Klinische Erfahrungen mit dem Kreislaufmittel „Veritol“

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736 I~LINISCHE WOCI-IENS CH Es muB aber darauf hingewiesen werden, dab die Auf- spaltung der Randzacken im Pulmonalisgebiet auch bei pathologischen F~llen vorkommen kann, und zwar konnte ich sie bei einem kongenitalen Vitium beobachten, nXmlieh dem persistieren- den Duetus Botalli. Abb. 8 zeigt einen solchen Tall, der vermutlich kombiniert war mit einem Ventrikelseptumdefekt. Die jugend- liche Kranke litt an enormer Blausucht und wies Trommelschlegelfinger auf. l~ber dem nach links und oben verbreiterten Herzen, Abb. 7. Beispielfar sowie fiber den Lungen h6rte man ein rauhes das Zustandekom- menderAufspaltung Ger~useh, das sich fiber die Systole und derRandkurven bei Diastole erstreckte. Dem im ganzen kugli- verschledenem gen Herzen sa{3 schornsteinartig eine Druekablauf in der aneurysma~thnliche Vorw61bung ill der Aorta u. Puhnonalis. Gegend der Pulmonalis auf. Zur Diagnose des offenen Ductus Botalli paf3te gut, dab die Lungen die arterielle Form der Stauung (breite, scharf Abb. 8. Kymogramm eines Falles yon offenem Ductus Botalli. Abb. 9. Aussehnitt aus dem Pulmonalisgebiet. AufspMtung der Randzacken. begrenzte Hili mit schleudernder Pulsation bei ungetrtibten Lungenfeldern) in st~rkster Auspr~tgung aufwiesen. /)as Kymogramm (Ab- bildung 9) zeigt im ]3e- reich der Pulmonalisvor- w61bung die bei weitem st~rkste Pulsation mit ebenfalls sehr deutlich auf- gespaltenen Randzacken. Ich m6chte glauben, dab sie mit der dutch de~ o/]enen Ductus Botalli yon der Aorta in die Pulmo- nalis eindringenden Puls- welle zu erkl~ren sind. Diese muB init einer ge- wissen Versp~tung gegen- fiber der aus dem rechten Ventrikel in die Pulmo- nalis geworfenen Puls- welle ankommen. DasAuf- treten zweier dicht auf- einanderfolgender Gipfel wird uns so verst~tndlich als Ausdruck zweier kurz hintereinander im Stamm der Art. pulmonalis ankommenden Pulswellen, yon denen die erste aus dem rechten, die zweite aus dem linken Ventrikel stammt. RIFT. 16. JAHRGANG. Nr. 2I 22. MAI I937 Die hier beschriebenen Bewegungsformen im Bereich der Art. pulmonalis weisen also einige charakteristische Eigen- tfimlichkeiten auf. So haben wir u. a. gesehen, wie Auf- spaltungen der Randzacken entstehen, die auf den ersten Blick der Bewegung des Vorhofsgebietes, etwa der Gegend des linken Herzohres, Ahnlich sehen, ferner, dab patholo- gische Vefitnderungen hier zum Ausdruck kommen k6nnen (bei den StauungszustXnden im kleinen Kreislauf, beim Lungenemphysem und beim offenen Ductus Botalli). Literatur: B~THE-V. BERGMANN-I~MBDEN, Handbuch der nor- malen und pathogenen Physiologie 7[1. -- DIETLEN, Erg. d. l%y- siologie zo (I91o). -- HARVEY, De circulatione sanguinis. 1649. -- LANI)OIS-R0SEMANN, Lehrbuch der Physiologie. Urban & Schwarzen- berg. -- RAUBER-KOPSCH, Lehrbuch der Anatomie. Leipzig: Georg Thieme. -- STUMPF-WEBER-~VELTZ, :R6ntgenkymographische Be- wegungslehre innerer Organe. Leipzig: Georg Thieme 1936. -- WELTZ, R0ntgeniorsch. 5 I, 2 (1935). KLINISCHE ERFAHRUNGEN MIT DEM KREISLAUF- MITTEL .VERITOL". Von Dr. DIETRICH SCHNEIDER, Assistent der Chirurgischen Universit~itsklinik Breslau (Direktor: Prof. K. H. BAUER). Der Arbeit des peripheren IZreislaufes in der T~tigkeit des Gesamtkreislaufes wurde in den letzten Jahren immer Inehr Beachtung geschenkt, insbesondere von seiten der Chirurgen. Ist es doch gerade der Chirurg, der 6fter als das unmittelbare Erlahmen der Herzkraft das Versiegen des dem Herzen aus der Peripherie zugeffihrten Treibstoffes sieht, kenntlich an dem Leerlaufen oder ,,Kollabieren" der Venen. Diese peri- phere Kreislaufschw~tche, im ausgepr~gten Zustand Kollaps genannt, bildet unsere Hauptsorge bei eingreifenden Ope- rationen. Ftir ihre medikamentSse Bebandlung stehen uns zahlreiche Mittel zur Verffigung, deren Wirkungsweise im allgemeinen in einer Verengerung der terminalen Strombahn und Erh6hung des peripheren Widerstandes besteht, Es ist verst~ndlich, dab diese Widerstandserh6hung in ungfinstigen F~llen ffir das schwer arbeitende tterz eine neue zusXtzliche 13elastung bedeuten kann. Nach den tierexperimentellen Ergebnissen yon REIN (s. diese Wschr. I937, 7oo) hat aber das Oxyphenyhnethyl- aminopropan, das den Versuchsnamen I-ITsftihrte und jetzt als Veritol im Handel erscheint, einen anderen Angriffspunkt als die bisher bekannten Kreislaufmittel. Es Iragte sich deshalb, ob die yon REIN nachgewiesenen fiberaus gfinstigen Wirkungen am Tier auch beim Menschen zu beobachten sind. Wir haben an der Breslauer Klinik das Veritol seit einigen Monaten an 12o kollapsgef~thrdeten Patienten und zum Ver- gleich auch an Gesunden klinisch geprfift. Die Prfifung am Operationstisch erstreckte sich vorwiegend auf 4 Dinge: I. Die dauernde Beobachtung des Patienten durch einen Assistenten, Wit halten diese Beobachtung Itir besonders wichtig, denn allein das Aussehen des Patienten gibt uns weitgehend fiber den Zustand seines Kreislaufes Auskunft. Unruhe, t~l~sse, Schweil3ausbruch und Leerlaufen der Venen ktindigen einen drohenden Kollaps an und mahnen zu vor- beugenden MaBnahmen. 2. wurde Iortlaufend der Blutdruck gemessen. W'enn auch eine einzelne Blutdruckmessung nur den jeweiligen Stand der t(reislaufarbeit erfal3t und ihre alleinige Answertung zu Fehl- schlfissen ffihren kann, so bietet die Blutdruckkurve nach fortlaufend durchgdfihrten Messungen doch ein ausgezeich- netes Bild des Versagens oder der Erholung des Kreislaufes. Sie kann am Operationstisch nicht durch die zeitraubenden Minutenvolumenbestimmungen ersetzt werden, besonders, wenn es sich darum handelt, die unmittelbaren Wirkungen eines Kreislaufmittels zu verfolgen. Etwa 14oo im Verlauf dieser Untersuchungen von ein und derselben zuverl~tssigen Hilfskraft ausgefiihrte Blutdruckmessungen nach RIVA-RoccI drficken die Fehlerquellen auf ein Mindestma{3 herab, Die Bestimmung des Amplitudenfrequenzproduktes mit dem

