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Klinische Neurologie Bearbeitet von Peter Berlit 3., vollst. erw. u. überarb. Aufl. 2012 2011. Buch. XXIV, 1556 S. Hardcover ISBN 978 3 642 16919 9 Format (B x L): 21 x 27,9 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Neurologie, Neuropathologie, Klinische Neurowissenschaft Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Klinische Neurologie

Bearbeitet vonPeter Berlit

3., vollst. erw. u. überarb. Aufl. 2012 2011. Buch. XXIV, 1556 S. HardcoverISBN 978 3 642 16919 9

Format (B x L): 21 x 27,9 cm

Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Neurologie,Neuropathologie, Klinische Neurowissenschaft

Zu Inhaltsverzeichnis

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ein Komplettverschluss unter Erhalt der arteriellen Versorgung der Netzhaut nicht möglich ist, ist ein additives chirurgisches Vorgehen indiziert.

TentoriumfistelnDurafisteln des Tentorium cerebelli erhalten ihre Zuflüsse aus der A. carotis interna und externa sowie aus den Vertebralarte-rien (Picard et al. 1990). Die Drainage erfolgt immer über piale Venen: am vorderen freien Rand des Tentoriums über das peri-pontine und perimesenzephale Venensystem mit dem Risiko von stauungsbedingten Hirnstammfunktionsstörungen oder Blu-tungen. Da diese Venen auch eine Verbindung zum perimedul-lären spinalen Venensystem aufweisen, kann sich klinisch eine Rückenmarksymptomatik entwickeln (Brunerau et al. 1996). Bei Fistellokalisation am medialen hinteren Rand des Tentoriums entwickelt sich eine Ableitung über die Kleinhirnhemisphären-venen mit dem Risiko zerebellärer Blutungen; eine Fistellokalisa-tion am lateralen hinteren Rand des Tentoriums mit venöser Drainage über supratentorielle Venen bedingt parietale und okz-pitale Blutungen mit entsprechender klinischer Symptomatik.

Therapie

Bei Fisteln dieser Lokalisation ist eine transarterielle Behandlung mit Flüssigembolisaten indiziert. Wenn es gelingt, über einen arteriellen Zugang die proximale drainierende Vene ausreichend weit zu okkludieren, ist ein Komplettverschluss auf diesem Weg möglich. Andernfalls ist die Kombination von interventionell-neuroradiologischem und operativem Vorgehen angezeigt.

42.7 IntrazerebraleBlutung

H.-C. Koennecke

Intrazerebrale Blutungen (ICB) sind parenchymatöse Hämorrhagien des  Gehirns  (Großhirn,  Kleinhirn,  Hirnstamm)  aufgrund  einer  Stö-rung  der  vaskulären  Integrität  intrazerebraler  Gefäße.  Sie  sind  zu differenzieren  von  anderen  Formen  der  zerebralen  Gewebeblu-tung,  wie  hämorrhagischen  Hirninfarkten,  venösen  Stauungsblu-tungen bei zerebralen Sinus- und Venenthrombosen, traumatischen Kontusionsblutungen,  primär  intraventrikulären  Blutungen  oder subarachnoidalen Blutungen infolge einer Aneurysmaruptur. Letz-tere können bei bestimmten Lokalisationen des Aneurysmas einen größeren  intraparenchymatösen  Blutungsanteil  aufweisen.  Prinzi-piell unterscheidet man anhand der Ursachen primäre von sekun-dären  bzw.  symptomatischen  ICB.  Ebenso  wie  bei  den  zerebralen Ischämien handelt es sich bei den ICB um eine sehr heterogene En-tität, die eine differenzierte Diagnostik sowie entsprechende thera-peutische Strategien erfordert. 

Epidemiologie

Etwa 10–15% aller Schlaganfälle sind ICB (Qureshi et al. 2001), wobei, ebenso wie bei den ischämischen Insulten, die Inzidenz mit höherem Lebensalter ansteigt (Kase et al. 2004). Ausgehend von einer jährlichen Inzidenz von 15/100.000 Einwohner ereignen sich in Deutschland pro Jahr ca. 12.500 spontane ICB. Nach populati-onsbasierten Langzeitbeobachtungen hat sich die Gesamtinzidenz

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zerebraler Hämorrhagien seit Anfang der 1980er Jahre nicht geän-dert. Zwar hat in dieser Zeit der Anteil hypertonie-assoziierter ICB offenbar abgenommen, gleichzeitig aber stieg der Anteil von ICB infolge antithrombotischer Therapien (Lovelock et al. 2007). Inte-ressanterweise variiert die Häufigkeit von ICB erheblich zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. So ist der Anteil von ICB bei-spielsweise in China mit ca. 30% aller Schlaganfälle doppelt so hoch wie in westlichen Gesellschaften (Zhang et al. 2003). Auch unter Afroamerikanern ist die Inzidenz von ICB im Vergleich zu Weißen wesentlich höher (Qureshi et al. 1995). Die Ursache hier-für ist nicht bekannt, vermutlich spielen dabei sowohl genetische Determinanten als auch unterschiedliche Risikoprofile, Ernäh-rung, Lebensstil und andere Ursachen eine Rolle. Wahrscheinlich differiert die Inzidenz von ICB zwischen den Geschlechtern nicht wesentlich, auch wenn in der Literatur hierzu verschiedene Anga-ben vorliegen. Die Häufigkeit bestimmter Ursachen einer ICB variiert mit dem Alter. So ist bei Patienten im jüngeren Erwachse-nenalter (bis ca. 40 Jahre) häufiger mit einer arteriovenösen Mal-formation (AVM), einem Aneurysma oder der Folge des Ge-brauchs vor allem zentral stimulierender Drogen zu rechnen, während im mittleren Alter (40–60 Jahre) Ursachen wie Hyperto-nie, AVM, Tumoren und Aneurysmen als Ursache dominieren. Jenseits der 6. Dekade sind Hypertonie, zerebrale Amyloidangio-pathie (CAA), Antithrombotika und Tumoren von größerer ätio-logischer Bedeutung. Angesichts der prognostizierten demogra-fischen Entwicklung ist innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte mit einer Zunahme der ICB-Inzidenz um bis zu 30% zu rechnen.

Klassifikation

Bei der Klassifikation von ICB sind sowohl ursächliche als auch lokalisatorische Aspekte zu berücksichtigen. Prinzipiell werden die primären (ca. 80%) von den insgesamt weniger häufigen, se-kundären (oder: symptomatischen) ICB (ca. 20%) unterschie-den. Primäre Hirnblutungen umfassen die hypertensiven, typi-scherweise im Bereich der Stammganglien (Nucleus lentiformis, Striatum, Thalamus) lokalsierten ICB (. Abb. 42.54) sowie die mit einer zerebralen Amyloidangiopathie assoziierten, lobären Blutungen. Die Ursachen sekundärer oder symptomatischer ICB sind sehr vielfältig; eine Auflistung der häufigsten Ätiologien zeigt . Tab.  42.23. Besonders ventrikelnahe, parenchymatöse Blutungen sind oft mit einem Einbruch in das Ventrikelsystem assoziiert (. Abb. 42.55). Davon zu unterscheiden sind primäre intraventrikuläre Blutungen, die wiederum, ebenso wie die sub-arachnoidale Blutung, gelegentlich parenchymatöse Blutungsan-teile aufweisen können (Darby et al. 1988).

