch mit dem Kopf das Bildnis eines Mallo-kureten erhalten67. Dabei handelt es sich um das einzige mir bisher bekannte

    dieser Stelle allerdings auch die Lesung mglich, worauf Legras und Montserrat ebenfalls hinweisen, doch spricht im Zusammenhang mit den anderen Zeugnissen einiges fr .

    63 Legras bezieht zudem zwei weitere Papyruszeugnisse auf die Mallokuria, auch wenn die entsprechenden Begriffe hier nicht genannt bzw. aus den vorhandenen Buchstaben ergnzt werden mssen, Legras 1991, 114 (BGU I, 38); 118 (P. Mil. Vogl. II, 60).

    64 P.Oxy. XXIV, 3464, vgl. Legras 1991, 114.65 Legras 1991, 119 f.; vgl. Borg 1998, 56. 66 s.W. Burkert, ThesCRA II (2004) 118 f. s. v. Initiation Puberttsweihen; W. Burkert,

    Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (Stuttgart 1977) 120 f. 67 Einen Zusammenhang des Portrtkopfes in Berlin mit rmischen Mumienmasken,

    nicht jedoch mit den Mumienportrts hat bereits Grimm a. O. (Anm. 5) 105 gese-hen, der fr das 3. Jh. n. Chr. einen starken Einfluss von rundplastischen Portrts auf die Mumienmasken nachweist und als verbindendes Merkmal die Jugendlocke nennt. Th.Lorenz in: E.Simon (Hrsg.), Fhrer durch die Antikenabteilung des Martin von Wagner Museums der Universitt Wrzburg (Mainz 1975) 253 (vgl. auch Simon 1980, 176 Anm. 32) macht bei dem Kopf eines Kindes (H 4832) auf ein viereckiges Loch an dessen Hinterkopf aufmerksam, auf dessen Grund sich eine wei-tere kreisrunde Vertiefung befindet. Reste eines Eisenstiftes (vgl. Lorenz a. O. und H.Mbius, Antike Kunstwerke aus dem Martin von Wagner-Museum. Erwerbungen 19451961 [Wrzburg 1962] 17 zu Nr. 8) sind hingegen nicht zu erkennen, wie mir Irmgard Wehgartner freundlicherweise mitteilte, der ich auch fr das Zusenden von Photos der Kopfrckseite sehr herzlich danke. Dennoch war in der Vertiefung ver-mutlich ein Marmorteil separat angestckt, und Lorenz erwgt in Anlehnung an die oben diskutierte Lukian-Stelle eine gyptische Zopftracht (zu einem hnlichen, allerdings seitlich sitzenden Anstckungsloch an einem Germanicus-Portrt in Frei-burg s.F. Hildebrandt, Warum hatte Germanicus Lcher am Kopf ?, in: N.Kreutz B. Schweizer [Hrsg.], TEKMERIA. Beitrge fr Werner Gauer [Mnster 2006]

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  • 174 Mirko Vonderstein

    rundplastische Portrt dieser Art68. Diese Ausnahmestellung mag zum einen damit zusammenhngen, dass es sich bei den Mallos-Trgern um eine aus-gesprochen elitre Gruppe gehandelt haben muss, zum anderen sind auch Marmorportrts generell in gypten sehr selten, da wie bereits erwhnt der Stein im Land selbst nicht vorkam. Zugleich kann es sich, wenn die oben formulierte These zutrifft, nur um die Darstellung eines Knaben handeln, da der Ritus offenbar nicht fr Mdchen galt.

