Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F....

36
ORTHOPÄDIE Kinderorthopädie Adjutum Verlag • Schwarzenhaidestraße 25, 1230 Wien P. b.b. • GZ04Z035723M • Verlagspostamt: 1230 Wien Dezember 2004

Transcript of Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F....

Page 1: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

ORTHOPÄDIEKinderorthopädie

Adjutum Verlag • Schwarzenhaidestraße 25, 1230 Wien P.b.b. • GZ04Z035723M • Verlagspostamt: 1230 Wien Dezember 2004

Page 2: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

EDITORIAL

2

Nach respiratorischen Infekten führen Störungendes Bewegungsapparates als zweithäufigsterGrund Eltern mit ihren Kindern zum Arzt. Der

wachsende Bewegungsapparat unterscheidet sichgrundlegend von dem des Erwachsenen. Kinderortho-pädie beschäftigt sich mit der Vorsorge, dem Erkennenund der Behandlung von Erkrankungen des reifendenBewegungssystems. Sie ist ein Spezialgebiet, in deminterdisziplinäres Denken und Zusammenarbeit ineinem gut funktionierenden Netzwerk Voraussetzungsind für eine menschlich und fachlich qualitativ hoch-wertige Arbeit.

In Österreich ist die Kinderorthopädie kein selbstständi-ges Fachgebiet, sondern Teilgebiet der Orthopädie, diesich heute überwiegend mit belastungs- und degenerativbedingten Veränderungen des Bewegungsapparatesbeschäftigt. Kinderorthopädie bildet die Wurzel orthopä-dischen Denkens: „orthos – paidos“ frei übersetzt mit„für Kinder ohne Behinderung“, wurde ursprünglich 1741als das Fachgebiet definiert, das „die Form- und Funk-tionsstörungen des Kindesalters“ erstmals mit wissen-schaftlicher Systematik verhindern sollte.

Als Behandlungsziel steht die langfristige Verbes-serung der Lebensqualität an erster Stelle kinderor-thopädischen Denkens. Diagnostik und Therapie habensich mit dem Wandel kinderorthopädischer Krankheits-bilder stark verändert, in den Industriestaaten sindchronische Osteomyelitis, Knochen-TB und Poliomyeli-tis heute von Erkrankungen durch Bewegungsmangel,Sport und nach Unfällen und intensivmedizinischenInterventionen verdrängt worden. (Abb.1 die häufigs-ten Erstsymptome, die zur Vorstellung in der Praxisführen)

Der wachsende Bewegungsapparat ist ein hervorra-gendes Beispiel für ein komplexes biologisches System.Orthopädische Probleme im Wachstumsalter bedürfendaher einer systemischen Diagnostik und Therapie.Durch den Einfluss und die Synthese funktionell anato-mischer, biomechanischer, neurophysiologischer, ent-wicklungsbiologischer, psychischer und sozialer Grund-prinzipien stellen sie bei jedem einzelnen Patienten eineinteressante neue Herausforderung dar.

So wird zum Beispiel bei einem Kind mit einer neu-romotorischen Bewegungsstörung das Entwicklungs-untersuchungsintervall von der Progredienz der neu-rogenen Störung, die Bewegungstherapie von senso-motorischen Fortschritten, die orthopädietechnische

Versorgung von Alltagsaktivitäten und technischenMöglichkeiten und die invasive medikamentöse oderchirurgische Therapie von fortschreitenden sekundä-ren Störungen und der psychosozialen Situationabhängen.

Eine exakte Diagnostik ermöglicht die Unterschei-dung primärer, sekundärer und kompensatorischerVeränderungen des Bewegungsapparates und dasErkennen eines eventuell bestehenden Circulus vitio-sus der Entstehung von wachstumsbedingten Defor-mitäten. Schon geringe Fehlfunktionen und Fehlfor-men des reifenden Bewegungsapparates führen zueinem verminderten Wachstum von Muskulatur, Bin-degewebe und Gelenkkapseln. Die Folge sind vor allemim Wachstumsalter rasch progrediente Muskelimba-lance, Kontrakturen und allmähliche Verformungen desGelenkknorpels und Knochens, die die Fehlfunktionweiter verstärken.

Jede kinderorthopädische Behandlung nützt Kräfteund Zeit des Wachstums. Bereits sehr geringe exogeneinwirkende Kräfte können bei kontinuierlicher Applika-tion das Wachstum lenken und damit physiologischeFormung und Funktion des Bewegungsapparates bewir-ken. So können richtige Bewegung, Sportart und Schuheim Alltag therapeutischen Einfluss nehmen.

Je früher die Behandlung beginnt umso wirkungs-voller, und damit weniger invasiv, wird sie sein. Immersind jedoch Nutzen und Risken einer Langzeittherapiegegen die einer punktuellen chirurgischen Behandlungabzuwägen. Moderne intensivmedizinische undschmerztherapeutische Verfahren haben in den ver-gangenen Jahren neue Voraussetzungen für Opera-

4. QUARTAL 2004

KinderorthopädieWalter M. Strobl

0

5

10

15

20

25

Inzidenz (%)

Knickplattfuß

Einwärtsgang

Haltungsstörung

Sichelfuß

Zehengang

Achsenfehler

Rückenschmerz

Entwickl.verzö.

Hinken

Skoliose

Abb. 1

Page 3: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

IMPRESSUM:Dezember Ausgabe ORTHOPÄDIE / Kinderorthopädie

HERAUSGEBER:Michaela Haubl

VERLAG:ADJUTUM Verlag1230 Wien, Schwarzenhaidestr. 25Tel./ Fax 01/95 799 29

PROJEKTLEITUNG:Michaela HaublE-Mail: [email protected]: 0676/848 966 200

REDAKTION:Gudrun BrunnmayrE-Mail: [email protected]: 0676/848 966 201

ANZEIGENVERKAUF:Peter AbromeitTel: 0676 /848 966 202Fax 01/95 799 29

LAYOUT & PRODUKTION:Manz Crossmedia1051 Wien, Stolberggasse 26Tel. 01/54 665-0www.manzcrossmedia.at

BANKVERBINDUNG:BAWAGBLZ: 14000Konto-Nr.: 17910507028

ABO-VERWALTUNG:Tel./Fax: 01/ 95 799 29Jahres ABO 2004 zum Preis von: € 30,–(inkl. MwSt. und Porto) 6 AusgabenEinzelpreis: € 6,– (inkl. MwSt. und Porto)Erscheinungsweise: periodisch

Ankündigungen, Empfehlungen sowie sonstige Beiträgeund Berichte, für deren Veröffentlichung ein Entgelt gelei-stet wird, sind am Ende des Beitrages mit den Buchstaben"EB" gekennzeichnet.

EDITORIALKinderorthopädie 2W. M. Strobl

THEMENGangbild, Haltung und Motorik – Was ist normal? 5W. M. Strobl

Welche Faktoren beeinflussen die Motorik? 10M. Baumgartner

Diagnose und Behandlung von Hüftreifungsstörungen 16R. Graf

Erkrankungen des Fußes im Wachstumsalter 21R. Suda, F. Grill

Grundsätzliches zur Frakturenbehandlung im Wachstumsalter 25W. E. Linhart

Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31F. Landauer

EXPERTENINTERVIEWDer Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen im Kindesalter – W. M. Strobl 18

PHARMA-NEWSBisphosphonate 34

KONGRESS-NEWSBisphosphonate 35

INHALT

Bereits seit Beginn der 90-er Jahre wird Botulinum-toxin A bei spastischen Bewegungsstörungen im Kin-desalter eingesetzt. Die Erfahrungen bestätigen dieTherapie als ein effektives und sicheres Verfahren zurReduktion muskulärer Hyperaktivität.

Obwohl das Wissen zum Einsatz von Botulinumtoxin Abei Kindern natürlich von der langjährigen Erfahrung die-ser Therapie in der Erwachsenen-Neurologie profitiert,kann es nur bedingt auf Kinder übertragen werden. Dasunreife Gehirn, noch nie erlernte Bewegungsabläufe undWachstum sind bei dem Einsatz dieser Therapie bei Kin-dern einer Herausforderung für die behandelnden Ärzte.

Um die Botulinumtoxin-Therapie bei Kindern opti-mal anzuwenden und damit ein breites Indikations-spektrum abzudecken, bedarf es daher spezieller Erfah-rung und Fachkompetenz.

In unserem Experten-Interview (siehe Seite 18) mitOA Dr. med. Strobl weist dieser auf die sehr unter-schiedlichen Therapieziele hin, die bei der Behandlungmit Botulinumtoxin A erreicht werden können. Nebendem häufigen Ziel der Funktionsverbesserung könnenauch operative Eingriffe simuliert werden. Bei schwerbetroffenen Kindern stehen palliative, schmerzreduzie-rende Aspekte im Vordergrund.

Es bedarf daher einer sorgfältigen Untersuchung desKindes, um Ein- und Ausschlusskriterien für eine The-

rapie mit Botulinumtoxin A zu prüfen, ein Therapiezielzu formulieren und die entsprechenden Zielmuskelnincl. Dosierung individuell festzulegen. Neuromuskulä-re Erkrankungen mit erhöhtem Muskeltonus, bei denendie Spastik das zentrale Symptom darstellt, sind dasHaupteinsatzgebiet für Botulinumtoxin A.

Grundsätzlich ist ein früher Beginn der Therapie mitBotulinumtoxin A sinnvoll, wenn sich die Spastiktonisch-dynamisch darstellt und noch keine strukturel-len Muskelverkürzungen vorliegen.

Obwohl der rein pharmakologische Effekt nach 3-6Monaten abklingt, sind die funktionellen Verbesserun-gen oft auch über diesen Zeitraum hinaus festzustellen.Bei gutem Ansprechen auf die Therapie können not-wendige operativ-korrigierende Eingriffe vielleichtnicht ganz aufgehoben, jedoch oft auf einen späterenZeitpunkt verschoben werden.

In seiner langjährigen Erfahrung hat Dr. Strobl diebesten Therapieergebnisse dann erreicht, wenn derEinsatz von Botulinumtoxin A mit weiteren konservati-ven Begleittherapieoptionen kombiniert wird wiePhysiotherapie, Orthesen und Nachtlagerungsschie-nen. Bei einigen Kindern erreicht man dadurch nichtnur einen additiven, sondern sogar einen multiplikati-ven Effekt.

Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen im Kindesalter

OA Dr. med. Walter Michael StroblAbt. für Kinderorthopädie, Orthopädisches Spital SpeisingSpeisinger Str. 109, 1134 Wien

„EB“

Page 4: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

EDITORIAL

4

tionsindikationen in der Kinderor-thopädie geschaffen.

Auch in Zukunft werden kinder-orthopädische Krankheitsbildereinem steten Wandel unterliegen.Möglichkeiten und Grenzen derPädiatrie, Intensivmedizin, moleku-largenetischen Diagnostik und The-rapie werden diesen Wandel mitbe-stimmen.

Motorik und Bewegungsapparatdes wachsenden und reifenden Kin-des werden als komplexes Bewe-gungssystem, beeinflusst vonKrankheit und Gesundheit, Armutund Wohlstand in Zukunft einernoch exakteren Diagnostik undAnalyse zugänglich werden. DieHoffnungen in die Vorbeugung undBehandlung von Erkrankungen, dieMobilität und Selbstständigkeitjedes Menschen bis ins hoheErwachsenenalter nicht beeinträch-tigen dürfen, werden daher weitersteigen.

Offene interventionelle Kernspin-tomographen ermöglichen voraus-sichtlich funktionelle Gelenkuntersu-chungen mittels Echtzeitbildgebung.Bei weiterer Verbesserung dieserTechnik können im offenen MRTmöglicherweise alle anatomischenStrukturen, wie z.B. Repositionshin-dernisse, detailgenau, dreidimensio-nal und funktionell identifiziert, undOperationsplanung und -technikenweiter optimiert und für den Patien-ten minimiert werden.

Körpereigenes Gewebe undneuartige Materialien der Werkstoffwissenschaften werdenTrans- und Implantationen in derchirurgischen Kinderorthopädieund die kinderorthopädischeOrthetik und Prothetik verändern,wenn dadurch ein neuer Standardder Biokompatibilität und desKomforts, und eine nachhaltigeVerbesserung der Lebensqualitätdes wachsenden und erwachse-nen Menschen erreicht werdenkönnen.

Im vorliegenden Heft soll einÜberblick über die häufigsten aktuellen Behandlungs-möglichkeiten der Kinderorthopädie geboten werden.Das Spektrum umfasst moderne Ansätze der konserva-tiven Therapie des reifenden Bewegungsapparatessowie bewährte und neue Methoden in der Behand-lung des kindlichen Fußes und Hüftgelenkes. Nebenmodernen therapeutischen Aspekten von Haltungs-und Bewegungsstörungen werden neue Möglichkeitender Kindertraumatologie und Orthopädietechnik darge-stellt.

Wir hoffen Ihnen damit eine fundierte und praxisna-he Information zu diesen wichtigen kinderorthopädi-schen Themen geben zu können.

Ihr Walter Michael Strobl

Kontaktadresse: OA Dr. Walter Michael StroblAbteilung für Orthopädie des Kindes- und JugendaltersOrthopädisches Spital Wien-SpeisingSpeisinger Straße 109, A-1130 Wien, Tel. +43-1-80 182-483Ordination: MOTIO Zentrum f. KinderorthopädieBreitenfelder Gasse 18-20, A-1080 WienTel. +43-1-40 50 50 20, Email: [email protected]

4. QUARTAL 2004

74

BEWEGUNG FÜR DIEKLEINEN

„Kinder in Rollstühlen sindnicht dazu verurteilt, ihre Vitali-tät und Lebensfreude allein mit-tels geistiger Aktivitäten auszu-leben. Sie sollen genauso wiegesunde Kinder ein im wahrs-ten Sinne des Wortes bewegtesLeben führen können,“ sagenGerhard Dauter und GünterForthuber, die bei bständig denBereich „Orthopädie und Neu-roorthopädie für Kinder und Ju-gendliche“ leiten. Es kommeviel mehr darauf an, auch Kin-dern im Rollstuhl durch einperfekt auf das Kind abge-stimmtes Produkt ein Lebenin „Bewegung“ zu ermög-lichen – ob Kinder nun vorüber-gehend oder über einen länge-ren Zeitraum einen Rollstuhlbenutzen müssen.

Mit Hilfe einer Vielzahl von Ein-stellungen und Zusatzbehelfen

lässt sich das Wohlbefindendes Kindes bestmöglich opti-mieren. bständig bietet Hilfe-stellung insbesondere bei fol-genden Schwerpunkten:

• Spastiker (Spastische Tetra-parese)

• CP (Cerebralparese)

• ICP (Infantile Cerebralparese)

• Mehrfachbehinderungen

• MMC

Das Spektrum reicht hier vonSchienen und Apparaten, Mie-dern und Sitzschalen nach Maßbis zu Steh- und Gehversor-gungen. Die Beratung wird mitden behandelnden Ärzten oderTherapeuten ganz auf die Not-wendigkeiten des Kindes abge-stimmt. Die bständig Expertenfür Kinderorthopädie und -re-habilitation betreuen unter an-derem auch Krankenhäuser,Uni-Kliniken und diverse Be-hinderteneinrichtungen.

Mobil zu sein, bedeutet Spaß – und derist für jedes Kind wichtig.

>BESUCHEN SIE UNSERESPEZIALISTEN IM 1. UND 2.OBERGESCHOSS DES BSTÄNDIG COMPETENCE CENTERS RANFTLGASSE 9, 1170 WIENTELEFON 01/485 57 18-210

BSTÄNDIGLEISTUNGSANGEBOT:

SCHIENEN

• US-Schiene (Klumpfuß, Sichelfuß, Spitzfuß)

• DS-Schienen

• Kniestreckschienen

• A-Schienen

• Post OP

APPARATE

• OUS-Gehapparate

• Reziprokator

• Swivel-Walker

MIEDER

• Stoffmieder nach Maß

• Soft Body-Jacket

SITZSCHALEN

• Leichtbausitzschalen nach Maß

• Vakuumsitzschalen

• Ganzkörperliegeschalen

ROLLSTÜHLE

• individuell angepasst

• Sitzschalenrollstühle

• Aufrichterollstühle

UNTERGESTELLEFür den Innen- und Außen-bereich

STEHVERSORGUNGEN

• Stehständer

• Stehtische

• Bauch- und Rückenschräg-liegebretter

GEHVERSORGUNGENDiverse Produkte für indivi-duelle Bedürfnisse

THERAPIEHILFEN

• Kopfschutzhelme

• Inkontinenz-Badehosen

• Behindertenräder

21. Kinder(-neuro-)orthopädie

Page 5: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

BEWEGUNGSABLÄUFE

5

4. QUARTAL 2004

Der aufrechte Gang und die stehende und sitzendeHaltung des Menschen können als eine Höchst-leistung des Bewegungssystems aufgefasst wer-

den. Die Entwicklung des Pyramidenbahnsystems unddes Neokortex während der Evolution und der früh-kindlichen Entwicklung stellen wesentliche Vorausset-zungen für die sensomotorische Feinsteuerung der sta-bilen Becken-Oberkörper-Haltung und des zweibeini-gen Ganges des Menschen dar. Jeder Mensch ist auf-grund seiner charakteristischen Haltung und Bewe-gung unverwechselbar. Psyche – Gehirn – Nerven –Muskeln – Ligamente-Knochen ermöglichen aufgrundständiger Rückmeldungen ein für jeden Menschen typi-sches Bewegungsmuster beim Sitzen, Greifen, Stehenund Gehen.

Ein großer Teil kinderorthopädischer Erkrankungenwird durch Störungen des aktiven Teiles des Bewe-gungssystems hervorgerufen. Erfahrungen kinderor-thopädischer Zentren zeigen, dass etwa bei einem Drit-tel der Kinder und Jugendlichen, die aufgrund orthopä-discher Probleme die allgemeine Sprechstunde aufsu-chen, Veränderungen des neuromotorischen Bewe-gungssystems vorliegen. Das Erkennen der zugrunde-liegenden neurogenen oder muskulären Störungen istfür die Therapieplanung und Prognose der Bewe-gungserkrankung notwendig, die Grenzen zwischen„normal“ und pathologisch sind jedoch fließend. (Abb. 1: Was ist normal?)

Das Gangbild unterliegt beispielsweise darüber hi-naus nicht nur einer großen individuellen, sondernauch einer – auf eine Person bezogenen – altersbeding-ten Variationsbreite. Es „reift“ mit der Entwicklung derGrob- und Feinmotorik des Klein- und Vorschulkindesbis etwa zum Alter von 6-7 Jahren. Im Pubertätswachs-tumsschub sind noch geringe Veränderungen durchAdaptierungsvorgänge der Muskulatur zu erwarten.

In welchem Fall können Gangbild, Haltung und Bewegungsablauf als „normal“ beurteilt werden?

In der Praxis hilft uns zunächst die Erhebung derAnamnese, mit den Meilensteinen der motorischenEntwicklung, da allein aus dieser, unter Berücksichti-gung der kritischen Phasen der Entwicklung des Bewe-gungsapparates, bereits bei der Mehrheit der vorge-stellten Kinder die richtige Diagnose erkannt werdenkann.

Der klinische Untersuchungsgang ist abhängigvom Alter des Kindes und umfasst eine orientierendeentwicklungsneurologische und statomotorische Un-tersuchung der aktiven und passiven Gelenkbeweglich-keit, Kraft und Koordination sowie der Alltagsaktivitä-ten im Gehen, Stehen und Liegen. Eine ausreichendeGehstrecke ist ebenso erforderlich wie eine Untersu-chungsmatte in der Spielecke.

Ergänzende Hinweise und eine Bestätigung der Diagnose liefern im Bedarfsfall bildgebende und instru-mentelle Verfahren, auch die qualitative Videoanalyseund quantitative 3-D-Bewegungsanalyse sowie NLG,EMG, dynamisches EMG und Feinnadel-EMG könnenbei der Differenzierung hilfreich sein.

Ziel der Untersuchung ist immer die Bestimmungvon Knochen- und Gelenkdeformitäten, Achsenfehl-stellungen, des Grades muskulärer Schwäche, Verkür-zung oder Kontraktur der Haltung und sensorischer,propriozeptiver und kognitiver Funktionen. Wichtig istdie Unterscheidung zwischen primären, sekundärenund kompensatorischen Veränderungen.

Die Reifung der menschlichen Motorik folgt Gesetzmä-ßigkeiten, die uns ermöglichen jedem Lebensalter typi-sche Störungen des Bewegungssystems zuzuordnen.

1) Während des Embryonalstadiums findet dieAnlage- und Organentwicklung auf der Basis geneti-

Gangbild, Haltung und Motorik – Was ist normal?Walter M. Strobl

Was istNORMAL

?

Abb.1

ANZEIGE

Info

rma

tio

ne

n a

uf

Se

ite

35

Page 6: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

BEWEGUNGSABLÄUFE

6

scher und Information statt. Aktive Bewegung ist durchMuskelkontraktion möglich.

2) Im Fetalstadium findet die Reifung und das Grö-ßenwachstum der Organe statt. Eine Abweichung derphysiologischen Bewegung durch Muskelaktivität kanndurch Videoaufzeichnungen erkannt werden. Bewe-gungsstörungen können Lageanomalien im Uterus undperipartale Probleme verursachen.

3) Im ersten Lebensjahr reift die Willkürmotorikvon cranial nach caudal.

Ausgeprägte Asymmetrien der Grobmotorik sindvor allem im ersten Lebenshalbjahr sehr häufig undmeist reversibel, ebenso ein verspätetes Erreichen dermotorischen Meilensteine. Auffallende motorische undsensorische Reifungsverzögerungen müssen jedoch imRahmen von Entwicklungsuntersuchungen analysiertwerden. Auswirkungen auf die Reifung der Bewe-gungsorgane, insbesondere der Füße, Hüftgelenke undWirbelsäule bestehen regelmäßig. Differentialdiag-nostisch müssen cerebrale Bewegungsstörungen undMuskelerkrankungen einerseits und Stoffwechseler-krankungen andererseits in Betracht gezogen werden.