Venöse Entwicklungsanomalien (developmental venous anomaly, DVA, venöses Angiom) sind die häufigsten Gefäßano-malien des Gehirns (Prävalenz bis 2,5%), die aufgrund des zu-nehmenden Einsatzes der MRT meist zufällig entdeckt werden (Oyelese et al. 2004) und durch radiär angeordnete Marklager-venen, die in eine größere Sammelvene münden, charakterisiert sind. DVA sind nahezu immer asymptomatisch, stellen also auch keine relevante Ursache sekundärer ICB dar und bedürfen keiner Behandlung. Ihr Nachweis im Zusammenhang mit einer ICB sollte allerdings Anlass zur Durchführung blutsensitiver MRT-Sequenzen (s. unten) geben, da sie in bis zu 30% der Fälle mit Kavernomen assoziert sind (Mohr et al. 2004).

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42.7 · Intrazerebrale Blutung

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Kapitel 42 · Vaskuläre Erkrankungen1152

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Abb. 42.54 a,b  Typische Stammganglienblutungen im CCT bei Patien­ten mit arterieller Hypertonie. a ICB im mittleren und dorsalen Putamen.  b Thalamusblutung mit Ventrikeleinbruch und Ausdehnung bis zum meso-

. dienzephalen Übergang (links oben). Zusätzlich Darstellung älterer, lakunärer Infarkte (untere Bilder) als Indikator einer zerebralen Mikroangiopathie bei  Hypertonie

a b

Abb. 42.55  74-jährige Patientin. Histologisch gesicherte zerebrale Amylo-idangiopathie. Überwiegend links frontal lokalisierte, lobäre Blutung mit Ein-bruch in die Seitenventrikel (dickere Pfeile) und Blut auch im Subarachnoidal-raum (dünne Pfeile). Alter Defekt im vorderen Putamen links (Pfeilkopf). Auf-

. grund von Lokalisation und Beteiligung verschiedener Kompartimente ist in einem solchen Fall differenzialdiagnostisch immer auch eine Aneurysmablu-tung (z. B. Ramus communicans anterior) auszuschließen. Die präoperative DSA war diesbezüglich negativ

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Eine zunehmende Rolle in der Pathogenese sekundärer ICB spielen gerinnungshemmende Substanzen (Antithromboti-ka). Bereits jetzt werden mehr als 10% aller ICB auf eine anti-thrombotische Therapie zurückgeführt (Kase et al. 2004), wobei dieorale Antikoagulation (OAK) eine wesentliche Rolle spielt. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass auch Throm-bozytenfunktionshemmer (TFH), insbesondere bei kombi-nierter Anwendung (z. B. Acetylsalicylsäure und Clopidogrel), mit einem erhöhten ICB-Risiko assoziiert sind. Zudem werden immer häufiger Patienten mit der Kombination von TFH und Phenprocoumon behandelt, wodurch sich das ICB-Risiko ins-besondere bei Älteren mit Vorhofflimmern um das Dreifache gegenüber einer Monotherapie mit OAK erhöht (Shircman et al. 2004). Da in Zukunft die Prävalenz altersassozierter Erkran-kungen mit einer Indikation zur Antikoagulation steigen wird, ist mit einer weiteren Zunahme von ICB durch Antithrombotika zu rechnen.

Risikofaktoren und Prädiktoren

Der mit Abstand wichtigste Risikofaktor intrazerebraler Blu-tungen ist die arterielle Hypertonie (Qureshi et al. 2001), deren Prävalenz bei Patienten mit ICB bis zu 80% beträgt (Kase et al. 2004). Vor allem jüngere (<55 Jahre) und schlecht eingestellte Hypertoniker sind einem deutlich (bis zu 7-fach) höheren Risiko als Normotoniker ausgesetzt (Zhang et al. 2003). Umgekehrt ist zudem überzeugend belegt, dass eine effektive antihypertensive Therapie das Risiko sowohl erster als auch rekurrenter ICB deut-lich verringert (Kase et al. 2004). Insbesondere bei lobären Blu-tungen, die ebenfalls Folge einer Hypertonie sein können, sollten aber trotz anamnestisch ggf. bekannter Hypertonie auch andere Differenzialdiagnosen in Erwägung gezogen werden, da allein die Koinzidenz eines häufigen Risikofaktors mit einer ICB nicht immer auch Kausalität bedeutet. Weitere Risikofaktoren sind ex-zessiver Alkoholgebrauch und Rauchen (Qureshi et al. 2001). Auch niedrige Gesamtcholesterinwerte (<4,1 mmol/l) prädispo-

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Tab. 42.23  Ursachen, Diagnostik und Charakteristika primärer und sekundärer intrazerebraler Blutungen.

Ursachen Diagnostik zur ätiologischen Klärung Charakteristika

Hypertonie AnamneseCCT/MRT

Ruptur hypertensiv alterierter Arteriolen; typische Lokalisation (Stammganglien, Hirnstamm, Kleinhirn); assoziiert mit Lakunen/Leukoaraiose; effektive Sekundärprä-vention durch antihypertensive Therapie

Zerebrale Amyloid-angiopathie

AnamneseBlutsensitive MRT-Sequenzen

Ablagerung von β-Amyloid in Gefäßwänden; rezidivierende lobäre Blutungen durch Ruptur kleiner Arterien und Arteriolen; Patient meist >70 Jahre; keine kausale Therapie bekannt

Koagulopathie AnamneseGerinnungslaborCCT

Assoziiert mit Antikoagulation oder Fibrinolyse; sofortige Korrektur der Gerinnungs-störung ist prognostisch entscheidend

Hämorrhagischer Hirninfarkt

Anamnese/Verlauf MRT mit DWI

Ruptur/Extravasat bei ischämischer Gefäßwandschädigung; vor allem nach Reperfusi-on; hält sich meist an arterielle Territorien

Zerebraler Tumor AnamneseMRT > CCT

Ruptur/Extravasat pathologischer Gefäße bei tumorbedingter Neoangiogenese/Ne-krose; Glioblastom; Metastasen (Melanom, Nierenzellkarzinom)

Hirnkontusion AnamneseCCT/MRT

Kleine ICB durch Abscherung von Gefäßen bei äußerer Gewalteinwirkung; oft im Verlauf progredient und konfluierend; typische Lokalisation (frontobasal, temporopolar)

Kavernom AnamneseBlutsensitive MRT-Sequenzen

Ruptur kapillarähnlicher, pathologischer Gefäße; Neigung zu Rezidiven; operative Entfernung je nach Lokalisation indiziert

Sinus- und/oder Venenthrombose

CT- oder MR-VenographieBlutsensitive MRT-Sequenzen

Venöser Infarkt mit meist lobärer Stauungsblutung; oft atypische Lokalisation; soforti-ge Antikoagulation auch bei Blutung indiziert

Aneurysma CTA/MRADSA

Meist mit SAB assoziiert; typische Lokalisation (perisylvisch, medial frontobasal); Inter-vention oder OP dringlich

Arteriovenöse Malformation

CTA/MRA DSA

Ruptur abnormaler Gefäße im Nidus; meist jüngere Patienten; Neigung zu Rezidiven; ggf. Embolisation/OP/Radiatio

Durale arteriovenö-se Fistel

AnamneseDSA

Venöse Stauungsblutung durch shunt-bedingte Druckerhöhung im venösen System; endovaskuläre Therapie

Vaskulitis AnamneseLiquor- und Blutserologieggf. Biopsie

Ruptur kleiner Arterien/Arteriolen bei inflammatorisch alterierter Gefäßwand; Immun-suppression meist effektiv

Amphetamine, Kokain

AnamneseDrogenscreening

Oft typische hypertensive ICB; seltener Blutung infolge drogeninduzierter Vaskulitis; jüngere Patienten 

CCT kraniale Computertomographie; MRT Magnetresonanztomographie; DWI diffusionsgewichtete MRT; CTA/MRA CT-/MR-Angiographie; DSA digitale Subtraktionsangiographie; SAB Subarachnoidalblutung.

