Kompass Gesundheit 4/2014

44
Kompass Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG Keine Angst vor der Narkose Delir – Gehirn im Ausnahmezustand Möglichkeiten der Kinderwunschtherapie Nr. 4 2014 3. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de Im Gespräch mit Prof. Maio: Was macht einen guten Arzt aus? TOP-THEMA UNSER GESUNDHEITSSYSTEM

description

Kompass Gesundheit - Das Magazin für Baden-Württemberg 4/2014

Transcript of Kompass Gesundheit 4/2014

Page 1: Kompass Gesundheit 4/2014

Kompass GesundheitDAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

Keine Angst vor der Narkose

Delir – Gehirn im Ausnahmezustand

Möglichkeiten der Kinderwunschtherapie

Nr. 4 2014

3. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de

Im Gespräch mit

Prof. Maio:

Was macht einen

guten Arzt aus?

TOP-THEMA

UNSER GESUNDHEITSSYSTEM

Page 2: Kompass Gesundheit 4/2014

AOK Baden-Württemberg

AOK – Die Gesundheitskasse Neckar-FilsPlochinger Str. 13 · 73730 Esslingen · AOK-DirektService 07021 9317493

ZGH

002

9/18

· 05

/14

· Fot

o: B

ernd

Opi

tz

Die einzigartige

Kombination

Das 3-fach-Plus der AOK.+ AOK-HausarztProgramm: Hausärzte haben mehr Zeit für ihre Patienten+ AOK-FacharztProgramm: schnellere Termine beim Spezialisten+ Ärztliche ZweitMeinung durch Top-Ärzte: bei lebensverändernden Diagnosen in der

Onkologie, Orthopädie, Urologie, Kardiologie und Herzchirugie

Alle Vorteile im Detail auf aok-bw.de/dreifachplus

Page 3: Kompass Gesundheit 4/2014

3Kompass Gesundheit 4/2014

Liebe Leserin, lieber Leser,

unser Gesundheitswesen soll kranke Menschen heilen, unheilbar Erkrankten ein möglichst lebens-wertes Leben ermöglichen und Gesunden helfen, gesund zu bleiben. Das sind komplexe Aufgabenund entsprechend komplex ist unser Gesundheitssystem, in dem viele Gruppen mit unterschied-lichen Interessen unterwegs sind.

Hohe Kosten verursachen die Behandlungen von Krankheiten, die durch ungesunde Lebensweiseverursacht werden, wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Leiden. Hier könnte viel Geldgespart werden, wenn es uns gelingt, mehr Menschen dazu zu bewegen, gesünder zu leben. MehrBewegung und eine ausgewogene Ernährung bewirken viel.

Doch bei aller Bemühung – Krankheit trifft irgendwann jeden. Und wer krank wird, erwartet eine The-rapie, die ihn gesund macht. Zu Recht. Und wir können auch zu Recht stolz darauf sein, dass in un-serem Gesundheitssystem gesetzlich Versicherte auf hohem medizinischen Standard behandeltwerden. Allerdings muss genau darauf geachtet werden, ob eine extrem teure auch die sinnvollsteBehandlung ist. Es hat wenig Sinn, einen Patienten mit Hilfe aufwendigster Gerätemedizin im Kran-kenhaus zu behandeln, ihn anschließend aber alleine zu lassen. Wenn die Nachsorge nicht funktio-niert, wird dieser Patient wieder im Krankenhaus erscheinen – dann wird es erst recht teuer. Um derartige Drehtüreffekte zu ver-hindern, darf sich der Wettbewerb nicht auf finanzielle Aspekte beschränken. Wettbewerb muss auch in der Qualität der Leistungstattfinden. Sinnvolle und nachhaltige Versorgung bezahlen Krankenkassen gerne. Denn sie wissen: Das rechnet sich.

Spannende Überlegungen über unser derzeitiges und künftiges Gesundheitssystem lesen Sie in dieser Ausgabe: etwa den Bei-trag des Freiburger Medizinethikers Prof. Giovanni Maio, der darüber nachdenkt, was in der Zwickmühle von wirtschaftlichemZwang und der Mission, zu helfen, einen guten Arzt ausmacht. Lesen Sie, wo der Herzchirurg des Robert-Bosch-Krankenhauses, Prof. Ulrich Franke, die Grenzen des wirtschaftlich Vertretbaren sieht. Lesen Sie, wie der Geschäftsführer des psy-chiatrischen Klinikums Christophsbad seine Aufgabe definiert: nämlich rote Zahlen zu vermeiden und die Patienten dennoch opti-mal zu versorgen. Lesen Sie auch, was die Politik dazu meint: ein Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Hennrichüber Gestaltungsmöglichkeiten der Gesundheitspolitik. Und es geht um eine Debatte, initiiert von einem internationalen Phar-maunternehmen, das alljährlich die verschiedenen Player des Gesundheitswesens zu einer offenen Diskussion einlädt und bei-spielhafte Versorgungsprojekte prämiert.

Die Zukunft unseres Gesundheitswesens zu gestalten ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Dazu gehört, die unterschiedlichen For-derungen zu diskutieren, Gedanken auszutauschen und zu Entscheidungen zu kommen. Wir müssen Lösungen finden, mit denenalle leben können – und die vor allem den Kranken dienen. Dies ist auch das Thema einer großen Podiumsdiskussion in Esslingenam 25. November im Salemer Pfleghof, auf die ich mich schon freue.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit und kommen Sie ohne Grippe durch die nächsten Monate,

IhrJohannes Bauernfeind

Johannes Bauernfeind,Geschäftsführer der Bezirksdirektion AOK Neckar-Fils

editorial

Page 4: Kompass Gesundheit 4/2014

4 Kompass Gesundheit 4/2014

Impressum

Kompass Gesundheit –Das Magazin für Baden-Württemberg

Herausgeber: Dr. Magda AntonicRedaktionsleitung: Werner Waldmann (V.i.S.d.P.)

Redaktions-Beirat: Prof. Dr. med. Aulitzky, Dipl. oec. troph. Andrea Barth, Dr. med. Wolfgang Bosch, Dr. med. Ernst Bühler, Dr. med. Hans-Joachim Dietrich, Dr. med. Rainer Graneis,Dr. med. Rudolf Handschuh, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych.Thomas Heidenreich, Dieter Kress, Dr. med. Suso Lederle, Christof Mühlschlegel, Dr. med. Stefan ReineckeMBA, Dr. med. Nobert Smetak, Isolde Stadtelberger, Dr. med. Bernd Voggenreiter, Dr. med. Sieglind Zehnle

Medizinisch-wissenschaftlicher Beirat:Dr. med. Alexander Baisch, Dr. med. Carl-Ludwig v. Ballestrem, Prof. Dr. med. Gerd Becker, Prof. Dr. med. Alexander Bosse, Prof. Dr. med. Claudio Denzlinger, Prof.Dr. med. Rainer Dierkesmann, Dipl.-Psych. Sabine Eller,Prof. Dr. med. Florian Gekeler, Dr. med. Wilhelm Gienger, Dr. med. Joachim Glockner, Dr. med. Christian Hayd, Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich, Prof. Dr. med. DorisHenne-Bruns, Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Prof. Dr. med. Monika Kellerer, Prof. Dr. med. Alfred Königs-rainer, Dr. med. Klaus Kraft, Prof. Dr. med. Ulrich Liener,Prof. Dr. med. Alfred Lindner, Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Dr. med. Jürgen Nothwang, Dr. med. Martin

Runge, Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Prof. Dr. med. ThomasStrowitzki, Holger Woehrle

Juristische Beratung: RA Mirja K. TrautmannPatientenrechte: Markus Grübel (MdB), Michael Hennrich (MdB)Redaktion: Dr. J. Roxanne Dossak, Andrew Leslie, Ursula Pieper, Marion ZerbstArt Direction: Dr. Magda AntonicHerstellung: Barbara Schüler

Fotos: Cover: © pterwort/123rf.com; S. 6: © AlexanderRaths/Fotolia.com; S. 9: © Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum Frankfurt a.M. (Archiv und Museum); S. 10: © Oliver Lieber; S. 24: © Mopic/Fotolia.com; S. 27links: © DfM; für die Autoren- und Ärzteporträts liegen dieRechte bei den abgebildeten Personen; alle anderen Fotos: MEDITEXT Dr. Antonic

Verlag: MEDITEXT Dr. AntonicVerlagleitung: Dr. Magda AntonicHagäckerstraße 4; D-73760 OstfildernTel.: 0711 7656494; Fax: 0711 [email protected]

Wichtiger Hinweis: Medizin als Wissenschaft ist ständigim Fluss. Soweit in dieser Zeitschrift eine Applikation oderDosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf ver-trauen, dass Autoren, Redaktion und Verlag größte Mühedarauf verwandt haben, dass diese Angaben genau dem

Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entspra-chen. Dennoch sollte jeder Benutzer die Beipackzettel derverwendeten Medikamente selbst prüfen, um in eigenerVerantwortung festzustellen, ob die dort gegebene Emp-fehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontra-indikationen gegenüber der Angabe in dieser Zeitschriftabweicht. Leser außerhalb der Bundesrepublik Deutsch-land müssen sich nach den Vorschriften der für sie zustän-digen Behörden richten. Geschützte Warennamen (Wa-renzeichen) müssen nicht besonders kenntlich gemachtsein. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nichtgeschlossen werden, dass es sich um einen freien Waren-namen handelt.Das Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind ur-heberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlichzugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligungvon MEDITEXT Dr. Antonic strafbar. Die Redaktion behältsich die Bearbeitung von Beiträgen vor. Für unverlangteingesandte Manuskripte, Fotos und Abbildungen wirdkeine Haftung übernommen. Mit Namen gezeichnete Arti-kel geben die Meinung des Verfassers wieder. Erfüllungs-ort und Gerichtsstand ist Esslingen.

Ein Einzelheft ist zum Preis von 1,60 Euro (zzgl. Versandkosten) beim Verlag erhältlich.

Copyright © 2014 by MEDITEXT Dr. Antonic, 73760 Ostfildern

ISSN 2194-5438

Der Medizinjournalist Werner Waldmann spricht mit demSchlafexperten Dr. phil. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß, Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am PfalzklinikumKlingenmünster, über Ein- und Durchschlafstörungen, wie man sie erkennt und behandelt.

Die Sprechstunde

InsomnieEin- und Durchschlafstörungen

Werner Waldmann im Gespräch mitDr. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß

MEDITEXTDR. ANTONIC

Schlafstörungen? Da sind Sie nicht alleine!

Rund 25 % der Bundesbürger klagen darüber

CD erhältlich bei:

MEDITEXT Dr. Antonic; Hagäckerstraße 4; 73760 OstfildernFax: 0711 7656590E-Mail: [email protected]

11,80 Euro

Denn Schlafist keine Zeit- vergeudung!

Der Schlafexperte Dr. phil. Dipl.-Psych. Hans-Günter Weeß, Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am PfalzklinikumKlingenmünster, lehrt Sie zu entspannen. Damit Sie Ihren Alltag wieder besser und gelassener meistern können undnachts den notwendigen erholsamen Schlaf finden.

Dr. Hans-Günter Weeß

Körperliche und seelische Entspannungfür den erholsamen Schlaf

das schlafmagazin

Entspannung zum Tagesende

Für mehr Gelassenheit im Alltag und einen erholsamen Schlaf in der Nacht

CD erhältlich bei:

MEDITEXT Dr. Antonic; Hagäckerstraße 4; 73760 OstfildernFax: 0711 7656590E-Mail: [email protected]

11,80 Euro

EntspannenSie mit Ihrer

Vorstellungs-kraft!

Page 5: Kompass Gesundheit 4/2014

5Kompass Gesundheit 4/2014

inhalt• Die Kunst, ein guter Arzt zu sein

Wie viel Ökonomie verträgt die Medizin? 6

• Wenn es um Leben und Tod geht ...Entscheidungen im Alltag eines Herzchirurgen 11

• Keine Angst vor der Narkose!Für jeden Eingriff das passende Anästhesie-Verfahren 14

• Die Sehnsucht nach einem eigenen KindMöglichkeiten der modernen Kinderwunschtherapie 20

• Delir – Gehirn im Ausnahmezustand 24

• Wir haben den ganzen Menschen im Blick 27

• Ein Gespräch mit Professor Jürgen GrafSpagat zwischen exzellenter Patientenversorgung und knappen Ressourcen 28

• Innovation durch VernetzungMSD bringt wichtige Akteure des Gesundheitswesens an einen Tisch 30

• Ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Michael HennrichWie geht es weiter mit unserem Gesundheitssystem? 36

• Das PorträtBernhard Wehde: Krankenhausgeschäftsführer – kein Beruf von der Stange 38

RubrikenImpressum 4 | Kolumne Dr. Lederle 27 | Aboformular 43 | Termine 43

Page 6: Kompass Gesundheit 4/2014

6

Was macht für Sie einen guten Arzt aus? Prof. Maio: Medizin ist für mich nicht einfach nurdie Umsetzung von irgendwelchen Regeln, Dia-gnostik- und Behandlungsschritten, sondern alsArzt muss ich den Patienten, der vor mir liegt odersitzt, mit dem in Einklang bringen, was ich als ver-allgemeinerbares und statistisches Wissen erwor-ben habe. Dieses „In Einklang bringen“ ist immeretwas Kreatives, das im Gespräch mit dem Patien-ten erst geschaffen werden kann; ich kann ihmnicht gerecht werden, wenn ich mich auf allgemei-ne medizinische Vorgaben zurückziehe. Viele Kran-kenkassen gehen von der Vorstellung aus, man

könne die ärztliche Qualität in solchen Ablaufproto-kollen und standardisierten Vorgaben abbilden. Sofunktionieren ärztliche Entscheidungen aber nicht.Natürlich muss ich als Arzt die aktuellen Standardsfür Diagnostik und Therapie kennen; aber um demeinzelnen Patienten gerecht zu werden, bedarf eseben dieser Verbindung von Wissenschaftlichkeitund Zwischenmenschlichkeit, von allgemeinemWissen und konkreter Situation. Das ist ein sehranspruchsvoller Prozess; und genau das macht dieQualität des Arztseins aus. Im Grunde sind ÄrzteProblemlöser; und das ist eine Tätigkeit, die sichnicht restlos formalisieren lässt, bei der man nicht

Kompass Gesundheit 4/2014

Die Kunst, ein guter Arzt zu sein

Wie viel Ökonomie verträgt die Medizin?

Page 7: Kompass Gesundheit 4/2014

7

einfach nur Ablaufprotokolle und Flussdiagrammeverordnen kann in dem Sinn: Wenn der Patient dieshat, muss ich als Arzt jenes tun.

Lässt sich Arztsein mit einer ökonomischen Vor-gehensweise überhaupt vereinbaren? Klinikenund Arztpraxen sind ja letzten Endes auch Wirt-schaftsunternehmen.Prof. Maio: Das ist eine schwierige Frage. Mankann nicht einfach sagen: Medizin ohne Ökonomiewäre doch humaner; denn ohne Ökonomie geht esnun einmal nicht. Ich denke, die Ökonomisierungder Medizin hat uns eine Menge Probleme ge-

bracht; aber wir dürfen nicht alle Probleme, die wirhaben, der Ökonomie zuschieben, sondern müs-sen uns schon Gedanken darüber machen, wasMedizin ist, was Ärzte für einen Auftrag und für eineVerantwortung haben. Arzt sein bedeutet im Grun-de, ein Versprechen zu geben: Ich verspreche, das,was ich durch staatliche Förderung gelernt habe,einem allgemeinen Zweck zu überantworten; ichverpflichte mich, einem Gemeinwohl zu dienen.Deshalb ist ein Arzt kein Gewerbetreibender undauch kein Geschäftsmann; denn das ureigene Zielseines Handelns ist sein Gegenüber, eben der Pa-tient – das Ziel ist kein privates, sondern ein ge-meinwohlorientiertes. Und um dem Gemeinwohldienen zu können, muss ich natürlich unabhängigsein und darf nicht bei jeder Entscheidung auf denErtrag schielen müssen. Ich muss die Freiheit ha-ben, nur im Interesse des Kranken zu entscheidenund nicht in meinem eigenen Interesse oder imInteresse der Institution, der ich angehöre. Daszeigt schon, wo die Konflikte liegen; aber wir dür-fen deshalb nicht den Fehler machen, Feindbilderzu schaffen. Feindbilder lähmen; sie führen dazu,dass zu viel Aufmerksamkeit auf die Bekämpfunggelenkt wird. Stattdessen brauchen wir einen kon-struktiven Dialog.

Vor zehn Jahren hat die Gesundheitspolitik in un-seren Kliniken ein neues Abrechnungssystemeingeführt: Fallpauschalen (sogenannte DRGs)statt der bisherigen Tagespauschalen. Das heißt,

Kompass Gesundheit 4/2014

In unserem Gesundheitswesen scheint Spa-ren oft eine wichtigere Rolle zu spielen alsder Patient. Viele Krankenkassen schreibenLeistungen der Gesundheitsversorgungheutzutage schon aus, und der billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Wo bleibt dadie Qualität? Ärzte sind mit Schreibtischar-beiten – mit Dokumentation, Zertifizierung,Qualitätsmessung – so sehr überlastet, dassihnen kaum noch Zeit für das Gespräch mit ihren Patienten bleibt. Bewegt unser Gesundheitssystem sich in die richtigeRichtung? Wir sprachen mit Prof. Dr. med.Giovanni Maio, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinethik an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg.

Page 8: Kompass Gesundheit 4/2014

8

die Klinik erhält eine pauschale Vergütung pro Diagnose,also pro Behandlungsfall – unabhängig davon, wie lange derPatient im Krankenhaus bleibt. Das hat zu kürzeren Verweil-dauern, aber auch zu einer Leistungsverdichtung an den Kli-niken geführt: Innerhalb kürzerer Zeit müssen mehr Leistun-gen erbracht werden. Halten Sie das für sinnvoll?Prof. Maio: Die DRGs bedeuten im Grunde – ohne dass das je-mals offen so formuliert worden ist – nichts anderes als ein Ein-sparprogramm und die Überführung eines rein sozialen in einmarktwirtschaftliches System. Sie haben dazu geführt, dassdie Ökonomie der Medizin nicht mehr dient, sondern die Medi-zin in zunehmendem Maße diktiert und beherrscht: Dies unddas müssen wir tun, damit die Bilanzen stimmen; hier müssenwir investieren, damit es sich lohnt. Das ist eine Fehlentwick-lung. Aber die Rückkehr zu alten Zeiten wäre auch keine guteLösung, denn damals wurden Gelder verschwendet, indemman Patienten viel zu lange in der Klinik beließ; das war auchnicht verantwortungsvoll. Die Einführung der DRGs war ein Re-sultat dieser früheren Fehlentwicklungen; deswegen könnenwir uns die alten Zeiten nicht zurückwünschen.

Andererseits müssen wir aber auch sehen, wo die Problemeder heutigen Zeit liegen – nämlich dass Ärzte, um ihren Patien-ten gerecht zu werden, oft Helden sein müssen: Sie müssensich gegen die strukturellen Vorgaben zur Wehr setzen, um ih-ren Patienten zu helfen. Heutzutage wird Medizin so betrach-tet, als handle es sich dabei um einen Produktionsprozess: Eswird in Abläufe, in Prozesse investiert. Ökonomisierung bein-haltet ja die Tendenz zur Beschleunigung, zur Arbeitsverdich-tung, zur Durchrationalisierung; und Durchrationalisierung be-deutet, dass die Prozesse wichtiger werden als die Inhalte. Dasheißt, die Prozesse müssen stimmen, die Abläufe sind vorge-geben, die Ärzte müssen nach Zeittakt handeln und nachwei-sen, was sie innerhalb dieser Zeittakte vollzogen haben. Durchdie Übernahme zusätzlicher Aufgaben vonseiten der Ärzte –das Kodieren und Dokumentieren –, durch den Abbau von Per-sonal und die Beschleunigung der Prozesse wird den Ärztenetwas weggenommen: nämlich die Freiheit, selbst Schwer-punkte zu setzen, selber zu entscheiden, wo sie sich mehr Zeitnehmen möchten, um dem einzelnen Patienten gerecht wer-den zu können. Vieles können wir schnell machen; manchmalmüssen wir aber auch Sorgfalt walten lassen. Sorgfalt als Urtu-gend ärztlichen Handelns ist für den Kranken von enormer Be-deutung, weil es um sein Leben geht. Deshalb ist Sorgfalt –langsames Sichherantasten, ruhiges Überlegen und weitsichti-ges Handeln – in der Medizin sehr wichtig. Durch die Ökonomi-sierung der Medizin wird ärztliches Handeln aber in eine Rich-tung gedrängt, in der es rechfertigungsbedürftig ist, wenn mansich Zeit nimmt, Geduld hat, vielleicht noch mal ein weiteresGespräch mit dem Patienten, mit dem Hausarzt, mit Kollegen

führt. Die moderne Medizin belohnt schnelle Entscheidungen,Aktionismus, Intervention; sie setzt Anreize für das Intervenie-ren. Wenn Sie einen Patienten einfach nur beraten und von ei-ner Intervention abraten, haben Sie nichts verdient. Das ist un-heilvoll, weil das Urärztliche darin besteht, einen guten Rat zuerteilen, und nicht einfach nur, Prozeduren umzusetzen.

