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nr. 3/2010 Kambodscha: Das Land wird ausverkauft Weltwärts: Die ersten Freiwilligen reisen aus Kolumbien: Mütter kämpfen um Gerechtigkeit

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nr. 3/2010

Kambodscha: Das Land wird ausverkauft

Weltwärts: Die ersten Freiwilligen reisen aus

Kolumbien: Mütter kämpfen um Gerechtigkeit

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22 Auf nach Ruanda, Indien oder MexikoBei MISEREOR hat das

„weltwärts“-Programm begonnen

24 Lebensbedingungen im SlumSokey A. Edorh hat das neueMISEREOR-Hungertuch gestaltet

MISEREOR aktuell 3/2010

impressum

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Inhalt

3 Auf ein Wort

4 Reportage Kolumbien: Die starken Mütter von Soacha

10 Interview: Township und Tafelberg, eine Spenderreise nach Südafrika

12 Kurznachrichten

14 Reportage Kambodscha: Land und Wald im Ausverkauf

20 Portrait: Hart am Wind – Aachener Friedenspreisträger Marco Arana

21 Stichwort Ernährung: Eine Frage der Verteilung

22 Feature: Sophie träumt schon von Ruanda

24 Inland: Der Mensch im Slum

25 Rechenschaft: Der Jahresbericht 2009

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14 Geschäftsidee „land grabbing“Das arme Kambodschaexportiert Nahrungsmittel

Herausgeber: Bischöfliches HilfswerkMISEREOR e.V.

Redaktion:Michael Mondry (verantw.)Dr. Kerstin BurmeisterDaniela Singhal

Grafische Gestaltung:Anja Hammers/MISEREOR

Druck und Vertrieb:MVG Medienproduktion undVertriebsgesellschaft, Aachen

Papier:MISEREOR aktuell80% Recycling-Papier

Erscheinungsweise:4 x jährlich

Redaktionsschluss:16. 7. 2010

ISSN 0942–2269

G 5256 F

Zuschriften an: MISEREOR aktuellMozartstraße 952064 [email protected]

Titelbild:Florian Kopp/MISEREORDona Jeimi, Frau einesOpfers außergerichtlicherHinrichtungen.

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auf ein wort

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entstand. Schließlich wurde er vom damaligenUN-Generalsekretär Kofi Annan in New York emp-fangen. Und die UN entschied, 16.000 Soldatenzu entsenden, um den Friedensprozess massivdurchzusetzen.

Ist es nicht eigenartig: Ein Bischof, der so ent-schieden in seinem Land und international zumSprachrohr gegen die Menschenrechtsverletzun-gen und für den Frieden geworden war, erlitteinen Schlaganfall und verstummte, als es wiederFrieden in seinem Land wurde.

MISEREOR hat Erzbischof Francis und die Kir-che in Liberia während all der Kriegsjahre ganzentscheidend unterstützt. Was Kirche und kirchli-che Entwicklungszusammenarbeit zu leisten ver-mag, zeigt sich besonders in solchen Extremsitua-tionen. Kirche zieht sich ja in Kriegszeiten nichteinfach – wie ausländische Entwicklungshelfer –zurück. Bischöfe, Priester, Ordensschwestern undengagierte Laienmitarbeiterinnen und -mitarbei-ter sind und bleiben an der Seite der Leidendenund Verfolgten. Dort, wo die Menschenrechte,das Recht auf Leben, mit Füßen getreten werden,ist Kirche präsent und es zeigt sich, wie wertvolldie Arbeit von MISEREOR vor Ort ist.

Wenn auch Erzbischof Michael Francis selbstnicht mehr sprechen kann, so ist doch unserefreundschaftliche Beziehung tiefer denn je: ich er-zähle ihm von unseren vielen Begegnungen. Beijeder dieser Stationen überzieht ein Lächeln undStrahlen sein Gesicht. Tränen rinnen ihm aus denAugen. Er versucht zu sprechen. Indem er seinelinke Hand an die Lippen führt, gibt er zu verste-hen, dass dies nicht gelingt. Die prophetische Ge-stalt der Kirche und Gesellschaft Liberias ist zwarverstummt. Erzbischof Francis ist aber zu der zen-tralen Symbolfigur des Friedensprozesses gewor-den. Seinem Lebenszeugnis verdankt MISEREORentscheidende Impulse. Dafür danken wir ihmund Gott, dass er solche prophetischen Gestaltenauch heute in seiner Kirche erweckt.

Prof. Josef Sayer,Hauptgeschäftsführer von MISEREOR

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Zu Besuch beiErzbischof Francis in Liberia

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Eigentlich hatten wir uns das ganz anders vor-gestellt: Erzbischof Francis hatte mich eingela-den, zur Bischofskonferenz der Bischöfe Liberiaszu kommen. Ich sollte ihm einen Termin für einenBesuch in seinem Land nennen, und er würdedann die Bischöfe zur Konferenz zusammenrufen.Nun saß ich ihm gegenüber und hielt seine linkeHand. Ja, es war plötzlich ganz anders gekom-men. Erzbischof Francis erlitt einen Gehirnschlag.Mit Mühe und Not überlebte er. Er ist an den Roll-stuhl gebunden und kann nicht mehr sprechen,lediglich seinen linken Arm bewegen …

Von 1989 bis 2003 war Liberia eines der ge-schundensten Länder Afrikas. Ein furchtbarer in-terner Krieg suchte das Land heim. Um seine poli-tische und wirtschaftliche Macht – auch mit „Blut-diamanten“ – zu steigern, schreckte der WarlordTaylor selbst davor nicht zurück, mehrere 10.000

Kindersoldaten zu rekrutieren, Kinder zum Tötenabzurichten. Der Krieg war äußerst grausam. Beiden Streifzügen marodierender Soldaten wurdenungezählten Menschen Hände, Arme und Füße mitMacheten abgehackt. Auf etwa 200.000 Tote schätztman die Bilanz dieses schrecklichen Krieges.Zwei Drittel der Bevölkerung waren auf der Flucht.

In all den furchtbaren Kriegswirren hatte Erzbi-schof Francis eine ganz herausragende Rolle ge-spielt: Seine Solidarität reichte bis dahin, seinLeben an der Seite der Menschen zu riskieren.Mehr noch. Obwohl die katholische Kirche gerademal etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus-macht, war er die zentrale und einzigartige Per-sönlichkeit, die im In- und Ausland anklagendund furchtlos die Stimme erhob. Er versuchte zuvermitteln, brachte Kriegskontrahenten an einenTisch. Er schaffte es auch, Mitgliedern des Senatsund Re präsentantenhauses der USA ins Gewis-sen zu re-den und sie an wichtige geschichtlicheBezüge zwischen den USA und Liberia zu erin-nern, als nämlich freigelassene US-Sklaven nachLiberia verbracht wurden und so der Staat Liberia

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Die starken von Soachavon SoachaDie starken

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Mütter

Soacha liegt am ausgefransten Ende von Kolumbiens

Hauptstadt Bogotá. Hier münden die bequemen, geteerten

Straßen der Acht-Millionen-Metropole in steile Schotterpi-

sten und tiefe Schlammpfützen. Es regnet ununterbrochen

an diesem Morgen, die Autos quälen sich durch dichten

Verkehr und Schlaglöcher. Die undichten Scheiben in dem

Backsteinhaus halten das Hupen der Lastwagen nicht ab,

das durch die engen Straßen nach oben dringt. An den fünf

Frauen aber, die im Halbkreis an der Wand sitzen, perlt der

Lärm ab. Als Mütter, Schwestern und Ehefrauen bringen sie

die Erinnerung an ihre Angehörigen auf Plakaten mit sich:

Mario Alexander Arenas, Julián Oviedo Monroy, Jaime Este-

vien Valencia Sanabria, Victor Fernando Gómez – ver-

schleppt, gefoltert und ermordet für eine gute Kriegsbilanz.

Eine Reportage von Michael MondryFotos: Florian Kopp

MütterIn Kolumbienleidet die Bevölkerungnoch immerunter der Gewalt

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Mit einem Tag Autowaschen hatte Victor Fer-nando Gómez gerade 12.000 Pesos verdient, vier-einhalb Euro. Und es seiner Mutter gegeben fürein besseres Haus. Nach der Schule leistete der23-Jährige seinen Wehrdienst ab. Einen Job fander nicht in Soacha, der trostlosen Kleinstadt imSüden Bogotás. Einen Tag später, am 23. August2008, war Victor verschwunden. Man habe ihmeinen gut bezahlten Job im Norden angeboten, er-fuhr die verstörte Mutter. Zwei Wochen späterwird die Vorahnung zur Gewissheit: Victor ist tot,liegt in einem Massengrab bei Ocaña, 600 Kilo-meter von seiner Heimat entfernt. „Ich bin mitdem Bus nach Ocaña gefahren. Die dortige Ge-richtsmedizin hat mir ein Foto von meinem Sohngezeigt. Er hatte neun Einschüsse im Körper, eineKugel hatte ihn zwischen die Augenbrauen getrof-fen. Sie haben gesagt, dass er in einem Gefechtin den Reihen der linken FARC-Guerilla gefallenist.“ Carmenza Gómez leiht sich Geld, mieteteinen Leichenwagen und überführt ihren Sohnnach Soacha. Dort werden bald weitere Fälle be-kannt. Elf junge Männer sind verschwunden undtauchen in Ocaña wieder auf. Sie tragen Guerilla-Uniformen über den von Kugeln durchsiebten Kör-pern – der Stoff ist unbeschädigt. Die Gummistie-fel sind ihnen zu groß. Linkshänder tragen dieWaffen in der rechten Hand, Funkgerät und Hand-granate liegen wie hindrapiert.