    Als Aufstellungsort fr das Bildnis kmen, hnlich wie fr die Isis-Kna-ben, ein sepulkraler Kontext oder aber auch ein Heiligtum in Frage69. Bisher sind zwar keine entsprechenden Funde aus Isis-Heiligtmern bekannt, doch sind zumindest ein Kopf mit Jugendlocke und Myrtenkranz im Demeterhei-ligtum von Eleusis sowie zwei weitere Kpfe, ebenfalls mit Jugendlocke und Myrtenkranz, auf der Athener Agora gefunden worden, wo sie vielleicht im dortigen Eleusinion aufgestellt waren70. Ist bei diesen Kpfen der Myrten-kranz Hinweis auf die Aufnahme in die eleusinischen Mysterien, so knnte die Jugendlocke nach Goette entweder Zeichen fr eine Doppel weihe oder da-mit zu erklren sein, dass Demeter gerne auch mit Isis gleichgesetzt wurde71. Fr das hier betrachtete Knabenportrt eines Mallokureten wre am ehesten an Serapisheiligtmer, insbesondere an das Serapeum in Alexandria zu den-

    118132). Am nur grob angelegten Hinterkopf sind allerdings keine weiteren Spu-ren etwa von den herabhngenden Enden eines Bandes erhalten, auch scheint das Alter des wiedergegebenen Kindes mit geschtzten drei Jahren weitaus jnger als das der vergleichbaren Mumienbildnisse mit Zopf zu sein.

    68 Zu rmischen Portrts aus gypten s. die Zusammenstellungen bei P. Graindor, Bustes et Statues-Portraits dgypte Romaine (Kairo 1936); A. Adriani, Ritratti dellEgitto greco-romano, RM 77, 1970, 72109; G.Grimm D.Johannes, Kunst der Ptolemer- und Rmerzeit im gyptischen Museum Kairo (Mainz 1975); Z.Kiss, Sculptures des fouilles polonaises Km el-Dikka, 19601982 (Warschau 1988); K. Parlasca, Rundplastische, zumeist kaiserzeitliche Bildnisse aus gypten (Kata-log), in: Beck Bol Bckling 2005, 707711 Nr. 317322; auch das Griechisch-Rmische Museum in Alexandria scheint keinen vergleichbaren Kopf zu besitzen, vgl. G.Botti, Notice des monuments exposs au Muse Grco-Romain dAlexandrie (Kairo 1893) bes. 7684; G. Botti, Catalogue des monuments exposs au Muse Grco-Romain dAlexandrie (Alexandria 1900); H.Riad Y. H. Shehata Y. El-Gheriani, Alexandria. An Archaeological Guide to the City and the Graeco-Roman Museum (Kairo o. J.) bes.112115 (unter Nr. 3517 wird lediglich ein Kinderportrt aus weiem Marmor erwhnt mit ber der Stirn zusammengebundenem Haar, im Nacken mit langen Haarstrhnen).

    69 Vgl. Goette 1989, 203 f. 207.70 Eleusis, Mus. Inv. 5150, Goette 1989, 203 f. Taf. 35; Athen, Agora-Mus. Inv. S 403;

    S. 1307: E. B. Harrison, Portrait Sculpture, Agora 1 (Princeton 1953) 55 f. Nr. 41. 42 Taf. 27. 28, s.auch Goette 1989, 215 C 1. C 2.

    71 Goette 1989, 207. Simon 1980, 175 deutet die Kpfe von der Athener Agora hinge-gen vor allem im Rahmen der Selbstdarstellung wohlhabender Eltern an diesem ffentlichen Ort, erwgt zudem aber auch eine Weihung an Apollon Patroos, der sein Heiligtum im Westen der Agora hatte.

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  • Cirrus, Mallos oder Horuslocke 175

    ken, das in den Papyri bisweilen als Ort, an dem der Ritus vollzogen wurde, ge-nannt wird. Allerdings lsst sich diese Annahme bisher nicht durch Funde sttzen72. Entsprechungen gbe es hingegen fr die Annahme eines sepul-kralen Kontextes: So sind in Alexandria in der groen Katakombe von Kom el-Shaqafa zwei unterlebensgroe rmische Portrtstatuen flavischer Zeit ge-funden worden, die dort in zwei Nischen und den Eingang zur Grabkammer flankierend aufgestellt waren. In der Regel werden sie als Bildnisse der Grabin-haber interpretiert73. Eine weitere mnnliche Portrtstatue im Gebiet von Ale-xandria wurde im Grenzbereich der Stadtteile Minet el Bassal und Gabbari entdeckt. Da hier auch zahlreiche Hypogen lokalisiert sind, spricht vieles fr einen ursprnglich sepulkralen Bezug der Statue74.

