Kommune I (Berlin 1967-1969) Alexander Holmig

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Alexander Holmig „Wenn`s der Wahrheits(er)findung dient ...“ Wirken und Wirkung der Berliner Kommune I (1967-1969)* Anlauf: Paris - München - Westberlin Prolog: "Revolution von innen und außen?" Totalisierung der Politik durch Inszenierung des Scheins Erster Akt: "Der große Tanz" Zweiter Akt: "Imagepflege" Schlussakt: "Körper und Konflikte" „Was ist die Kommune, diese Sphinx, die den Bourgeoisverstand auf so harte Proben setzt?“ (Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich) Kommune I. Wenn überhaupt noch im kollektiven bundesrepublikanischen Gedächtnis aufzufinden, so ist das zunächst einmal ein Bild: Sieben Erwachsene, drei Frauen und vier Männer, sowie ein kleines Kind stehen nackt mit dem Gesicht zu einer Wand. Die Wand ist, bis auf ein kleines Waschbecken links der Gruppe, weiß und kahl. Ihre Arme sind erhoben, ihre Beine wie bei einer polizeilichen Feststellungsmaßnahme leicht gespreizt. Abgesehen von dem kleinen Kind, das sich im 1

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Account of the Social Experiment that was Kommune 1, Berlin

Transcript of Kommune I (Berlin 1967-1969) Alexander Holmig

Alexander Holmig

Wenn`s der Wahrheits(er)findung dient ...Wirken und Wirkung der Berliner Kommune I (1967-1969)*

Anlauf: Paris - Mnchen - Westberlin Prolog: "Revolution von innen und auen?" Totalisierung der Politik durch Inszenierung des Scheins Erster Akt: "Der groe Tanz" Zweiter Akt: "Imagepflege" Schlussakt: "Krper und Konflikte"

Was ist die Kommune, diese Sphinx, die den Bourgeoisverstand auf so harte Proben setzt? (Karl Marx, Der Brgerkrieg in Frankreich)

Kommune I. Wenn berhaupt noch im kollektiven bundesrepublikanischen Gedchtnis aufzufinden, so ist das zunchst einmal ein Bild: Sieben Erwachsene, drei Frauen und vier Mnner, sowie ein kleines Kind stehen nackt mit dem Gesicht zu einer Wand. Die Wand ist, bis auf ein kleines Waschbecken links der Gruppe, wei und kahl. Ihre Arme sind erhoben, ihre Beine wie bei einer polizeilichen Feststellungsmanahme leicht gespreizt. Abgesehen von dem kleinen Kind, das sich im Augenblick der Aufnahme dem Fotografen zugewandt hat, sind von den Beteiligten lediglich die unbedeckten Rckansichten zu sehen.

Seit seiner ersten Verffentlichung erhielt dieses Bild des Fotografen Thomas Hesterberg durch die bis heute kanonische Wiederholung in den Medien eine nahezu symbolische Dimension. [1] Immer dann, wenn in den Medien von den sogenannten 68ern einer mehr bequemen als wirklich aussagekrftigen Sammelbezeichnung der Studenten- und Jugendbewegung Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland die Rede ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass jenes Bild auftaucht. Mit diesem Foto transportiert sich auch ein bestimmtes Image der Gruppe der dort (Selbst-) Dargestellten. Kommune I, das war und ist fr Zeitgenossen und auch Nachgeborene in spontaner Assoziation freie Liebe und Promiskuitt, groteskes sich gebrden in der ffentlichkeit, Namen wie Teufel, Langhans, Kunzelmann, Vollbart und Nickelbrille, wallende Locken oder auch der tolle Krper der schnen Uschi Obermaier. Geistiger Motor einer keineswegs allein brgerlichen Neugier und Fantasiewelt. Mythos. [2]

Innerhalb des Gesamtkomplexes Jugend- und Studentenbewegung der 60er Jahre gehrte die Berliner Kommune I zu jenen Gruppierungen, die sich im Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) herausbildeten und von innen und auen auf diesen Verband dem Motor der auerparlamentarischen Opposition (Wolfgang Kraushaar) und somit auf die gesamte Bewegung mageblichen Einfluss ausbten. Das wesentliche Merkmal der Kommune bestand in ihrem besonderen politischen Selbstverstndnis, der Betonung des subjektiven Faktors amalgamiert in der Forderung das Private ist politisch und ihren daraus abgeleiteten Aktionsformen, seien es Regelberschreitungen und Provokationen direkter (Happening) und indirekter (literarischer) Art, die Gegenstand der hier verfolgten Analyse sind.

Eine Beschftigung mit der Kommune I fand bisher hauptschlich im Rahmen spezieller Darstellungen zur Erforschung der Geschichte des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) statt. [3] Nun entwickelte sich die Kommune I zwar aus dem SDS heraus, wurde aber spter vom Verband ausgeschlossen. Die Zeit nach ihrem Ausschluss kommt dort nur am Rande in den Blick. Durch die Existenz verschiedenster Fraktionierungen innerhalb des SDS, sowie der Gruppierungen in seinem Umfeld war auerdem das, was augenscheinlich geschlossen unter der Bezeichnung APO-Berlin (West) firmiert, durch eine ambivalente Struktur gekennzeichnet. Soweit die Autoren der bekannten Literatur zum Thema selbst Akteure und ehemalige Mitglieder unterschiedlicher Fraktionen des SDS waren, ist es hier also notwendig das Spannungsverhltnis von wissenschaftlicher Ambition, biografischen Aspekten und zeitlichem Abstand im Blick zu behalten. hnliches trifft auf Interviews, (auto-)biografische und Tagebuchaufzeichnungen ehemaliger Kommunarden/-innen und Personen aus dem Grnderkreis und Umfeld der Gruppe zu, die hier u. a. ausgewertet wurden.[4] Ende 2004 erschien erstmalig eine Monographie ber die Kommune I. [5]

Bei der Beschftigung mit der Literatur zum Thema Kommune I fllt auf: ein ironischer, bisweilen sarkastischer Unterton schwingt vor allem in lteren Publikationen mit. Prformierende Zuschreibungen fr die K I wie z.B. existenzialistische Pseudolinke, Politclowns, Springers Hofnarren, Horrorkommune etc. finden dabei Verwendung, wirken von vorn herein diskreditierend und erschweren den unvoreingenommenen Zugang zum historischen Gegenstand. [6] Wolfgang Kraushaar hat darauf hingewiesen, dass die Mitglieder der Protagonisten einer Aktionsmethode [darstellten], die fr eine gewisse Zeit auerordentlich erfolgreich war, die dabei aber von den meisten Zeitgenossen nicht verstanden wurde. [7] Was genau kennzeichnet den Politikbegriff das Politische der Kommune I?

Anlauf: Paris Mnchen Westberlin

1957 vereinigten sich in Frankreich verschiedene, in der Tradition des Dadaismus, Surrealismus und der Lettristischen Internationale der spten 40er Jahre stehende, Knstlergruppen zur Situationistischen Internationale (S. I.), deren Kritik sich gegen die fest gefgten Strukturen moderner europischer Industriegesellschaften in ihren Teilbereichen wie z.B. der Architektur, des Stdtebaus, des Verkehrs, des Kunstmarktes, der Film- und Freizeitindustrie usw. richtete, und die sie durch die Strung bzw. Umgestaltung von alltglichen, funktionalen Ablufen (z.B. das Verndern von Verkehrsschildern) zum Ausdruck bringen wollten:

Unser Hauptgedanke ist der einer Konstruktion von Situationen d.h. der konkreten Konstruktion kurzfristiger Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine hhere Qualitt der Leidenschaft.. [8]

Anders formuliert: in der Erschaffung eines experimentellen Erlebniszusammenhangs sollten konkrete gesellschaftliche Verhltnisse, die ihnen innewohnenden funktionalen Ablufe und Gewohnheiten durch spektakulre Aktivitten gezielt gestrt werden. Als zentraler Begriff in der Denkart der Situationisten stand hierfr dtournement, was bersetzt soviel wie umfunktionieren oder Zweckentfremdung bedeutet. Einer Sache wird die ihr ursprnglich zugewiesene Bedeutung und Funktion genommen, indem sie in einem neuen, ungewohnten Zusammenhang mit erweitertem Sinngehalt genutzt wird. Es wurde das Ziel verfolgt, in einem Prozess des Hinterfragens gewohnter Ablufe, sowohl bei Zuschauern als auch Beteiligten, kritisches Bewusstsein entstehen zu lassen.

Seit sie 1959 den Mnchner Kongress der Situationisten ausgerichtet hatte, war die Schwabinger-Knstlergruppe SPUR, als deren deutsche Sektion, Mitglied der S.I. Im Kern bestand SPUR zu diesem Zeitpunkt aus nur vier Leuten, den Malern Hans-Peter HP Zimmer, Helmut Sturm, Heimrad Prem und Lothar Fischer. Zu ihnen gesellte sich Ende 1960 Dieter Kunzelmann, der in Schwabing das Leben eines Bohemiens fhrte, dessen Interessen bis dato aber weniger der Malerei, sondern der Literatur galten. Mit seinem autodidaktisch angeeigneten Wissen ber die Frankfurter Schule, aber auch Marx und psychoanalytischer Literatur ergnzte er die Gruppe in ihrer gesellschaftskritischen Ausrichtung um den Part des Theoretikers. In Flugblttern und der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift SPUR dem deutschsprachigen Organ der S.I. provozierten und kritisierten sie die lebensweltliche Realitt der Adenauer-ra, gegen weltliche und kirchliche Autoritten, sexuelle Unfreiheit, Massenkonsum und Manipulation. So heit es z.B. in einem 1961 herausgegebenen Flugblatt mit dem Titel Januarmanifest:

Gruppe SPUR : Januar-Manifest1. Wer in Politik, Staat, Kirche, Wirtschaft, Militr, Parteien, Organisationen keine Gaudi sieht, hat mit uns nichts zu tun.2. Boykottiert alle herrschenden Systeme und Konventionen, indem Ihr sie nur als miratene Gaudi betrachtet.3. Jeder echte Knstler ist zur Umnderung seiner Umwelt geboren.4. Preise, Stipendien, gute Kritiken, alles wirft man uns nach; aber eins ist sicher: brauchen kann man uns nicht.5. Unbrauchbarkeit ist unser hchstes Ziel: Gaudi ist unpopulre Volkskunst.6. Die ganze Welt ist der Bereich, in dem sich der schpferische Impuls, der allein der Gaudi vorbehalten ist, entfalten kann.7. Alles was anwendbar ist, ist nicht fr den Menschen. Ohne den Knstler gbe es schon jetzt keinen Menschen mehr.8. Wir sind gegen den Fasching, weil der Fasching die Gaudi kommerziell engagiert. Der Mibrauch der Gaudi ist das grBte Verbrechen.9. L'art pour l'art ist beendet, ebenso l'art pour l'argent und l'art pour la femme. Jetzt beginnt l'art pour la Gaudi.10. Schpferisch sein heit: durch dauernde Neuschpfung mit allen Dingen seine Gaudi treiben.11. Mensch sein heit homo ludens und homo gaudens.12. Seit der Herrschaft des dialektischen Materialismus und des Determinismus ist die Gaudi kein integrierendes Moment der Kultur mehr: wir fordern ihre Befreiung aus der Unterdrckung durch die herrschenden Ideologien und den Rationalismus.13. Dem Satz "Wissen ist Macht", der das Zeitalter der Wissenschaft eingeleitet hat, wird der Satz folgen "Gaudi ist Macht", der das Zeitalter der Gaudi einleitet.14. So wie Marx aus der Wissenschaft eine Revolution abgeleitet hat, leiten wir aus der Gaudi eine Revolution ab.15. Die sozialistische Revolution mibrauchte die Knstler. Die Einseitigkeit dieser Umstrze beruhte auf der Trennung van Arbeit und Gaudi. Eine Revolution ohne Gaudi ist keine Revolution.16. Es gibt keine knstlerische Freiheit ohne die Macht der Gaudi.17. Alle unzufriedenen Krfte sammeln sich in einer Organisation der Antiorganisateure, die sich in einer umfassenden Revolution verwirklichen.18. Wir fordern allen Ernstes die Gaudi. Wir fordern die urbanistische Gaudi, die unitre, totale, reale, imaginre, sexuelle, irrationale, integrale, militrische, politische, psychologische, philosophische ... Gaudi.19. Durch die Realisierung der Situationistischen Gaudi werden alle Probleme der Welt gelst: Ost-West-Problem, Algerienfrage, Kongo-Problem, Halbstarkenkrawalle, Gotteslsterungsprozesse und sexuelle Verdrngungen.20. Wir engagieren die ganze Welt fr unsere Gaudi! (Mnchen, Januar 1961) GRUPPE SPUR [9]

