Keraunia (Beiträge zu Mythos, Kult und Heiligtum in der Antike) || Tridacna – warum auch nicht...

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Tridacna – warum auch nicht mal griechisch? Andreas E. Furtwängler Eines Abends vor 31 Jahren bei ›Tria Adelphia‹ fiel mir auf, liebe Uta, dass Du Dir die Augen wischtest und Deine sorgfältig gezogenen Lidstriche dabei in Mitleidenschaft geraten waren. Freilich nicht grundlos: Dein Freund hatte gerade eine amüsante Geschichte zum Besten gegeben, und wir lachten, dass uns die Tränen kamen 1 . Assoziativ kam mir ein Fund ins Gedächtnis, den wir bei unserer gerade zuvor gemeinsam durchlebten Grabungskampagne im Heraion von Samos bergen durften: ein Fragment einer Tridacna-Muschel 2 . Denn wie Du weißt, dienten diese geglätteten oder auch verzierten, 20 bis 30 cm breiten Muscheln u. a. als Behälter für Augenschminke! Du verschwan- dest dann selbstverständlich in ›the bathroom‹! In einer drei Jahre zuvor erschienenen Monographie hatte Rolf Stucky das Wesentliche zu diesen seltsam-exotischen Orientalia geschrieben: dass etwa seit Alters her im Orient neben pflanzlichen auch mineralische Stoffe, wie Galen oder Malachit pulverisiert und mit Öl oder Harz gemischt, zu einer Schminkmasse verarbeitet wurden, dass verzierte tridacnae squamosae als vornehme Behälter für »wassergrüne« bis »mineralgrüne« 3 oder schwarze Schminke dienten, vor allem für die Augenlider, gelegentlich aber auch zur Verzierung des Gesichtes mit einem ›grain de beauté‹ 4 . Abbildungsnachweis: Taf. 16, 1. 2: nach R. Stucky, The Engraved Tridacna Shells, Dédalo 10/19, 1974, Taf. 44. 46. – Taf. 17, 1: nach U. Gehrig – H. G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phöni- zier im Zeitalter Homers. Ausstellungskatalog Hannover (Mainz 1990) Abb. S. 128. – Taf. 17, 2: nach Gehrig – Niemeyer a. O. Abb. 78. – Taf. 17, 4: nach Gehrig – Niemeyer a. O. Abb. S. 127. – Taf. 17, 3. 5: Photos Verf. 1 Zum Thema ›Waschmaschine‹: nur zu Deiner Erinnerung! 2 Unpubliziert. Ich danke Rolf Stucky und seiner Frau Monika, Freunde, mit denen ich schon vor 41 Jahren zahlreiche Gespräche beim gemeinsamen Baden in der Aare, im Murten- und Genfersee führen durfte. 3 R. Stucky, The Engraved Tridacna Shells, Dédalo 10/19, 1974, 97. 4 Diese ›Schönheitspflaster‹ verzieren auch den zum weiblichen Gesicht ausgearbei- teten umbo (= das Scharnier, das ursprünglich beide Muschelhälften miteinan- der verband) zahlreicher Tridacna-Schalen, vgl. hier Taf. 16, 1. Auch in Etrurien schmückten sich die Damen offenbar mit solch markanten Punkten im Gesicht: vgl. Tomba di Giocolieri, St. Steingräber (Hrsg.), Etruscan Painting. Catalogue raisonné of Etruscan Wall Paintings (New York 1986) Taf. 88. Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/18/13 7:37 PM

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Tridacna – warum auch nicht mal griechisch?

Andreas E. Furtwängler

Eines Abends vor 31 Jahren bei ›Tria Adelphia‹ fiel mir auf, liebe Uta, dass Du Dir die Augen wischtest und Deine sorgfältig gezogenen Lidstriche dabei in Mit leiden schaft geraten waren. Freilich nicht grundlos: Dein Freund hatte gerade eine amüsante Geschichte zum Besten gegeben, und wir lachten, dass uns die Tränen kamen1. Assoziativ kam mir ein Fund ins Gedächtnis, den wir bei unserer gerade zuvor gemeinsam durchlebten Grabungskampagne im Heraion von Samos bergen durften: ein Fragment einer Tridacna-Muschel2. Denn wie Du weißt, dienten diese geglätteten oder auch verzierten, 20 bis 30 cm breiten Muscheln u. a. als Behälter für Augenschminke! Du verschwan-dest dann selbstverständlich in ›the bathroom‹!

