Klaus Holzkamp (1980) Individuum und Organisation
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8/9/2019 Klaus Holzkamp (1980) Individuum und Organisation
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Klaus Holzkamp
Individuum und Organisation
Vortrag, gehalten auf der Volksuniversitt, West-Berlin, Pfingsten 1980
Verffentlicht als Werkstattpapier in: Forum Kritische Psychologie 7 (1980): Probleme kri-
tisch-psychologisch fundierter therapeutischer Arbeit, Argument Sonderband 59, Argument-
Verlag, S. 208-225.
[Editorischer Hinweis: Die Angabe ||209| etc. verweist auf die Seitenumbrche und -zahlen in der Ori-
ginalquelle. Es wird die jeweils ab der Markierung neue Seite angezeigt]
I.
Die Frage, warum man sich organisiert, scheint leicht zu beantworten: Weil man allein und
unorganisiert wichtige eigene Interessen nicht durchsetzen kann, weder eine Lohnerhhung
erreichen, noch den Bau einer Schnellstrae durch die eigene Wohngegend oder Prfungsver-
schrfungen an der Uni verhindern. Jeder kennt den Spruch von dem Finger, den man brechen
kann und den fnf Fingern, die eine Faust sind. Ebenso klar scheint, wer sich dabei zusam-
menschliet: Individuen, die bestimmte eigene Interessen gemeinsam haben, gegen andere In-
dividuen mit kontrren eigenen Interessen: Die Arbeiter gegen das Kapital, das die Lohnerh-
hung im eigenen Profitinteresse vermeiden mchte, die Anwohner gegen die Senatsbrokratie,
die das Interesse der Autofahrer am Bau der Schnellstrae vertritt, die Studenten gegen die
Prfer oder das Prfungsamt, die durch verschrfte Prfungen oppositionelle Aktivitten bes-
ser unterdrcken zu knnen meinen. Das Verhltnis der Individuen zur Organisation wre da-
bei sozusagen eine Kompensationsbeziehung: Der Einzelne erfllt bestimmte Anforderungen
der Organisation, die in Statuten festgelegt sind, oder auch nur auf verabredungsgemer Ei-
nigkeit, informellem Konsens beruhen: Beitrag zahlen, Flugbltter verteilen, regelmig an
Arbeitssitzungen teilnehmen etc. Die Organisation gewhrt dafr dem Einzelnen Schutz und
Hilfe, indem sie in jeweils bestimmter Hinsicht seine Interessen vertritt. Die Frage, ob ich
mich organisieren soll, wrde sich so quasi durch eine Kosten-Nutzen-Rechnung beantworten:
Wieweit berschreitet der Vorteil, den ich durch die Organisation erreichen kann, die Nachtei-
le in Form von Geld- und Zeitaufwand, Anstrengungen, Risiken, die mir aus den Anforderun-gen der Organisation erwachsen?
Gem der damit dargestellten Sichtweise gibt es nur Partikularinteressen, also Teilinteressen,
als gemeinsame Eigeninteressen, die notwendig mit anderen Partikularinteressen in Wider-
spruch stehen. Derartige Partikularinteressen sind nicht als solche, aus inhaltlichen Grnden,
mehr oder weniger berechtigt, sie gewinnen ihre Berechtigung fr mich nurjeweils daraus,
da sie meine Interessen sind, im Gegensatz zu den Interessen der anderen, die von deren
Standpunkt aus genau so berechtigt sind. Man knnte demnach nicht verschieden durchset-
zungswrdige, sondern nur verschieden durchsetzungsfhige Interes-||209|sen unterscheiden.
Die Durchsetzungsfhigkeit der Interessen hngt dabei ab von der relativen Machtmeiner Or-
ganisation, verglichen mit der Macht der Organisation, die die kontrren Interessen vertritt.
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Bei groem Machtgeflle wird eine Organisation die von ihr vertretenen Interessen gegen die
andere total durchsetzen knnen. Bei geringerem Machtgeflle kommt es zu Kompromissen,je
nach der relativen Macht mehr zugunsten der einen oder der anderen Seite. In dem Mae, wie
eine Organisation bei dem Versuch der Durchsetzung meiner Interessen unterliegt oder nach-
teilige Kompromisse eingehen mu, wrde sich so der geschilderte Nutzenanteil meiner Orga-
nisationszugehrigkeit verringern, bis zu dem Punkt, wo es sich nicht mehr lohnt und ichdeswegen der Organisation meine Mitgliedschaft aufkndige.
Man knnte nun auf der Basis dieses Denkmodells, das wie wohl deutlich wurde in den
Pluralismus-Vorstellungen der brgerlichen Demokratie verankert ist, das Verhltnis Individu-
um-Organisation genauer zu analysieren versuchen. Allein: Schon die Alltagserfahrung und
sein Gefhl mag manchem sagen, da daran was nicht stimmen kann. Es strubt sich etwas
in einem dagegen, anzuerkennen, da z.B. das Interesse der Arbeiter, ihre Arbeits- und Le-
bensbedingungen zu verbessern, und das Profitinteresse des Kapitals, dies zu verhindern, im
Prinzip gleichberechtigte Interessen sein sollen, die im freien sozialpartnerschaftlichen
Krftespiel aufeinandertreffen. Man mag es nicht hinnehmen, da diejenigen, die andere Men-
schen unter Druck setzen, einschchtern, in ihrer Entwicklung behindern wollen, um ihre ei-
genen Machtpositionen abzusichern, von ihrem Standpunktaus genau so recht haben, wie die-
jenigen, die diesen Druck abschtteln und ihr Leben frei entfalten wollen. Man mitraut schon
gefhlsmig den Lehren der brgerlichen Ideologen, es gbe keine fortschrittlichen und
reaktionren Interessen an sich, sondern nur solche, die von der eigenen Position aus fr
fortschrittlich gehalten und solche, die der anderen Seite als reaktionr unterstellt wr-
den: Alles andere seiIndoktrination, Dogmatismus, Totalitarismus. Wenn an solchen Erfah-
rungen und Gefhlen etwas dran ist, dann mu es inhaltliche Kriterien fr die Berechtigung
von Interessen geben, die nicht auf den jeweiligen Standpunkt der Kontrahenten reduzier-
bar sind. So htte nicht jeder recht, der sich durchgesetzt hat, sondern es knnten sich im
pluralistischen Krftespiel auch unberechtigte Interessen durchsetzen und berechtigte Inter-essen unterdrcktwerden, unabhngig davon, ob es meine oderDeine sind. Dies wrde aber
bedeuten, da es ein den jeweiligen partikularen Gruppenstandpunkt berschreitendes, also
allgemeines Interesse gebe, an dem die jeweiligen Partikularinteressen auf ihre inhaltliche Be-
rechtigung hin beurteiltwerden knnen. Man sollte sich im Klaren darber sein. da mit sol-
chen Gedanken die Grundfe-||210|sten unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung angetastet
werden: Denn hier wird ja die Mglichkeit eines Standpunkts oberhalb des Gruppen- und
Interessenpluralismus erwogen. Allein: Die Begrndbarkeit der Auffassung, Organisationen
knnten nicht nur gemeinsame Partikularinteressen, sondern darin mehr oder weniger auch
das Allgemeininteresse vertreten, htte schwerwiegende Konsequenzen fr die Behandlung
unseres Problems, des Verh
ltnisses zwischen Individuum und Organisation. Deswegen m
s-sen wir wenn auch ngstlich um uns blickend zu klren versuchen, ob und wie man das
von uns zunchst nur gefhlsmig'bernommene Konzept des Allgemeininteresses ra-
tional ausweisen kann.