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Es muB aber da rauf hingewiesen werden, dab die Auf- spa l tung der Randzacken im Pulmonal isgebie t auch bei

pathologischen F~llen v o r k o m m e n kann, und zwar konnte ich sie bei einem kongeni ta len Vi t ium beobachten, nXmlieh dem persistieren- den Duetus Botalli. Abb. 8 zeigt einen solchen Tall, der ve rmut l i ch kombinier t war mi t e inem Vent r ike lsep tumdefekt . Die jugend- liche K r a n k e l i t t an enormer Blausucht und wies Trommelschlegel f inger auf. l~ber dem nach links und oben verbre i t e r t en Herzen,

Abb. 7. Beispiel far sowie fiber den Lungen h6r te man ein rauhes das Zustandekom- menderAufspaltung Ger~useh, das sich fiber die Systole und derRandkurven bei Diastole ers t reckte . D e m im ganzen kugli-

verschledenem gen Herzen sa{3 schornste inar t ig eine Druekablauf in der aneurysma~thnliche Vorw61bung ill der Aorta u. Puhnonalis.

Gegend der Pulmonal is auf. Zur Diagnose des offenen Ductus Botal l i paf3te gut, dab

die Lungen die arterielle Form der Stauung (breite, scharf

Abb. 8. Kymogramm eines Falles yon offenem Ductus Botalli.

Abb. 9. Aussehnitt aus dem Pulmonalisgebiet. AufspMtung der Randzacken.

begrenzte Hili mi t schleudernder Pulsa t ion bei unget r t ib ten Lungenfeldern) in s t~rkster Auspr~tgung aufwiesen.

/ )as K y m o g r a m m (Ab- bi ldung 9) zeigt im ]3e- reich der Pulmonal isvor- w61bung die bei wei tem st~rkste Pulsa t ion mi t ebenfalls sehr deut l ich auf- gespal tenen Randzacken . Ich m6chte glauben, dab sie mi t der dutch de~ o/]enen Ductus Botalli yon der Aor ta in die Pulmo- nalis e indr ingenden Puls- welle zu erkl~ren sind. Diese muB init einer ge- wissen Versp~tung gegen- fiber der aus dem rechten Ventr ikel in die Pulmo- nalis geworfenen Puls- welle ankommen. DasAuf- t re ten zweier dicht auf- e inanderfolgender Gipfel wird uns so verst~tndlich

als Ausdruck zweier kurz h in te re inander im S t a m m der Art . pulmonal is ankommenden Pulswellen, yon denen die erste aus dem rechten, die zweite aus dem l inken Ventr ike l s t ammt .

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Die hier beschriebenen Bewegungsformen im Bereich der Art . pulmonal is weisen also einige charakter is t i sche Eigen- t f imlichkei ten auf. So haben wir u. a. gesehen, wie Auf- spal tungen der Randzacken ents tehen, die auf den ersten Blick der Bewegung des Vorhofsgebietes, e twa der Gegend des l inken Herzohres , Ahnlich sehen, ferner, dab patholo- gische Vefi tnderungen hier zum Ausdruck k o m m e n k6nnen (bei den StauungszustXnden im kleinen Kreislauf, be im Lungenemphysem und beim offenen Ductus Botalli).

L i t e r a t u r : B~THE-V. BERGMANN-I~MBDEN, Handbuch der nor- malen und pathogenen Physiologie 7[1. -- DIETLEN, Erg. d. l%y- siologie zo (I91o). - - HARVEY, De circulatione sanguinis. 1649. - - L A N I ) O I S - R 0 S E M A N N , Lehrbuch der Physiologie. Urban & Schwarzen- berg. - - RAUBER-KOPSCH, Lehrbuch der Anatomie. Leipzig: Georg Thieme. - - STUMPF-WEBER-~VELTZ, :R6ntgenkymographische Be- wegungslehre innerer Organe. Leipzig: Georg Thieme 1936. -- WELTZ, R0ntgeniorsch. 5 I, 2 (1935).

KLINISCHE ERFAHRUNGEN MIT DEM KREISLAUF- MITTEL .VERITOL".

V o n

Dr . DIETRICH S C H N E I D E R , Assistent der Chirurgischen Universit~itsklinik Breslau

(Direktor: Prof. K. H. BAUER).

Der Arbei t des per ipheren IZreislaufes in der T~tigkei t des Gesamtkreis laufes wurde in den le tz ten Jahren immer Inehr Beach tung geschenkt , insbesondere von seiten der Chirurgen. Is t es doch gerade der Chirurg, der 6fter als das unmi t t e lba re E r l ahmen der Herzk ra f t das Versiegen des dem Herzen aus der Per ipher ie zugeffihrten Treibstoffes sieht, kennt l ich an dem Leer laufen oder , ,Kol labieren" der Venen. Diese peri- phere Kreislaufschw~tche, im ausgepr~gten Zus tand Kollaps genannt , bi ldet unsere Haup t so rge bei eingreifenden Ope- rat ionen. Ft i r ihre medikamentSse Beband lung stehen uns zahlreiche Mit tel zur Verffigung, deren Wirkungsweise im al lgemeinen in einer Verengerung der t e rmina len S t rombahn und E rh6hung des per ipheren Widers tandes besteht , Es ist verst~ndlich, dab diese Widers tandserh6hung in ungfinst igen F~llen ffir das schwer arbei tende t t e r z eine neue zusXtzliche 13elastung bedeuten kann.