Der Skandal um die „falsos positivos“

Alle Geschichten zeigen dasselbe perfide Grund-muster. „Wie kann es sein, dass mein Sohn inner-halb von zwei Tagen zu einem Guerillero wird? Siehaben ihn in die Irre geführt“, erzählt die 54-Jähri-ge. Gemeinsam mit den anderen sogenannten„Müttern von Soacha“ geht Carmenza an die Öf-fentlichkeit und löst den Skandal um die soge-nannten „falsos positivos“, die „falschen Gefalle-nen“ aus. Ermittlungen ergeben, dass sich dieFälle der Verschleppungen und Hinrichtungen ab

„Wie kann es sein,dass mein Sohninnerhalb von zwei Tagenzu einem Guerillero wird?“

Carmenza Gómez,Mutter aus Soacha

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2004, zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Präsi-dent Álvaro Uribe, in ganz Kolumbien wie ein töd-licher Virus verbreiten. 2.300 Fälle sind inzwi-schen von der Staatsanwaltschaft ermittelt, 3.000

Fälle von Menschenrechtsgruppen dokumentiert.Bekannt ist, dass 125 Opfer minderjährig waren.Die Dunkelziffer muss weit höher sein. Viele Fami-lien trauen sich nicht, das Verschwinden ihrer An-gehörigen anzuzeigen. Bekannt ist auch, dass esab 2004 unter Verteidigungsminister Juan ManuelSantos für das Militär ein Kopfgeld für „erlegte“Guerilleros gab, in Form von Sonderzahlungen,Extraurlaub oder Beförderungen. Der „Politik derdemokratischen Sicherheit“ von Präsident Uribedienen die systematischen Hinrichtungen als sta-tistischer Beleg für einen erfolgreichen Feldzuggegen die FARC. Nach Bekanntwerden der Fällevon Soacha geht Verteidigungsminister Santos indie Offensive, drei Generäle werden entlassen, 24

Soldaten suspendiert. Verändert hat das wenig:Viele Verfahren werden bis heute verschleppt; 29

Verdächtige im Fall Soacha kamen wieder auffreien Fuß; Entschädigungen für die Familien derOpfer hat es nicht gegeben; Verteidigungsminis-ter Santos ist Álvaro Uribe inzwischen auf denPräsidentenposten gefolgt.

Drohungen sind an der Tagesordnung

Verbessert hat sich auch die Situation von Car-menza Gómez nicht, im Gegenteil. Nach dem Todvon Victor versuchte sein Bruder John herauszu-finden, was in den 48 Stunden nach dem Ver-schwinden wirklich geschehen war. „Erst warenes nur Anrufe. Er sollte den Mund halten und dieNachforschungen einstellen. Dann haben ihnzwei Unbekannte von einer Brücke geworfen und

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obenErinnerungen:

Carmenza Gómez und Luz María

Bernal mit Fotosihrer Kinder.

untenIn Soacha

leben die Men-schen am Randeder Gesellschaft.

schwer verletzt“, sagt sein Mutter mit tränener-stickter Stimme. „Vier Monaten später wurde erzu einem Laden bestellt. Zwei Typen kamen miteinem Motorrad. Einer ist mit einer Pistole in denLaden gegangen und hat auf John dreimal ge-schossen. Ein Schuss traf ihn in den Mund. Amnächsten Morgen ist er dann gestorben.“ Carmen-za Gómez und ihre sechs verbliebenen Kinderwerden auch heute noch bedroht. Mehrmals muss-ten sie ihr Viertel verlassen. In der nächstenWoche werden sie wieder umziehen. Fast alle

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nisation den Angehörigen, die Fälle vor Gericht zubringen. Das katholische Hilfswerk MISEREORunterstützt „Humanidad Vigente“ und andere Men-schenrechtsorganisationen dabei. „Der Staat hatseine Verantwortung nach Aufdeckung der soge-nannten ‚falsos positivos‘ nicht wahrgenommenund er nimmt sie bis heute nicht wahr. Verteidi-gungsminister Juan Manuel Santos hat erst dieAnreize für die Ermordungen geschaffen.“ KlareWorte wie diese bringen Menschenrechtsanwältewie Ruiz nicht selten selber in Bedrängnis. DerAnwalt weiß, dass seine Telefone abgehört wer-den. Anonyme Drohungen sind in seinen Kreisenan der Tagesordnung. Von dieser subtilen Formvon Kontrolle und Gewalt ist der Alltag von vielenMenschen in Kolumbien bestimmt – in der Haupt-stadt Bogotá ebenso wie auf dem Land.

Im Visier der lokalen Militärs

Sechs Autostunden, zahllose üppig bewachsenegrüne Hügel und eine Militärkontrolle entferntliegt Vista Hermosa. Das verschlafene Städtchen

kolumbien: gewalt ohne ausweg?

„Mütter von Soacha“ gelten als gefährdet. Ihr ein-ziger Schutz sind die Öffentlichkeit und Men-schenrechtsanwälte wie Luis Alfonso Ruiz von derOrganisation „Humanidad Vigente“.

„Die meisten Fälle sind von der Militärjustizuntersucht worden. Auch mit Hilfe von gerichts-medizinischen Gutachten sind viele außergericht-liche Hinrichtungen im Nachhinein legitimiertworden. Andere Opfer wurden nicht einmal identi-fiziert und registriert, sondern einfach irgendwoverscharrt“, weiß Ruiz. Damit die Täter dennochnicht straflos ausgehen, hilft Ruiz und seine Orga-

Bereits seit über 45 Jahren herrscht der interne bewaffnete Kon-flikt in Kolumbien. Die Gewalt, die eine friedliche Zivilbevölke-rung aufreibt, erscheint als kaum zu durchbrechende Spirale. AlleKonfliktparteien, die Guerilla, die rechtsgerichteten Paramilitärsund auch die staatlichen Sicherheitskräfte, nehmen keine Rück-sicht auf die Zivilbevölkerung, wenn es darum geht, ihre Dominanzüber eine Region zu sichern. Besonders im Visier der Attacken sindimmer wieder Menschen, die sich für eine gerechtere Gesell-schaft einsetzen: Führungskräfte von Bauernorganisationen,Menschenrechtsverteidiger, engagierte Mitarbeiter des Justiz-wesens oder Gewerkschafter werden wegen ihres Engagementsbedroht oder angegriffen, um ihre Aktivitäten zu unterbinden.

Der Hintergrund des kolumbianischen Konfliktes ist die tiefe sozi-ale Ungleichheit: Über vier Millionen Menschen sind seit Ende der1980er Jahre vertrieben worden und haben zwischen fünf undzehn Millionen Hektar Land verloren, das in vielen Fällen heutevon der Agrarindustrie genutzt wird, um für den Export anzubauen.Solange die Verhältnisse so bleiben, lässt sich auch der Konflikt-zyklus nicht durchbrechen. Trotz der vermeintlich aussichtslosenSituation gibt es aber ein ungebrochenes Engagement für den Er-halt eines minimalen sozialen Gefüges und für mehr Gerechtigkeit.Kirchliche Organisationen und Menschenrechtsanwälte arbeitenin den Regionen Hand in Hand, um die Situation von Opfern zuverbessern und die Grundlagen von sozialem Wandel zu schaffen.

obenVista Hermosa:Das Militär kontrolliertauch aus der Luft.

rechtsLager für Flüchtlinge:Kampf ums Überlebenzwischen Militärund Guerilla.

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im Regierungsbezirk Meta ist gerade noch Teilder entmilitarisierten Zone, in der Regierung undGuerilla zwischen 1998 und 2002 Friedensgesprä-che führten. Zwar haben sich die Rebellen inzwi-schen in die Berge zurückgezogen, das Militärversucht die Kontrolle über den Bezirk zu halten.Wirklich entspannt hat sich die Lage der Bevölke-rung aber bis heute nicht. Im Gegenteil: Emiliahatte ein schönes Haus auf einem Hügel in derUmgebung von Vista Hermosa. Durch die strategi-sche Lage ihres Hauses und häufige Arztbesuchein der Stadt geriet sie mehr und mehr als anschei-nende Guerillasympathisantin ins Visier der Para-militärs. Als der Arzt sie zu einer größeren Rü-ckenoperation in die Stadt schickt, geht sie zumKommandanten des rechten Todeskommandos,um für sich, ihren Ehemann und die fünf Kindereine Ausreiseerlaubnis zu holen. „Der Komman-dant hat sich den Krankheitsbefund angeschautund nur gesagt: Da hast du aber Glück gehabt,heute Abend wären wir gekommen und hättendich und deine Familie umgebracht.“ Die Erinne-rungen lassen Emilia nicht los. Ihr Haus musstesie gegen eine baufällige, viel zu enge Hütte imViertel der „desplazados“, der Vertriebenen inVista Hermosa, eintauschen. Wie Emilia geht esvielen Familien in der Region Meta.

Zerrieben zwischen den Fronten

Ein Beispiel dafür ist das Lager für Binnenflücht-linge am Rand der Bezirkshauptstadt Granada:Keine zehn Meter trennen Aida Luz Garzon voneinem stinkenden Tümpel voller Schlamm undMüll. Seit der letzten Überschwemmung vermeh-ren sich hier ungehemmt die Moskitos und Krank-heitserreger. Wenigstens kann die 18-Jährigeheute ungestört unter dem Vordach der Blechbe-hausung für ihr Abitur lernen. Wenn in der Regen-zeit der nahe gelegene Fluss über die Ufer tritt,steht das Wasser auch schon mal hüfthoch in derHütte. Nur notdürftig kommt die Familie mit demVerkauf von Gemüse über die Runden. Vater Ren-berto arbeitet als Tagelöhner beim Beladen vonLastwagen. Seit sie vor zwei Jahren durch dieGuerilla von ihrer kleinen Finca vertrieben wur-den, wohnt die 10-köpfige Familie auf einemStück Land, das die Behörden für unbewohnbarerklärt haben. Bald werden sie sich wieder eineneue Behausung suchen müssen. „Die Sorgen von