42.7 · Intrazerebrale Blutung

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Kapitel 42 · Vaskuläre Erkrankungen1154

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nieren zu ICB (Segal et al. 1999), insbesondere bei Patienten mit koinzidenter Hypertonie oder Alkoholabusus (Ebrahim et al. 2006). Auch erniedrigte Low-density-Lipoprotein-(LDL-)Spie-gel sind offenbar mit einer höheren Inzidenz von ICB assoziiert (Noda et al. 2009). Angesichts des verbreiteten Einsatzes von Sta-tinen stellt sich somit die Frage, ob diese das Risiko einer ICB erhöhen können. Allerdings sprechen die Ergebnisse einer um-fassenden Metaanalyse randomisierter Statinstudien mit mehr als 90.000 vaskulären Risikopatienten eindeutig gegen diese Ver-mutung, da sich darin die Inzidenz hämorrhagischer Schlag-anfälle nicht zwischen den Behandlungsgruppen unterschied (Cholesterol Treatment Trialists Collaborators 2005). Demge-genüber wurde im Rahmen einer placebokontrollierten Studie an Patienten nach TIA oder Hirninfarkt in der mit einem hoch-dosierten Statin behandelten Gruppe ein höherer Anteil hämor-rhagischer Insulte beobachtet, was jedoch aufgrund des positiven Effektes auf rekurrente Hirninfarkte keinen negativen Effekt auf das Gesamtergebnis hatte (SPARCL Investigators 2006). Die Ein-nahme eines Statins zum Zeitpunkt der ICB scheint sich zudem nicht negativ auf das Outcome auszuwirken, und selbst die fort-gesetzte Statinbehandlung nach einer ICB erhöht das Rezidivri-siko nicht (FitzMaurice et al. 2008). Aufgrund der insgesamt protektiven Wirkung einer Statinbehandlung vor koronaren und zerebralen ischämischen Ereignissen (Amarenco u. Labreuche 2009) besteht somit kein Grund, Risikopatienten diese Therapie vorzuenthalten, solange eine koinzidente Hypertonie oder Alko-holmissbrauch behandelt bzw. eingestellt werden.

Zweithäufigste Ursache einer primären ICB ist die zerebrale Amyloidangiopathie (CAA), auf die mindestens ein Drittel aller ICB bei Älteren (≥60 Jahre) zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich um eine bisher unbehandelbare, vermutlich genetisch deter-minierte Erkrankung, die ganz überwiegend zu lobären Blu-tungen mit hoher Rezidivneigung führt (. Abb. 42.55) (Green-berg 2004). Da bei den über 75-Jährigen die Prävalenz einer mit-tel- bis schwergradigen CAA mehr als 10% beträgt, ist bei künftig steigendem Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung mit einer höheren Inzidenz CAA-assoziierter Blutungen zu rechnen. Bei den selteneren familiären Formen der CAA kann es bereits im 3. oder 4. Lebensjahrzehnt zu Hirnblutungen kommen.

ICB infolge einer CAA sind zu mehr als 80% im Frontal-, Parietal- und Temporallappen lokalisiert, während der Okzipi-tallappen weniger häufig betroffen ist. Pathoanatomisch wird die CAA durch eine Ablagerung von β-Amyloid in den Wänden kor-tikaler und leptomeningealer Gefäße (vor allem Kapillaren, Ar-teriolen und mittlere bis kleine Arterien) mit Degeneration der Gefäßwand, Bildung von Mikroaneurysmen und fibrinoider Ne-krose charakterisiert, wobei die Blutungen sehr wahrscheinlich Folge der daraus resultierenden »Brüchigkeit« der Gefäßwand sind. Da die Erkrankung bisher nur histopathologisch verifiziert werden kann, lässt sich die Diagnose in den meisten Fällen kli-nisch nicht eindeutig stellen. Hilfreich sind die von einer Bosto-ner Arbeitsgruppe entwickelten Kriterien, welche oftmals zu-mindest eine diagnostische Annäherung erlauben (. Übersicht) (Greenberg 2004). Prinzipiell muss bei allen Patienten ab 55 Jah-ren mit lobärer ICB, für die sich keine andere Ursache findet, an eine CAA gedacht werden, insbesondere wenn sich anamnes-tisch oder bildgebend Hinweise auf früher stattgehabte Hirnblu-

tungen ergeben. Eine kausale Therapie der CAA steht bisher nicht zur Verfügung.

Boston­Kriterien für Hirnblutungen bei zerebraler Amyloidangiopathie (CAA). (Mod. nach Greenberg et al. 2004)

Sichere CAA Durch Autopsie gesicherte histopatholo-gische Veränderungen im Sinne einer schweren Vaskulopathie bei CAA bei lo-bärer ICB und Fehlen anderer möglicher Ursachen*

Wahrscheinliche CAA mit histo-pathologischer  Evidenz

Klinische Daten und histopathologische Befunde (z. B. aus kortikaler Biopsie oder Hämatom-OP) entsprechend einer CAA bei lobärer ICB ohne andere mögliche Ursachen

Wahrscheinliche CAA

Klinische Daten und CT- oder MRT-mor-phologischer Nachweis von mindestens 2 lobären (inkl. Kleinhirn) hämorrhagi-schen Läsionen bei Patienten ≥55 Jahre ohne andere mögliche Ursachen

Mögliche CAA Klinische Daten und CT- oder MRT-mor-phologischer Nachweis einer lobären ICB bei ≥55 Jahre alten Patienten ohne ande-re mögliche Ursachen

* INR >3 (außer bei »Mögliche CAA«), andere Koagulopathie, Trauma, Hirninfarkt, Tumor, vaskuläre Malformation, Vaskulitis

Während es für Hirninfarkte sowohl anamnestische (TIA) als auch bildmorphologische (klinisch stumme Hirninfarkte) Prä-diktoren gibt, sind bisher keine klinisch bedeutsamen Vorboten zerebraler Blutungen bekannt. In den letzten Jahren konnten ze-rebrale Mikroblutungen (CMB) als zumindest potenzielle Indi-katoren einer künftigen ICB identifiziert werden (Koennecke 2006; Greenberg et al. 2009). CMB sind asymptomatische, weni-ge Millimeter große Ablagerungen von Hämosiderin (i.e. frühere Hämorrhagien), die in bestimmten MRT-Sequenzen zu einem umschriebenen Signalabfall führen, so dass sie als punktförmige, hypointense Läsionen imponieren (. Abb.  42.56). CMB kom-men auch bei gesunden, älteren Menschen mit einer Prävalenz von bis zu 7% vor; in populationsbasierten Studien wurden CMB bei durchschnittlich 70-Jährigen sogar in mehr als 20% nachge-wiesen (Greenberg et al. 2009). Bei Patienten mit primärer ICB finden sich CMB in 50–80% der Fälle. Ähnliche Prävalenzraten sind von Patienten mit mikroangiopathischen Hirninfarkten bzw. Läsionen bekannt, worin die Assoziation von vor allem im Bereich der Stammganglien lokalisierten CMB mit arterieller Hypertonie ihren Ausdruck findet. CMB mit überwiegend kor-tikaler Lokalisation werden auch bei CAA(. Abb. 42.56, bis zu 40%) und Morbus Alzheimer (27%) nachgewiesen (Koennecke 2006). Trotz der noch nicht eindeutig geklärten prädiktiven Be-deutung von CMB für Hirnblutungen kann es als wahrscheinlich gelten, dass CMB Indikatoren einer erhöhten zerebralen Blu-tungsneigung sind. Allerdings ist es nach dem gegenwärtigen

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Kenntnisstand noch nicht zu rechtfertigen, Diagnosen oder the-rapeutische Strategien (z. B. Antikoagulation oder thromboly-tische Behandlung) vom Nachweis zerebraler Mikroblutungen abhängig zu machen (Koennecke 2006; Greenberg et al. 2009).