Passen Ökonomie und Gesundheitsversorgung überhauptzusammen?Prof. Maio: Das ist schwierig. Ökonomie funktioniert ja nachdem Minimaxprinzip: Wir müssen mit einem minimalen Auf-wand das Maximum erreichen. Grundsätzlich ist das auch ver-nünftig; aber es kommt darauf an, was in der Gesundheitsver-sorgung reduziert wird. Letzten Endes leidet im Krankenhau-salltag darunter das Gespräch – nicht nur mit dem Patienten,sondern auch mit den Angehörigen und den anderen Berufs-gruppen. Genau dort wird eingespart: an der psychosozialenBetreuung der Menschen, oft alten Menschen, die nicht wis-sen, wie es mit ihnen weitergehen soll. Die häufig plötzlich ent-lassen werden, ohne dass man sie gut darauf vorbereitet hat,was nachher auf sie zukommt. Das müssen dann die Hausärz-te auffangen, die aber auch wiederum an Zeittakte gefesseltsind und sich an einen straffen Terminplan halten müssen, umüberhaupt über die Runden zu kommen.

Die Ökonomie tendiert dazu, die Kontaktzeit mit dem Patien-ten als etwas zu betrachten, das minimiert werden muss, weilman dadurch wertvolle Ressourcen einsparen kann. Ein urärzt-liches Denken würde dagegen sagen: Kontaktzeit ist die ei-gentliche Investition in eine gute Betreuung – weil ich weiß,dass ich dem kranken Menschen nur gerecht werden kann,wenn ich ihm das Gefühl gebe, dass ich ihn verstanden habe,dass ich es gut meine mit ihm, dass er mir als Mensch etwasbedeutet und ich mich für ihn engagiere. In unserem heutigenGesundheitssystem geht der Trend dahin, dass der engagierteArzt keine Wertschätzung mehr durch das System erfährt, weildas Diktat der Rationalisierung und der Minimalisierung desAufwandes eben über allem steht. Dort, wo der Arzt sinnvollenAufwand betreibt, wird er nicht gelobt, sondern zur Rechen-schaft gezogen. Vielleicht entlässt er seinen Patienten dann mitdem guten Gefühl, das Richtige getan zu haben; aber er musssich rechtfertigen und Fragen wie: „War das nötig, wäre esnicht mit weniger Aufwand gegangen?“ beantworten. Diese Si-tuation ist für einen Arzt demotivierend.

Durch das DRG-System sind ja auch viele Krankenhäuserunter einen enormen Kosten- und Existenzdruck geraten.Prof. Maio: Genau. Man hat dabei politisch eigentlich schonvorhergesehen, dass einige Krankenhäuser schließen werdenmüssen, wollte aber nicht auf politischer Ebene darüber ent-

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 9: Kompass Gesundheit 4/2014

9

scheiden, welches Krankenhaus erhalten bleibtund welches nicht, sondern möchte das lieber überden Markt regeln, indem man sagt: Die Kranken-häuser werden einfach einem Verdrängungswettbe-werb ausgesetzt in dem Sinn, dass dann eben dieErlöse über die weitere Existenz der Häuser ent-scheiden. Das ist sehr gefährlich, denn es zwingtdie Kliniken zum Rentabilitätsdenken – sodass wiranfangen, darüber nachzudenken: Wie können wirmehr Erlöse erwirtschaften? Das heißt, man über-legt dann plötzlich: Welcher Patient hat eine Dia-gnose, die uns etwas einbringt? So etwas ist sehrgefährlich, denn Rentabilitätsdenken ist nicht iden-tisch mit wirtschaftlichem Denken. Natürlich ist derArzt verpflichtet, wirtschaftlich zu denken; aber erist nicht verpflichtet, nach Rentabilitätskriterien zuentscheiden, denn das ist der Medizin eigentlichvollkommen fremd. Der Arzt ist ja jemand, der be-dingungslos hilft, weil er im Angesicht der Not garnicht anders kann; er überlegt nicht erst lange, obes sich rentiert. Wenn aber nur noch die Erlöseüber die Zukunft des Hauses entscheiden, dannwerden die Ärzte zu Mitunternehmern erklärt, unddadurch fühlen sie sich für die Erlöse genauso ver-antwortlich wie für die gute Betreuung. Das stürztden Arzt in einen Gewissenskonflikt, den man ihmeigentlich ersparen muss. Ein Arzt darf nicht über-legen müssen: Ich sollte jetzt eigentlich dies oderjenes tun, aber das wird sich vielleicht negativ aufdie Bilanzen auswirken. Solche inneren Konfliktedemotivieren nicht nur den Arzt, sondern wirkensich auch nachteilig auf das Vertrauensverhältniszwischen Arzt und Patient aus: Denn der Patientmöchte mit demGefühl zum Arztgehen, dass dieserfrei für ihn entschei-den kann und nichtin einem Korsettsteckt, das ihndazu zwingt, nebenseinem Wohl auchnoch viele andereDinge zu berück-sichtigen.

Natürlich gibt esauch Anspruchspa-tienten, die zu vielvon der Medizin for-

dern; davor muss das System sich natürlich schüt-zen, und deshalb ist es auch sehr gut, dass Kran-kenkassen und Gesundheitspolitik hier einen Rie-gel vorschieben. Aber was mich als Ethiker interes-siert, sind die wirklich schwachen, ernsthaft kran-ken Patienten: alte Menschen mit chronischenKrankheiten oder Mehrfacherkrankungen, denenman nicht einfach nur etwas verschreiben kann,sondern denen man auch eine Begleitung anbietenmuss, damit sie lernen, mit ihrer Krankheit umzu-gehen. All das wird in unserem heutigen ökonomi-schen Denken nicht mehr berücksichtigt. Die zustarke Ökonomisierung hat zu einer strukturellenBevormundung der Ärzteschaft geführt. Das hatauch etwas damit zu tun, dass man glaubt, mankönne alles berechenbar machen – man könne Me-dizin vollständig in Protokollen und Dokumentatio-nen abbilden. Diese Dokumentationswut verhängteinen Terror der Transparenz über die Ärzte: Allesmuss genau belegt und dokumentiert werden; undwehe, es ist nicht nachweisbar, dass das auchwirklich etwas bewirkt hat! Dann gerät man inRechtfertigungsnot, dann wird man zur Rechen-schaft gezogen. So ist keine gute Medizin möglich,und zwar deshalb, weil die Entscheidungen im Um-gang mit dem Patienten nicht restlos formalisierbarsind. Das, was ein Arzt als Person in die gute Pa-tientenbetreuung investiert, lässt sich nicht einfachin irgendeinem Qualitätsmanagementsystem abbil-den. Das heißt nicht, dass wir Qualität nicht mes-sen sollen; aber das, was wir in so einem Systemabbilden, stellt eben nicht das Ganze der ärztlichenQualität dar.

Kompass Gesundheit 4/2014

Kompressions-Versorgung Wir sind ein zertifi ziertes Venen-Lymph-Kompetenz-

Zentrum. Unsere speziell ausgebildeten Lymphfach- beraterinnen sorgen für kompetente Versorgung.

Computerunterstützte LRR Venenmessung.Maßkonfektion/-anfertigung der Kompressionsstrümpfe.

www.fiala-online.de

Giovanni Maio:Medizin ohne Maß?Vom Diktat desMachbaren zu einer Ethik der BesonnenheitTrias Verlag, 201417,99 EURISBN:9783830467496

Page 10: Kompass Gesundheit 4/2014

10

Schließlich kann der Arzt seine Patienten nicht nur behan-deln, sondern muss sie informieren, beraten, überzeugen.Prof. Maio: Natürlich. Das ist wichtig für die Adhärenz. Die Artund Weise, wie ich mit meinem Patienten spreche und umge-he, ist ganz entscheidend dafür, ob er das Gefühl hat, alsMensch anerkannt, verstanden und ernst genommen zu wer-den. Nur so kann ich als Arzt meinen Patienten auch dazu mo-tivieren, den Behandlungsweg mitzugehen und selbst etwasdazu beizutragen. Dazu genügt es eben nicht, ihm einfach nurdas Richtige zu verordnen. Wir können nur dann gute Ärztesein, wenn es uns ermöglicht wird, uns zu engagieren – undzwar so, dass ich als Arzt nicht für alles was ich mache, soforteinen Beleg darüber beibringen muss, dass meine Maßnahmeeinen direkten Erfolg erzielt hat. Der Erfolg ist manchmal viel-leicht „nur“ in der Einstellung des Patienten zu sich, zu seinerKrankheit, in der Stärkung seiner Motivation und seines Ge-sundheitsbewusstseins zu erkennen. Deshalb dürfen Ärztesich nicht darauf reduzieren lassen, einfach nur das zu tun, waserforderlich ist, damit das System reibungslos funktioniert.Und wenn sie für ihr Engagement nicht gelobt, sondern imGegenteil auch noch zur Rechenschaft gezogen werden, dannführt das eben zu einem Gefühl des Gegängeltwerdens, derFrustration, der Demotivation. Dann sagt der Arzt sich: „Ichhabe doch so viel für den Patienten getan, und jetzt werde ichwegen so einer Kleinigkeit belangt und bekomme gleich eineschriftliche Rückfrage.“

Wie können Krankenkassen das besser machen?Prof. Maio: Man sollte bei Rückfragen oder in Zweifelsfällenlieber in einen konstruktiven persönlichen Dialog mit den Ärzten treten; denn schriftliche Anfragen des MedizinischenDiens tes der Krankenversicherer (MDK) sind demotivierend.Auf diese Weise erzieht man die Ärzte dazu, sich nur ja nichtüber Gebühr zu engagieren, nicht vom vorgegebenen Weg ab-zuweichen, sondern jeden Patienten nach Standard zu behan-deln. Studien belegen, dass die MDK-Anfragen hinterher so-wieso zu 70 % im Interesse der Patienten und zugunsten derÄrzte entschieden werden. Oft erweisen sich diese Anfragenim Nachhinein auch gar nicht als begründet; aber schon alleindie Tatsache, dass es sie gibt, bedeutet für die Ärzte eine Mehr-

belastung und verführt zu einer Vermeidungsstrategie. Das istdas Resultat eines Denkens, das die Ärzte unter Generalver-dacht stellt: „Alle Ärzte sind Verschwender, und deshalb mussman sie möglichst genau kontrollieren.“ Natürlich ist Kontrollewichtig; aber wenn wir den Ärzten nicht glauben, dass sie Ärz-te geworden sind, um kranken Menschen zu helfen, und es ih-nen dann eben auch überlassen, dass sie den für sie richtigenWeg im Gespräch mit dem Patienten wählen – wenn wir diesesVertrauen in die Ärzteschaft nicht haben und immer nur kon-trollieren, dann führt das früher oder später zwangsläufig zu ei-ner Verschlechterung der Versorgungsrealität. Deswegen brau-chen wir einen Dialog und eine Wertschätzung dessen, wasÄrzte jeden Tag an Problemlösungskompetenz in die Gesund-heitsversorgung einbringen. Das, was ein Arzt tagtäglich reali-siert, ist die Bewältigung von Komplexität; denn wir können Pa-tienten nur dann gerecht werden, wenn wir anerkennen, dassdiese Patientengeschichten komplex, schwierig, oft auch un-durchschaubar sind und man nicht immer auf den ersten Blicksehen kann, wie es weitergehen soll. Die Ärzte haben die Kom-petenz, diese Komplexität zu bewältigen. Dazu muss man sieaber sein lassen, was sie sind: nämlich hilfsbereite Menschen,die ihr Leben in den Dienst des Patientenwohls stellen, weil siemit dem Arztberuf einen sozialen Beruf ergriffen haben. Dasklingt idealistisch, aber ich erlebe immer wieder, dass Ärzte undMedizinstudenten im Hörsaal genau das sagen: Ich möchteArzt werden, um zu helfen. Aber sie werden davon abgehaltenund müssen formalistische Gesichtspunkte viel stärker berück-sichtigen als das, was der Mensch vom Arzt eigentlich erwartet.

Daher ist die zu starke Ökonomisierung eine Gefahr für dieMotivationslage der Ärzte und kann in eine Sinnentleerungärztlichen Handelns führen. Und das ist im Grunde, wenn manes ökonomisch sieht, unvernünftig: Wir brauchen eine Kultur,die die Ärzte weiterhin motiviert, sich für ihre Patienten einzu-setzen, eine Kultur der Wertschätzung, damit sie diesen aufrei-benden und oft zur Verausgabung führenden Beruf überhauptrealisieren können. Wir dürfen nicht so tun, als wäre Medizinein Produktionsprozess, sondern müssen anerkennen, dassdas Urärztliche etwas mit Begleitung zu tun hat, mit demGegenüber, mit Beziehungsqualität – dass Ärzte in ihrem Berufauch als Persönlichkeiten gefordert sind und dass der Arztstets auch als solche mit heilt. Ein Arzt kann sowohl durch seinHandeln, durch die Verordnung der richtigen Arznei oder Maß-nahme, als auch durch sich selbst sehr viel beim Patienten be-wirken. Denn ein ernsthaft kranker Mensch sehnt sich danach,von jemandem behandelt zu werden, der ihn nicht nur als Trä-ger von Befunden sieht, sondern auch eine zwischenmenschli-che Beziehung zu ihm eingehen möchte – weil der Arzt diesemMenschen in seiner Krise, was Kranksein ja ist, nur in einer sol-chen Beziehung gerecht werden kann.

Kompass Gesundheit 4/2014

Prof. Dr. med. Giovanni Maioist Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Albert-Ludwigs-Universtität Freiburg undInhaber des Lehrstuhls für Medizinethik.Stefan-Meier-Str. 2679104 FreiburgE-Mail: [email protected]

Page 11: Kompass Gesundheit 4/2014

Als Herzchirurg wird man besonders oft mitethischen Fragen konfrontiert. Viele Patienten

sind schon älter und leiden außer an ihrem Herz-Kreislauf-Problem auch noch an verschiedenen an-deren Krankheiten. Manche Herzoperationen müs-sen mit Rücksichtnahme auf das Alter und den an-gegriffenen Gesundheitszustand der Patienten aufbesonders schonende Weise durchgeführt werden.Aber das kann teuer werden. So kostet beispiels-weise eine künstliche Herzklappe, die dem Patien-ten minimalinvasiv per Katheter (mit einem kleinenSchnitt in der Leiste oder im Bereich der Herzspit-ze) eingesetzt wird, vier mal so viel wie eine kon-ventionelle Herzklappe, die in einer offenen Opera-tion implantiert wird.

Diese hohen Kosten sind für die Krankenkassenund die Gesellschaft ein großes Problem. Aber wastun, wenn der Patient eine offene OP nicht verkraf-ten würde, andererseits aber unbedingt eine neueHerzklappe braucht?

Freie Arztentscheidung – ein hohes GutIn manchen europäischen Ländern werden solchemedizinischen Leistungen rationiert. Da heißt es

dann zum Beispiel: Bei Patienten ab einem Altervon 80 oder 90 Jahren erstatten die Kassen dieKosten für bestimmte operative Eingriffe nichtmehr, weil sich das – salopp formuliert – nicht„lohnt“. Bei uns ist das anders: „Wir haben inDeutschland die Möglichkeit der freien Arztent-scheidung. Das ist ein sehr hohes Gut“, betontProfessor Dr. Ulrich Franke, der als Chefarzt derAbteilung für Herz- und Gefäßchirurgie am Robert-Bosch-Krankenhaus immer wieder mit solchenethischen Fragen konfrontiert wird. „Wir führen inDeutschland zehnmal so viele Klappenimplantatio-nen durch wie in manchen europäischen Nachbar-ländern, wo die Entscheidung, wer so eine Klappebekommt, einer Kommission obliegt und wo mitsolchen Ressourcen sehr restriktiv umgegangenwird. Das kommt die Kostenträger natürlich billiger;aber es ist dann eben keine freie Arztentscheidungund auch keine freie Patientenentscheidung mehr.“

Und schließlich kann man ja auch nicht allehochbetagten Patienten über einen Kamm sche-ren: Der eine ist in höherem Alter schon schwer-krank, gebrechlich oder dement, während ein an-derer immer noch mitten im Leben steht, geistig

Wenn es um Leben und Tod geht ...

Entscheidungen im Alltag eines Herzchirurgen

Werner Waldmann

Diese Produkte finden Sie bei unsVital-Zentrum Glotz

Vital -Zentrum Glotz | 70839 Gerlingen | Dieselstr. 19-21 | www.glotz.de

Sanitätsfachhandel

Orthopädietechnik

Orthopädie-Schuhtechnik

Rehatechnik

Klassische Sanitätshausartikel wie z. B. Kompressionsstrümpfe, Bandagen, Alltagshilfen ...

Prothesen, Orthesen, Bandagen, Stützmieder, Silikontechnik ...

Orthopädische Schuheinlagen und Schuhe nach Maß, dynamische Fußdruckmessung, Bewegungsanalyse ...

Rollstühle, Rollatoren, Pflegebetten, Anti-Dekubitusmatratzen, Elektromobile, Kinder-Reha ...

Schlafapnoetherapie

Sauerstofftherapie

Heimbeatmung

Heimbeatmungsgeräte, Inhalationsgeräte, Atemgasbefeuchter, Trachealkanülen, Absauggeräte, Pulsoximeter ...

Homecare

Flüssigsauerstoffgeräte, Lieferung und Befüllung von Sauerstoff-geräten, Wartung der Geräte, Einweisung in Therapiesysteme ...

Schlafapnoetherapiegeräte, Maskensprechstunden ...

Schmerztherapie, Wundtherapie, Enterale- und Parenterale Ernährung, Inkontinenzversorgung ...

hhacsffatSanitä

thopädieteOr

he SanitlassiscKBandagen, Allta

ththesen, OrorP

handel

hnikec

essionsompr. KBel wie z.tiktshausartäen ...fagshil

o, Siliktützmiederr,hesen, Bandagen, S

,esstrümpf

hnik ...ntec

apnhlaffaSc

ffffotsSauer

tmuHeimbeaünaklaehcarT

sreuasgissülFWtä

apieoether

apietherfft

gmet, Ateätionsger, Inhalateäungsgerximeter ...ulso, Pteä Absaugger,nelü

vgnullüfeBdnugnurefeiL,etäregffffotsEi i i Thtät d G

,rr,ethcuefebsag

f-fffotsreuaSnov -fti

entrumZ-Vital

S-thopädieOr

hniktecehaR

cSehcsidäpohtrOnussemkcurdßuF

talloR,elhütslloRiK,elibomortkktelE

tzm Glo iD|negnilreG93807|

hnikhuhtecScyd,ßaMhcanehuhcSdnunegalniehuhc

...esylanasgnugeweB,gn

rtamsutibukeD-itnA,nettebegeflP,nerot...aheR-redn

ed.ztolg.www|12-91.rtslese

e hcsimany

, neztar

tHeimbea

eHomecar

arW,netäreg

teonpafalhcS

rehtzremhcSvznenitnoknI

mung

e

, Einweisung in Therteätung der Gerr

nednutshcerpsneksaM,etäregeipareht

eraPdnu-elaretnE,eiparehtdnuW,eipa...gnugrosrev

ysteme ...apiesr

...

,gnurhänrEelaretne

Page 12: Kompass Gesundheit 4/2014

12

und körperlich fit ist und im Urlaub womöglich sogar noch aufBerge steigt. Solchen ansonsten völlig gesunden, lebensfro-hen Menschen kann man mit einer neuen Herzklappe ein StückLebensqualität zurückgeben, während ihr Herzklappenfehlerohne Operation früher oder später in eine schwere Herzinsuffi-zienz münden würde, mit allen Begleiterscheinungen, die sol-chen Patienten das Leben zur Qual machen: ständige Müdig-keit, Abgeschlagenheit, Atemnot, Schwellungen in den Beinen,immer wieder Einlieferungen ins Krankenhaus. Und letztlichfolgt der Tod.