Familien wie den Garzons sind erdrückend“, er-klärt Marilú Díaz Martinez. Die Psychologin arbei-tet im Sozialdienst der Diözese von Granada. ImAuftrag der Kirche hat sie Daten und Fakten zu-sammengetragen über die Folgen des Konflikts inder entmilitarisierten Zone von Meta. Die Ergeb-nisse sind erschreckend. „Die Bevölkerung wirdzerrieben zwischen den Fronten von Militär, Para-militärs und Guerilla. Die Guerilleros zwingen dieKleinbauern zum Anpflanzen von Koka anstellevon Yukka und Kochbananen. Das Militär vernich-tet im Gegenzug die Ernte durch Ausreißen oderBesprühen aus der Luft. In den Ferien verminensie die Schulen, um der Guerilla den Zugang zuverwehren. In den vergangenen acht Jahren sindalleine 6.968 Menschen durch Anti-Personen-Minen zu Schaden gekommen. ParamilitärischeGruppen besetzten strategisch gelegene Häuserund lassen beim Weiterziehen verkohlte Ruinenzurück. Die Bewohner müssen ihr Hab und Gutvon einer auf die andere Minute zurücklassen.“Hinzu kommt die permanente Sorge der Eltern,dass ihre Kinder vom Militär eingezogen oder vonden Guerilleros zwangsrekrutiert werden. Als eineder wenigen glaubwürdigen Institutionen ver-sucht die katholische Kirche die Bevölkerung zuschützen und die Rekrutierungen zu unterbinden.Selbsthilfegruppen werden mit Unterstützung vonMISEREOR finanziert, von Menschenrechtsverlet-zungen betroffene Familien werden psychologischbetreut. Die Vertriebene in den Lagern kennenMarilú Díaz Martinez gut. Vor jeder Hütte wird sieangesprochen. Sie berät, tröstet, wechselt ein paarWorte. „Die Menschen in Meta wollen endlich ihrnormales Leben zurück haben, ihr kleines Haus,ihr Stück Land. Einfach ein Leben in Würde.“

Michael Mondryist Theologe und Journalist.Er arbeitet seit 2001 in der

Pressestelle von MISEREOR,seit Mai 2010 als Redakteur

von MISEREOR aktuell.

Florian Kopplebt in Brasilien und

arbeitet als freier Fotografvor allem für entwick-

lungspolitische Themen.

Hintergründe zumThema Kolumbien nach

der Präsidentschaftswahlunter: www.misereor.de.

obenIn Granada lernt

Aida zwischenTümpeln und Müll.

untenPsychologin

Marilú Martinez hilftbei einem Leben

in Würde.

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im fokus: südafrika

Südafrika während der Weltmeisterschaft:Eine Begegnungsreise

Ein Interview von Kerstin Burmeister

Wie kommt man auf die Idee, Südafrikajenseits der WM kennenzulernen?

E. H.: Als langjähriger, bescheidenerSpender wurde ich von MISEREOR ange-schrieben. Da habe ich meine Tochter ge-fragt, ob sie mich begleiten möchte, undsie war sofort dabei.

I. O.: Ich habe seit Jahren davon ge-träumt, in Afrika die Armenviertel zu besu-chen. Die Reise war für mich eine einmali-

ge Gelegenheit, dies zutun und mit den Men-schen dort in Kontakt zukommen. Mein Vater undich wollten auch sehen,was Spenden bewirkenund wie die Partner vorOrt arbeiten.

Townshipund Tafelberg

Voller Eindrücke kehren Edgar Hammer-stein (E.H.) und seine Tochter Ina Olzem(I.O.) im Juli 2010 von einer selbst finan-zierten Spenderreise nach Südafrika zu-rück. Während der Fußballweltmeister-schaft sind sie gemeinsam mit zwölf Mit-reisenden und MISEREOR in die Situationder Menschen jenseits von Stadionneu-bauten und Vuvuzelaklängen eingetaucht.Im Interview schildern der pensionierteLehrer aus Bad Münstereifel und die exami-nierte Altenpflegerin ihre Erlebnisse.

Was passiert im Vorfeld so einer Reise?

E. H.: MISEREOR hat uns zuvor ausführ-lich informiert. In Frankfurt gab es ein Vor-treffen, wo sich die Gruppe kennengelernthat. Einschließlich der beiden MISEREOR-Mitarbeiter waren wir 14 Leute. Zwei Abi-turientinnen waren dabei, mehrere pen-sionierte Lehrer, ein Ärzte-Ehepaar, ein In-genieur. Einige waren kirchlich engagiert,andere eher nicht.

Was haben Sie von derWeltmeisterschaft mitbekommen?

E. H.: Wir haben das aufregende SpielDeutschland gegen Argentinien auf derFanmeile in Kapstadt erlebt und dort ge-meinsam mit den Südafrikanern ein gro-ßes Fest gefeiert. Der MISEREOR-PartnerCWD hat dort seine Büroräume. Wir habenim Innenhof gegrillt und Kaffee und Ku-chen an die vorbeiziehenden Fans verteilt.Eine Band spielte, es wurde getanzt. DieStimmung war einfach bombig und ge-meinsam mit den Südafrikanern haben wirnatürlich die Daumen für die deutscheMannschaft gedrückt.

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Kerstin Burmeisteraus Aachen ist promovierte Wirtschafts-wissenschaftlerin. Sie arbeitet seit zehn Jahrenals freie Texterin für Organisationen undUnternehmen in den Bereiche Öffentlichkeitsarbeit,Sachtexte, Dokumentationen und Berichte.

im fokus: südafrika

6. und 7. von rechts:Edgar Hammerstein und

Ina Olzem im Jugend-zentrum Goedgedacht.

Was war für Sie eine wichtigeBegegnung?

E. H.: An einen etwa 40-jährigen Mann er-innere ich mich. Er beschäftigt auf seinerFarm ganz gezielt Drogenabhängige, umihnen eine Chance zu geben. Er stellte sichuns ganz offen als ehemaliger drogenab-hängiger Krimineller vor. Sieben oder achtJungen arbeiten bei ihm, knapp 20 Jahrealt. Er erzählte uns, dass sie in ein bis zweiJahren Farmarbeit erfahren, dass sie etwasfür ihre Familien tun können und dass sieetwas wert sind. Die Arbeit ist für sie ent-scheidend und dass sie durch Geld aner-kannt wird.

I. O.: Bei mir war es eine Mitarbeiterindes Sozial- und Entwicklungsbüros der Di-özese Kapstadt (CWD). Sie bewegte sichtrotz der hohen Kriminalität völlig frei in„ihrem“ Township-Distrikt. Sie strahlte soeine Sicherheit aus, dass ihr nichts passie-ren würde, weil sie wusste, wie sehr dieMenschen dort ihre Arbeit schätzen.

Wie haben Sie die Arbeitvon MISEREOR vor Ort erlebt?

I. O.: Die Menschen begeistern sich fürihre Arbeit, und alles läuft vollkommen hier-archielos ab. Die Leute sind richtig befreun-det und arbeiten auf gleicher Augenhöhe.Man spürte die positive Atmosphäre unddie Arbeit hat die entsprechende Wirkung.

E. H.: Mir wurde von einem Projektpart-ner erzählt, dass viele HilfsorganisationenIdeen umsetzen wollen, die mit der Rea-lität nicht viel zu tun haben. MISEREORaber begleitet und unterstützt tragfähigeIdeen der Menschen vor Ort. Daher habendie Projekte eine Zukunft.

Was halten Sie für sich persönlich fest?

I. O.: Ich besinne mich wieder auf das imLeben, was wirklich wichtig ist. Ich ha beviel Hoffnung mitgenommen und gesehen,etwas durch die Projekte erreicht wird. DieBegegnung mit den Menschen in Südafri-ka war eine Bereicherung, die mir keinermehr nehmen kann.

Welche Erlebnisse haben Siebesonders berührt?

I. O.: In einem Township in Kapstadtstand bei einer Frau, die wir besuchthaben, das Wasser in der Hütte – trotz desungewöhnlich guten Wetters. Sie zeigteuns den Schimmel unter ihrem Teppich,und die ganze Hütte roch muffig-modrig.Dazu kam die Art, wie dort eine Hütte ander anderen gebaut war: Es gibt dortkeine Privatsphäre. Für mehrere Familienmüssen drei Dixi-Toiletten reichen. Trotz-dem strahlten die Menschen in den Town-ships immer Stolz und Würde aus. Siehaben aus ihrer Situation das Beste her-ausgeholt. Sie schienen immer darauf be-dacht, alles sauber und so schön wie mög-lich zu halten. Vor den Hütten waren zumTeil Blumen angepflanzt oder sie warenbunt angestrichen.

E. H.: Auch die Ankunft in Kapstadt ist beimir hängengeblieben. Dieser blitzsaubereFlughafen, der erste Blick auf den Tafel-berg, nachdem wir das Gebäude verlie-ßen. Ich war begeistert. Während der Bus-fahrt wurde diese Begeisterung immermehr gedämpft: Kilometerweit reichen dieTownships und die „informellen Siedlun-gen“ an jeder Ausfallstraße. Umgeben vonMauern und Stacheldraht. Ein ganzer Ringzieht sich um die Stadt.

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kurznachrichten

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Mit einer neuen Kampagne weist das„Aktionsbündnis gegen Aids“ auf dasProblem der Mutter-Kind-Übertra-gung hin. Vom 12. Mai 2010 biszum Muttertag 2011 richtet sichdie Kampagne unter dem Motto„In 9 Monaten“ gezielt an die Bun-desregierung und die Pharmaindustrie.

Jedes Jahr infizieren sich rund370.000 Neugeborene durch die Übertra-gung des HI-Virus der eigenen Mutter.

Eine Behandlung aller mit HIV lebendenschwangeren Frauen könnte das Ansteck-ungsrisiko auf zwei Prozent reduzieren.Schon seit 1998 ist es möglich, die Über-tragung des HI-Virus von der Mutter aufdas Kind erfolgreich zu verhindern. Trotzder medizinischen Fortschritte sei derflächendeckende Zugang zu Medikamen-ten für alle Betroffenen noch nicht gewähr-leistet, klagt das Bündnis. Das gelte vorallem für die ärmsten und von HIV/Aidsam meisten betroffenen Staaten. „Bis spä-testens 2015 kann man durch die weiterlaufende Finanzierung der Mutter-Kind-Prävention und durch Investitionen in dieGesundheitssysteme 370.000 Babys jähr-lich vor dem frühen Tod bewahren“, er-klärt Alexander Lohner, HIV/Aids-Expertebei MISEREOR. „Deutschland muss ge-mäß seinem Anteil an der Weltwirtschafts-leistung zehn Prozent der weltweit dafürnotwendigen Finanzmittel der Geber-staaten bereit stellen, um Ende 2010 we-nigstens eine Versorgungsrate der Präven-

tion von 80 Prozent laut den Millenniums-zielen zu erreichen. Das sind etwa 100

Millionen Euro pro Jahr. Wenn sichDeutschland jetzt zu einem Stopp derÜbertragung des HI-Virus von der Mutterauf das Kind verpflichtet, kann noch bisEnde 2010 die Versorgungsrate der Infi-zierten von etwa 40 Prozent auf 80 Pro-zent gesteigert werden.“

Weitere Informationen und Stimmabgabefür die Kampagne unter: www.aids-kam-pagne.de oder per SMS: 0174 – 132 42 13.