Pathologie und Pathophysiologie

Häufigste Lokalisationen spontaner zerebraler Blutungen sind die telenzephalen Stammganglien (insgesamt 35–50%; allein Pu-tamen ca. 35%), gefolgt vom subkortikalen Marklager der Groß-hirnlappen (ca. 30%), Thalamus (10–15%) und Kleinhirn (7–10%), während pontine und andere Hirnstammblutungen sel-tener (ca. 5%) vorkommen. Eine Ausdehnung der Blutung in das Ventrikelsystem findet sich vor allem bei Blutungen von Thala-mus, Nucleus caudatus und Kleinhirn, aber ebenso bei medialen putaminalen Blutungen. Die meisten Hirnblutungen sind die Folge einer Ruptur kleiner penetrierender Arterien bzw. Arteri-olen. Bei den von Charcot und Bouchard bereits Mitte des 19. Jahrhunderts beschriebenen Mikroaneurysmen zerebraler Arteriolen, deren Ruptur lange für die wesentliche Blutungsquel-

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le von ICB gehalten wurde (sog. »Rhexisblutung«), handelt es sich wahrscheinlich eher um subadventitiale oder kleine extra-vasale Hämatome auf dem Boden einer chronischen, hyperten-siven Gefäßwandschädigung (Qureshi et al. 2001). Histopatho-logisch wurde ein ähnlicher Befund auch bei den bereits er-wähnten CMB nachgewiesen (Fazekas et al. 1999), was die Hy-pothese bestärkt, dass Mikroblutungen die Vorstufe einer ICB sind. Auch der CAA liegt eine zerebrale Mikroangiopathie mit Degeneration der arteriolären Gefäßwand zugrunde, was histo-pathologisch u. a. die Ausbildung von Mikroaneurysmen zur Folge hat, deren bildmorphologisches Korrelat wiederum die auch bei der CAA häufig nachweisbaren CMB sein könnten (Greenberg 2004; Koennecke 2006). Es liegt also nahe anzuneh-men, dass CMB die Folge unterschiedlicher Pathomechanismen sind, welche aber letztlich zu einer Schädigung der arteriolären Gefäßwand mit sowohl hämorrhagischen als auch ischämischen Konsequenzen führen.

Ausgehend von der Vorstellung eines primären Blutungs-herdes infolge der Ruptur einer vorgeschädigten Arteriole wurde

Abb. 42.56  68-jährige Patientin mit links frontaler, lobärer Blutung. In der MRT (T2*-Sequenz) Nachweis multipler, vorwiegend lobär lokalisierter Mikroblutungen (blaue Pfeile; nicht alle markiert), wie sie typischerweise bei 

. zerebraler Amyloidangiopathie vorkommen. Bei koinzidenter Hypertonie finden sich in Stammganglien und Marklager bzw. Capsula interna zudem lakunäre Läsionen (weiße Pfeile)

42.7 · Intrazerebrale Blutung

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Kapitel 42 · Vaskuläre Erkrankungen1156

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die Annahme entwickelt, dass es aufgrund der blutungsbedingten mechanischen Einwirkung (Scherkräfte) auf umliegende, eben-falls vorgeschädigte Gefäße kaskadenartig zu weiteren (sekun-dären) Rupturen mit konsekutiver Expansion der Blutung kommt. Dies steht im Einklang mit der Tatsache, dass – entgegen früheren Vorstellungen – ICB pathodynamisch kein monopha-sisches Ereignis sind. Vielmehr gilt mittlerweile als gesichert, dass bis zu 38% der ICB im Verlauf der ersten 3–5 Stunden um ca. ein Drittel größenprogredient sind (. Abb. 42.57; Kase et al. 2004), was mit erhöhter Morbidität und Mortalität sowie einem schlechteren funktionellen Outcome assoziiert ist (Brott et al. 1997; Davis et al. 2006). Neben der mechanischen Abscherung benachbarter Arteriolen tragen bei spontanen ICB vermutlich auch die Kompression venöser Gefäße mit konsekutiver Abfluss-störung, ein Zusammenbrechen der Blut-Hirn-Schranke sowie vorübergehende lokale Gerinnungsstörungen zur Progredienz der Blutung bei (Mayer et al. 2005). Auch wenn die Vorstellung einer periläsionellen Minderperfusion mit ischämischer Pe-numbra mittlerweile verlassen wurde, gibt es Hinweise aus tier-experimentellen und humanen Modellen, wonach inflammato-rische Prozesse, die vor allem die Folge der Gerinnungsaktivie-rung sind, zu sekundärer neuronaler Schädigung in der Umge-bung des Hämatoms führen (Mayer et al. 2005). Durch die Freisetzung osmotisch aktiver Serumproteine entsteht zudem früh ein Begleitödem, welches die raumfordernde Wirkung der ICB verstärkt (Qureshi et al. 2001).

Klinik und Verlauf

Prinzipiell sind die Symptome einer ICB niemals von denen eines Hirninfarktes zu unterscheiden, so dass zur Differenzierung in jedem Fall eine zerebrale Bildgebung erfolgen muss.

Die ersten Symptome eines zerebralen Hämatoms hängen, neben der Lokalisation, insbesondere von der Größe und der Dynamik seiner Ausbreitung ab. Zwar treten ICB im Vergleich zu Hirninfarkten häufiger im Zusammenhang mit starker kör-perlicher Anstrengung auf, insgesamt ereignen sich jedoch die

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meisten ICB während unspektakulärer, wenig anstrengender Ak-tivitäten des täglichen Lebens (Caplan 1994), allerdings eher sel-ten im Schlaf. Allgemeine Symptome umfassen Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, die insbesondere bei großen, mit er-höhtem intrakraniellem Druck einhergehenden Blutungen sowie Lokalisation in der hinteren Schädelgrube vorkommen. Wäh-rend vor Einführung der CT Kopfschmerzen als typisch für ICB galten, ist mittlerweile unstrittig, dass viele, wenn nicht gar die meisten Blutungen ohne Schmerzen einhergehen. Insbesondere bei kleineren, ausschließlich intraparenchymatösen ICB, die nicht zu einer Distension schmerzsensibler meningealer bzw. vaskulärer Strukturen oder einem Ventrikeleinbruch führen, fehlen Schmerzen meist ganz. Auch bei älteren Patienten mit größeren subarachnoidalen Reserveräumen sind Kopfschmerzen seltener (Caplan 1994).