II.
Das Allgemeininteresse bestimmt. sich generell dadurch, da es als allgemeines nicht gegen
die Interessen bestimmter Personen oder Gruppen gerichtet sein kann. Das Allgemeininteresse
ist damit immer gleichviel wie es sich nher konkretisiert ein Interesse an der berwin-
dung der Unterdrckung des Menschen, durch. den Menschen, d.h. gerichtet auf die Verf-
gung der Menschen ber ihre eigenen Angelegenheiten, die damit sich nicht fremden kontr-
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ren Interessen unterwerfen und der Willkr der Mchtigen ausliefern wollen. Man kann dies
auch so zusammenfassen: Das einzige als Allgemeininteresse ausweisbare Interesse ist dasIn-
teresse an Freiheit, die so das hchste Gut der Menschen ist.
Wenn man dies denkt, hat man sofort das Geschrei der Gegenseite im Ohr: Eure Freiheit ist
keineswegs ein Allgemeininteresse, denn es richtet sich gegen das Interesse der Mchtigen an
der Erhaltung ihrer Macht. Wenn ihr Freiheit sagt, meint ihr damit z.B. notwendig dieEin-
schrnkung der Freiheit des freien Unternehmers. Damit ist, da hier die Unternehmer unter-
drckt werden sollen, die Unterdrckung des Menschen durch den Menschen keineswegs
berwunden, sondern nur umgekehrt: Ihr wollt nicht mehr unterdrckt sein, sondern dafr an-
dere unterdrcken, Eure Freiheit ist mithin Euer Partikularinteresse, eins unter vielen, das
sich gegen das Partikularinteresse andererrichtet. Es gibt also keineswegs ein bergeordnetes
inhaltliches Kriterium fr die Vorrangigkeit Eures Freiheits-Interesses, sondern es bleibt auch
hier nur der Interessen-Kompromi im pluralistischen Krftespiel. Dem ist entgegenzuhalten:
Ein vorgebliches Freiheitsinteresse, da notwendig die Unterdrckung anderer bedeutet, kann
nicht mit dem Interesse an der berwindung derUnterdrckung auf die Stufe eines gleichran-
gigen Partikularinteresses gestellt werden. Hier steht vielmehr das extremste Partikularinter-
esse an Unterdrckung dem Allgemeininteresse an ihrer Aufhebung entgegen. Durch seinen
Widerspruch zum Partiku-||211|larinteresse an Unterdrckung wird die Allgemeinheit des
Freiheitsinteresses keineswegs eingeschrnkt, sondern es verdeutlicht sich hier lediglich eine
Bedingung derDurchsetzung des Allgemeinen, da der Kampf gegen Unterdrckung zwingend
den Kampf gegen die Unterdrcker einschliet. Whrend das Partikularinteresse der Mchti-
gen sich in der Permanenz, der unbegrenzten Dauer, der Unterdrckung realisiert, realisiert
sich das Allgemeininteresse in der Aufhebung jederUnterdrckung. Die Verwirklichung von
Bedingungen, unter denen niemandes Interessen unterdrckt werden, verbietet nicht, sondern
impliziertden Kampf gegen Interessenten an der Unterdrckung anderer. Es ist eine groteske
Perversion innerhalb der brgerlichen Ideologie, da die Freiheit, Gleichheit, Brderlichkeitder groen Revolution sich immer mehr als in der Freiheit des freien Unternehmertums
modellhaft reprsentiert erweist: Einer Freiheit, die die Ausbeutung und Fremdbestimmt-
heit, also Unfreiheit, der Lohnabhngigen notwendig mitsetzt, sich damit begrifflich und in
der Realitt selbst aufhebt.
Mit der Herausstellung des so gekennzeichneten Allgemeininteresses ist nicht behauptet, da
dieses Interesse schon irgendwo voll verwirklicht ist; nicht einmal, da es berhaupt voll ver-
wirklicht werden kann. Das Allgemeine ist hier vielmehr eineRichtungsbestimmung: Konkre-
te Interessen knnen damit am Mastab ihrer Verallgemeinerbarkeitdaraufhin beurteilt wer-
den, wieweit sie dem Allgemeinwohl dienenoder ihm widersprechen.
Die eigenen Lebensumstnde, auf deren Verfgung das Allgemeininteresse gerichtet ist, sind
in ihren relevanten Aspekten gesellschaftlich entstanden und nur in gesellschaftlicher Gren-
ordnung bestimmbar. Die Verfgung ber relevante individuelle Lebensbedingungen ist also
notwendig die individuelle Teilhabe an deren gesellschaftlicher Verfgung. Demnach sindAll-
gemeininteressen nur im Zusammenschlu mit anderen, als gemeinsame Interessen, realisier-
bar. Dies ist indessen nicht umkehrbar: Die Realisierung v6n gemeinsamen Interessen mu
nicht auch deren Verallgemeinerbarkeit einschlieen. Wir drfen also Allgemeininteressen
und gemeinsame Interessen nicht ineinssetzen, haben vielmehr gemeinsame Interessen darauf-
hin zu befragen, ob sie am Allgemeininteresse orientiert sind oder lediglich gemeinsame Par-
tialinteressen darstellen.
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Wenn das Allgemeininteresse als solches alle Einzelinteressen in sich einschliet, ist die Rea-
lisierung des Allgemeininteresses notwendigauch im Interesse jedes Einzelnen. Damit ist in-
dessen nicht nur eine logische Konsequenz gezogen, sondern wie unsere Forschungen (im
Rahmen der Kritischen Psychologie) ergeben haben eine existentielle subjektive Realittan-
gesprochen: Im naturgeschichtlichen Proze der Entstehung menschlicher Lebensgewin-||
212|nung durch gesellschaftliche Arbeit, also bewut geplante Naturvernderung in gemein-schaftlicher Vorsorge zur allgemeinen, damit je individuellen Existenzsicherung, hat sich quasi
auch die individuelle Natur des Menschen vergesellschaftet. So ist die Teilhabe an der gesell-
schaftlichen Verfgung ber seine eigenen Lebensbedingungen, darin die kooperative Ver-
bundenheit mit anderen durch das Allgemeininteresse, eine unabweisbare subjektive Notwen-
digkeitfr den Menschen, Voraussetzung fr die Entwicklung der Fhigkeiten und Bedrfnis-
se in Richtung auf ein erflltes, menschenwrdiges Dasein. Umgekehrt ist dieAusgeschlossen-
heit und Isolation von der gemeinschaftlichen Bestimmung relevanter eigener Daseinsumstn-
de, die Ausgeliefertheit an fremde Kr fte und Mchte, gleichbedeutend mit existentieller
Angst, Entwicklungslosigkeit, Verkmmerung der eigenen Lebens- und Erlebnismglichkeiten.
