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schau 65 64 schau 2013 april april 2013 DAS AKKORDEON ist Martti Wink- lers Fluch und Segen. Einerseits hat sich die überzeugte Wahlwienerin mit dem Instrument quer durch die Musikszene der Stadt etablieren können, anderer- seits bescherte es letztes Jahr ernsthafte Rückenprobleme. Trotzdem wird es ihr Markenzeichen bleiben, und das ist gut so: Die gute alte „Zughammanie“ er- lebte in den letzten Jahren eine echte Renaissance. Lange Zeit assoziiert mit Volksmusik und Musikantenstadl, trau- ten sich nur wenige Spezialisten das vielseitige Instrument zu nützen. Mitt- lerweile ist das Akkordeon wieder salon- fähig und sogar richtig cool – seine Sounds finden sich in der Clubmusik wieder, im Kontrast mit Marttis Look kann es auch optisch beeindrucken. Folk statt Volksmusik Schon in ihrer Heimat Schwanenstadt spielte Martti Winkler zehn Jahre lang in einer Ziehharmonika-Kapelle. Heute lebt sie in Wien und geht gern auf die weniger bekannten Märkte der Stadt (aktuell: Johann Nepomuk Vogl Markt). Vor fünf Jahren wurde sie von der Sin- ger-Songwriterin Mika Vember enga- giert. Diese nahm grade ihr erstes Solo- album auf und hatte sich in der Wiener Popszene bereits einen Namen gemacht – genauer genommen in der poppigen Wiener Folkszene. Im Lauf des letzten Jahrzehnts wurden akustische Songs im Zum Soundcheck kommt diesmal Martti Winkler, die sich in der Musik auf tragende Nebenrollen spezialisiert hat. Diese spielt sie bei vielen Acts der boomenden Hauptstadt-Szene: Für Tanz Baby!, Mika Vember, Sterzinger Experience, Welle Wien und POP:SCH greift die Wahl-Wienerin in die Tasten von Keyboard und Akkordeon. Letzteres tut sie mindestens so spektakulär, wie andere die Gitarre würgen, bei Bedarf singt sie auch. Zuletzt wurde Martti Winkler ins Gemüseorchester (The Vegetable Orchestra) aufgenom- men, das tatsächlich Grünzeug zum Klingen bringt. Noch ein Akkord mehr im Repertoire ...wir machen sie nun zum Star der Klangzone. Stil des frühen Bob Dylan und seiner Zeit, also Folk Pop, in den USA zu ei- nem neuen Trend, der in der Folge in Österreich auf fruchtbaren Boden fiel. Zudem sorgten die Aktivitäten der „Vi- enna Songwriting Association“ für Pub- licity, sodass junge Sängerinnen und Sänger ihre Nummern präsentieren konnten und die Szene in Schwung kam. Rund um das Asinella Label der Sängerin Clara Luzia entstand eine neue Musikkultur: quasi handgemacht, aber nicht traditionell, sondern möglichst vielfältig – also natürlich mit Gitarre und Mundharmonika, aber auch mit ungewöhnlichen Instrumenten, einer Waschrumpel oder eben Ziehharmo- nika. Nur, wer sollte die spielen? Unplugged, aber auch elektrisch Und so kam es, dass Martti Winkler ihr Akkordeon auf ganz neue Art aktivierte: mit der Routine der Kapellenmusikan- tin, dem Feeling der Großstadt und Electro-Pop im Rückgrat. Im Internet findet sich als Ergebnis dieser Entwick- lung ein Konzertvideo, in dem Mika Vember „Das Model“ singt, einen Klas- siker der elektronischen Popmusik. Was die deutschen „Kraftwerk“ einst (anno 1978) mit kühlen Synthesizerklängen orchestrierten, wird hier mit Gitarre und Akkordeon gemeistert. Martti Winkler orgelt rauf und runter, und der Instrumentalteil, der bei Kraftwerk kris- Keyboard Hero(ine) TEXT VON PAUL LOHBERGER, FOTOS: IAN EHM „Jeder hat eine kleine Last zu tragen – meine ist Gott sei Dank das Akkordeon!“

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Page 1: Keyboard Hero(ine)LONGTONE HIFI Geschäftszeiten: Di–Fr 10 bis 18.30 Uhr, Sa 10 bis 17 Uhr Mo geschlossen Tel. 01/ 523 70 25 7., Burggasse 114 und 108 Longtone-Hausherr Franz Lamparter

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DAS AKKORDEON ist Martti Wink-lers Fluch und Segen. Einerseits hat sich die überzeugte Wahlwienerin mit dem Instrument quer durch die Musikszene der Stadt etablieren können, anderer-seits bescherte es letztes Jahr ernsthafte Rückenprobleme. Trotzdem wird es ihr Markenzeichen bleiben, und das ist gut so: Die gute alte „Zughammanie“ er-lebte in den letzten Jahren eine echte Renaissance. Lange Zeit assoziiert mit Volksmusik und Musikantenstadl, trau-ten sich nur wenige Spezialisten das vielseitige Instrument zu nützen. Mitt-lerweile ist das Akkordeon wieder salon-fähig und sogar richtig cool – seine Sounds finden sich in der Clubmusik wieder, im Kontrast mit Marttis Look kann es auch optisch beeindrucken.