Vor allem größere ICB gehen infolge des plötzlich erhöhten intrakraniellen Drucks, Kompression bzw. Distorsion thala-mischer Strukturen oder Affektion des aktivierenden retiku-lären Systems bereits initial mit einer Bewusstseinsstörung einher (Andrews et al. 1988). Zudem können im Verlauf vieler ICB vegetative Symptome wie Herzrhythmusstörungen, Hyper-ventilation und zentrales Fieber beobachtet werden (Mayer et al. 2005). Meningeale Reizphänomene deuten darauf hin, dass die Blutung Anschluss an das Ventrikelsystem oder den Subarach-noidalraum hat. Zu beachten ist auch, dass selbst Patienten ohne bekannte Hypertonie in der Akutphase sehr oft erhöhte Blut-druckwerte aufweisen.

In Analogie zu Hirninfarkten entwickeln sich die fokalen Symptome von ICB entsprechend der Blutungslokalisation, er-reichen jedoch ihr (nicht selten vorläufiges) Maximum meist binnen weniger Minuten. Da sich die Ausdehnung von ICB nicht an Gefäßterritorien orientiert, erlaubt die Symptomkon-stellation noch weniger als bei ischämischen Insulten eine loka-lisatorische Zuordnung. Häufigste Zeichen supratentorieller Blutungen sind sensomotorische Hemiparese, konjugierte kon-tralaterale Blickparese, Aphasie, homonyme Hemianopsie und

Abb. 42.57  a 2 Stunden nach einem fokalen Anfall Nachweis einer kleinen lobären Blutung. b 4 Stunden nach Aufnahme deutliche Zunahme der Blu-tung mit schwerer Hemiparese links.

a bb

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andere neuropsychologische Defizite. Vor allem bei lobären ICB mit Beteiligung des Kortex sind, anders als bei zerebralen Ischä-mien, epileptische Anfälle nicht selten und werden für bis zu ein Drittel der Patienten berichtet. Eine plötzliche Bewusstseins-trübung mit pathologischer Pupillo- und Okulomotorik, ausge-fallenem Cornealreflex, Dysarthrie und Tetraparese, teils mit Beuge- und Strecksynergien, deuten auf eine primäre Hirn-stammblutung bzw. eine Kompression des Hirnstamms bei infratentoriellen Blutungen hin. Bei zerebellären Hämorraghien imponieren eine ipsilaterale Ataxie mit Fallneigung, Augenbe-wegungsstörungen mit sakkadierter Blickfolge, Blickrichtungs-nystagmus und Schwindel.

Progredienz der klinischen Defizite innerhalb der ersten Stunden ist meist Folge einer Hämatomprogression, während eine Zunahme des perifokalen Hirnödems eher die Ursache ei-ner subakuten Verschlechterung des klinischen Befundes ein bis zwei Tage nach Störungsbeginn ist (Mayer et al. 2005). Bei etwa 25% der initial wachen Patienten ist innerhalb der ersten 24 Stun-den eine Vigilanzminderung festzustellen (Qureshi et al. 1995), was mit einer höheren Mortalität bzw. einem schlechteren funk-tionellen Outcome assoziiert ist.

Ein 67-jähriger Patient bemerkt plötzliche, unwillkürliche Zuckungen der linken Hand, die nach 10 Minuten spontan sistieren, jedoch eine leichte, armbetonte Hemiparese links hinterlassen und bei Aufnah-me als fokaler, motorischer Anfall interpretiert werden. Ursächlich findet sich eine kleine, kortikale Blutung rechts frontal lateral. Zwei Stunden nach der Aufnahme kommt es zu einer deutlichen Zunah-me der jetzt auch das linke Bein betreffenden Hemiparese. Im CT-Verlauf erhebliche Zunahme der lobären Blutung (. Abb. 42.57), de-ren wahrscheinliche Ursache in einer histopathologisch gesicherten CAA besteht.

Prognose

ICB haben insgesamt eine schlechtere Prognose als Hirninfarkte, bedingt vor allem durch die höhere Mortalität in der Akutphase. So liegt die Mortalitätsrate 6 Monate nach spontaner ICB zwi-schen 30% und 50%. Wesentliche Determinanten der Mortalität sind die Glasgow Coma Scale, Hämatomvolumen, Patientenal-ter, infratentorielle Blutungslokalisation und der Nachweis von Blut im Ventrikelsystem. Anhand dieser Merkmale lässt sich ein Punktwert errechnen, der eine prognostische Einschätzung in-nerhalb des ersten Monats erlaubt (. Tab. 42.24; Hemphill et al. 2001). Nicht überraschend sind ICB bei antikoagulierten Pati-enten durchschnittlich größer, vor allem wenn die INR bei Auf-nahme über 3,0 liegt, weshalb diese Blutungen eine entsprechend schlechtere Prognose haben (Berwaerts et al. 2000; Flaherty et al. 2008). Etwa die Hälfte aller Todesfälle ereignet sich als direkte Folge der Blutung in den ersten zwei Tagen. Später wird die Le-talität meist durch sekundäre medizinische Komplikationen bedingt (Hemphill et al. 2001). Von den Überlebenden sind ca. zwei Drittel nach einem Jahr funktionell unabhängig (Juvela 1995). In einer retrospektiven Untersuchung von Langzeitüber-lebenden war das Sterberisiko nach ICB im ersten Jahr nach der Blutung 4-fach höher als in einer Gesamtpopulation gleichen Alters und Geschlechts. Später sinkt das Risiko wieder ab, und 6 Jahre nach dem Blutungsereignis gibt es vermutlich keine Un-

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terschiede mehr zur Gesamtpopulation (Fogelholm et al. 2005). Auch im Vergleich zu Hirninfarkten scheint sich die Lang-zeitüberlebensrate von ICB nicht wesentlich zu unterscheiden (McGuire et al. 2007).

Anders als bei ischämischen Schlaganfällen ist das Rezidivri-siko von ICB weniger gut untersucht.Die Studienergebnisse hier-zu sind relativ heterogen und liegen zwischen Null und 24%, wobei überwiegend Rezidivraten zwischen 3% und 8%berichtet werden (Hanger et al. 2007). Ursache dieser Heterogenität sind vor allem unterschiedliche Kriterien in der Patientenrekrutie-rung, verschieden lange Beobachtungsintervalle sowie unter-schiedliche Anteile eingeschlossener Patienten mit bestimmter Blutungslokalisationen. So haben etwa Patienten mit lobären Blutungen und genetischen Merkmalen, die häufige(wenn auch nicht spezifische) Kennzeichen einer CAA sind, ein besonders hohes Rezidivrisiko mit einer kumulierten Rate von 21% in zwei Jahren (O’Donnell et al. 2000).

Tab. 42.24  Punkteskala zur prognostischen Einschätzung zerebraler Blutungen. (Nach Hemphill et al. 2001; mod. nach Koennecke u. Kauert 2007)

.