Demnach ist Freiheit im frher dargestellten Sinne keineswegs blo eine begriffliche Kon-struktion. Fr einen Begriff wre wohl kaum in der Geschichte immer wieder so leidenschaft-
lich gekmpft worden. Freiheit von fremder Willkr, Freiheit bewuter kollektiver Verfgung
ber die eigenen Angelegenheiten, ist vielmehr erstes menschliches Lebensbedrfnis.
Mit diesen berlegungen haben wir die gedankliche Ebene erreicht, von der aus das als Aus-
gangspunkt der weiteren Analysen hingestellte pluralistische Modell des Verhltnisses Indi-
viduum-Organisation problematisiertund (wie wir sagen) reinterpretiert, d.h. in umfassende
Zusammenhnge eingeordnet werden kann. Wir haben natrlich zunchst einzurumen, da
jeder Mensch, gerade in seinem unmittelbaren Vitalbereich, eine Vielzahl von Bedrfnissen
und Interessen hat, die nicht verallgemeinerbar; sondern tatschlich nur seine eigenen sind,
wobei er manche dieser Eigeninteressen auch organisiert gemeinsam mit anderen vertretenmag. Dabei knnen wir aber jetzt feststellen, da solche Eigeninteressen keineswegs die einzi-
ge Artindividueller Interessen sind. Es gibt vielmehr auch individuelle Interessen, die auf die
gemeinschaftliche Verfgung ber individuell relevante gesellschaftliche Lebensbedingungen,
also auf kollektive Selbstbestimmung, gerichtet sind. Die Realisierung dieser Interessen ent-
spricht dabei, wie dargestellt, gerade den spezifisch menschlichen Freiheitsbedrfnissen der
Individuen, ist also aufdezidierte Weise fr die angstfreie und erfllte Existenz des Einzelnen
notwendig. Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen und voraussetzen, da die ver-
allgemeinerbaren Individualinteressen fr die Lebensfhrung des Einzelnen bestimmendsein
mssen, wenn er seine Lebens- und Erlebnismglichkeiten voll entwickeln will, da die bloen
Eigeninteressen und -bed
rfnisse vom Zustand der Fremdbestimmung mitbetroffen und da-durch eingeschrnkt sind. So kann ich in der Situation existentieller Bedrohtheit ||213| und
Angst durch Isolation von der gemeinsamen Bestimmung meiner Angelegenheiten die indivi-
duellen Vorteile, die ich erlangt habe mehr Geld, besseres Essen und Wohnen, mehr Freizeit
kaum in befriedigender Weise genieen.. Nur, wer da er selbst an deren Bestimmung betei-
ligt ist seine wesentlichen Lebensgrundlagen langfristig abgesichert wei, kann sich wirk-
lich an den unmittelbar-vitalen Seiten seines Dasein freuen. Existenzangst und Lebensgenu
schlieen einander aus.
Wenn dies aber so ist, dann reprsentiert das geschilderte pluralistische Modell, das nur in-
dividuelle Partikularinteressen und deren organisierte Vertretung kennt, keineswegs eine all-
gemein-menschliche Situation, sondern verweist auf ein spezifisches gesellschaftliches Unter-drckungsverhltnis, in welchem die Masse der Individuen von der kollektiven Verfgung
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ber ihre Lebensbedingungen ausgeschlossen und auf ihr privates individuelles Dasein zu-
rckgeworfen ist. Eine Lebensfhrung, die durch blo individuelle, nicht verallgemeinerbare
Bedrfnisse und Interessen bestimmtist, entpuppt sich so als historisch spezifische Privatexis-
tenz in der brgerlichen Gesellschaft. So zeigt sich auch, da die Vorstellung von dem plura-
listischen Kr f tespiel zwischen organisierten Partikularinteressen als Muster brgerlicher
Freiheit zwar brgerlich ist, aber mit eigentlicher Freiheit nicht viel zu tun hat: Es ist damitzwar abgebildet, da die Individuen innerhalb des bestehenden Herrschaftssystems ihre Inter-
essen artikulieren und ausgleichen knnen; das Allgemeininteresse an gemeinsamer Verf-
gung ber die eigenen Angelegenheiten, zu dessen Realisierung dieses Herrschaftssystem
selbstaufgehoben werden mu, kann mit einem solchen Modell aber nicht gedacht, also auch
nicht realisiert werden.
Demnach gibt es also nicht nur Organisationen, die lediglich Partikularinteressen vertreten
und Individuen, die sich zur Durchsetzung ihrer individuellen Partikularinteressen organisie-
ren. Vielmehr sind solche Organisationen Zusammenschlsse von Privat-Interessenten, damit
bestimmt und beschrnkt durch die brgerliche Ideologie. Fortschrittliche . Organisationen,
bzw. Organisationen, soweit sie fortschrittliche Ziele verfolgen, berschreiten dagegen die
Privatinteressen in Richtung auf die Durchsetzung des Allgemeininteresses, wobei hier auch
die einzelnen Mitglieder sich wesentlich aus verallgemeinerbaren Motiven der Organisation
assoziieren. Nur das Verhltnis lndividuum-Organisation unter dem Anspruch derAllgemein-
heit der zu realisierenden Interessen soll uns in den weiteren berlegungen beschftigen: Die
Sorgen von dezidierten Privatinteressenten mit ihrer Organisation, sei diese ein Unternehmer-
Verband oder ein Stammtisch, kann ich in der Volksuni wohl beiseite lassen.
Mit der Voraussetzung, Organisationen und ihre Mitglieder seien ||214| durch das Allgemein-
interesse miteinander verbunden, ist deren Verhltnis keineswegs schon geklrt oder durch
Begriffsbestimmungen klrbar. Einmal nmlich gehen wie gesagt in die Ziele der Organi-
sation und der in ihr Organisierten immer auch blo individuelle Eigeninteressen ein. Zu Pri-
vatinteressen werden sie erst dann, wenn sie gegenber den verallgemeinerbaren Interessen
bestimmendsind. Ob eine Organisation oder ein Individuum in ihr durch verallgemeinerbare
oder durch partikulare Interessen bestimmt ist, liegt aber nicht auf der Hand, sondern mu
permanent kritisch geprft werden. Weiterhin ist ja niemand innerhalb der brgerlichen Ge-
sellschaft gegen die brgerliche Ideologie gefeit. In unserem Zusammenhang bedeutet dies,
da die von der Organisation oder je einem ihrer Mitglieder als verallgemeinerbar vorgetrage-
nen Interessen nicht notwendig wirklich verallgemeinerbar sein mssen, sondern auch als All-
gemeininteresse ausgegebene Privatinteressen sein knnen dies sicherlich meist nicht auf-
grund bewuter Tuschung, sondern deswegen, weil sich Aspekte der brgerlichen Ideologie
blind und hinterrcks im Bewutsein und in der Praxis durchsetzen. Damit gewinnt die Not-wendigkeit permanenter Kritik des Allgemeinheitsanspruchs eine weitere Dimension. Mit
diesen Darlegungen sind die Rahmenbestimmungen fr die Analyse von Konflikten zwischen
Individuum und (fortschrittlich gemeinter) Organisation benanntDiese Konflikte erwachsen,
sofern sie grundstzlicher Natur sind, stets aus dem Gegeneinander von Partialinteressen und
Allgemeininteresse, wobei die Privatisierungstendenzen sowohl auf der Seite des Individuums
wie aufder Seite der Organisation liegen knnen. Die Konflikte werden dabei in dem Mae
unfabarer, schwerer zu bewltigen und knnen krisenhafte Zge annehmen, wie Privatinter-
essen der Organisation (d.h. ihrer Grundstze und Funktionre) und/oder Privatinteressen von
Individuen als Allgemeininteresse vorgetragen werden insbesondere dann, wenn diese My-
stifikation ihren Urhebern selbst nicht bewut ist. Was dies konkret heit, soll nun in einigenPunkten verdeutlicht werden.