Folk statt Volksmusik

Schon in ihrer Heimat Schwanenstadt spielte Martti Winkler zehn Jahre lang in einer Ziehharmonika-Kapelle. Heute lebt sie in Wien und geht gern auf die weniger bekannten Märkte der Stadt (aktuell: Johann Nepomuk Vogl Markt). Vor fünf Jahren wurde sie von der Sin-ger-Songwriterin Mika Vember enga-giert. Diese nahm grade ihr erstes Solo-album auf und hatte sich in der Wiener Popszene bereits einen Namen gemacht

– genauer genommen in der poppigen Wiener Folkszene. Im Lauf des letzten Jahrzehnts wurden akustische Songs im

Zum Soundcheck kommt diesmal Martti Winkler, die sich in der Musik auf tragende Nebenrollen spezialisiert hat. Diese spielt sie bei vielen Acts der boomenden Hauptstadt-Szene: Für Tanz Baby!, Mika Vember, Sterzinger Experience, Welle Wien und POP:SCH greift die Wahl-Wienerin in die Tasten von Keyboard und Akkordeon. Letzteres tut sie mindestens so spektakulär, wie andere die Gitarre würgen, bei Bedarf singt sie auch. Zuletzt wurde Martti Winkler ins Gemüseorchester (The Vegetable Orchestra) aufgenom-men, das tatsächlich Grünzeug zum Klingen bringt. Noch ein Akkord mehr im Repertoire ...wir machen sie nun zum Star der Klangzone.

Stil des frühen Bob Dylan und seiner Zeit, also Folk Pop, in den USA zu ei-nem neuen Trend, der in der Folge in Österreich auf fruchtbaren Boden fiel. Zudem sorgten die Aktivitäten der „Vi-enna Songwriting Association“ für Pub-licity, sodass junge Sängerinnen und Sänger ihre Nummern präsentieren konnten und die Szene in Schwung kam. Rund um das Asinella Label der Sängerin Clara Luzia entstand eine neue Musikkultur: quasi handgemacht, aber nicht traditionell, sondern möglichst vielfältig – also natürlich mit Gitarre und Mundharmonika, aber auch mit ungewöhnlichen Instrumenten, einer Waschrumpel oder eben Ziehharmo-nika. Nur, wer sollte die spielen?

Unplugged, aber auch elektrisch

Und so kam es, dass Martti Winkler ihr Akkordeon auf ganz neue Art aktivierte: mit der Routine der Kapellenmusikan-tin, dem Feeling der Großstadt und Electro-Pop im Rückgrat. Im Internet findet sich als Ergebnis dieser Entwick-lung ein Konzertvideo, in dem Mika Vember „Das Model“ singt, einen Klas-siker der elektronischen Popmusik. Was die deutschen „Kraftwerk“ einst (anno 1978) mit kühlen Synthesizerklängen orchestrierten, wird hier mit Gitarre und Akkordeon gemeistert. Martti Winkler orgelt rauf und runter, und der Instrumentalteil, der bei Kraftwerk kris-

Keyboard Hero(ine)TEXT VON PAUL LOHBERGER, FOTOS: IAN EHM

„Jeder hat eine kleine Last zu tragen – meine ist Gott sei Dank das Akkordeon!“

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tallin und künstlich klingt, kommt hier erdig und schräg daher – vor allem, es groovt ordentlich (übrigens war es die-ses Stück, das Martti Winkler bei unse-rer Fotosession spielte). Solche Auftritte bescherten der Akkordeonistin bald weitere Engagements: Stefan Sterzinger – der in den 80ern und 90ern als „Franz Franz“ mit den Melody Boys die Volks-musik als Avantgarde interpretierte – wollte sich eine neue Band zusammen-stellen. Der Plan: Rock’n’Roll, aber Akkordeon statt Gitarre. Beim „Sterzin-ger Experience“ drückt Martti Winkler nun die Register an der Quetsch’n, ne-ben dem Bandleader und Lothar Lässer.