Der spielerische Mensch, Johan Huizingas homo ludens, als Sinnbild der Wiederaneignung einer durch Faschismus, Krieg und Verdrngung verlorenen gegangenen Phantasie; einzig dem Prinzip Hoffnung (Ernst Bloch) verpflichtet. Das, was die Gruppe SPUR in ihren Schriften aber noch hauptschlich in ihrer Malerei transportierte, kann als der Beginn einer sthetisch-politischen Opposition in der Bundesrepublik bezeichnet werden. [10]

Nach dem Ausschluss von SPUR aus der S. I. wandte sich Dieter Kunzelmann nun mehr der politischen als der knstlerischen Ttigkeit zu und initiierte 1962 die Grndung der Subversiven Aktion. Die Gruppe bildete Sektionen (sog. Mikrozellen) in Mnchen, Berlin (West) und Nrnberg, spter auch in Stuttgart und Frankfurt/Main. Zu ihr gehrten in Berlin Rudi Dutschke und Bernd Rabehl, die aus der DDR nach West-Berlin gekommen waren, um an der Freien Universitt zu studieren. Vor dem theoretischen Hintergrund der Philosophen und Soziologen der Frankfurter Schule, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse aber auch Karl Marx und psychoanalytischen Schriften von Sigmund Freud und Wilhelm Reich definierten sie sich als eine direkt auf Aktion ausgerichtete Pariaelite (...) [mit dem Ziel der] Entblung gesellschaftlicher Repression. [11] Mit ihrer Forderung Kritik mu in Aktion umschlagen wollten die Mitglieder der Subversiven Aktion das was die kritische Theorie lediglich analysiert hatte, nun in die Praxis umsetzen. Ihre Proteste gegen den Vietnamkrieg, gegen die Manipulation durch die Medien (z.B. sprengten Mitglieder der Gruppe eine Jahrestagung von Werbeleitern in Stuttgart), Flugbltter gegen den Massenkonsum (vor allem zur Weihnachtszeit) wurden begleitet durch Diskussionen um die richtige revolutionre Konzeption, woran sich die Gruppe schlielich spaltete. Der Widerspruch wurde zur Herausforderung. Die Berliner Mikrozelle bildete schnell ein eigenstndiges Profil heraus, nannte sich Anschlag-Gruppe und gab unter gleichem Namen eine Zeitschrift fr die gesamte Subversive Aktion heraus, in der deren inhaltliche Spaltung zwischen traditionellem Marxismus und Kulturindustriekritik deutlich wurde. [12] Bei aller unausdiskutierten Zusammenarbeit waren hier zwei Vorstellungswelten aufeinandergeprallt, die sich zumindest was einige Personen wie z. B. Kunzelmann und Dutschke betraf magisch anzogen. Der Berhrungspunkt lag im aktionistischen Moment.

Als neue Plattform fr die Durchsetzung von politischer Praxis suchte man Anfang 1965 die Nhe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), einer ehemals SPD-nahen[13] Vereinigung, in der zu dieser Zeit hauptschlich traditionelle Politikformen dominierten. Der bertritt von Mitgliedern der Subversiven Aktion in regionale Gruppen des SDS in Mnchen aber vor allem in Westberlin (Dutschke, Rabehl) sollte sich schon bald als folgenreiche aktionistische Symbiose (Karl A. Otto) fr die Entstehung einer Antiautoritren Bewegung erweisen. Die sich herauskristallisierenden Strmungen zwischen einer, wenn man so will, subversiv-existenzialistischen Richtung um Kunzelmann (die Mnchner) und einer subversiv-aktionistischen um Dutschke/Rabehl (die Berliner) veranschlagten im Jahr darauf eine seit langem fllige gemeinsame Aussprache und weiterfhrende Strategiediskussion ihres Unterwanderungskonzepts.

Mitte bis Ende Juli 1966 trafen sich in einem Landhaus am Kochelsee in Bayern 9 Mnner, 5 Frauen und 2 Kinder: die Viva Maria-Gruppe, benannt nach einem anarchistisch inspirierten Film von Louis Malle. [14] Unter ihnen Mitglieder der Subversiven Aktion, Studenten und SDS-Mitglieder wie beispielsweise Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Dieter Kunzelmann, Marion Stergar, Dagmar Seehuber, Hans-Joachim Hameister, Eike Hemmer u.a.. Sie diskutierten eine Woche lang ber Bedingungen und Mglichkeiten von revolutionrer Praxis in Westeuropa und hierbei rckten kollektive Wohnprojekte in den Mittelpunkt des Interesses. Die Schlsseltexte innerhalb der Debatten in Kochel bildeten die Schriften Herbert Marcuses Triebstruktur und Gesellschaft, der Aufsatz Repressive Toleranz und sein bis dato nur in englisch vorliegender One-Dimensional Man. [15] Vor dem integralen Manipulationszusammenhang den Marcuse hier fr fortgeschrittene Industriegesellschaften entwirft, sahen die Diskutierenden nur eine Mglichkeit der Befreiung: die brgerliche Vereinzelung musste in handlungsfhige politische Lebens- und Wohngemeinschaften, revolutionre Kommunen berfhrt werden. Der marxistischen Tendenzanalyse in den Theoriezirkeln des traditionell strukturierten SDS sollte mit konkreter Praxis als neuer Form politischer Arbeit begegnet werden, um durch die Emanzipation von der eigenen, brgerlich geprgten Sozialisation die Gesellschaft nachhaltig zu verndern. Die Trennung zwischen Freizeitsozialismus im SDS und Privatexistenz musste aufgehoben werden.

Treibende Kraft hinter den Kommuneplnen war Dieter Kunzelmann, der nun von den anderen erwartete, was er fr sich lngst vollzogen hatte: die brgerlichen Wurzeln kappen, die Sicherheiten aufgeben, die eigene Persnlichkeit riskieren, Zweierbeziehungen und das Privateigentum grundstzlich in Frage zu stellen kurz: das Privatleben rigoros zu politisieren. [16] Die Meinungen der brigen, auch die von Dutschke, schwankten zwischen Begeisterung und Skepsis. Noch herrschten innerhalb der Gruppe keine konkreten Vorstellungen ber das Wie des Anfangens. Die Viva-Maria-Gruppe trug ihre berlegungen im Herbst 1966 in den Berliner Landesverband des SDS, wo sich in den folgenden Wochen eine sehr wortreiche und heterogene Kommune-Diskussion entwickelte in der besonders konzeptionelle Differenzen zu Tage traten.

In den ersten Aktionen der inzwischen auf 25-30 Leute angewachsenen Kommune-Gruppe, wie der Sprengung einer Diskussionsveranstaltung des AStA der Freien Universitt Berlin mit Rektor Lieber am 26. November 1966 (bei der Mitglieder der spteren Kommune 2 das sogenannte Fachidioten-Flugblatt verlasen) oder auch dem Happening der spteren K I anlsslich einer Anti-Vietnamkriegs-Demonstration am 10. Dezember 1966 (begleitet von Sprechchren wie: Weihnachtswnsche werden wahr, Bomben made in USA! und anschlieender Konfrontation mit der Polizei) offenbarte sich zudem eine neue Art von Protestpraxis.

In der Konsequenz ihrer theoretischen Diskussionen beschlossen Ende Dezember 1966 zwlf Mitglieder der Kommune-Gruppe knftig zusammenzuleben. Fr sieben von ihnen stand nach einer krftezehrenden Aussprache in den Morgenstunden des 1. Januar 1967 fest, das Wagnis Wohngemeinschaft einzugehen. Es waren Dieter Kunzelmann (27 Jahre alt), Dagmar Seehuber (28), Hans-Joachim Hameister (26), Fritz Teufel (23), Volker Gebbert (27), Dorothea Ridder (24) und Ulrich Enzensberger (22). Die 1. Berliner Kommune: Kommune I.

Prolog (Januar Mrz 1967) Revolution von innen nach auen?

Eine Mglichkeit zusammen zu ziehen hatte sich durch Ulrich Enzensbergers Freundin Dagrun Enzensberger (37 Jahre), die geschiedene Frau seines Bruders Hans-Magnus (37), ergeben, die nun auch zur K I stie. Sie besa Schlssel zur Atelier- und Arbeitswohnung des Schriftstellers Uwe Johnson in der Niedstr. 14, dessen eigentlicher Wohnung in der Stierstr.3, sowie dem Haus ihres Ex-Mannes in der Fregestr. 19, alle drei in Berlin-Friedenau gelegen. Johnson, der lngere Zeit in den USA weilte, hatte ihr die Wohnung fr die Dauer seines Aufenthaltes berlassen bzw. die Atelier-Wohnung an Ulrich Enzensberger untervermietet. Erstes Resultat gemeinsamer Praxis der K I war Ende Januar ein Zirkular ber unsere bisherige Entwicklung, durch das sie die abgebrochene Diskussion mit den noch-nicht-eingezogenen Teilnehmern der Gesamt-Kommunegruppe wiederaufnehmen, oder besser, forcieren wollten. Darin wurde resmiert:

Unser politisches Programm ist nicht weiter gediehen als bis zur Technik. An die Inhalte, die in unserer Selbstrevolution umgewlzt werden mssen, haben wir uns noch gar nicht herangetraut. So knnen wir zwar ohne weiteres die traditionelle Praxis ffentlich destruieren und eine neue Demonstrationsform an ihre Stelle setzen. Sobald wir aber ber die Beschreibung der Technik hinaus sagen sollen, was denn mit Hilfe dieser Technik geschehen, wozu sie verwandt werden soll, sind wir berfordert. Der Rekurs auf die traditionelle Theorie lt uns den Faden verlieren. [17]

Auf der anschlieenden Diskussion ber das Zirkular, zu der die K I am 29. Januar, in der Wohnung Stierstr. 3 eingeladen hatte, brachen die Gegenstze in der seit dem Treffen in Kochel gewachsenen Kommunegruppe offen aus. In einer explosiven Atmosphre, die Spannung drckte sich in Anbrllen, Rauslaufen usw. aus [18] spaltete sich die Gruppe in drei Fraktionen. Die K I-Mitglieder wollten sich im zuknftigen Zusammenleben vor weiterer politischer Arbeit zunchst auf sich selbst und ihre psychischen Probleme konzentrieren.

Im Gegensatz dazu bestand eine andere Fraktion antiautoritrer SDSler darauf, dass die Widersprche der Individuen nur nach auen in gemeinsamer politischer Arbeit, nicht nach innen in der vordergrndigen Zuwendung zu den psychischen Schwierigkeiten aufgelst werden knnten. Man hoffte, durch die kollektive Arbeit allmhlich auch den Zugang zu den persnlichen Problemen zu bekommen. Daher sollten kommunehnliche Wohn- und Arbeitsgemeinschaften aufgebaut werden, die als funktionale Einheit zur Ermglichung von Praxis innerhalb des SDS den Freizeitsozialismus berwinden halfen, und als neues Organisationsprinzip an die Stelle der bisherigen Theoriezirkel und Arbeitskreise traten. Uwe Bergmann, Klaus Gilgenmann und Rainer Langhans lieen sich auf der ordentlichen Landesvollversammlung des Berliner SDS, am 4. Februar 1967, in den neuen kollektiven Landesvorstand whlen. Letztere grndeten wenig spter gemeinsam mit Eike Hemmer, Eberhard Schulz, Jrg Schlotterer, Jan-Carl Raspe u. a. die Kommune 2 (auch SDS- bzw. Politkommune genannt), die als Arbeitskollektiv in eine Wohnung im SDS-Zentrum, ein kriegsbeschdigtes Haus am Krfrstendamm 140, einzog. [19]

Andere, wie die Revolutionre Dutschke und Rabehl, zogen in keines der Wohnkollektive und mussten sich eingestehen, den bloen Versuch der Revolutionierung des brgerlichen Individuums nicht leisten zu knnen bzw. zu wollen die Dialektik der Aufklrer.