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III.
Der Satz Gemeinnutz geht vor Eigennutz ist traditionellerweise ein Sprichwort zur Rechtfer-
tigung der Praxis der Herrschenden, ihre eigenen Interessen dem Brger als Allgemeininteres-
se zu verkaufen. Was hat man aber nun davon zu halten, wenn fortschrittliche, dem wirklichen
Allgemeininteresse verpflichtete Organisationen den Inhalt dieses Satzes gegenber ihrenMitgliedern zur Geltung bringen wollen, also ihnen das Zurckstecken eigener Bedrfnisse,
das Auf-Sich-nehmen von Anstrengungen und Opfern im Interesse des von der Organisation
vertretenen Ganzen und Allgemeinen abfordern? Das spontane ||215| Gefhl wird einem hier
sagen, die sollen mir mit ihrem Ganzen und Allgemeinen gestohlen bleiben, wenn ich nichts
davon habe, sondern mir persnlich daraus nur Nachteile entstehen. Bei genauerer Analyse
auf der Basis unserer frheren berlegungen zeigt sich nun, da dieses spontane Gefhl im
Prinzip richtig ist. In der Forderung der Organisation an den Einzelnen, fr die Verwirkli-
chung der allgemeinen Organisationsziele persnliche Opfer zu bringen, wird ein Gegensatz
zwischen allgemeinen Interesse und individuellen Interessen unterstellt, den es wie gezeigt
wurde so nicht gibt. Zwar stimmt das Allgemeininteresse nicht immer mit jedem aktuellen
Eigeninteresse des Individuums berein. Der Mensch kann aber wie ich angedeutet habe
seine wesentlichen und langfristigen Lebens- und Entwicklungsinteressen nur als Teilhabe an
der kollektiven Verfgung ber individuell relevante gesellschaftliche Lebensbedingungen,
also inMitrealisierung des Allgemeininteresses an gemeinsamer Selbstbestimmung verwirkli-
chen. Dabei sind allein auf diese Weise auch seine vitalen Eigeninteressen angstfrei zu entfal-
ten und in menschlicher Qualitt zu erfllen. Das heit nun natrlich nicht, da der Kampf um
die Teilhabe an kollektiver Selbstbestimmung ohne Anstrengungen, Opfer und Risiken mg-
lich ist. Diese sind aber ein Teilaspekt der Realisierung derBedrfnisse und Interessen des In-
dividuums selbstin Richtung aufdie Verfgung ber seine eignen relevanten Lebensumstn-
de, damit nichts, was die Organisation uerlich von ihm abfordern mte undknnte. Sofern
es hier tatschlich umAllgemeines geht, kann es gar keine Interessen der Organisation geben,die prinzipiell von den wesentlichen Interessen jedes einzelnen Mitgliedes verschieden sind,
und die die Organisation deswegen bei den Einzelnen durchzudrcken htte. Wenn ihr Ver-
hltnis zu den Mitgliedern von der Organisation dennoch so definiert und praktiziert wird,
dann entweder deswegen, weil die Organisation hier der brgerlichen Ideologie vom notwen-
digen Gegensatz zwischen Individuum und Kollektiv aufsitzt und deswegen nicht begreift, da
eine fortschrittliche Organisationpermanent den Zusammenhang zwischen dem durch die Or-
ganisation vertretenen allgemeinen Interesse und den wesentlichen individuellen Interessen
fr jedes ihrer Mitglieder durchschaubar machen mu womit jeder Appell an Verzicht und
Opfer sich erbrigt. Oder deswegen, weil die Organisation die Vertretung des Allgemeininter-
esses nur vorgibt, tatschlich aber herrschende Partialinteressen in ihr sich teilweise oderganz durchgesetzt haben: In diesem Falle ist der Zusammenhang zwischen den von der Orga-
nisation realisierten Interessen und den wesentlichen Entwicklungs- und Lebensinteressen der
Mitgliedernicht vermittelbar, weil er nicht besteht und es bleibt so nur die Forderung an die
Einzelnen, unter Opferung ihrer individuellen Lebensansprche fr ein vorgebliches Gemein-
wohl ||216| der Organisation zu dienen.
Die tendenzielle Identitt der wesentlichen, d.h. verallgemeinerbaren Individualinteressen und
des von der Organisation vertretenen Allgemeininteresses hat nun aber fr die Einzelnen quasi
eine Kehrseite; Sofern die Organisation das allgemeine Interesse realisiert, so verwirklicht sie
damit identisch auch den verallgemeinerbaren Aspekt meiner Individualinteressen. Darber
hinaus hat die Organisation mir dafr, da ich ihr Mitglied bin, keinerlei Gegenleistung zu er-
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bringen: Sie ist weder die groe Mutter, von der ich Sicherheit und Geborgenheit erwarten
kann, noch ist sie in irgendeinem anderen Sinne fr mein persnliches Wohlergehen und mei-
ne Sicherheit verantwortlich. Ich bin es ja vielmehr, der an der Assoziation mit der Organisati-
on interessiert ist, weil sie fr meine wesentlichen Lebensinteressen kmpft, die ich nurmit
und in der Organisation verwirklichen kann. Wer also mit seinem Organisiertsein in irgendei-
nem Sinne nicht verallgemeinerbare persnliche Vorteile oder mindestens die Absicherung ge-gen zustzliche persnliche Risiken anstrebt, der befindet sich in der Vorstellungswelt des
Kompensationsverhltnisses, wie ich es eingangs als charakteristisch fr die Organisation von
Partikularinteressen dargestellt habe. Er tendiert also hier seinerseits dazu, der Organisation
seine Privatinteressen als Allgemeininteresse aufzudrngen.
Daraus ergibt sich auch, da der Einzelne, sofern die Organisation seine verallgemeinerbaren
Interessen vertritt dieser fr seine Loyalitt, Mitarbeit, Mitgliedschaft keinerlei Kosten-Nut-
zen-Rechnungen aufmachen kann. Das schon deswegen nicht, weil das Individuum hier ja ge-
gen die Interessen, die durch die Organisation realisiert werden, keine anderen Individualin-
teressen verrechnen kann, die dabei nicht bercksichtigt werden: So etwas geht bei der Orga-
nisation von Partikularinteressen, nicht aber der des Allgemeininteresses, da ja wie darge-
stellt die langfristige und menschenwrdige Entwicklung allerindividuellen Lebensinteres-
sen von der Realisierung des zentralen Allgemeininteresses an der Verfgung ber die eigenen
Daseinsumstnde abhngt. Weiterhin gibt es zu der Teilhabe an der organisierten Vertretung
des Allgemeininteresses keine gleichrangige Alternative, zu der ich greifen knnte, wenn die
Kosten des Organisiertseins mir gegenber dem Nutzen zu berwiegen scheinen: Da die wirk-
lich wichtigen eigenen Daseinsumstnde, wie gesagt, stets individuell relevante ge-
sellschaftliche Umstnde sind, kann die Verfgung darber immer nur als Mitwirkung an kol-
lektiver Selbstbestimmung, also organisiert erfolgen. Mit dem Rckzug aus der Organisation
htte ich also in jedem Falle aufdie Mitverfgung ber meine eigenen Angelegenheiten auf er-
weiterter Stufenleiter verzichtet, lieferte mich der Willkr von Machtinstanzen in neuer Gr- enordnung aus und verletzte so meine eigenen ||217| zentralen Lebens- und. Entwicklungsin-
teressen.