„In 9 Monaten“ –Kinder schützen vor HIV

Für besonderes Engagement im Rah-men der Aachener Initiative für saubereLuft wurde MISEREOR im Aachener Rat-haus ausgezeichnet. MISEREOR-Mitar-beiter Renate Bartholomäus und Rolf Gie-sen nahmen die Urkunde von AachensOberbürgermeister Marcel Philipp ent-gegen. Darin heißt es: „MISEREOR hates im Frühjahr 2010 geschafft, 50 Pro-zent der 300 Mitarbeiter dazu zu be-wegen, 20 Euro für ein Job-Ticket zuzahlen.“ Das Aachener Hilfswerk leistedamit einen wichtigen Beitrag zumSchutz von Luft und Klima in Aachen.

Die Initiative für saubere Luft inAachen strebt das Ziel geringerer Koh-lendioxid- und Feinstaubemmissionenan. Dafür verzichtet die Stadt Aachenauf die Einrichtung einer Umweltzone.Insgesamt sollen künftig mehr Men-schen vom Auto auf Bus, Bahn undFahrrad umsteigen.

Mehr Informationen zumLuftreinhalteplan gibt es unter:www.mitmachen-durchatmen.de.

MISEREORerhält Auszeichnungfür Luft- undUmweltschutz

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kurznachrichten

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Sechs Monate nach dem Erdbeben inHaiti hat das Bündnis „Entwicklung Hilft“den Rechenschaftsbericht „Haiti-Hilfe sechsMonate nach dem Erdbeben“ veröffent-licht. „Die Soforthilfe zur direkten Über-lebenssicherung ist weitgehend abge-schlossen. Aber weiterhin müssen erhebli-che Kräfte – und auf internationaler EbeneGeld – für den Neu-Aufbau des Landes mo-bilisiert werden“, erklärte der Geschäfts-führer des Bündnisses, Peter Mucke.„Auch jenseits der stark zerstörten Haupt-stadt, in den ländlichen Gebieten, sind dieAufgaben immens. Für den Neu-Aufbausind eine funktionierende Landwirtschaftund Schutzmaßnahmen vor erneuten Ka-tastrophen unerlässlich.“

Insgesamt haben dieBündnis-Hilfswerke bis-her rund 8,56 MillionenEuro für die Hilfsmaß-nahmen in Haiti bewil-ligt. Weitere 12,2 Millionen Euro werdenüber das Bündnis für die langfristige Ar-beit zur Verfügung gestellt. Übergeordne-tes Ziel aller Maßnahmen ist es, die zivil-gesellschaftlichen Strukturen in Haiti undin der Region zu stärken. Für die Bündnis-Mitglieder ist die Einbindung der haitiani-schen Bevölkerung in den Neu-Aufbau un-verzichtbar. Die Hilfsmaßnahmen sollenauch dazu beitragen, dass die Menschenauf diesem Wege ein Einkommen erhalten– die Voraussetzung für eine langfristige

und selbständige Entwicklung des Landes.Brot für die Welt, medico international,MISEREOR, terre des hommes und Welt-hungerhilfe leisten im Bündnis „Entwick-lung Hilft“ akute und langfristige Hilfe beiKatastrophen und in Krisengebieten.

Bündnis„Entwicklung Hilft“

legt ZwischenberichtHaiti vor

Stunden bewältigte der 39-jährige Pfälzer21.090 Höhenmeter. „Das ist für mich derHöhepunkt meiner Karriere als Ausdauer-sportler“, sagt Theologe Fuhrbach, eigent-lich Referent für weltkirchliche Angelegen-heiten im Bistum Speyer.

Seit zwei Jahren fährt Fuhrbach, der seit24 Jahren Leistungssportler ist, intensivRad. Mal zwei, mal drei, mal fünf Stunden.„Ich bin aber kein Profi, der Zeit hat, umacht Stunden am Tag auf dem Rad zu sit-zen“ so Fuhrbach. „Deshalb war diese 24-

Stunden-Aktion für mich selber auch nicht100 Prozent kalkulierbar.“ Immer wiedererklomm Fuhrbach die Strecke mit der zehn-prozentigen Steigung am Rührberg. Ange-

feuert von rund 500 Zuschauern und seinenBetreuern. Viele standen 10, 15 Stunden amRand der Strecke, um Fuhrbach anzufeu-ern. „Die waren alle mit so viel Leidenschaftdabei. Das hat einfach Spaß gemacht!“

MISEREOR gratuliert Christoph Fuhr-bach, der seinen Weltrekordversuch mitdem guten Zweck verbindet: mit der Ak-tion sammelte er Geld für ein MISEREOR-Projekt im peruanischen Cajamarca, woviele Menschen unter den Folgen einesrücksichtslosen Bergbaus leiden. „Fürmich war immer klar, dass ich mein sport-liches Tun mit dem Engagement für einegerechtere Welt verbinden will“, erläutertFuhrbach seinen Weltrekordversuch.

Weltrekordfür die Eine Welt!

Das Bündnis „Entwicklung Hilft“ undMISEREOR informieren regelmäßigüber den Fortgang der Hilfe in Haiti imInternet unter: www.entwicklung-hilft.deund www.misereor.de.

Geschafft:

Grenzach-Wyhlen, Sonntag, 25. Juli 2010

– Ein letztes Mal nimmt Christoph Fuhr-bach die scharfe Kurve auf der 1,8 Kilome-ter langen Strecke, die den Rührberg hin-aufführt. Hunderte Fans stehen an derStrecke und jubeln ihm zu. Dann hat er esgeschafft! Er ist neuer Fahrrad-Höhen-meter-Weltrekordhalter! In weniger als 24

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Agrar- und Finanzinvestoren

kaufen vermehrt fruchtbares Land

in Afrika und Asien auf.

Dort produzieren sie für den Export.

Dieses „land grabbing“ bedroht Existenz und Heimat

vor allem von Kleinbauern und Ureinwohnern.

Die ökologischen Folgen der Landnahme

sind unabsehbar.

Kambodscha exportiert NahrungsmittelEine Reportage von Thomas Kruchem

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die Gegend entwickeln und Arbeitsplätze schaf-fen, berichtet Saroen. „Wir aber wollen nicht alsSklaven auf einer Gummibaum-Plantage arbeiten!“

Fehlende Besitztitelerleichtern Landnahme

Die Bauern der Steang in Kambodscha habenschlechte Karten – so wie Ureinwohner, Bauernroder Rinder haltende Halbnomaden in vielenarmen Ländern Afrikas und Asiens: Sie alle besit-zen zwar traditionelle Nutzungsrechte an ihremLand, aber selten juristisch wasserdichte Eigen-tumstitel und, vor allem, kaum politische Macht.Dies nutzen – vor dem Hintergrund vielfach kor-rupter Verwaltungs- und Justizstrukturen – nunimmer mehr mächtige Politiker, Militärs oder Fir-men zu sogenanntem „land grabbing“. Dabei ko-operieren sie mit ausländischen Agrarinvestoren.Diese beachteten Ackerland in Entwicklungslän-

Schmucke ziegelgedeckte Holzhäuser auf me-terhohen Stelzen, gebettet in sattes Grün aus Ba-nanenstauden, Palmen und Laubbäumen: das DorfMeanchey in Kambodschas Nordostprovinz Kratie.Da und dort kleine Reis-, Süßkartoffel- und Kas-savafelder. Fette Schweine suhlen sich im Schlamm,geneckt von einfach gekleideten Kindern.

„Wir Ureinwohner vom Volk der Steang lebenseit Jahrhunderten in und von diesem Wald“, sagtSaroen Keth bitter. „Wir betreiben Wanderfeld-bau, sammeln Früchte, Pilze und Rattan.“ Dannführt der Dorfälteste den Besucher einige hundertMeter weg vom Dorf. Urplötzlich endet der Wald,und unter der gleißenden Sonne erscheint eineWüste: frisch gerodetes rot-braunes Erdreich, andessen Rändern sich mehrere Bulldozer immertiefer in den Wald hineinfressen. „Im Juli 2008

tauchten die Bulldozer der vietnamesischen FirmaCVI hier auf und begannen, den Wald sowie meh-rere unserer Kassava- und Reisfelder zu roden“, er-zählt der alte Mann. „Dann pflanzten Arbeiterüberall Gummibäume.“ Die konsternierten Bewoh-ner Meancheys protestierten beim Distriktsgou-verneur. Der habe nur gemeint, die Firma werde

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Das Volk der Steanglebt seit Jahrhundertenauf traditionelle Weiseim und vom Wald.

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dern jahrzehntelang kaum. Spätestens seit derNahrungsmittelpreiskrise von 2008 gilt es wiederals hochprofitable Anlage. Die Geschäftsidee: ImJahr 2050 müssen neun Milliarden Menschen er-nährt werden oder ihren bisherigen Konsum si-chern, während weltweit die landwirtschaftlichnutzbaren Flächen schwinden: Sie werden über-nutzt, erodieren und versalzen; sie degeneriereninfolge des Klimawandels zu Wüste oder werdenbebaut. Und neue „grüne Revolutionen“ sind,trotz Gentechnik, nicht zu erwarten. Hinzu kommtder wachsende „Biosprit“-Bedarf.

Länder, die vom Import von Nahrungsmittelnund anderen Rohstoffen abhängig sind wie diearabischen Staaten, Israel, Südkorea, Japan undChina, müssen also vorsorgen. Deshalb erwerbenAgrar- und Finanzinvestoren aus solchen Ländernriesige Flächen in den ärmsten Ländern Afrikasund Asiens. Sie glauben, hier am billigsten Nah-rungsmittel und andere pflanzliche Rohstoffe fürihren Bedarf produzieren zu können.