Nach dem Eklat der Zirkulardiskussion vom 29. Januar zogen sich die K I-Mitglieder vollstndig aus der linken ffentlichkeit in die erwhnten Wohnungen zurck, um sich, wie angekndigt, vor weiterer politischer Arbeit zunchst auf sich selbst zu konzentrieren. Es ging darum, sich mit den einzelnen Lebensgeschichten der Mitbewohner zu befassen, die nun pltzlich in der gemeinsamen Wohnung zusammenliefen. Die im Zirkular angesprochenen Inhalte, an die man sich noch gar nicht herangetraut hatte. Ulrich Enzensberger erinnert sich an diese Zeit so:

Spter wurde jeder richtiggehend verhackstckt. Da kam auch der Begriff Psychoterror auf, und der Begriff Zweierbeziehung [The Open Couple] in einer ganz abwertenden Bedeutung. Jeder wurde psychologisch auseinandergenommen und auf seine Autoritten, auf seine Leitbilder und sein Verhalten hin untersucht, total berprft. [20]

War es terroristische Selbstanalyse oder eine Art emotional aufgeladene Team-Vorbesprechung? Neuerdings geben, erst im Jahr 2003 in die Bestnde des Berliner APO-Archivs eingegangene, Justizakten Aufschluss ber diese gerade fr die Herausbildung des K I-Politikbegriffs konstitutive Phase. [21] Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Anschlagsplanung beim Berlin-Besuch des US-Vizeprsidenten Hubert Horatio Humphrey waren Mitglieder der Kommune I am 5. April 1967 von Beamten der Abteilung I (Politische Polizei) verhaftet worden. Sie wurden der Geheimbndelei bzw. der Grndung einer kriminellen Vereinigung gem damals geltenden 128, 129 StGB verdchtigt, woraufhin die Atelier-Wohnung Niedstr. 14 polizeilich durchsucht und Beweismaterial, u. a. ein Schnellhefter rot ohne Aufschrift und ein Schnellhefter gelb mit der Aufschrift Kommune-Protokolle Dagmar, sichergestellt wurde. [22]

Die Aufzeichnungen im roten Hefter, unter dem Titel Kommune-Organisation, beginnen am 9. Mrz 1967. [23] Im Abschnitt V. Internes, finden sich protokollartige Mitschriften einzelner Gesprche und Diskussionsrunden innerhalb der K I im Zeitraum vom 13. Mrz bis 4. April 1967. Er ist der eigentlich interessante Teil des roten Hefters wenngleich aufgrund des stichpunktartigen Charakters der Mitschriften oft sehr kryptisch geraten. [24]

Den ersten Eintragungen vom 13., 15. und 17.3. ist noch stark der Einfluss der Konzentration auf sich selbst und die psychischen Probleme anzumerken, der man sich den gesamten Februar ber zugewandt hatte. Man bekommt einen Eindruck von bestehenden Eiferschteleien und entstandenen Spannungen zwischen einzelnen Kommune-Bewohnern. Ein Bericht zur momentanen Gruppensituation sollte gegeben werden. Zwischen unleserlichen Notizen erscheinen pltzlich die Begriffe Hausbes.[etzung, A. H.] spielwiese, einzug fabrikhalle, aktion und zum ersten Mal der Name Humphrey.

Der Entschluss einer weiteren Kommune-Aspirantin ob des chaotischen Zustands nun doch nicht in die Wohngemeinschaft einzuziehen, bildete den Anlass einer Grundsatzdiskussion der restlichen Kommunarden, die sich auf den folgenden Seiten Bahn bricht, und in deren Zentrum man sich einigte, auf das alte Problem wieder einzugehen. Die Vermittlung von Privatexistenz und politischer Existenz musste wieder zum Hauptgegenstand von Kommune gemacht werden, und durfte nicht, wie in den letzten Wochen geschehen, auf einen der beiden Pole beschrnkt bleiben. Am Vormittag des 19.3. wurde die Diskussion (diesmal im Beisein von Rainer Langhans, der einen Umzug von der K 2 in die K I erwog) erneut aufgenommen. Die Beantwortung der Frage Wie soll es konkret weitergehen? sollte in den nchsten Tagen aus der Analyse der Kommunesituation erfolgen.

Ab dem 22.3. wurde versucht, die Gesprchsrunden durch eine neue Form der Reihendiskussion ergebnisorientiert zu intensivieren und inhaltlich zu organisieren. Jedes Mitglied uerte sich nun nacheinander zu einem vorher gemeinsam vereinbarten Thema. Die vernachlssigte politische Existenz kehrte allmhlich in Form von konkreten Aktionsvorstellungen zurck. Am Nachmittag des 24.3. war in der K I eine heftige Diskussion ber die Bedeutung gemeinsamer Aktionen entbrannt. Einige empfanden es als Widerspruch, dass sie sich zum Ziel gesetzt hatten den Alltag zu verndern und dabei im eigenen Alltag doch wieder das Altgewohnte machten, z.B. bei der Wohnungssuche. Die Idee einer Hausbesetzung wurde wieder angesprochen. Thema des sich anschlieenden Reihengesprchs deshalb: Revolutionierung des Alltags u. Agitation. [25]

Dieter Kunzelmann, der sich whrend der vorangegangenen Gesprche ber die privaten Bedrfnisse eher im Hintergrund gehalten hatte, sah hier den Zeitpunkt gekommen, da sich die Diskussion wieder in eine auch fr ihn akzeptable Richtung entwickelte. Mit seiner Kritik forderte er die anderen regelrecht heraus: die berlegungen zur Hausbesetzung fielen ja wohl objektiv als Gedankenspielerei aus, weil [die] Wohnungssuche genauso weiterluft. Wenn wir beginnen mit dem Revolutionieren des Alltags der Bruch mit brgerlichen Gesellschaft schon stattgefunden haben muss. Damit gelang es Kunzelmann, geistiger Vater der Kommuneidee, einen wesentlichen Begriff innerhalb der Diskussion zu reaktivieren. Der Bruch mit der brgerlichen Gesellschaft den er lngst vollzogen hatte und seit jeher propagierte (Vgl. Notizen zur Grndung... vom Nov. 1966) war nun wieder auf der Tagesordnung. Fritz Teufel reimte: Wird der Spieer nicht enteignet, bleibt er`s selbst, auch wenn er`s leugnet.

In der Tat geht aus den Aufzeichnungen hervor, dass gerade die Angst vor dem selbstauferlegten Bruch mit der brgerlichen Gesellschaft das eigentliche Motiv der thematisierten internen Probleme darstellt. In annhernd allen folgenden Redebeitrgen (Dorothea, Hans-Joachim, Volker, Ulrich) wird diese Angst kurz angesprochen, um darauf in den Konjunktiv neuerlicher Aktionsvorschlge verdrngt zu werden. Dieter Kunzelmann, im roten Hefter offenbar der Protokollant dieser Diskussion, bemngelte genau das in nachgetragenen Stichpunkten: jedesmal wird etwas neues entwickelt Widerspruch Ideen u. Konkretion.

Am 26.3. nahm die Kommune I am Ostermarsch der Kampagne fr Abrstung teil. Einigen antiautoritren SDSlern war es gelungen, den Demonstrationsverlauf durch gezielte Provo-Aktionen massiv zu stren. Es gab Verhaftungen. Im Vorfeld waren auf dem Kurfrstendamm auch Mitglieder der K I (z.B.: Dieter und Dagrun) in polizeilichen Gewahrsam genommen worden. Kunzelmann hatte Farbeier auf Polizeifahrzeuge geworfen. [26]

Die Demonstration wurde am folgenden Tag ausgewertet und sogleich in Beziehung zur Revolutionierung des Alltags gesetzt. [27] Dagmar gestand offen: Eierwerfen etc war bei mir purer Aktivismus. Das Gefhl von Isolation im Nachhinein habe ihr aber mehr Angst bereitet als frher. Davon hnge jedoch die knftige Aktionsfhigkeit der K I ab: Fr mich ist es wurst was wir hier drin in der K.[ommune] tun. Das wir aber zuknftige Aktionen planen, schon jetzt. (Humphrey) Wie wir agieren knnten. Wenn jeder vor sich hin popelt wird nichts. Fritz Teufel, dem es so vorkam als sei er bis gestern rumgelaufen wie ein Rindvieh, machte deutlich, dass er die augenblickliche Aktions-Abstinenz kaum noch ertrage. Die stndige Dominanz der internen Probleme lasse ihn bereits ernsthaft ber einen Ausstieg nachdenken. Dagrun stimmte ihm zu und bemerkte, das es Zeit wre andere Lsungsanstze fr die internen Probleme zu finden. Sie z.B. habe durch ihre Verhaftung einen Bruch geschafft u. auch endlich erfahren, da Angst absurd ist. Letztlich waren alle Diskutierenden von der Notwendigkeit einer Aktion anlsslich des bevorstehenden Berlin-Besuches des US-Vizeprsidenten berzeugt. Einigkeit auch in Fragen der Form: eine provokative Strung in der Art eines politischen Happenings.

Besuche und einhergehende Gesprche in der K 2 lieen deutlich werden: die ursprnglichen Schwerpunktsetzungen beider Kommunen hatten sich zwischenzeitlich verschoben. In der SDS-Kommune war man vom Ziel die Widersprche der Individuen nur nach auen in gemeinsamer politischer Arbeit aufzulsen abgekommen, und wandte sich mittlerweile ganz entgegen dem eigenen Vorsatz doch vordergrndig den inneren psychischen Schwierigkeiten der Bewohner zu. [28] In der Kommune I hatte man aber nicht einfach die Relevanz der beiden Pole privat (innen) und politisch (auen) vertauscht, sondern war auf dem Weg, der als hemmend empfundenen Dominanz der inneren Probleme durch die strkere Zuwendung zu politischer Arbeit in einer gemeinsamen Aktion zu begegnen.

In den letzten Gesprchsnotizen[29] vor dem 6. April 1967, dem Tag des Humphrey-Besuchs, steht ganz die Vorbereitung der Aktion im Mittelpunkt. Am 2.4. stand der Ablauf fest. Demnach sollte die Wagenkolonne des US-Vizeprsidenten auf ihrem Weg zum Rathaus Schneberg dem damaligen Sitz der Westberliner Administration abgefangen werden. Unter Einsatz mglichst vieler Roter Rauchbomben wrde man zum Auto laufen und dabei Sachen wie Superblle (kleine Vollgummi-Springblle), Schlagsahne, Pudding oder auch tutti frutti werfen. Sobald das Fahrzeug angehalten habe, sollten Lieder wie Hoch soll er leben, Backe, backe Kuchen oder Berlin ist eine Reise wert gesungen werden. Anschlieend wolle man sich verhaften lassen und den zu erwartenden Gerichtsverfahren entgegen sehen. Der entscheidende Satz in diesen letzten Notizen kam von Ulrich Enzensberger, der mittlerweile zu der berzeugung gekommen war, dass die Humphrey-Aktion als erste gemeinsame Aktion der Kommune I nicht in erster Linie nach auen wirke, sondern die innerste Aktion berhaupt darstelle.

Zusammenfassend lsst sich feststellen: Die internen Aufzeichnungen und Gesprchsprotokolle der Kommune I dokumentieren die entscheidende Phase der Beschftigung mit sich selbst, die drei Wochen vom 13. Mrz bis 4. April 1967. Die ursprnglich schwerpunktmig verfolgte Auseinandersetzung mit den internen Problemen der Kommunarden wurde in diesem Zeitraum zugunsten einer konkreten politischen Aktionsplanung anlsslich des Berlin-Besuchs von US-Vizeprsident Hubert Horatio Humphrey zurckgenommen. Dabei ist die K I nicht wie ihr spter von verschiedenen Seiten vorgeworfen wurde an der Lsung der persnlichen Probleme ihrer Mitglieder gescheitert, die nun einfach in Aktionen nach auen kompensiert wurden. [30]

Vielmehr ist ihnen erstmals in der Praxis des gemeinsamen Zusammenlebens bewusst geworden, das die beabsichtigte Aufhebung der Trennung von Privatsphre und ffentlichkeit nicht in der aufeinander folgenden Einzelbearbeitung beider Felder zu leisten ist. Die persnlichen (privaten, internen) Probleme resultierten schlielich, so die Argumentation der Kommunarden, aus den gleichen ngsten, die den einzelnen an der Ausfhrung einer politischen Aktion, d.h. am Aufbringen des ntigen Mutes gegen sich selbst und die eigene Konditionierung auf brgerliche Norm- und Wertvorstellungen, hemmen. Die Aktion wurde nicht zum Surrogat, um ungelste persnliche Probleme, unbewltigte ngste zu verdrngen, sondern in der Aktion bzw. im Mut der Teilnahme an ihr lag fr die Kommunarden der Schlssel zur Problemlsung.

Bei dem Versuch die Ebenen privat und politisch vermitteln, bildete die Aktion den Transmissionsriemen. Die Auenwirkung der Kommune bewirke zugleich eine innerliche Vernderung ihrer Mitglieder. Das war es, was Ulrich Enzensberger auf den Punkt brachte, als er die erste gemeinsame Aktion der K I nach auen zugleich als innerste Aktion berhaupt bezeichnete. Dadurch, dass die Sphre des Privaten auf der politischen Agenda der Kommune I verblieb, entwickelten sie einen existenziellen, allumfassenden Politikbegriff.

Totalisierung der Politik durch Inszenierung des Scheins

In einer Ausgabe der Zeitschrift Konkret von 1968 findet sich eine Werbeanzeige, in der Bernward Vespers Voltaire-Verlag das dort soeben erschienene Buch Klau mich der Kommune I anpreist. [31] Darin ist die Rede von einem Franktireur-Angriff [assault by Free-shooters/irregulars] auf die geheiligten Piedestale unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung (...) Die Satire will hier nicht Justizkritik ben, sie ersetzt in ihrer Totalitt die antiquierten Rechtsnormen bereits. Wer auch immer diese Zeilen zu diesem Zeitpunkt verfasst hatte, er erfasste hier bereits den Politikbegriff der Kommune I in seinem Kern.