Man mag dagegen einwenden: Dies gilt doch aber nur fr die idealtypisch gefate Organisa-
tion des Allgemeininteresses, nicht aber fr die Vielzahl real vorfindlicher Organisationen mit
fortschrittlichem Anspruch. Diese Organisationen seien doch nicht nur alle mehr oder weniger
unvollkommen, sondern vertrten das Allgemeininteresse in unterschiedlichem Grade und mit
verschiedenem Verstndnis davon, was das Allgemein wohl sei. Deswegen gebe es zur Mit-
gliedschaft in einer Organisation nicht nur die Alternative des Rckzugs, sondern auch die der
Assoziation zu einer anderen Organisation, womit einer bestimmten Organisation in gewisser
Hinsicht schon Kosten-Nutzen-Rechnungen aufgemacht werden knnten. Dieser Einwand istzwar prinzipiell richtig, trgt aber dennoch nicht so weit, wie man vielleicht meint. Einmal
nmlich ist hier zu bedenken, da es zur Vertretung des Allgemeininteresses keineswegs so
mannigfache Einzelorganisationen gibtwie bei der Vertretung von Partialinteressen: Das In-
teresse an Freiheit und Selbstbestimmung ist prinzipiell immer nur eines, und diefr mglich
gehaltenen Wege zu dessen. Realisierung sind durch historische Erfahrungen begrenzt So be-
steht etwa nur eine Gewerkschaftsbewegung und eine sozialistische und eine kommunistische
Weltbewegung mit jeweils einer begrenzten Zahl von Varianten, soda die Alternativen des
Sich-Organisierens schon dadurch eingeschrnktsind. Hinzukommt, da meine je eigenen Or-
ganisationsmglichkeiten weiter eingeschrnkt werden durch meinen realhistorisch zuflligen
gesellschaftlichen Standort: So mag sich mancher einen anderen DGB-Landesverband wn-schen, als gerade den in West-Berlin. Aber dies hilft gar nichts, er kann sich als West-Berliner
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eben nur hiergewerkschaftlich organisieren, oder gar nicht. Ebenso kann ein Westdeutscher
oder Westberliner, der der traditionellen kommunistischen Weltbewegung verbunden ist, eben
nur in die DKP oder SEW eintreten, nicht aber in die KPF oder PCI, auch wenn ihm deren
Strke und Kampfbedingungen viel besser gefallen sollten. So bleibt eben trotz einer gewissen
Vielfalt fortschrittlicher Organisationen hufig die praktische Alternative zur Mitgliedschaft in
einer bestimmten Organisation dennoch lediglich der Rckzug in die Unorganisiertheit.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang meines Erachtens aber folgendes: Wenn ich mich
z.B. in einer bestimmten Partei mit fortschrittlichem Anspruch organisiert habe, seien es nun
die Sozialdemokraten, die Alternativen oder die Kommunisten, so deswegen, weil ich in mei-
nem gegenwrtigen Einsichtsstand die fr mich wesentlichen verallgemeinerbaren Interessen
dort am besten vertreten sehe. Dieser Einsichtsstand ist sicherlich objektiv begrenzt, mgli-
cherweise auch lebensgeschichtlich relativ, aber er ist jetzt mein Einsichtsstand, und ich ||218|
kann die Dinge gegenwrtig nicht anders sehen, ohne mit meiner Vernunft in Widerspruch zu
geraten. Das heit aber, da ich auch nicht aufgrund von Kosten-Nutzen-Rechnungen mich
ohne weiteres einer anderen Organisation zuwenden kann. Der Kommunist, der rger mit sei-
ner Partei hat, kann nicht zu den Grnen wechseln, oder umgekehrt, wenn er die Ziele derGrnen bzw. der Kommunisten am Mastab des Allgemeinwohls fr falsch halten mu.
Aus alldem folgt nun ein, wie mir scheint, sehr schwerwiegender und wesentlicher Sachver-
halt: Da derRckzug ins Privatleben fr die Teilhabe an der organisierten Vertretung von All-
gemeininteressen keine gleichrangige Alternative ist, und da weiterhin die Alternative des
Wechsels zu einer anderen fortschrittlichen Organisation meist objektiv und subjektiv kaum
besteht, knnen Konflikte eines Individuums mit seiner fortschrittlichen Organisation vom
Einzelnen normalerweise nicht im Sinne eines Sich-hinaus-Bewegens aus der Organisation
sinnvoll bewltigtwerden. Mit dem Verlassen der Organisation verstt das Individuum unter
den genannten Bedingungen gegen seine eigenen Lebensinteressen und gegen seine eigene
bessere Einsicht. Das gleiche gilt fr jede Art von innerem Sich-Zurckziehen, das partielle
Aufkndigen der Loyalitt und Mitarbeit, das Einnehmen einer mehr randstndigen Positi-
on, Bildung einer informellen Opposition oder auch nur eines inneren, psychischen Vorbe-
halts, etc. Wer ohne die bestehende bzw. begriffene Alternative der wirkungsvolleren Beteili-
gung an der Durchsetzung von Allgemeininteressen in einer anderen Organisation ins psychi-
sche oder reale Absetzbewegungen von seiner Organisation macht, der dokumentiert damit,
da Privatinteressen bei ihm gegenber den verallgemeinerbaren Lebensinteressen die Ober-
hand gewonnen haben, womit er langfristig sich selbst zum Gegner wird. Konflikte knnen
also hier legitimer Weise nicht gegen die Organisation oder auerhalb der Organisation, son-
dern nur mit und in der Organisation ausgetragen werden. Wie aber sind solche Konflikte von
der Seite der Organisation und von der Seite des Individuums im Allgemeininteresse auszutra-gen, durchzustehen und zu lsen? Damit sind wir bei einer Kernfrage, die uns im letzten Teil
dieses Vortrags beschftigen soll.
IV.
Es ist ein gngiger Vorwurf von Rechts, bei den Linken sei alles kollektiv in dem Sinne, da
der Einzelne sein individuelles Denken aufgeben und sich blind den Kollektiv-Entscheidungen
unterwerfen msse. Man knnte angesichts dieser Unterstellung als einer Variante des ge-
whnlichen Antikommunismus zur Tagesordnung bergehen, wenn nicht manche Funktionre
linker Organisationen, ja sogar marxistische Theoretiker, die gleiche Auffassung ber das Kol-lektiv vertreten wr-||219|den, nur mit dem Unterschied, da sie die Einzelnen, die ihr indivi-
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duelles Denken nicht aufgeben und sich Kollektiv-Entscheidungen nicht blind unterwerfen
wollen, als brgerlich und individualistisch kritisieren.