Das Symptom des muskulären Schiefhalses istgekennzeichnet durch eine fixierte Schiefhaltung desKopfes aufgrund einer Verkürzung und Fibrosierungdes M. sternocleidomastoideus mit Neigung des Kop-fes zur betroffenen Seite und Rotation zur Gegenseite.Eine Frühbehandlung durch tägliche Dehnungsübun-gen begleitet durch eine physiotherapeutische Behand-lung ist meist zumindest durch 6 Monate notwendigum eine physiologische Bewegung zu erzielen. Bei Per-sistieren der Fehlstellung und stark fibrotischemUmbau des Muskels ist im zweiten Lebensjahr eineoperative Lösung durch ein proximales und distalesRelease des M. sternocleidomastoideus erforderlich.Postoperativ wird das mehrmonatige therapeutischeProgramm vom Tragen einer asymmetrischen Halskra-watte begleitet, die Zeit richtet sich nach dem klini-schen Verlauf.

4) Im Kleinkindalter reifen Gangbild und Haltungmit der kontinuierlichen Entwicklung der Verschaltun-gen der Pyramidenbahn, sodass zunächst nach demErlernen eines sicheren freien Gehens der Einbein-stand, dann das Stufensteigen, der physiologischeAbrollvorgang des Fußes und das Hüpfen auf einemBein möglich wird.

Die Reifung der Fußhaltung steht dabei mit der Rei-fung der Pyramidenbahn während der Entwicklungzum reifen aufrechten Gang in enger Verbindung undeine protrahierte Knicksenkfußhaltung sollte Anlass zurÜberprüfung der Motorik geben.

Auch die Beinachsenentwicklung folgt im Kleinkind-alter Gesetzmäßigkeiten, die bei jeder klinischen Unter-suchung berücksichtigt werden müssen. In der Frontal-ebene bestehen physiologische Genua vara im Alter biszu 24 Monaten, anschließend entwickeln sich leichtephysiologische Genua valga im Alter zwischen 24 und48 Monaten. Mit etwa 5 Jahren ist eine gerade Bein-achse zu erwarten.

In der Transversalebene werden Innen- und Außen-torsionsstörungen differenziert. Das sehr häufigeSymptom des Einwärtsganges bedarf zunächsteiner Differenzierung ob eine funktionelle, also neuro-

muskulär bedingte, oder eine anatomische, knöchernbedingte Ursache vorliegt. In einem zweiten Schritt istzu klären auf welcher Ebene eine Torsionsstörung derBeinachse besteht. (Abb. 2: DD des Einwärtsgangs)

Auf Hüftgelenkebene führt eine vermehrte Antetor-sion des Schenkelhalses zu einem „knee-in“, einer Ein-wärtsdrehstellung der Patella beim Stehen und Gehen.Aufgrund der in nahezu 90% der Fälle eintretendenSpontankorrektur während des Wachstums stehenBeratung und Kontrolluntersuchungen im Vorder-grund. In seltenen Fällen ist eine intertrochantäre Dero-tationsosteotomie des proximalen Femurs erforderlich.

Auf der Ebene des Unterschenkels führt eine exzes-sive Tibia-Innentorsion zu einem „toe-in“, einer Ein-wärtsdrehstellung des Fußes. Auch diese Torsionsfehl-stellung ist meist im Laufe des Wachstums rückläufig,sodass nur bei wenigen Kindern eine supramalleoläreDerotierung der Tibia indiziert ist. Auf der Ebene desFußes führt auch eine Metatarsus adductus-Fehlstel-lung zu einem Einwärtsgangbild.

Ein funktionelles Einwärtsgangbild kann besondersbei bis zu diesem Alter noch nicht erkannten, minima-len und leichten Formen cerebraler Bewegungsstörun-gen oder neuromuskulärer Erkrankungen einen erstenHinweis für eine genaue entwicklungsneurologischeUntersuchung des Kindes liefern.

Der Zehenballengang ist eine weitere Form einerhäufig in der Praxis gesichteten Gangstörung, die uni-lateral zum Hinken, bilateral jedoch effizienten Art derFortbewegung führt. Psychomotorische Haltungsstö-rungen mit einer Ventralverlagerung des Körper-schwerpunktes werden beispielsweise mittels aus-schließlicher Vorfußbelastung kompensiert. Der inter-mittierend auftretende habituelle Zehenballengangbedarf selten einer Behandlung, während sekundärestrukturelle Verkürzungen des Triceps surae bei neuro-motorischen Erkrankungen oder angeborenen Fehl-bildungen nach einer Analyse der Kräfteverhältnisse anallen Gelenken beider unterer Extremitäten zur Ökono-misierung des Gangablaufes korrigiert werden müs-sen. Die Differentialdiagnostik des Zehenballengangesist eine häufige Beschäftigung in der Praxis (s. Abb.3: DD des Zehenballengangs).

Nicht immer führen uns Fehlform oder Schmerzenzur einfachen Lokalisierung und raschen Diagnosefin-dung. Im Kindesalter ist es sehr oft die gestörte Funk-tion oder Kompensationsbewegung, die das erste,

4. QUARTAL 2004

TH

Fehlhaltung

flexibel

TH

Metatarsus

adductus

fixiert

Sichelfuß

evt.TH

Torsions-

syndrom

fixiert

TH

neuromusk.

Störung

Muskel-

imbalance

Tibia-

innentorsion

evt.TH

AT-

syndrom

fixiert

TH

neuromusk.

Störung

Muskel-

imbalance

Femur-

antetorsion

Abb. 2

ANZEIGE

Info

rma

tio

ne

n a

uf

Se

ite

35

Page 7: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

BEWEGUNGSABLÄUFE

7

4. QUARTAL 2004

manchmal lange, unerkannte Symptom für eineErkrankung des Bewegungsapparates darstellt. „Hin-ken“ ist ein häufiger Vorstellungsgrund in der Praxis,der eine exakte kinderorthopädische Untersuchungerforderlich macht. So können lokale Schmerzen,Bewegungseinschränkungen, Beinlängendifferenzen,Achsenfehlstellungen, neurologische Auffälligkeitenoder Muskelschwächen differenziert werden.

5) Im Vorschulalter zwischen dem 5. bis 6. Lebens-jahr erfolgt die weitgehende Ausreifung der Grob- undFeinmotorik. Die gängigen Sportarten des Kindesalterswerden nun technisch leichter erlernbar.

Bei etwa 5% aller Kinder kann eine Reifungsverzö-gerung der Feinmotorik, Koordination oder sensori-scher Funktionen festgestellt werden. Kinder mit einersogenannten minimalen cerebralen Dysfunktionmüssen erkannt, aber nicht in jedem Fall behandelt

werden. Eine Förderung ihrer Defizite ist im pädagogi-schen oder sportmotorischen Bereich möglich.

Symptome sind leicht ataktische Gangstörungen,persistierender Zehenballengang, deutliche Dys- oderAdiadochokinese, assoziertes Mitbewegen der kontra-lateralen oder oberen Extremitätenmuskulatur, Verän-derungen des muskulären Grundtonus, lokalisierteMuskelschwäche und -atrohie oder ausgeprägte dyna-mische oder strukturelle Muskelverkürzungen.

Vor allem bei einer Progredienz der Symptomatik mussdifferentialdiagnostisch an Frühformen seltener neuromu-skulärer Erkrankungen gedacht werden. Bei Vorliegeneiner Muskelschwäche (z.B. Probleme beim Stufenstei-gen) an eine incipiente progrediente Muskelerkrankung,bei leichter Ataxie (z.B. Stolperneigung) an eine hereditäreNeuropathie oder spinocerebelläre Erkrankung.

6) Schulkinder verfügen ab dem 6. Lebensjahr inder Regel über eine reife Grob- und Feinmotorik, siebesitzen eine gute kognitive und motorische Lern-fähigkeit. Auch technisch anspruchsvolle Bewegun-gen kann das Schulkind leicht erfassen und erlernen.Die Übernahme neuer motorischer Möglichkeiten insein Körperschema gelingt allerdings nicht mehr „voll-automatisch“ wie im Kleinkindalter. Dies ist für dieBewegungstherapie, besonders nach operativen Ein-griffen am Bewegungsapparat, von großer Bedeutung.

Verringerung des kindlichen Bewegungsdrangesund zunehmend sitzende Alltagstätigkeiten führen indieser Altergruppe vor allem in modernen Industrie-staaten zu einem häufigeren Auftreten von Haltungs-störungen und Übergewicht.

habitueller

zehengang

normale

Kraft

TH

DG

Muskel-

erkrank.

Muskel-

schwäche

normale

Muskellänge

TH

DG

neuromusk.

Störung

Spastizität

TH

angeborener

Klumpfuß

evt.TH

idiopath.

Verkürzung

TH

DG

Fußheber-

schwäche

fixiert

Wadenmusk.

verkürzt

Abb. 3

36 Jahre Vorsprung in der Kinderorthopädie!

ZENTRALE

1230 Wien, Dirmhirngasse 112Telefon 01/889 11 91-0

Fax Dw 12 oder 33

1230 Wien, Breitenfurter Straße 338Telefon 01/865 94 54

Fax 01/865 23 75

1030 Wien, Juchgasse 13–15Telefon & Fax 01/888 67 53

1070 Wien, Neubaugasse 24Telefon 01/523 13 38Fax 01/523 13 38-4

2500 Baden, Grabengasse 1Telefon & Fax 02252/863 47

3910 Zwettl, Mozartstraße 3Telefon & Fax 02822/513 27 0

7100 Neusiedl/SeeObere Hauptstraße 22

Telefon & Fax 02167/34 64

www.sob.at

Technische KinderorthopädieInformieren, Beraten, Versorgen

Schienen-Sitzschalen-

Mobilitätsversorgungen

Wir verrechnen mit allen Kassen

Page 8: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

BEWEGUNGSABLÄUFE

8

Die Begriffe „Haltung“, „Haltungsschwäche“ und„Fehlhaltung“ sind trotz umfangreicher Literatur wederexakt definiert noch ihre möglichen Auswirkungendurch Langzeituntersuchungen belegt. Haltung ist eindynamischer Vorgang, ein Gleichgewichtszustand zwi-schen der Schwerkraft einerseits und den aktivenmuskulären und passiven ligamentären Strukturenandererseits. Sie ist Ausdruck einer während der Homi-nidenevolution gemeinsam mit dem aufrechten Stehenund Gehen entwickelten Höchstleistung des mensch-lichen Bewegungssystems. Das Symptom der Hal-tungsstörung unterliegt daher einer Vielzahl von Ein-flüssen, ist quantitativ nicht messbar und muss qualita-tiv beurteilt werden. Eine exakte kinderorthopädischeUntersuchung umfasst die Bestimmung von Knochen-und Gelenkdeformitäten, Achsenfehlstellungen, desGrades muskulärer Schwäche, Verkürzung oderKontraktur, sensorischer, propriozeptiver und kogniti-ver Funktionen und der Persönlichkeit des Kindes.Wichtig ist die Unterscheidung primärer, sekundärerund kompensatorischer Veränderungen und das Er-kennen von wachstumsbedingten Wirbelsäulenverfor-mungen (s. Abb.4: DD bei Haltungsstörungen).

Einseitiges Freizeitverhalten durch überwiegendenElektronikkonsum, falsche Ernährung und problemati-sche Gewohnheiten rund um Schultaschen und Schul-möbel tragen zur Entwicklung von Haltungsstörungenund Übergewicht bei. Prävention ist möglich undgefordert.

An erster Stelle steht die sportmotorische Förde-rung aller Schulkinder durch richtigen und motivieren-den Sportunterricht und zusätzlichen altersabhängigenAusgleichssport in der Freizeit. Ein Training koordinati-ver Fähigkeiten und allgemeiner Ausdauer und Leis-tungsfähigkeit im frühen Volksschulalter wird zuneh-mend ergänzt durch das Erlernen von Techniken sym-metrischer Sportarten. Krafttraining muss vor allemwährend des Pubertätswachstumsschubes stets vonAufwärmen und Dehnen der Muskulatur begleitet wer-den um Überlastungsreaktionen zu verhindern.

Schüler mit Haltungsinsuffizienz, ausgeprägtenmuskulären Verkürzungen, leichten Koordinationsstö-rungen oder psychomotorischen Entwicklungsstörun-gen bedürfen einer besonderen Förderung ihrerGesamtmotorik und Körperwahrnehmung.

Ziel ist das Erreichen und langfristige Erhalten ver-besserter koordinativer Fähigkeiten, muskulärer Ba-lance, statomotorischer Ökonomie der Haltung und des

Gangbildes und von Motivation zu körperlicher Bewe-gung im Alltag als Prophylaxe von frühen Schäden desBewegungsapparates.

Eine im Schulalter langsam progrediente Gangunsi-cherheit, Sensibilitätsstörung und Schwäche der Hand-und Fußmuskulatur kann Hinweis auf das Vorliegeneiner der zahlreichen Formen hereditärer motorisch-sensorischer Neuropathien (HMSN) geben, dieUrsache einer angeborenen axonalen Degenerationder peripheren Nerven sind. Frühe Symptome sind ver-zögerte motorische Meilensteine mit spätem Gehbe-ginn, persistierendem Zehengang, Sensibilitätsstörun-gen und langsam fortschreitende Fußfehlstellungen imSinne eines Klump- oder Ballenhohlfußes. Bei Ver-dacht ist eine neurologische Abklärung des Kindes undseiner Familie mit neurophysiologischen, bioptischenund molekularbiologischen Methoden indiziert.

Die symptomatische Therapie der Fußfehlstellungenbesteht in einer frühen wirkungsvollen wachstumslen-kenden Schuh- und Orthesenversorgung, gegebenen-falls einer prophylaktischen Weichteil- oder rekonstruk-tiven ossären Korrekturoperation mit dem Ziel einerbestmöglichen schmerzfreien Schuh- und Gehfähig-keit.

7) Die Phase der Pubertät geht mit hormonellenund psychomotorischen Veränderungen einher, diedas Bewegungssystem entscheidend beeinflussen.

In der ersten Phase der Pubertät, bei Mädchen zwi-schen dem 10.-12. Lebensjahr, bei Knaben zwischendem 12.-14. Lebensjahr steht die Beschleunigung derWachstumsgeschwindigkeit im Vordergrund. Überpro-portionales Längenwachstum vor allem der langenRöhrenknochen, eine temporäre Auflockerung der Epi-

4. QUARTAL 2004

Das Tragen einer beladenen Schultasche stellt für den Bewegungsapparat jedesKindes eine Leistung dar, die vom Alter, Körpergewicht, Gewicht und Form derSchultasche und der Länge des Schulweges abhängt.Untersuchungen zeigen, dass die größten Belastungen durch ein Gewichtsmiss-verhältnis für Kinder in der 5.-6. Schulstufe entstehen.Überlastungen können durch die richtige, körpernahe Beladung in Fächern,Begrenzung mit 10-15% des Körpergewichtes (z.B. durch abschließbare Bücher-kästen und die richtige Handhabung von Arbeitsblättern) und ein ergonomischesTraggurtensystem vermieden werden. Da besonders in den ersten Schulstufengenormte Schultaschen aufgrund des aktuellen Designs auch tatsächlich getra-gen werden, sollte beim Kauf auf einige kritische Details geachtet werden:- geringes Eigengewicht der Schultasche- stabile Konstruktion mit Fächern (wirbelsäulennahe Beladung mit schweren

Büchern)- breiter und einfach feststellbarer Tragegurt (wirbelsäulennahes Tragen)- aus Sicherheitsgründen große Reflektoren außen und das Namenschild des

Kindes innenDas ökonomische Packen der Schultasche sollte als Lernprozess betrachtetwerden, der durch die Eltern und Lehrer gelenkt werden muss.Schulmöbel und Möbel für die Erledigung der Hausaufgaben sollten den Anfor-derungen an die Gestaltung eines ergonomischen Arbeitsplatzes unterliegen.Die Besonderheit des Arbeitsplatzes des wachsenden Kindes liegt in der einfa-chen individuellen Einstellmöglichkeit an die richtigen Längenverhältnisse.Notwendig ist - eine einfach handhabbare Höhenverstellbarkeit des Tisches und des Sessels, - eine einfach zu neigende Arbeitsfläche (10-16°) mit ebener Ablagefläche, - ein flaches Tischfach für ausreichende Beinfreiheit,- ein Sessel mit verstellbarer Beckenkammstütze um die richtige Sitztiefe einzu-

stellen und- eine abgerundete vordere Kante der Sitzfläche.Damit ist ein aktiver Wechsel zwischen den willkürlich definierten physiologi-schen Sitzpositionen (s. Abb.8) möglich:- vordere oder Bereitschaftsposition- entspannte Position- hintere Position mit Rückkippung des Beckens zur Entlastung der Wirbelsäule Die Wirbelsäule wird während der langen Sitzphasen des Schulalltags ausrei-chend gestützt, Fehlhaltungen vorgebeugt und Überlastungen vermieden.

KO

Pubertäts-

wachstum

TH

DG

neuromusk.

Störung

muskuläre

Insuffizienz

evt.TH

psychogen

Haltungsinsuffizienz

TH

Spondylitis,

Scheuermann,

Tumor

Schmerzen

TH

DG

Scheuermann,

Listhese,

neuromusk.

Kyphose

TH

DG

Skoliose,

Schiefhals,

neuromusk.

Asymmetrie

fixierte Fehlhaltung

Abb. 4

Page 9: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

BEWEGUNGSABLÄUFE

9

4. QUARTAL 2004

und Apophysenfugen sowie ein Nebeneinander vonBewegungsmangel und sportlicher Überlastung führenin dieser Altersgruppe sehr häufig zu Haltungsproble-men und Störungen an den Wachstumsfugen.

8) Das Adoleszentenalter geht wie die Pubertät mitpsychomotorischen Veränderungen und einem Wan-del des Bewegungsverhaltens einher. Die allmählicheAusreifung des Gelenk- und Skelettsystems und derKraftzuwachs der Extremitätenmuskulatur verlagertden Locus minoris resistentiae des Bewegungsappara-tes in dieser Altersgruppe hin zu den Ligamenten undSehnen und deren Ansatzstellen am Skelett.

Cerebralparese – eine schwere Bewegungsstörung

Der Symptomenkomplex der Cerebralparesen stelltmit einer Inzidenz von 1:500 eines der häufigsten kinder-orthopädischen Krankheitsbilder dar. Der Begriff umfassteine Gruppe von Erkrankungen unterschiedlicher Patho-genese, klinischer Ausprägung und Verlaufsform.Gemeinsam ist ihnen das Bild einer sensomotorischenStörung aufgrund einer frühkindlichen Schädigung desin Entwicklung befindlichen Gehirnes (prä/peri/postnatalbis zum Abschluss des Myelinisierungsprozesses etwaim 4. Lebensjahr); die Hirnschädigung bleibt stationär,der Residualschaden ist veränderlich.

Je nach Lokalisation der Schädigung entsteht dasBild einer Hemi-, Di-, Tetraparese oder einer Misch-form. In der Regel ist der Motorkortex am stärkstenbetroffen und die zentrale Gangsteuerung wird teil-weise oder ganz durch Steuerungsmechanismenersetzt, die in tiefer gelegenen Abschnitten des ZNSlokalisiert werden. Prinzipiell können jedoch alle Hirn-funktionen betroffen sein und es können assoziierteOberflächen- und Tiefensensibilitäts-, Seh-, Sprach-,Hör- und mentale Störungen vorliegen.

Die Summe der Störungen führt vor allem im Rei-fungs- und Wachstumsalter je nach Schweregrad undLähmungsqualität (hopoton, spastisch, dyston, atak-tisch, Mischform) zu Abweichungen der physiologischestatomotorischen Entwicklung. Bei Persistieren unbal-ancierter Krafteinwirkungen auf die Gelenke entstehensekundäre strukturelle Deformitäten. Haltungs- undBewegungsstörungen, Kontrakturen, Schmerzen undinnere Organschäden verursachen in der Folge einebeträchtliche Einschränkung der Lebensqualität undLebenserwartung.

Eine kausale Therapie zentraler Bewegungsstörun-gen ist nicht möglich, aber eine langfristige Verbes-serung der Lebensqualität bis ins Erwachsenenalterkann mittels verschiedener Therapieverfahren, die imRahmen eines Gesamtbehandlungsprogrammes ange-wandt werden, bewirkt werden:

1) Im Rahmen einer regelmäßigen neuroorthopädi-schen Betreuung werden für den Alltag orthopädi-sche Hilfsmittel angepasst und überprüft, die derTonusregulierung, Schmerzfreiheit und dem Ausgleichfunktioneller Defizite dienen sollen.

2) Eine begleitende Bewegungstherapie auf neu-rophysiologischer Grundlage kann blockweise, inregelmäßigen Therapiestunden oder im Rahmen von

Rehabilitationsaufenthalten durch die Hemmung pa-thologischer und die Anbahnung physiologischerBewegungsmuster, Funktionsverbesserungen für denAlltag erzielen und die Patienten motivieren ihrenBewegungsmangel teilweise auszugleichen.

3) Zusätzliche physikalische Maßnahmen, wie Mas-sagen, Bäder, Mobilisationen und manuelle Therapien,können über eine Reduktion des erhöhten Muskeltonusblockweise eingesetzt zu einer Verbesserung von All-tagsfunktionen beitragen.

4) Die sonderpädagogische Betreuung mehrfach-behinderter Schüler ermöglicht die Integration pädago-gischer und bewegungstherapeutischer Wege zur För-derung ihrer Gesamtentwicklung.

5) Zusätzliche medikamentöse Behandlungsoptio-nen bei hochgradiger Spastizität sind die perorale oderintrathekale Gabe von Baclofen und die lokale Verabrei-chung von intramuskulären Botulinumtoxin-Injektionen.