Das Franktireur-Motiv taucht wieder auf bei Klaus Hartung, seit Mitte der 1960er selbst Mitglied des Berliner SDS, der 1977 in seinem Versuch, die Krise der antiautoritren Bewegung wieder zur Sprache zu bringen die Rckkehr eines lngst berwunden geglaubten, traditionellen Politikbegriffs beklagt. Eines Begriffs von Politik der, so Hartung:

die besten Fhigkeiten des Ichs, die List, das Tricksen, die Freude, den Gegner an seiner schwchsten Stelle zu treffen, fr nichts erachtet Fhigkeiten, die wir, wenn wir sie entwickelt haben, doch nur mit schlechtem Gewissen gegen unsere Konkurrenten anwenden. Politische Partisanen sind nicht gefragt. [32]

Genau diese Politischen Partisanen [33] seien sie, die Antiautoritren und mehr noch die Kommunarden im Berliner SDS, aber zehn Jahre zuvor gewesen:

Wir waren Subjekt und Objekt der Bewegung zugleich. Was wir gerade begriffen hatten, hatten wir dem anderen voraus. Dies unterstreichend fgte Hartung hinzu: Die Auftritte von Rainer Langhans waren sorgfltig inszeniert.

Subjekt und Objekt zugleich Privat ist gleich politisch. Einige Jahre spter hat Klaus Hartung seine berlegungen zum Politikbegriff der K I weiter przisiert als die Totalisierung der Politik [34] bezeichnet. Darum sei es den Kommunarden im Kern gegangen. Nicht die Verwirklichung eines individuellen Glcksanspruchs stand im Vordergrund, sondern das Politische in seiner Gesamtheit neu zu formulieren. Bringt man das mit den vorangegangenen berlegungen in Einklang, so knnte man auch sagen:

Total, also auf mehreren Ebenen gleichzeitig agieren kann nur, wer sich in der Gestalt des Partisanen auerhalb jeglicher Norm stellt, bisher gltige Spielregeln durchbricht, trickst, sich des schnen Scheins oder eines Kunstgriffs bedient. Genau diese Elemente beinhaltete der Politikbegriff der Kommune I.

Wolfgang Kraushaar beschrieb diese Neuformulierung des Politischen (Hartung) als immer das Gegenteil von dem, was Realpolitik zu sein beanspruchte [betrieben durch] Bluff, Imitation und Simulation. [35] Gerd Koenen nennt als wesentliches Charakteristikum der Kommune I deren Fhigkeit der Dpierung einer bigotten ffentlichkeit. [36] Das diese Totalisierung von Politik keinen durchweg kontrollierbaren Vorgang darstellte, darber war man sich innerhalb der K I sehr frh im Klaren. Der bekannte Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich bemerkte richtigerweise schon 1968, dass das Experiment Kommune I eine Art testing the limits, eine Erprobung der Tragfhigkeit konstruierter neuer Situation darstelle. [37]

Als Resultat der Diskussionen Ende Mrz 1967 hatten die Kommunarden eine augenscheinliche Tatsache bereits erkannt: Wenn die uere (politische) und die innere (private) Wirkung einer Aktion gekoppelt sind, so ist durch Steigerung des einen auch eine Zunahme des anderen zu erwarten. In den Blick kam also das Feld des Wirkens, die Frage nach dem Wie? einer Aktion. Die Antwort lautete Inszenierung. In einer Definition von Erika Fischer-Lichte zielt der Begriff der Inszenierung als sthetische und zugleich anthropologische Kategorie [auf] schpferische Prozesse, in denen etwas entworfen und zur Erscheinung gebracht wird auf Prozesse, welche in spezifischer Weise Imaginres, Fiktives und Reales (Empirisches) zueinander in Beziehung setzen. [38]

Als kommunikatives Mittel fr diesen Zweck hatte sich ja bereits im Vorfeld die Provokation als wirksam erwiesen. Deren Bedeutungskern, so der Politikwissenschaftler Franz Schneider, beinhalte jenes Herausrufen, Herausfordern aus dem blichen und Hereinholen in Regelwidriges und Regelfremdes. [39] Schneider weist in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Verfremdung hin, den Bertolt Brecht einst fr das Theater erfand, der sich aber inzwischen zu einer Kommunikationsstrategie allgemeiner Art entwickelt htte, was insbesondere fr den Zeitraum Ende der 1960er Jahre gelte:

Was Brecht meinte, ist dies: Verfremdung soll das Selbstverstndliche und Gewohnte wieder so fremd machen, da man disponiert wird zu einer neuen Eroberung und Erschlieung seines Sinnes und seiner Bedeutung. Verfremden heit neue Distanz gewinnen zu allzu Bekanntem, damit ein kritischeres Kennenlernen ermglicht wird. Das Staunen ber sich selbst und die Zustnde, die man aktiv oder passiv formt, soll Vernderungsbewutsein schaffen, das sich gegebenenfalls zum Vernderungswillen verlngert. [40]

Das entspricht exakt jenen Merkmalen des situationistischen dtournement einer Tradition, die sich innerhalb der Kommune I vor allem in Person eines Dieter Kunzelmann, manifestiert hatte.

Fassen wir einmal zusammen: Der Politikbegriff der Kommune I erstrebte in seiner totalen Ausrichtung eine Neuformulierung des Politischen. Sein Ziel war die Bewusstseinsvernderung zunchst bei den Kommunarden selbst, danach bei ihren Rezipienten. Die Auflsung und Vernderung autoritrer Charakterstrukturen. Der Zweck ist die Inszenierung, durch die das bewirkt werden sollte. Das Mittel hierfr stellte die Provokation dar.

Kommune I, das war eine regelrechtes Konzept spielerischer Inszenierungen und ironischer Provokationen, so der Kulturhistoriker Wolfgang Ruppert, welches den Normenbruch in symbolischen Formen beinhaltete. [41]

Die Kommune I verfolgte eine Kommunikationsstrategie, die mit Hilfe der Theorie des Dortmunder Politikwissenschaftlers Thomas Meyers als Symbolische Politik beschrieben werden kann. Symbolische Politik in dieser Lesart meint nicht das Handeln mit Symbolen, sondern die Tat als Symbol, als das andere ihrer selbst. Symbolische Politik ist Kommunikation, die sich als Handeln verstellt. [42] Whrend in der symbolischen Politik von oben ein Handeln zum Tragen kommt, in dem nichts Wirkliches verdichtet und auf nichts Wirkliches verwiesen wird eine Inszenierung des Scheins , die die Strategie einer blo vorgetuschten, placebo-artigen Kommunikation (Manipulation) verfolgt, geht die symbolische Politik von unten als Meta-Inszenierung darber hinaus. Der Schein, der hier inszeniert wird, behauptet nicht er sei real. Vielmehr soll er als Dramatisierungsritual einer gestrten Verstndigung wirken. Eine Placebo-Politik die so paradox es zunchst klingen mag Reflexionsprozesse beim Publikum hervorrufen will. Hierzu noch einmal Meyer:

Symbolische Politik von oben lebt davon, da wir das Placebo schlucken, als wre es gute Medizin. Symbolische Politik von unten bietet es uns augenzwinkernd an, damit wir uns auf das, was wir tun, neu besinnen. Symbolische Politik von unten enthllt das, was die von oben verschleiert. Das ist der klassische Unterschied zwischen Manipulation und Aufklrung. [43]

Dadurch, dass etwas in der Art seiner Prsentation besonders dramatisiert, berspitzt ist oder ad absurdum gefhrt wird so durch Verfremdung im Brechtschen oder dtournement im situationistischen Sinne , soll der Schein durchschaubar, und eine wirkliche Kommunikation hergestellt werden.

Mittels Symbolischer Politik kann Kommunikation also entweder in manipulativer oder aufklrerischer Absicht verzerrt werden. Die Voraussetzung dafr liegt, so Meyer, im Zutritt zu den Bhnen der Massenkommunikation, sprich: den Medien.

Symbolische Inszenierung von unten ist daher nur als eine Ausnahme mglich. Ziviler Ungehorsam[44] ist symbolische Politik von unten, aber eine, die durch ffentliche Selbstthematisierung den Schein, den sie hervorbringt, selbst wieder aufhebt. Sie nutzt die Gesetze der wirksamen Medienprsenz, um verdrngten Themen dramatische ffentlichkeit zu verschaffen, und sorgt durch das Arrangement ihrer Inszenierungen und deren Interpretation dafr, da der im Handeln erzeugte Schein nur zu dem Zweck genutzt wird, den politischen Diskurs wiederherzustellen. Sie nutzt die Regeln der Regie der Wahrnehmung, nicht um Fakten oder Argumente vorzutuschen, sondern, um ein gefhrdetes Gesprch zu retten. Sie macht den symbolischen Status ihrer Aktionen selbst noch zum Gegenstand des Arrangements der Inszenierung. [45]

Diese Art der symbolischen Regelverletzung ist es, was von der K I im Idealfall beabsichtigt wurde. (Zu den unangenehmen Begleiterscheinungen jeglicher Praxis gehrt aber auch die Tatsache, mit wiederkehrender Regelmigkeit vom Ideal abzuweichen.) Der Politikbegriff der Kommune I zeigt sich demnach in ihrem inszenatorischen Wirken, als auch in der dadurch entfalteten Wirkung.

Erster Akt (April 1967 - Dezember 1967) Der Groe Tanz [46]

Die erste, am Ende ihrer Mammut-Diskussion minutis geplante, symbolische Inszenierung der Kommune I anlsslich des Besuchs von Lyndon B. Johnson-Vize Hubert Humphrey wurde bereits beendet, bevor sie berhaupt stattgefunden hatte. Am Mittwoch dem 5. April 1967, Tag der letzten entscheidenden Vorbereitungen der Aktion, wurden 11 Kommunarden unter dem Verdacht, da sie unter verschwrerischen Umstnden verabredet htten, den Vizeprsidenten der Vereinigten Staaten, H. Humphrey, bei seinem Besuch durch Einsatz von Sprengkrpern oder anderen gefhrlichen Tatmitteln an Leib oder Leben zu gefhrden von der Berliner Politischen Polizei verhaftet.

Die CIA hatte die Telefon- und Raumgesprche der Wohnung Uwe Johnsons (dessen Frau Elisabeth man des Kontakts zum Tschechischen Geheimdienst verdchtigte) abgehrt und in den Gesprchen der Kommunarden ber Rauchkerzen, Pudding und Trtchen die Vorbereitung eines Attentats vermutet. Wie es sich fr einen Nachrichtendienst gehrt, wurden diese brisanten Informationen an die zustndigen deutschen Behrden (Staatsschutz) weitergeleitet, die daraus fr den Bericht ein Bombenattentat konstruierten und an die Presse weiterleiteten.

Die Zeitungsmeldungen am 6.4., allen voran die der Springerschen Boulevardzeitungen, berschlugen sich frmlich. Bild titelte: Geplant Berlin: Bombenanschlag auf US-Vizeprsidenten Elf Verschwrer gefat. Andere Bltter schwenkten in den Kanon der Hysterie mit ein. Schon bald war klar, was da statt der vermuteten Bomben geworfen werden sollte. Hierber hielt sich die Berichterstattung dann in Grenzen, besonders bei denen, die am lautesten Zeter und Mordio geschrieen hatten. ber Rundfunk und Fernsehen (ARD-Sendung Panorama) verbreitete sich die Meldung weltweit. Selbst die New York Times hatte die Kommune I auf ihrer Titelseite.

Die Verhafteten mussten einen Tag nach dem Humphrey-Besuch wegen fehlender Haftgrnde wieder entlassen werden. Eine verhinderte Scheininszenierung hatte, dank geheimdienstlicher Mithilfe und medialer Eigendynamik, eine Wirkung entfaltet, wie sie sich die Kommunarden nicht im Traum ausgemalt hatten. Ein Nicht-Ereignis wurde zum weltweit beachteten Spektakel (...).[47] Zwar war das Puddingattentat, wie es von jetzt an hie, bedauerlicherweise nicht zur Ausfhrung gekommen (Kunzelmann) was den Kommunarden, ob des nichtzukalkulierenden Sicherheitsrisikos durch diensteifrige Secret Service Leute sehr entgegen gekommen sein drfte doch mittels des berraschenden Publizittsschubs erffneten sich nun inszenatorisch noch breitere Mglichkeiten.

Die Kommune I nutzte sie. Nach einer ersten Pressekonferenz im SDS-Zentrum im Anschluss an ihre Freilassung (7.4.) traf sich die K I am darauffolgenden Vormittag mit Reportern des Magazins Stern zum Lokaltermin Niedstr. 14. [48] In dem daraus resultierenden Artikel wurden die Eckpfeiler des knftigen K I-Medienimages gesetzt. Zu richtigen Medien-Profis sollten sich die Kommunarden allerdings erst noch entwickeln. Auf der einen Seite rangiert in dem Stern-Artikel die expressive Selbstdarstellung der Kommunarden, fassbar in rein provokativen Aussagen wie z.B. Maos Politik ist die einzige realistische Formel fr die Zukunft der Welt (Kunzelmann) oder Die sexuellen Probleme sind im Kommuneleben entkrampft (Langhans). [49] Dem gegenber steht die interpretierende Fremdwahrnehmung eines Autors, von dem sich die Kommunarden das inszenatorische Zepter stellenweise noch zu leicht aus der Hand nehmen lieen. Aus der Langhans-uerung wurde ungezwungene Liebe im Kollektiv oder die erotisierende Feststellung, dass die beiden verbliebenen Kommune-Frauen Dagmar und Dorothea theoretisch die Gefhrtinnen smtlicher mnnlicher Maoisten seien.