So ist es also nicht berflssig, herauszustellen: Es gibt keine vorstellbare Situation, in wel-
cher derEinzelnegegenber oder innerhalb einer fortschrittlichen Organisation seine indivi-
duelle Urteils- und Kritikfhigkeit auch nur im mindestens einschrnken m te und drfte.
Die Forderung nach einer solchen Einschrnkung kann keinesfalls mit dem durch die Organi-
sation vertretenen Allgemeininteresse begrndetwerden, da wie gesagt nie und nirgends
endgltig feststeht, was das Allgemeininteresse sei und ob die Organisation es optimal vertre-
te: Dies mu vielmehr durch das individuelle Denken und die Urteilsfhigkeit aller Mitglie-
der der Organisation hindurch immer wieder neu gesichertwerden. Zudem ist es ein begriffli-
cher und praktischer Widersinn, wenn eine Organisation, die fr die bewute Bestimmung al-
ler ber ihre eigenen Angelegenheiten kmpft, den Mitgliedern dabei die bewute Bestim-
mung ber die Organisation, die doch zu den wesentlichen eigenen Angelegenheiten der Mit-
gliedergehrt, einschrnken will. Man kann den folgenden Satz von Wolfgang Haug (Argu-
ment 81, S. 570) im gegenwrtigen Diskussionszusammenhang nur unterschreiben: Vor dem
Erkenntnisvermgen besteht nichts, als was der Erkennende nicht umhin kann einzusehen.
Und man mu Fritz Tomberg an dieser Stelle widersprechen, wenn er in der bekannten Haug-
Tomberg-Kontroverse dem entgegenhlt, da hier in privatistischer Weise der Einzelne das
vom Kollektiv Erarbeitete vor den Richterstuhl seines eigenen, autonomistisch vereinzelten
Denkens zitiert (Argument 98, S. 638): Ich habe ob nun Intellektueller oder Arbeiter kein
anderes Denken als je mein eigenes, und dieses Denken ist in der Tat der Richterstuhl, vor
dem ich zu verantworten habe, was jeweils vernnftigerweise zu tun und zu lassen ist; ich darf
vor diesem Richterstuhl tatschlich nur tun, was ich, als notwendig einsehe, und ich kann
meine Entscheidung darber an nichts und niemanden abtreten. Die damit auch vom Individu-
um innerhalb und gegenber seiner Organisation zu fordernde kritische Haltung steht kei-
neswegs im Gegensatz zu Disziplin und Verbindlichkeit der Arbeit im Kollektiv, im Gegenteil,Disziplin und Verbindlichkeit darfvon mir nur bernommen und praktiziert werden, wenn ich
dieNotwendigkeitdazu einsehen kann. Haug hat hier recht, wenn er feststellt: Jede wirkliche
und dauerhafte Verbindlichkeit ist vermittelt durch die je eigne Einsicht in ihre Notwendig-
keit; und wenn er in diesem Zusammenhang Brecht zitiert: Eine Unze Verstand, und der
Mensch wird unverllich wie Flugsand. Zwei Unzen Verstand, und er wird verllich wie ein
Fels. (Argument 98, Seite 663)
Mit solchen allgemeinen Feststellungen ist indessen das Problem, ||220| wie Konflikte zwi-
schen Individuen und Organisation mit und in der Organisation im Allgemeininteresse ver-
nnftig auszutragen sind, zwar in gewisser Hinsicht richtig formulierbar, aber keineswegs
schon hinreichend geklrt. Wir wissen jetzt zwar, da eine Konfliktbewltigung hier keines-falls gegen die Einsicht und Kritikfhigkeit des Einzelnen oder darber hinweg erfolgen darf.
Denken und Kritik sind aber zwar immer individuell, sie sind damit jedoch nicht auch belie-
big. Man kann richtig und falsch denken, Kritik kann berechtigt und unberechtigt sein. Wir
mten also weiterhin wissen, was wirkliche Einsicht und berechtigte Kritik dem Einzelnen
in der Organisation zu tun gebietet oder genereller: Was hier eine vernnftige Lsung von
Konflikten zwischen Individuum und Organisation im Allgemeininteresse tatschlich inhalt-
lich bedeutet. Sicherlich hngt dies im Einzelnen von der je besonderen Problemlage ab. Den-
noch lt sich auch einiges Grundstzliches darber sagen.
Gem einer maximalistischen Vorstellung darf eine Organisation nur dann entscheiden, wenn
jederAspekt des anstehenden Problems mit allen Mitgliedern diskutiert ist undjedes Mitglied
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die Entscheidung aus Einsicht billigt. Demnach wre jedes andere Verfahren undemokratisch
und die Organisation htte' sich der berechtigen Kritikzu stellen, sie gehe ber die Urteils-
und Kritikfhigkeit ihrer Mitgliederhinweg und unterdrcke ihre Individualitt. Allein: Es ist
zu fragen, ob ein solches Verfahren wirklich im Allgemeininteresse vernnftig ist, und man hat
an diesem Mastab die Forderung nach totaler Mitsprache und Kritikselbst wieder einer Kri-
tik zu unterziehen, also zu klren, ob so zu verfahren, vor dem Richterstuhl meiner individu-ellen Einsicht bestehen kann.
Gegen eine Verpflichtung zu totaler Diskussion bis zu absolutem inhaltlichem Konsens vor ei-
ner Entscheidung spricht schon generell, da dies der Besonderheit menschlichen Denkens
widerstreitet. Diese Besonderheit besteht ja wesentlich darin, da der Mensch nicht, wie selbst
die hchsten Tiere, alle Erfahrungen selbst machen und Einsichten selbst gewinnen mu, son-
dern da er dazu historisch kumulierte Erkenntnis und Erfahrung aneignen, also gesellschaft-
liche Speicher abrufen kann. Die Einsicht gebietet einem also hier, nicht jede gesellschaftlich
gewordene Einsicht nochmals selbst gewinnen zu wollen: Etwa mit einem Stock im Badewas-
ser die Brechungsgesetze noch einmal zu entdecken. Dies bedeutet aber, da ich auch im kol-
lektiven Entscheidungsproze nicht alles selbst erfahren und einsehen, sondern auch die Er-
fahrung und Einsicht anderernutzen knnen mu. Meine Kritikfhigkeit wre damit nur in
Bereichen meiner besonderen Zustndigkeit und Kompetenz an der Sache selbst orientiert,
darber hinaus aber generell darauf gerichtet, die optimale Art zu erreichen, in der||221| man
Erfahrungen und Kompetenzen anderer verwerten und so voneinander lernen kann. Nur ein
danach gestalteter kollektiver Entscheidungsproze kann, da hier alles vorhandene Wissen und
Knnen ausgenutzt wird, die nach Lage der Dinge besten Ergebnisse bringen, ist also im All-
gemeininteresse vernnftig. An diesem Mastab htte ich also aufgrund individueller Einsicht
den Entscheidungsgang innerhalb meiner Organisation zu messen nicht am Mastab des
Konsenses nach totaler Diskussion.