„Lohnt sich das überhaupt noch?“„In meinem Bekanntenkreis höre ich oft sehr negative Bemer-kungen über solche operativen Eingriffe bei älteren Menschen,nach dem Motto: Was soll der Unsinn, für einen 85-Jährigennoch so viel Geld auszugeben? Ist man dagegen selber betrof-fen oder benötigt der eigene Vater eine teure Operation, siehtdie Sache plötzlich ganz anders aus: Dann will man alles – egal,was es kostet. Dieselben Menschen, die vorher gesagt haben:,Das ist doch alles Unsinn‘, sind in ihrer eigenen Betroffenheitdann die ersten Befürworter solcher Eingriffe. Diese Frage kannman nur politisch lösen und nicht am Krankenbett; sie darf nichtauf den Arzt abgewälzt werden“, kritisiert Professor Franke.

„Natürlich versuchen wir in kritischen Situationen auf ver-nünftige Entscheidungen hinzuarbeiten. Wir fragen die Ange-hörigen zum Beispiel: ,Haben Sie sich das auch wirklich gutüberlegt? Was soll dieser gebrechliche, demente Patient dennnoch mit einer gut funktionierenden Herzklappe? Man mussihm ja schließlich auch eine Chance geben, zu sterben.‘ Trotz-dem steht die Familie dann häufig auf dem Standpunkt: ,Wirkönnen doch hier keine Euthanasie praktizieren; nur weil dieserMensch dement ist, können wir ihn nicht sterben lassen.‘ Dasist eine ethische Diskussion, der ich mich nicht entziehen kann;und ich kann den Angehörigen in so einer Situation auch nursagen: ,Sie haben Recht; es steht mir nicht zu, zu entscheiden,ob das Leben dieses Mannes noch lebenswert ist und ob Ihrfamiliäres Zusammenleben mit ihm nicht trotz aller Einschrän-kungen und Probleme immer noch wunderbar ist.‘ Also mussich ihnen die Therapie anbieten, auch wenn sie aus meinerSicht unsinnig ist.“

Diese ständige Auseinandersetzung mit schwierigen ethi-schen Fragen zehrt an den Nerven. „In der Herzchirurgie be-treiben wir Hochleistungsmedizin an vorderster Front der tech-nischen Möglichkeiten“, sagt Professor Franke. „Da ergebensich für mich jeden Tag neue Konflikte, auch auf der Intensiv-station: Wie weit sollen wir die Intensivmedizin treiben, und in-wiefern sind unsere Patienten darauf vorbereitet, dass unserLeben endlich ist? Damit haben nämlich die meisten Men-schen die allergrößten Probleme: zu akzeptieren, dass das Le-

ben trotz aller medizinischen Fortschritte ein Gottesgeschenkist, mit dem wir gut umgehen müssen – aber selbst dann ist esirgendwann zu Ende. Diese Tatsache wird in unserer heutigenGesellschaft völlig verdrängt.“

Schwere EntscheidungenMit so hohen, unrealistischen Erwartungshaltungen umzuge-hen, ist für den Arzt nicht immer leicht. „Es gibt ganz viele Pa-tienten, die im Alter von 85 Jahren zu uns kommen und sagen:,Was, 1 % aller Menschen sterben an dieser Herzoperation?Das ist aber eine Menge!‘“

Auch die Gespräche mit den Angehörigen sind oft schwierig:„Schließlich geht es ja nicht darum, das Leben der Patientenum jeden Preis zu verlängern. Oft müssen wir Angehörigen aufder Intensivstation unangenehme Wahrheiten sagen: ,Der Pa-tient hat bei der Operation einen Schlaganfall erlitten, seineNieren versagen. Es kann natürlich trotzdem sein, dass erüberlebt; aber er wird nie wieder in ein normales Leben zurück-kehren können. Haben Sie sich überlegt, ob es nicht besserwäre, wir würden die lebenserhaltenden Maßnahmen bei die-sem Patienten jetzt einstellen?‘ Und dann erleben wir sehr oft,dass die Leute sagen: ,Nein, ich möchte nicht der Schiedsrich-ter über Leben und Tod meines Angehörigen sein.‘“

Und eine Patientenverfügung – so sinnvoll sie auch sein mag– hilft da auch nicht unbedingt immer weiter, weil sie viele kom-plexe medizinische Sachverhalte gar nicht abdeckt. „Natürlichist es eine große Hilfe für mich, wenn ich aufgrund der Patien-tenverfügung weiß: Dieser Patient möchte nicht dauerhaft dia-lysepflichtig werden; und wenn er bereits mit einem beginnen-den Nierenversagen in die Operation geht, weil er vielleicht vor-her schon kranke Nieren hatte, und ich im Verlauf des operati-ven Eingriffs erkenne: Der Patient wird mit Sicherheit dauerhaftDialysepatient werden, dann können wir die lebenserhaltendenGeräte guten Gewissens abstellen. Oder wenn der Patient inseiner Verfügung geschrieben hat: ,Falls ich einen großenSchlaganfall bekommen sollte, der mich massiv in meiner Le-bensfähigkeit beeinträchtigt, möchte ich nicht wieder aufwa-chen‘, und es tritt tatsächlich so ein Ereignis ein, dann weiß ichals Arzt: Er hat es so gewollt – wir brauchen ihn nicht länger amLeben zu erhalten. Für solche Fälle ist es schon gut, eine Pa-tientenverfügung zu haben. Aber der Regelfall sieht leider an-ders aus: Wird ein Patient reanimationspflichtig, muss manakut etwas unternehmen, ohne zu wissen, wie die Sache aus-gehen wird. Wird er ohne irgendeinen Schaden überleben (wassehr häufig vorkommt, wenn so etwas im Krankenhaus pas-siert), oder wird er hinterher eine dauerhafte schwere Behinde-rung haben oder vielleicht gar nicht mehr am Leben teilnehmenkönnen? In der Herzchirurgie haben wir es normalerweise janicht mit 20- oder 25-Jährigen zu tun, bei denen die Chance,

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 13: Kompass Gesundheit 4/2014

13

dass sie sich gut regenerieren, höher ist, sondern in aller Regelmit 70- oder 75-jährigen Patienten, da ist der Ausgang der Si-tuation sehr viel schwieriger vorauszusehen.“

Und es gibt (wenn zum Glück auch selten) Situationen, in de-nen die Patientenverfügung sogar zum Korsett werden kann,das dem Arzt eine medizinisch sinnvolle Entscheidung er-schwert: „Ich habe auch schon einen Fall erlebt, bei dem wireine gute, reale Chance hatten, einen Patienten, der nach einerHerzoperation unter akutem Nierenversagen litt, heil durchzu-bringen. Wir wissen, dass die Nieren sich nach so einer Opera-tion in 95 % aller Fälle wieder erholen. Aber die Angehörigenhaben gesagt: ,Nein, in der Patientenverfügung steht: NiemalsDialyse, und wir bestehen darauf, dass das umgesetzt wird.‘Der Patient ist dann gestorben. Mit so einer Situation kann ichals Arzt nur schwer leben, weil ich weiß, wir hatten eine hoheChance, diesen Patienten gesund und ohne Langzeitbeein-trächtigungen durch die Operation zu bringen.“ Dennoch ist essinnvoll, eine Patientenverfügung zu verfassen, da sie sehr vie-le Fragen und Probleme abdeckt, die auftreten können, wennein Patient so krank ist, dass er nicht mehr für sich selbst ent-scheiden kann. „Der Vorteil einer Patientenverfügung ist, dassder Mensch sich vorher über seine Sterblichkeit Gedankenmacht und darüber nachdenkt, was alles passieren kann.“

Hochleistungsmedizin und MenschlichkeitSolche ethischen Fragestellungen ernst zu nehmen, passt zurPhilosophie des Robert-Bosch-Krankenhauses. Denn dieseKlinik steht in der Tradition ihres Stifters Robert Bosch, und dasLeitbild dieses Mannes bestand darin, Kompetenz undMenschlichkeit miteinander zu verbinden. Hochleistungsmedi-zin und liebevolle Betreuung – das ist kein Widerspruch. DieHerausforderung besteht darin, den Patienten beides zu bie-ten. „Wenn man als Mediziner in ein Haus kommt, in dem diesePhilosophie ernst genommen und vorgelebt wird, fällt es einemleichter, mitzumachen. Schon bei der Auswahl der Ärzte, diehier arbeiten, wird viel Wert darauf gelegt, dass sie sich als Teamplayer verstehen und nicht als große Matadore. Und alleunsere Neuzugänge werden konsequent auf unsere Philoso-phie eingestimmt.“ Dementsprechend werden die Patientender Abteilung für Herz- und Gefäßchirurgie auch psycholo-gisch betreut, wenn sie seelische Probleme haben. „Wir habenhier im Haus eine Abteilung für psychosomatische Medizin, aufderen Kompetenz ich jederzeit zurückgreifen kann. Immerwenn wir merken, dass unsere Patienten Ängste, Depressionenoder sonstige psychische Beschwerden haben, werden dieseKollegen hinzugezogen. Das ist der alte Bosch-Gedanke; wirsind ja als homöopathisches Krankenhaus gegründet worden.Robert Bosch hat den ganzen Menschen gesehen, und auchdie Stiftung fördert die ganzheitliche Medizin. Wir arbeiten hun-

dertprozentig im Sinn der Stiftung, indem wir sagen: Wir sehennicht einfach nur den Aortenklappenfehler, sondern Herrn Mai-er, der zwar einen Aortenklappenfehler hat, aber als ganzerMensch in unsere Klinik kommt und außer der Aortenklappenoch andere Probleme haben kann. Bei uns ist es gelebte Rea-lität, dass wir, sobald wir bei unseren Patienten Probleme ananderen ,Baustellen‘ entdecken, sofort auch die Fachkollegendes entsprechenden medizinischen Bereichs hinzuziehen; undbei der Psyche ist das eben die Psychosomatik.“

Doch nicht nur Ängste und Depressionen sind bei Herz-Kreislauf-Patienten oft ein Problem, das ihnen zu schaffenmacht und ihre Prognose verschlechtert. „Manchmal kommtes auch vor, dass sich der Heilungsprozess nach der Operationnicht so vollzieht, wie man sich das vorgestellt hat. Angenom-men, wir haben einem Patienten vor der Operation gesagt: ,ImDurchschnitt kann man nach so einem Eingriff sieben Tagespäter wieder nach Hause.‘ Der Patient war daraufhin natürlichvoller Euphorie und optimistisch gestimmt; und dann liegt ernach sieben Tagen vielleicht immer noch auf der Intensivsta-tion, weil es Komplikationen gegeben hat oder er sich ebeneinfach nicht so rasch von dem Eingriff erholt, wie wir erwartethatten. Solche Patienten – und manchmal auch deren Angehö-rige – muss man auffangen, und dafür brauchen wir unserePsychologen.“

Kompass Gesundheit 4/2014

Die Robert Bosch Stiftung:Gesundheit, humanitäre Hilfe und Forschung

Das Robert-Bosch-Krankenhaus geht auf eine privateStiftungsinitiative des Stuttgarter Unternehmers RobertBosch der Ältere (1861–1942) zurück. Trägerin des Kran-kenhauses ist die Robert Bosch Stiftung, die sich in ihremStiftungsauftrag unter anderem zur Förderung der Berei-che Gesundheit und humanitäre Hilfe sowie der Wissen-schaft und Forschung in den stiftungseigenen Einrichtun-gen verpflichtet.

Prof. Dr. med. Ulrich F. W. FrankeChefarzt der Abteilung Herz- und Gefäß-chirurgie am Robert Bosch Krankenhausin Stuttgart, Facharzt für Herzchirurgie,Facharzt für Chirurgie, Schwerpunkt Thoraxchirurgie, Fellow of the EuropeanBoard of Thoracic and CardiovascularSurgeons, Cardiac SurgeryE-Mail: [email protected]

Page 14: Kompass Gesundheit 4/2014

14

Welche Narkoseverfahren gibt es?Prof. Schröder: Wir unterscheiden zwischen dreiverschiedenen Narkoseformen. Die erste und be-kannteste ist die Vollnarkose, mit der man einenZustand der Schmerzfreiheit, Muskelentspannungund Bewusstlosigkeit erreicht: Das heißt, der Pa-tient bekommt vom Operationsgeschehen nichtsmit. Die für die Vollnarkose benötigten Medikamen-te werden entweder als Injektion über eine Veneund/oder über die Atemwege verabreicht.

Während dieses „künstlichen Tiefschlafs“ kannder Patient normalerweise nicht mehr selbststän-dig atmen, sodass wir ihm während des Eingriffsgenügend Sauerstoff zuführen müssen – z. B. in-dem wir ihm einen Beatmungsschlauch in die Luft-röhre einführen (das ist die sogenannte Intuba-tionsnarkose). Bei manchen Eingriffen reicht esaus, den Patienten über eine Kehlkopfmaske zubeatmen. Dabei wird ein Luftkissenring um denEingang des Kehlkopfs gelegt, um diesen gegenMundhöhle, Rachen und Speiseröhre abzudichten.Über einen mit diesem Luftkissen verbundenenSchlauch werden dann die Atemgase in die Luft-wege geleitet. Das hat den Vorteil, dass der Patientnach dem Aufwachen so gut wie nie unter Heiser-keit oder Schluckbeschwerden leidet, was bei einerIntubationsnarkose manchmal vorkommen kann.

Bei welchen Eingriffen genügt die Beatmungüber eine Kehlkopfmaske?Prof. Schröder: Dies ist in der Regel bei kürzerenVollnarkosen der Fall, etwa bei Ausschabungenoder der Implantation eines künstlichen Kniege-lenks.

Was für Möglichkeiten gibt es außer der Vollnar-kose denn noch?Prof. Schröder: Bei der peripheren Regionalanäs-thesie wird nur die Schmerzweiterleitung in be-stimmten Körperregionen ausgeschaltet. Dazu

spritzt der Anästhesist Medikamente in die Näheschmerzleitender Nerven. Der Patient bleibt wäh-rend des Eingriffs bei vollem Bewusstsein, mussalso nicht beatmet werden. Außerdem ist der Blut-druckabfall bei der peripheren Regionalanästhesiegeringer. Dieses Verfahren setzen wir häufig beiEingriffen an Armen oder Beinen ein, beispiels-weise bei der Handchirurgie: Dafür ist normaler-weise keine Vollnarkose erforderlich. Manchen Pa-tienten ist bei der Vorstellung, eine Operation ander Hand bei vollem Bewusstsein mitzuerleben,allerdings unbehaglich zumute. In solchen Fällenkommt das dritte Narkoseverfahren zum Einsatz:Der Patient wird durch Gabe von Propofol in einenDämmerschlaf versetzt, in dem er zwar noch selberatmet, aber vom eigentlichen Eingriff möglichstwenig mitbekommt. Dieses Verfahren wird unteranderem auch bei Magen- oder Darmspiegelungeneingesetzt, um den Patienten dieses bei vollem Be-wusstsein doch recht unangenehme Untersu-chungsverfahren zu erleichtern.

Und wann arbeiten Sie mit einer Spinal- oder Periduralanästhesie?Prof. Schröder: Auch diese beiden rückenmarks-nahen Verfahren gehören zur Regionalanästhesie,d. h. der Patient bleibt bei Bewusstsein. Sie eignensich für die Betäubung größerer Körperregionen.Bei der Spinalanästhesie spritzt der Narkosearztdas Lokalanästhetikum zwischen dem dritten undvierten Lendenwirbels direkt ins Nervenwasser. Beider Periduralanästhesie werden die Medikamentein den Epiduralraum injiziert, der vor dem Wirbelka-nal liegt. Diese beiden Narkoseformen eignen sichgut für Operationen im Bauch- oder Genitalbe-reich, z. B. bei einem Kaiserschnitt oder einem Ein-griff an der Prostata.

Man kann diese Anästhesieverfahren übrigensauch miteinander kombinieren, also z. B. im An-schluss an eine Operation mit Vollnarkose noch

Kompass Gesundheit 4/2014

Prof. Dr. TorstenSchröder,Chefarzt der Klinikfür Anästhesiologieund operative Inten-sivmedizin am Para-celsus-KrankenhausRuitKreiskliniken Esslingen gGmbH Hedelfinger Str.16673760 OstfildernE-Mail: [email protected]

Keine Angst vor der Narkose!Für jeden Eingriff das passende Anästhesie-VerfahrenViele Patienten fürchten sich vor der Narkose mehr als vor der eigentlichen Operation. Zu Unrecht – denn inzwi-schen sind die Anästhesieverfahren so perfektioniert, dass die Gefahr, an einer Narkose zu sterben, bei 1 zu150 000 liegt. Wir sprachen mit Professor Torsten Schröder, dem Chefanästhesisten der Kreisklinik in Nürtingen.

Page 15: Kompass Gesundheit 4/2014

15

eine Regionalanästhesie durchführen, damit derPatient auch nach der OP weiterhin schmerzfreibleibt. Das tun wir in erster Linie bei Oberbauchein-griffen, bei denen ein offener Längsschnitt erfor-derlich ist und die dadurch auch schmerzhaftersind – beispielsweise bei bestimmten Operationenan Leber, Magen oder Bauchspeicheldrüse. Bei la-paroskopischen, also minimalinvasiven Eingriffenbrauchen wir im Anschluss an die Vollnarkose keinePeriduralanästhesie mehr; denn da sind die Schnit-te so klein, dass nach der Operation keine starkenSchmerzen zu erwarten sind.

Gibt es eigentlich viele Patienten, die Angst voreiner Narkose haben?Prof. Schröder: Ja. Das liegt wahrscheinlich daran,dass die Anästhesie meist im Verborgenen stattfin-det. Vor allem bei der Vollnarkose (und das sindmindestens zwei Drittel aller Fälle) bekommen diePatienten von dem, was wir tun, ja kaum etwas mit.Aber die Narkoseverfahren sind zum Glück mittler-weile sehr sicher: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein

Patient, der keine besonderen Risiken hat, einentödlich verlaufenden Narkosezwischenfall erleidet,liegt bei zirka 1 : 150 000.

Viele Patienten fürchten sich davor, während derOperation aufzuwachen und alles von dem Ein-griff mitzubekommen. Wie groß ist diese Gefahr?Prof. Schröder: Diese Sorge ist tatsächlich bei vie-len Patienten sehr groß. Aber glücklicherweisekommt auch so etwas heutzutage nur noch äußerstselten vor. Es gibt bestimmte Eingriffe, bei denendiese sogenannte „Awareness“ früher besondershäufig auftrat: nämlich bei Kaiserschnitten undherzchirurgischen Eingriffen. Doch mittlerweileführt man Kaiserschnitte nicht mehr in Vollnarkose,sondern meistens mit Spinalanästhesie durch. UndHerzoperationen sind heute oft schon minimalinva-siv ohne Herz-Lungen-Maschine möglich.