Obwohl die Inszenierung der K I hier noch sehr zaghaft und eher unprofessionell vonstatten ging besonders den Fotos merkt man ihre Geknsteltheit und den Zeitdruck unter dem sie entstanden sind an (Kunzelmann zog seine Jacke gar nicht erst aus) verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Der Mythos Sexualitt, ein Klischee von Partnertausch, Gruppensex, Promiskuitt und freier Liebe, war geboren, ein Placebo, an dessen Entstehung die Kommunarden nur geringen Anteil hatten.

Als man in der Kommune I festgestellt hatte, dass sich mit der halb lsternen, halb moralisch sich entrstenden Neugier des brgerlichen Publikums arbeiten lie, wurde begonnen, Sexualitt bewusst zu inszenieren. Der Schein, der hier produziert wurde, war nicht so einfach zu durchschauen, und das sollte er auch nicht, wohnte ihm doch eine ntzliche mediale Verstrkungsfunktion inne. Es wurde geprotzt mit etwas, womit die Kommune in der gerade anhebenden ra des Bettaufklrers Oswalt Kolle die allgemeine Phantasie und Neugierde auf sich ziehen konnte. [50] Ein Beispiel, das berhmte Foto, der kollektive Rckenakt der K I. Dazu die damalige Kommunardin Dagmar Seehuber:

Im Sommer 1967 [Anfang Juni, A. H.] wurde ich darber informiert, dass ein Fotograf kommt und wir uns alle ausziehen sollten, um ein Nacktfoto zu machen. Meine Idee war es sicherlich nicht, und ich wei nicht einmal mehr ganz genau, wie es zustande kam. Aber irgendjemand muss den Fotografen [Thomas Hesterberg, A. H.] bestellt haben. Ich war schon aus der Kommune I ausgetreten und wei noch, wie ungeheuer paradox ich das Ganze fand. Die Kommune I, die sich da nackt hingestellt hat, bestand in der Form gar nicht mehr. Zu der Zeit wurde zwischen Kommune I und 2 ziemlich hin und her gependelt, und offenbar hat sich halt ausgezogen, wer gerade von den beiden Kommunen erreichbar war.

Bei dieser Gelegenheit habe ich zum ersten Mal alle nackt gesehen und bin berzeugt, dass es den anderen genauso ging. Es war wirklich ein Foto fr diese Geier vom Spiegel. Aber es sollte sicherlich sexuelle Tabus brechen, und so kam es ja auch drauen an. (...) Niemand konnte ahnen, dass wir alle ein ziemlich verklemmter Haufen waren. [51]

In dem man den Fotografen mit der Herstellung dieses Fotos quasi beauftragt hatte, konnte die K I gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Bevor das Bild - mit retuschierten Geschlechtsteilen und unmissverstndlicher Erluterung, es handele sich um einen bildlichen Protest gegen disziplinarische und strafrechtliche Verfahren verkaufsfrdernd im Spiegel erschien, wurde es fr ein eigenes Projekt genutzt. Als rosa getntes Deckblatt ihrer Mitte Juni 1967 im Eigendruck hergestellten Broschre Kommune I Gesammelte Werke gegen uns, einer Sammlung von an die Kommunarden gerichtete Briefe der Eltern, des Disziplinarausschusses der FU, des Landgerichts Berlin, diente das Foto (ganz hnlich wie dem Spiegel) dazu, die Kauflust und Anteilnahme der Berliner Intelligenz in die rechten Bahnen zu lenken. [52]

Das Sex-Image der K I wirkte daneben durch den Verkauf von Raubdrucken wie z.B. Wilhelm Reichs Die Funktion des Orgasmus bis hinein in die eigene studentische peer group, wo allein schon der Titel fr an Kolles unbekannten Wesen geschulten Ohren eine rasierklingenhafte Direktheit hatte. [53]

Ein weiteres Beispiel fr die Inszenierung von Sexualitt ist ein Artikel in der Zeitschrift pardon vom August 1967. Bezglich des Mnnerberschusses in der K I heit es dort:

Offensichtlich hat das Rezept eines Ex-Kommunarden nicht die erhoffte Wirkung gehabt, um neue Gespielinnen einzugemeinden: Es ist wie bei der Pferdedressur. Erst mu einer das Tier einreiten, dann steht es allen zur Verfgung. Erst ist es Liebe oder so was hnliches, nachher nur noch Lust. Der Trick ist schrecklich einfach: Man macht ein Mdchen verliebt, schlft mit ihr und markiert nach einer Weile den Enttuschten oder Desinteressierten. Dann berlt man sie der Aufmerksamkeit der anderen und das Ding ist gelaufen. So ist sie vollwertiges Mitglied.[54]

Auch wenn hier nicht einmal deutlich wird, welcher Ex-Kommunarde das gesagt haben soll (vermutlich Hans-Joachim Hameister, denn Teufel, Kunzelmann, Langhans, Enzensberger, Gebbert waren zu diesem Zeitpunkt noch dabei), so ist hingegen klar, dass kein Krnchen Wahrheit in dieser, wenngleich nicht sonderlich gelungenen, Provokation enthalten war.

Einer der dieser Inszenierung aufsa, war der Soziologe und sptere Psychoanalytiker Reimut Reiche. In seinem Buch Sexualitt und Klassenkampf(zuerst 1968) verwendet er jenes Pferdedressur-Zitat als argumentativen Beleg seiner Kritik an den Kommunarden, die, so Reiche, die gesellschaftsblichen Repressionen bei sich selbst noch nicht einmal zu dem unmittelbar noch notwendigen Existenzniveau an repressiven Zwngen und Verdrngungen abgebaut haben, sondern durch viel grausamere Zwangssysteme ersetzt htten. [55] Er htte gut daran getan, den auf jeder Ausgabe abgedruckten Untertitel der Zeitschrift pardon genauso ernst zu nehmen, wie die (vermeintlichen) uerungen der Kommunarden. Dort steht: die deutsche satirische Monatsschrift. [56]

Die Medienwissenschaftlerin Kathrin Fahlenbrach hat in ihrer Untersuchung der Rolle visueller Kommunikation am Beispiel der Studenten- und Jugendbewegung Ende der 1960er Jahre herausgearbeitet, dass ein zunehmend paradoxes Wechselverhltnis die Wirkung der Protestakteure, so der K I, begleitete. Sie vertritt die These, dass es dabei zur berschneidung der expressiven Selbstdarstellung der Bewegung und der sthetischen Fremddarstellung durch die Medien auf der Ebene der Gestaltung von Intensitt, Dynamik und Gestalttypologien der Protestsymbole gekommen sei. [57] Insofern wurde Reiche in seinem Bezug auf das pardon-Zitat gewissermaen zu einem Opfer der entstehenden Kluft zwischen Wirklichkeit und ihrer medial vermittelten Wahrnehmung. Kommune I in den Medien entsprach einer inszenierten Wirklichkeit, einerseits von ihr selbst und andererseits von den Medien inszeniert.

bersteigerte Artikel, wie der von Konkret-Herausgeber und Meinhof-Ehemann Klaus Rainer Rhl[58], trugen somit auch in der linken Leserschaft urschlich dazu bei, dass die Inszenierungen der K I fr wahr genommen, ihr Politikbegriff letztlich auch innerhalb der verschiedenen SDS-Fraktionen nicht verstanden wurde.

Am 3. Mai verteilte die Kommune I an der FU die Flugbltter Nr. 1-5, die zum Boykott einer Urabstimmung aufriefen und mit SDS unterzeichnet waren. [59] Die K I wollte die Studentenschaft und damit die Hochschulpolitik radikalisieren, sie verfolgten die Zerstrung von Mitbestimmungsillusionen und die Loslsung mglichst vieler Studentinnen und Studenten von einer Fixierung auf pseudoparlamentarische Spielwiesen in den Universittsgremien bzw. im Konvent der FU (Kunzelmann). Am 12. Mai fand eine SDS-Landesvollversammlung statt, auf der ber den Ausschluss der K I abgestimmt wurde. In seinem Referat zur Begrndung des Antrags auf Ausschlu der Kommune I aus dem Berliner SDS setzte sich Wolfgang Lefvre zunchst gegen den rechten Flgel der sogenannten Alte-Keulen-Riege und dann gegen die pseudo-Linke der Kommune I ab, der er eine falsche Unmittelbarkeit bescheinigte. [60] Der Vorwurf suggeriert, das die K I mit zu wenig politischem Ernst agierte. Doch gerade darum ging es ja, das war der entscheidende Unterschied in der Wahrnehmung von Politik. Ein altes Problem wurde wieder evident: die Kluft zwischen einem totalen und einem rationalen Politikbegriff lies sich nicht berbrcken, und spaltete letztlich die Antiautoritren im Berliner SDS. [61] Am eigentlichen Verhltnis Berliner SDS und K I nderte der Rauswurf indes gar nichts. Man nahm wie gehabt an Mitgliederversammlungen teil und pflegte dieselben Kontakte.

Die Kommune I hatte in den vorangegangenen zwei Monaten derartig an Erfahrung und Selbstbewusstsein gewonnen, dass sie den SDS als Basis gar nicht mehr bentigte. Mit dem bewusst in Kauf genommenen Ausschluss trieb sie ihre Idee der ironischen Entfernung vom revolutionren Kalkl weiter voran, und vollzog den entscheidenden Schritt zur Autonomie der Theaterzelle in der Frontstadt. [62] In ihrem folgenden Coup, dem Beispiel fr symbolische Politik von unten par excellence, sollte sie das unter Beweis stellen.

Am 22. Mai 1967 ereignete sich im Brsseler Kaufhaus A l`Innovation, wo gerade eine Sonderausstellung amerikanischer Waren gezeigt wurde, eine Brandkatastrophe mit ber 300 Todesopfern. Am 24. Mai verteilte die Kommune I auf dem Gelnde der FU die Flugbltter Nr. 6-9, die, Elemente der Werbung und der Springertypischen Bild-Berichterstattung aufgreifend, den Brand als ein Grohappening belgischer Vietnamkriegsgegner darstellten. Hier Auszge:

Neue Demonstrationsformen in Brssel erstmals erprobt In einem Grohappening stellten Vietnamdemonstranten fr einen halben Tag kriegshnliche Zustnde in der Brsseler Innenstadt her. (...) Ich sprach mit dem Mitglied der pro-chinesischen Gruppe Aktion fr den Frieden und Vlkerfreundschaft Maurice L. (21): Wir vermochten uns bisher mit unserem Protest gegen die amerikanische Vietnampolitik nicht durchzusetzen, da die hiesige Presse durch ihre Berichterstattung systematisch den Menschen hier den Eindruck vermittelt, da ein Krieg dort unten notwendig und zudem gar nicht so schlimm sei. Wir kamen daher auf diese Form eines Happenings, die die Schwierigkeiten, sich die Zustnde beispielsweise in Hanoi whrend eines amerikanischen Bombenangriff vorzustellen, beheben sollte. [Flugblatt 6]

NEU ! UNKONVENTIONELL ! Warum brennst du, Konsument ? NEU ! ATEMBERAUBEND ! (...) Mit einem neuen gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden wurde jetzt in Brssel eine amerikanische Woche erffnet: ein ungewhnliches Schauspiel bot sich am Montag den Einwohnern der belgischen Metropole: Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europischen Grossstadt jenes knisternde Vietnamgefhl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen mssen. [Flugblatt 7]

Wann brennen die Berliner Kaufhuser? Bisher krepierten die Amis in Vietnam fr Berlin. Uns gefiel es nicht, dass diese armen Schweine ihr Cocacolablut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mussten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Strassen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus und zuletzt htten wir gern HHH in Pudding sterben sehen. (...) Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevlkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie znden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Brger beenden ihr aufregendes Leben und Brssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Trnen ber das arme vietnamesische Volk bei der Frhstckszeitung zu vergiessen. Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zndet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an. (...) Wenn es irgendwo brennt in der nchsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribne einstrzt, seid bitte nicht berrascht. Genausowenig wie beim berschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China. Brssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: burn, ware-house, burn! Kommune I (24.5.67) [Flugblatt 8]

Die Folgen dieser provokativen Inszenierung lieen nicht lange auf sich warten. Polizei und Presse (z. B. BZ vom 26. und 27. Mai 1967) reagierten sofort auf die Kaufhaussatire folgte die Anklagesatire. Am 9. Juni 1967 bekamen die Kommunarden Post vom Generalstaatsanwalt des Berliner Landgerichts, in der Fritz Teufel und Rainer Langhans angeklagt wurden, durch Verbreitung von Schriften zur Begehung strafbarer Handlungen aufgefordert zu haben, nmlich zum vorstzlichen Inbrandsetzen von Rumlichkeiten, welche zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dienen, und zwar zu einer Zeit whrend welcher Menschen in denselben sich aufzuhalten pflegen. Die Aufforderung ist bisher ohne Erfolg geblieben. [63]

Die Scheininszenierung war erfolgreich. Polizei, Presse und Justiz hatten das Placebo geschluckt. Das Spektakel konnte beginnen.