In einer drei Jahre zuvor erschienenen Monographie hatte Rolf Stucky das Wesent liche zu diesen seltsam-exotischen Orientalia geschrieben: dass etwa seit Alters her im Orient neben pflanzlichen auch mineralische Stoffe, wie Galen oder Malachit pul verisiert und mit Öl oder Harz gemischt, zu einer Schminkmasse verarbeitet wurden, dass verzierte tridacnae squamosae als vornehme Behälter für »wassergrüne« bis »mineralgrüne«3 oder schwarze Schminke dienten, vor allem für die Augenlider, gelegentlich aber auch zur Verzierung des Gesichtes mit einem ›grain de beauté‹4.

Abbildungsnachweis: Taf. 16, 1. 2: nach R. Stucky, The Engraved Tridacna Shells, Dédalo 10/19, 1974, Taf. 44. 46. – Taf. 17, 1: nach U. Gehrig – H. G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phöni-zier im Zeit alter Homers. Ausstellungskatalog Hannover (Mainz 1990) Abb. S. 128. – Taf. 17, 2: nach Gehrig – Niemeyer a. O. Abb. 78. – Taf. 17, 4: nach Gehrig – Niemeyer a. O. Abb. S. 127. – Taf. 17, 3. 5: Photos Verf.

1 Zum Thema ›Waschmaschine‹: nur zu Deiner Erinnerung! 2 Unpubliziert. Ich danke Rolf Stucky und seiner Frau Monika, Freunde, mit denen

ich schon vor 41 Jahren zahlreiche Gespräche beim gemeinsamen Baden in der Aare, im Murten- und Genfersee führen durfte.

3 R. Stucky, The Engraved Tridacna Shells, Dédalo 10/19, 1974, 97.4 Diese ›Schönheitspflaster‹ verzieren auch den zum weiblichen Gesicht ausgearbei-

te ten umbo (= das Scharnier, das ursprünglich beide Muschelhälften miteinan-der verband) zahlreicher Tridacna-Schalen, vgl. hier Taf. 16, 1. Auch in Etrurien schmückten sich die Damen offenbar mit solch markanten Punkten im Gesicht: vgl. Tomba di Giocolieri, St. Steingräber (Hrsg.), Etruscan Painting. Catalogue raisonné of Etruscan Wall Paintings (New York 1986) Taf. 88.

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Zur Erinnerung: Aus den Gewässern des Persischen Golfs und des Roten Meeres werden die stark schuppigen tridacnae squamosae aus nicht allzu gro-ßer Tiefe gebor gen. Sie wurden anschließend außen geglättet und unterschied-lich verziert. Doch bleibt der allgemeine Stilductus recht einheitlich, was auch daran liegen mag, dass wohl nur zwei Handwerkergenerationen die Dekora-tion dieser Muscheln vornahmen5. Auf die z. T. ›textil‹ wirkende Verzierung der Muschelaußenseite, die in fünf Dekorationstypen eingeteilt wird6, ist Stucky ebenso sehr eingegangen wie auf die Einflüsse, die auf die Verzierungs-weise eingewirkt haben7 (z. B. Typus  2 = Taf. 16, 1. 2 [aus Rhodos]). Er hat überzeugend gezeigt, dass die tridacnae weder in Ägypten noch in Mesopota-mien oder Phönizien, sondern im syro-palästinischem Bereich dekoriert wur-den8. Auf den Verzierungsstil ist er ausführlich eingegangen9. Ich erspare mir daher weitere Bemer kungen zu diesem Aspekt.

Die Fundanzahl verzierter Tridacna-Muscheln hat in den drei letzten Jahr-zehnten enorm zugenommen10. Die Lokalisierung der Werkstätten wird heute aus Gründen der Fundkonzentration und der zur Herstellung der Schminke nötigen Palettenfunde nicht mehr ins syro-phönikische Hinterland, sondern weiter südlich nach Transjordanien und Palästina verlegt, also näher an das Rote Meer. In seinem jüngst publizierten Überblick hat Stucky Askalon oder Gaza als Verschiffungshafen für die ins Griechi sche gelangten tridacnae vor-geschlagen, weil die griechischen Handelsschiffe zu phö nikischen Hafenstätten kaum Zugang hatten. Es ist in der Tat auffällig, dass im punischen Bereich, auf Zypern oder in Etrurien, also in den klassischen phönikischen Handelsgebieten