Zum „Aufwachen“ des Patienten während einerOperation kann es immer dann kommen, wenndurch die Medikamente eine vollständige Muskel-entspannung bewirkt wird, die Bewusstlosigkeits-

Kompass Gesundheit 4/2014

Geriatrische Reha lohnt sichGeriatrische Rehabilitation ist nachweislich erfolgreich und eine Säule zum Erhalt der Selbstständigkeit im Alter. Ab sofort stehen für die Landkreise Esslingen und Göppingen 95 Betten für diese wichtige medizinische Aufgabe zur Verfügung. Wir freuen uns darüber, dass nach rekordverdächtiger halbjähriger Bauzeit weitere 40 Betten geschaffen werden konnten. Wir möchten dies zum Anlass nehmen und alle Interessierten zu unserem Tag der offenen Tür einladen. Beginn um 11 Uhr im Speisesaal der Rehaklinik (Haus 23):Begrüßung: Bernhard Wehde, Geschäftsführer (Sprecher) des Christophsbads Grußworte: Jochen Heinz, Erster Landesbeamter Landkreis Göppingen Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer AOK – Die Gesundheitskasse Neckar-FilsGR-Team: Chefarzt Dr. med. Christian Marburger, Konzepte und Strukturen Pflegedienst, Therapeuten und Sozialdienst Pause: Getränke und BüfettFührungen: durch die Therapieräume, Stationen und Abteilungen der Klinik

TAG DER OFFENEN TÜR15. November 2014 von 11 bis 16 Uhr

WEGE FINDEN- WEGE GEHEN

Page 16: Kompass Gesundheit 4/2014

16

komponente aber nicht hoch genug ist – mit anderen Worten:Der Patient kann sich nicht bewegen, also auch nicht bemerk-bar machen, ist aber wach. Heute verwenden wir bei der Nar-kose jedoch viel weniger Muskelrelaxanzien als früher, sodassman es schon allein an den Bewegungen der Patienten merkenwürde, wenn sie zu wach sind.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Vollnarkose durch-zuführen: entweder mit rein intravenöser Anästhesie oder miteiner Kombination aus intravenös verabreichten Medikamen-ten und Narkosegas. Beim ersteren Verfahren spritzt man zu-nächst einmal ausreichende Mengen an Schmerzmitteln,Schlaf erzeugenden und muskelentspannenden Medikamen-ten in die Vene. Anschließend wird die Narkose über eine konti-nuierliche Zufuhr von Narkosegas mit der Beatmungsluft auf-rechterhalten. Bei diesem Verfahren ist die Awareness-Gefahrsehr gering. Bei einer total intravenösen Anästhesie besteht einhöheres Risiko. Dann sollte man per EEG die Hirnströme mes-sen, um sicherzugehen, dass der Patient auch wirklich„schläft“.

Wie sind Sie eigentlich zur Medizin gekommen?Prof. Schröder: Im Gegensatz zu vielen anderen Medizinernstamme ich aus einer Familie, in der es nicht über Gene-rationen hinweg Ärzte gab; das heißt, der Wunsch, mich mit Medizin zu beschäftigen, ist aus mir selbst heraus entstan-den.

Ich habe mich schon während der Schulzeit besonders für Biologie interessiert; das war für mich das spannendste Fach,in dem ich auch immer die besten Noten hatte. Nach dem Abi-tur stand ich vor der Entscheidung, ob ich Biologie oder Medi-zin studieren sollte. Bei Biologie waren die späteren Berufs-möglichkeiten für mich nicht klar genug definiert: Was wirdman mit einem Biologiestudium? Als ich dann einen Studien-platz für Medizin in Tübingen bekam, war die Entscheidung fürmich klar.

Nach verschiedenen Stationen – unter anderem in den USAund in Frankreich – kam ich nach Ostfildern-Ruit, wo ich heutedie Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizinleite.

Kompass Gesundheit 4/2014

Ein Zahnarzt macht eine EntdeckungGrundlage für eine Epoche machende Entdeckung schufdie Chemie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Rei-he von Gasen identifiziert hatte. In den angelsächsischenLändern hatte man in feinen Gesellschaftskreisen entdeckt,dass man mit Äther oder Lachgas seinen Spaß haben konn-te. Man pflegte auf bestimmten Gesellschaften etwas vonjenen flüchtigen Substanzen zu schnüffeln. Der Erfolg stell-te sich rasch ein: ein angenehmer, rauschartiger Zustand –ähnlich dem nach ausgiebigem Alkoholgenuss. Einigen Me-dizinern, so auch dem Landarzt Crawford Long in Georgia,fiel bei solchen lustigen Exzessen auf, dass mancher beidiesen Gelagen stürzte und sich dabei auch verletzte, je-doch nicht über Schmerzen klagte. So ließ Long seine Pa-

tienten bei klei-neren chirurgi-schen Eingriffenwie der Eröff-nung eines Abs-zesses an einemSchwämmchenriechen, auf daser vorher etwasÄther geträufelthatte, genau wieauf den frivolenGesellschaften

der High Society. Long ging die Angelegenheit freilich nichtsystematisch an und veröffentlichte auch nichts über seineVersuche. Doch seine Methode sprach sich herum, aller-dings nicht bei Chirurgen, sondern bei Dentisten.

So hatte der Zahnarzt William Thomas Green Morton inBoston von seinem Kollegen Horace Wells aus Hartford inConnecticut diese Methode kennen gelernt, um derSchmerzen beim Zähneziehen Herr zu werden. Wells hatteseine Patienten Stickoxidul (Lachgas) einatmen lassen, dassie rasch in einen schlafähnlichen Rausch versetzte, der siedie Schmerzen der Behandlung meistens klaglos ertragenließ. Horace Wells hatte sich mit dieser Methode aber auchentsetzlich blamiert, als er gleich nach den Sternen greifenwollte und sich dazu hinreißen ließ, seine Technik als dasprobate Mittel auch bei großen chirurgischen Eingriffen zuempfehlen. Er hatte sie dem Starchirurgen John CollinsWarren angedient und bei einer Operation demonstriert.Zwar war der Patient im Operationsauditorium ganz offen-sichtlich nach der Inhalation des Gases eingenickt, hatteaber beim ersten Hautschnitt des Chirurgen wie üblich vorSchmerzen losgebrüllt.

Morton setzte auf ein anderes Gas, den Schwefeläther.Morton hatte herausgefunden, dass jene Dämpfe, wennman sie inhalierte, das Bewusstsein und damit die Schmer-zempfindlichkeit seiner Patienten auszuschalten in der Lagewaren.

Page 17: Kompass Gesundheit 4/2014

Viele Meilensteine der Medizin kommen aus dem Labor.

Aber sie beginnen mit Leidenschaft und einer Vision. Seit über 150 Jahren haben wir eine Mission: Unser Ziel ist die Entwicklung von innovativen Medikamenten, Impfstoffen und Tiergesundheitsprodukten, die das Leben von Millionen verbessern. Wir stellen uns dieser Verantwortung mit einem festen Bekenntnis zu Forschung und Entwicklung.

Wir wissen, es gibt noch immer eine Menge zu tun: Wir wollen den Zugang zu medizinischer Versorgung verbessern und arbeiten mit Partnern zusammen, die unsere Leidenschaft teilen.

Gemeinsam werden wir eine gesündere Welt schaffen. Mit ganzem Herzen.

Unter www.msd.de erfahren Sie mehr über unsere Arbeit und unser Engagement.

© 2013 MSD SHARP & DOHME GMBH, Lindenplatz 1, 85540 Haar. Alle Rechte vorbehalten.

CORP-1083165-0000 05/13

Page 18: Kompass Gesundheit 4/2014

www.merkelsches-schwimmbad.de

Wellness für Körper und SeeleMitten in der historischen Altstadt von Esslingen empfängt Sie das Merkel‘sche Schwimmbad mit attraktiven Wellness-Angeboten in seinem einzigartigen Jugendstil-Ambiente.

Mühlstraße 6 | 73728 Esslingen | Tel. 0711 39 07-700

WWeel

s füllnes

r Körper

r und See

eel

ast

i

MMitddasn sin s

s M el

en i

üh

oristen in der histttte sche Sch‘lkMerk

seinem eeinem einzigartig

aße 6 | 73728trtshls

onadt vtschen Altshwimmbad mit att

til-Amgen Jugends

el. 0slingen | T8 Es

slingen empfän Essellnesen Waktivr

e.mbient

0711 39 07-700

ängt Sieens-Angebot

.mewww

ches-sceelsches-schwimmerk

bambad.de

Page 19: Kompass Gesundheit 4/2014

Unser Wellness-Angebot:

Unser Sport-Angebot:

ellnUnser W

s-Angebot:nes

Unser Sport

-Angebot:

Page 20: Kompass Gesundheit 4/2014

20

Die Sehnsucht nach einem eigenen Kind

Möglichkeiten der modernenKinderwunschtherapieMan wartet jeden Monat darauf, dass die Blutung endlich ausbleibt, schielt neidisch auf an-dere Paare, die schon längst ein süßes Baby haben; Geschlechtsverkehr findet nicht mehrnach Lust und Laune, sondern nur noch „nach Kalender“ statt … Das Warten auf eineSchwangerschaft kann schon sehr frustrierend sein. Manchmal stecken hinter einer Kinder-losigkeit ganz einfache Probleme, die sich leicht beheben lassen; in anderen Fällen ist eskomplizierter. Aber die moderne Medizin kennt zum Glück viele Möglichkeiten, den Wunschnach dem eigenen Kind auch in schwierigen Situationen noch Wirklichkeit werden zu las-sen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Thomas Strowitzki, Experte für Fertilitätsstörungen am Uni-versitätsklinikum Heidelberg, der sich auf die Kinderwunschtherapie spezialisiert hat.

Heutzutage haben immer mehr Paare Schwierig-keiten, ein Kind zu bekommen. Warum ist das so?Prof. Strowitzki: Das liegt einfach daran, dass dieLeute immer später an die Familienplanung den-ken; und mit zunehmendem Alter nimmt dieFruchtbarkeit der Frau ab. Schon ab 30 gehen dieChancen, schwanger zu werden, leicht zurück, ab35 mit Sicherheit und über 40 sogar dramatisch.Vielen Frauen ist das gar nicht so klar: In einer Um-frage des Allensbach-Instituts vertrat die Mehrheitder Frauen die Meinung, dass es mit dem Schwan-gerwerden erst ab 40 schwierig wird. Das stimmtleider nicht.

Mittlerweile lassen ja immer mehr Frauen Eizel-len oder Eierstockgewebe einfrieren, um denZeitpunkt ihrer Schwangerschaft nach eigenemWunsch bestimmen zu können – und möglichstweit hinauszuschieben. Was halten Sie von die-sem „Social Freezing“?Prof. Strowitzki: Wir machen das hier nicht, und ichpersönlich halte das auch für eine schlechte Ent-wicklung. Denn wenn immer mehr Frauen in jungenJahren Eizellen einfrieren lassen in der Hoffnung,sie irgendwann verwenden zu können, kann dassehr problematisch sein. Damit schiebt man seineFamilienplanung einfach vor sich her – ohne biolo-gische Notwendigkeit, sich dieser Entscheidungdoch irgendwann einmal stellen zu müssen. Und

wenn eine Frau dann mit über Fünfzig versucht,schwanger zu werden, ist das ja nicht nur eine Fra-ge der Eizellqualität: Auch die Gebärmutter ist indiesem Alter nicht mehr die allerjüngste, die Einnis-tungssituation ist nicht mehr so gut, und dieSchwangerschaft ist nicht mehr so leicht tolerier-bar und austragbar wie bei einer jungen Frau.

Und es gibt auch noch ein weiteres Problem:Wenn Frauen um die Sechzig auf ihre Eizellen zu-rückgreifen und die Männer vielleicht in vergleich-barem Alter sind, würde das Kind von der Lebens-erwartung her seine Volljährigkeit wahrscheinlichnicht mehr mit einem lebenden Vater erreichen; undwie lange die Mutter das Kind von ihrer Fitness undihrem Alter her noch betreuen und begleiten kann,sei auch mal dahingestellt. Es ist also schon ganzsinnvoll eingerichtet von der Natur, dass Frauennicht erst mit 60 oder 70 schwanger werden. Außer-dem ist die Befruchtungsrate beim Social Freezingrecht niedrig: Nur aus 6–10 % der rund 20 Vorrats-Eizellen, die man dadurch gewinnt, entsteht späterein Kind. Für viele Frauen ist das also eine trügeri-sche Hoffnung, die sich nie erfüllen wird.

Wie gehen Sie vor, wenn eine Frau oder ein Paarmit unerfülltem Kinderwunsch zu Ihnen kommt?Was tun Sie als Erstes?Prof. Strowitzki: Das Hauptziel besteht zunächstdarin, auszuloten, ob die beiden eine Chance auf

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 21: Kompass Gesundheit 4/2014

21Kompass Gesundheit 4/2014

Ines Rindelhardt

Dres. Helwig und Gorriz Gymnasiumstraße 170173 Stuttgart

Dia

Dres. Pala, Just und Kollegen Neckarstraße 4973728 Esslingen a. N.

Dres. Fritz und Berger Hahnweidstraße 2173230 Kirchheim u.T.

Zentrale Hotline: 07221-9565-55Internet: www.radiologie.dewww.mammascreen-bw.de

weil es mir ein gutes Gefühl gibt.

Infos zur Brustkrebs-Früherkennung: www.mammo-ich-bin-dabei.de

eine natürliche Schwangerschaft haben. Dazu muss manerst einmal die hormonelle Situation der Frau untersu-chen: Hat sie überhaupt einen Eisprung? Und wie stabilist er? Gibt es hormonelle Störfaktoren, die die Eizellrei-fung behindern? Den Mann schicken wir zur andrologi-schen Diagnostik, die klinische Untersuchungen, einSpermiogramm und eine Blutuntersuchung umfasst.

Erst wenn wir diese Untersuchungen hinter uns haben,kommt als nächster Schritt – sofern sich bisher noch kei-ne Ursache für die Kinderlosigkeit ergeben hat – die Eilei-terdiagnostik. Zum Beispiel kann die Frau eine Eileiter-entzündung gehabt haben, die zu einer Verklebung derEileiter geführt hat. Diese Diagnostik kann man sinnvol-lerweise nur über eine Bauchspiegelung in Kombinationmit einer Gebärmutterspiegelung durchführen. Das istein operativer Eingriff, wenn auch ein ambulanter; aber ererfordert eine Narkose und einen operativen Zugang. Esist logisch, dass man das erst macht, wenn die nicht-in-vasive Diagnostik beendet ist. Im Anschluss an die dia-gnostischen Maßnahmen besprechen wir mit dem Paar,worin der sinnvollste therapeutische Schritt besteht.

Beginnt man dabei zuerst mit Medikamenten?Prof. Strowitzki: Grundsätzlich schon. Es kommt daraufan, wo die Ursache für die Kinderlosigkeit liegt. Wenn beider Frau z. B. der Spiegel des Hormons Prolaktin erhöhtist, kann man diesen mithilfe von Tabletten senken unddadurch eine sehr gute Schwangerschaftsrate erreichen.Denn erhöhte Prolaktinspiegel können die Eizellreifungstören und den Eisprung unterdrücken.

Wenn man nur den Eisprung direkt stimulieren möchte,gibt es je nach der zugrundeliegenden hormonellen Situ-ation verschiedene Möglichkeiten. Die Frau kann z. B.Clomifen-Tabletten einnehmen. Das ist ein Anti-Östro-gen, das dem Körper einen Östrogenmangel vorgaukelt,den Eierstock stimuliert und die Reifung von Eibläschen(Follikeln) und Eizelle stabilisiert. Die nächste Möglichkeitwäre, den Eierstock mit Hirnanhangdrüsenhormonen zustimulieren. Diese Hormone führen zur Ausreifung des Ei-bläschens und lösen den Eisprung aus. Man kann sieallerdings nicht in Tablettenform einnehmen, sondernmuss sie injizieren.

Geht so eine Behandlung nicht auch mit unerwünsch-ten Nebenwirkungen einher?Prof. Strowitzki: Clomifen kann verschiedene Nebenwir-kungen verursachen – von Kopfschmerzen über Sehstö-rungen und Zysten bis hin zur Bildung vieler Follikel. DieSpritzen können ebenfalls bewirken, dass die Frau mit

der Bildung zu vieler Eibläschen reagiert, sodass das Risiko vonMehrlingsschwangerschaften besteht. Deshalb muss man den Zy-klus der Frau genau überwachen.

Welche Möglichkeiten einer künstlichen Befruchtung gibt es?Prof. Strowitzki: Die einfachste Methode ist die Insemination, alsodie Einbringung von Spermien in die Gebärmutter mit einem Kathe-ter. Dieses Verfahren bietet sich beispielsweise an, wenn der Mann zuwenig Spermien produziert oder diese nicht beweglich genug sind.

Was aber die meisten Menschen unter „künstlicher Befruchtung“verstehen, ist eine Befruchtung außerhalb des Körpers. Dabeikommt immer dieselbe Grundmethode zum Einsatz: Zunächst ein-mal muss man die Frau hormonell behandeln; dann werden die Eizel-

Page 22: Kompass Gesundheit 4/2014

22

len durch eine Punktion entnommen. Diese Eizell -entnahme erfolgt (meistens im Rahmen einer kur-zen Narkose) durch die Scheide.

Anschließend werden die Eizellen in Petrischäl-chen mit den Spermien zusammengebracht. Hiergibt es wiederum zwei verschiedene Verfahren: Beider In-vitro-Fertilisation (IVF) schwimmen die Sper-mien selbstständig zur Eizelle; bei der intracyto-plasmatischen Spermieninjektion (ICSI) wird eineeinzelne Samenzelle mit einer feinen Pipette direktin die Eizelle injiziert. Dieses Verfahren ist bei einerzu geringen Anzahl und/oder stark eingeschränkterBeweglichkeit der Spermien sinnvoll. Nach ein paarTagen werden die Embryonen dann über einenSchlauch in die Gebärmutter eingesetzt.

Eine noch relativ neue Methode ist die In-vitro-Maturation (IVM) – eine etwas aufwendigere Tech-nik, bei der man unreife Eizellen aus dem Eierstockgewinnt, diese im Reagenzglas durch Zugabe vonHormonen ein bis zwei Tage lang nachreifen lässtund sie erst dann mit männlichen Spermien be-fruchtet. Zwei Tage später setzt der Arzt die be-fruchteten Eizellen dann in die Gebärmutter ein.Hierzu braucht man entweder gar keine oder nureine ganz kurze, niedrig dosierte Hormonstimula-tion. Dieses Verfahren ist vor allem dann sinnvoll,wenn die Frauen ein sehr hohes Risiko haben, aufdie Hormonstimulation überschießend zu reagieren(also mehrere Follikel zu bilden), sodass eine Hor-monstimulation in hoher Dosierung nicht angezeigtwäre. Diese Methode führen in Deutschland übri-gens nur wir hier in Heidelberg durch.

Gibt es auch „aussichtslose“ Fälle?Prof. Strowitzki: Ja. Es gibt Frauen oder Paare, beidenen wir trotz verschiedener künstlicher Befruch-

tungszyklen einfach keine Schwangerschaft erzie-len. In solchen Fällen hat es oft auch keinen Sinn,das ewig zu versuchen, sondern man muss mitdem Paar offen und ehrlich besprechen: Wie ste-hen Ihre Chancen? Was raten wir Ihnen? Be-sonders schwierig wird es, wenn das Alter der Frauvoranschreitet. Frauen über 40 haben ungleichschlechtere Aussichten als Frauen unter 40. Undbei manchen Frauen treten die Wechseljahre jaauch verfrüht (d. h. vor dem 40. Lebensjahr) ein. Fürsolche Frauen gibt es keine Behandlungsmöglich-keit, weil sie von ihrer Eierstockqualität her nichtmehr stimulierbar sind und keine eigenen Eizellenmehr produzieren.

Sehen Sie in Ihrer Sprechstunde auch sehr jungeFrauen (unter 30) und reife Kinderwunschpatien-tinnen über 50?Prof. Strowitzki: Ja. Das Durchschnittsalter liegtbei 33 oder 34. Wir sehen aber auch jüngere Paare,die beschlossen haben, sehr frühzeitig eine Familiezu gründen. Junge Paare kommen meistens dannzu uns, wenn die Spermienqualität des Mannessehr schlecht ist; das ist aber schnell diagnosti-ziert, und hier kann man mit den Methoden derkünstlichen Befruchtung ja auch sehr gut weiter-helfen.

Es gibt natürlich auch Frauen, die mit über 45 zuuns kommen in der Hoffnung, noch schwanger zuwerden. Denen kann man dann nicht mehr helfen.Jenseits des 45. Lebensjahres lässt sich durchkünstliche Befruchtung eigener Eizellen keineSchwangerschaft mehr erzielen.

Und was ist, wenn das Problem beim Mann liegt?Behandeln Sie solche Fälle auch?Prof. Strowitzki: Die Kinderwunschtherapie desMannes ist relativ begrenzt. Es gibt einige wenigehormonelle Störungen und Infekte der Samenwe-ge, die man behandeln kann. Das machen aller-dings nicht wir Gynäkologen, sondern die Androlo-gen (also in Deutschland entweder Hautärzte oderUrologen), aber auch einige hierauf spezialisierteInternisten. Leider sind die meisten Fruchtbarkeits-störungen des Mannes nicht behandelbar. Die Lastder Behandlung trägt dann wieder die Frau, weilman die Keimzellen (also Samen und Eizellen) insolchen Fällen nur durch Maßnahmen der künst-lichen Befruchtung zusammenbringen kann.