Nach den t ie rexper imente l len Ergebnissen yon REIN (s. diese Wschr. I937, 7oo) h a t aber das Oxyphenyhne thy l - aminopropan, das den Versuchsnamen I-ITs ft ihrte und je tz t als Veri tol im Hande l erscheint, einen anderen Angri f fspunkt als die bisher bekann ten Kreis laufmit te l . Es I ragte sich deshalb, ob die yon REIN nachgewiesenen fiberaus gfinstigen Wi rkungen am Tier auch beim Menschen zu beobachten sind.

Wir haben an der Breslauer Kl inik das Veritol seit einigen Monaten an 12o kollapsgef~thrdeten Pa t i en ten und zum Ver- gleich auch an Gesunden klinisch geprfift. Die Prf i fung am Operat ionst isch ers t reckte sich vorwiegend auf 4 Dinge:

I. Die dauernde Beobach tung des Pa t i en ten durch einen Assistenten, W i t ha l t en diese Beobach tung Itir besonders wichtig, denn allein das Aussehen des Pa t i en ten gibt uns wei tgehend fiber den Zustand seines Kreislaufes Auskunft . Unruhe, t~l~sse, Schweil3ausbruch und Leer laufen der Venen ktindigen einen drohenden Kollaps an und mahnen zu vor- beugenden MaBnahmen.

2. wurde Ior t laufend der B lu td ruck gemessen. W'enn auch eine einzelne Blu tdruckmessung nur den jeweiligen Stand der t ( re is laufarbei t erfal3t und ihre alleinige Answer tung zu Fehl- schlfissen ffihren kann, so b ie te t die B lu td ruckkurve nach for t laufend du rchgdf ih r t en Messungen doch ein ausgezeich- netes Bild des Versagens oder der E rho lung des Kreislaufes. Sie kann am Operat ionst isch nicht durch die ze i t raubenden Minu tenvo lumenbes t immungen ersetzt werden, besonders, wenn es sich d a r u m handel t , die unmi t t e lba ren Wi rkungen eines Kreis laufmit te ls zu verfolgen. E t w a 14oo im Verlauf dieser Unte rsuchungen von ein und derselben zuverl~tssigen Hi l fskraf t ausgefi ihrte Blu tdruckmessungen nach RIVA-RoccI drficken die Fehlerque l len auf ein Mindestma{3 herab, Die Bes t immung des Ampl i tudenf requenzproduk tes mi t dem

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Tonoszillographen yon PLESCH bildete eine wertvolle Er- gAnzung. IJber die hiermit erzielten Ergebnisse im Zusammen- hang mit Bestimmungen des Minutenvolumens und der zirku- lierenden Blutmenge soll sparer berichtet werden.

3. wurde die Z~hlung und Prtifung des Pulses und 4. die der Atmung vorgenommen. Weiterhin wurden am Krankenbett Blutk6rperehen-

z~hlungen, Bestimmungen der Wasserausscheidung, des t31ut- zuckers und elektrokardiographische Registrierungen der Herz- arbeit vorgenommen. Die Elektrokardiogramme verdanken wir der Liebenswtirdigkeit des Doz. Dr. PARADE.

Die Haltbarkei t der L6sungen wurde durch Versuche der Herstellerfirma und durch REIN schon Iestgestellt. Auch wit sahen neben der selbstverst~ndlich zu erwartenden Haltbar- keit der Ampullen kein Nachlassen des Wirkungsgrades nach mehrmonatigem Offenstehenlassen der L6sungen. In fasten- den Vorversuchen fiberzeugten wir uns yon der Ungiftigkeit der Substanz auch am Menschen, yon der nach Tierversuchen die mehrhundertfache Menge als vom Adrenalin gegeben werden kann. Das Mittel ist v611ig reizlos. Schmerzhaftigkeit oder Nekrosen nach Injektionen wurden nicht beobachtet. Paraven6se Einspritzungen sind unsch~dlich. Unangenehme Zwischenf~lle nach Injektionen traten auch bet holler Dosie- rung nie auf. Krampfbereitschaft, Erbrechen, Atemstillstand, Irregularit~ten des Pulses oder St6rungen der Herzt~tigkeit wurden nicht beobachtet. Das Elektrokardiogramm bleibt normal, auch nach hohen drucksteigernden Gaben. Niemals war eine ungfinstige Beeinflussung der Wasserausscheidung zu sehen, wie sich besonders bet der Prfifung der Ausscheidung vor und nach hohen Veritolgaben zeigte.

Bet der Prfifung am Gesunden sahen wir gegenfiber den Tierexperimenten insofern eine Abweichung, als durch wirk- same Dosen auch der normale 131utdruck gesteigert werden kann. Bet einer Dosierung, die im akuten Kollaps den Blut- druck nur auI die Norm bringt, konnten in einzelnen F&llen 131utdrucksteigerungen bis auI 2oo mm Hg beobachtet werden. Die Herzt~tigkeit wurde dabei nie beeinflugt, die Pulsfrequenz blieb beim Gesunden normal. Im Selbstversuch t ra t bet der hohen Gabe von 15 mg i.v. sogar eine Drucksteigerung yon 135 auf 22o mm Hg auf. Dabei bemerkte man auger dem ffihlbaren Pochen der Aorta nicht die geringste unangenehme Sensation, ganz im Gegensatz zu den sehr lXstigen Neben- wirkungen, die man nach einer Adrenalininjektion verspfiren kann. Ein Abblassen der Hautgef~i3e konnte selbst nach diesen hohen Gaben Veritol nicht gesehen werden, ein Zeiehen, dab keine I~onstriktion im Capillargebiet der Peripherie stattfindet. Das Mittei scheint also auch beim gesunden Organismus eine Mehrleistung des Kreislaufes allein durch Entleerung der Blut- speicher und Vermehrung des Minutenvolumens zu bewirken. Wegen seiner kr~ftigen Wirkung wird man beim intakten KreislauI abet allzu hohe Dosierungen vermeiden.

Wie steht es nun mit der Wirkung auf den gesch~digten Kreislauf ?