Merkmal Punktwert

Glasgow Coma Scale (Punkte)

 3–4 2

 5–12 1

 13–15 0

Volumen der Blutung (ml)

 ≥30 1

 <30 0

Ventrikeleinbruch

 Ja 1

 Nein 0

Patientenalter (Jahre)

 ≥80 1

 <80 0

Infratentorielle Blutung

 Ja 1

 Nein 0

Gesamtpunktzahl Mortalität nach 30 Tagen (%)

≥5 100

4 97

3 72

2 26

1 13

0 0

42.7 · Intrazerebrale Blutung

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Kapitel 42 · Vaskuläre Erkrankungen1158

42

DiagnostikAnamnese und klinisch­neurologische Untersuchung

Bei den meisten Patienten treten die Symptome einer ICB abrupt auf, so dass sie als medizinischer Notfall zur Aufnahme gelangen. Die Anamneseerhebung bei den oft schwerkranken Patienten muss initial aus Zeitgründen meist auf das Wesentliche be-schränkt bleiben, sollte aber in jedem Fall die Fragen nach einem stattgehabten Schädeltrauma, prädisponierenden Erkrankungen bzw. Risikofaktoren, antithrombotischer Therapie (vor allem Antikoagulation) und Drogenmissbrauch beinhalten. Die kli-nisch-neurologische Untersuchung hilft zwar bei der Lokalisati-on der Störung, kann jedoch keine Aussagen zu Ätiologie und Pathogenese machen. Zu Letzterer kann eher die allgemeine me-dizinische Untersuchung beitragen, wenn sich etwa Hinweise auf eine Lebererkrankung mit konsekutiver, hämorrhagischer Dia-these finden. Einen für die ICB pathognonomischen klinischen bzw. neurologischen Befund gibt es jedoch in keinem Fall! Ins-besondere eine Abgrenzung zum Hirninfarkt ist nicht möglich. Das Notfalllabor dient vor allem zum Nachweis von Gerin-nungstörungen, unterscheidet sich aber nicht von dem bei ischä-mischen Insulten.

Kranielle und vaskuläre Bildgebung

Bei Verdacht auf eine intrazerebrale Blutung ist die native zere-brale Computertomographie (CCT) Notfalluntersuchung der Wahl. Sie differenziert einerseits klar vom Hirninfarkt und de-monstriert andererseits Größe und Lokalisation der Blutung. Die dabei erlangten Informationen sind fast immer ausreichend, um wesentliche therapeutische Entscheidungen bereits in der Akut-phase treffen zu können. Zusätzlich ergeben sich auch schon in der nativen Untersuchung häufig Hinweise auf strukturelle An-omalien wie Aneurysmen, arteriovenöse Malformationen oder Neoplasien als Ursache einer symptomatischen Blutung. Auch prädisponierende Veränderungen, etwa eine schwere zerebrale Mikroangiopathie bei hypertensiven Blutungen, und frühe Kom-plikationen wie Herniationen, Ventrikeleinbruch und Liquorzir-kulationsstörungen werden im CCT sicher erkannt. Inzwischen ist aber auch unstrittig, dass bei Anwendung eines multimodalen Untersuchungsprotokolls die MRT eine hyperakute Blutung ebenso zuverlässig wie das CCT nachweisen kann. Dabei zeigen insbesondere die sog.T2*- und Fluid­attenuation­inversion­re­covery-(FLAIR-)Sequenzen eine hohe Sensitivität für Blutungen (Schellinger et al. 1999; Kidwell et al. 2004). Vorteil der CCT gegenüber der MRT ist allerdings ihre höhere Praktikabilität, da die häufig schwer betroffenen Patienten in der Akutphase oft nicht MRT-fähig sind.

Bei (unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils) untypischer Lokalisation der Blutung oder fehlenden Risikofak-toren, insbesondere in jüngerem Lebensalter, ist eine weitere Ab-klärung erforderlich, um ggf. einen neurochirurgischen oder endovaskulären Interventionsbedarf zu klären. Dies gilt insbe-sondere für symptomatische Blutungsursachen wie Aneurysma, arteriovenöse Malformation und durale AV-Fistel. Diese lassen sich bereits in der Frühphase meist mit der MR- oder CT-Angio-graphie (MRA, CTA) nachweisen. Eine digitale Subtraktions-angiographie (DSA) ist unter Notfallbedingungen nur noch sel-ten notwendig. Zusammengefasst kann festgehalten werden,

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k

dass bei Patienten über 45 Jahre mit koinzidenter Hypertonie und typischer Blutungslokalisation (Stammganglien, hintere Schädelgrube) meist keine weitere Diagnostik zum Ausschluss einer symptomatischen Ursache erforderlich ist. Demgegenüber ist vor allem bei jüngeren (bis 45 Jahre), normotensiven Pati-enten mit ICB jeglicher Lokalisation eine symptomatische Ursa-che wahrscheinlich und entsprechende Diagnostik zu veranlas-sen, ebenso bei Patienten mit primär intraventrikulärer ICB (Zhu et al. 1997; Broderick et al. 1999). Zeitpunkt und Technik der weiteren Evaluation hängen vom klinischen Zustand des Pati-enten und der Dringlichkeit einer etwaigen Intervention oder Operation ab.

Das typische Bild einer ICB im CCT ist die deutlich hyper-dense Raumforderung (. Abb. 42.54), bedingt durch die im Rah-men der Blutgerinnung erfolgende Aggregation von Erythro-zyten mit Verdichtung der im Hämoglobinmolekül enthaltenen Eisenatome und konsekutiver verstärkter Abschwächung der Röntgenstrahlung, welche im CCT hyperdens kodiert wird. Bei einem Hämoglobinwert unter 8–9 g/dl kann die Blutung aller-dings isodens zum Hirnparenchym sein. Auch bei ICB infolge einer Antikoagulation oder thrombolytischen Therapie stellen sich die Blutungen oft weniger hyperdens und mit einem Flüssig-keitsspiegel dar (. Abb. 42.58). Ein subakut (3–6 Wochen nach dem Ereignis) durchgeführtes CCT mit Kontrastmittel weist oft eine Schrankenstörung auf, die einer tumorösen Raumforderung ähnelt und somit Anlass zu einer falschen Einordnung der Blu-tungsursache geben kann (. Abb. 42.59) weshalb in dieser Phase vorzugsweise die MRT eingesetzt werden sollte.

In jüngerer Zeit konnten in der akut durchgeführten CTA prädiktive Befunde für eine Hämatomexpansion nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich um punktförmige Kontrastmittel-extravasate innerhalb der Blutung (sog. spot sign, . Abb. 42.60), deren Nachweis mit einer Progression der ICB assoziiert ist (Wada et al. 2007; Delgado Almandoz et al. 2009).

Sieht man bei untypischer Hämatomlokalisation im Akut-CT zusätzlich subarachnoidales Blut in den basalen Zisternen, muss an eine aneurysmatische Blutung gedacht werden. Dies gilt insbesondere für perisylvische ICB, bei denen der subarachnoi-dale Blutungsanteil sehr gering sein oder ganz fehlen kann, die aber dennoch den Verdacht auf die Blutung aus einem Aneurys-ma der A. cerebri media lenken sollten. Hier ist die Durchfüh-rung einer CTA oder MRA in vielen Fällen ausreichend, da diese Aneurysmen ab einer Größe von 5 mm mit hoher Sensitivität nachweisen können (Kouskouras et al. 2004) und in der MRT thrombosierte Aneurysmen möglicherweise besser zur Darstel-lung kommen.

Die MRT ist die beste Technik zum Nachweis von Gefäßmal-formationen mit langsamem Fluss (vor allem Kavernome), aber auch hämorrhagischer Tumoren und anderer Gefäßerkran-kungen. Darüber hinaus gelten CTA oder MRA als die Methoden der Wahl, wenn eine zerebrale Sinus- oder Venenthrombose als die Ursache einer ICB vermutet wird. Bei akuten größeren Blu-tungen gilt es zu beachten, dass die Hämodynamik insbesondere von AVM sich infolge des raumfordernden Effektes so verändern kann, dass der Nachweis mit keiner der genannten Techniken gelingt und die entsprechende Diagnostik zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden muss.

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Abb. 42.58  Rechts parietale Blutung 6 Stunden nach systemischer Throm-bolyse. Typische Spiegelbildung aufgrund der lyseinduzierten Gerinnungs-störung. Nebenbefundlich alter, hochokzipitaler Infarkt links. (Aus Koennecke u. Kauert 2007, mit freundlicher Genehmigung des Thieme-Verlags) 

.