Kompass Gesundheit 4/2014

Was kostet der Kinderwunsch?Zwar braucht das Land allen Politikerstimmen zufolge mehr Kinder,aber bei einer Kinderwunschbehandlung müssen Paare einen großenTeil der Kosten selbst tragen. So zahlen die gesetzlichen Krankenkas-sen regelmäßig nur drei Versuche zu 50 Prozent. Der Eigenanteilmacht dann ca. 1.500 bis 1.800 Euro aus. Bei manchen Kassen und ineinigen Bundesländern gibt es aber höhere Zuschüsse. Der Anspruchauf Kostenübernahme besteht allerdings nur dann, wenn das Paarverheiratet ist und die Frau unter 40, der Mann unter 50 Jahre alt. Mehr Informationen unter www.kinderwunsch.de

Page 23: Kompass Gesundheit 4/2014

23

Warum gehen manche Paare mit Kinderwunsch ins Ausland? Gibt es dort mehr Möglichkeiten?Prof. Strowitzki: Es gibt Techniken, die in Deutschland verbo-ten sind, beispielsweise die Eizellspende. Frauen, die schon imAlter von 40 Jahren in die Wechseljahre kommen und nochschwanger werden wollen, haben gar keine andere Möglichkeitals die Eizellspende. Solche Paare gehen dann natürlich insAusland.

Was würden Sie jungen Frauen bzw. Paaren raten: Wannsollten sie sich um ihre Familienplanung kümmern?Prof. Strowitzki: Ich würde sagen, sie sollten der Stimme ihresHerzens folgen. Es gibt keinen Grund zu übereilter Torschluss -panik. Der Gedanke: „Ich bin jetzt schon 28, meine biologischeUhr tickt, also muss ich mir einen Mann suchen und schwangerwerden“ ist keine gute Voraussetzung. Zunächst einmal musseine gute, tragfähige Partnerschaft bestehen, denn die Ent-scheidung für ein Kind ist für beide eine wichtige und verant-wortungsvolle Zukunftsaufgabe. Wenn ein Paar sich allerdingsin seinem Kinderwunsch einig ist und die Frau innerhalb vonein bis zwei Jahren nicht schwanger wird, würde ich nicht ra-ten: Genießt erst mal euer Leben, bis ihr 40 seid, und kümmerteuch erst dann um das Thema Kinder.

Was kann man selber tun, um die Chancen für den ersehn-ten Kindersegen zu erhöhen?Prof. Strowitzki: Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die dieFruchtbarkeit begünstigen und die ein Paar sehr wohl selbstbeeinflussen kann. Viele Menschen nehmen Fruchtbarkeit alsetwas Selbstverständliches hin. Das ist ein Irrtum. Es gibt etli-che schädliche Einflüsse, die die Fruchtbarkeit verschlechtern:z. B. Rauchen, zu viel Alkohol, starkes Übergewicht, aber auchUntergewicht. Durch ein gesundes Leben tut man also nichtnur sich selbst etwas Gutes, sondern schafft auch optimaleVoraussetzungen dafür, Vater oder Mutter zu werden.

Kompass Gesundheit 4/2014

Prof. Dr. med. Thomas StrowitzkiÄrztlicher DirektorAbt. Gynäkologische Endokrinologie und FertilitätsstörungenUniversitäts-Frauenklinik HeidelbergIm Neuenheimer Feld 440 69120 HeidelbergTel.: 06221 56-7910; Fax: 06221 56-4099E-Mail: [email protected]

Patientencompliance bedeutet für uns seit mehr als 25 Jahren, dem Menschen ein Höchstmaß an beschwerdefreiem Leben zurückzugeben. Ob national oder international – ob im direkten Kontakt mit dem Patienten oder als zuverlässiger Partner für Krankenhäuser, Kliniken und Ärzte.

Heinen + Löwenstein

Arzbacher Straße 80

D-56130 Bad Ems

Telefon: 0 26 03/96 00-0

Fax: 0 26 03/96 00-50

Internet: hul.de

Es gibt Situationen, da vergessen unsunsere Patienten. Das ist unser höchstes Ziel.

H o m e c a r e

P n e u m o l o g i e

N e o n a t o l o g i e

A n ä s t h e s i e

I n t e n s i v b e a t m u n g

S c h l a f d i a g n o s t i k

S E RV I C E

P a t i e n t e n b e t r e u u n g

Page 24: Kompass Gesundheit 4/2014

24

Delir –Gehirn imAusnahme-zustand

Die 72-jährige Adelheid K. erwacht eines Morgens mitSchwindel, Husten und Herzrasen und fühlt sich so krank,

dass sie in die Klinik eingewiesen werden muss. Da sie ziem-lich verwirrt und apathisch ist, vermuten die Ärzte zunächst,dass sie an einer Demenz leidet. Aus dem Gespräch mit derTochter, die die Patientin ins Krankenhaus gebracht hat, gehtjedoch hervor, dass sie bis vor wenigen Tagen noch selbststän-dig zurecht kam. Die Tochter berichtet ferner, dass ihre Mutterzehn verschiedene Medikamente einnimmt. Bei der Prüfungder Arzneimittel stellt sich heraus, dass mindestens zwei da-von gerade bei älteren Menschen Benommenheit, Schwindel-gefühl oder Verwirrtheit verursachen können. Die Ärzte setzendrei ihrer zehn Medikamente ab und senken bei einigen ande-ren die Dosis. Drei Tage später kann die Patientin nach Abklin-gen des anfangs bestehenden Virusinfekts aus dem Kranken-haus entlassen werden und ist wieder im vollen Besitz ihrergeistigen Fähigkeiten.

Der 83-jährige Karl H. wird wegen eines Sturzes ins Kran-kenhaus eingeliefert. Die Untersuchung zeigt, dass er sich da-bei nur Bagatellverletzungen zugezogen hat; doch sein geisti-ger Zustand ist besorgniserregend: Er ist aggressiv, leidet un-ter Wahnvorstellungen und weigert sich, zu essen und seine Ta-bletten einzunehmen. Die Tochter wird angerufen und fährt so-fort in die Klinik. Bei ihrem Erscheinen wird der Patient deutlichruhiger und kooperativer. Die Tochter erzählt, dass ihr Vaterauch vor dem Sturz schon Zeichen eines geistigen Abbaus ge-zeigt und manchmal den Weg nach Hause nicht mehr gefun-den habe. Seit dem Sturz hat sich sein Zustand aber rapideverschlechtert. Nach der Versorgung seiner Verletzungen wirdder Patient in die psychiatrische Abteilung der Klinik verlegtund dort intensiv untersucht. Dabei zeigt sich, dass Karl H.stark dehydriert ist, weil er in den letzten Tagen trotz der star-ken Sommerhitze offenbar zu wenig getrunken hat. Man führtihm über eine Infusion Flüssigkeit zu; außerdem erhält er Medi-kamente gegen seine wahnhaften Vorstellungen. Nach einigenTagen geht es ihm besser, und er kann wieder entlassen wer-den. Da in der Klinik bei dem Patienten eine Alzheimer-Demenzdiagnostiziert wurde, sucht die Tochter für ihn ein Appartementin einer Anlage für betreutes Wohnen ganz in der Nähe ihresHauses, sodass sie ihn regelmäßig besuchen und sich um ihnkümmern kann.

Nicht immer geht es so gut aus wie in diesen beiden Fällen.Beide Patienten litten unter einem Phänomen, das bei älterenMenschen häufig vorkommt, aber nicht immer rechtzeitig er-kannt und behandelt wird: dem Delir. Solche Patienten sindapathisch oder unruhig, unter Umständen im Wechsel auchBeides, reizbar und aggressiv, manchmal auch schreckhaftund ängstlich. Sie sind desorientiert, wissen nicht, wo sie sind,und erkennen bekannte Orte, Personen oder Situationen nichtmehr. Ihr Konzentrations-, Auffassungs- und Denkvermögen,

Kompass Gesundheit 4/2014

Anne Greveling

Page 25: Kompass Gesundheit 4/2014

25

sowie ihr Gedächtnis sind beeinträchtigt; manchmal leiden sieauch unter Halluzinationen oder Wahnideen. Häufig ist derSchlaf-Wach-Rhythmus gestört: Die Patienten sind tagsüberschläfrig, nachts dagegen wach und aktiv.

Gerade bei älteren Menschen kommen solche delirantenoder Verwirrtheitszustände gar nicht so selten vor. Wird ein De-lir nicht schnell erkannt und richtig behandelt, kann der Patientschlimmstenfalls versterben; oft bleiben dauerhafte geistigeBeeinträchtigungen zurück.

Vorbeugen ist besser als heilenBei der Entstehung eines Delirs kommen meist mehrere Ursa-chen zusammen: Der Patient ist bereits älter und in seinen geis tigen Fähigkeiten vielleicht sowieso schon etwas einge-schränkt; tritt dann als zusätzliche Belastung noch eine Verlet-zung, Infektion oder Operation und der Wechsel in eine unge-wohnte Umgebung (z. B. Krankenhaus) hinzu, kann es leichtzur Verwirrtheit kommen. Aber auch bei hochbetagten Patien-ten in Pflegeheimen können Delirien auftreten.

Zum Glück kann in der Klinik einiges an medizinischen undpflegerischen Maßnahmen getan werden, um der Entstehungeines Delirs vorzubeugen. „Hier gilt wirklich der alte Satz ,Vor-beugen ist besser als heilen‘, denn wenn erst mal ein Delir ein-getreten ist, gibt es keine Garantie dafür, dass die aufgetrete-nen Probleme sich wieder vollständig zurückbilden“, erklärtProfessor Walter Hewer, der die gerontopsychiatrische Abtei-lung des Klinikums Christophsbad in Göppingen leitet.

Wie kann man einem Delir vorbeugen? „Alles, was die kör-perliche Situation des Patienten stabilisiert, dient mit großerWahrscheinlichkeit auch der Delirprophylaxe: also genügendFlüssigkeitszufuhr, ausreichende Ernährung und Mobilisierung,Gewährleistung einer adäquaten Sauerstoffzufuhr und ebenauch die Vermeidung zu vieler Medikamente“, sagt ProfessorHewer. Das ist gerade bei älteren Menschen oft ein Problem:„Man gewinnt den Eindruck, dass die Anzahl der Menschen,die mehrere Medikamente – bis hin zu zweistelligen Zahlen –bekommen, mit der Weiterentwicklung der Medizin zugenom-men hat. Vor kurzem hatte ich hier eine 80-jährige Patientin, diewegen nächtlicher deliranter Zustände bei uns behandelt wur-de. Die nahm jeden Tag 17 oder 18 Medikamente ein, nachdemsie kurze Zeit zuvor – ohne Zweifel in hochkompetenter Weise –in einem Universitätsklinikum stationär behandelt worden war.Dieses Problem haben wir in unserem geriatrischen Qualitäts-zirkel besprochen, und es ist uns dann gelungen, wenigstensdrei dieser Medikamente abzubauen, ohne nachteilige Folgenfür die Patientin.“

Wenn ein Patient von mehreren verschiedenen Ärzten ver-sorgt wird – vom Hausarzt, im Krankenhaus und eventuell auchnoch von einem Orthopäden oder Schmerztherapeuten –, weiß

der eine Arzt oft gar nicht, was die anderen ihm für Medika-mente verordnet haben. „Oft ist es eine richtige Detektivarbeit,überhaupt zu ermitteln, was der Patient alles einnimmt. Mandarf ja nicht vergessen: Ein Delir betrifft häufig Patienten, diekognitiv beeinträchtigt sind und dem Arzt selbst oft gar nichtmehr so genau mitteilen können, welche Medikamente sienehmen. Und neben den reinen Nebenwirkungen der verschie-denen Arzneimittel und vielfältigen potenziellen Medikamen-tenwechselwirkungen muss man bei älteren, geistig beein-trächtigten Menschen natürlich auch mit Einnahmefehlernrechnen.“

Manche Medikamente rufen besonders häufig ein Delir her-vor und müssen dann eventuell abgesetzt oder in ihrer Dosisreduziert werden: z. B. Schlaf- und Beruhigungsmittel aus derSubstanzklasse der Benzodiazepine, trizyklische Antidepressi-va, aber auch bestimmte Schmerzmittel.

Wie wird ein Delir behandelt?Natürlich spielen bei der Entstehung eines Delirs auch psychi-sche Faktoren eine Rolle: „Angenommen, ein älterer Patientkommt nach einem Sturz oder Knochenbruch in die Klinik, istverängstigt, beunruhigt, hat vielleicht Orientierungsprob-leme … Dieser Mensch ist dann natürlich auch in seiner psy-chischen Befindlichkeit extrem beeinträchtigt und reagiertdann sehr leicht aggressiv oder wird apathisch.“

Die Behandlung richtet sich nach der Ursache, die das Delirhervorgerufen hat. Handelt es sich um eine Infektion (z. B. derLunge oder Harnwege), so muss diese mit Antibiotika behan-delt und gegebenenfalls das Fieber gesenkt werden. Ist derPatient „ausgetrocknet“ (dehydriert), muss man seinen Elektro-lythaushalt kontrollieren, ihn zum Trinken ermuntern oder ihmper Infusion Flüssigkeit zuführen. Ist der Patient Diabetiker undes sind ausgeprägte Blutzuckerschwankungen nachweisbar (z. B. Unterzuckerung in der Nacht), so wird der Stoffwechselwieder ins Lot gebracht.

Manchmal steckt hinter dem Delir auch eine akute Erkran-kung des Gehirns, beispielsweise ein Hirntumor oder Schlag-anfall: „Es gibt ja auch Schlaganfälle, bei denen nicht die klas-sische neurologische Symptomatik (z. B. Halbseitenlähmung),sondern lediglich ein Verwirrtheitszustand vorliegt.“ In solchenFällen weisen bildgebende Untersuchungen des Schädels denWeg zur richtigen Diagnose.

Parallel zur ursächlichen Therapie werden weiterhin beste-hende ausgeprägte Symptome wie Angst, Erregung, Wahnoder Halluzinationen durch Neuroleptika behandelt. Das sindArzneimittel aus der Gruppe der Psychopharmaka, die beruhi-gen und gegen Wahnvorstellungen helfen.

Neben dem typischen Altersdelir gibt es auch das Entzugs-delir, das beim Entzug von Alkohol oder abhängig machenden

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 26: Kompass Gesundheit 4/2014

26

Arzneimitteln (häufig: Schlafmitteln aus der Gruppeder Benzodiazepine) auftritt. Durch den Entzug –z. B. wenn ein alkohol- oder medikamentenabhän-giger Patient ins Krankenhaus kommt und dieseSubstanzen dort nicht mehr erhält – entsteht einUngleichgewicht chemischer Nervenbotenstoffe(Neurotransmitter), die das Delir auslösen. SolcheEntzugsdelire werden medikamentös behandelt.

Was können Sie als Angehöriger tun? Ein Delir von einer Demenz zu unterscheiden, ist oftgar nicht so einfach, da bei vielen deliranten Pa-tienten bereits eine (diagnostizierte oder noch un-erkannte) Demenz vorliegt. Das Delir entsteht alsooft auf dem Boden der Demenz. Trotzdem gibt esgewisse Unterschiede, an denen Ärzte, Pflegekräf-te (und auch Angehörige) ein Delir erkennen kön-nen: „Die Demenz ist ja – von ganz seltenen Aus-nahmen abgesehen – eine chronische Erkrankung,die sich schleichend über Jahre hinweg entwickelt.Das Delir dagegen ist eine akute Erkrankung: DieSymptome treten innerhalb von Minuten bis Stun-den oder allerhöchstens binnen weniger Tage auf.Außerdem liegt beim Delir eine Störung der Be-wusstseinslage und Aufmerksamkeit vor, die derDemenzkranke (zumindest solange seine Demenznoch nicht ganz so weit fortgeschritten ist) nichthat. Ich kann häufig mit einem Demenzkrankenalso ein relativ normales Gespräch führen, befindemich dann zwar vielleicht auf einer Realitätsebene,die der meinen nicht entspricht – denn der Patient

hat ja unübersehbar kognitive Störungen – aber dasBewusstsein und die Aufmerksamkeit im Gesprächsind nicht gestört. Der delirante Patient dagegen istin seiner Bewusstseinslage beeinträchtigt, dasheißt, er wechselt oft in seinem Wachheitsgrad,folgt dem Gespräch nicht so, wie man das im Nor-malfall erwarten würde; seine Aufmerksamkeit drif-tet ab, und die Konzentration ist deutlich gestört.Das ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium.“Wenn eine kognitive Störung plötzlich neu auftrittoder sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlech-tert ist, besteht also immer Verdacht auf ein Delir.

Neben der medizinischen Behandlung sind pfle-gerische Maßnahmen ausgesprochen wichtig, umdem Patienten bei der Orientierung zu helfen undihn psychisch zu stabilisieren. Und da spielen auchdie Angehörigen eine wichtige Rolle. Denn der Pa-tient ist jetzt auf ihm vertraute Wahrnehmungenseiner Umgebung angewiesen, die ihm im Kran-kenhaus am ehesten Familienmitglieder durch ihreAnwesenheit bieten können. Er benötigt einen gutstrukturierten Tagesablauf und Orientierungshilfen:Wenn er eine Brille oder ein Hörgerät besitzt, sollteer diese auch benutzen, um sich besser orientierenzu können. Die Angehörigen sollten darauf achten,dass er genügend trinkt, und ihn, so gut es geht,beschäftigen – z. B. mit Zeitschriften oder Fotos,die sie sich gemeinsam mit ihm anschauen. Wennmöglich, darf der Patient auch aufstehen und einwenig herumgehen: Eine frühzeitige Mobilisierungwirkt dem Delir entgegen.

Kompass Gesundheit 4/2014

Gerontopsychiatrie – was ist das eigentlich?Gerontopsychiatrie ist ein Spezialgebiet der Psychiatrie und beschäf-tigt sich mit dem gesamten Spektrum psychischer Alterserkrankun-gen. Neben den sogenannten hirnorganischen Störungsbildern (dazugehören v. a. Demenzerkrankungen, aber auch das Delir) sind diesv. a. Depressionen, Psychosen, Angst- und Suchterkrankungen. We-sentlicher Grund dafür, dass auf spezialisierte gerontopsychiatrischeAngebote aus heutiger Sicht nicht verzichtet werden kann, ist der Um-stand, dass sich die genannten Krankheitsbilder bei älteren Men-schen oft etwas anders äußern und auch anders diagnostiziert undbehandelt werden müssen als im jüngeren Lebensalter. Die Klinik fürGerontopsychiatrie im Christophsbad ist für das gesamte Spektrumakuter und chronischer psychischer Alterserkrankungen zuständigund arbeitet in enger Kooperation mit den anderen Abteilungen desKlinikums, z. B. der Klinik für Neurologie und der Klinik für Geriatri-sche Rehabilitation.

Prof. Dr. med. Walter HewerChefarzt der Klinikfür Gerontopsychia-trie am Klinikum ChristophsbadFaurndauer Str. 6–2873035 GöppingenTel.: 07161 601-8449Fax: 07161 601-9596E-Mail: [email protected]

Ausgewählte Risikofaktoren für dieEntstehung eines Delirs:

• höheres Alter• Demenz, andere Vorschädigungen des

Gehirns • Seh- und/oder Hörstörungen• Depression• Internistische Erkrankungen: z. B. Diabetes

(Unterzuckerung!), schwere Organerkran-kungen (z. B. Herz, Lunge, Leber, Niere betreffend), Infektionen

• Störung des Schlaf-wach-Rhythmus• Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit• Einnahme zahlreicher Medikamente

(sogenannte Polypharmazie)

Page 27: Kompass Gesundheit 4/2014

Kompass Gesundheit 4/2014

Gesundheit beginnt im KopfDie Kolumne von Dr. Suso Lederle

Herz aus dem Takt

Das Herz ist wie eine tickende Uhr, die unser Dasein be-gleitet. Es schlägt und schlägt, 60– 80 Mal pro Minute,

100 000 Mal am Tag. Doch gelegentlich gerät es aus demTakt. Und wenn das Herz häufiger nicht gleichmäßigschlägt, nennt man dies Herzrhythmusstörungen.

Klagen über Herzstolpern sind häufig. Doch die subjekti-ve Wahrnehmung von Herzrhythmusstörungen ist sehrunterschiedlich. Viele Menschen erleben sie als bedrohlich,andere nehmen sie nicht einmal wahr. In vielen Fällen sindArrhythmien des Herzens harmloser Natur. Aber manchmalweisen Begleitsymptome wie Schwindel, Atemnot oder einHerzrasen doch auf ein gefährliches Rhythmus-Problemhin.