5 Datierung der tridacnae: B. Brandl, The Engraved Tridacna Shell Discs, AnatSt 34, 1984, 15–41. A. Brandl, Two Engraved Tridacna Shells from Tell Miqne-Ekron, BASOR 323, 2001, 58 f. mit guten Argumenten. Nicht überzeugend: D. S. Reese – C. Sease, Additional Unpub lished Engraved Tridacna Shells, JNES 63, 2004, 39–41. Zusammenfassend: R. Stucky, Les Tridacnes à décor gravé, in: E. Fontan – H. Le Meaux (Hrsg.), La Méditerranée des Phéniciens. De Tyr à Carthage. Ausstellungs-katalog Paris (Paris 2007) 220: der Produktionszeitraum beschränkt sich auf höchs-tens 50 Jahre, ca. 650/30–600/580 v. Chr.

6 Für die abweichenden Typen 4 und 5, die statt eines Frauen- einen Raubvogelkopf (Falke?) besitzen, siehe Brandl a. O. (Anm. 5) 54–57; ferner fügt er eine Sonder-gruppe hinzu, darunter ein Exemplar, das eine Biene wiedergeben soll. Schematische Typen-Zeichnungen bei Stucky a. O. (Anm. 5) 223.

7 Stucky a. O. (Anm. 3) 78–80.8 Stucky a. O. (Anm. 3) 86–89.9 Stucky a. O. (Anm. 3) 58–75; Stucky a. O. (Anm. 5) 219–223.10 1974 konnte Stucky 90 Exemplare und Fragmente aufführen. Heute hat sich die

Anzahl der gefundenen Stücke um knapp 40 % erhöht: vgl. Brandl a. O. (Anm. 5 [1984]); Brandl a. O. (Anm. 5 [2001]) 49–62; D. S. Reese, A New Engraved Tridacna Shell from Kish, JNES 47, 1988, 36–41; D. S. Reese – C. Sease, Some Previously Un-published Engraved Tridacna Shells, JNES 52, 1993, 109–128; Reese – Sease a. O. (Anm. 5); Stucky a. O. (Anm. 5) 219 mit Anm. 2.

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des 7. Jhs. v. Chr. kaum tridacnae registriert wurden11. Dagegen las sen sie sich auf dem griechischen Festland, an der westkleinasiatischen Küste oder auf den ägäischen Inseln geradezu in auffallend hoher Anzahl finden12. Daher kann wohl kein Zweifel daran bestehen, dass diese über den griechischen Handel nach Westen vermittelt wurden, was auch den Vorschlag Stuckys bestärkt, sie seien nicht über phönikische, sondern über südpalästinische Häfen, zu denen die Griechen Zugang hatten, ausgeführt worden. Berücksichtigt man dann auch noch die Tatsache, dass die im griechischen Bereich gefundenen Exemp-lare mehrheitlich aus Heiligtümern stammen, liegt der Schluss nahe, dass sie als Devotionalien griechischer Besucher einzuschätzen sind.

Von besonderem Interesse ist das einzige Exemplar, das aus Etrurien be-kannt ist: Es stammt aus einem Grab bei Vulci13 (Taf. 17, 1. 2). Es ist auch das einzige, das in den fernen Westen kam. Das Stück ist vollständig überarbeitet worden, wobei vor allem die Gestaltung des umbo hervorzuheben ist: Dieser zeigt nicht das übliche, linear verzierte, weibliche Antlitz, sondern einen voll plastisch durchgestalteten Kopf. Die Fundsituation der Vulci-Tridacna ist uns nicht bekannt. Annette Rahtje hat sich als letzte ausführlich mit dem Stil dieses völlig singulären Stücks auseinandergesetzt14. Ihr Ergebnis war ledig-lich die ihr sehr eigene Erkenntnis, dass eine genaue Lokalisierung nicht möglich, wenn auch mit Sicherheit »in the Near East« zu suchen sei15. Sie