Langfristige Pacht- und Kaufverträge

Seit 2006 gerieten bereits etwa 20 Millionen Hek-tar Ackerland in Entwicklungsländern unter dieKontrolle ausländischer Investoren: In Asien ver-pachtete Laos 15 Prozent seines Staatsgebietsfür bis zu 70 Jahre an skandinavische, japanischeund chinesische Kautschuk- und Nahrungsmittel-produzenten. In Kambodscha, wo 80 Prozent der

Bevölkerung von der Subsistenzlandwirtschaftlebt, pachteten Kuwait und Katar zunächst200.000 Hektar Ackerland für den Anbau von Ex-port-Reis – auf 99 Jahre.

Ähnliches geschieht in Afrika: Im hungerge-plagten Simbabwe kaufte China 2008 100.000

Hektar Ackerland; in Äthiopien, Mali, Madagas-kar, Mosambik und Sudan erwarben Ausländerallein 2008 Flächen, die zusammen weit größersind als Hessen. Die Regierungen, etwa in Kam-bodscha, schätzen die Cashewnuss-, Gummibaum-und Kassava-Plantagen der ausländischen Inve-storen als willkommene Devisenquelle. Auch derReis-Export verspricht Deviseneinnahmen: Kam-bodscha hat gute Böden und viel Wasser, erntetaber bislang nur halb so viel Reis pro Hektar wieThailand und Vietnam. Das Problem: Die Betriebesind sehr klein und es gibt kaum Bewässerungs-systeme. Um das zu ändern, empfängt PremierHun Sen Reis-Investoren mit offenen Armen.

Entwicklungsimpulse erhofft

„Tatsächlich können ausländische Agrarinvesti-tionen die Nahrungsmittelproduktion bei uns er-heblich steigern – meint Yang Saing Koma, Chefder landwirtschaftlichen Entwicklungsorganisa-tion CEDAC. Sie ist Mitglied des „NGO-Forums onCambodia“, ein von MISEREOR unterstütztes lan-desweites Netzwerk von Nichtregierungsorgani-sationen. Auch hofft man auf neue Straßen, Brü-cken und Bewässerungssysteme. Diese sollenbislang isolierte Regionen an nationale Märktebinden. Die teils noch auf Steinzeit-Niveau ope-rierende Landwirtschaft soll modernisiert wer-den, eine Nahrungsmittel verarbeitende Industriemit vielen Arbeitsplätzen entstehen, ländlicheRäume insgesamt sich entwickeln.

Inwieweit diese Hoffnungen tatsächlich erfülltwerden, ist offen. Erkennbar dagegen ist heute:Agrarinvestitionen erfolgen vorwiegend in be-sonders armen und undemokratisch regierten

„Wir sterben,wenn wir unseren Wald

verlassen müssen.“Deu Skun vom Volk der Steang,

Kambodscha

linksIm Dorf Meanchey

roden vietnamesischeFirmen Wald, Kassava-

und Reisfelder.

rechtsDie Bauern besitzen

nur traditionelleNutzungsrechte an

ihrem Land.

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Ländern; Verträge zwischen Regierung und Unter-nehmen werden hinter verschlossenen Türen aus-gehandelt – meist ohne Beteiligung des Parla-ments oder der Zivilgesellschaft. Die Investorensind meist nicht oder nur sehr vage verpflichtet,Geld in Straßen, Schulen, Gesundheitsstationenund Bewässerungsanlagen für Kleinbauern zustecken oder genügend Jobs anzubieten. Sie er-halten jedoch eine Blanko-Vollmacht für den Ex-port ihrer Ernten und weitgehende Steuerfreiheit.Für neue Plantagen infrage kommende Flächen inarmen Ländern sind außerdem selten wirklichfrei, berichten lokale MISEREOR-Partner. Investo-ren verdrängen deshalb in der Regel Kleinbauern

oder vom Wald lebende Ureinwohner: In Kambod-scha werden bereits heute Bauern zugunstenausländischer Investoren vertrieben; in Äthiopienund Tansania werden derzeit riesige Flächen ein-gezäunt, auf denen traditionell die lokale Bevöl-kerung Vieh weiden lässt und Holz sammelt; imdicht besiedelten pakistanischen Punjab, wosaudi-arabische Investoren Land erworbenhaben, sind Umsiedlungen ganzer Dörfer geplant.

Ökologische Schäden

Auch ökologisch zeichnen sich aus Sicht der be-troffenen Landbevölkerung schlimme Folgen derAgrarinvestitionen ab: In Kambodscha, berichtetYang Saing Koma, verwenden kommerzielle Be-triebe große Mengen Kunstdünger und Pestizide,um eine zweite und dritte Ernte zu erzielen. DieChemikalien belasten das Wasser des Tonle-Sap-Sees, dessen Fischbestände 70 Prozent des kam-bodschanischen Proteinbedarfs decken. Durchdie Waldrodungen zur Landgewinnung gelangtper Erosion zusätzlich Erdreich in den See undgefährdet so den Lebensraum der Fische. Dieenge Verbindung von Reisanbau und Fischerei in

Informationen zuMISEREOR-Projektenin Kambodschafinden Sie unter:www.misereor.de.

königreich kambodscha

Kambodscha grenzt an Thailand, Vietnam und Laos. Es gehört zuden ärmsten Ländern in der Welt. 2008 lag das Pro-Kopf-Einkom-men im Durchschnitt bei 806 US-Dollar. Ein gutes Drittel der Be-völkerung des südostasiatischen Staats lebt unter der nationalenArmutsgrenze, besonders auf dem Land. Die Hauptstadt PhnomPenh beherbergt etwa 1,5 Millionen der insgesamt circa 14,7

Millionen Kambodschaner (Juli 2010).

Von den nur vier Stützen der Wirtschaft leiden drei unter derweltweiten Wirtschaftskrise: die Textilindustrie, der Tourismusund, damit eng verknüpft, die Baubranche. In 2009 schrumpftedie Wirtschaft des Landes erstmals nach dem Ende des Bürger-krieges wieder um 0,9 Prozent.

Seit Jahren wird von systematischen Zwangsvertreibungen und il-legaler Landnahme durch staatliche Stellen und Private berichtet.Allein in 13 von insgesamt 20 Provinzen waren hiervon seit 2008

über 250.000 Menschen betroffen. Aktuell beunruhigen besondersdie Vertreibungen in Phnom Penh rund um den Boeng-Kak-See.

MISEREOR unterstützt in Kambodscha derzeit 35 Projekte miteiner Bewilligungssumme von etwa drei Millionen Euro. Beispielesind Hilfen für Landminenopfer, Projekte zur Stadtentwicklungsowie gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung.

linksNeue Wurzeln zuschlagen, wirdden Vertriebenenschwer gemacht.

rechtsPlatz für Einkaufs-zentren: Räumungeiner illegalen Sied-lung in Phnom Penh.

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Kambodscha funktioniert bislang nur, weil dassensible Ökosystem nicht zu stark durch Intensiv-bewirtschaftung belastet wird. Ähnliches gilt fürandere ländliche Räume weltweit: An kurzfristi-gem Profit orientierte Plantagenwirtschaft kannÖkosysteme und damit auch die wirtschaftlicheGrundlage der Kleinbauernwirtschaft rasch undnachhaltig zerstören – und in der Folge das sozia-le Gefüge im ländlichen Raum.

Ausweg Großstadt?

Im Ergebnis lässt ausländischer Landerwerb nachbisherigen Erfahrungen die Zahl landloser Bauernrapide wachsen. In Kambodscha besitzen schonheute zwei Drittel der Bauern kein eigenes Landmehr oder weniger als einen Hektar. Und aufneuen, mechanisierten Großplantagen findet nurein Bruchteil der Menschen Arbeit, die von Klein-betrieben auf der gleichen Fläche leben könnten.Dass plötzlich zusätzliche Arbeitsplätze in neuen,Agrargüter verarbeitenden Betrieben aus demBoden schießen, ist unwahrscheinlich. Warumsollten Agrarunternehmen ihr Export-Getreide inschlecht erschlossenen Regionen ohne qualifi-zierte Arbeitskräfte und ordentliche Material-Lo-gistik weiterverarbeiten?

Manche Bauern wehren sich. So haben die Be-wohner Meancheys, um der wirtschaftlichen, so-zialen und kulturellen Entwurzelung zu entgehen,lange verhandelt, sind erfolglos vor Gericht gezo-gen und haben schließlich verzweifelt Urwaldflä-chen besetzt. Ergebnis ist, dass mehreren Dorfbe-wohnern nach Anzeigen wegen Sachbeschädi-gung eine Gefängnisstrafe droht. Schier unaus-weichlich stranden nun Hunderttausende kam-bodschanischer Bauernfamilien, die ihr Land ver-loren haben, in den Slums der Großstädte. Und

auch dort werden, etwa in Phnom Penh, immerhäufiger Slumbewohner vertrieben, um Platz zumachen für Einkaufszentren, Luxuswohnungenoder Spekulationsflächen. Den schon Vertriebe-nen wird verwehrt, überhaupt noch Wurzeln zuschlagen. Und über ihnen schwebt ein weiteresDamoklesschwert: Da für ausländischen Bedarf

genutztes Land nicht für den lokalen Nahrungs-mittelbedarf zur Verfügung steht, wächst in Län-dern wie Kambodscha tendenziell die Ernäh-rungsunsicherheit der armen Bevölkerung.

Für das von rabiaten Investoren umzingeltekambodschanische Dorf Meanchey dürften alleBemühungen zu spät kommen. Verzweifelt deutetdort eine alte, Betelnuss kauende Frau namensDeu Skun in Hörweite der Bulldozer auf zweihohe Bäume: „Von dort oben beschützen uns un-sere Geister, die Netá und Areá, vor Krankheit,Schlangen und Dürre. Was aber sollen wir ma-chen, wenn die Firma jetzt auch noch die letztenBäume fällt und unsere Netá und Areá flüchten?Niemand mehr schützt uns dann. Und unsere Kin-der haben keine Zukunft mehr. Wir Steang kön-nen nicht in die Stadt ziehen. Wir sterben, wennwir unseren Wald verlassen müssen.“

misereor und seine partner fordern:

Agrarinvestitionen für den Export dürfen keinesfalls die Ernäh-rungssicherheit der lokalen Bevölkerung gefährden. Die Regie-rungen der betroffenen Länder müssen deshalb Ernährungs-souveränität zum Primat erheben und über die Interessen vonAgrarexporten und Investoren stellen.