Es kann eine akute Herzschwäche auftreten, oder eskann durch ein Blutgerinsel aus dem Herz zu einemSchlaganfall kommen – und dafür ist dann ein „Vorhofflim-mern“ verantwortlich.

Neben den bekannten Risiken wie hoher Blutdruck,Herzinfarkt und Diabetes gelten als Ursache von Herz-rhythmusstörungen die zunehmend älter werdenden Men-schen. Jeder vierte über 80-Jährige leidet an Vorhofflim-mern, und viele wissen nichts davon.

Nun dürfen Sie sich nicht von jedem Extraschlag desHerzens verrückt machen lassen. Bei anhaltenden Proble-men sollten Sie aber zum Arzt gehen, um die Ursache ab-zuklären und um mit einer wirksamen Therapie möglicheGefahren zu vermeiden.

Die Deutsche Herzstiftung hat Herzrhythmusstörungenzum Thema der Herzwochen 2014 gewählt. Informieren Siesich im November bei einer der zahlreichen lokalen Veran-staltungen zu diesem Thema.

Dr. med. Suso LederleCharlottenstraße 470182 Stuttgart Tel.: 0711 241774E-Mail: [email protected]

Wir haben den ganzen Menschen im Blick Seelsorge im Geriatrischen Zentrum Esslingen-Kennenburg – Freuden, Ängste und Verlusterfahrun-gen begleiten jeden unserer Bewohner

Es zeichnet unser Seelsorgeverständnis aus, dass wir dieSeelsorge nicht an einzelne delegiert haben. Wir sehen da-

rin eine Aufgabe, die alle Mitarbeitenden herausfordert, so-wohl Hauptamtliche wie auch Ehrenamtliche.

Die seelsorgerlichen Aufgaben sind vielfältig. Sie beginnenmit dem begleiteten Einzug in die Einrichtung. Weiter gehörendazu Rituale im Tagesverlauf wie z. B. das Abendsingen oderauch Rituale im Jahresverlauf, Gottesdienstangebote und dasFeiern von Festen. Besonders wichtig ist uns die Begleitungvon Menschen, die schwerkrank oder sterbend sind. Ein mehr-köpfiges „Palliative Care Team“ gewährleistet in unserem Zen-trum eine an den Bedürfnissen orientierte Versorgung.

Damit Mitarbeitende für diese Arbeiten gestärkt werden,bieten wir immer wieder Fortbildungen und Seminartage an.

Gut angekommen ist derTag für ehrenamtliche Mitar-beitende zum Thema „WieLeben gelingen kann“, denLucie Panzer, Rundfunk-pfarrerin der EvangelischenLandeskirche eröffnet hat.

Ein anderes Beispiel istein Tag für Mitarbeitende,die sich mit dem Thema

„Was ist das Besondere der Diakonie?“ beschäftigt haben.Wichtige Hinweise für ein gesundes Berufsleben durften dabeinicht fehlen.

Das Geriatrische Zentrum Esslingen-Kennenburg ist eine di-akonische Einrichtung und gehört zu Dienste für Menschen,einem diakonischen Altenhilfeträger. Gute Beispiele seelsor-gerlichen Handelns in unseren Einrichtungen sind in unsererSeelsorgekonzeption zusammengefasst. Wir verstehen unsereArbeit als christliche Nächstenliebe, so steht es in unseremLeitbild, und wir haben den ganzen Menschen im Blick.

In einer Gemeinschaft leben, geborgen sein, sorglos woh-nen – wer Unterstützung braucht, findet in unserem Zentrumein neues Zuhause.

Kontakt:Geriatrisches Zentrum Esslingen-KennenburgHeimleitung Sabine KutschusTel.: 0711 39 05-333

27

Page 28: Kompass Gesundheit 4/2014

28 Kompass Gesundheit 4/2014

Sie leiten das Klinikum Stuttgart, zu dem vier große Kran-kenhäuser gehören: Katharinenhospital, Bürgerhospital,Krankenhaus Bad Cannstatt sowie Olgahospital und Frau-enklinik. Wie bekommt man so ein Riesenunternehmen mitüber 50 Chefärzten in den Griff?Prof. Graf: Das geht nur mit einer klugen Organisationsstruktur.Die einzelnen Kliniken sind in elf Zentren organisiert. Nur sobleibt ein Klinikum von dieser Größenordnung steuerbar. Abernatürlich besteht darüber hinaus auch ein enger persönlicherKontakt mit den Chefärztinnen und Chefärzten.

Kliniken stecken heute mehr denn je in einem Dilemma zwischen ethischem Anspruch und Kostendruck. Kann ärzt-liches und pflegerisches Handeln heute ausschließlich demPatientenwohl und der Patientenfürsorge verpflichtet sein?Prof. Graf: Beim Thema Ethik oder Moral vergessen wir häufig,dass es auch so etwas wie Verteilungsethik gibt: Die Ressour-cen stehen uns nur einmal zur Verfügung. Und damit meine ichnoch nicht einmal primär das Geld. Auch qualifizierte Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter gibt es nicht in unbegrenzter Zahl. DasProblem der Ressourcenknappheit hatten wir schon immer. Ichmache seit Anfang der Neunzigerjahre Medizin und habe dabeiimmer selektieren und Prioritäten setzen müssen. Das ist über-all so: in der Notaufnahme, auf der Intensivstation, aber auchim niedergelassenen Bereich – wer bekommt wann einen Fach-arzttermin? Insofern glaube ich, der Anspruch, dass wir mora-lisch integer und im besten Interesse unserer Patienten han-deln müssen, ist eine unserer Prioritäten, kann in einem Kran-kenhausbetrieb aber eben nicht die einzige sein. Da gibt esauch noch andere wichtige Aspekte: Wir müssen für Qualitätund Sicherheit sorgen, unsere Mitarbeiter zufriedenstellen unduns natürlich auch an das Gebot der Wirtschaftlichkeit halten.Wenn wir eines dieser Erfordernisse nicht hinreichend beach-ten, bekommen wir Probleme. Genau das ist es, was unsereArbeit so komplex macht – dass wir so viele verschiedene An-forderungen berücksichtigen müssen, die auf den ersten Blickteilweise im Widerspruch zueinander stehen.

Vor zehn Jahren hat die Gesundheitspolitik in unseren Kran-kenhäusern ein neues Abrechnungssystem eingeführt: Fall-pauschalen (sogenannte DRGs) statt der bisherigen Tages-pauschalen. Das heißt, die Klinik erhält eine pauschale Ver-gütung pro Behandlungsfall. Halten Sie das für sinnvoll?Prof. Graf: Ein Krankenhaus der Maximalversorgung kannnicht glücklich mit den DRGs sein, weil relevante Leistungen,die wir zu erbringen haben, dort eben nicht hinreichend be-rücksichtigt sind. Außerdem sind Fallpauschalen kein Anreiz zuguter Qualität. Das ist das, was ich an diesem Vergütungssys-tem am schärfsten kritisierte: dass eine Klinik, die schlechtereLeistungen erbringt, das gleiche Geld bekommt wie eine quali-tativ hochwertigere. Das finde ich nicht richtig. Ich würde mirwünschen, dass Kliniken, die für den Patienten bessere (Ergeb-nis-) Qualität erreichen und das nachweisen können, auch ei-nen finanziellen Vorteil davon haben.

Wenn man sich unser Gesundheitssystem anschaut, hatman das Gefühl, dass die Krankenkassen immer mehr in dieTherapiehoheit des Arztes eingreifen – z. B. mit Ausschrei-bungen, bei denen manchmal extrem niedrige Pauschalendurchgedrückt werden. Der Patient bekommt nicht dasHilfsmittel, das sein Arzt ihm verschrieben hat, sondern dasdes Versorgers, der bei der Ausschreibung gewonnen hat. Prof. Graf: Das ist in der Tat ein Problem: Vor zehn Jahren gabes noch 1300 Krankenkassen – jetzt sind es nur noch etwasüber 100. Wenn wir irgendwann vielleicht nur noch 30 Kassenhaben (was manchen Prognosen zufolge in 10 oder 15 Jahrender Fall sein könnte), hätten diese Krankenversicherungen da-mit natürlich enorme Gestaltungsmöglichkeiten.

Der Konkurrenzkampf zwischen den Krankenhäusern wirdimmer härter. Auch wenn es niemand zugeben will: Eine Kli-nik, die sich ein besonderes Gerät anschafft, das nicht jederhat, tut das doch in der Hoffnung, damit mehr Patienten an-zulocken. Oft versuchen benachbarte Krankenhäuser dannnachzuziehen, indem sie sich das gleiche Gerät kaufen.

Ein Gespräch mit Professor Jürgen Graf

Spagat zwischen exzellenter Patienten-versorgung und knappen RessourcenEr wagte den Sprung von der Luftfahrt in die Stuttgarter Kliniklandschaft: Seit Anfang 2014 ist Prof. Dr. JürgenGraf Klinischer Direktor des Klinikum Stuttgart. Vorher leitete er den Medizinischen Dienst der Lufthansa inFrankfurt und war dort u. a. für Flug- und Arbeitsmedizin und Patiententransporte zuständig. Wir sprachen mitihm über Probleme und Herausforderungen bei der Leitung eines großen Klinikums – und über die Unterschiedezwischen medizinischer Versorgung in der Luftfahrt und Medizin in einem Krankenhaus der Maximalversorgung.

Page 29: Kompass Gesundheit 4/2014

Prof. Graf: An so ein Alleinstellungsmerkmal einer Klinik überein einzelnes Gerät glaube ich nicht. Ich denke, man sollte ver-suchen, sich auf andere Weise positiv von seinen Wettbewer-bern zu unterscheiden – und diese Art von Wettkampf würdesich nicht nur auf die zuweisenden Ärzte, sondern auch auf diePatienten positiv auswirken: Wir brauchen einen integriertenAnsatz. Der Zuweiser muss wissen: Hier bekomme ich dieRundum-Komplettversorgung für die Erkrankung meines Pa-tienten. Wenn er die Erfahrung macht, dass er im Krankenhausanruft und dann auch den Kollegen ans Telefon bekommt, mitdem er das Problem seines Patienten besprechen kann, wenner bei der Bitte um einen Zuweisungstermin nicht auf irgend-wann vertröstet wird und der Brief aus dem Krankenhaus vordem Patienten bei ihm eintrifft – dann wird dieser Arzt sagen:Ja, das überzeugt mich, da überweise ich meine Patienten inZukunft hin. In solche effizienten Abläufe sollte man als Kran-kenhaus, glaube ich, ruhig ein bisschen Energie investieren.

Ein wichtiges Thema ist die Bemühung um Fehlervermei-dung. Die Lufthansa hat dafür ein hervorragendes Systementwickelt: Da können Piloten ihre Fehler und Beinahe-Feh-ler in anonymisierter Form melden, und aufgrund dieser In-formationen sucht man nach Wegen, solche Probleme künf-tig zu vermeiden. In der Medizin stecken solche Fehlermel-dungssysteme noch in den Kinderschuhen. Warum?Prof. Graf: Man kann viele Dinge zwischen Medizin und Luft-fahrt vergleichen, aber sicherlich nicht alles. Dass es in derLuftfahrt solche Fehlermeldungssysteme gibt, hat eben ein-fach etwas damit zu tun, dass dort andere Bedingungen herr-schen als in einem Krankenhaus. In der Luftfahrt gibt es vielstrengere Regeln; und wenn gewisse Sicherheitsvoraussetzun-gen nicht erfüllt sind, bleibt das Flugzeug am Boden. Es wirddann aber auch kein Mensch gesundheitlich geschädigt oderstirbt gar. In der Medizin ist das anders: Wenn die Arbeitszeit

überschritten ist, und es kommt ein Notfall, und der einzigeArzt, der den behandeln könnte, arbeitet bereits seit elf Stun-den, dann wird dieser Arzt eben noch eine weitere Stundedranhängen, um dem Patienten zu helfen. Der Flugpassagier,der nach Bogotá möchte, aber es ist bereits 23.02 Uhr und dieStartbahn in Frankfurt ist wegen des Nachtflugverbotes ge-schlossen – der kommt ins Hotel, fliegt am nächsten Tag weiterund wird für die Verzögerung von der Fluggesellschaft entschä-digt. Das können wir mit Infarktpatienten, die in unsere Klinikkommen, nicht machen. Außerdem ist so ein Fehlermeldungs-system auch eine Struktur, die eine gewisse Organisation erfor-dert. In den DRGs sind solche Strukturen nicht abgebildet;d. h. sie sind über das, was ein Krankenhaus erlöst, nicht pri-mär refinanzierungsfähig. Damit sind wir wieder beim Thema:In unserem DRG-System ist die Qualität der Leistungserbrin-gung nicht die Grundlage für den Erlös. Dennoch wäre es tö-richt, nicht etwas von den positiven Aspekten dieses Sicher-heitssystems bei der Luftfahrt zu lernen: z. B. vom Vier-Augen-Prinzip (dass wir uns in dem, was wir tun, gegenseitig überwa-chen und unterstützen müssen) und dass eine Form von Qua-litäts- und Risikomanagement betrieben werden muss. Aber:Wenn man Qualität und Sicherheit aufrechterhalten möchte,muss man sie finanzieren; d. h. die Kostenträger müssen bereitsein, in Qualität und Sicherheit zu investieren. Die sollen uns inihren Jahresberichten nicht vorhalten, wie viele Menschen imKrankenhaus sterben, sondern uns helfen, Strukturen aufzu-bauen, mit denen wir gemeinsam dafür arbeiten können, dassdie Patientensicherheit gestärkt wird. Am Klinikum Stuttgarthaben wir in Patientensicherheit und Qualitätsmanagement in-vestiert, wir haben Fehlermeldesysteme wie z. B. CIRS eta-bliert, beteiligen uns in vielen Bereichen an Überwachungs-und Benchmarksystemen wie z. B. KISS und haben eine großeZahl von Zertifizierungen verschiedenster Kliniken und Zentrendurchgeführt. Aber natürlich können wir immer noch mehr tun.

Page 30: Kompass Gesundheit 4/2014

30

Im Rahmen der Veranstaltung verleiht das Unter-nehmen auch den MSD Gesundheitspreis für in-

novative Versorgungsprogramme, die nachweislichzu einer nachhaltigen Verbesserung der medizini-schen Versorgung geführt haben und/oder bei min-destens gleichem medizinischem Ergebnis ökono-mischer waren. Ferner sollten die Ergebnisse eva-luiert sein. Ein Sonderpreis wird für das Programmvergeben, an dem die Patienten besonders profi-tiert haben. Das Preisgeld beträgt für sechs Preiseinsgesamt 110 000 Euro.

So wird aus Kohle ein Diamant Viele Innovationen werden aus der Not heraus ge-boren – oder wie einer der Preisträger es treffendformulierte: „Nur der Druck macht aus Kohle einenDiamanten.“ So wurden beispielsweise auffällig

viele innovative Projekte für weniger gut versorgte,ländliche Regionen, wie etwa Brandenburg, entwi-ckelt. Andere Programme kamen aus Bereichen, indenen besonders dringender Handlungsbedarf be-steht, z. B. bei der Eindämmung von multiresisten-ten Krankenhauskeimen oder der Versorgung vonchronischen Kopfschmerzpatienten.

Wirksame Verbesserungen sind nur durch eineintensive Vernetzung verschiedenster Vertreter un-seres Gesundheitswesens möglich: Krankenkas-sen, Hausärzte, Fachärzte, Kliniken, Pharmaindus-trie, Pflegedienste und manchmal auch ehrenamtli-che Helfer müssen eng zusammenarbeiten. „DieÜberzeugung, dass wir im Gesundheitswesen nurgemeinsam erfolgreich sein können, scheint sichlangsam durchzusetzen“, meint Hanspeter Quodt,Hauptgeschäftsführer von MSD. Oft entstehen in-

Kompass Gesundheit 4/2014

Innovation durch Vernetzung

MSD bringt wichtige Akteure des Gesundheitswesens an einen Tisch

Unser Gesundheitssystem ist immer noch eines der besten in ganz Europa. Dennoch, das Bessere ist der Feinddes Guten, und so gibt es gerade im Hinblick auf die zukünftige Finanzierbarkeit guter Versorgung einiges zu op-timieren, speziell hinsichtlich der Effizienz und Effektivität des Einsatzes unserer finanziellen Ressourcen. UndVerbesserungen bekommt man am besten in einem engen Schulterschluss aller Beteiligten hin: Ärzte, Kliniken,Patienten, Gesundheitspolitik, Kostenträger, Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen und die Industrie müssendazu immer wieder an einen Tisch gebracht werden. Einen wichtigen Schritt dazu leistet das Pharmaunterneh-men MSD Sharp & Dohme mit seinem Forum GesundheitsPARTNER und dem MSD Gesundheitspreis diesesJahr bereits zum vierten Mal.

Marion Zerbst und Werner Waldmann

Page 31: Kompass Gesundheit 4/2014

31

novative Versorgungsprojekte zunächst in einer kleineren Re-gion (weil die Bildung von Netzwerken auf regionaler Ebeneeinfacher ist), können und sollen aber dann, wenn sie erfolg-reich sind, auch auf größere Gebiete ausgeweitet werden.

Die vorgestellten Versorgungsprogramme zeigen übrigens,dass die Sorge vieler Kostenträger, Innovationen in der medizi-nischen Versorgung könnten zu teuer werden, unbegründet ist:Verbesserungen führen eher zu Kosteneinsparungen bei glei-chem Ergebnis oder zu besseren Ergebnissen bei vergleichba-ren Kosten. Zudem sollte eine insgesamt besser versorgte, ge-sündere Bevölkerung die Krankenkassen – zumindest langfris-tig – weniger Geld kosten. Klar ist aber auch, dass Investitionenzunächst etwas kosten, bevor sie sich auszahlen, und dasseine gewisse Zeit erforderlich ist, um die Effizienz der Versor-gung zu erhöhen.

Hier ein paar interessante Beispiele dafür, was alles möglichist, wenn man nicht von dem Standpunkt ausgeht: „Bisherhat’s doch auch funktioniert …“, sondern sich wirklich für eineVerbesserung der Patientenversorgung engagiert.

Der Presslufthammer im GehirnWer Kopfschmerzen kennt, weiß, wie quälend sie sein können.Allein in Deutschland gehen alljährlich rund eine Million Ar-beitstage durch Kopfschmerz attacken verloren. Neben derpersönlichen Beeinträchtigung der Betroffenen richtet diesesSchmerzleiden auch einen erheblichen volkswirtschaftlichenSchaden an.

Spannungskopfschmerz, Clusterkopfschmerz, Migräne …Es gibt verschiedene Kopfschmerztypen und natürlich auchunterschiedliche Schweregrade. Nicht immer sind sie leicht zudiagnostizieren und zu behandeln. In schwierigeren Fällen istder Hausarzt oft überfordert; dann braucht man einen Facharztoder Schmerztherapeuten. Hier den richtigen Ansprechpartnerzu finden, ist gar nicht so einfach. „Die Kopfschmerzversor-gung in Deutschland ist bisher noch völlig unzureichend“, sagtDr. Dagny Holle, Fachärztin für Neurologie. Das muss anderswerden, sagte sich ein Team des Westdeutschen Kopfschmerz-zentrums am Uniklinikum Essen und rief das bundesweit ersteBehandlungsmodell zur integrierten Versorgung bei Migräneund chronischen Kopfschmerzen ins Leben.

Was ist integrierte Versorgung? Es bedeutet, dass alle an derBehandlung einer Krankheit Beteiligten – Patient, Arzt, Kran-kenhaus, Therapeut – an einem Strang ziehen und ihr Handelnaufeinander abstimmen. Also genau jene Vernetzung, die füreine gute Gesundheitsversorgung so wichtig ist. Bei der Be-handlung von Kopfschmerzen arbeiten im Idealfall verschiede-ne Berufsgruppen zusammen. Die Neurologen behandeln inerster Linie mit Medikamenten. Psychotherapeuten finden ge-meinsam mit dem Patienten heraus, wo die Auslöser für seine

Kopfschmerzen liegen und wie er diese vermeiden oder denSchmerz zumindest besser bewältigen kann. Physiotherapeutenlösen Verspannungen und zeigen Bewegungen und Entspan-nungstechniken, die schmerzlindernd und entlastend wirken.