11 Stucky a. O. (Anm. 5) 222 f. 12 Die in griechischem Bereich gefundenen Stücke aus Kyrene, Smyrna, Rhodos

(Kamiros, Lindos), Kos, Samos, Milet, Aigina, Delphi, Olympia, Perachora und aus der Niederlassung Naukratis sind alle bereits im Katalog von Stucky a. O. (Anm. 3) 33–50 Nr. 29–76 aufgeführt und gelegentlich in später erschienenen Ausstellungs-katalogen abgebildet worden; Nachweise bei Stucky a. O. (Anm. 5) 219 Anm. 2. Unter den neueren Funden sind vor allem die Stücke aus Milet (<http://www.ruhr-uni-bochum.de/milet/in/tricna.htm> [27. 04. 2004]: 13 neue Fragmente aus dem Aphroditeheiligtum auf dem Zeytin-Tepe), Knidos (D.  Berges, Knidos. Bei-träge zur Geschichte der archaischen Stadt [Mainz 2006] 186 f. Nr. 820–822) und Ephesos (A. Bammer, Multikulturelle Aspekte der frühen Kunst im Artemision von Ephesos, ÖJh 61, 1991/92, Beibl. 45–47 Abb. 39–41; A. Bammer, Kosmologische Aspekte der Artemisionfunde, in: U.  Muss [Hrsg.], Der Kosmos der Artemis von Ephesos [Wien 2005] 13 Abb. 2. 3); G. Klebinder-Gauß – A. M. Pülz, ›Fremdes‹ in der materiellen Kultur im Artemision von Ephesos, in: U. Muss [Hrsg.], Die Archäo-logie der ephesischen Artemis. Gestalt und Ritual [Wien 2008] 203 Abb. 179) her-vorzuheben.

13 H 13,7 cm; B 21,8 cm. London, Brit. Mus. GR 1852 I-12.3. Stucky a. O. (Anm. 3) 51 Nr. 77 Taf. 51–53; U. Gehrig – H. G. Niemeyer (Hrsg.), Die Phönizier im Zeitalter Homers. Ausstellungskatalog Hannover (Mainz 1990) 99 Abb. 78; 128 f. Nr. 36; Stucky a. O. (Anm. 5) 382 Nr. 329.

14 A. Rathje, A Tridacna Squamosa Shell, in: J. Swadding (Hrsg.), Italian Iron Age Arte-facts in the British Museum (London 1986) 393–395.

15 Rahtje a. O. (Anm. 14) 393: »There is no doubt that the head has been made in a workshop somewhere in the Near East, but for the moment it is not clear where this workshop might have been.«

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ging ebenso wie zuvor Hans Jucker und früher auch Stucky davon aus, dass das Exemplar aus Vulci im Rahmen der noch im späten 7. Jh. v. Chr. intensiven phönikisch-etruskischen Beziehungen nicht als außergewöhnlich anzusehen sei16.

Schauen wir uns das Stück genauer an: Die Veränderung, die der Künstler an der ursprünglich ›regulären‹ Verzierungsweise der Muschel vorgenommen hat, ist seltsam; die Verzierung der Außenseite hat er vollständig gelöscht und die Muschel nachträglich glatt poliert, dafür den umbo, der ursprünglich einen ›grain de beauté‹ besaß, ganz neu gestaltet (Taf. 17, 1. 4). Die Bohrung des lin-ken Auges ist störend übrig geblieben. Dagegen hat er die ursprünglich mit Glaspaste gefüllten Brauen wie auch die Form des linear gravierten ›ägyptisie-renden‹ Auges beseitigt.

Die plastische Umsetzung hat freilich nichts mit orientalischen Elfenbei-nen, Ala baster köpfen oder Terrakotten zu tun, wie dies vorgeschlagen wurde17. Vielmehr treffen wir hier auf eine Auffassung, die plastische Qualitäten grie-chischer Arbeiten vermittelt. Allein schon ein Blick – nur zum Vergleich – auf die Gestaltung von Mund, Augen und plastisches Gefüge des Gesichtes der Euthydikos-Kore sagt alles (Taf. 17, 3): Hier wie dort trifft man auf ähnliche Gestaltung und plastischen Form willen. Nun ist das auch ein zeitstilistisches Phänomen, denn die Neugestaltung des umbo trägt keineswegs attische Züge.

So wie in der etruskischen Grabmalerei, bei den in Etrurien niedergelas-senen ostgriechischen Vasenmalern oder auch den frühen Münzstempel-schneidern, die im fernen Westen tätig waren, rechnet man im späten 6. und im frühen 5. Jh. v. Chr. mit eingewanderten Künstlern, die beeinflussend auf die lokale Kunstentfaltung gewirkt haben. Allein ein Vergleich mit jenen etwa zeitgleichen, von ostgriechischem Form willen geprägten Münzen aus der pho-käischen Gründung Massalia (Taf. 17, 5) sagt alles: Haargestaltung, schweres Kinn, zurückhaltende Wangenwölbungen, Akzen tu ie rung der Lippen, man-delförmiges Auge unter deutlicher Tränendrüsenbetonung sind ganz und gar