Abb. 5

Spastische Diparese

längere Gehstrecke,

Laufen, freies Stufen-

steigen vor und

5 Jahre nach

Mehretagen-OP

(Iliopsoas,

Rectus fem., Ischiocr.,

Gastrocnemius bds.)

Abb. 6

Spastische Tetraparese

Schmerzfreiheit &Stehfähigkeit nach Hüftrekonstruktion

offene Reposition, DVO, Pemberton-BO, Mehretagen-OP

6) Auch Operationen können nach äußerst sorgfäl-tiger Indikationsstellung im Team eine deutliche Ver-besserung der Lebensqualität bei Kindern mit cerebra-len Bewegungsstörungen bewirken. Bei gehfähigenKindern wird ein weitgehend symmetrisches und flüs-siges Gangbild ohne hohen Kraftaufwand angestrebt(s. Abb. 5: vor und 5 Jahre nach funktioneller Mehreta-gen-OP), bei nicht gehfähigen Kindern besteht das The-rapieziel in einer schmerzfreien Sitz- und Transfersteh-fähigkeit ohne funktionell störende Fußfehlstellung,Skoliose oder Hüftluxation (s. Abb. 6: vor und nach Hüf-trekonstruktion mit Reposition, DVO, Beckenosteoto-mie und Mehretagen-OP).

Page 10: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

MOTORIK

10

WELCHE KONSEQUENZEN HAT DIES FÜR DIEORTHOPÄDISCHE PRAXIS ?

Kinder können im orthopädischen Praxisalltag viel-fältigste Gangbilder präsentieren. In relativ kurzer Zeithat man die Entscheidung zu fällen, ob eine Weiterbe-treuung des Kindes in der eigenen Praxis notwendigist, ob eine Physiotherapie verordnet oder das Kind zurEntwicklungsdiagnostik überwiesen werden soll. Han-delt es sich um eine Bewegungsauffälligkeit, der eineorthopädischer Ursache zugrunde liegt? Besteht eineauffällige Motorik im Rahmen eines allgemeinen Ent-wicklungsrückstandes, wobei dann das Problem in derBewegungsplanung liegt? Besteht postoperativ beimKind Angst vor neuen Bewegungsmustern oder einschmerzbedingter Schongang? Warum kann die imRahmen der Rehabilitation neu erworbene Vertikalisie-rung bei einem Kind einen so großen Therapieerfolgzeigen und bei einem anderen Kind mit ähnlicherorthopädischer Ausgangssituation für das Kind keinenGewinn bringen?

Im nachfolgenden Artikel werden die einzelnen Ebe-nen, die für den Bewegungsablauf Bedeutung haben,im Vergleich mit einem Computer dargestellt. Genausofaszinierend wie die Welt der Technik, vom Erstellenbis zum Ausdruck eines Bildes, ist mit erstaunlich vie-len Parallelen unsere Motorik, von der Handlungsab-sicht bis zum sichtbaren Bewegungsverhalten.

Die Domäne der OrthopädInnen ist es, „Hardwareprob-leme“, die den Körperbau und die Muskulatur betreffen,zu „reparieren“. Das Mitbedenken der „Software“ hilft,den möglichst optimalen Zeitpunkt der Operation bzw.Möglichkeiten konservativer Therapie zu finden.

Hardware = KörperbauAnatomisches Substrat des NervensystemsIn der Computertechnik brauche ich eine bestimmte

Hardware-Ausstattung für eine bestimmte Aufgaben-stellung. Ein Rechner, der in einer Druckerei für Layoutverwendet wird, wird andere Hardwarebausteine ver-wenden als der Rechner für den Manager, der seinenPC als Kommunikationsmittel benützt.

Ein proportionierter Körperbau ohne Fehlstellun-gen ermöglicht Hebelwirkungen, die geschmeidigeBewegungen zulassen. Normale anatomische Struk-turen im zentralen und peripheren NS sind die

Grundvoraussetzung für das Umsetzen der einströ-menden Reize in Impulse und die Ausbildung vonDendriten, wodurch die Möglichkeit für eine Vernet-zung gegeben ist. Die motorische Begabung mit ihrergenetischen Verankerung zeigt individuelle Quali-tätsunterschiede im motorischen Verhalten, diemeist durch extremes motorisches Üben nicht zuerreichen sind.

Bedeutung für die Praxis:Bei dysproportioniertem Körperbau sind die unhar-monischen, eckigen Bewegungsabläufe aufgrundder Hebelwirkungen therapeutisch nicht beeinfluss-bar. Es sind aber Sekundärschäden, mit denen auf-grund der Fehlbelastungen zu rechnen ist, physio-therapeutisch behandelbar. Das motorische Talent beeinflusst auch die Rehabi-litationsphase, den Umgang mit Fixierungsmaß-nahmen bzw. das Umgewöhnen an neue Transfer-strategien, und soll daher mitbedacht werdenDie motorische Ungeschicklichkeit, Clumsiness,zeigt sich in eingeschränkten Balancereaktionenund fehlendem flüssigen Bewegungsablauf beirhythmischen Sequenzen. Sie weist häufig eine familiäre Komponente auf.Hier ist meist keine Einzeltherapie indiziert, aberFörderung im Sinne von Breitensport.

Elektrische Energie = Adenosintriphosphat (ATP)Wie der Computer für seine Funktionstüchtigkeit

elektrischen Energie benötigt, so ist für jede motori-sche Aktivität Energie letztendes in Form von ATP not-wendig.

Bedeutung für die Praxis:Energiemangel drückt sich in einer geringeren

Belastbarkeit, Bewegungsarmut und Hypotonie aus(z.B. bei cardialer und/oder respiratorischer Insuffi-zienz, Stoffwechselerkrankungen, u.a.m.).

Hier können konservative othopädische Maßnah-men, vor allem in Form einer guten Hilfsmittelver-sorgung zur Ermöglichung der Kommunikationbzw. Verbesserung vitaler Funktionen für das Kindeinen großen Gewinn bringen und die Lebensqua-lität sehr verbessern.

4. QUARTAL 2004

Welche Faktoren beeinflussen die Motorik?Manuela Baumgartner

Page 11: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

MOTORIK

11

Eingabe auf der Tastatur = Reiz, der aufeinem Rezeptor trifft

Fehlt beim Computer die bedienende Person, bzw.ist die Tastatur defekt, ist entweder gar keine Erstellungeines Bildes möglich, oder es gelingt nur lückenhaft.

Adäquate Förderung in der Familie und im sozialenUmfeld sowie eine ungestörte Wahrnehmung ermög-lichen dem Kind, orientiert an Vorbildern, vielfältigemotorische Erfahrungen und einen positiven Lernpro-zess. Bei jedem Lernprozess werden bereits gemachteErfahrungen mit den neuen verglichen, adaptiert undso neue Synapsen geknüpft.

Mangelnde Reizaufnahme durch zu wenig Angebotvon außen, aber auch durch Defekte in den Rezeptorenselbst beeinträchtigen das motorische Lernen, sie sindbei der klinischen Analyse herauszufiltern.

Bedeutung für die Praxis:Mangelhafte Eingabe = Mangelhaftes FörderangebotDeprivation drückt sich z.B. in einer eingeschränkten

Handlungsvariabilität aus, was speziell im Spielverhal-ten beobachtet werden kann (stereotype Bewegungs-muster, Schaukelbewegungen und Jactatio capitis).

Für diese Kinder ist es ein Gewinn, wenn sie mög-lichst früh im Rahmen einer Kleinkinder- bzw. Kinder-gartengruppe Zuwendung und Förderung erhalten.

Fehlerhafte Tastatur = Receptorproblem:Proprioceptive Hyposensibilität kann sich in plumpen

Bewegungsabläufen mit undosiertem Krafteinsatz undKompensationsmustern wie z.B. überstreckte Gelenke,Faustschluss etc. ausdrücken. Das Einnehmen endlagi-ger Gelenkstellungen gibt den Kindern klarere Rückmel-dungen über ihren Körper. Für diese Kinder ist die Ver-ordnung einer Ergotherapie mit dem Ziel der Verbesse-rung der proprioceptiven Wahrnehmung sinnvoll.

Sind die visuellen oder vestibulären Rezeptorenbetroffen, geht damit auch ein sicherer, harmonischerBewegungsablauf verloren. Die Schritte werden vor-sichtiger gesetzt, rasche Bewegungsabläufe, die exakteKoordination brauchen, werden vermieden.

Taktile Hypersensibilität kann als Zehenballengangimponieren, da die kleinstmöglichste Berührungsflächegesucht wird.

Für diese Kinder mit „Receptorproblemen“ im pro-prioceptiven, vestibulären oder taktilen Bereich istdie Verordnung einer Ergotherapie sinnvoll. Ist dasvisuelle System betroffen, können die Kinder voneiner Seh-Frühförderung sehr profitieren.

Taktile oder proprioceptive Schmerzreize können dasBewegungsbild im Sinne eines Schonganges in den ver-schiedensten Varianten erscheinen lassen (z.B. Zirkum-duktion, Hinken, Zehenballengang etc.). Entsprechendder Lokalisation ist dies meist asymmetrisch.

Ein entsprechendes Entkleiden, eine exakte Anam-nese und eine Begutachtung des äußeren Aspektessind daher bei der Untersuchung unabdingbar undsollten nicht dem Zeitdruck zum Opfer fallen.Weiters ist ein Schongang in angemessener Zeit zukontrollieren! Cave: coxitis fugax DD Mb.Perthes

CPU (zentrale Verarbeitungseinheit) = Großhirnrinde:

So wie beim PC in der CPU Programme und Datengeladen und verarbeitet werden, werden im Cortex dieeinströmenden Impulse aufgenommen, vernetzt undgespeichert. Im Gegensatz zum PC, der immer nurgenau das macht, was man ihm eingibt, schafft unserGehirn durch Sammeln und Erweitern neuer DatenQuerverbindungen und somit neue Erfahrungen undneues Wissen.

Bedeutung für die Praxis:Die mentale Behinderung zeigt sich in der Motorik

durch mangelhafte Feinabstimmung, sowohl bei Kraft-dosierung als auch bei der Koordination. RhythmischeBewegungsabfolgen zerfallen in Einzelbewegungen.Die Automatisierung ist erschwert. Beim Schreibvor-

4. QUARTAL 2004

Ihr Ansprechpartner: Mag. Thomas Liebscher Tel: 01/796 98 20HYPO Oberösterreich, Filiale 1010 Wien, Wipplingerstraße 30/3

Page 12: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

MOTORIK

12

gang, dem schwierigsten feinmotorischen Bewegungs-ablauf, wird dies besonders deutlich.

Für diese Kinder ist eine Entlastung der Handfunk-tion durch Betätigung einer Tastatur nicht zielfüh-rend. Das kognitive Defizit ist der limitierende Faktorfür ein Mitkommen im Klassenniveau.

Mit großer Ausdauer können bei geistig behindertenund autistischen Kindern immer wieder dieselbenHandlungen ohne Variabilität bzw. Manierismen durch-geführt werden. Ein Unterbrechen von außen kann zuWutausbrüchen führen, da das Kind in der MonotonieHalt und Sicherheit findet.

Im operativen Management und der oft notwendi-gen postoperativen Fixierung können sowohl dieUnruhebewegungen als auch die Wutausbrüchezum großen Problem werden. Hier bewährt sichbesonders eine gute Zusammenarbeit zwischenOrthopädIn, KinderärtzIn und TherapeutIn, sowieeine psychologische Vorbereitung auf die Opera-tion, manchmal auch Kompromissbereitschaft. Die mangelnde Einsicht und somit auch fehlendeMotivation dieser Kinder für die Durchführung the-rapeutischer Übungen müssen bereits bei der Pla-nung einer Operation einkalkuliert werden.Die Aufklärung über diagnostische und therapeuti-sche Eingriffe ist entsprechend dem Entwicklungsal-ter durchzuführen, dementsprechend ist auch miteiner Kooperation zu rechnen.

In der Großhirnrinde findet auch die Speicherungdes Erlernten in Form von Engrammen statt. Dort istder Sitz unseres Gedächtnisses.

Dem kognitiv beeinträchtigtem Kind ist aufgrund sei-ner eingeschränkten Merkfähigkeit ein Abrufen vonVereinbarungen nur sehr eingeschränkt möglich, auchwenn es zuvor noch verständnisvoll eingewillligt hat.Da die Eltern ihr Kind am besten einschätzen kön-nen, ist das Einholen ihrer Meinung ratsam.Eine Bezugsperson, die stationär mitaufgenommenist, stellt für das Kind und das Stationspersonaleinen großen Gewinn dar, da diese Kinder Ritualelieben und auch einfordern.

Software – Anfang Je mehr unterschiedliche Programme für einen PC

zur Verfügung stehen, umso mehr alternative Arbeits-möglichkeiten kann er anbieten. Je mehr Erfahrungenein Mensch gesammelt hat, desto reicher ausgestattetsind seine zentralen neuronalen Netzwerke und destogrößer ist die Zahl seiner synaptischen Verknüpfungen.

Handlungsvariationen sind abhängig von Förderungund somit von der Möglichkeit Lernschleifen zu trainie-ren.

Bedeutung für die Praxis:In der Therapie und Fördersituation kann das moto-rische Lernen durch Facilitation, Ändern der Unter-stützungsfläche, spezielle Umweltgestaltung (Stu-

fen, Rollen, Matten) etc. forciert werden, was zumErwerb neuer Handlungs- und Bewegungsstrate-gien führt. Neue motorische Erfahrungen erweiterndas motorische Repertoire.Zu viele Erlebnisse, durch ein gut gemeintesZuviel an Therapie, bewirkt den gegenteiligenEffekt. Während einer Rehabilitationsphase kön-nen, zeitlich begrenzt, mehrere Therapieformenparallel angeboten werden, als laufende Therapiemaximal zwei.

Das „Tor zum Gedächtnis“ bildet aber der Hippo-campus. Im sogenannten „limbischen System“ wirdjede Sinneserfahrung, die von einem Rezeptor empfan-gen, über seine Bahnen in das Gehirn geleitet wird,dort zunächst über seine emotionalen Inhalte geprüft.Das limbische System hat für diese Aufgabe zwei Orteder Beurteilung: Positive Eindrücke speichert das sog.Belohnungssystem, negative Eindrücke das sog. Ver-meidungssystem, der „Mandelkern“ im limbischenSystem. Mit dieser positiven oder negativen Bewer-tung versehen, wird im Hippokampus entschieden, obdie Sinnesempfindung in das Langzeitgedächtnisgespeichert werden soll oder nicht. Findet eine positiveBewertung statt, lernt das Kind besser, es wird größereFortschritte erreichen.

Je größer die Motivation, die Aufmerksamkeitsspan-ne und die Freude, desto besser gelingt der Lernpro-zess und die Speicherung über das „Belohnungssys-tem“.

Bedeutung für die Praxis:Positive Erlebnisse, die durch Lob unterstützt wer-den können, sind in der Therapie auch für das moto-rische Lernen sehr wichtig. Ein Lernen unter Angstoder Stress ist abzulehnen.Das Finden des für das Kind richtigen und realisti-schen Nahzieles (Ziel, welches in den nächstenMonaten erreicht werden kann) hat für den Therapie-erfolg einen sehr großen Stellenwert, sodass dieserProzess auch entsprechend Zeit in Anspruch neh-men darf. Je klarer die Nahziele definiert sind, destobesser ist die Kooperation und die Motivation.Jeder weiß wozu!Da die Motivation zur Durchführung von Tätigkei-ten, die man nicht so gut beherrscht, immer gerin-ger ist als bei individuellen Lieblingstätigkeiten,haben „Motivationsförderer“ wie Lob, Musik, war-mes Wasser und Tiere in der Therapie durchausihren Platz. Weiters ist die Anerkennung des Bemü-hens des Kindes von der tatsächlich erbrachten Leis-tung differenziert zu sehen.Im Laufe der Zeit hat jedes Kind seine therapeuti-sche Geschichte. Es ist also nicht nur wichtig, wasein Kind lernt, sondern auch wie und von wem.Speziell in der Pubertät sind genaue Vereinbarun-gen in der Therapie, die die Zeitdauer und die Fre-quenz betreffen, sinnvoll. Für zeitlich begrenzteTherapieblöcke sind Jugendliche leichter zugewinnen. Das Einbeziehen der Kinder in die Auswahl desDesigns der Hilfsmittel erhöht die Akzeptanz derHilfsmittel und somit den therapeutischen Effekt.

4. QUARTAL 2004

Page 13: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

MOTORIK

13

Optimierungssystem durch Automatisierung =Cerebellum, Basalganglien

Man kann am PC verschiedendste Abläufe durchbestimmte Softwareprogramme und Vorlagen energie-sparend beschleunigen (wie z.B. komplexe Abläufewerden gespeichert und mit einem Tastendruck abge-rufen). Entsprechend ist es die Funktion des Cerebel-lums Bewegungsabläufe in dieser Form zu optimierenund zu automatisieren.

Es ist somit verantwortlich für die Automatisierungund Etablierung von Bewegungsabläufen, die bereitserlernt wurden.

Weiters ist das Cerebellum wesentlich mitverant-wortlich bei den Gleichgewichtsreaktionen.

Es ermöglicht auch durch mentale Vorstellung vonBewegungsabläufen, die Motorik zu trainieren.

Die cerebelläre Schleife wirkt insgesamt energiespa-rend, und damit chonomisierend auf das Bewegungs-verhalten.

Bedeutung für die Praxis :Der cerebelläre Gang ist durch eine breite Basis, mitundosierter Schrittlänge gekennzeichnet, da auch indiesen Bereichen die Automatisierung eine entschei-dende Rolle spielt. Patienten wirken wie betrunken,taumelig. Die Automatisierung komplexer Bewe-gungsabläufe ist erschwert. Sprechmotorik sowieSprachmelodie, Optomotorik und Feinmotorik sindmeist mitbetroffen, da auch in diesen Bereichen dieAutomatisierung eine große Rolle spielt.Das Forcieren der mentalen Vorstellung einesBewegungsablaufes kann nicht nur im Leistungs-sport (z.B. gedankliches Durchfahren einer Skirenn-strecke, Spielzüge im Ballsport u.ä.), sondern auchin der Therapie eingesetzt werden.

Optimierungssystem durch Verfeinerung = Basalganglien

So wie ein Softwareprogramm wie etwa Photoshopeine Optimierungsfunktion hat, wie z.B. ein Bild in sei-nen Farben und bezüglich Kontrast und Helligkeit ver-schönern kann, sind die Basalganglien für eine Ver-schönerung und somit weitere Optimierung des Bewe-gungsablaufes zuständig.

Bedeutung für die Praxis:Eine Läsion in den Basalganglien zeigt sich in aus-fahrenden, zu großen Bewegungen, die willkürlichnicht gesteuert werden können (z.B. Athetose, Cho-rea, Ballismus), und durch Emotionen wie Stressund Freude verstärkt werden.Meist ist auch die mimische Muskulatur sowie dieMundmuskulatur mit charakteristischer Intonationmitbetroffen, was zu Fehleinschätzung der häufigsehr intelligenten Menschen führt.

Ein frühzeitiger Einsatz technischer Hilfsmittel isthier besonders angezeigt.Eine athetoide Komponente bedeutet beim spasti-schen Kind eine Minimierung der Luxations-gefahr. Im Alltag sowie in der Therapie sind Athetotiker meistkämpferische Charaktere, die mit großem Einsatz undAusdauer eine Tätigkeit verfolgen können und diesauch im therapeutischen Bereich beweisen. Schwankungen im Muskeltonus spiegeln sich auchin der Stimmung und der Sprechweise wider, wir-ken stimmungslabilisierend, da sie nicht willentlichbeeinflussbar sind. Tadel ist daher bei Menschenmit Läsionen der Basalganglien kontraproduktiv.

Interner Systembus = corticospinale Nervenbahnen

Jede Information, die am PC verarbeitet wird, mussüber den internen Systembus laufen. Dies entsprichtder Weiterleitung der Impulse vom Cortex bis zu denVorderhornzellen über die efferenten corticospinalenBahnen (Top down Prozesse).

Bedeutung für die Praxis:Läsionen im Bereich der corticospinalen Bahnen zei-

gen das Bild der zentralen Bewegungsstörungen,wobei meist die Spastik im Vordergrund steht.

Läsionen des 1. Motoneurons sind klinisch gekenn-zeichnet durch einen abnorm erhöhten Muskelto-nus, der bereits bei Bewegungsabsicht auftritt,gesteigerte Muskeleigenreflexe und assoziierteReaktionen. Diese können willkürlich nicht gesteuertoder unterdrückt werden und werden durch Angst,Freude oder Schmerz verstärkt.Das Bewegungsverhalten wird durch pathologischeMuster geprägt, die wenig variabel, unökonomischund im Krafteinsatz undosiert sind.Bei Umlernprozessen, z.B. nach Sehnentransfers, istder mentale Entwicklungsstand des Kindes mitzube-denken.Welchen Gewinn kann der geplante Eingriff dem Kindim Alltag bringen? Ein ausführliches präoperativesGespräch mit dem Kind und den Eltern hilft die häufigauch psychisch und physisch (auch für die Eltern!)schwierige postoperative Phase gut zu bewältigen.Dem Kind Kommunikationsmöglichkeit zu geben,ist vorrangig. Da bei zentralen Bewegungsstörun-gen meist ein hypotoner Rumpf mit mangelhafterKopf-Rumpf-Kontrolle besteht, hilft eine gute Hilfs-mittelversorgung den Blickkontakt herzustellen.

Peripheriebus = peripherer NervSo wie der Peripheriebus dem Datenaustausch zwi-

schen Rechner und externen Ausgabegeräten (z.B.Drucker) dient, stellt der periphere Nerv die Verbin-dung zwischen Vorderhornzellen und Muskulatur dar.

4. QUARTAL 2004

Ein neues Zuhause für...