Am 6. Juli 1967 begann vor der 6. Groen Strafkammer im, berwiegend mit studentischem Publikum (ca. 80 Personen) und Pressevertretern (ca. 60) gefllten, Saal 500 des Landgerichts Berlin-Moabit der Prozess wegen Aufforderung zur menschengefhrdenden Brandstiftung. Den Vorsitz hatte Landgerichtsdirektor Schwerdtner. Oberstaatsanwalt Kuntze und ein weiterer Staatsanwalt waren Beisitzer. Verteidiger der Kommunarden: Rechtsanwalt und Alt-SDS-Mitglied Horst Mahler.

Die Angeklagten wurden zur Sache befragt und erklrten, nichts habe ihnen ferner gelegen, als zur Brandstiftung aufzurufen, sie wollten lediglich in schockierender Form auf das amerikanische Vorgehen in Vietnam aufmerksam machen. Ihre Antworten waren stellenweise so geschickt, dass es ihnen gelang die Autoritt Gericht lcherlich zu machen, sie zur Selbstentlarvung zu bringen und Reaktionen zu provozieren, die einzig den Kommunarden zum Vorteil gereichten. Hier einige Auszge aus der 1. Moabiter Seifenoper: [64]

SCHWERDTNER: Warum wurden nun gerade diese Flugbltter verffentlicht, in denen es um den Brand des Warenhauses in Brssel ging?

TEUFEL: Es hat uns gereizt, die moralische Emprung der Leute hervorzurufen, die sich niemals entrsten, wenn sie in ihrer Frhstckszeitung ber Vietnam oder andere schlimme Dinge lesen.

SCHWERDTNER: Sie demonstrieren also gegen Vietnam? [sic!]

TEUFEL: Nicht nur, wir demonstrieren auch gegen die Saturiertheit und Selbstzufriedenheit...

SCHWERDTNER: Wer ist denn saturiert?

TEUFEL: Man kann es auch anders formulieren. Die Deutschen sind ein demokratisches, freiheitliches, tchtiges Vlkchen. Sie haben zwar eine Menge Juden umgebracht, aber dafr werden jetzt mit deutschen Waffen Araber umgebracht, das ist eine Art Wiedergutmachung. Es ist doch so: Je mehr von den Schwarzen oder Gelben da unten verrecken, desto besser ist es fr uns.

SCHWERDTNER (erschrocken): Das meinen Sie aber doch nicht ernst? Gelchter im Saal

TEUFEL: Doch doch!

SCHWERDTNER: Und deswegen haben Sie das Flugblatt geschrieben?

TEUFEL: Wir wollten den Leuten mal wieder Gelegenheit geben, die Wirrkpfe und Radikalinskis angewidert zu beobachten und nach dem Kadi zu schreien.

StA KUNTZE: Und wenn nun irgendjemand auf den Gedanken gekommen wre, das zu probieren, was in den Flugblttern steht, eine Zigarette in einer Umkleidekabine eines Warenhauses anzuznden?

TEUFEL: Ich mu sagen, es ist keiner auf den Gedanken gekommen, da man das tun knnte bis auf den Herrn Staatsanwalt. Der hat es aber auch nicht getan, sondern eine Anklageschrift verfat.

Am Nachmittag dieses ersten Verhandlungstages wurden von der Verteidigung bestellte Gutachter gehrt, die bereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, dass es sich im Falle der Flugbltter um Dokumente bitterer Ironie, Parodie, Satire oder auch schwarzem Humor, aber keinesfalls um Aufforderungen zur Brandstiftung handele. [65] Am zweiten Verhandlungstag versuchte die nun arg in die Defensive geratene Berliner Justiz mit einem wie sich herausstellen sollte unglcklich gewhlten Entschluss die Notbremse zu ziehen. Um Zeit zu gewinnen, der mangelhaften Vorbereitung und dem schon erlittenen Imageverlust der Justiz zu begegnen, ordnete die Strafkammer die psychiatrische und neurologische Untersuchung der Angeklagten durch Obermedizinalrat Dr. Spengler an, der ein ausfhrliches, schriftliches und wissenschaftlich begrndetes Gutachten einreichen sollte. Die Hauptverhandlung wurde ausgesetzt.

Der Sommer 1967 wurde zum Sommer der Kommune I, die trotz (in der Regel demobilisierend wirkender) Semesterferien die antiautoritre Bewegung in Berlin am laufen hielt, ihre eigenen symbolischen Inszenierungen weiter perfektionierte, und zu einem regelrechten sthetischen Schein des Kommunetheaters (Briegleb) verdichtete, wobei ihre bekanntesten Protagonisten den Status von Popstars erreichten.

Wichtigste Voraussetzung der Wirksamkeit ihrer symbolischen Politik von unten war die detaillierte Vorbereitung jeder Aktion. Dazu Langhans (1977):

Unsere freudigen Mienen, unser Spa, unsere intellektuellen Fhigkeiten waren sehr ausgeklgelt. Da war nichts ungeplant. Diese ganzen Gerichtsgeschichten waren eine unendlich durchkalkulierte Veranstaltung immer mit dem Gefhl, da sie uns Punkte liefern mute. Als ausgezeichnete Schauspieler zehrten sie dabei von der berwindung der Trennung von privat und politisch: Wir konnten, wenn sich jemand aufs Gefhl zurckzog, den Intellekt einsetzen. Und wenn sich jemand auf seinem Intellekt ausruhte, dann konnten wir ihn so verunsichern, da pltzlich sein Intellekt nicht mehr hielt. Die Folge war immer eine mangelhafte Reaktion. [66]

Aktionsvorbereitend auch das legendre K I-Pressefrhstck mit anschlieender akribischer Archivarbeit. Morgens arbeitete man sich systematisch durch smtliche Tageszeitungen. Berichte ber eigene Aktionen, Aktionen der antiautoritren Bewegung oder anderweitig inspirierende Ereignisse wurden markiert, ausgeschnitten und im Wohnzimmer-Bro der Kommunarden in Ordner geheftet. Hier herrschte nach Aussagen eines Spiegel-Reporters adrette Ordnung, schlielich handele es sich bei der K I ja um eine deutsche Kommune. [67] Aktionsplanung durch Medienanalyse: Worin fr die Kommunarden, analog zu ihrem Politikbegriff, ein wichtiges Element politischer Arbeit bestand, glaubten andere in erster Linie die Eitelkeit des Zeitungslesers zu erkennen, der im Betrachten seines Konterfeis die Erfllung sieht.

Zweiter Akt (Januar 1968 Oktober 1968) Imagepflege

Herbert Marcuse, einer der Vter der Kritischen Theorie, die dem neuen Gesellschaftsmodell der "68er" zu Grunde lag, an der Freien Universitt Berlin 1968 Der erste grere Hhepunkt der Kommuneaktivitten 1968 bestand in der, nach eigenen Aussagen, Neu-Inszenierung des Brandstifterprozesses. Die Fortsetzung der im Juli 1967 ausgesetzten Hauptverhandlung begann am 4. und endete am 22. Mrz 1968. Whrend der eigentlichen 8 Verhandlungstage zeigte sich, dass sich beide Seiten, sowohl Justiz als auch die Angeklagten Teufel und Langhans, gut vorbereitet hatten. Austragungsort diesmal: der bedeutend kleinere Saal 101 des Landgerichts. Lediglich 12 Pltze waren von Journalisten besetzt, und zwar von solchen, die mehrheitlich als stndige Gerichtsreporter wirkten. Fnf Uniformierte Polizisten und weitere Beamte in zivil nahmen beinahe die Hlfte der verfgbaren Publikumspltze ein und sorgten so dafr, dass eine nichtbegrenzte ffentlichkeit kaum mglich wurde. Wie hatte der Spiegel-Gerichtsreporter Gerhard Mauz den Beginn jener 2. Moabiter Seifenoper so treffend beschrieben: ber die Toppen geflaggt, illuminiert mit einem Scheinwerfer in jedem Bullauge und hunderttausend Tonnen Wasser verdrngend, fhrt das Zielschiff vor zwei mit Spatzenbchsen ausgersteten Fischdampfern auf. [68]

Aber die Fischer verstanden sich im Umgang mit ihren Spatzenbchsen. In ihren verbalen Darbietungen perfektionierten die beiden Angeklagten ihre, aus dem ersten Teil des Prozesses bekannten, Vorgaben. Eine Auswahl:

LANGHANS (weiter): Es geht mir jetzt darum, Sie zu fragen, wie Sie darauf kommen knnen, da das eine Aufforderung zur Brandstiftung sein knne, das ist doch bldsinnig.

SCHWERDTNER: Was soll das heien?

LANGHANS: Das heit, das wir Leute, die sich zur Brandstiftung aufgefordert fhlen, nur fr bld halten knnen und da hat sich das Gericht ja sehr hervorgetan.

StA TANKE: Auch in dieser Formulierung ist ein ungebhrliches Verhalten ich stelle Antrag auf eine Ordnungsstrafe von einem Tag Haft. (...) TEUFEL [an den Schweizer Psychiater Dr. Georgi, einem Zeugen der Verteidigung, A. H.]: Eine Zusatzfrage: Gibt es in der Psychiatrie eine Krankheit, die man umschreiben knnte mit krankhaftem Verhngen von Ordnungsstrafen. Sind Flle bekannt und welche Therapie wrden Sie vorschlagen?

SCHWERDTNER (lachend): Das ist wieder eine Unverschmtheit. Beschlu: 2 Tage Haft.

Gerade auch jenes psychiatrische Gutachten der Grund fr die Vertagung des Prozesses im Juli 1967 bot beste Angriffsflchen[69]:

RA MAHLER: Was verstehen Sie als normales sexuelles Verhalten und was als abnormes, ganz allgemein?

SPENGLER: Wo da die Grenze liegt, ist sehr schwer zu sagen. (...)

RA MAHLER: Sie mssen aber doch die Tatsachen nennen knnen, auf denen das Gutachten basiert. SPENGLER: Ich habe gesagt, ich habe Herrn Teufel in der damaligen Verhandlung wegen Landfriedensbruchs und auch hier beobachtet.

RA MAHLER: Und Sie meinen, da sich da ein abnormes sexuelles Verhalten gezeigt hat?

TEUFEL (sanft): Habe ich etwa dem Vorsitzenden unsittliche Antrge gemacht?

Sie hatten ihr Ziel erreicht: die Justiz zu provozieren, deren hufig absurd-brokratische Formen durch Blostellung lcherlich zu machen und zu entlarven. Den Kommunarden war es ein weiteres Mal gelungen, den Gerichtssaal zu einer Bhne ihrer symbolischen Politik umzufunktionieren. Die Angeklagten wurden auf Kosten der Landeskasse Berlin freigesprochen.

Auf einen anderen inszenatorischen Aspekt der K I-Symbolpolitik sei im Zusammenhang mit dem Prozess hingewiesen. Nennen wir ihn uerlichkeiten. Folgende Episode ereignete sich zu Beginn des ersten Prozesses gegen die Kommunarden im Juli 1967: einem jungen Mann mit dicht gelockten und fr damalige Verhltnisse langen Haaren, der Sandalen, hellblaue schmutzige Jeans, ein weies Frott-Hemd, eine rosa Leinenjacke und ein Mao-Abzeichen trug, wurde von einem Wachtmeister (zunchst) der Zutritt zum Gerichtsgebude verwehrt, da Gammler hier keinen Zutritt htten. Bei dem jungen Mann handelte es sich um den Angeklagten Rainer Langhans.

Im Mrz 1968 hatte man die Garderobe wiederum sehr sorgfltig zusammengestellt. In der einerseits przisen Beschreibung des ueren der beiden Angeklagten durch den Gerichtsreporter Gerhard Mauz schwingt zugleich schon die Wirkung mit, die hierdurch erreicht werden sollte:

Rainer Langhans, 27, gleicht unter einem Atompilz von eigens zur Sitzung vom Figaro hergerichteten Locken einem Papua-Medizinmann. Zu einem lindgrnen Litewka-Jckchen [Uniformrock mit Umlegekragen, A. H.] mit orangenen Knpfen, mit Mao-Kragen und Manschetten in blau trgt er hellblaue Jeans. Durch Lockenstrudel hinter kreisrunden Brillenglsern hervor spht er mit den Augen eines melancholischen Muserichs.