Zur Vor- und Nachbehandlung bet Operationen kollaps- gei~hrdeter Patienten w~hlten wir vorwiegend die bequeme orale Anwendung. Dabei zeigte sich, dab Dosen yon io mg unwirksam sind w~hrend man yon 2o--3o mg ab in der Mehr- zahl der F~lle eine deutliche kreislauff6rdernde Wirkung fest- stellen kann. Der 131utdruck steigt frtihestens nach io, h~ufig erst nach 3o Minuten leicht an (ira Durchsehnitt um 15--2o mm Hg) und bleibt Iiir l~ngere Zeit erh6ht. Der Puls wird roller und krMtiger. Das Mittel ist also auch per os wirksam, und die Beffirchtung, dab es dutch die Leber zerst6rt wird, scheint beim Menschen nieht zu bestehen. Allerdings ist die Wirkung bet oraler Verabreichnng nicht immer kon- stant, manchmal konnte auch nach 5 ~ mg kein Effekt erzielt werden. Wieweit hier verschiedene Resorptionsbedingungen im Magen-Darmkanal mitsprechen, kann ich nicht entscheiden. Wahrscheinlich spielen sie eine Rolle, denn die starke Dosis von 75 mg per os ffihrte in mehriachen Selbstversuchen nur zu einer Blutdrucksteigerung yon 135 auf 15o mm Hg, w~h- rend die gleiche Dosis in einem einzigen Falle bet einem Ge- sunden die enorme Steigerung yon 14o auf 23 ~ mm I lg be- wirkte. 13ei dieser Versuchsperson, einem 25j~hr. Arbeits-

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mann, wurden auch die bisher einzigen Beschwerden unter den vielhundertfaehen Injektionen und oralen Darreichungen im VerlauI unserer Untersuchungen beobachtet. 26 Minuten nach der Einnahme des Mittels wurde fiber Kopfschmerzen, 1)belkeit und Unruhe geklagt, die auch noch wetter bestanden, Ms der Blutdruck nach 9o Minuten wieder auf der Norm war. Da die Beschwerden erst nactl einigen Tagen verschwanden, ist es m6glich, dab psychische Einflfisse bet der etwas labilen Versuchsperson eine Rolle spielten. Immerhin gehen wir nach dieser Erfahrung vorlAufig nicht fiber 5 ~ mg bet oraler Dar- reichung hinaus. Im Durchschnitt geben wir 3o--5 ~ mg mehrmals t~glich einige Tage vor und nach der Operation, meistens in ~ombinat ion init Cardiazol. Insgesamt sind die bisherigen Erfahrungen mit der oralen Vor- und Nachbehand- lung gfinstig, wobei zu betonen ist, dag die Absch~tzung immer schwierig und weitgehend subjektiv ist, wieweit die Erholung eines Patienten auf das Konto medikament6ser Vorbehand- lung geht.

Die rectale Anwez~dung des Mittels in Z~pfchenform scheint nicht wirksamer zu sein als die orale, mindestens nicht in der bisher gew~hlten Dosierung yon 2o rag. Bet ihr ~tndert sich der Blutdruck nur wenig oder bleibt unbeeinflugt. Die Umgehung des Leberweges durch die rectale Anwendung scheint also nicht yon Bedeutung zu seth. Unsere Erfah- rungen mit rectaler Darreichung sind aber noch zu gering, um Abschliegendes aussagen zu k6nnen. Weitere Untersuchungen darfiber sind im Gauge.

Im Gegensatz zu der nicht immer konstanten Wirkung bet oraler und rectaler Verabfolgung, die fibrigens bet anderen geprfiften Kreislaufmitteln noch hAufiger zu beobachten ist, wirkt die i~ztrctver~Sse In]ektion sicher, schnell und langdauernd in jedem Falle. Als 13eispiel diene die Abb. i : Es handelte sich um eine 75 j~hr. Pat., die wegen eines schon mehrere Tage bestehenden Volvulus des Dfinndarmes in LumbalanAsthesie operiert wurde. Am SchluB der Operation mittelschwerer Kollaps mit Absinken des Blutdruckes auf 85 mm Hg, blasser kalter Haut und starker Unruhe. Nach IO mg Veritol i.v.

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Abb. z. Intraven6se Veritolinjektion bet einer 75 j~hr. Frau mit einem mittelschweren Kollaps nach Laparotomie bei Ileus. Kurve 2: Puis, Kurve 2: Blutdruck, Kurve 3:

Atmung. Die Blutdrucksteigerung ist nicht abnorm hoch und dauert lange an.

steigt der Blutdruck in 4 Minuten auf 155 mm Hg, um dann langsam im Verlauf yon 24 Minuten auf lO 5 mm Hg abzu- sinken. Die Latenzzeit bis zum Gipfel des Druckanstieges ist gr6ger als nach Adrenalin und adrenalin~hnlichen Pr~paraten, ebenso die Dauer der Wirkung. Im Durchschnitt der Ver- suche ist der h6chste Druckanstieg nach 3--5 Minuten er- reicht; der Wiederabfall geht langsam in 2o--3o Minuten bis zum Ausgangspunkt. In einigen F~llen schwerster Kollapse war die Wirkung schon nach 12--15 Minuten abgeklungen. Weit h~ufiger bleibt abet der Druek und auch der Zustand des Patienten schon nach einer einzigen Injektion ffir dauernd normal.

Die Atmung wurde hie ungfinstig beeinflugt, oft aber durch eine Vergr6Berung der Atemtiefe verbessert. Ebenso wie in der Abb. I stieg in der Mehrzahl der Fglle die Pulsfrequenz leicht an. Die Erkl~rung gibt der Bainbridge-Reilex, bet dem durch die vermehrte Ffillung der herznahen Venen reflek- torisch das Herz zu schnellerem Schlagen veranlagt wird, um das vermehrte Angebot zu bewgltigen. Die Frequenzsteige- rung betrug im Mittel nicht mehr als 15--2o % des Ausgangs- wertes, wghrend die Blutdrucksteigerung durchschnittlich 5 ~ % betr~gt. Oft geht aber die Ankurbelung des Kreislaufes

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allein durch die Vermehrung des Schlagvolumens vor sich, was sich am Gleichbleiben oder in einer Abnahme der Pulszahl zu erkennen gibt. Immer wurde der Puls nach der Injektion voller und krgftiger.

Im Gegensatz dazu ist die Frequenzsteigerung nach Adre- nalin oder adrenalin~thnlichen Prgparaten bei intraven6ser Verabfolgung meistells h6her. Dies zeigt die Abb. 2, die bei einer gleichfalls 75 j/~hr. Pat. nach der Operation eilles Rectum- Ca. in LumbalanXsthesie gewonnen wurde. Neben der st~rke-

ten Frequenzsteigerung fAllt hier die viel ktirzere Wirkung "~ " t des Adrenahnprgpara es auf den Blutdruck auf. Der steile ~ [ ~ Blutdruckanstieg - - schon nach

Minuten auf 165 mm Hg - - . ~ / a & m a z ~ ~ ~ , _ l nnd der schnelle Wiederabfall ~1201- l ~ a ~ k ~ - ~ i . , ~ , ~ - - ~ - - hier schon nach 7 Minuten ~ffO~ 1 6 0 ~ u n t e r die Norm - - ist charakte-

log L . x l S O ~ ristisch und nach intravenSser _ ~ o ~ Injektion fast framer in der ~'~~176 va, u l l ~ l l l l gleichen Form zu sehen. Da ~,,a,~-):~. ~ bei diesen Prliparaten nach der

fiberschieBenden kurzdauernden Blutdrucksteigerung oft eine

~ r 6 g lg/r Senkung nachfolgt, die beim Abb. 2. Intraven6se Injektion eines adrenalinghnlichen Pr~iparates bei einem 25j~hr. Pat. mit mittelschwe- rein Kollaps nach Recturnamputa- tion in Lumbalan~sthesie. Kurve i : Atmung, Kurve ~: Puls, Kurve 3: Blutdruck. Die Frequenzsteigerung ist gr613er, die Wirkung auf den

Blutdruck kurzdauernd.