Abb. 42.59  62-jährige Paientin. Stationäre Aufnahme nach Anfallserie. Obere Reihe: Subakute, 2–3 Wochen alte, rechts parietookzipitale Blutung im nativen (links) und KM-gestützten (rechts) CCT. Letzteres zeigt eine ange-deutet ringförmige KM-Anreicherung, bei der differenzialdiagnostisch auch an einen Tumor oder Abszess zu denken ist. Untere Reihe (MRT): Natives T1-

. Bild (links) und T2-Sequenz (rechts) belegen die lobäre Blutung, welche in T2 einen dunklen Hämosiderinring aufweist. Nebenbefundlich paramedi-anes, kortikales Ödem (Pfeile) als Folge wiederholter, rechts-hemisphärieller Anfälle; im Verlauf komplett regredient

Abb. 42.60  Quellbild einer KM-gestützten CT-Angiographie bei großer temporaler Blutung rechts mit kleiner Anreicherung, sog. »spot sign« (Pfeil), welches sich häufig bei im Verlauf größenprogredienten Blutungen findet

.

42.7 · Intrazerebrale Blutung

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Kapitel 42 · Vaskuläre Erkrankungen1160

42

Die zum Nachweis von Blutungen jeglichen Alters empfind-lichste MRT-Sequenz ist die Gradientenecho- oder T2*-Sequenz. Damit können auch subakute ICB und chronische Hämorrha-gien noch Jahre nach dem Ereignis nachgewiesen werden, da bereits geringe Inhomogenitäten des lokalen Magnetfeldes, wie sie durch kleinste Blutungen und ihre Abbauprodukte hervorge-rufen werden (. Abb. 42.56), als Signalauslöschung sichtbar wer-den (Atlas et al. 1988). Dabei ist die Signalauslöschung immer größer ist als die eigentliche Blutung, was in der Therapieplanung berücksichtigt werden muss.

Von wesentlicher Bedeutung sind blutsensitive MRT-Sequen-zen bei der Detektion von ICB auf dem Boden eines Kavernoms. Dabei handelt es sich um kleine, dicht aneinanderliegende, vasku-läre Kanäle unterschiedlicher Dicke, die durch ein Fehlen elas-tischer Fasern und glatter Muskulatur sowie dazwischenliegender neuronaler oder glialer Strukturen charakterisiert sind. Da es zu-dem keine eigentlichen zu- oder abführenden Gefäße gibt, werden sie zu den Malformationen mit langsamem Fluss gezählt, die sich einer Darstellung in der DSA entziehen (Martin et al. 1984). Die Prävalenz beträgt ca. 0,5%, und man unterscheidet sporadische von familiären Formen, wobei Letztere genetisch determiniert sind. Die Bedeutung der MRT ergibt sich aus der Tatsache, dass beide Varianten häufig (sporadisch 33%, familiär 75%) mehrere Läsionen aufweisen, die dann im MRT detektiert werden (. Abb. 42.61) und die pathogenetische Zuordnung der ICB erleichtern (Labauge et al. 2000). Auch bei älteren Patienten mit lobärer Blu-tung kann die MRT mittels der T2*-gewichteten Sequenzen wich-tige ätiologische Hinweise geben, da diese oft die Residuen älterer kortikaler und subkortikaler ICB zeigen, welche typisch sind für eine zugrundeliegende CAA (van Straaten et al. 2004).

TherapieAllgemeine Maßnahmen

Obwohl sich die Pathophysiologie zerebraler Hämorrhagien von der ischämischer Insulte deutlich unterscheidet und kontrollierte Studien zum Nachweis einer Wirksamkeit allgemeiner Maßnah-

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men meist fehlen, wird auch bei ICB davon ausgegangen, dass sich Monitoring und Modifikation von Parametern wie Blut-druck, Körpertemperatur und Blutzucker positiv auf das funkti-onelle Outcome auswirken (Mayer et al. 2005). Deshalb sollten auch Patienten mit ICB, sofern sie nicht intensivpflichtig sind, auf einer Stroke Unit behandelt werden, zumal dies nachweislich die Prognose verbessert (Candelise et al. 2007; Terént et al. 2009).

Bei Patienten, die bereits in der Akutphase mit einer Be-wusstseinstrübung zur Aufnahme gelangen, muss immer mit einer weiteren Verschlechterung des Zustandes und damit auch Ausfall der Schutzreflexe zur Sicherung der Atemwege gerechnet werden. Diese Patienten sollten daher primär intensivmedizi-nisch überwacht, und die Entscheidung zur Intubation sollte nicht verzögert werden. Durch die endotracheale Beatmung be-steht zudem die Option, einer akuten Steigerung des intrakrani-ellen Drucks mittels Hyperventilation zumindest vorübergehend entgegenzuwirken (Mayer et al. 2005).

Erhöhter Blutdruck in der Akutphase ist ein häufiges Phäno-men bei Patienten mit ICB, jedoch, ebenso wie bei Hirninfarkten, keinesfalls immer Ausdruck einer zugrunde liegenden Hyperto-nie. Initial hohe Blutdruckwerte gelten allerdings als wesentlicher Prädiktor einer klinischen Verschlechterung und Zunahme der Hämatomgröße (Willmot et al. 2004). Demzufolge wird meist eine konsequente Senkung hoher Blutdruckwerte bei Patienten mit akuter ICB empfohlen (Broderick et al. 1999). Für ein solches Vorgehen sprechen die Ergebnisse einer randomisierten Studie an über 400 Patienten, die erste Hinweise auf den positiven Effekt einer raschen Senkung des systolischen Blutdrucks in der Akut-phase auf Werte ≤140 mmHg geben (Anderson et al. 2008). Für Patienten mit vorbestehender Hypertonie wird derzeit empfoh-len, den systolischen Druck ab 180/105 mmHg auf unter 170/100 mmHg zu senken; bei zuvor normotensiven Patienten ist ab 160/90 mmHg eine Senkung auf Werte unter 150/90 mmHg anzustreben. Besteht die Möglichkeit zur intrakraniellen Druck-messung, sollte der zerebrale Perfusionsdruck (= mittlerer arteri-

Abb. 42.61  MRT (T2*-Sequenz) mit Nachweis multipler, kleiner Kaver-nome (Pfeile) sowie rechts frontales Kavernom mit etwas größerer, älterer Blutung. Die größere Läsion trägt zur Abgrenzung gegenüber zerebralen 

. Mikroblutungen bei. (Aus Koennecke u. Kauert 2007, mit freundlicher Ge-nehmigung des Thieme-Verlags)

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eller Druck minus intrakranieller Druck) über 70 mmHg liegen. Zur Senkung hypertensiver Werte sind intravenös gut steuerbare Medikamente wie Urapidil oder Clonidin einzusetzen, wobei die Blutdruckmessung idealerweise intraarteriell erfolgt (Steiner et al. 2008). Zur Behandlung nicht geeignet ist Nitroprussid, da es aufgrund seiner vasodilatatorischen Wirkung den intrakraniellen Druck zusätzlich erhöhen kann (Mayer et al. 2005).