    Auch wenn sich der ursprngliche Kontext des Knabenportrts nicht weiter przisieren lsst, so wre mit der hier vorgeschlagenen Deutung des Kopfes als das Bildnis eines Mallokureten immerhin ein weiterer, erstmals rundplasti-scher Beleg fr einen bisher wenig bekannten bergangsritus im rmischen gypten erhalten.

    Abgekrzt zitierte Literatur

    Blmel 1933C. Blmel, Rmische Bildnisse, Staatliche Museen zu Berlin. Katalog der Sammlung antiker Skulpturen 6 (Berlin 1933)

    Beck Bol Bckling 2005H. Beck P. C. Bol M. Bckling (Hrsg.), gypten Griechenland Rom. Abwehr und Berhrung. Ausstellungskatalog Frankfurt a. M. (Frankfurt a. M. 2005)

    Borg 1996B. Borg, Mumienportrts: Chronologie und kultureller Kontext (Mainz 1996)

    Borg 1998B. Borg, Der zierlichste Anblick der Welt : gyptische Portrtmumien (Mainz 1998)

    72 Zu den Funden aus dem Serapeum von Alexandria s.zusammenfassend B.Tkaczow, Topography of Ancient Alexandria (Warschau 1993) 6870. 245247 Nr. 159165; zum Serapeum selbst J.McKenzie, Glimpsing Alexandria from Archaeological Evi-dence, JRA 16, 2003, 5057; J.McKenzie, Reconstructing the Serapeum in Alexan-dria from the Archaeological Evidence, JRS 94, 2004, 73121.

    73 s.M. S. Venit, Monumental Tombs of Ancient Alexandria (Cambridge 2002) 129. 131134 Abb. 108111, vgl. auch A.Adriani, Repertorio darte dellEgitto greco-romano II (Palermo 1966) Taf. 98; J. Y. Empereur, Alexandria Rediscovered (Lon-don 1998) 158 f. mit Abb.

    74 Jetzt im Griechisch-Rmischen Museum von Alexandria, Inv. Nr. 24006; s.Tkaczow a. O. (Anm. 72) 243 Nr. 155 mit Abb.

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  • 176 Mirko Vonderstein

    Goette 1989H. R. Goette, Rmische Kinderbildnisse mit Jugend-Locken, AM 104, 1989, 203217

    von Gonzenbach 1957V. von Gonzenbach, Untersuchungen zu den Knabenweihen im Isiskult der rmischen Kaiserzeit (Bonn 1957)

    Legras 1993B. Legras, Mallokouria et mallocourtes. Un rite de passage dans lgypte romaine, CahGlotz 4, 1993, 113127

    Montserrat 1991D. Montserrat, Mallocouria and Therapeuteria: Rituals of Transition in a Mixed Society?, BAmSocP 28, 1991, 4349

    Parlasca 196980K. Parlasca, Ritratti di Mummie. Repertorio darte dellEgitto greco-romano IIII (Rom 196980)

    Parlasca Seemann 1999K. Parlasca H. Seemann (Hrsg.), Augenblicke. Mumienportrts und gyptische Grabkunst aus rmischer Zeit. Ausstellungskatalog Frankfurt a. M. (Mnchen 1999)

    Simon 1980E. Simon, Ein frhantoninisches Knabenbildnis, in: Eikones. Studien zum griechischen und rmischen Bildnis. Festschrift Hans Jucker, AntK Beih. 12 (Bern 1980)

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