Veritol nicht zu beobachten ist, wird man bei ihnen die subcutane oder intramuskulgre Verabfol- gung der intraven6sen vorziehen.

Aber auch bei i n t r a m u s k u - ldrer In~elction ist die Wirkungs- dauer des Veritols fiir gew6hn- lich lgnger. Der Abbau dieses

Mittels scheint im Organismus langsamer vor sich zu gehen. Erstaunlich ist das schnelle Einsetzen der Wirkung naeh intra- muskulS.rer Injektion. Auch bei ihr ist das Maximum der Wirkung meistens schon nach 4- -6 Minuten erreicht, in der Abb. 3 sogar schon nach 2 Minnten. Die intramuskul/ire Injektion kann also beim Veritol auch da angewandt werdell, w o e s auf schnelles Einsetzen der Wirkung ankommt, eine fiir die PraMs und fiir den Operationsbetrieb wichtige Tat- sache. Die Erklgrung, Iiir die hervorragend schnelle Resorp- tion des Veritols gibt folgellderVersuch : Setzt manintracutan mit Adrenalin eine Quaddel, so entsteht dutch Konstriktion der Capillaren ein welter blasser HoI. Die Resorption dieses Mittels wird also nur lallgsam erfolgen, eine Tatsache, von der wir bei der Lokalan~sthesie tgglich Gebrauch machen. Dieselbe Hautquaddel mit Veritol 1/10000 ist aber yon eillem deutlichen roten Hof umgeben. Eine Capillarkonstriktion

13~ - - Lm. ~ - I ~ltd#l'uek

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Abb. 3- Wirkung einer intramuskulfiren Veritolinjektion. Kurve i : Puls, Kurve 2: Blutdruck. Die Wirkung setzt schnell eirt und. ist lax~gdauernd.

finder bei diesem Mittel nicht statt, womit die schnelle Resorption ihre Erklgrung filldet.

Mit diesem Quaddelversuch haben wir nun auch einen Minischen ]3eweis, dab das Veritol einen grundsgtzlich anderen Angriffspunkt hat als die t~reislanfmittel der Adrenalinreihe. REIN hat in tiberzeugenden Versuchen gezeigt, dab die blut- drucksteigernde und kreislaufantreibende Wirkung des Veri- tols nicht durch eine abnorme Widerstandserh6hung im peri- pheren Stromgebiet zustande kommt, sondern dab der Wir- kullgsmechanismus allein in einer Tonisierung der groBen Venen, einer Vergr6Berung des Minutenvolumens und einer elektiven Mobilisierung der Blutspeicher besteht. Auf die Einzelheiten dieses ,,physiologischen VVirkungsmechanismus" brauche ich deshalb nicht mehr einzugehen. Uns interessierte zun/kchst, ob auch im menschlichen Experiment die Ent- leerung der Speicherorgane festzustellen war. Von der Beob- achtung der Milz wghrend einer Injektion war nicht viel zu

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erwarten; spielt doch die Milz als t31utdepot beim Menschen nur eine untergeordnete Rolle. Es ist ja bekannt, dab die Exstirpation der Milz beim Menschen ohne sch~tdliche Folgen ffir die Kreislaufregulationen vertragen wird, woranf schon EPI'INOEt~ hingewiesen hat. Dementsprechend sahen wir nach intraven6sen Injektionen wghrend der Operation keine 13eeinflussung der Milzgr6Be. Wahrscheinlich besitzt aber die kindliche Milz als Blutspeicher eine gr613ere t3edeutung, woffir auch die bisher noch zahlenmgl3ig geringen, aber sehr gfinstigen Erfahrungen bei kindlichen Kollapsen sprechen. So in einem Fall bei der Operation eines 21/2j~thr. Kindes, bei dem es nach der Operation eines grol3en Stirnbeintumors, der auf die Hirnh~ute und das Gehirn fibergriff, zu einem v61Iigen Ver- sagen des Kreislaufes kam. 4 mg Veritol i .v . hat ten lebens- rettende Wirkung.

Schon der Gr61aenordnung nach scheint die Leber als Blutspeicherorgan beim Menschen eine gr6Bere Rolle zu spielen als die Milz. Tats~tchlich ergab die Beobachtung der Leber hgufig eine deutliche Verkleinerung des in der Wunde vorliegenden Leberlappens nach Injektion. Der Mobilisierung des Leberblutes scheint ein groBer Anteil an der Kreislauf- ankurbelullg dutch das Yeritol zuzukommen.

Einen letzten grundsgtzlichen Unterschied im Wirkungs- mechanismus des Veritols gegentiber anderen adrenalin- ~thnlichen Kreislaufmitteln sahen wit schlieBlich noch bei fortlaufender Kontrolle des Blutzuckers an einer Serie yon 6 Fgllen, bei denen eine deutliche Blutdrucksteigerung durch Veritol erzielt wurde. In keinem Fall land ein nennenswerter Anstieg des t31utzuckers statt . Die hSchste beobachtete Steigerung ging yon ioo auf i i 2 mg % bei einem Druckanstieg yon 14 ~ anf I85 mm Hg, sie bleibt also noch in der normalen Schwankungsbreite fortlaufender Blutzuckerbestimmungen. Diese Befunde entsprechen zahlreichen Tierexperimenten, bei denen nie eine vermehrte Blutzuckerausschiittung nach Veritol stattfand. Im Gegensatz dazu konnte BAUMANN nach- weisell, dab nach intraven6sen Adrenalingaben stets ein er- heblicher Anstieg des Blutzuckers und eine Verarmung der Leber an Glykogen zustande kommt. Diese Glykogenver- armung erscheint bei Kreislaufgeschgdigten llicht unbedenk- lich und mug durch gleichzeitige Traubenzuckerzufuhr

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qO 0 2 ~ # 810~lglf lSZO2Z2r Abb. 4. SchwerSte= KoIlaps bei einer Hirntumoroperation. K u ~ e z : Puls, K u r w 2 : Blutdruck, Kurve 3: Atmung. Sofortige und endgfiltige Erholung des Pat. nach zo mg

Veritol i. v.

kompensiert werden. Beim Veritol ist sie nicht zu beftirchten, land doch t~AUMANN nach kfirzlich vorgetragenen Experi- menten sogar eine Glykogenspeicherung im AnschluB an i. v. Veritolzufuhr. Damit scheint auch beim Menschen der t3eweis erbracht, dab die I~reislaufankurbelung beim Veritol durch einen anderen Mechanismus in Gang gebracht wird als bei den adrenalin~hnlichen Prgparaten.