Page 14: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

MOTORIK

14

Bedeutung für die Praxis:Läsionen, die das 2. Motoneuron betreffen, zeigensich klinisch in einer meist distal betonten symme-trischen Muskelschwäche, auffälligem Muskelpro-fil (z.B. Storchenbeine) und Fußfehlstellungen (ins-bes. Hohlfuß). Ein typisches Gangbild ist hier derSteppergang bei eingeschränkter Fußheberfunk-tion.Achten auf eventuelle genetische Komponente mitInspektion auch des Gangbildes und des Muskel-profils der Eltern sowie Erheben einer genauen underweiterten Familienanamnese.Speziell bei progredienten Erkrankungen ist eswichtig, dem Kind und seiner Familie ein multidi-ciplinäres Team anzubieten, wo auch operative Ein-griffe prä- und postoperativ gut geplant werdenkönnen.

Pixel = Muskelzelle, motorische EndplatteJe mehr Pixel ein Bild aufweist, desto besser ist

die Auflösung, desto exakter kann ein Bild nachbear-beitet werden, desto besser ist die Qualität. DiesePixel kann man mit Muskelzellen bzw. den motori-schen Endplatten vergleichen. Je mehr intakteMuskelfasern bzw. motorische Endplatten vorhan-den sind, desto besser ist die Qualität im Bewe-gungsablauf, sowohl was die Muskelkraft, als auchwas die Koordination betrifft.

Bedeutung für die Praxis:Pathologie in diesem Bereich zeigt sich häufigschon im Muskelprofil mit Atrophie oder(Pseudo)hypertrophie. Klinische Kardinalsymptomesind eine eher proximal betonte Muskelschwäche,Belastungsintoleranz, Muskelhypotonie und abge-schwächte bis fehlende Reflexe. Typisches Gang-bild ist hier der Watschelgang mit verstärkter Late-ralflexion zu nennen.Bewegungsübergänge vom Boden in den Standkönnen durch ein Hochklettern am eigenen Körperim Sinne des Gower-Zeichens imponieren. Dahermuss das Kind im Rahmen der klinischen Untersu-chung aus der Rückenlage in den Stand beobachtetwerden.Bei progredienten Erkrankungen ist auch an dasAusschöpfen medikamentöser Therapiemöglich-keiten zu denken (Analgetika, Cortison, Carnitinetc.).

Drucker mit Bildausgabe = Bewegungsverhalten

So wie letztendlich als Endresultat ein Bild oderSchriftstück ausgedruckt werden kann, stellt das beo-bachtbare Bewegungsverhalten das Resultat der vor-angegangenen Einzelschritte dar.

Die Art und Weise, Funktion und Qualität des „Aus-druckes“, erlauben Rückschlüsse auf die Lokalisationeines Defektes.

Vor dem Festlegen der weiteren diagnosti-schen Zusatzuntersuchungen und des therapeu-tischen Procederes sind folgende 4 Fragen zuklären:

Tritt die vorliegende Bewegungsauffälligkeit isoliertoder im Rahmen eines generalisierten Entwi-cklungsrückstandes auf?Steht das qualitative oder das funktionelle Defizit imVordergrund?Besteht eine neurologische Symptomatik ? Wenn ja– ist sie dem zentralen oder peripheren Nervensys-tem zuzuordnen?Besteht ein progredienter Verlauf?

So vielfältig wie die Ursachen von „auffälligem“Bewegungsverhalten sein können, so vielfältig sindauch die Therapiean-sätze. Aufgrund derdargestellten Komple-xizität ist für die Anfor-derung einer mög-lichst optimalenBetreuung bewe-gungsauffälliger Kin-der ein multidiscipli-näres Team, in dasunabdingbar aucheine OrthopädIn mit-eingebunden ist,unbedingt notwendig. Ein integriertes multidisciplinä-res Denken, hin zu gemeinsamen Therapiezielen undnicht nur eine (gelegentliche) Summation mehrererDisciplinen hat sich inzwischen bewährt und kann sichauch weiterhin immer nur bewähren.

Korrespondenzadresse:Prim. Dr. Manuela BaumgartnerÄrztl. Leiterin d. Ambulatorium SonnenscheinBirkengasse 53A-3100 St. PöltenE-mail: [email protected]

4. QUARTAL 2004

ANZEIGE

Info

rma

tio

ne

n a

uf

Se

ite

35

FFaacchhkkuurrzziinnffoorrmmaattiioonn

AArriixxttrraa®® 1,5 mg/ 0,3 ml Injektionslösung, Fertigspritze. Arixtra® 2,5 mg/ 0,5 ml Injektionslösung, Fertigspritze. ZZuullaassssuunnggssiinnhhaabbeerr:: Sanofi – Synthelabo, F-75013 Paris • VVeerrttrriieebb:: GlaxoSmithKline PharmaGmbH, Wien • ZZuussaammmmeennsseettzzuunngg:: Arixtra® 1,5 mg/0,3 ml: Jede Fertigspritze (0,3 ml) enthält 1,5 mg Fondaparinux-Natrium. Arixtra® 2,5 mg/ 0,5 ml: Jede Fertigspritze (0,5 ml) enthält 2,5 mg Fondapari-nux-Natrium / Hilfsstoffe: Natriumchlorid, Wasser für Injektionszwecke, Salzsäure, Natriumhydroxid. • AAnnwweenndduunnggssggeebbiieettee:: Zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Ereignisse (VTE) bei Patienten, die sich größeren orthopädischen Eingriffen an den unteren Extremitäten unterziehen müssen, wie beispielsweise Hüftfrakturen, größere Knie- oder Hüftersatzoperationen. • ATC-Code:B1AX05. • GGeeggeennaannzzeeiiggeenn:: Bekannte Überempfindlichkeit gegenüber Fondaparinux oder einen der sonstigen Bestandteile, aktive klinisch relevante Blutungen, akute bakterielle Endokarditis, schwe-re Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin-Clearance <20 ml/min). • SScchhwwaannggeerrsscchhaafftt uunndd SSttiillllzzeeiitt:: Es liegen keine klinischen Erfahrungen bei Schwangeren vor. In den durchgeführten Tierstudien wur-den die Muttertiere nicht ausreichend exponiert. Daher sind die Ergebnisse hinsichtlich der Wirkung von Arixtra® auf Schwangerschaft, embryonale/fetale Entwicklung, Geburt und postnatale Ent-wicklung nicht aussagekräftig. Arixtra® sollte daher während der Schwangerschaft nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden. Fondaparinux geht bei Ratten in die Mutter-milch über. Es ist nicht bekannt, ob Fondaparinux beim Menschen in die Muttermilch übergeht. Die Anwendung von Fondaparinux während der Stillzeit wird nicht empfohlen. Eine Absorption nachoraler Aufnahme von Arixtra® durch den Säugling ist jedoch unwahrscheinlich. • VVeerrsscchhrreeiibbuunnggssppfflliicchhtt // AAppootthheekkeennppfflliicchhtt:: Rezept- und apothekenpflichtig. • Weitere Angaben zu Dosierung, Art undDauer der Anwendung, Warnhinweise und Vorsichtmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und Überdosierung entnehmen Sie bitte der veröffent-lichten Fachinformation.

Page 15: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

Arixtra hemmt selektiv Faktor Xa und ermöglicht daher eine50% höhere Wirksamkeit im Vergleich zu Enoxaparin bei derVermeidung von venösen Thromboembolien nach größerenorthopädischen Eingriffen1 – aber mit einer vergleichbargeringen Rate an stärkeren Blutungen.2 Als Mitglied der

Pentasaccharid Familie, zeigt Arixtra keine Hinweise einerHeparin-induzierten Thrombozytopenie3 und erfordert keineregelmäßige Überwachung der Thrombozyten.2 Arixtra er-möglicht eine Verbesserung des Gleichgewichts zwischenWirksamkeit und Sicherheit in ihrer täglichen Routinearbeit.

Verbessertes Gleichgewicht

zwischenWirksamkeit

und Sicherheit*

*Verglichen mit Enoxaparin.1. Turpie AGG, Bauer KA, Eriksson BI et al. Arch Int Med 2002; 162: 1833-1840.2. Arixtra Summary of Product Characteristics.3. Post-marketing surveillance data on file, periodically submitted to Regulatory Authorities; Feb 04.

Verhindert VTE bei gr ßeren orthopädischen Eingriffen

Fachkurzinformation siehe Seite 14

Page 16: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

HÜFTREIFUNGSSTÖRUNGEN

16

Die Forderung nach einer Frühestdiagnose undeiner Frühesttherapie der sogenannten Hüftluxa-tion und Dysplasie, oder um den heute üblichen

Begriff der Hüftreifungsstörung zu verwenden, ziehtsich wie einer roter Faden durch die Geschichte derOrthopädie. Die klinische Untersuchung alleine konntedas Problem nicht lösen, zu unsicher und untersucher-abhängig sind die klinischen Zeichen. Erst durch dieHüftsonographie und vor allem durch ihre flächende-ckende Einführung in den deutschsprachigen Ländernkonnte die Forderung nach einer Frühestdiagnose weit-gehend erfüllt werden. Allerdings und durchaus ver-ständlich wird der Wert der Hüftsonographie am fina-len Resultat, nämlich der Anzahl der noch zu operieren-den Säuglingshüftgelenke oder der Spätdysplasiengemessen. Bei dieser Bewertung wird außer Achtgelassen, dass die Hüftsonographie nur für die Diagno-se verantwortlich, die Hüftsonographie aber ohne adä-quate Therapie sinnlos ist. Es ist daher zunehmend not-wendig, die aus der Sonographie resultierende Thera-pie zu vereinheitlichen und zu schematisieren.

Sonographische StandardsJede sonographische Untersuchungstechnik hat den

Vorteil der frei wählbaren Schnittebenen. Um Hüftso-nogramme vergleich- und reproduzierbar zu machen,muss der sonographische Schnitt immer an der selbenStelle durch das Hüftgelenk gelegt werden. Ohne dieDarstellung des Unterrand des Os iliums, der korrektenSchnittebene durch die Mitte des Pfannendachberei-ches und des Labrum acetabulare (Ausnahme beidezentrierten Gelenken!) dürfen Hüftsonogrammenicht zur Diagnose herangezogen werden. Schräg auf-gesetzte Schallköpfe führen zu Bildverzeichnungen mitkonsekutiven Fehldiagnosen, daher sollte nicht mehr„freihändig“ geschallt, sondern ein Schallkopffüh-rungsgerät mit einer entsprechenden Lagerungsschaleverwendet werden. (Abb. 1) Aus formalen Gründenmüssen 2 Sonogramme im Standardbereich mit einemMindestvergrößerungsmaßstab von 1:1,7 dokumen-tiert werden.

Von der Diagnose zur BehandlungEntsprechend der sonographischen Reifungskurve,

die Ausdruck der Ossifikations- und Wachstumspotenzdes Hüftgelenkes ist, sollte die Diagnose bis zur 4., spä-testens bis zum Beginn der 6. Lebenswoche gestelltsein. Leider wird dieser Vorteil der Frühestdiagnosedurch fallweise biomechanisch inadäquate Therapieleichtfertig verspielt. All zu oft wird Hüftluxations- undDysplasiebehandlung pauschal mit „Abspreizbehand-lung“ gleichgesetzt.

Die Hüftsonographie liefert ein Spiegelbild derpathoanatomischen Situation im Hüftgelenk, vergleich-bar einem Antibiogramm: Letzteres ermöglicht dieWahl desjenigen Antibiotikums, das selektiv am bestenwirkt, die geringsten Nebenwirkungen aufweist und diebudgetäre Situation am wenigsten belastet.

Behandlungssystem (Abb. 2)Die Hüftsonographie liefert somit ein Spiegelbild

der Deformierungen in einem Hüftgelenk, ähnlicheiner Arthrographie oder einer Kernspintomogra-phie. Aufgrund dieser Analyse kann festgestellt wer-den, in welche Stellung die beiden Gelenkspartnerzueinander gebracht werden müssen um durchgegenseitigen biomechanischen Druck und Schub

4. QUARTAL 2004

Diagnose und Behandlung von HüftreifungsstörungenReinhard Graf

Abb. 1: Hüftsonographie mit Schallkopfführungund Untersuchungsliege entsprechend heutigemStandard.

Page 17: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

HÜFTREIFUNGSSTÖRUNGEN

17

immer möglich. Dies gelingt erst durch die Mikrobewe-gungen des Hüftkopfes, der den deformierten Pfannen-dachknorpel wieder aus der Pfanne drängt in deranschließenden Retentionsphase. Bei länger bestehen-den oder veralteten Luxationen ist eine Overhead-Extension zum Aufdehnen der verkürzten Adduktorennotwendig. Wird eine Pavlik-Bandage zur Repositionverwendet, muss diese so eingestellt werden, dassdurch die Strampelbewegungen die Kräfte zur Reposi-tion so genützt werden, dass der Hüftkopf in dieUrpfanne gedrängt wird.

Die Retention: Ein reponiertes, aber auch jedesandere instabile Gelenk muss sicher in der Urpfannefestgehalten werden. In diesem Stadium bestehteine „Sekundärpfanne“ mit ausgeweitetem Kapsel-sack, der Hüftkopf droht immer wieder in die Sekun-därpfanne zu luxieren. Wird dies zugelassen, so wirdder Pfannendachknorpel ständig weiter deformiertund kann seine ursprüngliche Form nicht einneh-men. Außerdem hat die Gelenkskapsel keine Mög-lichkeit zu schrumpfen, sodass keine Stabilität desGelenkes erzielt werden kann. In diesem Stadium isteine sichere Fixierung (Retention!) notwendig.Strampelbewegungen, die eine Extension ermög-lichen, würden den Hüftkopf aus der Pfanne drängenund sind kontraproduktiv. In dieser Phase ist die bio-mechanisch beste Position die sogenannten Sitz-

Hockstellung mit einer Abduktion von 45 – 50° undeiner Flexion von 100°. Das Gelenk muss in dieserStellung sicher fixiert werden. Bestenfalls sindMikrobewegungen, wie bereits erwähnt, zugelassen,sodass sich der Hüftkopf in die Urpfanne „setzen“kann. Erfahrungsgemäß braucht es ca. 4 Wochen bisder deformierte Knorpel sich wieder über dem Hüft-kopf entfaltet und die lockere und ausgeweiteteGelenkkapsel schrumpft und das Gelenk stabil wird.Das sicherste und biomechanisch wirksamste Mittelist in dieser Phase die Fixierung in einem Sitz-Hock-Gips. „Retentio“ kommt von Festhalten, Fixieren!Leider werden gerade in dieser Phase die schwer-wiegendsten Behandlungsfehler begangen, dadurch eine falsch verstandene „dynamischeBehandlung“, die ein Strampeln und Bewegenfälschlicherweise zulassen, eine Stabilisierung desGelenkes nicht erfolgen kann.

Die Nachreifung: Ist das Hüftgelenk stabilisiert undhat sich der Pfannendachknorpel über dem Hüftkopfwieder entfaltet, und ist die Gelenkskapsel straff, ist einNachossifizieren des weichen noch verbiegbaren Pfan-nendachknorpels notwendig. Es muss daher eine Dru-ckentlastung des Pfannendachknorpels erfolgen,sodass biomechanisch die Sitz-Hock-Stellung weiterhinzu forcieren ist. Allerdings sind in dieser StellungBewegungen in eingeschränktem Bewegungsumfangzulässig. Extensionsbewegungen, die den Pfannen-dachknorpel unter Druck setzen würden, sind strikte zuvermeiden. Typische Nachreifungsbehelfe sind Spreiz-hosen, Schienen etc., die die Sitzhockstellung provozie-ren und in dieser Stellung eingeschränkte Bewegungenzulassen (Tübinger-Schiene, Mittelmeier-Graf-Spreiz-hose, Pavlik-Bandage, HD-Schiene, Frejka-Schieneetc.).

Die Behandlung kann beendet werden, wenn einsonographischer Typ I erreicht wurde. Auch bei gutemBehandlungsergebnis müssen ehemals luxierte Gelen-ke wegen der Gefahr der Sekundärdysplasie unbedingtin regelmäßigen Abständen bis zum Wachstumsendekontrolliert werden.

FehleranalyseDas von uns seit mehr als 10 Jahren nun strikte

angewandte Behandlungsschema hat dazu geführt,

4. QUARTAL 2004

Abb. 2: Behandlungstabelle.

die Deformierungen zum Verschwinden zu bringen.Letztendes müssen phasengerecht Behandlungsmit-tel ausgewählt werden, die Kräfte in das Gelenk ein-leiten um eine Rückführung dieser Deformitäten ineinen altersentsprechenden Normalzustand zugewährleisten. Die Behandlung gliedert sich in dieRepositions-, die Retentions- und die Nachreifungs-phase.

Die Reposition: Alle luxierten Gelenke müssenreponiert werden. Durch das frühe Screening ist es sogut wie immer möglich, den Hüftkopf durch einmanuelles Repositionsmanöver zumindest vor dieUrpfanne zu stellen. Dies ist die Minimalforderung.Durch die Deformierung des Pfannendachknorpels istein sofortiges tiefes Einstellen in der Urpfanne nicht

Abb. 3a: 6 Wochen alter Säugling li. HüftgelenkTyp IV. Abb. 3b: Der selbe Patient im Alter von 6Monaten Typ I. Die Sonogramme stammen aus dem Jahre 1986!

Page 18: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

EXPERTENINTERVIEW

18

4. QUARTAL 2004

Durch den individuellen Einsatz dieser Therapie pro-fitieren inzwischen sehr viele Kinder von dieser Therapie.

Überwiegend handelt es sich um Kinder mit einer neuro-muskulären Erkrankung, bei der das Symptom der Spas-tikeine zentrale Rolle spielt. Dies ist in erster Linie bei Kin-dern mit einer infantilen Zerebralparese, einem Schädel-Hirntrauma, Querschnittlähmungen oder einer hypoxi-schen Hirnschädigung durch Ertrinkungsunfall oder Apo-plex der Fall. Aber auch Kinder mit dystonen oder atheto-tischen Bewegungsstörungen können mit BotulinumtoxinA behandelt werden.

Die Injektion wird jeweils in die tonusgesteigerte unddamit die Bewegung beeinträchtigende Muskulatur verab-reicht.

Durch die resultierende Muskeltonusminderung wer-den unterschiedliche Behandlungsziele erreicht:

FunktionsverbesserungPflegeerleichterungSchmerzreduktionProphylaxe bei drohenden Kontrakturen und Defor-mitätenKosmetische Verbesserung bei Fehlhaltungen

Im Einzelfall und bei gezielter Fragestellung kann sogareine anstehende Weichteil-Operation simuliert unddadurch besser geplant werden.

Die Therapie ist sicher, wirksam und äußerst effektiv.Seit März 2004 ist Botulinumtoxin A (Dysport®) in

Österreich für den dynamischen Spitzfuß bei Kindernmit infantiler Zerebralparese zugelassen. Die Behördenhaben dafür die Sicherheit und Wirksamkeit des Medika-mentes eingehend überprüft.

Allgemeine Nebenwirkungen können, wie bei jeder i.m. Injektion, in Form von Hämatomen, Hautrötung und

2.

1.

Der Einsatz von Botulinumtoxin Abei spastischen Bewegungs-störungen im KindesalterExperten-Interview mit OA Dr. med. W. M. Strobl

In der Orthopädie und Erwachsenen-Neurolo-gie zählt die Behandlung mit Botulinumtoxin Abereits zu einer Standardtherapie bei spasti-

schen Bewegungsstörungen und Dystonien. Fürden Einsatz von Botulinumtoxin A als Therapieop-tion ist die Auswahl der Patienten und das thera-peutische Ziel von entscheidender Bedeutung.

Die effektive Behandlung von spastischen Kin-dern in der Kinder-Orthopädie und Pädiatrie stellt fürdie Ärzte immer wieder eine Herausforderung dar.

Bei welchen Kindern sehen Sie eine Indikationfür die Behandlung mit Botulinumtoxin A?

Bei der Behandlung von Kindern, speziellbei der Verabreichung von Medikamenten,ist Sicherheit ein wichtiger Aspekt.

Wie sicher ist die Therapie mit Botulinumto-xin A und welche Probleme können im Laufe derBehandlung auftreten?

Die Ursache der Behinderung bei Kindernmit infantiler Zerebralparese kann nichtbehoben werden. Die Symptome sind daher

auch dauerhaft, und es besteht ein langjährigerBehandlungsbedarf.

Wie lange kann Botulinumtoxin A als Therapieeingesetzt werden und über welchen Zeitraum istein Wirkeffekt der Behandlung zu beobachten?

Die sorgfältige Indikationsstellung, Aus-wahl der Zielmuskeln und der Dosierung istsicher eine Voraussetzung für einen guten

Behandlungserfolg.Was kann zusätzlich unternommen werden,

um den Therapieeffekt zu optimieren?

Bei der infantilen Zerebralparese sind diePatienten sehr heterogen, das Ausmaß derBehinderung sowohl in der Lokalisation als

auch in der Intensität der Spastik ist deutlichunterschiedlich.

Wie berücksichtigen Sie bei der Behandlungmit Botulinumtoxin A diese unterschiedlichenAspekte?

Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei derBehandlung von Adduktorenspastik undSpitzfuß, d.h. an der unteren Extremität, ist

mit guten Ergebnissen bereits vielfach publiziert.Welche Therapieziele werden bei der Behand-

lung der oberen Extremität verfolgt und liegenauch hierzu schon Ergebnisse vor?

6.

5.

4.

3.

2.

1.

Page 19: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

EXPERTENINTERVIEW

19

Schmerzen an der Injektionsstelle auftreten. ÜbermäßigeSchwächung der injizierten Muskulatur ist eher eine Folgevon zu hoher Dosierung. Daher sollte bei der initialenInjektion eine geringe bis mittlere Dosierung gewählt wer-den, und erst bei gegebenenfalls unzureichendem Wirkef-fekt die Dosierung gesteigert werden.