Wenn solche Investitionen diese Kriterien erfüllen, dürfen sie nurin Absprache und im Einvernehmen mit den (zuvor umfassend in-formierten) aktuellen Landnutzern stattfinden.

Die ausländischen Investoren müssen ihren Beschäftigten fairefinanzielle und soziale Leistungen garantieren.

Investitionsmodelle, die Kleinbauern im Rahmen gerechter Ver-träge auf ihrem Land belassen, sind vorzuziehen.

Alle Abläufe im Zusammenhang mit Agrarinvestitionen sind öffent-lich, transparent und demokratisch zu gestalten.

Die Regierungen der Industrieländer müssen mit ihrer Entwick-lungspolitik für faire Agrarinvestitionen eintreten; sie müssen„land grabbing“ mit politischen Mitteln bekämpfen.

Thomas Kruchemlebt in Mauer/Baden-

Württemberg und arbeitet alsfreier Journalist vor allem zu

entwicklungspolitischenThemen. Er wurde bereitsdreimal mit dem „Medien-preis Entwicklungspolitik“

ausgezeichnet. Zu Gunstenvon MISEREOR-Projekten hat

er mehrfach die schwierigeTransalp-Fahrradtour

überwunden.

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linksHunderttausende

kambodschanischeBauernfamilien stran-

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Wie spricht man einensuspendierten Priester an?„Nennen Sie mich einfachMarco“, antwortet der 47-jährige Peruaner aus Caja-marca lachend. Titel undPosten hätten ihn noch nie

interessiert: „Ich habe mich in meinem Lebenstets nach meinem religiösen Bewusstsein undmeiner Moral gerichtet. Gleichzeitig habe ichmich immer sehr darum bemüht, mein Tun fun-diert zu begründen.“ Bereits mit zwölf Jahren, alsMitglied im Internationalen Jugendverband Ka-tholischer Studenten MIEC hat er das geübt.„Man hat mich ziemlich schnell in eine Leitungs-funktion gewählt“, sagt er, und es klingt, als seiihm das eher so passiert, als dass er es gewollthätte. Bei den Treffen der Organisation in Limahörte er Berichte ausländischer Studenten überdie Diktaturen in Brasilien oder in Chile. „AlsKnirps von 14 Jahren, unter ziemlicher Anstren-gung und mit einem Wörterbuch in der Hand,nahm ich an Kursen über Befreiungstheologie teilund las die großen Texte lateinamerikanischerAutoren und die Schriften der katholischen Sozi-allehre“, berichtet er.

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Bettina Hoyerarbeitet als freie Journalistin,ist Redakteurin beim Nachrichten-pool Lateinamerika und Mit-begründerin des ÜbersetzerInnen-Netzwerks LinguaTransFair.

Friedenspreisträger Marco Arana

Ein Portrait von Bettina Hoyer

Ein Film über dieArbeit von Marco Aranaist zu finden unterwww.misereor.de.Weitere Informationenzum Aachener Friedens-preis unter www.aachener-friedenspreis.de.

Seine Familie beschreibt Marco Arana als sehr to-lerant, christlich und sozial stark eingebunden.„Meine Mutter war eine Aktive der Befreiungsthe-ologie und mein Vater eher konservativ“, erzählter, „ich entstamme auch einer sehr großen Fami-lie. Meine Mutter hatte elf Brüder mit elf verschie-denen Meinungen.“ Leben und Glauben sind fürihn nicht voneinander zu trennen, als MarcoArana als Priester aufs Land geht. Von den indige-nen Bauern lernt er, dass eine Wasserquelle fürsie das Auge der Erde ist und die Erde weint,wenn man ihr Schaden zufügt. Dort, wo MarcoArana arbeitet, fügt der Bergbau der Erde großenSchaden zu. Er frisst auf der Suche nach Gold diefruchtbaren Täler in Cajamarca und vergiftet dasWasser. Wieder will Marco Arana die Materie ver-stehen. Er absolviert in Cajamarca den Ingeni-eursstudiengang Wasser- und Abwassertechnik.

2002 gründet er die von MISEREOR geförderteUmweltorganisation Grufides. Sie setzt sich fürdie Rechte indigener Bauern und für die Umweltein und stellt sich einer der größten offenen Tage-bauminen der Welt friedlich entgegen. MarcoArana, Familie und Kollegen werden mit dem Todbedroht, in den Medien diffamiert, bespitzelt.Aber er hält Kurs. Beim Vermitteln zwischen Bau-ern und Mine besteht er auf Gewaltfreiheit. „Ichbin wie ein Segelboot, das mit großer Ruhe voranfährt, und gewiss ist, dass eine Fahrt trotz schwie-riger Momente möglich ist“, sagt er über sich.Eine persönliche Verantwortung, die einen nichtin Frieden mit sich selbst leben lasse, wenn mannicht tut, was Herz und Verstand einem vorgeben,treibe ihn an. Diesem Kurs folgend hat MarcoArana im April 2009 die Partei „Tierra y Libertad“gegründet und strebt eine Präsidentschaftskandi-datur an. „Ich sehe mich als Teil ei ner Bewegung,die Veränderungen hin zu sozialer Gerechtigkeitund dem Schutz der Erde erreichen will.“ Am1. September 2010 hat Marco Arana den renom-mierten Aachener Friedenspreis erhalten.

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stichwort ernährung

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dern verschärfen ihn. Sie verbauen Klein-bauern, die ohnehin zu den Ärmsten gehö-ren, den Marktzugang und damit ihre wich-tigste Einkommengrundlage. Die entwick-lungspolitische Verantwortung der EU er-fordert, dass die internationale Agrarpoli-tik als eigenständiger Bereich der gemein-samen Agrarpolitik etabliert wird.

Kollaps des Ernährungssystems?

Rund eine Milliarde Menschen können vomgegenwärtigen System der Landwirtschaftnicht mehr satt werden. Welche Lösungengibt es? Das vielversprechendste Mittel, umHunger zu bekämpfen und gleichzeitigBöden, Artenvielfalt und Klima sowie Tradi-tionen und Kulturen der Menschen zuschützen, ist die Förderung einer nachhal-tigen und kleinbäuerlichen Landwirtschaft.Dies zeigen nicht nur die langen Erfahrun-gen von Hilfsorganisationen wie MISERE-OR und ihrer vielen Partner im ländlichenBereich des Südens, sondern auch eineReihe von wissenschaftlichen Studien. Sostellt zum Beispiel der Weltagrarbericht(die umfassendste aktuelle Übersicht überden Zustand der globalen Landwirtschaft)fest, dass der größte Spielraum zur Ver-besserung von Existenzsicherung und Ge-rechtigkeit in den kleinteiligen und vielfäl-tigen Produktionssystemen der Entwick-lungsländer liegt. Kleinbauern sichern vorOrt die Versorgung mit Nahrungsmittelnund sind auch Multiplikatoren. Sie könnenden Menschen vor Ort Arbeit und Einkom-men geben. Deshalb muss vor allem imländlichen Raum investiert werden: in dieLandwirtschaft, in Schulen und in die Ge-sundheitsversorgung, in die Erschließungdurch Straßen und in den Ausbau derStromnetze.

Über die Hälfte wird als Futtermittel, alsBiotreibstoff oder als nachwachsende Roh-stoffe in der Industrie verwendet. DieseKonkurrenz um Nahrung, Land und Wasserwird weltweit mit steigender Bevölkerungzunehmen. Auf neun Milliarden Menschenwird die Weltbevölkerung bis zum Jahr2050 ansteigen, prognostizieren die Ver-einten Nationen. Gleichzeitig führt der Kli-mawandel zu mehr Dürre und Überschwem-mungen. Ernten und Anbauflächen werdenzunehmend vernichtet. Auch Finanzspeku-lationen führen dazu, dass sich die klein-bäuerliche Landwirtschaft nicht trägt undMenschen Preisschwankungen hilflos aus-gesetzt sind. Spekulationen hatten in denJahren 2007 und 2008 zu hohen Preisstei-gerungen für Lebensmittel geführt – derPreis für Reis verfünffachte sich, Weizenund Mais waren dreimal so teuer wie2003. Dies löste in vielen Entwicklungslän-dern eine Hungerkrise und -revolte aus.

Auch das Thema der europäischenAgrarsubventionen ist und bleibt eine Ur-sache des Hungers: Künstlich verbilligteAgrarexporte stillen nicht den Hunger, son-

Eine Frageder Verteilung

Barbara Wiegardist Pressesprecherin von MISEREOR in Berlin.Zuvor hat sie nach einem Studium der Spanien-und Lateinamerikawissenschaften ein Volontariatin der Aachener Pressestelle absolviert.

Auf der Welt werden heute genugNahrungsmittel produziert, um alleMenschen ernähren zu können. The-oretisch. Denn sie werden so produ-ziert und verteilt, dass viele – vorallem in Afrika südlich der Saharaund in Südasien – nicht genug zumLeben haben. Heute gibt es auf derWelt mehr übergewichtige Menschenals unterernährte. Es wird genug an-gebaut. Aber nur 47 Prozent dessen,was als Nahrung zur Verfügung steht,wird gegessen.

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16. September 2010:

Präsentation der Studie„Global aber gerecht“

Im Auftrag von MISEREOR und derMünchener Rück Stiftung wurde dieStudie „Global aber gerecht” durch dasPotsdam-Institut für Klimafolgenfor-schung und das Institut für Gesell-schaftspolitik München entwickelt.Neuste klimawissenschaftliche Er-kenntnisse wurden dafür mit ethischen,ökonomischen und entwicklungspoliti-schen Überlegungen verbunden undmit Partnern im Süden diskutiert. Er-gebnis des Prozesses ist eine globale,aber gerechte Gesamtperspektive, dieKlimaschutz und Entwicklungspolitiksystematisch zusammen denkt.