Das Anwendungsgebiet des Mittels bei i.v. und i.m. Injek- tion wird in der Chirurgie vorwiegend das Versagen des peri- pheren Kreislaufes w~thrend und nach eingreifenden Operatio- hen sein; kurz alle Zust~nde, die als Kollaps oder Operations- shock bezeichnet werden. Ein Beispiel der Wirkungsweise gibt die Abb. 4: Hochgradiger Kollaps des Patienten bei der Operation eines groBen Hirntumors. Puls und Blutdruck waren nicht meBbar. Schon 3 Minuten nactl der Injektion yon io mg (z/2 Ampulle) hat te sich der Kreislauf v611ig erholt, so dab die Operation in Ruhe zu Ende geftihrt werden konnte.

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22. MAI 1937 K L I N I S C H E W O C H E N S C H l Z l F T . 16. J A H R G A N G . Nr . 2I 739

Eine &hnliche langdauernde Wirkung sehen wir in der Abb. 5, w o e s bei einer IZectumamputation in Lumbalan&sthesie bei einem 75Jlihr. Pat. zum Absinken des Blutdruckes auf 85 mm I-Ig und zu bedrohlichen Allgemeinerscheinungen kam. Die Wirkung der Injektion ist wieder schnell und langanhaltend. Auch eine zweite Injektion wirkt und br ing t den Blutdruck

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Abb. 5, Mittelschwerer Kollaps bei einem 75 j~hr. Patienten mi t Rectumamputat ion in LumbaIan~sthesie. Ausgezogene K u ~ e : B]utdruck; gestrichelte Kurve: Puls. Man

beaehte die gfinstige Wirkung auch der wiederholtert Injektion.

bis zum AbMingen der An~isthesie auf normale Werte. Eine Tachyphylaxie des Mittels, d. h. das Unwirksamwerden einer wiederholten Injektion, wie es beim Ephedrin h~iufig zu sehen ist, t r i t t also beim Veritol nicht ein. Den adrenalin~ihnlichen Pr&paraten scheint das Mittel nicht nur aus theoretischen Er- w~gungen manchmal fiberlegen zu sein. In der Abb. 6 sehen

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0 ~ 8~.._201,Iih. Abb. 6. Mittelschwerer Kollaps in Lumbalan~isthesie. Ausgezogene Kurve: Blut- druck; gestrichelte Kurve: Puls. Die Wirkung des adrenalin~hnliohen Pr~iparates

klingt schnell ab, wfihrend nach der Veritolinjektion dauernde Erholung eintritt,

wir, wie bei einer Penisamputation mit Drfisenausr~tumung in Lumbalan&sthesie die typische steile Wirkung des Adrenalin- pr&parates schnell abklingt, wlihrend das nur auf die normale BlutdruckhShe steigernde Veritol dauernde Erholung bringt. Bei dem n~chsten Fall (Abb. 7), einer ausgedehnten Magen- resektion bei einem sehr kachektischen 46j~ihr. Mann, versagt

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Abb. 7. Mittelschwerer Kotlaps bei einer Magenresektion. Versagen des adrenaliE- ahnlichen Priiparates bei gfinstiger und langdauernder Wirkung des Veritols. Ausge-

zogene Kurve: Btutdruck; gestrichelte Kurve: Puls.

das Adrenalinpr~iparat fast vollst~ndig, w~hrend die schnell einsetzende und langdauernde Wirkung des Veritols deutlich zu erkennen ist. Die Beispiele k6nnten beliebig vermehrt werden, die Wirkung war fast immer ausgezeichnet. MiB- erfolge sollten eigentlich bei 14ollapsen nach Blutverlust er- wartet werden, doch sahen wit auch hierbei gute Erfolge. Das Versagen des Kreislaufes bei einem akuten Blutverlust scheint demnach prim~r durch eine St6rung der Kreislaufregulationen zustande zu kommen. Die Blutspeicherorgane werden beim Einsetzen des t(ollapses noch nicht v611ig ausgenutzt, was die M6glichkeit ftir eine wiederholte Einsetzufig des speicher- entleerenden Mittels gibt. Einen v611igen Versager sahen wir nur bei der allerersten Anwendung des Mittels bei noch un- gentigender Dosierung. Nur geringe und kurzdauernde Wir- kung sahen wit in 2 FMlen: Einmal bei der iResektion eines

groBen Oberschenkeltumors mit Spanplastik und das andere Mal bei der Operation eines besonders schwierigen Ulcus pepticum. In beiden F~llen versagten auch andere periphere Kreislaufmittel, erst nach Bluttransfusion kam es zur Er- holung.

Ein zentrales Analepticum ist das Veritol nieht, FMle yon zentraler Ateml&hmung und Narkosesch&den bleiben die Dom&ne des Coramins oder Cardiazols. Letzteres Mittel haben wir mit Erfolg h&ufig mit dem Veritol kombiniert.

Theoretisch interessant und therapeutisch beachtenswert ist schlieglich noch ein Versuch, den ich gemeinsam mit SPRINGORUM zur Frage der Luftembolie am Hund angestellt habe (Abb. 8). Der Blutdruck wurde optisch registriert und gleichzeitig die Durchblutung einer Femoralis mit der Thermo- stromuhr yon REIN gemessen. Erstaunlich sind die grogen

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Abb. 8. Kfinstlicho Erzeugung eines l{reislaufversagens durch Luftembolie am Hund. Ausgezogene Kurve: Blutdtmck; gestrichelte Kurve; Durchbhltung der A. femoralis, gemessen raJt der Thermostromuhr von REIN. Bei den Pfeiten werdert ie 2o ccm Luft intraven6s gegeben. Ers t nach zoo ccm Luft v611iges Versagen des Kreislaufes- Nach 5 mg Veritol i. v. im Laufe yon 2 Minuten v611ige Erholung mit Rfickkehr des Blutdruckes und der Durchblutung zur Norm. Die photographische Originalkurve

wurde wegen ihrer L~nge umgezeichnet.