Sekundäres Therapieversagen, welches in einzelnen Fäl-len durch das Auftreten von Antikörpern gegen das Toxin-protein hervorgerufen werden kann, habe ich selbst bishernoch nicht beobachtet, wird jedoch vereinzelt in der Litera-tur beschrieben. Daher sollten die empfohlenen Dosierun-gen ausreichend lange Reinjektionsintervalle und die Rein-heit des Medikamentes berücksichtigt werden.

Innerhalb eines Therapie-Zyklus, d.h. bei einer ein-maligen Injektion, sehen wir eine pharmakologischlokale Wirksamkeit von 3 bis 6 Monaten.

Der funktionelle Wirkeffekt, der sich durch die Tonusmin-derung der Muskulatur ergibt, hält jedoch oft länger an. Diesliegt daran, dass die Kinder in der Zeit, in der das Botulinum-toxin wirksam ist, neue Bewegungsabläufe und motorischeFertigkeiten erlernen können, die ihnen bedingt auch nochnach einem Behandlungszyklus zur Verfügung stehen.

Generell kann und sollte den Kindern diese Therapie solange angeboten werden, wie ein guter therapeutischerEffekt dadurch erzielt wird. Das Wachstum der Kinder ver-stärkt jedoch die Pathologie und es können sekundäre Ver-änderungen in Form von Deformitäten und zunehmendstrukturellen Kontrakturen auftreten. Der behandelndeArzt sollte daher regelmäßige Therapiekontrollen durch-führen, um ein mögliches Fortschreiten der pathologi-schen Situation rechtzeitig zu erkennen.

Bei diesen Patienten wird dann ein operativer Eingriff not-wendig. Einen solchen Eingriff jedoch auf einen späterenZeitpunkt, nach Möglichkeit bis zum präpubertären Wachs-tumsschub, zu verschieben wird angestrebt und ist durch dieBehandlung mit Botulinumtoxin oftmals auch zu erreichen.

Bei der Therapie mit Botulinumtoxin empfiehlt sichdie Kombination mit weiteren konservativen Thera-pieoptionen, besonders Physiotherapie und Orthetik,

aber auch Ergotherapie und physikalische Therapiemaß-nahmen.

Um den muskeltonusreduzierenden Wirkeffekt vonBotulinumtoxin therapeutisch zu nutzen, empfiehlt essich, für mehrere Wochen die krankengymnastischeBehandlung zu intensivieren. Neben gezielter Dehnungder betroffenen Muskulatur und Kräftigung der Antagoni-sten sollten neurophysiologische Behandlungstechnikenzum Einsatz kommen.

Weitere Maßnahmen wie die vorübergehende Anlagevon Therapiegipsen, Orthesen und Nachtlagerungsschie-nen dienen der Dehnung von verkürzter Muskulatur undzur Korrektur von Fehlhaltungen und Instabilitäten. Funk-tionsorthesen sollen bestimmte Funktionen unterstützenoder erst ermöglichen, zugleich aber Fehlfunktionen ver-hindern. Bei jeder Orthese und auch bei vorübergehenderGipsanlage ist besonders auf die genaue Passform zu ach-ten, um Druckstellen frühzeitig zu erkennen und die Ver-sorgung entsprechend zu korrigieren.

Für die Dosierung von Botulinumtoxin A im Kindesaltergibt es allgemeine Empfehlungen, die sich nach demKörpergewicht des Kindes berechnen. Man sollte vorab

bei der klinischen Untersuchung die Intensität der Spastikeinzelner Muskeln testen und die Dosierung dann entspre-chend anpassen. Hierzu gibt es Testverfahren, z.B. die modifi-zierte Ashworth Skala, die sich ebenso zur Überprüfung derlokalen Wirksamkeit eignet.

5.

4.

3.Ist ein Kind sehr komplex betroffen, so hat man mit Botu-

linumtoxin A die Möglichkeit der Multi-Level-Behandlung.Hier werden die Injektionen wohldosiert auf verschiedenenEtagen, d.h. an mehreren Muskeln gleichzeitig verabreicht.

Typischerweise sind entweder die Beuge- oder Streck-muskelketten betroffen. In einer solchen Muskelkette über-nimmt oftmals ein Hauptmuskel die Key-Muscle-Funk-tion und triggert mit seiner Spastik den Tonus der angren-zenden Muskulatur. Wird dieser entsprechende Muskeladäquat dosiert injiziert, so benötigen die angrenzenden,ebenfalls betroffenen Muskeln eine deutlich geringereDosierung. Wir haben somit die Möglichkeit der Feinkor-rektur des Muskeltonus der gesamten Muskelkette.

Auch zu dem Einsatz von Botulinumtoxin A bei der The-rapie der spastischen oberen Extremität gibt es bereitsPublikationen, die einen durchaus positiven Wirkeffekt bele-gen. Dennoch unterscheidet sich die Therapie der oberenund unteren Extremität in ihrer Zielsetzung. Während es beider unteren Extremität primär um eine Funktionsverbesse-rung und palliative Schmerzreduktion geht, steht bei deroberen Extremität bessere Pflegemöglichkeit der Handin-nenfläche und Prophylaxe von Hautmazeration, sowie eineoptisch-kosmetische Verbesserung der Fehlhaltung imVordergrund. Lediglich die grobmotorische Funktion kannz.B. im Sinne einer Stützhand verbessert werden. Die man-gelhafte Hand-Feinmotorik ist weniger auf den erhöhtenMuskeltonus, als mehr auf Defizite in der Ansteuerung undKoordination zurückzuführen, was durch die Behandlungmit Botulinumtoxin nicht verändert wird.

Die Erfahrungen aus der Erwachsenen-Neurologie beider Behandlung der spastischen Hand nach Apoplex zei-gen jedoch, dass auch dieser Einsatz der Therapie an deroberen Extremität lohnenswert und sinnvoll ist. Auch fürdiese Indikation liegt seit geraumer Zeit die Zulassung fürBotulinumtoxin A (Dysport®) vor.

Abschließend möchte ich noch einmal zusam-menfassen:

Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischenBewegungsstörungen im Kindesalter ist inzwischen zueiner obligaten Therapie geworden. Ergebnisse aus Wis-senschaft und Forschung, sowie die langjährige Erfahrungder behandelnden Ärzte bestätigen einen breiten thera-peutischen Einsatz und überzeugende Ergebnisse.

Den bisher bereits guten Effekt dieser Therapie weiter zuoptimieren, ist eine interessante Herausforderung für diebehandelnden Ärzte. Voraussetzung hierfür sind die grund-legenden Kenntnisse der Wirkung des Toxins sowie eineausreichende Erfahrung in der Behandlung von spastischenBewegungsstörungen im Kindesalter.

Das Interview führte G. Brunnmayr

4. QUARTAL 2004

„EB“

Page 20: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

HÜFTREIFUNGSSTÖRUNGEN

20

dass selbst die schlechteste Variante, nämlich ein TypIV-Gelenk, das früh diagnostiziert wurde, noch vor Geh-beginn ein völlig ausgereiftes Hüftgelenk aufwies (Abb.3, Abb. 4).

Eine Analyse der Operationsfälle trotz Hüftsonogra-phie in der Schweiz zeigt das Problem deutlich: 43%mussten wegen sonographischen Fehldiagnosen, auf-grund von Missachtung der eingangs erwähnten sono-graphischen Grundprinzipien, aber immerhin 36%wegen Behandlungsfehler letztendlich operiert wer-den!

Unsere Analyse der schlechten Behandlungsergeb-nisse trotz korrekter sonographischer Frühdiagnose hat2 gravierende Probleme aufgezeigt:

1.) Ein medizinisch ärztliches Problem: Hüftge-lenksbehandlung wird undifferenziert mit Abspreizbe-handlung gleichgesetzt. Die Hüftsonographie stellt diePathoanatomie fest und in welche Behandlungsphasedas Gelenk einzuordnen ist. Konsekutiv daraus kanndas wirksame Behandlungsmittel abgeleitet werden.Eine Missachtung dieser Grundprinzipien ist vergleich-bar mit den Bemühungen, ein Sarkom mit Aspirin zubehandeln. Genauso wenig kann eine Abspreizschiene,die ein typischer Nachreifungsbehelf ist, ein Hüftgelenkreponieren!

und somit zu verstärkten Repositionshindernissen,die das Hüftgelenk gefährden.

Das AusbildungsproblemEs darf und kann nicht sein, dass Krankenschwe-

stern oder Orthopädietechnikern das Anlegen vonSpreizhosen oder Hüftorthesen, ohne Kenntnis derbiomechanischen Erfordernisse, ohne ärztliche Auf-sicht und Kont-rolle überlassen wird. In der ärztlichenAusbildung wird dringend empfohlen, sich auf weni-ge streng standardisierte Behandlungsbehelfe,gegliedert nach Reposition-, Retentions- und Nachrei-fungsorthese zu beschränken. Die Anwendung der-selben darf nicht in Form von „stiller Post“ von einemKollegen auf den anderen weitervererbt werden. AusGründen der Standardisierung und Qualitätssiche-rungen sind Kontroll- und Evaluisierungsleisten ein-zuziehen!

Das ComplianceproblemDie beste Orthese nützt nichts, wenn sie von den

Eltern nicht oder falsch angelegt wird. Die heikelsteBehandlungsphase ist die Retentionsphase. Daher sindalle Behelfe in dieser Phase mit einem Risiko behaftet,die von den Eltern verstellt oder abgenommen werdenkönnen. Aus diesem Grund sind wir zur sicheren Fixie-rung in Sitz-Hock-Gips wieder zurückgekehrt. DieAnnahme, ein Gipsverband provoziere Kopfnekrosen,ist völlig falsch. Nicht der Gips, also das Material ansich, sondern die biomechanisch inadäquate Stellungunabhängig vom verwendeten Material produziertKopfnekrosen!

Rück- und AusblickDie Hüftsonographie hat zweifellos einen deut-

lichen Fortschritt gebracht. So konnten in Deutsch-land Operationen innerhalb weniger Jahre von 1 :1000 Neugeborene auf 1 : 4000 zurückgedrängt wer-den. Leider häufen sich zunehmend Diagnosefehlerdurch Vernachlässigung der Ausbildung in Hüftsono-graphie. Durch bed-side teaching anstelle von struk-tuierten Ausbildungskursen werden Fehler systemati-siert, die zu Lasten unserer Kinder gehen. Zuneh-mend ergibt sich eine Problemverschiebung von derDiagnose zur Therapie. Im Sinne einer Qualitätssiche-rung und Standardisierung ist in Zukunft mehr aufdie konsequente Einhaltung eines Therapieschemaszu achten. Da die schweren Hüftluxationsfälle sichdurch die Frühdiagnose deutlich reduziert haben aberauch durch den Geburtenrückgang kinderorthopädi-sches Spezialwissen verloren gegangen ist, wird drin-gend empfohlen, Hüftgelenke vom Typ II c undschlechter in Kooperation mit kinderorthopädischenZentren zu behandeln.

Univ. Prof. Prim. Dr. med. Reinhard GrafÄrztlicher DirektorAllgemeines und orthopädisches LandeskrankenhausA-8852 StolzalpeTel.: 03532 2424 2216Fax.: 03532 2424 3425Mail: [email protected]

4. QUARTAL 2004

Abb. 4: Der selbe Patient wie in Abb. 3 nach pha-sengerechter Behandlung im Alter von 18 Jahrenmit hervorragendem Behandlungsergebnis.

2.) Der Zeitverlust: Entsprechend der Reifungs-kurve gelten als bestes Reifungs- und Wachstumspo-tential die ersten 4 – 6 Lebenswochen. Dieses Potenti-al ist noch bis zur 12. Lebenswoche sehr gut, umanschließend abzuflachen und in einen kontinuier-lichen Reifungsprozess überzugehen. Es muss daherdas Wachstumspotential der ersten 4 – 6 Wochengenützt werden. Jegliche Zeitverzögerung durchunkontrollierten Wechsel des Behandlungsmittels(„herumprobieren“) führt zu einen Zeitverlust und zuzunehmender Rigidität des deformierten Knorpels,

Page 21: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

FUSSERKRANKUNGEN IM WACHSTUMSALTER

21

4. QUARTAL 2004

Der Fuß und die untere Extremität ermöglichenuns die Fortbewegung und damit einenwesentlichen Teil unserer menschlichen Erfah-

rung. Er ist Teil des Bewegungsapparates, der für dieDynamik geschaffen ist und der heute in unserermodernen Gesellschaft im Sinne einer statischenÜberbelastung gebraucht wird. Aus diesem Grundspielen Fußprobleme nicht nur im Erwachsenenal-ter, sondern schon im Kindesalter eine immer grö-ßere Rolle. Für den Orthopäden und Pädiatererwächst daraus eine zunehmende Verantwortung,die für den Bewegungsapparat und insbesondere fürdie Füße eine große Aufmerksamkeit erfordert, imSinne einer ganzheitlichen Betreuung des heran-wachsenden Kindes.

Die ideale Fußform ist nicht exakt definierbar. EineBeurteilung der Fehlform oder Fehlhaltung muss dahernach Erscheinungsbild und nicht nach der Ätiologieerfolgen. Im Vordergrund stehen also klinische Krite-rien, die nach der jeweiligen Erfahrung des Untersu-chers subjektiv gefärbt sind. Schwierig ist dabei häufigdie Abgrenzung zum „Normalbefund“. Wichtig ist esdabei, den Fuß nicht isoliert, sondern als Teil desBewegungsapparates ganzheitlich zu sehen. Auch dieTatsache, dass eine gesicherte Häufung von Fußhal-tungsfehlern bei kongenitaler Hüftdysplasie, Säug-lingsskoliose, muskulärem Schiefhals, Gesichts- undSchädelasymmetrien und neuromotorischen Störun-gen vorliegt, ist zu beachten. Bei jeder Untersuchungeines auffälligen Kinderfußes muss daher auch nach

anderen Erkrankungen des Bewegungsapparatesgefahndet werden.

Wachstum und Entwicklung des Kinderfußes wer-den durch genetische und Umweltfaktoren (z.B. Schu-he) beeinflusst, wobei der genetische Einfluss in derfrühen Phase der Fußentstehung die größte Bedeutunghat. Je früher eine Fehlform entsteht, desto rigider undtherapierefraktärer ist sie. Die äußeren Einflüsse neh-men mit dem Lebensalter ab. Das heißt aber auch, dassdie Wirksamkeit konservativ korrigierender Maßnah-men mit zunehmendem Alter geringer wird. DieBehandlung von Fehlformen sollte daher so früh wiemöglich begonnen werden.

Der Fuß des Neugeborenen und des Säuglings

Hackenfuß (Pes calcaneus) (Abb. 1)Häufigste Fehlhaltung des Säuglingsfußes. Der Fuß-

rücken liegt der Vorderseite des Unterschenkels an, diePlantarflexion ist aktiv und passiv aufgehoben bzw. ver-mindert. Die Fußhebemuskeln sind oft verkürzt, und dieFerse steht in deutlicher Valgusstellung gegenüber demUnterschenkel. Um eine Spina bifida occulta auszuschlie-ßen, muss bei der Untersuchung die Aktivität derWadenmuskulatur und des Tibialis posterior geprüftwerden. Besondere Aufmerksamkeit sollte beim Hacken-fuß den Hüftgelenken gezollt werden, da beim Hacken-fuß häufiger mit dem Vorliegen einer kongenitalen Hüft-luxation zu rechnen ist. Als wahrscheinliche Ursache gilteine Fehlhaltung des Fußes im engen Uterus währendder letzten Phase der Schwangerschaft.

Die Prognose ist günstig, meistens korrigiert sichdiese Fußdeformität von alleine und benötigt keinerleiBehandlung.

Bei jedem Windelwechsel sollen von der Mutter dieFüße nach unten gedrückt werden bzw. soll die Mutterdas Kind mehrmals an den Zehen in die Höhe ziehen,wodurch durch das Eigengewicht des Kindes eineRedression der Fehlstellung erfolgt. Ist die Plantarfle-xion passiv nicht bis zur Neutrallinie möglich, emp-fiehlt sich eine kurze Phase der Behandlung redressie-render Gipse in Plantarflexion.

Bei der Untersuchung darf der Hackenfuß nicht mitdem kongenitalen Plattfuß (Talus verticalis) verwech-selt werden.

Erkrankungen des Fußes im WachstumsalterRenata Suda, Franz Grill

Abb. 1

Page 22: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

FUSSERKRANKUNGEN IM WACHSTUMSALTER

22

4. QUARTAL 2004

Sichelfuß (Pes adductus, Metatarsus primus varus) (Abb. 2)Pathomorphologisch besteht eine vermehrte Adduk-

tion des Mittelfußes und der Zehen. Im Gegensatz zumKlumpfuß ist der Rückfuß meist valgisch eingestelltund mobil. Der Sichelfuß ist etwa zehnmal häufiger zufinden als der Klumpfuß. Das Geschlechtsverhältniszwischen Mädchen und Knaben ist gleich.

Vier Formen können unterschieden werden:

Der funktionelle SichelfußDer funktionelle Sichelfuß wird durch eine Überakti-vität des M. abductor hallucis und der kleinenZehenbeuger ausgelöst, durch den bei allen gesun-den Säuglingen nachweisbaren Greifreflex. Wennder Säugling mit gebeugten Kniegelenken auf demBauch liegt, ist die Fußform unauffällig. Erst durchden Greifreflex kommt es zu einer Adduktion desVorfußes.Der lagebedingte SichelfußDer Vorfuß kann aktiv und passiv bis zur Neutral-stellung gebracht werden. Die Fehlstellung ist alsonicht rigide, wird jedoch unter Gewichtsbelastungdeutlicher.Der kongenitale SichelfußHier handelt es sich um eine primäre Subluxationaller fünf Tarsometatarsalgelenke, die Basis desMetatarsale V ist prominent, der Fußaußenrand istkonvex, an der Fußsohle findet sich eine quereHautfalte, passiv ist es nicht möglich, die Fehlstel-lung vollständig zu korrigieren. Die Deformität darfnicht mit dem Klumpfuß verwechselt werden. DerUnterschied zum Klumpfuß besteht darin, dass dieDorsalextension frei ist, also keinerlei Spitzfußstel-lung besteht.Der Z - Fuß (Serpentinenfuß)Beim Z-Fuß besteht eine zweifache Abwinkelung inder Horizontalebene. Der Vorfuß ist adduziert, dasOs naviculare und das Os cuneiforme mediale sinddagegen abduziert. Sehr häufig besteht bei dieserFehlform eine Fehlinsertion des M. tibialis anterior.

Die Prognose ist beim funktionellen und lagebeding-ten Sichelfuß ausgezeichnet. Beim kongenitalen Sichel-fuß und beim Z-Fuß ist die Prognose ungünstig. Ohne

gezielte Behandlung kann eine normale Fußform nichterreicht werden.

Wenn sich die Veränderung passiv gut korrigierenlässt und der Fuß durch Druck in eine normale Posi-tion gebracht werden kann, genügt es, durch Deh-nungsübungen und eventuell durch Lagerungmittels Schaumstoffringen die Spontanheilung zuunterstützen. Bei ausgeprägteren Veränderungenkann durch entsprechende Schienen oder redressie-rende Schuhe die Korrektur unterstützt werden(IPOS-Redressions-Schienen-Schuh). Haben sich dieFüße bis zum 3. Monat nicht normalisiert, sollte miteiner Serie von Redressionsgipsen begonnen wer-den. Die Behandlungsdauer im Gips ist meist mitetwa 6 Wochen ausreichend. Gleichmäßig gepols-terte Ober-Unterschenkel-Gipse sollen angelegt wer-den, wobei besondere Beachtung darauf gelegt wer-den muss, dass die Ferse beim Gipsen neutral gehal-ten wird und nicht in eine zusätzliche Valgusstellungabgedrängt wird.

Beim Massieren des Fußes soll in Form einer Drei-Punkt-Massage passiv massiert und durch eine Kräfti-gung der Peronealmuskulatur auch aktiv eine Massagedurchgeführt werden.

Beim kongenitalen Sichelfuß soll dagegen eineintensive Therapie gleich von Geburt an begonnenwerden. Hier gelten die gleichen Kriterien wie beimkongenitalen Klumpfuß. Eine Gipsbehandlung sollschon frühzeitig einsetzen.

Beim Z-Fuß, der beim Neugeborenen meist nicht ein-deutig erkennbar ist und meist für einen schweren, rigi-den Sichelfuß gehalten wird, muss die Behandlungebenfalls frühzeitig einsetzen. Therapie der Wahl ist dieredressierende Gipsbehandlung. Im weiteren Verlauf istdarauf zu achten, dass es nicht zu einer Überkorrektur imChopartgelenk kommt. Bei schwereren Formen ist eineoperative Revision angezeigt. Auch der therapieresisten-te Sichelfuß muss operativ angegangen werden.

Kongenitaler Klumpfuß (Pes equinovarus congenitus) (Abb.3)Der Klumpfuß tritt etwa in einem Fall von etwa 1000

Lebendgeborenen auf und ist in der Hälfte der Fällebeidseitig angelegt. Das Verhältnis männlich : weiblichwurde mit 2:1 ermittelt.

Bei der Entstehung des Klumpfußes spielen sowohlgenetische als auch Umwelteinflüsse während derSchwangerschaft eine Rolle. Intrauterine Lageanoma-lien als mechanische Ursache, Durchblutungsstörun-gen im Bereich des medialen Fußrandes, sowie ein pri-märer Defekt der Differenzierung im Fußbereich wäh-rend der Entwicklungszeit der Fußknospe stellensicherlich nur einen Teilaspekt der Deformität dar. Neu-romuskuläre Ursachen und eine hereditäre Genesewerden angenommen, da in mehreren Fällen eineerhöhte Inzidenz des Klumpfußes bei Verwandten fest-gestellt wurde.