Mit diesen berlegungen ist aber zunchst nur die Forderung, jeder msse im Entscheidungs-
gang ber alles in gleicher Weise mitsprechen knnen, zurckzuweisen, nicht aber die Forde-
rung, eine Entscheidung drfe nur im Konsens mit allen getroffen werden: Auch darber, ob in
einem bestimmten Falle aufgrund optimaler Verwertung aller Erfahrungen und Kompetenzen
diese und keine andere Entscheidung zu treffen ist, mu sich (da die Wahrheit nur eine ist)
nmlich eine Annherung der Auffassungen im Diskussionsproze, also quasi ein asymptoti-
scher Einigungsvorgang erreichen lassen. Man knnte mithin daraus ableiten, die Entschei-
dung drfe nur gefllt werden, wenn eineEinigung dieser Art zustande gekommen ist. Dage-
gen spricht aber folgender zentraler Tatbestand: Eine Organisation hat ja nicht nur zu ent-
scheiden, sondern sie hat auch entscheidungsgem zu handeln. Derartige Handlungsnotwen-
digkeiten unterliegen aber immer praktischen Bedingungen, die nicht im Entscheidungsprozeselbst beschlossen sind und aus denen der Zwang zur Handlung unabhngig vom Stand des
Einigungsvorganges entsteht. Wenn der Zeitpunkt der Handlungsnotwendigkeit verpatist,
hebt sich die Entscheidung quasi selbst aus den Angeln, wird berflssig und unvernnftig, ei-
nerlei, wie sie inhaltlich beschaffen ist. Was ntzt ein noch so hervorragend bis zum totalen
Konsens ausdiskutierter Wetterbericht, wenn darber so viel Zeit vergeht, da statt der prak-
tisch geforderten Wettervorhersage nur noch einRckblickauf das Wetter von gestern, das so-
wieso schon jeder kennt, gegeben werden kann. Daraus folgt aber zwingend, da von der Or-
ganisation zum Zeitpunkt der praktischen Handlungsnotwendigkeit der Diskussions- und Ei-
nigungsvorgang an der Stelle, wo er gerade ist, abgeschnitten werden mu. Ich kann meine in-
dividuelle Einsicht hier also nicht danach befragen, ob das geschehen mu, sondern nur, wie
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das zu geschehen hat, damit die Organisation jeweils im Allgemeininteresse optimal hand-
lungsfhig wird.
Dazu ist prinzipiell zu sagen. Eine derartige Handlungsfhigkeit der Organisation ist nur zu
erreichen durch eine hierarchische Gliederung, eine Leitung auf verschiedenen Ebenen und
damit die Differenzierung zwischen einfachen Mitgliedern und Funktionren. Nur die hierin
gegebene ber- und Unterordnung gestattet es, eine Entscheidung zum ||222| Zeitpunkt der
Handlungsnotwendigkeit, damit ohne oder gegen die Zustimmung eines mehr oder weniger
groen Teils der Mitglieder, zu fllen und umzusetzen. Mancher mag aus dem Schock, den
ihm diese Feststellung versetzt hat, sich mit dem Einwand retten wollen: Aber wieso denn,
man braucht doch hier keine Hierarchie und keine Leiter und Funktionre, sondern man kann,
wenn die Handlungsnotwendigkeit gegeben, also keine weitere Diskussion und Einigung mehr
mglich ist, einfach demokratisch abstimmen und den Mehrheitsbeschlu verwirklichen. In-
dessen, die Abstimmung ist ein Allheilmittel nur unter dem Vorzeichen des Pluralismus, wo es
kein ber den Standpunkt von einzelnen oder Gruppen stehendes Richtig oder Falsch gibt und
so die Mehrheit quasi immer recht hat. Wenn aber in Organisationen, die am Allgemeininter-
esse an kollektiver Selbstbestimmung ausgerichtet sind, inhaltliche Kriterien dafr bestehen,
ob eine bestimmte Entscheidung dem Allgemeininteresse entspricht oder widerstreitet, mu
mit der Mglichkeit gerechnet werden, da Mehrheitsentscheidungen auch falsch sein knnen
und nicht nur dies: Man hat zu bercksichtigen, da es historisch unzhlige Mehrheitsent-
scheidungen gegeben hat, die tatschlich auch falsch waren. Es gilt also, Abstimmungen so
einzusetzen, da dadurch wirklich richtige Entscheidungen im Allgemeininteresse zum Zeit-
punkt der Handlungsnotwendigkeit erleichtert werden. Dies kann aber nur dann gelingen,
wenn in der Gruppe, innerhalb derer die Entscheidung zu fllen ist, schon vorher und auf an-
derem Wege die im Allgemeininteresse richtige Auffassung sich prinzipiell durchgesetzt hat
und nur noch ein gewisser Rest-Dissens besteht, womit durch das berstimmen einiger weni-
ger die adquate Entscheidung zustandekommt. Wenn also, wie dargestellt, eine Ent-scheidungsfhigkeit der Organisation zum Zeitpunkt der Handlungsnotwendigkeit hierarchi-
sche Gliederung und Leitung impliziert, so kann die Abstimmung immer nur ein Hilfsmittel
innerhalb des hierarchisch strukturierten Entscheidungsprozesses sein, niemals aber an seine
Stelle treten.
Damit wren wir in unseren berlegungen also an einen Punkt gekommen, wo mir meine in-
dividuelle Einsicht sagt, da eine Organisation, u.U. Entscheidungen fllen mu, die meiner
individuellen Einsicht in den Sachverhalt widersprechen, die ich also anders getroffen htte.
Der darin liegende Widerspruch lst sich dann auf, wenn man hier (nach bewhrtem Muster)
die Objektebene von einerMetaebene der Einsichtunterscheidet. Das soll heien: MeineEin-
sicht in den zu entscheidenden Sachverhalt ist abzugrenzen von meiner Einsicht in die Erfor-dernisse eines adquaten, Handlungsfhigkeit schaffenden, Entscheidungsprozesses inner-
halb der Organisation. Zu einer solchen Metaeinsicht gehrt die, da die Entscheidungen der
Organisation ||223| auch dann adquat sein knnen, wenn sie von der in meiner individuellen
Sach- Einsicht gegrndeten Auffassung abweichen. Somit spitzt sich hier alles auf die Frage
zu, wie denn nun einEntscheidungsproze innerhalb, der Organisation, ihrer Gliederungen,
Funktionre und Leitungsgremien, beschaffen sein mu, damit ich einsehen kann, da er im
Allgemeininteresse adquat ist.