Mengen Luft, die der Organismus vertr~gt. Erst nach ioo ccm Luft i.v. t r i t t vOlliges Versagen des I(reislaufes auf, das nach einer Veritolinjektion restlos behoben wird. Der Versuch mag fiir eine gewisse Herzwirkung des Pr&parates sprechen, in der Art, dab eine Tonuserh6hung das durch die Luftmassen gebl~hte nnd frustran schlagende Herz wieder zu normalem Arbeiten veranlaBt.

Z u s a m m e n ] a s s u n g : Mit Absicht sind keine statistischen und tabellarischen I)bersichten gegeben worden, dazu er- scheinen die Erfahrungen noch zu gering. Doch hat sich bei einer m6glichst exakten klinischen Auswertung gezeigt, dab das unter der vorlgufigen Bezeichnung HT~ geprtifte peri- phere Kreislaufmittel Veritol in ganz besonderer Weise ge- eignet ist, ein Versagen des peripheren Kreislaufes auszu- gleichen. Die Unsch~dlichkeit des Mittels bei guter Wirksam- keit hat sich auch am Menschen gezeigt.

Die orale Anwendung, die wir in einer Dosierung yon 30--5 ~ mg mehrmals tgglich vornehmen, ist ftir die Vor- und Nachbehandlung nach Operationen geeignet. Da bei oraler und rectaler Darreichung nicht immer eine konstante Wir- kung zu erzielen ist, empfiehlt sich besonders bei akuten peripheren Kreislaufst6rungen die i.v. und i.m. Anwendung. Mit IO mg i.v. (1/2 Amp.) bis zu 20 mg (I Amp.) in den schwer- sten FMlen oder mit 3 ~ mg (I1/2 Amp.) intramuskulXr erzielt man fast stets eine schnell einsetzende und langdauernde Er- holung des darniederliegenden Kreislaufes. Sowohl im Wir- kungsablauf wie in der Wirkungsdauer scheint das Veritol gegenfiber den adrenalin&hnlichen Prgparaten eine gewisse I~berlegenheit zu besitzen. Doch k6nnen erst weitere Unter- suchungen ergeben, ob nicht bei genauer Definition ver- schiedenartiger Kollapszustgnde in einem Tell der F&lle stXrker tonisierende Mittel dem Veritol vorzuziehen sind.

Auch bei hohen Dosen des Veritol bleiben die Organ- funktionen normal, die Diurese intakt. Der Blutzuckerspiegel erleidet keine Vergnderung. Diese Tatsache, der Quaddel- versuch und die ]3eobachtung der Depotorgane lassen in Ober- einstimmung mit den experimentellen Befunden yon REIN den Schlul3 zu, dab das Mittel einen anderen Angriffspunkt hat als die I~reislaufmittel der Adrenalinreihe. Die bei diesen Pr&paraten auftretende periphere Widerstandserh6hung, die eine zusAtzliche Gefahr ffir das schwer arbeitende Herz eines Kollapsgef&hrdeten bedeuten kann, kommt nach Veritol nicht

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zustande. Die Ankurbelung des I~reislaufes geschieht allein durch eine Tonisierung der grofien Venen, durch einen Anstieg des Minutenvolumens und durch eine Entleerung der Blut- speicher. Es bleibt zu erw~igen, ob durch diese physiologische Ankurbelung des Kreislaufes vielleicht ein gfinstiger Einfluf3 auf die Thrombosevermeidung zu erzielen ist. ]3ei unseren bisher mit Veritol behandelten Patienten sahen wit keine Thrombose, ohne dab daraus bislang Schliisse zu ziehen sind.

Wenn auch im Vordergrund unserer Therapie beim Ver- sagen des peripheren Nreislaufes und beim Operationsshock in erster Linie immer die Aufftillung der Gewebe ulld die Blut- transfusion stehell wird, so scheinell wir doch ill dem Veritol ein Mittel zu haben, das dutch seine physiologische Ankurbe- lung des Kreislaufes diese Therapie wirkungsvoll erg~nzt.

0BER EIN AUFFALLEND REGELMASSIG VOR- KOMMENDES MUSKELPHANOMEN BEI FOKAL-

INFEKTION UND SEINE VERWENDBARKEIT FOR DIE PRAXIS.

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Prof. Dr. A. SLAUCK, Aachen.

Zum VerstXndnis der nachfolgenden Zeilen habe ich kurz experimenteller Untersuehungsergebnisse zu gedenken, die reich seit dem Jahre 1920 fortlaufend besch~ftigt haben. In Verfolg histologischer Bearbeitung atrophischer Muskel- zust~nde verschiedenster Krankheitsbilder konnte ich den Nachweis erbringen, dab die Erkrankullg zusammenliegender Muskelfaserfelder im Muskel ihre Ursache in der Sch~digung eillzelner zugeh6riger Vorderhornganglienzellen bzw. Zellen der motorischen Hirnnervenkerne filldet. Nachprfifungen yon BIELSCtlOWSKI bei der Myatonia congenita und ins- besondere der schwedischen Forscher S~ORRE WOI~LFAHRT und GIJNNAR WOHLFAI:RT an atrophischem lViuskelmaterial habell inzwischell die Richtigkeit meiner friiher bereits nieder- gelegten Anschauungen bestMigt. Wit wissen heute, dab eine Vorderhornganglienzelle eine Vielheit roll zusammenliegen- den Muskelfasern im Muskel innerviert, ferner dab ein Aus- fall derartiger kleinster Einheiten im Rahmen des peripheren motorischeu Neurons (Neuromyons) das ]3ild einer felder- f6rmigen Anordnung in der Atrophie der Muskulatur auf- zeigt und dab diese einzelnen Versorgungsfelder im Muskel sich gegenseitig an den Randteilen iiberdecken, etwa ill der Art, wie w i r e s bei der sensiblen Hantil lnervation ill der An~ ordnung der Dermatome zu sehen gewohnt silld. Mit anderen Wortell, der Degenerationstyp bei Muskelatrophie auf Grund einer Vorderhornganglienzellsch~tdigung stellt etwas Charak- teristisches dar ulld gestattet in seiner reinen Form, im Prin- zip einmal erkannt, mtihelos die Abgrenzung voll den sog. prim~ren Myopathien. Damit konnte das klinische Ph~nomen der ,,fibrill~ren Muskelzuckung" in seiner typischen Form, wie w i r e s bei der spillalen Muskelatrophie, bei der amyo~ trophischen Lateralsklerose, bei Syringomyelie und bei Druckerscheinungen auf das Rtickenmark (Kompression durch Rtickenmarkstumor und Wirbelk6rpererkrankung) zu sehen gewohnt sind, seine pathologisch-anatomische Er- kl~rung linden; dartiber hinaus durfte dem :V~uskelph~nomen eine lokalisatorische Bedeutung zuzusprechen sein. Da das Fibrillieren bei der spinalen Kinderl~hmung, also akut in Erscheinung tretender Krankheitsbilder, fehlt, war yon vorn- herein anzunehmen, dab iiberall da, wo Fibrillieren zu beob- achten war, mehr langsam bzw. chronisch sich auswirkende Sch~dlichkeitseinwirkungen auf die Vorderhornganglienzelle in Betracht zu ziehen warell.