Weniger Arbeitsausfalltage – mehr LebensqualitätDas Westdeutsche Kopfschmerzzentrum bietet seinen Patien-ten zwei verschiedene Behandlungsmodule an: Bei relativ ein-fach zu behandelnden Kopfschmerzen reicht es in der Regel,wenn sie sich einmal im Kopfschmerzzentrum vorstellen unddort eine ärztliche, psychologische und physiotherapeutischeBehandlung erhalten. „Im Vorfeld muss der Patient ein Kopf-schmerztagebuch führen und, wenn er zu uns kommt, noch ei-nen ausführlichen Fragebogen ausfüllen: Was für Begleitsymp-tome treten auf, was für Behandlungen sind schon versuchtworden, gibt es Hinweise auf eine Depression?“, erklärt FrauDr. Holle. „Das macht uns die Diagnosestellung sehr viel einfa-cher.“ Nach dieser Diagnostik und ersten Therapien können ko-operierende Fachärzte die Behandlung weiterführen. Patientenmit schwereren Kopfschmerzen erhalten eine intensivere The-rapie in einer Tagesklinik.

„In unser Kopfschmerzzentrum kommen nicht nur Patientenaus der Region, sondern aus ganz Deutschland“, so Holle.Untersuchungen zeigen, dass die Zahl von Arbeitsunfähig-keitstagen sowie Haus- und Facharztbesuchen durch diesesVersorgungsprogramm gesunken ist. Außerdem werden da-durch Kosten gesenkt, wie sie durch unnötige Untersuchungenund Behandlungsmaßnahmen häufig entstehen; und die Pa-tienten brauchen anschließend weniger Schmerzmittel. Ein Er-folg, der auch die Kostenträger überzeugt: 70 gesetzlicheKrankenversicherungen kooperieren mit dem WestdeutschenKopfschmerzzentrum und erstatten sämtliche Kosten für diedort durchgeführte Diagnostik und Therapie.

Der unsichtbare Killer: Krankenhauskeime Alljährlich infizieren sich in Deutschlands KrankenhäusernHunderttausende von Patienten mit sogenannten Kranken-hauskeimen – Bakterienstämmen, die Resistenzen gegen Anti-biotika entwickelt haben und deshalb sehr schwer zu behan-deln sind. Für gesunde Menschen geht von diesen Bakterienkeine Gefahr aus; doch alte und kranke Menschen oder Patien-ten, die beispielsweise durch eine Operation geschwächt sind,können sich sehr leicht damit infizieren.

Der schlimmste Bösewicht hört auf den unaussprechlichenNamen methillicin-resistenter Staphylococcus aureus (kurz:MRSA). Dieser Bakterienstamm, der gegen die meisten Anti-biotika unempfindlich ist, kann schwere, ja sogar tödlicheWundinfektionen und Lungenentzündungen verursachen. „InDeutschland infizieren sich rund 50 000 Patienten pro Jahr mit

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 32: Kompass Gesundheit 4/2014

32

MRSA – Tendenz steigend“, sagt Gabriele Kantor, Hygiene-und Gesundheitsmanagerin am Evangelischen KrankenhausMülheim an der Ruhr.

Da eine Behandlung so schwierig ist, besteht die sinnvollsteMaßnahme darin, den Killer-Keimen erst gar keine Chance zugeben. Wie kann man die Ausbreitung Antibiotika-resistenterKrankenhauskeime verhindern? Die beste Vorbeugung ist Hy-giene. Ärzte und Pflegepersonal müssen sich vor und nach je-dem Patientenkontakt die Hände waschen und desinfizieren –im heutigen hektischen Klinikalltag sicherlich oft eine Heraus-forderung für die ständig unter Zeitdruck stehenden Mitarbei-ter, aber für die Sicherheit der Patienten unverzichtbar.

Auch Menschen, die MRSA-Bakterien in sich tragen, ohneunter Symptomen zu leiden, können andere mit dem Krank-heitserreger infizieren. Deshalb ist es sinnvoll, Patienten gleichbei der Aufnahme ins Krankenhaus auf das Vorliegen solcherKeime zu untersuchen. Dazu werden Abstriche der Nasen- undRachenschleimhaut vorgenommen.

Gib MRSA keine Chance Da dieses MRSA-Screening einen hohen logistischen Aufwanderfordert und kostenintensiv ist, wird es nicht bei allen neu auf-genommenen Patienten, sondern nur bei Risikopersonendurchgeführt: z. B. solchen, die schon einmal mit einem Kran-kenhauskeim besiedelt waren oder während eines stationärenKrankenhausaufenthalts Kontakt zu MRSA-Trägern hatten.

In Deutschland stecken Strategien zur Bekämpfung vonKrankenhauskeimen leider vielfach noch in den Kinderschuhen.Das Evangelische Krankenhaus Mülheim an der Ruhr nimmt indieser Hinsicht eine Sonderstellung ein: Hier wurden besonderseffektive Strategien zur schnellen und gezielten Erkennung vonMRSA-Patienten entwickelt. Vor oder gleich nach der Aufnahmeeines neuen Patienten ins Krankenhaus erfolgt eine Risikoan-amnese, also ein Gespräch mit dem Patienten, um herauszufin-den, ob er zu einer Risikogruppe gehört. Falls ja, wird sofort einRisikoscreening durchgeführt: „Die Abstriche werden im kran-kenhauseigenen Labor analysiert; Ergebnisse liegen bereitsnach zwei Stunden vor“, sagt Gabriele Kantor. „Falls notwendig,führen wir dann eine sehr stringente Antibiotika-Therapiedurch.“ Die im August 2010 eingeführte MRSA-Strategie zeigteschon nach vier Monaten positive Ergebnisse: Die Anzahl der indieser Klinik erworbenen MRSA-Infektionen ging um über 80 %zurück. Neuere Untersuchungsergebnisse zeigen eine weiterekontinuierliche Senkung der MRSA-Infektionsrate.

Information erhöht die PatientensicherheitUnsere Gesellschaft wird immer älter. Und je älter ein Menschist, umso mehr Erkrankungen sammeln sich bei ihm im Laufder Zeit normalerweise an – mit der Folge, dass er unter Um-

ständen bei mehreren Ärzten in Behandlung ist und verschie-dene Medikamente einnehmen muss. Neben dem Hausarzt,der die reguläre Betreuung übernimmt, sind viele ältere Men-schen auch noch bei diversen Fachärzten in Behandlung: z. B.beim Kardiologen, der Herz-Kreislauf-Erkrankungen behan-delt, beim Diabetologen, der die Blutzuckereinstellung über-wacht, und beim Orthopäden, der sich um Rückenbeschwer-den oder verschlissene Gelenke kümmert.

In solchen Fällen ist es oft schwierig, eine in sich stimmigemedizinische Versorgung zu gewährleisten. Denn nicht immerweiß der eine Arzt, was der andere tut: Vielleicht verschreibt derOrthopäde dem Patienten ein neues Medikament, das in uner-wünschte Wechselwirkung mit Mitteln treten kann, die derHausarzt oder der Kardiologe verordnet hat. Oder es kommt zuDoppeluntersuchungen, die den Patienten unnötig belasten undKosten erzeugen – weil der eine Arzt nicht darüber informiert ist,dass die von ihm veranlasste Untersuchung vor einiger Zeit be-reits vom Facharzt einer Klinik durchgeführt worden ist.

Um eine bessere Abstimmung der medizinischen Versor-gung zu gewährleisten, bietet die Renten- und Krankenversi-cherung Knappschaft-Bahn-See ihren Mitgliedern seit Juni2013 einen ganz besonderen Service an: die elektronische Be-handlungsinformation (eBI). Wenn der Patient in ein Kranken-haus eingeliefert wird, stellt die Knappschaft dieser Klinik seineKrankenkassendaten zur Verfügung – z. B. verordnete Medika-mente, bekannte Erkrankungen, behandelnde Ärzte und bishe-rige Krankenhausaufenthalte. Das erleichtert den Ärzten imKrankenhaus die Diagnose und Therapieentscheidung, sodasssie schneller handeln können. Und es senkt auch die Risikenfür den Patienten: Denn in der Patienteninformation steht ge-nau, welche Medikamente er bereits erhält; so lässt sich ver-meiden, dass er am Ende Arzneimittel schluckt, die nicht zu-sammenpassen oder die er nicht verträgt.

Natürlich geschieht das nur, wenn der Versicherte sein Ein-verständnis dazu erteilt – was aber sehr sinnvoll ist: Denn dieDaten zeigen, dass jeder stationär behandelte Versicherte derKnappschaft im Durchschnitt von sieben niedergelassenenÄrzten ambulant betreut wird und Arzneimittelverordnungenfür rund neun Wirkstoffe pro Tag erhält. Wer soll sich ohne sys-tematisch zusammengeführte Patienteninformationen da nochdurchfinden? Darüber hinaus wird fast die Hälfte dieser Patien-ten zweimal pro Jahr stationär behandelt. Eine Krankenkasseals Informationsgeber kann die unter chronischem Zeitmangelleidenden Ärzte hier intensiv unterstützen und riskante Infor-mationsdefizite beheben.

„Curaplan Herz plus“: höhere Lebenserwartungfür Patienten mit Herzschwäche In Deutschland erkranken jährlich über eine Million Menschen

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 33: Kompass Gesundheit 4/2014

33

an Herzinsuffizienz: Das aufgrund einer Erkrankung oder einesdurchgemachten Infarkts geschwächte Herz kann nicht mehrgenügend Blut in den Kreislauf pumpen. So werden die Organenicht mehr ausreichend mit lebenswichtigem Sauerstoff ver-sorgt. Diese Erkrankung verkürzt die Lebenserwartung undschränkt die Lebensqualität sehr stark ein: Herzinsuffizienz-Patienten ermüden rasch, fühlen sich oft schwach und abge-schlagen und kommen schon bei geringer Anstrengung „ausder Puste“.

Außerdem kann es durch die Pumpschwäche des Herzenszu bedrohlichen Wasseransammlungen im Körper kommen.Das erkennt man nicht nur an geschwollenen Beinen, sondernauch daran, dass das Zünglein an der Waage in die Höheschnellt: Durch die Wasseransammlungen steigt das Körperge-wicht. Bei abnormal starker Gewichtszunahme ist es wichtig,zu handeln; denn daran erkennt man, dass die Herzinsuffizienzsich verschlimmert hat: Möglicherweise muss man dann dieDosis entwässernder Medikamente (Diuretika) erhöhen. Denndie Wassereinlagerungen belasten das geschwächte Herz zu-sätzlich, weil es dann mehr arbeiten muss, um die überschüssi-ge Flüssigkeit im Blut durch den Körper zu pumpen. Deshalbsollten Patienten mit Herzschwäche regelmäßig ihr Gewichtkontrollieren, um Zeichen einer drohenden Verschlechterung

rechtzeitig zu erkennen. So lässt eine stationäre Behandlungim Krankenhaus sich oft noch vermeiden.

Das Programm „Curaplan Herz plus“ der AOK Nordost er-leichtert den Patienten diese tägliche Kontrolle. Das Programmwurde in Zusammenarbeit mit mehreren Kliniken und der Ge-sellschaft für Patientenhilfe (DGP) entwickelt, die ein telemedi-zinisches Betreuungszentrum für Menschen mit chronischenKrankheiten betreibt. Herzinsuffizienz-Patienten, die sich indas Programm einschreiben, erhalten eine Waage und einenMonitor mit Sprachinterface zur telemetrischen Übertragungvon Symptomen und Beschwerden ihrer Herzschwäche. JedenMorgen müssen sie sich wiegen und ein paar einfacheJa/Nein-Fragen beantworten. Anhand dieser Daten, die auto-matisch an das Betreuungszentrum der DGP übermittelt unddort ausgewertet werden, kann das System eine drohende Ver-schlechterung ihres Gesundheitszustands sofort erkennen undein frühzeitiges Eingreifen ermöglichen. Belastende Kranken-hausaufenthalte bleiben den Patienten so in vielen Fällen er-spart. Außerdem werden sie im Rahmen von „Curaplan Herzplus“ telefonisch beraten und an Medikamenteneinnahme, ge-sundheitsbewusstes Verhalten und Arzttermine erinnert.

Damit trägt das Programm zu einer verbesserten Lebens-qualität und Eigenverantwortung der zurzeit über 2000 einge-

Kompass Gesundheit 4/2014

Das Sparkassen-Finanzkonzept:ganzheitliche Beratung statt 08/15.Service, Sicherheit, Altersvorsorge, Vermögen.

Geben Sie sich nicht mit 08/15-Beratung zufrieden – machen Sie jetzt Ihren individuellen Finanz-Check bei der Kreissparkasse. Wann und wo immer Siewollen, analysieren wir gemeinsam mit Ihnen Ihre finanzielle Situation und entwickeln eine maßgeschneiderte Rundum-Strategie für Ihre Zukunft.Ihre Filiale vor Ort • www.ksk-es.de • 0711 398-5000

Jetzt Finanz-Check

machen!

Page 34: Kompass Gesundheit 4/2014

34

schriebenen Patienten bei. Die betreuenden Haus- und Fach-ärzte werden durch zusätzliche Informationen in der Behand-lung ihrer Patienten unterstützt. Eine wissenschaftliche Aus-wertung des Programms konnte nicht nur positive Auswirkun-gen auf die Kosten für die medizinische Betreuung, sondernauch auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Teilnehmernachweisen.

Typ-2-Diabetes ist vermeidbar!Durch die demografische Veränderung in unserer Bevölkerungkommen dringliche Probleme auf unser Gesundheitswesen zu:Der Bedarf an medizinischen Leistungen wird steigen, weil wirimmer älter werden. Chronische Erkrankungen werden zuneh-men; und es wird immer mehr „multimorbide“ Patienten geben,die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden. Gerade siebrauchen eine gut koordinierte, wohnortnahe Versorgung.

Ein Beispiel dafür ist das Diabetespräventionsprogramm„aha! ab heute anders“, das vor zwei Jahren für den MSD Ge-sundheitspreis nominiert wurde, damals aber aufgrund vieleranderer hervorragender Konkurrenzprojekte „leer ausgegan-gen“ war. Trotzdem hat der Internist und Diabetologe Dr. Cars-ten Petersen das von ihm initiierte Programm inzwischen mitUnterstützung von MSD weitergeführt. Vor wenigen Wochenwurde es vom Kreis Schleswig-Flensburg, wo es ursprünglichgestartet worden war, auf das gesamte Bundesland Schles-wig-Holstein ausgeweitet: Seit Juli diesen Jahres können alleVersicherten der AOK Nordwest, Barmer GEK und DAK-Ge-sundheit in Schleswig-Holstein dabei mitmachen.

Das aha!-Programm wendet sich an Menschen, bei denenHinweise auf ein erhöhtes Typ-2-Diabetesrisiko vorliegen. Sieerhalten von Hausärzten und hausärztlichen Internisten, die andem Programm teilnehmen, zunächst einen Fragebogen, derihr individuelles Risiko ermittelt, in den nächsten zehn Jahrenan Diabetes zu erkranken. Erhärtet sich der Verdacht, so kannder Versicherte an einem bis zu 15-monatigen Präventionspro-gramm bei seinem behandelnden Arzt teilnehmen.

Ziel ist es, dass der Teilnehmer seine Lebens- und Ernäh-rungsgewohnheiten langfristig umstellt, sich mehr bewegt –und damit das Diabetesrisiko senkt. Dafür werden gemeinsammit dem Versicherten individuelle Pläne aufgestellt, die sich so-fort und problemlos umsetzen lassen. Mit dem aha!-Startset,das der Patient zusammen mit seinem Risikotest erhält, be-kommt er ein einfaches Programm an die Hand, wie er seinenSpeiseplan gesünder gestalten und sich zu mehr Bewegungmotivieren kann.

Um dieses Programm zu ermöglichen, hat die Kassenärztli-che Vereinigung Schleswig-Holstein mit den beteiligten Kran-kenkassen einen Vertrag zur frühzeitigen Erkennung und Ver-meidung von Typ-2-Diabetes abgeschlossen.

Aber selbst wenn alle an einem Strang ziehen, ist die Umset-zung solcher Projekte immer noch ziemlich kompliziert. „Dasist in der Tat erstaunlich: Alle Beteiligten sind überzeugt von derIdee des Projekts, alle verfolgen das gleiche Ziel – und den-noch läuft es nicht von alleine“, sagt MSD-GeschäftsführerHanspeter Quodt. „Nach wie vor werden Idealisten gebrauchtwie Herr Dr. Petersen, der sich auch von einer Unmenge an Re-gelungen und Vorschriften nicht abschrecken lässt, wenn esum seine Patienten geht. Die Rahmenbedingungen sind ebenimmer noch nicht so, wie sie sein sollten.“

Dem kann Dr. Carsten Petersen nur zustimmen: „Leider gibtes in Deutschland kein konzertiertes Vorgehen gegen Typ-2-Diabetes. In Finnland etwa gibt es einen nationalen Diabetes-Plan. Also müssen wir auf lokaler Ebene anfangen, gewisser-maßen ein Leuchtturm-Projekt auf den Weg bringen. Globaldenken, lokal handeln – das ist das Motto.“

Warum setzen Innovationen sich so schwer durch?Tatsächlich ist es nur selten so, dass Innovationen (auch wennsie eindeutig einen Vorteil für die Patienten bringen und dasGesundheitswesen dadurch finanziell entlastet wird) sich vonselber durchsetzen. Oft ist es eine wahre Sisyphusarbeit, sieauf den Weg zu bringen.

Bei neuen Arzneimitteln ist der Weg ins Gesundheitssystemzwar langwierig, aber es gibt zumindest eindeutige Spielregelndafür: Die neue Substanz muss eine Reihe von Studien durch-laufen, die – wenn sich herausstellt, dass sie ein positives Wirk-samkeits- und Sicherheitsprofil aufweist – nach rund zehn Jah-ren zur Zulassung führen. Dann ist das Medikament auf demMarkt, kann von Ärzten verschrieben werden und wird von denKassen bezahlt. Das ist die erste Voraussetzung, reicht aber lei-der noch lange nicht aus: Denn solche Innovationen müssenauch beim Patienten ankommen. Dazu ist oft langwierige Über-zeugungsarbeit notwendig; denn viele Patienten haben ein tief-verwurzeltes Misstrauen gegen Arzneimittel und nehmen sieentweder gar nicht oder zumindest nicht regelmäßig ein –meist ohne ihrem behandelnden Arzt etwas davon zu sagen.Und der wundert sich dann, warum der Bluthochdruck seinesPatienten trotz dreier verschiedener blutdrucksenkender Medi-kamente einfach nicht besser wird.

Ein Versorgungsprojekt, das vor einiger Zeit ebenfalls vonMSD ausgezeichnet wurde, zeigt hier mögliche Lösungswegeauf. Auch dieses Projekt wurde bezeichnenderweise in einerProblemregion entwickelt: im ländlichen Südbrandenburg, wodie Bevölkerung mit einem Altersdurchschnitt von fast 65 Jah-ren relativ betagt und dementsprechend krank ist und esaußerdem schwierig ist, junge Nachfolger für Landarztpraxenzu finden. Aber das ist dringend notwendig, denn in dieser Re-gion sind die Hausärzte genauso alt wie ihre Patienten – und

Kompass Gesundheit 4/2014

Page 35: Kompass Gesundheit 4/2014

35

sie haben alle Hände voll zu tun: Auf circa 106 000 Versichertekommen nur rund 110 niedergelassene Ärzte. Ohne gute Ver-netzung und unkonventionelle Ideen ist dieser Spagat kaum zuleisten. In dem von einer Managementgesellschaft organisier-ten Ärztenetz Südbrandenburg sind derzeit 63 ambulant tätigeHaus- und Fachärzte zusammengeschlossen. Eigens für dieschwierige Versorgungssituation in Südbrandenburg entwi-ckelte Behandlungspfade unter Nutzung modernster Compu-tertechnik ermöglichen eine enge Zusammenarbeit von Haus-und Fachärzten bei der Behandlung der verschiedenen Krank-heitsbilder dieser Bevölkerungsgruppe.