Dazu habe ich das m.E. Wichtigste schon gesagt: In dem Entscheidungsproze der Organisati-
on mssen die jeweils speziellen Kompetenzen und Erfahrungen aller Mitglieder, soweit mg-
lich, abgerufen und gem ihrem Stellenwert verarbeitetworden sein. Dies bedeutet auch, da
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das, wasjeweils ich am besten kann oder am besten wissen mu, weil ich hier eine besondere
Qualifikation habe bzw. in einem bestimmten Lebensbereich ttig bin, sofern fr die anstehen-
de Entscheidung relevant, von der Organisation abzurufen und zu verwerten ist. Wenn die Or-
ganisation ohne zwingende Not auf meinen so bestimmten Beitrag verzichtet, so kann sie nicht
die bestmgliche Entscheidung treffen, und verletzt so das Allgemeininteresse, damit auch
mein eigenes Lebens- und Entwicklungsinteresse. Dazu gehrt auch eine absolute Durchsich-tigkeitund Kontrollierbarkeit der Art und Weise ,in welcher die Beitrge der Mitglieder von
den Funktionren ausgewertet und zusammengefasst werden, d.h. das Vorliegen von fr jeder-
mann innerhalb der Organisation verfgbaren Richtlinien , Programmen, Grundsatzbeschls-
sen, an denen die Kompetenz der Funktionre zur Auswertung und Zusammenfassung der In-
formationen aus der Basis ihrerseits beurteilbar ist. Wenn aufgrund der Kurzfristigkeit und
Unaufschiebbarkeit einer Entscheidung oder wegen besonders erschwerter Kampfbedingun-
gen die Kompetenzen und Erfahrungen aller Mitglieder nicht voll mobilisiert werden konnten,
mu dies nach der Entscheidung zusammen mit den Grnden dafr innerhalb der Organisati-
on offengelegt, die allgemeinen Kritik der Mitglieder zugnglich, gemacht werden und ggf. zu
einer nderung der Organisationsstrukturfhren. Sofern eine Entscheidung in der Organisati-on so zustandegekommen ist und behandelt wird; zwingt mich meine Einsicht dazu, diese
Entscheidung auch dann als voll fr mich verbindlich zu betrachten, sie zu akzeptieren und bei
ihrer Umsetzung mitzuwirken, wenn sie meiner eigenen Auffassung diametral entgegengesetzt
ist,. Die Verpflichtung, mich zu hren, schliet ja nichtdie Verpflichtung ein, auch das zu tun,
was ich vorschlage, wenn andere Erfahrungen oder bergeordnete Gesichtspunkte dagegen
sprechen. Im Falle eines adquaten Entscheidungsprozesses kann ich es der Organisation
auch nicht ankreiden, wenn sie Fehler macht und Mierfolge hat da dies dann nach Lage der
Dinge nicht zu vermeiden war; ich bin dann lediglich durch meine Einsicht aufgerufen, mich
an der Suche und mglichst weitgehenden Beseiti-||224|gung der Grnde dafr zu beteiligen,
etc. Die damit gegebenen subjektiven Widersprche auszuhalten, ist keineswegs ein Zeichen
von Konformismus und Kritiklosigkeit , sondern im Gegenteil ein Gebot kritischer Vernunft
im Allgemeininteresse.,
Von da aus lassen sich nun auch die Konstellationen genau auf den Punkt bringen, in denen
das Individuum aus privatistischen Tendenzen heraus mit der Organisation in Konflikt geraten
mu: Solche Konstellationen entstehen stets dann, wenn das Individuum einerseits Forderun-
gen an Mitsprache und Konsensbildung an die Organisation stellt, die diese handlungsunf-
hig machen wrde, und damit gegen das allgemeine und eigene Interesse sind, und wenn es
andererseits seine zentrale Aufgabe in, der Organisation nicht erkennt: Seine speziellen Kom-
petenzen und Erfahrungen in die Organisation einzubringen und, wenn, es sein mu, der Or-
ganisation aufzudr
ngen. So schl
gt z.B. die Ideologie der Privatperson durch, wenn das In-dividuum nicht nur Entscheidungsprozesse innerhalb der Organisationshierarchie in der ge-
schilderten Weise kritisch berwacht, sondern dabei Mitrauen und Ressentiment gegenber
der Tatsache der Hierarchie und Leitung einflieen und die notwendige Verbindlichkeit der
Kollektiventscheidungen schon als Vereinnahmung und Entmndigung durch die Organisation
erlebt wird. In der Ablehnung jederber- und Unterordnung und der Vorstellung einer rein
horizontalen Entscheidungsbildung liegt der brgerliche Wunschtraum einer mythischen
Einheit zwischen der Privatperson und dem Kollektiv, damit einer Organisation ohne Organi-
sation, die nur im Geiste bestehen kann, sich in der Praxis aber durchHandlungsunfhig-
keit selbst aufheben mte. Derartige Vorstellungen werden in dem Mae begnstigt, wie das
Individuum unfhig ist, seinen notwendigen Beitrag zu den Kollektiv-Entscheidungen zu er-
bringen und dessenBercksichtigung in der Organisation durchzusetzen. Wenn der Einzelne
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sich so an den Rand der Organisation drngen lt, dann steht er eben auch am Rande,
d.h. er hat keinen Einflu auf die Entscheidungen, von denen er mitbetroffen ist. Auf diese
Weise werden die Leitungsgremien und Funktionre der Organisation fr das Individuum tat-
schlich zu einer fremden Macht, der es ausgeliefert ist, wobei durch diese Selbstisolation
sich sein Ressentiment gegen die da oben noch verstrken und die Isolation weiter voran-
treiben mu. Wenn sich mehrere solcher inneren Emigranten zusammenfinden, so entste-hen jene informellen Oppositions-Grppchen, die man aus jeder Organisation kennt: Hier
wird nicht offen und konstruktiv Kritik gebt und der eigene Beitrag in der Organisation
durchzusetzen versucht, sondern nur halb versteckt .herumgenrgelt. Unzufriedenheit und Re-
signation verbreitet bis es dann schlielich zu jenen spektakulren Austritten kommt, durch
welche die Individuen hier als das ||225| in Erscheinung treten, was sie eigentlich auch schon
vorher waren: Als Privatpersonen.
Von solchen berlegungen aus knnte man nun jene vielfltigen Nebelbildungen im Gehirn
analysieren, mit welchen Privatisierungstendenzen im Namen des Allgemeinen verschleiert
werden und ein Individuum sich, bei grundstzlicher Anerkennung der Organisationsnotwen-
digkeit, zu jeder konkreten Organisation auf Distanz halten kann. Etwa: Man wrde sich ja or-
ganisieren, bzw. in der Organisation wirklich mitarbeiten, wenn es nicht gerade diese Organi-
sation mit diesen besonders bornierten Funktionren wre; oder wenn sich in der Organisation
nicht gerade diese einseitige, den eigenen Vorstellungen so gar nicht entsprechende Auflas-
sung durchgesetzt htte; oder wenn die Sitzungen der Organisation nicht so besonders ineffek-
tiv, langweilig und unkonomisch wren; oder wenn die Aktiven und Funktionre nicht solche
Macker und Bonzen wren, die nur die Macht fr sich haben wollen; oder wenn man sich tat-
schlich spontan als Subjekt in die Organisation einbringen knnte; oder wenn nicht gerade in
dieserOrganisation den Mitgliedern permanent von oben ein Maulkorb verpatwrde etc.
In derartigen Rechtfertigungs-ldeologemen geht es nicht darum, reale Organisationen mit ih-
ren historischen Problemen und Schwchen durch Mitarbeit zu verbessern, sondern sie am
privaten Wunschbild der mythischen Einheit von Organisation und Individuum messen und
sich dadurch vom Leibe zu halten. Ich will dies aber hier nicht mehr im Einzelnen aufzuwei-
sen versuchen. Es sollten mit diesem Vortrag nur einige Gesichtspunkte beigesteuert werden,
mit denen die Analyse solcher Ideologeme vielleicht auf adquatere und differenziertere Wei-
se geschehen und allgemein ein bewuteres Verhltnis des Einzelnen zur Organisation er-
reichtwerden kann.
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