Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit I · Prof. Dr. Hubert Wolf Sommersemester 2013...

Prof. Dr. Hubert Wolf Sommersemester 2013

Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit I Von der Völkerwanderung bis zum großen Abendländischen Schisma


Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit I

2 Titel der Präsentation

§ 1: Grundlegung des Mittelalters: Christianisierung der Germanen und Germanisierung des Christentums




A Der Begriff des Mittelalters

I Zum Problem der Periodisierung




II. Der Begriff „Mittelalter“ im Wandel

1. Bedeutungen von „Mittelalter“ im Wandel: Mittelalterbilder

„protestantische“ Sicht:

formatio Altertum Grundlegung in der Urkirche

deformatio Mittelalter Zerstörung der ursprünglichen Intention Jesu durch Papstkirche, Klerikalismus

reformatio Neuzeit Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, der reinen Lehre




2. Divergierende Grenzen des Mittelalters und Kontinuitäten Zeittafel

Für den Beginn des Mittelalters:

313 Konstantinische Wende, religio licita

391 Kaiser Theodosius I., Staatsreligion, christl. Welt

476 Zerfall des Weströmischen Reiches

498 Taufe Chlodwigs

622 Hedschra Mohammeds

681 Trullanische Synode: Verurteilung des Monotheletismus

800 Kaiserkrönung Karls d. Gr.




Zeittafel Für das Ende des Mittelalters:

1453 Untergang Konstantinopels

1492 Entdeckung Amerikas

1517 Reformation (Thesenanschlag Luthers)




Zeittafel Für das Ende des Mittelalters:

1453 Untergang Konstantinopels

1492 Entdeckung Amerikas

1517 Reformation (Thesenanschlag Luthers)

Tragende Leitideen des Mittelalters (subjektiv und objektiv) 3. Die Alternative Jedins: theologische Kriterien 4. Ergebnisse und erste Disposition der Vorlesung 5. Das religionsgeschichtliche Problem des frühen Mittelalters




B Die Christianisierung der Germanen

I. Die Völkerwanderung und ihre Folgen für die Kirche






1. Germanische Völkerwanderungen

a) Stämme und ihr neuer Standort








b) Verhalten dieser Stämme gegenüber dem Imperium









2. Islamische Völkerwanderungen









2. Islamische Völkerwanderungen

3. Folgen für die Kirche – Kontinuität oder Katastrophe?




II. Die Entwicklung nach der Völkerwanderung

Gentilismus: Landeskirchen statt einer Reichskirche




II. Die Entwicklung nach der Völkerwanderung

Gentilismus: Landeskirchen statt einer Reichskirche

Bevölkerungsentwicklung in Mio. (A. Angenendt, Das Frühmittelalter, S. 147)

Im Jahre: 300 600 1000

Iberische Halbinsel 4 3,6 7

Frankreich 5 3 6

Italien 4 2,4 5

Britische Inseln 0,3 0,8 1,7

Deutschland + Skandinavien 3,5 2,1 4

Einwohner insgesamt 16,8 11,9 23,7




1. Italien

a) byzantinischer Bereich

b) Langobardenreich

c) kirchlich beherrschter Bereich




1. Italien

a) byzantinischer Bereich

b) Langobardenreich

c) kirchlich beherrschter Bereich

2. Gallien und der rechtsrheinische Bereich

a) politische Entwicklung

b) Christianisierung

c) rechtsrheinische Gebiete




3. Irland und die iro-schottischen Wandermönche

a) Christianisierung Palladius (um 420) und Patrick († 461)

b) Die Eigenarten des irischen Christentums




3. Irland und die iro-schottischen Wandermönche

a) Christianisierung Palladius (um 420) und Patrick († 461)

b) Die Eigenarten des irischen Christentums

Bußsystem:

Römisch Irisch

Einmalige Bußmöglichkeit Wiederholbarkeit

Öffentlichkeit Privatisierung

Tarifbuße und Bußbücher

Exkommunikation und Rekonziliation Kommutation und Redemption




c) Die Peregrinatio propter Christum – iro-schottische Festlandsmission




c) Die Peregrinatio propter Christum – iro-schottische Festlandsmission

− Exemtion

− Immunität

− Iroschotten / Irofranken auf dem Kontinent:

Columban d. J. († 615) Luxeuil, Bobbio

Kilian († 690) Würzburg

Rupert († 720) Worms und Salzburg

Emeran († 720) Regensburg

Corbinian († 725) Freising

Gallus († 640) St. Gallen

Pirmin († 740) Reichenau, Murbach




4. Angelsächsische Kirche und ihre Festlandmission

a) Christianisierung und besondere Rombindung

− 410 Abzug des römischen Militärs, Einfall der Iren und Pikten Hilferuf an Angeln, Sachsen und Jüten Verdrängung der christlichen Bevölkerung

− 596 Sendung von Missionaren durch Gregor den Großen; Taufe Edelberts von Kent

− Synode von Whitby (664): Himmelspförtner Petrus




4. Angelsächsische Kirche und ihre Festlandmission

a) Christianisierung und besondere Rombindung

− 410 Abzug des römischen Militärs, Einfall der Iren und Pikten Hilferuf an Angeln, Sachsen und Jüten Verdrängung der christlichen Bevölkerung

− 596 Sendung von Missionaren durch Gregor den Großen; Taufe Edelberts von Kent

− Synode von Whitby (664): Himmelspförtner Petrus

b) Mission auf dem Festland

− Intention: Bekehrung der stammesverwandten Sachsen auf dem Festland

− Wilfrid von York, die beiden Ewalde, Willibrord

− Bund mit den Karolingern

− päpstliche Beauftragung




5. Bonifatius – Apostel der Deutschen?

a) Das Bonifatiusbild im Widerstreit

− katholische Kirchengeschichtsschreibung

− kleindeutsch-protestantische Geschichtsschreibung

− missionsgeschichtlich









b) Typisch für Bonifatius: Stationen seiner Biographie

− Geboren 675 in Wessex; gestorben 754 während Missionsreise bei Friesen

− Motive für die Mission

− Unterstützung der Franken

− Verbindung mit Rom














− Missionar

− Kirchenorganisator und Reformer














− Missionar

− Kirchenorganisator und Reformer

c) Abschließende Beurteilung




C „Germanisierung“ des Christentums und germanisches Eigenkirchenwesen

I. „Germanisierung“




I. „Germanisierung“

1. Klarstellungen zum Begriff „Germanisierung“

a) Problem der Inkulturation

b) Germanisierung des Christentums in der Forschung heftig umstritten – Gründe:

− reformatorische Geschichtsschreibung

− nationalsozialistische Geschichtsschreibung

− Mediävistik hat deutsche Engführung des Mittelalters überwunden

c) Begegnungsgeschehen der elaborierten Religion des Christentums mit einer archaischen Kultur

d) Achsenzeit als religionsgeschichtlich qualitativer Sprung (Karl Jaspers)

e) Das „religionsgeschichtliche Problem des Mittelalters“ (Arnold Angenendt)




2. Motive für den Übertritt der Germanen zum Christentum

a) Hauptmotiv: Überlegenheit des Christengottes

b) Integrationsabsichten der Franken, Langobarden und Westgoten in das Imperium

c) Keine individuelle Bekehrung, sondern politische Entscheidung




3. Folgen der „Germanisierung“

a) grundsätzlich

− dinglicher Realismus

b) theologisch

− verändertes Gottesbild: numinose Allmacht, „do ut des“

− Christologie

− Eucharistieverständnis (erster Abendmahlsstreit)

− christliche Monogamie – germanische Polygamie

− Tarifbuße – Tatethik – Satisfaktionsgedanke

− neues Heiligenbild: Heilsmittler, Reliquien




c) Religiosität

− Aristokratisierung der Kirche

− magische Vorstellungen

− Teufels- und Dämonenglaube; Exorzismen

− Gottesurteile

− „Taufe“ heidnischer Orte und Gebräuche




c) Religiosität

− Aristokratisierung der Kirche

− magische Vorstellungen

− Teufels- und Dämonenglaube; Exorzismen

− Gottesurteile

− „Taufe“ heidnischer Orte und Gebräuche

d) sittlich-soziales Leben

− Brutalitäten im politischen Machtkampf

− Lynchjustiz und Blutrache: ius talionis

− Ehe

− Aussetzung von Kindern

− Sklavenhaltung




II. Die Eigenkirchen

1. Die Ursprünge des Eigenkirchenwesens

a) U. Stutz / H. E. Feine: indogermanische Wurzeln des Eigenkirchenwesens: vorchristliches Hauspriestertum des Familienvaters