Herzliche Einladung zur Vorstellung derStudie am 16. September 2010 von10.00 bis 14.00 Uhr in der KatholischenAkademie, Berlin, Laudator ist SigmarGabriel.

25. Oktober 2010:Themenwochezum Welternährungstag

Anlässlich des Welternährungstagssendet die ARD eine Themenwoche „Er-nährung“. Am Montag, dem 25. Okt-ober um 20.15 Uhr wird die Dokumen-tation „Hunger“ gezeigt. Der Dokumen-tarfilm erzählt, wie Menschen, Gruppenund Organisationen darum ringen, eineder schlimmsten sozialen, politischenund ökonomischen Tragödien unsererTage zu lösen: den Hunger in der Welt.

Weitere Informationen während derThemenwoche unter: www.misereor.de.

Ein Kommentar von Barbara Wiegard

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Tom ist ein bisschenschlapp. Er wurde gestern

gegen Japanische Enzephali-tis geimpft. „Das hängt einem

schon in den Knochen“ sagt er.Und Sophie. Sophie hat viel geträumt in

den letzten Tagen. Vom Projekt in Ruanda.Von ihrer Gastfamilie. „Ich habe viel Schö-nes geträumt, aber manchmal auch komi-sche Sachen.“ Im Foyer der MISEREOR-Geschäftsstelle stapeln sich die Reiseruck-säcke und Isomatten der elf Freiwilligen,die aus ganz Deutschland angereist sind.Es sieht so aus, als würden sie direktweiterreisen. Weiter von Aachen aus in dieWelt. Doch ein paar Wochen dauert es beiden meisten noch. Zeit für ein Stimmungs-barometer zu Beginn des zweitägigen Se-minars in Aachen: Fünf Daumen zeigen

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nach oben, drei nach unten, der Rest pen-delt sich dazwischen ein. „Es gibt noch sounendlich viel zu tun“, sagt die 19-jährigeSophie: Impfungen, die letzten Einkäufe,Abschiedsfeiern organisieren, Unterstüt-zer für die Arbeit im Projekt finden undviel bürokratischer Krempel. Bei anderenüberwiegt die Vorfreude auf die Zeit imAusland und die Arbeit im Projekt. „Ichkann echt kaum erwarten, dass es los-geht.“ Tamara hat gerade erst Abitur ge-macht. In ein paar Wochen fliegt sie aufdie Philippinen, um dort zusammen miteiner anderen Freiwilligen bei einer Kin-derschutzorganisation zu arbeiten. „Wirarbeiten mit Gefängniskindern. Sicherlichkeine leichte Sache. Ich denke es ist gut,dass wir zu zweit sind und uns gegenseitigunterstützen können.“

Bei MISEREOR beginnt das„w

eltwärts“-Program

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Ruanda,

Tansania, Philippinen –

bald geht es los! Zum ersten

Mal reisen elf junge Menschen im

Rahmen des „weltwärts“-Programms

für ein Jahr in MISEREOR -Projekte. Dort

werden sie als Freiwillige arbeiten. Vor

ihrer großen Reise trafen sie sich

ein letztes Mal bei MISEREOR in

Aachen. Dort gab es viele

Fragen und viel

Gefühl.„Ichdenke, es ist gut,

dass wir zu zweitsind und uns gegen-seitig unterstützenkönnen.“Tamara, reist als

Freiwillige auf diePhilippinen

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von Daniela Singhal

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MISEREOR gehört zu den 233 Entsende-organisationen, die vom Bundesministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung (BMZ) anerkannt wur-den. Der entwicklungspolitische Freiwilli-gendienst „weltwärts“ besteht seit 2007

und ist deutschlandweit auf großes Inter-esse gestoßen. Zehntausende bewerbensich jedes Jahr bei den verschiedenen Or-ganisationen. „Wir sind stolz darauf, dasswir so motivierte junge Leute gefundenhaben, die das Experiment mit unswagen“, so MISEREOR-GeschäftsführerTho mas Antkowiak. Und was motiviertjunge Menschen dazu, ein Jahr lang indie Problemgebiete dieser Weltzu gehen? Ein gutes Bei-spiel für die neue Gene-ration der Weltwärtslerist Tom aus Ludwigsha-fen. Tom geht nachDelhi. In das Straßen-kinderprojekt „Butter-flies“. Er wird unter an-derem den mobilen Ge-sundheitsdienst unterstützen.Ein Bus des Projektes fährt zu ver-schiedenen Stationen in Delhi und bietetden Straßenkindern Hilfe an. „Ich bin echtgespannt, wie das wird“, sagt Tom, derschon seit einigen Wochen Hindi lernt.Freiwilliges Engagement ist für den 23-Jährigen nichts Neues. Kolping-Jugend,Pfadfinder, Kinder- und Jugendtheater – erist bekannt in der Ehrenamtlerszene vonLudwigshafen. „Ich will was für die Gesell-schaft machen“, sagt Tom, und man nimmtes ihm wirklich ab. „Außerdem macht esSpaß, mit anderen jungen Leuten was aufdie Beine zu stellen.“ Tom ist selten umeine Antwort verlegen und – wenn er nicht

gerade geimpftwurde – ein heite-res Energiebündel. Erhat viel gelesen über In-dien, über Delhi, aber viele Fragensind noch offen. „Egal“, beruhigt er sich.„Wir haben gelernt, dass es darauf an-kommt, sich vor Ort darauf einzulassen!“

Ähnlich sehen das auch die anderenFreiwilligen. Loslassen, weniger denken,aber dafür mehr fühlen – daran haben siein einem zehntägigen Vorbereitungssemi-nar in Köln gearbeitet. „Das ging echt andie Substanz“, erinnert sich die 24-jährigeDana, die in Sambia mit behinderten Kin-

dern arbeiten wird. „Da hat manwirklich einige Baustellen be-

arbeitet. Es war sehr per-sönlich und man ist sehrzusammengewachsen.“ Esgibt ein Gemeinschaftsge-fühl in der Gruppe, das

merkt man. Wann immer andiesem heißen Sommer-

tag zwischen den Pro-grammpunkten Zeit ist,

hockt die Truppe zusammenim Garten und quatscht.Nicht nur über die Reise,die Projekte, es gehtauch um Persönliches.Manchmal greift Abitu-rientin Sophie zur Gitar-re und spielt eins ihrerselbstkomponierten Lie-der. Sie geht zusammenmit Abiturientin Ronjanach Ruanda, in ein Projektfür benachteiligte Jugendliche.Sophie ist überzeugt: „Wir pas-sen in das Projekt. Wir sprechen

beide Französischund können uns bei

den Theater- und Mu-sikworkshops sicher gut

einbringen.“ Letzte Nacht hat sieauch schon mal bei Ronja übernachtet:„Da konnten wir testen, wie wir so aus-kommen“, sagt sie und zwinkert Ronja zu.Die erste Bewährungsprobe, sie hat gutgeklappt. Sophie hat wieder von Ruandageträumt. Diesmal wieder etwas Gutes.

„Wir

haben gelernt,

dass es darauf an-

kommt, sich vor Ort

darauf einzu-

lassen!“

Tom, Freiwilliger vor der

Abreise nach

Delhi

Daniela Singhal

arbeitet als Volon-

tärin in der Pressestelle

von MISEREOR. Während

ihres Studiums der Sozial-

wissenschaften in Köln ar-

beitete sie für verschie-

dene Medien als freie

Journalistin.

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misereor-hungertuch 2011

MISEREOR aktuell 3/201024

Bei der MISEREOR-Fastenaktion 2011

dreht sich alles um das Thema „Der

Mensch im Slum“. Bereits heute betrifft

dies in den Südkontinenten eine Milliarde

Menschen an den Rändern der immer grö-

ßer werdenden Städte. Hunger, Angst vor

Gewalt und Zwangsumsiedlung sind allge-

genwärtig. Es gibt kein sauberes Wasser,

und oft müssen sich mehrere Hundert Menschen eine Toi-

lette teilen. Die Fastenaktion lenkt den Blick neben der Pro-

blematik von Vertreibung und Umsiedlung aber auch auf

den Lebensmut, den Einfallsreichtum und die Solidarität

der dort lebenden Frauen, Männer und Kinder.

Das Hungertuch zur MISEREOR-Fastenaktion2011

der mensch im slum

Das collageartige Bild zeigt die un-menschlichen Lebensbedingungen inden Slums ebenso wie Szenen derSolidarität. Es entstand aus afrikani-scher Erde, Wellpappe, Kohle undAcryl. Der Künstler gestaltete dasBild in Anlehnung an die Verse vomWeltgericht Mt. 25, 31-46.

Dreieck als Symbol: Vom blauenHimmel, vom Geist Gottes her, öffnetsich ein lichterfülltes Dreieck. Darun-ter ein leerer afrikanischer Ashanti-Stuhl. Der Weltenrichter hat seinenPlatz noch nicht eingenommen.Sokey Edorh verwendet das Dreieckhäufig als Symbol für die Verbindungvon Himmel und Erde, Gott und denMenschen.

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misereor-hungertuch 2011

MISEREOR aktuell 3/2010 25

Der Künstler: Sokey A. Edorh zähltzu den herausragenden zeitgenössi-schen Künstlern Afrikas. 1955 in Tse-vié, Togo, geboren, lebt er heute in

Lomé, Togo. Sokey Edorhhat in zahlreichen west-afrikanischen Slums ge-lebt und gearbeitet, etwain Burkina Faso, Togo,Ghana und der Elfenbein-küste.

MISEREOR-Hauptgeschaftsführer Jo-sef Sayer erläutert: Geschäftszentra-len internationaler Konzerne drän-gen in die Viertel der Armen. EinBagger beginnt, die armseligen Hüt-ten niederzureißen. Zwangsumsied-lungen sind in Slums an der Tages-ordnung. Binnen Stunden verlierendie Menschen ihre armselige Habe,ihr Zuhause und ihre Arbeitsmög-lichkeit. All das ist auf dem Hunger-tuch eindrucksvoll zu sehen.