Der Klumpfuß ist eine komplexe Fehlbildung desganzen Fußes und des Unterschenkels mit Beteiligungunterschiedlichster anatomischer Strukturen. Die Kom-bination aus Vorfuß-Adduktus, Spitzfuß (Equinus),Hohlfuß (Cavus) und Fersenvarus (Inversion) beweistdas Vorliegen einer Klumpfußfehlstellung, bei der die

Abb. 2

Page 23: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

FUSSERKRANKUNGEN IM WACHSTUMSALTER

23

4. QUARTAL 2004

Diagnose in der Regel gleich nach der Geburt gestelltwird. Dabei sind nicht nur die Weichteile kontrakt undverändert, sondern auch einzelne Fußwurzelknochen,insbesondere der Talus und das Naviculare, defor-miert.

Differentialdiagnostisch muss eine Klumpfußhal-tung, die sich leicht passiv korrigieren lässt, und einsyndromassoziierter Klumpfuß (Arthrogryposis multi-plex congenita, Larsen-Syndrom, infantile Zerebralpa-resen, usw.) vom kongenitalen Klumpfuß abgegrenztwerden. Auch longitudinale Strahldefekte können miteinem Klumpfuß vergesellschaftet sein.

Die Behandlung des idiopathischen Klumpfußes sollmöglichst früh, also innerhalb der ersten Lebenswo-chen erfolgen. Eine initial konservative Therapiemittels Gipsredression steht im Mittelpunkt beinahealler Methoden. Die Qualität und Effektivität der Gips-behandlung bestimmt schließlich das Ausmaß desoperativen Eingriffes.

Bei der wöchentlichen Gipsredression wird zuBeginn durch Supination des Vorfußes und Dorsifle-xion des ersten Metatarsale der Cavus korrigiert. Wäh-rend der anschließenden Gipsbehandlung werdendurch Druck auf den Taluskopf von lateral und Vorfuß-Abduktion nacheinander Vorfuß-Adduktion, Supina-tion und Fersenvarus korrigiert. Die Spitzfußstellungbessert sich durch die Entflechtung von Talus und Cal-caneus. Je nach Schweregrad des Klumpfußes erfolgtschließlich nach 6-12 wöchiger Behandlungsdauer eineperkutane Achillessehnentenotomie, um ein konserva-tiv nicht beeinflussbares Spitzfußresiduum zu korrigie-ren. Drei Wochen nach dem Eingriff erfolgt die Schie-nenübernahme zur Rezidivprophylaxe. Die speziellangefertigten Schienen oder Schuhe, die durch eineStange entsprechend der Schulterbreite des Säuglingsverbunden sind, werden auf der betroffenen Seite auf70 Grad und auf der nicht betroffenen Seite auf 45 GradAußenrotation eingestellt (Abb. 4).

Ein Rezidiv ist unabhängig von der Art der Behandlungnie auszuschließen, und eine Rezidivprophylaxe ist daherbis etwa zum Ende des 3. Lebensjahres erforderlich.

Alle konservativ nicht redressierbaren Strukturenbzw. Rezidive sollten operativ korrigiert werden. Zielder Operation ist die möglichst vollständige Repositionaller Komponenten.

Kongenitaler Plattfuß (Talus verticalis)Der kongenitale Plattfuß, eine eher seltene Defor-

mität, kommt allein oder im Zusammenhang mit neu-rologischen Störungen (v.a. Myelomeningozele) oderanderen Systemerkrankungen vor. Beide Geschlechtersind gleich häufig betroffen.

Bei der klinischen Untersuchung fällt die konvexeFußsohle auf, und statt des medialen Fußgewölbes pal-piert man den prominenten Talus. Der Vorfuß ist abdu-ziert und dorsal extendiert, die Ferse steht hoch und die Wadenmuskulatur ist verkürzt. Auf dem seitlichenRöntgenbild beobachtet man einen fast vertikal stehen-den Talus, dessen Kopf auch tiefer stehen kann als derCalcaneus.

Eine rein konservative Behandlung führt hier nichtzum Erfolg. Frühzeitig muss eine operative Korrekturzur Reposition des Talus erfolgen.

Der Fuß des Klein- und Schulkindesund des Adoleszenten

KnicksenkfußFür die Knicksenkfüße im Kleinkind- und Schulalter

ist die Bewegung und vor allem das Barfußgehen dasWichtigste. Eine Einlagenversorgung oder Schuhzu-richtung ist nur dann indiziert, wenn eine ausgeprägteValgusfehlstellung der Ferse besteht und sich dasLängsgewölbe noch nicht aufgerichtet hat. Im Gegen-satz zu früher werden heute Einlagen viel seltenergegeben. Ein operatives Vorgehen soll nur bei schwe-ren Formen des Knicksenkfußes im Volksschulaltererfolgen.

Vor allem bei Adoleszenten kann es bei entsprechen-der Prädisposition und bei einer hauptsächlich im Stehen durchgeführten Arbeit zum Auftreten einesschmerzhaften Knicksenkfußes kommen. In diesen Fäl-len ist neben einer Einlagenversorgung ein regelmäßi-ges heilgymnastisches Übungsprogramm indiziert.

Abb. 3 Abb. 4

Page 24: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

FUSSERKRANKUNGEN IM WACHSTUMSALTER

24

FersenschmerzenFersenschmerzen können auf eine plantare Fasziitis,

auf eine Apophysitis calcanei (M. Severe) oder aufeinen Calcaneus altus (Haglundferse) zurückgehen.

Die Apophysitis calcanei ist eine klinische Diagnose,und die Behandlung erfolgt durch Schonung, Lokalthe-rapie mit antiphlogistischen Salben sowie Silikonfer-senpolster im Schuh.

Beim Calcaneus altus entstehen die Schmerzengegen Wachstumsabschluss durch Schuhranddruck.Das Tragen von Schuhen mit weichem Fersenteil solltedie Druckstelle an der Ferse entlasten. In Ausnahmefäl-len ist eine operative Abtragung indiziert.

Vorfuß- und MittelfußschmerzenSchmerzen können an der Medialseite des Fußes

durch ein sogenanntes Os naviculare cornutum oderOs tibiale externum verursacht sein. Aseptische Nekro-sen im Bereich des Os naviculare (M. Köhler I) oder derMetatarsalköpfchen (M. Köhler II) können die Ursachevon Schmerzen im Vorfußbereich sein. Spontankommt es stets zu einer knöchernen Konsolidierung.Bei stärkeren Schmerzen ist eine kurzzeitige Versor-gung mit einem therapeutischen Gips günstig.

Tarsale CoalitioEs handelt sich dabei um eine knöcherne Verbin-

dung zwischen Calcaneus und Talus oder Calcaneusund Naviculare, die operativ saniert werden muss.

SprunggelenkschmerzenEine Osteochondrosis dissecans des Talus kann

Schmerzen im Sprunggelenk auslösen.

Die Zehen des KinderfußesZehendeformitäten sind häufig, verursachen meist

keine Funktionsstörung, können aber Schuhproblemebereiten. Beim Schuhkauf ist daher auf breite Schuheund einen ausreichenden Zehenraum zu achten.

PolydaktylieBei der Polydaktylie finden sich überzählige Zehen

meist im Bereich des ersten bzw. fünften Strahles. Dieoperative Entfernung der 6. Zehe lateral macht meistkeine Probleme und sollte gegen Ende des 1. Lebens-jahres erfolgen. Schwieriger ist es, wenn eine doppelteGroßzehe vorliegt, deren Sanierung eine sorgfältigePlanung benötigt.

MakrodakytlieDer Gigantismus der Zehen betrifft meist nur

einen oder zwei Strahlen und wird stets durch

4. QUARTAL 2004

tumoröses Fett- oder Bindegewebe begleitet. Eineoperative Sanierung ist noch im Vorschulalter ange-zeigt.

SyndaktylieDie Syndaktylie im Bereich der Zehen stellt keine

funktionelle Behinderung dar. Eine Behandlungerscheint daher unnotwendig.

Digitus quintus superductusEs handelt sich um eine angeborene Deformität, bei

der die fünfte Zehe varisch über der vierten Zehe liegt.Eine operative Sanierung ist meist während des Schul-alters erforderlich.

Hallux valgusBei Vorliegen eines ausgeprägten Spreizfußes

können auch schon Jugendliche an einem Halluxvalgus leiden. Die Operation kann heute mit gutemErgebnis schon ab dem 12. Lebensjahr durchgeführtwerden.

Die wichtigste Ursache für das Entstehen des Halluxvalgus ist das Tragen zu enger und im Zehenbereichspitz zulaufender Schuhe sowie hochhackiger Absätze.Differentialdiagnostisch muss ein sekundärer Halluxvalgus bei einem Knickplattfuß abgegrenzt werden.

Eingerollte ZehenRelativ häufig kommt bei Kindern im Bereich der

dreigliedrigen Zehen eine Fehlstellung im Sinne einerFlexion und Rotation vor, wobei sich sehr häufig dieeingerollte Zehe unter die benachbarte Zehe legt. EineBehandlung ist nicht notwendig. Meist gibt sich dasProblem im Laufe des Wachstums von selbst.

Die rechtzeitige Erkennung und Behandlung vonFußschäden in den einzelnen Entwicklungsphasendes Kindes sind ein wichtiges Anliegen für Pädiaterund Orthopäden. Die vorliegende kurze Zusammen-stellung der pathologischen Morphologie und Ent-wicklung des kindlichen Fußes sowie der verschiede-nen Behandlungsmöglichkeiten soll dazu beitragen,dass unsere Kinder heute und auch im späterenLeben und im Erwachsenenalter keine Fußbeschwer-den haben und in ihrer natürlichen Fortbewegungnicht behindert sind.

Autoren: Dr. Renata Suda, Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz GrillKontaktadresse: Dr. Renata Suda, Abteilung für Kinderorthopädie, Orthopädisches Spital Wien-Speising, Speisinger Str. 109, 1130 Wien, Tel.: +43/1/801 82-0, Fax: +43/1/801 82-575E-Mail: [email protected]

FFaacchhkkuurrzziinnffoorrmmaattiioonn FFOOSSAAMMAAXX®® 7700mmgg -- eeiinnmmaall wwööcchheennttlliicchh TTaabblleetttteenn

ZZ.. NNrr..:: 1- 24092 PPhhaarrmmaazzeeuuttiisscchheess UUnntteerrnneehhmmeenn:: Merck Sharp Dohme G.m.b.H., Wien. ZZuussaammmmeennsseettzzuunngg ((aarrzznneeiilliicchh wwiirrkkssaammee BBeessttaannddtteeiillee nnaacchh AArrtt uunndd MMeennggee)):: Jede Tablette enthält 91,37 mg Natrium-Alendronat-Trihydrat entsprechend 70 mg Alendronsäure. AAnnwweenndduunnggssggeebbiieettee:: Therapie der postmenopausalen Osteoporose. FOSAMAX®reduziert das Risiko von Wirbel- und Hüftfrakturen. GGeeggeennaannzzeeiiggeenn:: Erkrankungen desÖsophagus und andere Faktoren, welche die ösophageale Entleerung verzögern, wie Strikturen oder Achalasie. Unvermögen, 30 Minuten lang zu stehen oder aufrecht zu sitzen. Überempfindlichkeit gegenüber Alen-dronat oder einem der Bestandteile. Hypokalzämie. SScchhwwaannggeerrsscchhaafftt uunndd SSttiillllzzeeiitt:: Es gibt keine geeigneten Daten über die Anwendung von Alendronat bei schwangeren Frauen. Tierexperimentelle Studien weisenauf keine direkte schädigende Wirkung hinsichtlich Schwangerschaft, embryonale/fetale oder postnatale Entwicklung hin. Die Verabreichung von Alendronat an trächtigen Ratten verursachte eine Dystokie aufgrundeiner Hypokalzämie. Unter Berücksichtigung der Indikation soll Alendronat während der Schwangerschaft nicht eingenommen werden. Es ist nicht bekannt, ob Alendronat in die Muttermilch übergeht. Angesichtsder Indikation soll Alendronat nicht während der Stillzeit eingenommen werden. AAbbggaabbee:: Rezept- und apothekenpflichtig. Weitere Angaben zu Dosierung, Art und Dauer der Anwendung, Warnhinweise und Vor-sichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Schwangerschaft und Stillzeit, Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen, Nebenwirkungen, Überdosierung und pharmakologischen Eigenschaften sind der „Austria-Codex-Fachinformation” zu entnehmen.

Page 25: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

KINDERTRAUMATOGIE

25

4. QUARTAL 2004

Unser Jahrhundert hat unglaubliche Fortschrittein der Medizin gesehen – unsere Behandlungs-möglichkeiten haben derart zugenommen,

dass die Medizin ehemals als „Kunst“ betrachtet,heute mehr und mehr zu einem mechanistisch orien-tierten Fachgebiet geworden ist. Dies hat neben zahl-reichen Vorteilen, wie Standardisierung, Vermittel-barkeit, Vergleichbarkeit und v.a.m. auch einigeNachteile mit sich gebracht: über den Enthusiasmusfür Forschung, Diagnostik und Behandlung wurde dieBetrachtung des Patienten in seiner Gesamtheit undals Individuum vernachlässigt. Unter „Kunst derMedizin“ wurde die Fähigkeit verstanden, für denjeweiligen Patienten, die für ihn vorteihaftesteBehandlungsform herauszufinden. Eine solche Be-handlung kann sich nur an den Bedürfnissen orientie-ren und muss sowohl dem Soma als auch der Psychedes Kranken gerecht werden. Man weiß schon seitlangem, dass die meisten Krankheiten nicht verstan-den werden können, ehe emotionale, intelektuelleund soziologische Aspekte Berücksichtigung finden.Obwohl die Verhaltensforschung schon seit einigerZeit die psychologischen Hintergründe der Krank-heits- und Unfallentstehung aufgedeckt hat, wird die-ses Wissen weder vermittelt, noch im Behandlungs-plan berücksichtigt. So gesehen ist es fast wichtigerzu wissen, welcher Patient hat die Erkrankung, alswelche Erkrankung hat der Patient.

Brüche bei Kindern unterscheiden sich wesentlichvon denen des Erwachsenen. Dafür sind nebenUnterschieden in der Anatomie, wie größerer Knor-pelanteil, dickeres Periost, größere Porosität des Kno-chens, u.a., auch physiologische Unterschiede, wieschnellere Frakturheilung, überschießendes Längen-wachstum, sowie Spontankorrektur von Fehlstellun-gen in gewissen Grenzen und biomechanische Unter-schiede in Form von verminderter Knochendichte,vermehrter Verformbarkeit, geringere Druckresistenzsowie die offenen Wachstumsfugen verantwortlich.Wachstum ist wesentlich differenzierter als ein „ein-facher Heilungsprozess“, Wachstum bedeutet dieEntwicklung des Organismus vom Embryo zumErwachsenen, und ist durch verschiedene Faktorenwie Umwelteinflüsse, Verletzungen, Krankheiten,Erbfaktoren und dem Geschlecht beeinflusst. DerKnochen des Erwachsenen ist ein dynamischesGewebe, das sowohl durch Alterung als auch auf

Stress mit Knochenan- und -abbau reagiert. Für denkindlichen Knochen trifft dies noch im wesentlich grö-ßeren Umfang zu; massiver Knochenumbau wirdnicht nur auf Stressalterationen bemerkt, sondern trittauch physiologischerweise durch das Längen- undDickenwachstum, dauernde Formveränderungen imBereich der Epiphysen, sowie die Veränderungen derAchsen-, und Torsionsverhältnisse der Extremitätenim Laufe der Entwicklung auf. Die Kenntnis dieserdauernden Veränderungen und deren Wirkung aufdas Skeletttrauma im Kindesalter stellt eine wesentli-che Voraussetzung für die Behandlung von Knochen-und Gelenksverletzungen bei Kindern dar. Das Kindwächst aber nicht nur körperlich, sondern auch imGeist: es vergrößert täglich sein Gesichtsfeld, es ver-arbeitet unzählige Eindrücke, es lernt freudig undbegeistert zu entscheiden. All das findet imWachstum statt und muss zur Erhaltung der Persön-lichkeit des Kindes berücksichtigt und genutzt wer-den. Dieser innere Wachstumsprozess darf durchäußere Einflüsse, wie z.B. die Erziehung aber auch immedizinischen Bereich z.B. durch Diagnostik und The-rapie nicht gestört oder negativ beeinflusst werden.Gerade darum ist es besonders wichtig, den Patien-ten als Entscheidungspartner anzuerkennen, ihn nachseiner Meinung und seinen Wünschen zu fragen unddies in das geplante Vorgehen soweit wie immermöglich einzubeziehen – kurzum, den Patienten alsPartner zu akzeptieren und zu respektieren. Dabeihaben wir es bei der Behandlung von Heranwachsen-den auch immer gleichzeitig mit den Eltern zu tun,deren Ansichten, Meinungen, Ängste und Hoffnun-gen wir zwar mit ins Gespräch, in den Entscheidungs-prozess, also den Behandlungsplan integrieren müs-sen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass das Kindunser Partner ist und dass wir oftmals auch die Inte-ressen unserer kleinen Patienten gegen die Ängsteder Eltern verteidigen müssen. Zwei Punkte sind es,über die ein Kindertraumatologe speziell Bescheidwissen sollte:

Kenntnisse der Physis des Kindes, des Einflussesdes Wachstums und die Reaktion des kindlichenKörpers auf Verletzungen.Ein Verständnis für die Bedürfnisse von Kindernsowie das Begreifen der Interaktion zwischen Kind,Eltern und Gesellschaft.

Grundsätzliches zur Frakturen-behandlung im WachstumsalterWolfgang Linhart

Page 26: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

KINDERTRAUMATOGIE

26

In den letzten 50 Jahren hat sich weniger unter demAspekt der Würdigung des Kindes, als vielmehr unterwirtschaftlichen und sozialen Aspekten die Taktik zurBehandlung von Frakturen im Wachstumsalter erheblichgewandelt. Seit der Gründung der AO sind durch Entwik-klung geeigneter Osteosynthesetechniken die Zahlen derInvalidisierungen und der Arbeitsunfähigkeitsdauernnach Frakturen im Erwachsenenalter erheblich gesun-ken. Durch Steigerung des primären Erstaufwandes hatsich der Gesamtaufwand erheblich senken lassen. Nurzögernd wurde diese Erkenntnis – unter dem zunehmen-den Aspekt der Wirtschaftlichkeit in der Medizin, desQualitätsbewusstseins, des „managing“ – auch in derTraumatologie am Kinde aufgenommen. Ungeachtet derTatsache, dass noch heute Kinder während Wochen inExtension im Spital liegen, versucht man doch zuneh-mend die psychosoziale Komponente in der Behandlungzu integrieren und versucht grosso modo die techni-schen und sozialen Erkenntnisse aus der Erwachsenen-traumatologie auf das Kind zu übertragen. Kaum einBehandlungs- oder Osteosyntheseverfahren wurde fürdas Kind entwickelt; das ist umso erstaunlicher, da derUnterschied zwischen Kind und Erwachsenem sowohl inphysischer als auch in psychischer Hinsicht eklatant ist.Nicht dass wir schon in der Lage wären eine Medizin, dieausschließlich auf den Patienten ausgerichtet ist, vorzu-weisen. Nein bislang gilt immer noch unser vornehmli-ches Interesse dem Objekt, d.h. der Klinik, dem Chirur-gen, der Osteosynthesemethode etc. Aber wir sind aufdem Wege das Phänomen individueller Medizin zubegreifen – den Patienten als Partner zu akzeptieren undnicht als hierarchisches Erfolgsobjekt handzuhaben. Dieshat durchaus medizinische Konsequenzen, denn dasInteresse des wachsenden Patienten zielt darauf, dassmit möglichst wenig Aufwand das Behandlungsziel soschnell als möglich erreicht wird und dass sich weitereKontrollen und Behandlungen erübrigen. Jede medizini-sche Maßnahme alteriert zwangsläufig das Soma, dieSeele und die Würde des Patienten. Also drängt sich dasgezielte Minimum an Gesamtaufwand als Qualitätspara-meter für medizinisches Handeln – nicht nur beimErwachsenen, sondern um so mehr auch beim wachsen-den Patienten – auf. Dem steht unser eigenes Interesseder Selbstbestätigung durch Handeln und Verdienen ent-gegen. Nur das Begreifen kann uns davor bewahren,dies unkritisch ausleben zu wollen.

Grundsätzliches zum WachstumFaktoren, die das Knochenwachstum und im speziel-

len das Fugenwachstum steuern, sind unterschiedlichund nur teilweise bekannt. Die Wachstumsfugen wer-den durch verschiedene, das Wachstum stimulierendeHormone, wie z.B. Insulin, Parathyreoid, Östrogen undTestosteron, aber auch Gene wie das Homeobox undHudgehoc, Proteine wie Bone Morphogenic Proteinoder Aggregen gesteuert. Auch mechanische Faktorenkontrollieren das Wachstum in gewisser Weise. Dieswird deutlich durch vermehrtes Längenwachstum, z.B.nach Oberschenkelfrakturen, bei welchen sowohl dasZerreißen des Periostes als auch die vermehrte Vasku-larität in Folge der Fraktur eine Rolle zu spielen scheint.Darüber hinaus werden sowohl Beinlängen, als auch

4. QUARTAL 2004

Torsionsdifferenzen vor allem an der unteren Extre-mität beobachtet, die ohne Trauma auftreten undderen Ursache eher auf hormonelle, lokale oder hume-rale Wachstumsfaktoren zurückzuführen sind.

Klinisch bietet das Wachstum Vor- und Nachteile an:Die Vorteile bestehen in der Möglichkeit der „Spon-tankorrekturen“ belassener Abweichungen. Das Remo-deling belassener Abweichungen hat Einfluss auf dieposttraumatische Längenalteration des betroffenenSkelettabschnittes. Um die Häufigkeit und das Ausmaßzu mindern, sollten im Rahmen von Ober-, Unterschen-kel- und Tibiafrakturen keine wesentlichen Achsenab-weichungen den Spontankorrekturen des weiterenWachstums überlassen werden, selbst wenn derenKorrektur zuverlässig erfolgen würde.