b) A. Dopsch: nicht typisch germanisch; Betonung wirtschaftlicher Gründe

c) beide Aspekte sind wichtig: religiöse Vorstellung von der Verantwortung des Hausvaters für das Heil verbindet sich mit den materiellen Vorteilen




2. Kennzeichen der Eigenkirche

a) Errichtung der Kirche durch Grundbesitzer

b) materielle und geistliche Leitung obliegen Eigenkirchenherrn

c) Kein Einfluss des Bischofs

d) bedeutende Rolle der sogenannten Stiftergräber

e) Wirtschaftlicher Faktor: Eigenkirchen als Kapitalanlage (Stolgebühren, Zehnt)




3. Reformen des Eigenkirchenwesens

a) Concilium Germanicum (743)

b) Aachener Kirchenkapitular (818/19)

c) Hinkmar von Reims, „De ecclesiis et capellis“ (860)

d) Reformpapsttum des 12. Jahrhunderts




III. Die Ehe zwischen Christentum und Germanentum

1. Neutestamentliche Aussagen

a) Mk 10, 6-9: Einheit des Fleisches; Unauflöslichkeit

b) Paulus: 1 Kor 7, 2b-6: Ehe mit gleichen Rechten und Pflichten für Mann und Frau; Eph 5, 24f.28: Unterordnung der Frau unter Mann; 1 Kor 7, 38: die gute Ehe und die bessere Jungfräulichkeit

c) Insgesamt: biblisch-christliches Ehemodell ist relativ „partnerschaftlich“




2. Germanische Eheformen

a) Muntehe (Munt: Rechtshoheit)

b) Friedelehe (Frilla: Geliebte)

c) Kebsverhältnisse




2. Germanische Eheformen

a) Muntehe (Munt: Rechtshoheit)

b) Friedelehe (Frilla: Geliebte)

c) Kebsverhältnisse

3. Forderung nach Konsens

a) „Consensus facit matrimonium“

b) Ehe als Sakrament

c) „klandestine“ Ehe




§ 2: Der Bund der Päpste mit den Franken




I. Grundlegung des Verhältnisses unter Pippin

1. Der römische Bischof zwischen Byzanz und den Langobarden

a) Die byzantinische Periode des Papsttums

− Kaiser Justinian (525 – 565)

− Einflussnahme auf die Papstwahlen




I. Grundlegung des Verhältnisses unter Pippin

1. Der römische Bischof zwischen Byzanz und den Langobarden

a) Die byzantinische Periode des Papsttums

− Kaiser Justinian (525 – 565)

− Einflussnahme auf die Papstwahlen

b) Die Langobarden: Helfer und Gefahr

− Martin I. (649 – 653); Gregor II. (715 – 731)

− Theologischer Konflikt: Ikonoklasmus

− Expansionspolitik der Langobarden Suche nach neuer Schutzmacht




2. Pippin und der Papst

− 739: Hilfegesuch Gregors III. an Karl Martell

− Initiative Pippins in 751

a) Der karolingische Staatsstreich 751

− Niedergang der Merowinger – Machzuwachs der Hausmeier

− Legitimationsproblem (fehlende Geblütsheit der Karolinger) Königssalbung und päpstlicher Segen

b) Die Dankbarkeit der Franken

− Die Pippinische Schenkung 754

Zusagen des Papstes und Pippins

unterschiedliche Wertung in der Geschichtsschreibung (Liber Pontificalis; fränkische Reichsannalen)




− Die sogenannte Konstantinische Schenkung

Inhalt: Silvesterlegende; Konstantin der Große; Silvester I. (314 – 335)






Absicht der Fälschung: Sicherung des Anspruchs des Papsttums; Rechfertigung bestehender Zustände