Ich habe die Untersuchungen am periphereu motorischell Neuron dann yon einer anderen Seite aus experimentell fort- geffihrt. Durch Stichelung der motorischen Nervfaser mit der Gltihnadel best~tigte ich experimentell den feldf6rmigell Ausfall im Versorgungsbereieh des zugeh6rigen Muskels. Dariiber hinaus untersuchte ich aber die Frtihver~nderungen in] sparer atrophierenden MuskelteiIabschnitt. Iu der Tat

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zeigte sich, am 3. bis 4- Tag llach gesetzter Sch~digung, kon- stant im geschS.digten Versorgungsbereich eine Verfet tung der Muskelfasern, die in den n~chsten Tagen nur noch deut- licher ill Erscheinung trat.

Es war mir klar, dab der Zustand der Verfettung der Muskelfaserll in giiltiger, pathologisch-anatomischer Anschau- ung nicht ohne weiteres als krankhafter, zur Degeneration fiihrender Faserzustand zu bewerten war. Die 1Reparabilit~t der Faserverfet tung ist seit langem bekannt. Andererseits war mir klar, dab zwischeu intakter und krallkhaft degene- rierender Vorde~hornganglienzelle noch Zwischenstufen exi- stieren muBten. Das lehrt uns einmal die Klinik, wie z. B. bei akuter spinaler I~inderl~hmung ein schweres L~thmungsbild schon in wenigen Stunden, sicher Tagen, sich erheblich zurtickzubilden vermag. Auch stellt die Ausbildung der elektrischen Entartungsreaktion eill charakteristisehes, zeit- lich ill allen Phasen zu begrenzendes, nur biologisch zu ver- stehendes Geschehllis dar. Immerhin war klar, dab das Ver- fettungsbild im Muskel myelopathischer Genese seill muBte, den ersten Ausdruck einer Sch:idlichkeitseinwirkung auf ein- zelne Vorderhornganglienzellen darstellte. Sp~tere Unter- suchungen am Rtickenmark der Versuchstiere zeigten, dab diese Verfettungen im Muskel frtihzeitiger histologisch faBbar wurden, als die GallglienzellverXnderungen selbst. So wird es nicht verwunderlich, dab ich in F~tllen Landryscher Paralyse nach t3otulismus, aber auch nicht klarer toxischer Genese, 4--5 Tage nach Krankheitsbeginn bei letalem Ausgang keine deutlich faBbaren VerXnderungen am Zentralnervensystem, wohl aber ausgedehnte Verfettungen an der quergestreifteu Muskulatur feststellen konnte. Auf Grund meiner zahl- reichen histologischen l~berarbeitungen einschlXgiger F~lle kann ich heute sagen, dab es Unterlassungsfehler ist, wenu man bei akut toxischen Krankheitsbilderu ganz Mlgemein, nicht nur mit schweren L~hmungsbildern, die quergestreifte Muskulatur nicht untersucht. Man wird immer wieder tiber- rascht, wie h~ufig ausgedehnte Verfettungen im quergestreif- ten Muskel anzutreffell sind. Bestand das Krankheitsbild mindestens 3 Tage, so babe ich das Verfettungsbild bisher hie vermil3t. DaB die Verfettungen sich silmgem~13 auch bei allell erfahrungsgem~g zur l~Iuskeldegeneratioll fiihren- den Erkrankungen, wie z. ]3. der amyotrophischell Lateral- sklerose, finder, wird nach dem Gesagten nicht verwundern. Gerade die Tatsache, dab man bei der amyotrophischen Lateralsklerose im 3/Iuskelquerschnitt Degenerations- und Verfettungszust~nde ganz differenten AusmaBes findet, deckt sich mit der Minischen Erfahrung, dab die Vorderhorn- ganglienzellen nacheinander der Degeneration allheimfatlen. Es erscheillt mir nach Mlem heute kaum noch zweifelhaft, dab wir in dem Krankheitsbild der amyotrophischen Lateral- sklerose ein toxisches Krankheitsbild zu sehen haben; ob bakteriell-toxisch, ob stoffwec[aseltoxisch ist dann zu- n~chst noch weiter zu kl~ren. Ich hebe nochmals hervor, dab der Nachweis der Verfettung der Muskelfasern uns zu- n~tchst nicht berechtigt, etwas fiber die Reparabilit~t oder Irreparabilit~tt der Erscheinullg zu sagen. Das deckt sich mit unseren klinischen und histologischen Erfahrungen z. 13. bei der Diphtherie, wo wir viel h~ufiger, als wir ahnen, Ver- fettungszust~nde ill der quergestreiftell Muskulatur nach- weisen kSnnen, die nachher keinerlei Restzust~nde hinter- lassen. Auch im Experiment konnte ich diese Erscheinungen beobachten.

Nachdem ich nun einmal erkennen konnte, dab das Auf- treten yon Verfettungszust~tnden ill der quergestreiften Mllskulatur eine, unter Umst~Lnden voriibergehende, SchXdi- gung der Vorderhornganglienzellell (bzw. sinngemgg eine Ganglienzelle der motorischen Hirllnervenkerne) darstellte, durfte ich dieses Ph~nomell bei meiner Untersuchung als Indicator ftir Vorderhornganglienzellsch~digullgen reparabler oder irreparabler Natur einsetzen. Ich habe nun intradural Stoffe den Versuchstieren (vorzugsweise Kaninchen) bei- gebracht, derell Affinit~t zur Vorderhornganglienzelle ich aus der Klinik kallnte. 131ei und Arsen, daneben vor allem Di- phtherietoxin, ]ieferten die gleichen histologischen t3ilder im Muskel.