Aufgrund des offensichtlich negativen Effektes auf das kli-nische Outcome (Leira et al. 2004) ist Fieber bei Patienten mit ICB ebenfalls konsequent zu behandeln. Insbesondere bei Aus-dehnung der ICB nach intraventrikulärsteigtdie Wahrscheinlich-keit einer Hyperthermie. Auch wenn es keine Evidenz aus pro-spektiven Interventionsstudien gibt, sollte ab einer Temperatur ≥37,5° C rasch eine Behandlung mit dem Therapieziel »Normo-thermie« eingeleitet werden. Mittel der Wahl ist aufgrund seines günstigen Nebenwirkungsprofils Paracetamol (z. B. 4 g/Tag), reicht dies nicht aus, kann auch Metamizol (cave: Gefahr der Agranulozytose) verabreicht werden. Bei anhaltendem Fieber können zudem physikalische Maßnahmen wie Kühldecken oder endovaskuläre Kühlungskatheter eingesetzt werden (Mayer et al. 2005). Der Nutzen einer induzierten, moderaten Hypothermie (32–33°C) ist angesichts der relativ häufigen Nebenwirkungen (Herzrhythmusstörungen, Pneumonie, Thrombopenie, Re-bound-Ödem) fraglich.

Diabetes mellitus, aber auch die Hyperglykämie bei nichtdi-abetischen Patienten, sind in der Akutphase einer ICB mit hö-herer Sterblichkeit assoziiert (Passero et al. 2003). Zwar ist in Ermangelung entsprechender Studien keine Empfehlung zur Therapie einer Hyperglykämie bei akuter ICB möglich, basie-rend auf den vorgenannten Daten erscheint es jedoch gerechtfer-tigt, Werte über10 mmol/l rasch und ggf. unter vorübergehendem Einsatz von Insulin auch beim Nichtdiabetiker zu behandeln.

Immobilisation bei Hemiparese führt bei Patienten mit ICB zu einem hohen Thrombose­ und Lungenembolierisiko, wes-halb frühzeitig präventive Maßnahmen erforderlich sind. Neben dem Anlegen von Kompressionsstrümpfen ist ab dem 2. Tag auch die Behandlung mit niedrig dosierten Heparinen (2-mal 5000 U/Tag unfraktioniertes Heparin oder low-dose-niedermo-lekulare Heparine) angezeigt, da dies offenbar nicht mit der Ge-fahr einer Zunahme der ICB assoziiert ist (Mayer et al. 2005).

Die initiale Ausdehnung vor allem größerer ICB verursacht auch bei supratentoriellen Hämorrhagien einen raschen Anstieg des intrakraniellen Drucks mit konsekutiver Bewusstseinsstö-rung, zu der darüber hinaus der raumfordernde Effekt des im Verlauf zunehmenden perifokalen Ödems beiträgt. Finden sich dabei klinische und bildmorphologische Hinweise auf eine obe-re, mesenzephale Einklemmung, ist (unter Berücksichtigung der Gesamtsituation) sofortiges Handeln erforderlich, schon um ggf. Zeit für die Entscheidung über eine neurochirurgische Interven-tion zu gewinnen. Neben der Hochlagerung des Kopfes um 30° werden die rasche Infusion von 20%-igem Mannitol (0,75–1 g/kg KG als Bolus, danach Infusion von 0,25–0,5 g/kg KG alle 3–6 Stunden; Ziel: Serumosmolalität 300–320 mOsml/l) und eine Hyperventilation mit einem Ziel-pCO2 von ca. 30 mmHg emp-fohlen (Mayer et al. 2005; Steiner et al. 2008). Beide Maßnahmen sind jedoch nur für die akute Krisenintervention geeignet, da ihre Wirkung nur kurz vorhält (Hyperventilation) bzw. ein län-

gerer (i. e. mehrtägiger) Einsatz aufgrund potenzieller Neben-wirkungen (Mannitol) limitiert wird. Kontraindiziert sind Kor-tikosteroide, da sie keinen positiven Effekt haben, aufgrund ihrer potenziellen Nebenwirkungen (Hyperglykämie, Immunsuppres-sion, Wundheilungsstörungen) die Prognose jedoch verschlech-tern können (Poungvarin et al. 1987). Allgemein richtet sich die Hirndrucktherapie bei ICB nach den Empfehlungen bei anderen Erkrankungen mit intrakranieller Drucksteigerung.

Spezielle Therapie

Vorgehen bei antikoagulierten Patienten Mehr als 10% aller ICB ereignen sich bei antikoagulierten Patienten (Kase et al. 2004). Bereits in den letzten 20 Jahren hat der Anteil antithrombotika-induzierter ICB deutlich und vor allem bei Älteren zugenommen (Lovelock et al. 2007). Aufgrund der künftig steigenden – weil altersabhängigen – Prävalenz nichtrheumatischen Vorhofflim-merns (VHF), der häufigsten Indikation für die orale Antikoa-gulation (OAK), wird auch die Inzidenz OAK-induzierter ICB weiter steigen. Orale Antikoagulanzien erhöhen die Wahrschein-lichkeit einer Vergrößerung der Blutung, vor allem bei einer INR >3,und verdoppeln bis verdreifachen die Mortalität (Flibotte et al. 2004; Flaherty et al. 2008).

Basierend auf diesen Daten besteht, trotz des Fehlens diesbe-züglich evidenzbasierter Behandlungsrichtlinien allgemeiner Konsens, dass eine Normalisierung der Gerinnungsparameter bei diesen Patienten umgehend erfolgen muss (Steiner et al. 2008). Die alleinige Verabreichung von Vitamin K ist hierzu keinesfalls ausreichend, da ein relevanter Effekt auf die INR viel zu spät (oft erst nach Tagen) eintritt. Eine Zunahme der Hämatomgröße wur-de in einer allerdings retrospektiven Untersuchung nach Verabrei-chung von Prothrombinkomplex-Konzentrat (PTK) im Vergleich zu Frischplasma (FFP) seltener beobachtet (Huttner et al. 2006). FFP haben zudem den Nachteil, dass ihr Anteil an Gerinnungsfak-toren relativ gering und in Abhängigkeit vom Spender(mehr noch als bei PTK) unterschiedlich ist, was aufgrund der deshalb oft hö-heren Volumenbelastung bei Patienten mit kardialer oder renaler Vorerkrankung problematisch sein kann (Mayer et al. 2005). Die Gabe von rekombinantem Faktor VIIa (rFVIIa) führt binnen we-niger Minuten zu einer Normalisierung der INR,ein positiver Ef-fekt auf die Prognose OAK-assoziierter Blutungen muss jedoch noch mittels prospektiver Studien überprüft werden. Ereignet sich eine ICB unter Therapie mit unfraktioniertem Heparin, ist Prota-min Mittel der Wahl (bei i.v.-Gabe langsame Applikation; cave: Hypotension, Anaphylaxie), zur Antagonisierung von niedermo-lekularen Heparinen kann die Gabe von Gerinnungsfaktoren hilf-reich sein (Mayer et al. 2005).

Nach einer intrakraniellen Blutung gilt die Behandlung mit Antithrombotika – insbesondere eine OAK – meist als kontrain-diziert. Bei hohem Thrombose- oder Embolierisiko, z. B. mecha-nischer Herzklappe, ist eine Fortsetzung der Antikoagulation jedoch unumgänglich. Während der blutungsbedingten Zwangs-pause von 2–3 Wochen sind embolische Komplikationen selbst bei Patienten mit mechanischem Herzklappenersatz offenbar selten (Ananthasubramaniam et al. 2001), und das Risiko einer erneuten intrakraniellen Blutungscheint nach Fortsetzung der Antikoagulationbei diesen Patienten ebenfalls gering zu sein (Leker u. Abramsky 1998).

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42.7 · Intrazerebrale Blutung