16 Stucky a. O. (Anm. 3) 89.17 Es ist auffällig, wie sehr die Beispiele, die Stucky a. O. (Anm. 3) 78 (Alabastergefäß aus

Sippar, neobabylonisches Köpfchen aus Babylon, Terrakotten aus Uruk und Babylon) und auch später Rathje a. O. (Anm. 14) (neoassyrische Beispiele bei E. Strommenger, Die neuassyrische Rundskulptur [Berlin 1970] Taf. 19. 20 c) vorschlugen, von dem Vulci-umbo abweichen. Dieser hat beispielsweise nicht das Geringste etwa mit der ›nordsyrischen Stilstufe IV‹ Strommengers (Rathje a. O. [Anm. 14] 393) zu tun, bei denen die Stirn-Augenbrauenlinie stets linear verbunden ist. Aber auch die neobaby-lonischen Vergleiche können als stilistische Parallelen nicht überzeugen. Nur ein Blick auf den abweichenden Gesichtsschnitt – auf die schwere Kinnpartie, auf die mandelförmigen Augen, die unter den fein geschnittenen Lidern plastisch ausge-formt sind, auf die markierten Tränendrüsen und die Stirngestaltung, kurzum auf die hervorragenden, plastischen Qualitäten des Vulci-Kopfes – zeigt an, dass bisher stets Äpfel mit Birnen verglichen wurden.

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vergleichbar18. Entsprechendes gibt es in der zeitgleichen Nenfro plastik, bei Kleinbronzen oder selbst beim bekannten marmornen Jünglingskopf von Volterra19 nicht. Mit anderen Worten liegt es nahe, die vollständige Umgestal-tung des umbo einer für Etrurien sehr exotischen Muschelhälfte einem ostgrie-chischen Künstler zuzuschreiben, der mit den syro-phönikisch beeinflussten Darstellungen auf der Tridacna-Rückseite nichts anzufangen wusste, ja sie lie-ber beseitigt hat, als sie als störender Faktor weiter bestehen zu lassen. Allein die übrig gebliebene, für einen Griechen geläufige Sphingendarstellung auf dem Rand der Innenseite hatte für ihn noch Bestand, und daher hat er auch da-von Abstand genommen, diese zu radieren. Nun ganz gleich, ob der umbo schließlich in Ionien umgestaltet und die Muschel nach Etrurien verschifft wurde oder ob ihn ein ostgriechischer Künstler in Etrurien neu geformt hat: Es gibt m. E. keinen Zweifel daran, dass die kunstvolle Umgestaltung des umbo der Vulci-Tridacna aus der Hand eines griechischen Künstlers stammt, der – nach eigenem Formwillen – eine schon über 100 Jahre alte Antiquität neu auf-gearbeitet und einem etruskischen Kunden als zeitgenössisches Produkt ange-boten hat. Hätte er Dich gekannt, und wärst Du die Auftraggeberin gewesen, liebe Uta, er hätte sie nochmals mit Augenschminke gefüllt!

18 Verf., Monnaies grecques en Gaule (Fribourg 1976) Taf. 3, C  1. Auch in Etrurien (vermutlich Populonia) waren um die Jahrhundertwende vom 6. bis zum 5. Jh. v. Chr. ostgriechische Stempelschneider tätig, s. Verf., Monnaies Grecques en Gaule: Nou-velles Trouvailles (6ème–5ème s. av. J.-C.), in: La Monetazione dei Focei in Occidente. Atti dell’XI Convegno del Centro Internazionale di Studi Numismatici (Rom 2002) 94–97.

19 M. Sprenger – G. Bartoloni – M. Hirmer, Die Etrusker. Kunst und Geschichte 2(München 1990) Taf. 146. 147. Abweichend z. B. auch das ›subarchaische‹ Tyskie-wicz-Köpfchen in London, vgl. T.  Dohrn, Die etruskische Kunst im Zeitalter der griechischen Klassik. Die Interimsperiode (Mainz 1982) Taf. 4. Die Haarmode im Etrurien des frühen 5. Jhs. hält sich hingegen sehr an griechische Vorbilder. Das gilt insbesondere für die Stirnfranzen des Tricana-Kopfes von Vulci, die auch beim ›ost-griechischen‹ Massalia-Kopf (hier Taf. 17, 5), aber auch bei zahlreichen Bildwerken der Zeit (Relief und Rundplastik) in Etrurien zu beobachten sind.

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