Absicht der Fälschung: Sicherung des Anspruchs des Papsttums; Rechfertigung bestehender Zustände

Datierung – umstritten: im 8. Jahrhundert; pseudo-isidorische Dekretalen (Mitte des 9. Jahrhunderts)




II. Karl der Großeund die Kirche

1. Die Kaiserkrönung (800)

a) Vorgeschichte

− Reichsteilung nach Tod Pippins (768) unter den Söhnen Karl und Karlmann Kämpfe um Reichshoheit

− Schwächung der fränkischen Schutzherrschaft über Rom

Papstwahldekret von 769

Bedrohung durch die Langobarden

− Alleinherrschaft Karls nach Tod Karlmanns 771; Eingliederung des Langobardenreichs 774




b) Die umstrittene Papstwahl von 795

− 795 Wahl Leos III.

− 799 Gefangensetzung Leos III.

Papst und römischer Adel wenden sich an Karl Kaiserfrage








c) Die Kaiserkrönung und ihre Deutungen

− Kaiserkrönung Karls Weihnachten 800

− unterschiedliche Deutungen:

Einhard, Vita Caroli












Annales Regni Francorum, Lorscher Annalen und Liber Pontificalis












Annales Regni Francorum, Lorscher Annalen und Liber Pontificalis

− Forschung: Kaiserkrönung von langer Hand vorbereitet; vielleicht Unzufriedenheit mit Art und Weise der Krönung

schicksalsschweres Bündnis Imperium und Sacerdotium

Verhältnis beider Instanzen prägt Geschichte des gesamten Mittelalters und darüber hinaus




2. Die karolingische Renaissance

a) Karls Selbstverständnis und Herrschaftsidee

− Brief an Papst Leo III. von 797




2. Die karolingische Renaissance

a) Karls Selbstverständnis und Herrschaftsidee

− Brief an Papst Leo III. von 797

− Alkuin († 804): Regierungskonzept des Kaisers („norma rectitudinis“; „prava corrigere, recta corroborare“)

− Caesaropapismus?




b) Umsetzung dieser Idee

− nach außen: Sachsenmission

Heidentum als Unterstützung des Bösen

772 Zerstörung des sächsischen Zentralheiligtums

773 Zerstörung des Klosters Fritzlar durch die Sachsen

776 Unterwerfung der Sachsen

778 Gegenschlag der Sachsen gegen Fulda

Taufe Widukinds Weihnachten 785

Errichtung der Bistümer Münster, Osnabrück, Minden und Bremen (zum Erzbistum Köln), Paderborn, Verden, Hildesheim und Halberstadt (zu Mainz)




− nach innen: die karolingischen Reformen

Bildungsreform:

• Hofkapelle

• Hofakademie

• neue Schriftlichkeit

• Rezeption der Basilika-Architektur

Kirchenreform:

• authentische Texte

• einheitliche Kirchenorganisation

• Neubewertung des Bischofsamtes




Liturgiereform:

• einheitliche liturgische Bücher

• Uminterpretation der Messe

• Votivmessen

• Privatmessen

• Bußfrage

• Reliquientranslationen

• Volkssprache

• Sterbe- und Totenliturgie / Tod und Grab

• Dienst der reinen Hände




Exkurs: Zum Bilderstreit

− Ablehnung der Bilder im frühen Christentum: Ex 20,4

− Entwicklung einer christlichen bildenden Kunst seit Ende des 2. Jahrhunderts

− im 6. Jahrhundert Wende im Osten: Bilderkult, Ikone

• 7./8. Jahrhundert: Ikonoklasmus

• 726 Predigten Kaiser Leon III.

• 730 totales Bilderverbot

− 754 Verurteilung der Bilderverehrung (Synode v. Hiereia)

− Ikonoklasten vs. Ikonodulen

− Synode von Nizäa 787: Proskynesis, aber keine Latreia

− Ablehnung des Bilderverbots durch die Päpste Abwendung von Byzanz

− Streit zwischen Hadrian I. und Karl dem Großen




− Fehlübersetzung Hadrians: Nizäa 787: pr os kúnes i ß l a t r eía (Verehrung) (Anbetung) Frankfurt 794: adoratio = latria

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