Im Bereich der oberen Extremitäten spielen Längen-differenzen im üblichen posttraumatischen Rahmenkeine wesentliche Rolle, so dass hier zuverlässigen„Spontankorrekturen“ im Bereich des proximalenHumerus, des Radiusköpfchens und des distalenVorderarmes bis zum Grenzalter von 10 Jahren in diePrimärtherapie integriert werden dürfen und nach Rük-ksprache mit Eltern und Patienten auch sollen.

Grundsätzlich sind derartige Korrekturen abhängigvom Wachstumsanteil der nächstgelegenen Fuge, alsauch vom Alter des Patienten. Dementsprechend findensich im Bereich der oberen Extremitäten „gute Spon-tankorrekturen“ von Achsabweichungen innerhalb

Abb. 1: Gute Spontankorrektur nach supcapitalerHumerusfraktur bei 13-jährigem Mädchen

Page 27: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

KINDERTRAUMATOGIE

27

4. QUARTAL 2004

bestimmter Altersgrenzen: proximaler Humerus, Radi-ushalsfraktur, distaler Radius usw. Sklettunterschiedesubcapitale H.# (Abb.1 Spontankorrekturen)

Varus bis 40° proximaler Humerus (bis 12 Jahren)Abkippungen des Radiusköpfchens bis 50° (bis zu10 Jahren)20-30° Achsabweichungen in der Beugesehne =Sagittalebene des Handgelenkes bis zum Alter von12-13 JahrenRotationsfehler am Humerus (wahrscheinlich bis zu30°)

Dem stehen das Ausbleiben von „Spontankorrek-turen“ (Abb. 2 keine Spontankorrektur) bestimmterAchsabweichungen gegenüber:

Valgus proximaler HumerusValgus/Varus HumerusschaftAchsabweichungen in der Frontalebene des Hand-skelettesRotationsfehler am Oberarm distal, Vorderarm,Hand-/Fuss-SkelettIdiopathische Beinlängen- und Torsionsdifferenzen

Die Nachteile des Wachstums bestehen in densogenannten Wachstumsstörungen:

Dabei müssen wir hemmende von stimulativenWachstumsstörungen unterscheiden. In dem einen Fallwird die jeweilige altersentsprechende Funktion derFuge gesteigert, im anderen Falle gehemmt.

Stimulative Wachstumsstörungen (Abb. 3 Stimu-lative Wachstumsstörung)

Stimulative Wachstumsstörungen sind nach sämt-lichen Frakturen im Wachstumsalter obligatorisch zuerwarten – gleich welcher Lokalisation. Meist sind beide,die Fraktur umgebend, Fugen gesamthaft an dieserWachstumsstörung beteiligt. Deren Folgen sind unter-schiedlich und vom Alter des Patienten abhängig: unter-halb des 10. Lebensjahr ist vermehrt mit Verlängerungen,

jenseits des 10. Lebensjahreseher mit Verkürzungen zu rech-nen. Klinische Bedeutunghaben derartige Längendiffe-renzen nur an den unterenExtremitäten, vor allem, wennsie sich vorbestehenden idio-pathischen Längendifferenzenaufpropfen und dann im Aus-maß jenseits von 1-2 cm liegenkönnen. Einmal stattgefundeneLängen- und Achsalterationenwerden im weiteren Wachstumnormalerweise nicht mehr„spontan“ korrigiert.

Selten sind nur Teile einerFuge beteiligt, was zum zuneh-menden Achsenfehlwachstumführt. Bekannt und von klini-scher Bedeutung sind derartigeWachstumsstörungen vorallem am distalen Humerusradial (führt zur Varisierung derEllbogenachse: kosmetischeAlteration) und an der proxima-len Tibia medial (führt zum Val-gusfehlwachstum: kosmetischeund funktionelle Alteration).

Die Dauer sämtlicher simulativer Wachstumsstörun-gen ist begrenzt und mit Abschluss der Frakturrepara-tion beendet.

Hemmende Wachstumsstörungen (Abb. 4 Hem-mende WTS)

Diese betreffen sehr viel häufiger nur Teile einer Fugeund führen zum zunehmenden Achsenfehlwachstum,sehr viel seltener ganze Fugen, was zur zunehmendenVerkürzung ohne Achsabweichung führt. Sie kommen vorallem nach Epiphysenlösungen und -frakturen im Bereichder unteren Extremitäten vor.Derartige Wachstumsstörun-gen sind Seltenheiten imBereich der oberen Extremitä-ten (<5% aller entsprechendenVerletzungen), während sie anden unteren Extremitäten sig-nifikant häufiger auftreten kön-nen (20-30%). D.h. dieseWachstumsstörungen sind –im Gegensatz zu den stimulati-ven – fakultativ, und deren Auf-treten ist sowohl von der Loka-lisation in der Nähe oder durchdie Wachstumsfugen, als auchvom Alter der Patienten, vomAusmaß der Dislokation derFraktur, vom Wachstumsanteiletc. abhängig. Die Dauer dieserWachstumsstörungen ist –ebenfalls im Gegensatz zu denstimulativen – unbegrenzt undwährt bis Wachstumsab-schluss der betroffenen Fuge.

Abb. 2: Cubidus varus nach supracondylärerHumerusfraktur - keine Spontankorrektur zu erwarten

Abb. 3: 5-jähriger Jungenach Oberschenkel-fraktur, damals nochmit Extension behan-delt, Beinverlängerungrechts um über 2,5 cm

Abb. 4: Knochenbrü-cke am Innenknöchelmit konsikutiverWachstumsstörung imSinne einer Verkür-zung und Achsenab-weichung

Page 28: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

KINDERTRAUMATOGIE

28

Grundsätzliches zur Diagnostik

Solange die Fugen noch weit offen sind, handelt essich – unabhängig vom Unfallmechanismus – stets um stereotype Verletzungen. Erwachsenenverletzun-gen oder zumindest erwachsenenähnliche Verletzun-gen treten erst mit zunehmendem Fugenschluss auf.Man kann also schon allein aufgrund des Alters desPatienten und der Lokalisation einer posttraumatischenSchwellung und des Schmerzes die Verletzungsart ver-muten (Wulstfraktur, Epiphysenlösung, Grünholzfrak-tur, Biegungsbruch, usw.).

Etwa zwei Drittel der wichtigsten Extremitätenfraktu-ren betreffen die obere, etwa ein Drittel die untereExtremität.

Grundsätzlich ungünstig ist die manuelle, pal-patorische Diagnostik (tierärztl. Zugang): manlöst lediglich Schmerzen aus und verunsichertdas Kind, ohne eine therapeutisch relevante Diag-nose stellen zu können.

Es genügt, das Kind und die schmerzende Stelle zubetrachten ohne es zu berühren. Einzelne Verletzungenwie die „pronation douleureuse“ des Ellbogens, dieClaviafraktur, Fingerluxation etc. können schon alleineaus der Betrachtung heraus diagnostiziert und die the-rapeutischen Konsequenzen daraus gezogen werden.

In allen anderen Fällen ist bei adäquatem Traumazur Diagnosestellung das Röntgen indiziert. Ist klinischkeine Deformierung sichtbar, wird in zwei Ebenengeröntgt. Ist klinisch schon eine Fehlstellung sichtbar,genügt eine Ebene. Nur selten empfehlen sich zusätzli-che Schrägaufnahmen wie z.B. am oberen Sprungge-lenk und am Knie. Grundsätzlich sind fortführende Pri-märuntersuchungen zur Beurteilung einer Extremitä-tenfraktur im Wachstumsalter wie das CT und Arthro-gramme, MRI etc. primär nicht indiziert.

Absolut obsolet ist das immer wieder ange-führte Vergleichsröntgen der Gegenseite. DieseAufnahmen sind unnötig, da nicht vergleichbar; dieseitvergleichende Betrachtung lenkt von der schmer-zenden Stelle ab und führt meist zu dem Fehlschluss,dass der Patient nichts habe – und die Behandlungunterbleibt.

Allgemeine Grundsätze der konservativenBehandlung und deren Techniken

Unter konservativer Behandlung wird üblicher-weise eine Unmenge von Aktivitäten verstanden,angefangen von der Anlage einer Gipsschiene übergeschlossene Reposition in Anästhesie bis hin zurSteinmann-Nagelextension, die ebenfalls in Anäst-iesie angelegt werden. Auch mehr oder weniger häufi-ge Nachrepositionen und sogar Therapiewechsel zu„halbkonservativen“ Verfahren werden noch unterdiesem Begriff subsummiert. Da dieser unterschiedli-che Aufwand durchaus subjektive und objektiveBedeutung für den Patienten hat und nicht zuletztwirtschaftliche Bedeutung besitzt, sollte man eine Dif-ferenzierung in konservativ ohne Anästhesie und

konservativ mit Anästhesie vornehmen. Auch hiergilt selbstverständlich das Prinzip der Effizienz, sodass Nachrepositionen obsolet und Ausdruck einerFehleinschätzung der primären Situation sind, ebensowie Therapiewechsel nach einer konservativenBehandlung mit Anästhesie. Die ja bereits die Behand-lung einer Komplikation und damit einen Indikations-oder technischen Fehler vermuten lassen.

Konservative Behandlung ohne AnästhesieDie Zielsetzung der Behandlung besteht an erster

Stelle in der Schmerzbehandlung, an zweiter Stelle dieFrakturstellung zu retinieren. Als Technik sind sämtli-che elastische Verbände, wie die Blount´sche Schlinge,der Rucksackverband, der Desault- und der Velpeau-verband, der Sarmientobrace etc., sicher aber als häu-figste Maßnahme der Gips zu nennen. Von all dengenannten Maßnahmen stellt der Gips die zuverläs-sigste Schmerzbehandlung und auch eine relativ siche-re Retention der Frakturstellung dar; während sämtli-che elastische Verbände weder eine zuverlässigeSchmerzbehandlung, noch eine zuverlässige Frakturre-tention gewährleisten.

Techniken:Rucksackverband: Verursacht eher Schmerzen, alsdass er sie ausschaltet. Ziel ist es, bei vollständigdislozierten Claviafrakturen durch Zurücknahmender Schultern, die Verkürzung in der Fraktur zubeheben und durch diesen „Extensionszug“ eineSchmerzlinderung zu erreichen. Bei Schmerzlinde-rung sollte der Verband belassen und in den erstenTagen täglich nachgezogen werden. Nach 5-6Tagen ist seine Wirkung vorbei. Die Stellung wirddurch ihn nur approximativ gehalten. (Abb. 5 Ruk-ksackverband)

Blount´sche Schlinge: Sie dient der Redressionantekurvierter, supracondylärer Humerusfrakturen.Der Verband wird in den ersten 2-3 Tagen nachAbschwellen der Weichteile, unter Umständen inSchmerzmedikation, auf eine Flexionsstellung vonmindestens 120° nachgezogen. (Abb. 6 Blount)Dessault- und Velpeauverband

4. QUARTAL 2004

Abb. 5: Rucksackverband

Page 29: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

KINDERTRAUMATOGIE

29

4. QUARTAL 2004

Sarmientobrace amOberarm, Heftpflasterexten-sion Gips. Grazer Gipstech-nik: Über die Haut eine dünneLage „Klumpfußwatte“ zirku-lär. Anschließend Anlegenvon Gipslonguetten dorsal,seitlich, ventral, immer so,dass ein gipsfreier Streifengewährleistet ist. Dieser dientzum Nachfedern bei Schwel-lungszunahme und über ihnkann man die Polsterung beiBedarf aufschneiden und denGips spreizen. Nach Ab-schwellen der Weichteilewird dann erst um den 6. Tagnach Unfall der Gips zirkulärgeschlossen. Der Gips-

schluss unterbleibt bei stabilen Frakturen kleinerKinder, um ihnen das „Trauma“ der Gipsabnahmemit der lärmenden Gipsfräse zu ersparen. Gipskei-lung: Das Ziel der GK ist, die Stellung der Fraktur zuverbessern. Das Ausmaß des Redressionsergebnis-

ses ist abhängig von der pri-mären Schwellung derWeichteile, der entsprechen-den Weite des Gipses unddem Ausmaß der Achsabwei-chung, die redressiert wer-den soll. Der ideale Zeitpunktzum Gipskeilen ist der 8. Tag,wenn die Weichteile vollstän-dig abgeschwollen sind.Gipskeilungen in den Tagenzuvor, in noch geschwolleneWeichteile hinein, müssen oft– einige Tage später –wiederholt werden. Der Gipswird hemizirkulär aufge-schnitten, sodass der tiefstePunkt der Keilung dem Zen-trum der Konkavität der

Achsabweichung in einer oder beiden Ebenen ent-spricht. Liegt die Fraktur gelenksnahe, so muss derKeilungsort proximal der Fraktur gewählt werden.Liegt die Fraktur zentral in der Mitte des Knochens,liegt die Keilungsstelle in Frakturhöhe. Die Grenzendes Keilungsausmaßes ist der beginnende Schmerzbzw. Druck, den der Patient verspürt. Je nach Alterdes Patienten und Lokalisation der Fraktur mussanschließend eine Rx-Ko zur Dokumentation desKeilungsergebnisses vorgenommen werden.

Indikationen Die Indikation zur konservativen Behandlung ohne

Anästhesie ist für sämtliche stabilen Frakturen gege-ben sowie für diese Frakturen, die altersentsprechendin Abkippung oder Verkürzung – im Einverständnis mitPatient und Eltern – ausbehandelt werden können(Abb. 8 Oberschenkelgipshülse).

Zu den stabilen Frakturen sind die isolierten Tibia-frakturen zu rechnen, ebenso sowie sämtliche aufein-

ander stehenden Querfrakturen, die lediglich abge-kippt, aber nicht verkürzt sind. Unter diese Indikationfallen die häufigsten Frakturen im Wachstumsalter.

KomplikationenSämtliche elastischen Verbände können zu Ein-

schnürungen mit Durchblutungsstörungen etc. füh-ren. Dementsprechend müssen Patient und Elterninformiert werden. Die Gefahr der Gipsbehandlungbesteht immer im Druckulcus. Ein solches kann verur-sacht werden durch eine schlechte Gipstechnik oderApplizieren von Gegenständen unter den Gips (z.B.zur Stillung des Juckreizes), die dann nicht mehr ent-fernt werden können (Spatel, kurze Stricknadel, Blei-stifte und dergleichen). Im Rahmen der Gipskeilungbestehen zwei Möglichkeiten einer Druckstellen: derhölzerne Keil wurde zu tief eingesetzt, oder dass esbei extremen Keilungen auf der Gegenseite der Kei-lung zum zunehmenden Druck kommen kann. Derbeginnende Druck äußert sich im Schmerz. Patientund Eltern sind daher – bei jedem Gips – eindringlichdarauf hinzuweisen, dass anhaltende Schmerzen imGips nicht normal seien und einer Revision (Fenste-rung, Spreizung etc.) bedürfen. Keinesfalls dürfenSchmerzmittel gegeben werden, die die Symptomatikverschleiern könnten.

Ein Druckulcus nach einem Gips ist viel weni-ger der Gipstechnik, als vielmehr der mangelhaf-ten Information und der mangelhaften Kontrolledes Patienten anzulasten.

RuhigstellungsdauerGrundsätzlich sollte ein Gips – schon aus hygieni-

schen Gründen – nicht länger als 4, maximal 5Wochen getragen werden. Üblicherweise sind nachdieser Zeit ohnehin die Frakturen im Wachstumsalterbewegungsstabil verheilt. Der Zustand des Gipses(verschlissen oder intakt) und die Dolenz bzw. Indo-lenz des tastbaren Kallus sowie der Wunsch desPatienten entscheidet über die erneute Applikationeines weiteren Gipses (Gehgips, Schutz- und Trutz-gips am Vorderarm für die Schule etc.).

Abb. 6: Blount'scheSchlinge

Abb. 7: Desault-Verband

Abb. 8: Oberschenkel-Gipshülse

Page 30: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

KINDERTRAUMATOGIE

30

4. QUARTAL 2004

Konservative Behandlung mit Anästhesie

Im Rahmen dieser Behandlung wird nicht mehr nurredressiert, sondern geschlossen reponiert. Dies erfor-dert eine Anästhesie. Wenn immer möglich sollte man– aus der gebotenen Forderung nach Effizienz – jedeNarkose nutzen um eine definitive Situation zu schaf-fen, z.B. in Form von internen stabilisierenden Maß-nahmen, wie sie im folgenden Kapitel geschildert wer-den. Dazu muss der Aufwand einer späteren Metallent-fernung gegen das Risiko einer sekundären Achsab-weichung, mit der Gefahr einer Nachreposition odergar eines Therapiewechsels abgewogen werden. Esverbleiben daher nur wenig Indikationen für eine kon-servative Behandlung ohne Anästhesie.

Als Technik der Retention können grundsätzlich diegleichen wie bei konservativ ohne Anästhesie in Fragekommen. Bevorzugt wird zweifelsohne allenthalbender Gips werden.

Indikationen: Die Indikation stellt sich notfallmäßigfür alle Luxationen ohne Begleitverletzungen sowie diemeisten vollständig dislozierten Frakturen, die sich durchdie Reposition in eine stabile Situation bringen lassen.Diese werden dann weiterbehandelt wie die Patienten, dieohne Anästhesie konservativ versorgt werden. Des Weite-ren stellt sich die Indikation zur geschlossenen Repositionfür sämtliche stabile Frakturen, die durch die Gipskeilungnicht in eine altersentsprechende tolerable Stellunggebracht werden konnten. Eine derartige Reposition wirddann als Wahleingriff, am nüchternen Patienten am 8./9.Tag nach dem Unfall durchgeführt. Bei den meist älterenPatienten muss aber oft kritisch erwogen werden, ob nichtin gleicher Narkose eine stabilere Situation geschaffenwerden muss, mit Hilfe percutan eingebrachter Implantate.

Komplikationen: Diese entsprechen denen der kon-servativen Behandlung ohne Anästhesie. Zusätzlich kannes nach der Reposition, nach Abschwellen der Weichtei-le, zum sekundären Abkippen der Fraktur kommen.

Ruhigstellungsdauer: Entspricht der oben angege-benen Richtlinien.

Allgemeine Grundsätze der „halbkonservati-ven“ und operativen Behandlung und deren Techniken

„Halbkonservative“ Behandlung= Geschlossene Repo-

sition und Retention durchperkutan eingebrachte Kir-schnerdrähte, intramedul-läre Nägel, kanülierteSchrauben oder den Fixa-teur externe (Abb.9). Dieperkutan eingebrachtenKirschnerdrähte sollenoberhalb des Hautni-veaus belassen werden,um sie später – ohneAnästhesie – einfacherwieder ziehen zu können.Um Infekte zu vermeiden,muss um die Drähte eingipsfreier Hof geformtwerden, der verhindert,dass bei den Bewegungender Gliedmaßen im Gipsdie Drähte am Gipsanschlagen und sich lo-ckern können.

Operative Behandlung= Offene Reposition und Retention mit Schrauben,

Drähten, intramedulläre Nägel oder Platten (Abb. 10aund Abb. 10b).

Korrespondenzadresse:Univ. Prof. Dr. W. LinhartLandeskrankenhaus – Universitätsklinikum GrazUniversitätsklinik für KinderchirurgieA-8036 Graz, Auenbruggerplatz 34, Telefon (0316) 385-DW, Telefax (0316) 385-DWE-mail: [email protected]

Abb. 9: HalbkonservativeBehandlung bei unverscho-bener Gelenksfraktur derproximalen Tibia

Abb. 10a/b: Offene Repositionund innere und äußere Fixationbei Oberschenkelfraktur in 2Etagen und gleichzeitiger Trüm-merfraktur im Bereich desdistalen Oberschenkels

Page 31: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

ORTHESEN

31

4. QUARTAL 2004

EinleitungDie orthopädietechnische Versorgung beim Kind hat

ihren Schwerpunkt in der Orthesenversorgung gefunden.Durch den Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Dynamikwurden die nur korrigierenden Orthesen in den Hinter-grund gedrängt und neue, bestehende Funktionen unter-stützende und Bewegungsmuster bahnende Orthesen,wurden entwickelt. Dem Zusammenspiel mit der Reha-technik wird dabei ein vermehrtes Augenmerk geschenkt,um so besonders für behinderte Kinder und derenBetreuungspersonen eine Verbesserung zu erreichen.

Die Prothesenversorgung hat durch die Entwicklun-gen auf dem Gebiet der Tumorchirurgie und rekons-truktiven Chirurgie in der Anzahl, aber nicht an Bedeu-tung verloren.

Die Orthopädieschuhtechnik hat durch die Einfüh-rung neuer Materialien eine Doppelfunktion zwischenOrthesen und Schuhen bekommen. Die Anpassung anneue Trends der Schuhmode hat zu einer Akzeptanzdurch die Kinder geführt.

OrthesenDie Schuheinlagenversorgung bei Kindern ist ein

viel diskutiertes Thema. Eine gezielte Einlagenversor-gung sollte dadurch aber nicht verhindert werden.Besonders kontrakte Fehlbildungen bedürfen einer Ein-lagenversorgung um Überbelastungen zu vermeiden.

Schuheinlagen mit lokaler Entlastung können bei derMinusvariante des Metatarsale I, dem Mb Köhler I und II,der Coalitio Calcaneonavicularis und bei vielen weiternDiagnosen einen positiven Effekt bewirken. Die Schuh-einlagen sollen aber immer eine Einheit mit den verwen-deten Schuhen bilden. An dieser Stelle beginnt dasBetätigungsfeld der Orthopädieschuhmacher. Oft kannmit nur einfachen Schuhzurichtungen wie der Entlas-tung eines Os tibiale externum oder einer Haglundferseeine Beschwerdefreiheit erreicht werden. KomplexeSchuhzurichtungen wie die rückverlagerte Ballenrollebeeinflussen dabei die Gesamtstatik des Patienten.