Fritz Teufel, 24, ist in einem fast knielangen Kittel oder Frisiermantel gekleidet, auf dessen Orange silberne Knpfe blitzen, whrend Manschetten und Mao-Kragen in Violett erstaunliche Akzente setzen. Haar und Bart dieses Angeklagten, eine perfekte Rundumfrisur, sind vergleichsweise dezent und erinnern an nicht mehr als den Klabautermann oder Oberammergau. Auch lassen die eher elliptischen Brillenglser Fritz Teufel stillvergngt wie Disneys Porky und nicht wie Karl Luxemburg blicken. Erst zwischen Kittelsaum und Boden gelingt ihm die totale Schndung der abendlndischen Kleiderordnung [sic!], trgt er doch dunkle Hosen mit Nadelstreifen, unter denen gelbe Socken in Wildlederschuhen stecken. [70]

Ein Charakteristikum von Kleidung ist, neben dem rein funktionalen Aspekt, die mit ihr transportierte Symbolhaftigkeit. So kann mittels Textil eine Einstellung, die Zugehrigkeit und Position innerhalb eines bestimmten Wertekanons, ein Abgrenzungsbedrfnis zum Ausdruck gebracht werden. [71] Diese seit frhester Zeit allgemein bekannten Tatsachen hatten die K I-Mitglieder bereits in die berlegungen ihrer groen Diskussionsrunden im Mrz 1967 mit aufgenommen. Ein weiteres, in der Abgrenzung gleichsam schon enthaltenes, Motiv ist Selbstdarstellung. Fr die K I wurde dieses Motiv das Ausschlaggebendere im Umgang mit Kleidung. Mglich war damit die gezielte Provokation, so Kunzelmann, durch Verkleiden und Entkleiden und auch durch Verkleidung etwas zu entkleiden. [72] Durch Maskerade sollte gesellschaftliche Maskerade ad absurdum gefhrt werden (so bei weiteren K I-Aktionen am 9., 12., 18.8. und 15.9. 1967). Gerade bei den Kommune-Prozessen wurde deshalb, neben der inhaltlichen Vorbereitung, gesonderter Wert auf die Kleidungs-Auswahl gelegt, wie Kunzelmann weiter besttigt.

Analog dem oben beschriebenen Politikbegriff der Kommune I verbindet sich in dieser Art der Selbstdarstellung das Mittel, die Provokation, mit dem Zweck, der Inszenierung.

Kathrin Fahlenbrach vertritt in ihrer Studie die These, dass die Jugend- und Studentenbewegung der 1960er Jahre, die sie als habituellen Generationenkonflikt beschreibt, als erste soziale Bewegung in der BRD ihren Widerstand gegen die kulturelle Ordnung (die Lebensformen der Alten) auf die sichtbaren Signale der individuellen und kollektiven Selbstdarstellung der Aktivisten ausgeweitet habe. [73] Konkret kann man die These dahingehend zuspitzen, dass es hierbei gerade die Protagonisten der Kommune I waren, die es am besten verstanden mittels sichtbarer Signale (bekleidet oder unbekleidet) die etablierten Reprsentationsregeln zu durchbrechen. In der Bundesrepublik waren sie die ersten, die das groe Feld der Protestkommunikation dauerhaft und zukunftsweisend auf den Bereich Selbstdarstellung konzentrierten. Die eigene Person als Transparent privat gleich politisch.

Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 und den sich daran anschlieenden Osterunruhen, mit Aktionen gegen Einrichtungen des Springer-Verlages und schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, geriet die APO in einen Zustand kopfloser Desorientierung, ein Nebeneinander von Handlungsdruck und (organisatorisch bedingter) Handlungsunfhigkeit, aus dem sie bis zuletzt nicht wieder herausfinden wrde.

Die K I machte ihrem eigenen Stil folgend so weiter wie bisher. Seit dem 1. Mai 1967 bewohnten die Kommunarden ein 7-Zimmer-Domizil am Stuttgarter Platz. Die Wohnung Kaiser-Friedrich-Strae 54a, direkt am S-Bahnhof Charlottenburg, hatte sich mittlerweile zu einem regelrechten Zentrum mit institutionellen Charakter entwickelt. [74] Neben festen Mitgliedern, wie dem Ur-Triumvirat Kunzelmann, Teufel, Langhans und Neu-Mitgliedern, wie z. B. Antje Krger herrschte ein fluktuierender Durchlauf von Hospitanten einer sich verbreiternden Subkultur. [75] Diese galt es aufzunehmen und in fr die ganze Bewegung fruchtbare Prozesse zu berfhren. Bereits im Februar 1968 hatte die K I dazu aufgerufen, ein Kommuneumfeld mit Vorformen, Zugangswegen und bergngen zu schaffen, das auf die Besonderheiten dieser neuen Form des Zusammenlebens vorbereitet, um lngerfristig weitere, im netzwerkartigen Austausch befindliche, Kommunen entstehen zu lassen. Die K I suchte nun nach geeigneten Rumlichkeiten, in denen ein Zentrum mit Kneipe, Disco, Druckerei, Wohnmglichkeit oder einfach Treffpunkt entstehen sollte, und fand sie in Gestalt eines alten dreistckigen Hinterhof-Fabrikgebudes in Berlin-Moabit. Der Umbau und die Renovierung der, ab dem 1. August 1968 gemieteten, K I-Fabrik in der Stephanstr. 60 (heute ein Domizil des SOS-Kinderdorfs) beschftigte die Kommunarden den grten Teil des Sommers. Einer, der den Einzug ins groe Matratzenlager in der offenen Fabrikhalle (Kunzelmann) nicht mehr mit vollzog war Fritz Teufel. Er befand sich seit Ende Juli in Mnchen und wollte dort eine Politkommune grnden. [76] Zum Bruch mit der Gruppe, vor allem mit Rainer Langhans, war es gekommen, weil dieser der entstandenen Frsorgettigkeit fr die von seinem Popstar-Kollegen Teufel nach kurzer Liaison berdrssig gewordenen Groupies nicht lnger nachzukommen gedachte. Teufel wiederum der im Zuge seiner langandauernden Untersuchungshaft einen beachtlichen Nachholbedarf entwickelt zu haben schien war die Diskussionen mit Langhans leid. Sein Bekanntheitsgrad bereitete ihm offensichtlich Vergngen, dem er in Mnchen noch besser nachkommen konnte. [77]

Den verbliebenen K I-Mitglieder in Berlin war indes auch daran gelegen, die Medienprsenz nicht abreien zu lassen und neben der Imagepflege ihrer Vorstellung von Politik wieder einmal Nachdruck zu verleihen. Pnktlich zur herbstlichen Buchmesse in Frankfurt platzierten sie mit ihrem Buch Klau Mich eine weitere intelligente Inszenierung. Das Buch versammelte neben den Gerichtsverhandlungsmitschriften der beiden Brandstifter-Prozesse und Materialien aus dem K I-Archiv eine pikante Besonderheit: jedem Band war ein Blatt mit vier Porno-Bildern (zwei Fotos, zwei Comic-Darstellungen) beigelegt. Die Fotos zeigten aber nicht etwa Kommunarden und Kommunardinnen, sondern einen unbekleideten Herrn, Typ: gutbrgerlich mit Fassonschnitt, Scheitel, Brille, Ehering und Socken (!), den Verkehr vollziehend mit einer Dame, Typ: Hausfrau und Mutter in plschigen Hausschuhen. Das alles findet vor dem Hintergrund einer anheimelnden kleinbrgerlichen Wohnzimmeratmosphre, mit 50er Jahre Sitzgarnitur, Schrankwand und Gummibaum, vor natrlich zugezogenen! Vorhngen, statt. Die Beilage hatte also nicht allein eine verkaufsfrdernde Funktion, sondern entlarvte einmal mehr brgerliche Doppelmoral. Trotz Ermittlungen der Westberliner Kriminalpolizei gegen den Verlag Edition Voltaire und dessen Verleger Bernward Vesper, die Sau wie er im Impressum des Buchs betitelt wird und trotz eines fr damalige Verhltnisse hohen Taschenbuchpreises von 10 DM wurden die ersten 20.000 Exemplare von Klau mich bereits vor der Buchmesse verkauft und machten es zu einem Bestseller des Herbstes. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten noch Wochen zu tun, bei den Auslieferern und in Buchhandlungen Beilagen zu konfiszieren (was deren Wert in Sammlerkreisen ber die Jahre natrlich steigen lie). [78]

Schnell ist man hier geneigt, den gnzlich unpolitischen Ausverkauf zu vermuten. Dennoch darf eines nicht vergessen werden: die Mitglieder der Kommune I waren Pioniere einer Methode knstlicher Aufmerksamkeitserzeugung, die heute in nahezu jede Werbeagentur oder Consulting-Unternehmen Eingang gefunden hat. Es handelte sich hierbei nach wie vor um symbolische Politik und zwar in Form subversiver Medienstrategien entlang der Grenze von Negation und Affirmation, wie Fahlenbrach in ihrer Studie aufzeigt. [1]

Das dialektische Verhltnis zu den Medien, das hier zum Ausdruck kommt, brachte Fritz Teufel 1997 mit einfachen Worten auf den Punkt: Die Springerleute waren unsere Mitarbeiter. Wir brauchten die. Die brauchten uns. [80] Seine Mitkommunardin Antje Krger uerte sich hnlich:

Wir konnten nur bestehen, weil sie [die Presse, A. H.] so hysterisch reagiert haben. Das war wie ein Pingpongspiel, das sich zu Squash entwickelte, immer hrter und schneller wurde auf beiden Seiten. [81]

Illustrierten-Artikel in denen auch schon mal die Gagen der K I thematisiert werden, bezeichnen zweifellos den mehr affirmativen Teil ihrer Medienstrategie, so ein Feature im Stern oder Teufels (fast) Nacktauftritt in der Zeitschrift twen, fr den er 1000 DM verdiente. [82] Vordergrndig handelte es sich bei derlei Auftritten um einen Subsistenz-Kompromiss, oder wie es ein Leserbriefschreiber zum Teufel-Akt ausdrckte: ein karitativer Eingriff in die Finanzkrise eines brtigen Ex-Studenten. [83]

Bei den 1.Essener Songtagen im Sptsommer 1968 machte Kommunarde Langhans die Bekanntschaft einer jungen Frau, die zur Mnchner Musik-Kommune Amon Dl gehrte. Ihr Name, Uschi Obermaier (22 Jahre alt), gelernte Fotoretuscheurin und, dank eines nicht unattraktiven ueren, mittlerweile Fotomodell fr Zeitschriften wie twen (z.B. Titelbild 11/1968), Konkret u. a. Langhans und Obermaier wurden ein Paar, sie zog im Oktober in die Kommune I ein. Die kulturell-symbolische Vereinnahmung durch den Zeitgeist (Fahlenbrach) schritt unaufhaltsam vorwrts.

Schlussakt (November 1968 - November 1969) Krper und Konflikte

1969 Letzte Phase des Bestehens der Kommune I und zugleich das Jahr der Groen Konfusion (Dieter Kunzelmann). Die Jahreszahl kennzeichnet den Beginn einer markanten Entwicklung, fr Gerd Koenen:

die entscheidende Phase jenes Roten Jahrzehnts [1967-1977, A.H.] in der Mentalittsgeschichte der Bundesrepublik, in der die sich auflsende und zugleich stets verbreiternde APO-Bewegung sich in eine Unmenge radikaler Politsekten und utopischer Sozialprojekte verpuppte und einen virulenten Underground terroristischer Gruppen aus sich entband. [84]

Der selbstgesetzte Handlungsdruck und die mangelnde Fhigkeit einer organisatorisch nicht fassbaren Bewegung gemeinschaftlich zu agieren auf der einen Seite, sowie die mangelnde Fhigkeit des Staates auf diese Bewegung angemessen zu reagieren auf der anderen Seite, hatten im Verlauf des Jahres 1968 dazu gefhrt, dass Gewalt als fester Bestandteil in der Auseinandersetzung zwischen beiden Seiten immer mehr etablierte. Ein circulus vitiosus.

Am Abend des 5. Mrz 1969, eine knappe Woche nach dem Berlin-Besuch von US-Prsident Richard Nixon und just am Tage der Wahl des neuen Bundesprsidenten Gustav Heinemann durch die Bundesversammlung im Palais am Funkturm, wurde bei einer Hausdurchsuchung im weitlufigen Kommune I-Areal in der Stephanstr. eine selbstgebaute Bombe gefunden. Gegen Langhans und Kunzelmann erging Haftbefehl. Alles deutete darauf hin, dass die beiden, denen ein versuchter Bombenanschlag auf ein Verfassungsorgan namentlich: der Bundesversammlung vorgeworfen wurde, eine lngere Gefngnisstrafe zu erwarten htten. Mit Hilfe ihrer Verteidiger Horst Mahler und Klaus Eschen, sowie einer untersttzenden Justizkampagne, kamen sie Anfang April wieder auf freien Fu. Eines stellten Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz (deren Verbindungsmann Peter Urbach seit Mitte 1967 im Kommune-Umfeld agierte) tatkrftig unter Beweis: in Sachen Scheininszenierungen hatte man mittlerweile von der K I gelernt. [85] Dennoch waren die Anstrengungen zur Zersetzung der Kommune bertrieben in der K I-Fabrik hatte man lngst von selbst damit begonnen.