Die Entstehung: „Zeichnen ist fürmich eine Hygiene des Geistes. Ichzeichne meine Leidenschaften, mei-ne Gefühle. Ich habe beschlossen zuzeichnen, um glücklich zu werden“,erklärt Sokey Edorh. Die Skizze wirdspäter auf die Leinwand übertragen.

Bedrohung: Die kleine Kirche (Mitteunten) wird förmlich erdrückt vonden Geschäftshäusern internationa-ler Konzerne. Sie stehen für die Her-ausforderung der modernen, globali-sierten und von marktradikalenIdeen beherrschten Welt.

Urteil aus Erfahrung: „Slums sind für mich die mensch-

lichsten Orte überhaupt. DieMenschen sind bitterarm, aber sierespektieren sich gegenseitig undunterstützen sich, man hält zusam-men, entwickelt Lebensmut.Mir war wichtig, dass dieser Aspektin meiner Arbeit für MISEREORauch zur Geltung kommt.“Sokey Edorh

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MISEREOR aktuell 3/2010

kurznachrichten

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Im Juli 2010 legte MISEREOR den Jah-resbericht für 2009 vor. 161,6 MillionenEuro standen für die Projekt- und Bildungs-arbeit zur Verfügung – eine im Vergleichzum Vorjahr erfreuliche leichte Zunahme derGesamteinnahmen. Die Mittel stammen ausder Kollekte am MISEREOR-Sonntag, ausSpenden, aus kirchlichen Haushaltsmit-teln und öffentlichen Zuwendungen. Letz-tere legten in 2009 mit 101,2 MillionenEuro erneut deutlich zu (Vorjahr: 94,2 Milli-onen Euro). Dieser seit Jahren stetige Trendbestätigt das staatliche Vertrauen in diekirchliche Entwicklungszusammenarbeit.

Stabiles Spendenaufkommentrotz Finanzkrise

49,7 Millionen Euro vertrauten die Spen-derinnen und Spender MISEREOR an. Sotrugen sie dazu bei, Armut, Hunger undNot zu mindern, Menschenrechte zu ver-wirklichen, gerechte Gesellschaften aufzu-bauen und Konflikte gewaltfrei zu lösen.Das Spendenaufkommen entspricht dem„normalen“ Stand des Jahres 2007 – nachden besonders hohen Spenden im Jubi-läumsjahr 2008. Damit bleibt die Unter-stützung des Hilfswerks auf hohem Niveaustabil; die Spenderinnen und Spender

MISEREOR hat einen neuen Verwal-tungsratsvorsitzenden. Auf der Sommer-sitzung des Verwaltungsrats wurde derlangjährige Vorsitzende Heinz Bennerverabschiedet. Sein Nachfolger ist TheoPaul, seit 1997 Generalvikar der Diöze-se Osnabrück. „Mit Heinz Benner ver-abschieden wir einen Verwaltungsrats-vorsitzenden, der mit seinem ehrenamt-lichen Engagement die letzten 36 Jahrevon MISEREOR entscheidend mitge-prägt hat. In seine Zeit fallen wesentli-che Weichenstellungen für das Hilfs-werk wie die Mitwirkung an zwei Per-spektivkommissionen oder die Grund-sätze zur Transparenz und Mittelverwen-dung“, erklärt MISEREOR-Geschäfts-führer Josef Sayer. Für seine überragen-den Verdienste um das BischöflicheHilfswerk MISEREOR wurde der ehema-lige Thüringer Staatssekretär bereits2006 mit der Goldenen MISEREOR-Ehrennadel ausgezeichnet. Er gehörteseit 1974 MISEREOR an, seit 2000 alsVerwaltungsratsvorsitzender.

Verwaltungsrats-vorsitzenderHeinz Bennerverabschiedet

zeigten auch während der Wirtschafts-und Finanzkrise ihre Solidarität mit denArmen. Allein die Fastenkollekte summier-te sich zu 19,1 Millionen Euro. MISEREORdankt allen Spenderinnen und Spendernfür ihre Unterstützung.

Im Jahresbericht gibt MISEREOR Re-chenschaft über die Verwendung dieserMittel. Beispiele zeigen, wie der MISERE-OR-Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ vorOrt umgesetzt und die Lebenssituationder Menschen in Afrika, Asien, Ozeanienund Lateinamerika konkret verbessertwird. Zum 31.12.2009 wurden etwa 3.800

Projekte in 97 Ländern geförderte. Das Ge-samtvolumen betrug etwa 567 MillionenEuro. Neu bewilligt wurden in 2009 insge-samt 1.260 Projekte. Sie werden mit 148,9

Millionen Euro unterstützt.

Erneut geringe Verwaltungskosten

Auch im vergangenen Jahr hat MISEREORmit den anvertrauten Mitteln wieder ver-antwortungsbewusst und sparsam gewirt-schaftet. Die Verwaltungskosten und dieAusgaben für Werbung und allgemeine Öf-fentlichkeitsarbeit lagen bei 5,9 Prozent.Damit kommen 94,1 Prozent der Mittel di-rekt der Projekt- und Bildungsarbeit zugu-te. Das Deutsche Zentralinstitut für sozialeFragen (DZI) stuft die Verwaltungskostenvon MISEREOR seit Jahren als niedrig ein,wobei MISEREOR das Kriterium dafür(„unter zehn Prozent“) deutlich unter-schreitet. Bis zu 20 Prozent Verwaltungs-kosten sind laut DZI angemessen, bis zu35 Prozent vertretbar.

Der MISEREOR-Jahresbericht 2009

ist abrufbar unter www.misereor.deoder telefonisch zu bestellen unter:0241 / 442 – 130.

MISEREOR-Jahresbericht 2009

veröffentlicht

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MISEREOR aktuell 3/2010

Kolumbien ist auf der Welt das Land mitder zweitgrößten Artenvielfalt pro Quadrat-meter. Etwa zehn Prozent aller weltweitbekannten Arten sind in dem Küstenstaat

conejo con coco guisado

Zutaten für 4 Portionen3 EL Butter, 1 EL Öl, 8 große Kaninchen-Stücke, 1 große, fein gehackteZwiebel, 2 gehackte Knoblauchzehen, je 1 entkernte und gehackte Pa-prika und Chilischote, 1 große gehackte Tomate, Salz, schwarzer Pfeffer,480 ml frische Hühnerbrühe, 180 ml dicke Kokosmilch.

Zubereitung:Butter und Öl in einer Pfanne erhitzen, Kaninchen-Stücke hinzufügenund von allen Seiten kräftig anbraten, danach herausnehmen und ineine große Pfanne geben. Im übrigen Fett der ersten Pfanne Zwiebel,Knoblauch, Paprika und Chili anbraten und ein paar Minuten schmoren.Anschließend das Zwiebel-Gemisch zusammen mit der Tomate, Salz, Pfef-fer, Brühe und Kokosmilch zum Fleisch geben. Zum Kochen bringen,dann die Hitze reduzieren und zugedeckt 1 Stunde köcheln lassen, bisdas Fleisch zart ist. Das Fleisch in einer Schüssel warm halten. Die Flüs-sigkeit aufkochen und einkochen lassen, bis sie verdickt ist. Dann dieSauce über das Kaninchen geben und mit Reis anrichten.

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quartalsrezeptlesetipp

Jean Klare, Louise van Swaaij

Atlas der ErlebnisweltenWer sich für das Leben der Men-

schen in fernen Ländern interessiert,hat zur Orientierung mindestens einenAtlas zur Hand, und sei es der uralteSchulatlas: Liegt Uruguay wirklich öst-lich von Argentinien? Da fährt der Fin-ger über die Landkarte und der Kopfgeht auf Reisen.

Kaum etwas regt unsere Phantasiemehr an als eine klassische Landkarte.Im „Atlas der Erlebniswelten“ findet manaber keinen Himalaya und keinen Ama-zonas, sondern den „Sumpf der Lange-weile“ oder die Insel „Geheimnis“ mitso merkwürdigen Dörfern wie „undichteStelle“ oder „Versteck“. Der „Gedanken-fluss“ speist sich aus der „Quelle derEingebung“, aber wieso entspringt dienahe dem Örtchen „Wahnsinn“?

21 Landkarten mit erläuternden Tex-ten eröffnen uns den Zugang zu einerneuen Welt tief in uns, die uns einer-seits bekannt erscheint und anderer-seits irritiert: Warum wohl heißt dieHauptstadt „Wachstum“ und liegt di-rekt neben den „Bergen von Arbeit“?Eine Entdeckungsreise, die sich lohnt!

Eichborn 2000, Auflage vergriffen,gebraucht über das Internet.

Gottfried Baumann aus der Öffentlich-keitsabteilung war sechs Jahre lang Re-dakteur von MISEREOR aktuell. Er liest:

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Kaninchen auf kolumbianische Art

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nachtisch: smoothies

Eine beliebte kolumbianische Nachspeise sind Getränke aus Früchten.Nicht alle Obstsorten kennen wir in Europa, zum Beispiel Mamoncillo(Honigbeere), Granadilla (Maracuja) oder Borojó. Wenn es auch nicht dieSmoothies aus dem Regenwald sein können: Pürierte Früchte Ihrer Wahl,etwa Erdbeeren, fair gehandelte Bananen und Orangen, abgeschmecktmit etwas Honig aus dem Fairen Handel, sind ebenfalls köstlich!

heimisch. Die kolumbianische Küche kanndaher auf eine außerordentlich große Aus-wahl an Zutaten zugreifen! Zum Beispielfür geschmorte Kaninchen in Kokosmilch:

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Spendenkonto 10 10 10

Pax-Bank

BLZ 370 601 93

Ihre Spende anMISEREOR erreichtMenschen in Notsicher und nachweis-bar. Mit dem Spenden-siegel bescheinigtdas Deutsche Zentral-institut für sozialeFragen/DZI den spar-samen und verant-wortungsvollen Ein-satz aller gespende-ten Mittel.

BischöflichesHilfswerkMISEREOR e.V.Mozartstraße 952064 Aachen

www.misereor.dein einem einzelnen Lebensbereich recht tun,

„Der Mensch kann nicht

während er in einem anderen unrecht tut.

Das Leben ist ein unteilbares Ganzes.“

Mahatma Gandhi