Bei der Behandlung des Klumpfußes bilden dieoperative und orthopädietechnische Versorgung eingemeinsames Behandlungskonzept. Die Gipsredres-sion der frühen Lebensphase stellt eine Vorbereitungauf das operative Vorgehen dar. Im Anschluss an dieOperation besteht die Indikation zur Versorgung mitNachtlagerungsorthesen, gefolgt von der Versorgung

mit Antivarusschuhen und Schuheinlagen zur Korrek-tur und Wachstumslenkung. Ein Wechsel im Behand-lungskonzept, wie die Technik nach Ponseti, bringeneine neue Bedeutung für die Orthesen- und Schuhver-sorgung. Bei ausgeprägten Klumpfüßen ist die Versor-gung mit orthopädischen Schuhen weiterhin eineBehandlungsoption.

Die orthopädietechnische Versorgung des Sprung-gelenkes bildet bei Kindern mit zerebralen Bewe-gungsstörungen eine Schlüsselstelle der Mobilisierung(Abb. 1). Kinder mit neuromuskulären Erkrankungen,wie bei der Spina bifida, der spinalen Muskelatrophieusw. benötigen Orthesen, die eine gezielte Muskelfunk-tion in der Stand- und Gangphase unterstützen undgleichzeitig einer zunehmenden Fußfehlstellung ent-gegenwirken. Das Orthesengelenk harmonisiert dasGangbild und den Bewegungsablauf, wenn der Bewe-gungsmittelpunkt freigegeben wird. In Kombinationmit der Bedeutung der Propriozeption wurde die NancyHylton-Orthese für Kinder mit neurologischen Bewe-gungsstörungen entwickelt (Abb. 2). Die Fußfixierungist dabei auf ein Minimum reduziert.

Bei der Hüfte konnte auf dem Gebiet der Hüftdys-plasiebehandlung durch die Einführung der Sonogra-phie ein Quantensprung der Behandlungsergebnisseerzielt werden. Das einfache biomechanische Therapie-prinzip der Abspreizbehandlung, gepaart mit dem frü-hen Behandlungszeitpunkt haben so zu einem durch-schlagenden Erfolg geführt.

Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für KinderFranz Landauer

Abb. 1

Page 32: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

ORTHESEN

32

4. QUARTAL 2004

Beim Mb Perthes hat der Wechsel des Behandlungs-konzeptes von der Entlastung zum Containment zueiner Änderung der Orthesenempfehlung geführt. DerThomas-Splint als Entlastungsorthese wurde nach eini-gen Abänderungen des Aufbaues verlassen und durchdie Atlanta-Orthese in Einzelfällen abgelöst. Die Orthesenindikation besteht dabei nur bei guter Hüftbe-weglichkeit. Aus Gründen der Praktikabilität bleibt derOrtheseneinsatz jedoch weitgehend auf das Vorschul-alter beschränkt.

Ein weiteres orthopädietechnisches Behandlungs-konzept stellt die Korsettbehandlung der Skoliosedar. Die typische Indikation ist bei rechtskonvexen tho-rakalen Krümmungen mit einem Cobb-Winkel von 20°-40° bei Therapiebeginn gegeben. Bei guter Complianceund einer guten Korrektur im Korsett von über 40% darfein guter Behandlungserfolg erwartet werden. DasCheneau-Korsett und Orthesen mit vergleichbaren Kor-rekturprinzipien sind in ihrer Funktion und den Behand-lungsergebnissen sehr gut dokumentiert (Abb. 4). Neuere Entwicklungen wie das Charleston BendingBrace oder das SpineCor und Tria-C können noch keinebeweisenden Erfolgsergebnisse vorlegen.

Auch bei der Korsettbehandlung ist eine Indikationnur bei erfolgversprechenden Voraussetzungen zu stel-len. Eine uneingeschränkte Indikationsausweitung istden Patienten nicht zumutbar und abzulehnen.

Bei rollstuhlpflichtigen neuromuskulären Erkrankun-gen sind beim Auftreten von Skoliosen die Patientenmit Sitzschalen in den meisten Fällen besser versorgt.

In Einzelfällen kann aber ein stützendes oder aufrich-tendes Korsett indiziert sein.

Die Orthesenversorgung an den oberen Extremitä-ten stellt bei Kindern eine seltene Indikation dar undreduziert sich auf Lagerungsorthesen und posttrauma-tische Versorgungen. In Kombination mit der ergothe-rapeutischen und physiotherapeutischen Behandlungkommen aber orthopädietechnische Hilfsmittel zumEinsatz.

Eine bedeutende Gruppe bilden die Patienten mitneuromuskulären Erkrankungen. Hier wird dasZusammenspiel mit der Rehatechnik zum zentralenThema. Die Orthesen und Mobilitätshilfen müssen eingemeinsames Ziel der Verbesserung der Lebensqua-lität verfolgen. „Schienen“ (Orthesen) die nur dem Zielder Achskorrektur dienen, haben ihre Berechtigung ver-loren. Dies auch trotz der Vorstellung, dass das WortOrthopädie von seiner Grundbedeutung „Das geradeKind“ kommt. Die Orthese übernimmt die „Führung“in vielerlei Bedeutung. Nicht nur zur Führung vonGelenken und zur Wachstumslenkung, auch zur Ver-besserung von komplexen Bewegungsabläufen wer-den Orthesen eingesetzt. Durch neue Erkenntnisse aufdem Gebiet der Ganganalyse können neue Behand-lungspläne erarbeitet werden. Bereits bei der Opera-tionsplanung wird die nachfolgende orthopädietechni-sche Versorgung berücksichtigt. Auch neue Behand-lungsmethoden, wie die Anwendung von Botulinumto-xin geben den Orthesen eine neue Stellung in einemBehandlungskonzept. Besonders auf dem Gebiet derSitzpositionierung verschwimmen die Grenzen zwi-schen Orthesen- und Rehatechnik, wenn die Sitzschale(Sitzorthese) direkt mit dem Rollstuhl als Mobilitätshil-fe verbunden wird (Abb. 3).

Rehatechnik

Die Rehatechnik beschäftigt sich mit der Überbrü-ckung von Defiziten, zur Bewältigung des Alltages. Dazugehören einfache Funktionshilfen wie angepasste Ess-bestecke, bis hin zu den Mobilitätshilfen wie Krücken,Rollstühle und vieles mehr.

Die Reha-technik wirdbei den Kin-dern von denMobilitätshil-fen dominiert.Die Rollstuhl-versorgungist unter demGesichtspunktder Grunder-k r a n k u n g ,dem Entwik-k l u n g s v e r -lauf und derZ u n a h m eder Körper-größe zu se-

Abb. 2

Abb. 3

Page 33: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

ORTHESEN

33

4. QUARTAL 2004

hen. Wird das Kind den Rollstuhl nicht selbstständigbetreiben können, so steht der Sitzkomfort imVordergrund. Nicht zu vernachlässigen ist die Hand-habung für die Eltern und Betreuer. Kann das Kindden Rollstuhl selbstständig betreiben, so wird imRollstuhlaufbau dieser Selbstständigkeit Rechnunggetragen. Bei der Auswahl von Elektrorollstühlenkommt der Steuertechnik eine zentrale Rolle zu. EinKind mit Spastik benötigt ein ganz anderesAnsprechverhalten der Steuereinheit als ein Kindmit progredienter neuromuskulärer Schwäche. Beiindividuellen Anpassungen sind dem Ideenreichtumund handwerklichen Geschick des betreuendenOrthopädietechnikers keine Grenzen gesetzt. DieseFähigkeiten sind aber auch bei der Versorgung vonGehhilfen, Stehgestellen und vielem mehr gefordert.Die krankheits-spezifischen Defizite sollen durch diegenannten Hilfsmittel ausgeglichen werden.

In der behindertengerechten Adaptierung derLebensräume gibt es aber noch viel zu tun. Dazu gehö-ren nicht nur die öffentlichen Plätze und Räume in derSchule, vielmehr auch im privaten Bereich ist dieLebenssituation und Selbstständigkeit der Patientendurch Hilfsmittel zu verbessern. Es wird dabei vomOrthopädietechniker mit dem Schwerpunkt Rehatech-nik eine sehr hohe Leistung der fachlichen Koordina-tion von Hilfsmittelempfehlungen, bis hin zur hand-werklichen Ausführung und der Hilfestellung bei derFinanzierung gefordert.

Prothesen

Bei transversalen Fehlbildungen und nach Amputa-tionen an den unteren Extremitäten ist die Prothesen-versorgung entsprechend der normalen Gangentwi-cklung dem Kind anzubieten und die Prothese wird soin das Leben des Patienten integriert.

Prothesenversorgungen an den oberen Extremitätensind ebenfalls bereits in einem frühen Kindesalter inspielerischer Form anzubieten. Bei einseitiger Amputa-tion wird die Prothesenversorgung an den oberenExtremitäten sehr häufig von den Kindern längerfristignicht angenommen, da die gesunde Hand alle Funktio-nen übernimmt und der Stumpf als „Haltehand“ einge-setzt wird. Bei doppelseitiger Amputation bekommt dieProthesenversorgung hingegen einen viel größerenStellenwert. Mit dem Erreichen der Pubertät wird vonvielen Patienten aus kosmetischen Gründen wiedereine Prothesenversorgung gewünscht.

Bei longitudinalen Fehlbildungen werden durch dieVielzahl der Ausprägungen, sehr individuelle Versor-gungen, vom orthopädischen Schuh bis hin zur Ortho-prothesenversorgung notwendig. Hier ergibt sichzwangsläufig der Übergang zu den Orthopädieschuh-machern.

Orthopädische SchuheVon den Orthopädieschuhmachern wird von der

Standardeinlage bis zum komplexen orthopädischenSchuh bei Fußfehlstellungen und Beinlängendifferen-zen ein breites Spektrum angeboten.

Alle Anstrengungen zur Verwendung von Konfek-tionsschuhen, entsprechend der aktuellen Mode,sind zu unterstützen. Durch individuelle Schuhzu-richtungen, aber auch durch den Einsatz von Innen-schuhen kann dies erreicht werden. Bei gleichzeiti-ger Verwendung von Orthesen müssen die Ortheseund die Schuhe eine funktionelle Einheit bilden. DieVerordnung individuell gefertigter orthopädischerSchuhe sollte bei Kindern aufgrund des Wachstumsund häufiger modischer Wünsche der Patienten aufein Minimum reduziert werden.

ZusammenfassungDie orthopädietechnische Versorgung beim Kind hat

an Vielfalt, Differenzierung und Farbe gewonnen. EineVielzahl von Produkten wird entsprechend der ver-schiedensten Therapiekonzepte angeboten. Orthopä-dietechnische Hilfsmittel müssen so ausgeführt wer-den, dass sie vom Patienten „getragen“ und nicht„ertragen“ werden. Dies erfordert eine engeZusammenarbeit aller an der Entwicklung des Kindesbeteiligten Personen. Die vielfältigen Versorgungs-möglichkeiten sind dabei auf ein gemeinsames Thera-pieziel abzustimmen.

OA Dr. Franz LandauerUniversitätsklinik für OrthopädieParacelsus Medizinische PrivatuniversitätSalzburg

Abb. 4

Page 34: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

BISPHOSONATE

34

Eckpfeiler der Osteoporosetherapie:BISPHOSPHONATEErgebnisse der ersten prospektiven Vergleichsstudie FACT (Fosamax Actonel Comparison Trial)

Risedronat versus AlendronatDie beiden Bisphosphonate Alendronat und Risedro-

nat sind zur Behandlung und Prävention von post-menopausaler Osteoporose zugelassen und als Tablet-ten erhältlich.

Die Ergebnisse der ersten randomisierten, doppel-blinden, multizentrischen Studie – 70 mg Alendronatversus 35 mg Risendronat 1 mal pro Woche – wurdenAnfang Oktober in Washington präsentiert.

Die Studie an der 1053 postmenopausale Frauen (mitt-leres Alter: 64,5 Jahre, seit ∅ 18,5 Jahren in der Meno-pause) teilnahmen, wurde als eine Doppel-Dummy-Stu-die durchgeführt. D.h. Patienten aus der Alendronat-Gruppe (n = 520) erhielten zusätzlich ein Risedronat-Pla-cebo und umgekehrt die Risedronat-Gruppe (n = 533)zusätzlich ein Alendronat-Placebo. Die Studienmedika-mentation wurde morgens nüchtern eingenommen.Zusätzlich erhielten täglich alle Patienten ein Kalziumprä-parat (≥ 1000 mg) sowie Vitamin D (400 IU).

Das Einschlusskriterium war eine diagnostizierteOsteoporose (BMD-T-Score ≤≤ 2 am Trochanter, amSchenkelhals, an der Hüfte gesamt oder an der Lenden-wirbelsäule). Weiters durften die Patienten in den letz-ten 2 Jahren keine Bisphosphonatmedikamentationerhalten haben, bzw. eine Hormonersatztherapie mitÖstrogen oder Östrogen-Analoga innerhalb der letzten6 Monate stattgefunden haben.

Die Knochendichte wurde zu Beginn, nach 6 Mona-ten und nach 12 Monaten mittels Hologic- oder Lunar-Densiometern gemessen. Die biochemischen Knochen-umbaumarker N-Telopeptid (NTx) und Serum-C-Telo-peptid (CTx) im Harn sowie die knochenspezifischeAlkaline-Phosphatase (BSAP) und N-terminales Pro-peptid von Typ-1-Prokollagen (P1NP) im Serum wur-den zu Beginn nach 3, 6 und 12 Monaten gemessen.

Primärer Studienendpunkt war die mittlere prozen-tuelle Änderung der BMD am Trochanter nach einer 12-monatigen Behandlungsdauer. Sekundäre Endpunkteumfassten die mittlere prozentuelle Veränderung derBMD an der gesamten Hüfte, am Schenkelhals und ander Lendenwirbelsäule nach 12 Monaten sowie die mitt-lere prozentuelle Veränderung aller BMD-Endpunktenach 6 Monaten; weitere sekundäre Endpunkte warendie Veränderungen der biochemischen Parameter desKnochenstoffwechsels nach 3, 6 und 12 Monaten.

ErgebnisseIn der Alendronat-Gruppe konnte ein um 62 % signi-

fikant höherer Anstieg der BMD am Trochanter (3,4 %vs. 2,1 %, p < 0,001) festgestellt werden. Ebenso wurdeunter Alendronat eine raschere BMD-Zunahme beo-bachtet, welche schon nach 6 Monaten signifikant war.

Auch bei den sekundären Endpunkten war nach 12Monaten ein signifikant höherer Anstieg der BMD unterAlendronat als unter Risedronat. Bei den Knochenstoff-wechselparametern wurde ebenfalls eine signifikantgrößere Reduktion (bereist nach 3 Monaten) in derAlendronat-Gruppe nachgewiesen.

Hinsichtlich der Inzidenz von unerwünschten Neben-wirkungen bzw. von Therapieabbruch konnten keineUnterschiede zwischen den beiden Gruppen festge-stellt werden.

4. QUARTAL 2004

LiteraturRosen CJ, Hochberg M, Bonnick S, McClung M, Miller P, Broy S, Kagan R, Chen E,Petruschke RA, Thompson DE, de Papp AE. Treatment with once weekly alendronate70 mg compared to once-weekly risedronate 35 mg in women with postmenopausalosteoporosis: a randomised double-blind study. J Bone Mineral Res 2004; 19: onlinepublication date: September 27, 2004; DOI: 10.1359/JBMR.040920.

Veränderung der Knochenformations- und Resorp-tionsmarker

„EB“

Page 35: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

A N Z E I G E N

Informationsanforderung

Seh

r ge

ehrt

er L

eser

!W

enn

Sie

näh

ere

Info

rmat

ion

en z

u d

en in

den

An

zeig

en a

ng

efü

hrt

en P

rod

ukt

enw

ün

sch

en,

kreu

zen

Sie

bit

te d

ie P

rod

ukt

e Ih

rer

Wah

l an

un

d f

axen

/sen

den

Sie

die

sen

Ab

sch

nit

t an

den

Ver

lag

. Fax

01

-95

79

9 2

9

Inse

rent

Sei

teIn

foge

sprä

chLi

tera

tur

BS

ND

IG2

IPS

EN

3

S.O

.B.

7

HY

PO

11

arix

tra®

13

arix

tra®

15

FOS

AM

AX

36

Ja!

Ich

chte

näh

ere

Info

szu

m A

DFA

CHAR

ZT u

nd

den

ang

ekre

uzt

en P

rod

ukt

en.

Ja!

Ich

chte

den

AD

FACH

ARZT

OR

TH

OP

ÄD

IE U

ND

SP

OR

TM

ED

IZIN

(4 +

2 A

usg

aben

) zu

m A

bo

pre

is v

on

€22

,–.

Sen

den

, fax

en o

der

mai

len

Sie

un

s Ih

re A

nfo

rder

un

g:

FAX:

01-9

5 79

9 29

,Mail

:m.h

aubl

@ch

ello.

at

NAM

E: .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

.

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. .

ANSC

HRIF

T: .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. .

TEL.

: . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. .

MAI

LADR

ESSE

: . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. . .

. .

ADJU

TUM

VER

LAG

Sch

war

zen

hai

des

traß

e 25

1230

Wie

n

ORTH

OPÄD

IEKi

nder

orth

opäd

ieA

djut

um V

erla

g • S

chw

arze

nhai

dest

raß

e 25

, 123

0 W

ien

P.

b.b.

• G

Z04Z

0357

23M

• V

erla

gspo

stam

t: 12

30 W

ien

D

ezem

ber

2004

KONGRESS-NEWS

KKIINNDDEERROORRTTHHOOPPÄÄDDIIEEFFOORRTTBBIILLDDUUNNGGSSVVEERRAANNSSTTAALLTTUUNNGGEENN 22000055//22000066

220000552266.. –– 2299..11 WWiieenn:: 8. Ilizarov-Kurs1111.. –– 1122.. 33.. HHeeiiddeellbbeerrgg:: Jahrestagung der Vereinigung für Kinderorthopädie11.. –– 22..44.. SSaallzzbbuurrgg:: ÖGO-Arbeitskreissitzungen Kinder- und Neuroorthopädie66.. –– 99..44.. PPaallmmaa:: 24th EPOS-Kongress, Hip in Cerebral Palsy

1155.. –– 1166..44.. DDoorrttmmuunndd:: Mobilität bei neuroorthopädischen Erkrankungen – Was leistetdie technische Orthopädie? Bundesfachschule für Orthopädie-TechnikDortmund

1133.. –– 1155..55.. OOttttaawwaa,, CCaannaaddaa:: POSNA Annual Meeting2200.. –– 2211..55.. AAsscchhaauu iinn CChhiieemmggaauu:: 2. Interdisziplinäres Kolloquium für AMC2266.. –– 2288..55.. WWiieenn:: 46. Österr. Chirurgenkongress, Thema: Machbares und Sinnvolles44.. –– 77..66.. LLiissssaabboonn:: 7th EFORT-Congress

1144.. –– 1177..99.. OOrrllaannddoo,, FFlloorriiddaa:: 59th Annual Meeting, AACPDM American Academy forCerebral Palsy and Developmental Medicine

2222.. –– 2244..99.. BBaarrcceelloonnaa:: 14th Annual Meeting ESMAC European Society of MovementAnalysis in Children and Adults

3300..99.. –– 11..1100.. GGrraazz:: Interdisziplinärer Ganganalyse-Workshop und CMT-Treffen2222..1100.. WWiieenn:: Tagung der Wachkoma-Gesellschaft

2288..1111.. –– 33..1122.. IInnnnssbbrruucckk:: ÖGO-Jahrestagung

2200006655.. –– 88..44.. DDrreessddeenn:: 25th EPOS-Congress33.. –– 66..55.. SSaann DDiieeggoo:: POSNA Annual Meeting

FFrrüühhjjaahhrr 22000066:: 8. Internationales Symposium für Neuroorthopädie & Rehabilitation1155.. –– 1166..99.. BBaasseell:: Jahrestagung der Vereinigung für Kinderorthopädie2277.. –– 2299..99.. AAmmsstteerrddaamm:: 15th Annual Meeting ESMAC European Society of Movement

Analysis in Children and Adults

1100 JJaahhrreeNNEEUURROOOORRTTHHOOPPÄÄDDIIEE uunndd BBEEWWEEGGUUNNGGSSAANNAALLYYSSEELLAABBOORR

WWiieenn SSppeeiissiinnggNeue Trends in der Diagnostik und Therapie

von Bewegungserkrankungen im Kinder- und Erwachsenenalter

xxxx..xxxx..22000055 OOrrtthhooppääddiisscchheess SSppiittaall WWiieenn –– SSppeeiissiinnggwww.bewegungsanalyse.at

Erfolg mit unserer Hilfe!

So entsteht ein innovativer und produktiver Kommunikationsfluss im Gesundheitsbereich:Im AD FACHARZT ORTHOPÄDIE und jetzt NEU im AD FACHARZT für PhysikalischeMedizin und Rehabilitation erscheinen top aktuelle medizinische Beiträge nam-hafter Autoren aus dem Umfeld der medizinischen Fachgesellschaft Orthopädie,chirurgischen Orthopädie und der Gesellschaft für Physikalische Medizin undRehabilitation.

Themenschwerpunkte:

AD FACHARZT ORTHOPÄDIE

1. Schmerz2. Schulter3. Knie / Hüfte4. Rheumatologie / Wirbelsäule5.Kinderorthopädie / Sport6. ÖGO

AD FACHARZT für PhysikalischeMedizin und Rehabilitation

1. Bewegungsapparat2. Schmerz3. Rehabilitation beim neurologischen

Patienten4. Geriatrie

Page 36: Kinderorthopädie - MOTIO · Orthesen – Prothesen und orthopädische Schuhe für Kinder 31 F. Landauer EXPERTENINTERVIEW Der Einsatz von Botulinumtoxin A bei spastischen Bewegungsstörungen

24