Im Frhjahr 1969 fand die Kommune 2, von den K I-Mitgliedern zuletzt spttisch SDS-Auenposten mit WG-Charakter genannt, ihr Ende. berall das gleiche Motiv: die Realitt der Auflsung, des Zerfalls (Kunzelmann) eine Realitt, die die Akteure zwar wahrnahmen, aber nicht wahr haben wollten. Auch in der Kommune I hatten sich die Interessenlagen hin zum vermehrten Konsum von Rockmusik und Drogen verndert. Vor allem letztere trieben den Auflsungsprozess voran. In Peter Moslers Satz, Die Linke und die Droge wollten das Gleiche: die Vernderung der Sache durch ihr Gegenteil [86], kommt auch zum Ausdruck, wie man seinerzeit die emanzipatorische Funktion bewusstseinserweiternder Substanzen berbewertet, ihre destruktive Wirkung ausgeblendet hatte.

Der Frankfurter Beat-Poet, Head-Shop-Betreiber und zeitweilig gewerbsmige Dealer P.G. Hbsch seit seiner Konvertierung zum Islam 1970 unter dem Namen Hadayat-Ullah Hbsch beschreibt in dem Kapitel ber ihn in Moslers Buch seine Zeit in der Kommune I. Bereits bei einem seiner ersten Besuche in der K I 1967 hatte er versucht sie anzutrnen, aber sie wollten nicht kiffen. Als er Ende 1968 fr einen lngeren (diesmal garantiert nicht drogenfreien) Aufenthalt zurckkehrte, war die Kommune eine festgefgte Gruppe unter der Magie des Rituals, des Zeremoniells geworden, so Hbsch. Es herrschte das Gesetz einer prstabilisierten Harmonie, die nicht ins Wanken geraten durfte:

Wir hatten genug Geld und ein riesiges Haus, und waren Knige und rauchten unendlich viele kunstvoll gedrehte Joints mit langen, langen Filtern. [87]

Darber hinaus wurde auch STP konsumiert, eine auf Amphetaminbasis hergestellte, verstrkte Variante von LSD, dessen halluzinogene Wirkung intensiver war, lnger andauerte und leichter zu psychotischen Dauerzustnden fhren konnte.

Die Kommune I war in der Stephanstr. 60 auf dem Rckzug in den Hedonismus einer Subkultur, als deren Zentrum man sich (hier in Berlin) ja sah. Die damit einhergehende hohe Fluktuation von Sinnsuchern, der stellenweise exzessive Drogengebrauch, sowie die neuerlichen Justizerfahrungen unter dem Damokles-Schwert einer lngeren Haftstrafe, verursachten besonders zwischen den beiden verbliebenen Kpfen der K I, Kunzelmann und Langhans, psychische Spannungen und fhrten zu Konflikten innerhalb der Kommune. [88] Die prstabilisierte Harmonie kippte. Anfang Juli 1969 warf eine Gruppe unter der Federfhrung von Rainer Langhans (darunter auch Holger Meins) Dieter Kunzelmann und dessen Freundin Ina Siepmann aus der Kommune I hinaus. Die Kommune I hatte mit dem Weggang Fritz Teufels und sptestens seit dem Umzug in die K I-Fabrik, Stephanstr. 60 aufgehrt in ihrer ursprnglichen Form zu existieren. In einem ansonsten sehr boulevardesken Artikel ber Das Ende einer Kommune stellten die Konkret-Autoren Werner Borsbach und Kai Ehlers schon 1969 treffend fest:

Das Haus [Stephanstr. 60, A.H.] erwies sich mehr und mehr als bloe formale Klammer, die die auseinanderstrebenden Einzelinteressen der Gruppenmitglieder nur noch auf einer materiellen Grundlage miteinander verband und so jedem einzelnen auch den ntigen Schein einer Existenzberechtigung verschaffte. [89]

Bereits vor dem Rauswurf Kunzelmanns hatte die Kommune I ihre Aktivitten zunehmend von der Strae auf die Wohnung verlagert. Nun ging die Rest-Kommune unter der Fhrung von Rainer Langhans dazu ber, die in den zwei vorangegangenen Jahren herausgebildete Corporate Identity der K I zu vermarkten. Obwohl das ursprngliche Projekt ja im Grunde nicht mehr existierte, prgt erstaunlicherweise gerade diese Periode bis heute das Bild, den Mythos K I. Auf das Stichwort Kommune I folgt hufig als erster Kommentar Uschi Obermaier. Der Grund darin ist nicht zuletzt in zwei reichbebilderten Illustriertenartikeln zu finden, die von der Rest-Kommune im Juni und November des Jahres 1969 fr die Zeitschriften twen und Stern inszeniert wurden. [90]

Auf den Inhalt der beiden Artikel braucht nicht nher eingegangen werden. Eingebettet in belanglose Beschreibungen des Kommune-Alltags, wird hier wesentlich in beiden Fllen die Person Uschi Obermaier behandelt. Entscheidend dabei: die visuelle Art der Selbstdarstellung in Jeans mit freiem Oberkrper und in den eigenen vier Wnden. Kathrin Fahlenbrach nimmt in ihrer Studie auf diese beiden Artikel Bezug und resmiert:

Sptestens als das twen-Model Uschi Obermeier [eigtl. Obermaier, A.H.] in die Kommune einzieht, ist die Grenze zwischen subversiver Gestaltung der ffentlichen Selbstinszenierung und ihrer Assimilation durch die Zeitgeistmagazine flieend. Im Umgang mit den Medien professionell geschult, bietet Obermeier den Medien eine ideale Projektionsflche zur visuellen Personalisierung des Kommune-Experiments. Die von Anfang an im Fokus des medialen Interesses stehenden expressiven Grenzverletzungen werden so zunehmend in kanonisch wiederkehrenden visuell-symbolischen Modellen standardisiert. (...) Nachdem die Subversiven ihre Kapitalismus- und Konsumkritik bewusst in der Inszenierung ihres eigenen medialen Warencharakters demonstriert haben, erschpft sich ihr Protestpotential schlielich in ihrer sthetischen Ikonologisierung. [91]

Die subversive Medienstrategie, welche die K I auf der Basis ihres Politikbegriffs so spielerisch beherrscht und perfektioniert hatte, jene Gratwanderung entlang der Grenze von Negation und Affirmation, wurde jetzt in Richtung des letzteren berschritten.

Hinzu trat, so Fahlenbrach weiter, eine Re-Inszenierung expressiver Protestcodes in den Bildstrecken der Magazine. Doch es waren nicht allein die Medien, die hier re-inszenierten. Die im Rampenlicht stehenden Akteure waren daran gleichsam beteiligt. Eine ursprngliche Corporate Identity der Kommune I wurde durch beiderseitiges Zutun auf das Paar Langhans/Obermaier reduziert und fand Eingang in ein kulturelles Gedchtnis (Jan Assmann), dessen Fhigkeit optische Reize zu speichern seit jeher ausgeprgter funktionierte. Die sthetisch-symbolischen Protestformen der Kommune I werden letzten Endes in einem Kommerzialisierungsprozess assimiliert, der die Zeichen des Widerstandes und des Aufbegehrens entleert und sie als Markenzeichen eines kommerzialisierten Anspruchs zurcklsst. [92]

Was die Bewertung der Bedeutung der Kommune I fr die Geschichte der APO in der Bundesrepublik Deutschland betrifft, so wurde die Gruppe mit dem Salz in der Suppe, der Hefe im trgen Teig des SDS oder auch dem Sauerteig der Bewegung verglichen. Den Charakterisierungen gemeinsam ist die Betonung eines die Wirksamkeit steigernden Moments, das von der Kommune I ausging. K. D. Wolff, SDS-Bundesvorsitzender 1967/68, hatte bereits 1985 darauf hingewiesen, dass ein wichtiger Anteil der K I bislang in der Betrachtung der APO immer unterschtzt worden sei: ihre Massenwirksamkeit. [93] Das was der SDS und die infolge seiner Auflsung zahlreich entstandenen K-Gruppen meist vergeblich versucht hatten organisatorisch umzusetzen, war der Kommune I in den Jahren 1967/68 gelungen:

Die Lust zur Selbstdarstellung und Selbststilisierung, die die Kommune I vormachte, wurde zwar gleich vom Bannstrahl des SDS getroffen. Aber die Bewegung kmmerte sich nicht sehr darum. Nicht nur Fritz Teufel und Rainer Langhans, Tausende entdeckten erst in dem kollektiven Gebrodel von 1968 ihre persnlichen Eigenarten. Die persnlichen und die politischen Bedrfnisse, die sich spter in feindliche Lager aufspalteten, waren nicht voneinander getrennt, und darin lag die Kraft dieses Aufbruchs. [94]

Kommune I, das war eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchfhren desselben mit anderen, erweiterten Mitteln.

Am 24. November 1969 meldete das (wiederholt erstaunlich gut informierte) Nachrichtenmagazin aus Hamburg die endgltige Auflsung der Kommune I das hatte es etwas voreilig im Oktober 1967 schon einmal getan. Dieses Mal wrden sie Recht behalten.

Anmerkungen

* Kurzfassung einer Magisterarbeit im Fach Neuere und Neueste Geschichte am Institut fr Geschichtswissenschaften der Philosophischen Fakultt I der Humboldt-Universitt zu Berlin

1 Als Titelbild der Eigendruck-Broschre Kommune I Gesammelte Werke gegen uns Juni 1967, anschlieend: Spiegel Nr. 27, 26.06.1967, S. 20 unter der berschrift: Kahle Maoisten vor einer kahlen Wand. Hier bereits das erste Mal mit retuschierten Geschlechtsteilen.

2 Mythos in dieser Lesart verkrzt das historische Wissen in der Rckschau auf wenige einprgsame Zeichen und Symbole, welche als Brcke zwischen dem historischen Ereignis und dem kollektiven Gedchtnis der Gegenwart weiterwirken. Franz-Werner Kersting: Entzauberung des Mythos? Ausgangsbedingungen und Tendenzen einer gesellschaftsgeschichtlichen Standortbestimmung der westdeutschen 68er-Bewegung, in: Karl Teppe (Hg.): Westflische Forschungen Zeitschrift des Westflischen Instituts fr Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, 48/1998, Mnster 1998, S. 1-19, hier: S. 1 u. 6.

3 Tilman Fichter/Siegward Lnnendonker: Kleine Geschichte des SDS. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1946 bis zur Selbstauflsung, Berlin 1977; 2. berarb. Aufl. unter dem Titel: Macht und Ohnmacht der Studenten: kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998. Etliche Titel zum Bereich 68, in denen Kommune I thematisiert wird, beziehen sich hierauf. Daneben u.a.: Siegward Lnnendonker (Hg.): Linksintellektueller Aufbruch zwischen Kulturrevolution und kultureller Zerstrung: der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in der Nachkriegsgeschichte (1946-1969); Dokumentation eines Symposiums, Opladen 1998; Siegward Lnnendonker/Bernd Rabehl/ Jochen Staadt: Die antiautoritre Revolte. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund nach der Trennung von der SPD, Band 1: 1961-1967, Wiesbaden 2002.

4 Eine Auswahl: Interview mit Dieter Kunzelmann, in: Wolfgang Dreen/Eckhard Siepmann (Hg.): Nilpferd des hllischen Urwalds. Situationisten, Gruppe SPUR, Kommune I, Gieen 1991, S. 116-143, 154-166, 194-212; Interview mit Antje Krger: die tageszeitung v. 10.04.1993; Interview mit Rainer Langhans: Joachim Soyka: Die wunderbare Wandlung des Rainer Langhans, in: Johann August Schlein (Hg.): Kommunen und Wohngemeinschaften: Der Familie entkommen?, Gieen 1978, S. 65-73; Interview mit Dagmar Przytulla (geb. Seehuber) in: Ute Ktzel: Die 68erinnen, Berlin 2002, S. 201-219; desw. Biografien: Dieter Kunzelmann: Leisten Sie keinen Widerstand! Bilder aus meinem Leben, Berlin 1998; Ulrich Chaussy: Die drei Leben des Rudi Dutschke, Berlin 1993; Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tagebcher 1963-1979 (hg. v. Gretchen Dutschke), Kln 2003.

5 Ulrich Enzensberger: Die Jahre der Kommune I. Berlin 1967-1969, Kln 2004. Die autobiographische Darstellung des jngsten Grndungsmitglieds der K I erschien nach der Fertigstellung vorliegender Analyse, und fand hier noch keinen Eingang.

6 Fichter/Lnnendonker, Kleine Geschichte, S. 103; Peter Brgge: Die wilden 68er. Spiegel-Serie ber die Studentenrevolution, Spiegel-Spezial 1/1988, S. 50; Tobias Mndemann: Die 68er ...und was aus Ihnen geworden ist, Mnchen 1988, S. 103; Rechenschaftsbericht des SDS-Bundesvorstands zur 22. Delegi