Alles was Tasten hat

Wie ihr Style vermuten lässt, hat Martti Winkler ein Faible für 80er und Electro Sounds. Dieser Neigung geht sie bei der Band POP:SCH nach – nomen est omen: ein humorvolles Projekt, bei dem die Musikantin Keyboard spielt. Die Tasten sind ja gleich wie auf der einen Seite des Akkordeons. Ergo wird der Rücken geschont, aber nicht das Tanzbein: POP:SCH parodieren in schrillen, trashigen Nummern und ent-sprechenden Videos (Tipp: „My Life“) den Retro-Zeitgeist. Im letzten Jahr wurde Martti Winkler schließlich Mit-glied des Kollektivs Welle Wien und

der Formation Tanz Baby! (bei letzteren vorerst nur live). In beiden Fällen ging die Initiative vom Keyboarder Kristian Musser aus. Nur beim Gemüseorches-ter arbeitet die Musikerin ohne Tasten, denn alle Klänge werden tatsächlich aus Gemüse gewonnen. Aus Karotten schnitzt man Flöten, quietscht mit an-einander geriebenen Gurken und schlägt Auberginen zusammen – Bunk! Das klingt dann wie eine Kickdrum. Richtig aufgenommen, lässt das Ge-müse im longtone Teststudio die Wände wackeln. Fast überall singt Martti Winkler auch: je nach Bedarf Lead oder Harmonie, immer gut, nie aufdringlich. Diese Eigenschaften ma-chen sie wohl auch als Musikantin so gefragt.

Musikbibliothek in Hi-Fi

Weil es so viele CDs von und mit ihr gibt, ist unser Star Martti Winkler ideal, um den naim HDX Festplattenplayer/Server auszuprobieren. Gut gefüttert, speichert dieses Gerät genug Musik für ein ganzes Radioprogramm – nur dass wir selber das Programm machen. Ge-waltige Sammlungen können mobil und jederzeit über eine Tablet-Oberflä-che angesteuert und abgerufen werden. Nachdem wir uns durch die verschiede-nen Klangwelten ihrer Projekte gesc-rollt und getippt hatten, war Martti Winkler höchst inspiriert und lieferte uns eine kleine Performance. Irgend-wann plant sie ein Soloprojekt, aber zu-erst wird sie sich eine „Keytar“ zulegen, wie man es aus NDW-Zeiten kennt. So ein Keyboard wird wie eine Gitarre um-gehängt und entlastet den Rücken. Aber ihr Akkordeon wird Martti Wink-ler wohl nie an den Nagel hängen. ///

info

Klangzone – presented by longtone hifi

In der Klangzone porträtiert (Kulturjournalist) Paul Lohberger Musikmenschen aus der schau-Region. Wir laden zur Fotosession und schicken den Sound durch das Equipment und die Boxen von longtone hifi.

LONGTONE HIFI Geschäftszeiten: Di–Fr 10 bis 18.30 Uhr, Sa 10 bis 17 Uhr Mo geschlossen Tel. 01/ 523 70 25 7., Burggasse 114 und 108 www.longtone.at

Longtone-Hausherr Franz Lamparter kommt immer wieder ins Schwärmen: Über ein Tablet lässt sich die Musik abrufen, die der Server bereithält.

„Ich könnte nicht sagen, was mein Lieblings-projekt ist. Und das Schöne ist, dass ich auch nichts miteinander vergleichen kann!“ Martti Winkler

Yummy, yummy: Der naim HDX will mit Musik gefüttert werden – idea-lerweise unkomprimiert, zwecks besserer Wieder-gabe. Speicherplatz gibt’s reichlich.

Knöpfe, Tasten, Register: Das Akkordeon hält fast so viele Klang-varianten bereit wie der Musikserver.

Mika Vember21st Century Folk-Songs, die man sich noch öfters anhören wird. www.mikavember.com

Welle WienDas Musikkollektiv kreuzt Wave Pop und Wiener Flair. www.wellewien.net

Top of the POP:SCH80er-Klischees, mit viel Humor und dick aufgetragen www.youtube.com/watch?v=sBBe_ksd3Ds

Tanz Baby!Irgendwo zwischen den Bambis und Falco entspringt der Schlager mit Stil – oder Style? Repräsentiert vom melancholi-schen Dandy David Kleinl.

Sterzinger ExperienceDie österreichischen Rolling Stones, nur mit Ziehharmonikas statt Gitarren (und keine Opas!). www.sterzinger.priv.at

CDs / Projekte mit Martti Winkler:

The Vegetable OrchestraFette Clubgrooves, garantiert Bio: Jeder Klang wird mit Ge-müse erzeugt. www.gemueseorchester.org