Persönlicher Kontakt zum Patienten entscheidendTrotzdem schafft er es aufgrund des Ärztemangels und desgroßen zu versorgenden Einzugsgebiets nicht immer, seine Pa-tienten so individuell zu betreuen, wie es notwendig ist – dazuwäre der Zeitaufwand zu groß. Auch für dieses Problem hatsich das Ärztenetz Südbrandenburg eine gute Lösung einfallenlassen: Gemeindeschwestern und FallmanagerInnen (auf Neu-Deutsch: „Case Manager“) machen Hausbesuche bei den Pa-tienten und betreuen sie auch über das Medizinische hinaus,z. B. helfen sie beim Umgang mit Sanitätshäusern oder Behör-den. Dabei haben die an diesem Versorgungsprojekt Beteilig-ten eine interessante Erkenntnis gewonnen: „Man braucht ei-nen intensiven persönlichen Kontakt, um Vertrauen bei den Pa-tienten aufzubauen“, sagt Dr. Carsten Jäger, Geschäftsführerder Managementgesellschaft des Ärztenetzes Südbranden-burg (ANSB). „Im Durchschnitt sind drei Hausbesuche nötig,bis der Patient nicht mehr schwindelt.“ Im Klartext: Dem Arzt

gegenüber ist es ihm viel zu peinlich, zuzugeben, dass er – auswelchem Grund auch immer – seine Medikamente nicht regel-mäßig nimmt. Und dem Fallmanager oder der Gemeinde-schwester sagt er es auch erst, wenn er sie ein bisschen näherkennt. Dann kann man gegensteuern: nach Gründen fragen,den Patienten über die Notwendigkeit einer regelmäßigen Me-dikamenteneinnahme aufklären, bei Nebenwirkungen die Do-sis verändern oder andere Mittel verschreiben, usw.

„Wir dürfen nicht nur fragen: Was können medikamentöseoder medizintechnische Innovationen leisten, sondern auch:Welche Prozesse brauchen wir?“, betont Dr. Jäger. Durch dieFallmanager, die einen kontinuierlichen direkten Kontakt zu Pa-tienten und Angehörigen aufrechterhalten, werden die Ärzteentlastet (sodass sich die zusätzlichen Kosten für diese Mitar-beiter rasch auszahlen), und gleichzeitig wird die Versorgungverbessert. Warum gibt es dann nicht noch viel mehr solcherInnovationen im Bereich der medizinischen Versorgung? „Es istschwierig, ein Versorgungsprogramm wie das Ärztenetz Süd-brandenburg flächendeckend in ganz Deutschland umzuset-zen, weil die Strukturen regional sehr verschieden sind“, erklärtDr. Jäger. Hinzu kommt, dass viele Krankenkassen immer nochsehr kurzfristig denken: Aus Angst vor zu hohen Kosten sper-ren sie sich gegen Verbesserungen, auch wenn sich dadurchlangfristig Geld einsparen ließe. Und nicht zuletzt fehlen in Ge-bieten, in denen der Handlungsdruck nicht ganz so groß ist wiein unterversorgten Problemregionen, vielleicht auch die nöti-gen Anreize, um innovative Versorgungsmodelle zu schaffen.Denn für die ohnehin überlasteten Ärzte bedeutet das in denmeisten Fällen zunächst einmal einen Mehraufwand.

Kompass Gesundheit 4/2014

Betreutes Wohnen - Menschen, Nähe, Lebensfreude

Quartier am Hainbach - Wohnen mit Service 0711 39 05-118/100

Menschen, Nähe,Lebensfreude

Geriatrisches ZentrumEsslingen-Kennenburg

0711 3905-100

Page 36: Kompass Gesundheit 4/2014

36 Kompass Gesundheit 4/2014

Unser Gesundheitswesen befindet sich im Umbruch. Zwar haben wir nach wie vor eines der besten Gesundheits-systeme der Welt; doch damit das so bleibt, muss einiges getan werden. Schon aufgrund der demografischenEntwicklung unserer Bevölkerung: Die Menschen werden immer älter und nehmen damit zwangsläufig mehr me-dizinische Leistungen in Anspruch, zahlen aber mit dem Eintritt ins Rentenalter geringere Beiträge in die gesetzli-che Krankenversicherung ein. Gleichzeitig macht unser medizinischer Fortschritt eine immer bessere Diagnostik und Therapie möglich; das kostet natürlich auch mehr Geld. Ein vernünftiges Gleichgewicht zu findenzwischen der Unterstützung von Forschung und Innovation, niedrigen Kosten für die Krankenkassen und eineroptimalen Qualität der medizinischen Versorgung für die Patienten, das ist schon ein schwieriger Balanceakt.Werner Waldmann sprach mit Michael Hennrich (CDU), der als Mitglied des Gesundheitsausschusses im Deut-schen Bundestag als Berichterstatter für den Bereich Arzneimittelversorgung zuständig ist.

Warum haben Sie sich bei Ihrer politischen Tätigkeit geradefür die Arzneimittelbranche entschieden, Herr Hennrich?Michael Hennrich: Ich bin mit Leidenschaft Gesundheitspoliti-ker, weil das ein Bereich ist, in dem die Politik unglaublich vielgestalten muss: angefangen von der Finanzierung des Ge-sundheitssystems über die flächendeckende Versorgung bishin zur Qualitätssicherung. Das Gebiet der Arzneimittelpolitikwar für mich gleich aus mehreren Gründen interessant: Zum ei-nen ist die Arzneimittelindustrie immer noch ein wichtiger Fak-tor am Industriestandort Deutschland, und wir haben ein gro-ßes Interesse daran, die Pharmaindustrie in Deutschland zuhalten. Andererseits ist aber natürlich auch klar, dass ein Ge-sundheitssystem nicht alles bedenkenlos finanzieren kann.Den Ausgleich herzustellen zwischen den Interessen der Phar-maindustrie, hier einen attraktiven Unternehmensstandort vor-zufinden, und den Interessen der Patienten und Versicherten,Zugang zu Innovationen zu haben, die aber auch noch einiger-maßen vernünftig finanziert werden können – das ist die Kern-aufgabe, und deshalb habe ich mich als Jurist für diesen Be-reich entschieden. Die Gesetzgebung im Bereich Pharma istein weites und sehr komplexes System; das ist genau die Her-ausforderung, die ich gesucht habe. Deshalb mache ich mitLeidenschaft Arzneimittelpolitik in unserer Fraktion.

Die Pharmaindustrie steht bei uns ja nicht unbedingt im besten Ruf und wird vor allem in den Medien immer wiederals „böser Bube“ hingestellt. Ist das Realität oder Mythos?Michael Hennrich: Ich glaube, in den letzten Jahren hat sich indieser Hinsicht einiges verändert; und ich glaube auch, dassdas insbesondere mit unserer Politik zusammenhängt. Früher

war es schon so, dass die Industrie nahezu beliebig Preise amMarkt durchsetzen konnte – egal, ob ein neues Produkt einenechten Fortschritt darstellte oder nicht. Das haben wir mit demArzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) geändert. DasAMNOG beruht auf dem Prinzip der frühen Nutzenbewertung:Das heißt, wir zahlen heute nur noch dann einen höheren Preisim Vergleich zur Standardtherapie, wenn das betreffende Pro-dukt auch einen echten therapeutischen Fortschritt bedeutet.Bringt ein Produkt keine wesentliche Verbesserung in der Ver-sorgung, wird dafür heute nur noch das Gleiche bezahlt wie füreine generische Standardtherapie. Insofern glaube ich, dassdurch diese gesetzliche Regelung, die wir auf den Weg ge-bracht haben, mittlerweile auch in der Öffentlichkeit die Bot-schaft angekommen ist, dass die Pharmaindustrie es inDeutschland eben nicht mehr ganz so einfach hat wie früher.Deshalb steht das Thema Arzneimittelausgaben heute nichtmehr so sehr im Fokus des öffentlichen Interesses wie früher.

Es heißt immer, die Arzneimittel in Deutschland seien amteuersten. Stimmt das, und wenn ja, warum?Michael Hennrich: Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Me-dikamente in Deutschland „gefühlt“ teurer sind. Das liegt zumeinen an der Mehrwertsteuer: Im Gegensatz zu anderen Län-dern sind Arzneimittel bei uns mehrwertsteuerpflichtig. Derzweite Grund sind die Distributionskosten in Deutschland: Wirleisten uns ein Großhandelsnetz und viele versorgende Apo-theken, auch im ländlichen Raum. Das kostet Geld, ist aber po-litisch so gewollt, denn wir wollen nicht, dass die Bevölkerungin ländlichen Regionen schlechter mit Medikamenten versorgtwird als in den Ballungsräumen oder Städten. Deshalb brau-

Ein Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich

Wie geht es weiter mit unserem Gesundheitssystem?

Page 37: Kompass Gesundheit 4/2014

Kompass Gesundheit 4/2014

chen wir ein möglichst flächendeckendesNetz aus Apotheken. Aber wenn Sie dasheutige Preisniveau mal mit dem andererLänder vergleichen, merken Sie, dassDeutschland nicht unbedingt ein Hoch-preisland ist. Dazu haben die Rabattver-träge beigetragen und auch das neuePreisfindungssystem im AMNOG. Dasheißt, wir sind jetzt auf einem vernünfti-gen Niveau angekommen, wo wir unsauch im internationalen Vergleich sehenlassen können.

Die Rabattverträge werden von der In-dustrie und teilweise von Ärzten undPatienten kritisiert – wie sehen Sie das?Michael Hennrich: Es gibt schon nocheinzelne Patientengruppen, wo wir nach-bessern müssen – wo man fragen muss:Können wir in jedem Fall ein bestimmtesMedikament durch ein anderes, günstige-res ersetzen, oder kann es da zu Neben-wirkungen kommen? Deshalb arbeitet derGemeinsame Bundesausschuss momen-tan an der sogenannten Substitutionslis-te, wo wir sagen: Für bestimmte Versor-gungsgebiete wollen wir keinen Aus-tausch von Arzneimitteln. Aber im Großenund Ganzen, glaube ich, ist das ThemaRabattverträge durch, und das Rad wirdauch nicht mehr zurückgedreht.

Die Krebsmedizin ist ziemlich teuer, undsie schenkt dem Patienten oft nur gerin-ge Überlebensvorteile – statistisch ge-sehen handelt es sich vielleicht umzwei, drei Monate, manchmal auch we-niger. Ist das überhaupt sinnvoll?Michael Hennrich: Auch das ist eine Fra-ge, mit der wir uns auseinandersetzenmüssen und die uns momentan zusam-men mit dem gemeinsamen Bundesaus-schuss beschäftigt. Eine Lebenszeitver-längerung um drei Monate bei katastro-phalen Nebenwirkungen – Schmerzen,Übelkeit, Erbrechen usw. – kann nichtSinn und Zweck einer medikamentösenVersorgung von Krebspatienten sein, diewir finanzieren sollten. Für uns müssen

eindeutige medizinische Fortschritte ge-geben sein, nicht nur in der Lebensverlän-gerung, sondern auch in der Lebensqua-lität. Das muss man von Einzelfall zu Ein-zelfall entscheiden.

Auch die hohe Krankenhausdichte undder Konkurrenzkampf zwischen den Kli-niken, der bisweilen schon groteskeAusmaße annimmt, sind ja ein nicht un-erheblicher Kostenfaktor. Haben wir Ih-rer Meinung nach zu viele Krankenhäu-ser in Deutschland?Michael Hennrich: Die Krankenhausland-schaft muss sich verändern. Wir habennicht zu viele Betten; aber vielleicht sindsie an zu vielen Standorten verteilt, viel-leicht müsste man sich bemühen, be-stimmte Leistungen stärker zu konzen-trieren. Ich setze mich schon mit gewis-sen Dingen kritisch auseinander: 1) mitdem Thema Falschabrechnungen in Kran-kenhäusern, 2) damit, dass wir ein Landmit der höchsten Anzahl an Hüft-OPs,Knie-OPs und sonstigen orthopädischenOperationen sind; das muss man schonmal kritisch hinterfragen. Auch ein Themawie der Transplantationsskandal vor zweiJahren gibt Anlass, diese Frage auf denPrüfstand zu stellen; da gibt es ja auchKritiker, die sagen, wir haben zu vieleTransplantationszentren, wir müssten dasauf einige wenige Standorte konzentrie-ren. Wie gesagt, es gibt sicherlich Dinge,die in unserer Gesundheitspolitik verän-dert werden können und die wir auch ver-ändern werden.

Michael Hennrich,MdBPlatz der Republik 111011 BerlinTel.: 030 227-75330Fax: 030 227-76091E-Mail: [email protected] Praxis-Klinik Dr. med. Karina Klein

Berliner Str. 4 | 73728 Esslingen

Tel. 0711/ 55 02 32 -0

www.drkarinaklein.de

In meiner Praxis-Klinik biete ich Ihnen ...

ww

w.D

AS-

KON

ZEPT

.com

plastisch-ästhetische Chirurgin

Page 38: Kompass Gesundheit 4/2014

38

Das Porträt

Bernhard Wehde: Krankenhausgeschäftsführer – kein Beruf von der Stange

Man kennt die Namen der Chefärzte einer Klinik – kein Erfolg ohne gute Ärzte und Pflege – doch wer ein Klinikumheute führt, seine Entwicklung lenkt, die Ideen koordiniert oder auch harmonisiert, Heilen und Helfen – Leistungund Finanzierung im überlebensfähigen Verhältnis hält, von dem ist selten viel in der Öffentlichkeit bekannt, vomGeschäftsführer. Wir haben uns vorgenommen, in jeder Ausgabe einen Klinikmanager zu porträtieren. Der Stileines Krankenhauses wird stark von seinen Geschäftsführern geprägt, nicht nur von Ärzten. Heute stellen wir Ihnen Bernhard Wehde vom Christophsbad in Göppingen vor, der dort Sprecher der Geschäftsführung ist.

Dass Bernhard Wehde einmal ein großes und renommiertesKlinikum in Baden-Württemberg leiten sollte, daran dach-

ten weder er noch seine Eltern. Wehdes Vaters war Physiker.Das beeinflusste den Jungen stark. Ihn faszinierte die Welt derTechnik: Flugzeuge, Motoren, Elektronik – das interessierte ihn.Klar, dass er da auch selbst experimentierte, auseinander-nahm, baute und bastelte. Diese Leidenschaft ist ihm bis heutegeblieben: Reparaturen überlässt er ungern anderen. Das pro-biert er lieber erst einmal selbst aus. Früher konnte er auchnoch sein Auto selber reparieren, was bei der heutigen High-tech allerdings etwas problematisch geworden ist; außerdemnimmt sein Beruf ihn dazu mittlerweile viel zu sehr in Anspruch.

Nach Schulzeit und Internat ließ Wehde sich nach mehrerenMonaten Krankenhausarbeit im Uni-Klinikum Heidelberg ander Fachschule für Sozialpädagogik in Freiburg zum staatlichanerkannten Erzieher ausbilden. Das war Pionierarbeit, dennWehde und noch zwei Kollegen waren damals die ersten Män-ner an der Fachschule. In Heidelberg-Neckargmünd leisteteBernhard Wehde im Rehabilitationszentrum für Kinder und Ju-

gendliche sein Anerkennungsjahr. Dieses große, neu gebauteRehazentrum der Stiftung Rehabilitation ging bei der Wieder-eingliederung andere Wege, als man sie bis dahin gekannt hat-te. Anfangs waren noch gar keine Rehabilitanden da. Da ginges um die Ausstattung der Räumlichkeiten, um Konzeption.Das war Neuland und eine interessante Herausforderung fürWehde.

Menschen helfen, einen Weg im Leben zu findenIn dieser Zeit entwickelte die Stiftung Rehabilitation Heidelbergeinen Studienzweig „Sozialarbeit“ mit integrativem Ansatz: Be-hinderte und nicht behinderte Studenten studierten gemein-sam im Schloss Langenzell. Diese Fachhochschule war exzel-lent ausgestattet. Um behindertengerecht zu sein, setzte manschon damals stark auf elektronische Medien. Man leistetesich auch sehr gute Dozenten und Gastdozenten, einfach, weilman besonders gute Voraussetzungen für die Rehabilitandenschaffen wollte. Davon profitierten natürlich auch die Nichtbe-hinderten.

Kompass Gesundheit 4/2014

Werner Waldmann

Page 39: Kompass Gesundheit 4/2014

39

Während Wehde dort studierte, arbeitete ergleichzeitig im Rehazentrum. Im Studium mit recht-lichem und methodischem Schwerpunkt sammelteer immer wieder neue Erfahrungen, die zu seinenInteressengebieten passten, z. B. in der Bewäh-rungshilfe und der Psychiatrie. „Die Wohngemein-schaft als Nachsorgeeinrichtung für psychischKranke“ hieß das Thema seiner Diplomarbeit.

Während seines anschließenden Zivildienstes imUniklinikum Heidelberg betreute er zwei psychiatri-sche Stationen und den sogenannten Suizidenten-dienst, seinen späteren Arbeitsplatz, mit. Der Hei-delberger Suizidentendienst war ein faszinierendesmultiprofessionelles Projekt: Untergebracht in derInneren Medizin, war der Dienst als ständiger Psy-chiatrischer Liaisondienst für alle Patienten nacheinem Suizidversuch im Rhein-Neckar-Kreis zu-ständig. Diese Idee war aus der Erkenntnis herausentstanden, dass täglich viele Patienten mit Vergif-tungen in suizidaler Absicht in die Klinik für InnereMedizin eingeliefert wurden. Dort wurden sie nurkurz vom psychiatrischen Dienstarzt gesehen, so-dass ein hoher Anteil „zur Sicherheit“ in die psychi-atrischen Kliniken eingewiesen wurde. Die Anzahlder Suizide war in den achtziger Jahren wesentlichhöher als heute. Gegen die Zunahme selbstmord-gefährdeter Menschen und den hohen Anteil nacheinem Suizidversuch stationär überwiesener Pa-tienten in die Psychiatrie wollte man etwas tun –Prävention, Rückfallprophylaxe, Forschung – sowar der Suizidentendienst eingerichtet worden.Damit wuchs Wehde in eine ganz neue Aufgabehinein. Acht Jahre lang blieb er dieser Arbeit treu.Er begann gleich zu Anfang eine Ausbildung zumGesprächspsychotherapeuten, was von der Uni-Klinik gerne gesehen wurde und zugleich den Pa-tienten zugute kam. „Wir sind damals auch in dieanderen Heidelberger Kliniken gegangen“, erinnerter sich, „wir haben dort – wie in der Inneren – Dia-gnostik gemacht, den Grad der suizidalen Gefähr-dung ausgelotet und entschieden, ob die Betroffe-nen aus diesem Aspekt heraus entlassen werdenkonnten, ob sie stationär bleiben sollten und ob sieeine ambulante Krisenintervention erhalten soll-ten.“ Fortbildungen für andere Institutionen undStudenten waren weitere Schwerpunkte. Diesevielfältigen Herausforderungen und der Umgangmit den unterschiedlichen Patienten brachten Weh-de viel Erfahrung. Im Suizidentendienst konnte das

multiprofessionelle Team die Patienten im Rahmeneiner Krisenintervention selbst nachbetreuen, wasglücklicherweise bei über 85 % eine stationärepsychiatrische Weiterbehandlung vermied. Unterseinen Patienten waren viele junge Frauen, die sichwegen Beziehungskrisen das Leben nehmen woll-ten. „Gerade junge Frauen begehen vielfach häufi-ger Suizidversuche als Männer“, so Wehde. Die Ar-beit im Suizidentendienst war eine sehr befriedi-gende, wenn auch spannungsreiche Tätigkeit. Hierkonnte er Menschen in Krisen helfen, ihren Weg imLeben zu finden.

So ganz nebenbei kam Bernhard Wehde auchimmer mehr mit der Forschungsarbeit an der Uni-versitätsklinik in Berührung und er hatte immerwieder Doktoranden mitzubetreuen. Nach seinenAusbildungen und Erfahrungen strebte er nun einewissenschaftliche Stelle an. Das war fast vermes-sen, denn damals gab es immer wieder Ärzte anden Universitätskliniken, die für eine Stelle durch-aus bereit waren, einige Monate „umsonst“ zu ar-beiten. Der Ordinarius, als Chef der Klinik, wollteihn zwar, unter Anerkennung seiner Leistung unter-stützen, aber nur mit einem zweiten, einem univer-sitären Abschluss. In Heidelberg Psychologie stu-dieren? Das wäre eine Option gewesen. Doch dieHeidelberger Universität wollte seine bisherigenAbschlüsse nur mitzwei Semestern an-erkennen, währenddie Frankfurter Uniihm dafür vier Se-mester anrechnete.Das hieß, bei fleißi-ger Arbeit in zweiJahren fertig sein. Also nahm er die Fahrten nachFrankfurt auf sich und studierte Pädagogik alsHaupt- und Psychologie als Nebenfach.

Das war eine sehr harte, aber auch interessanteZeit – ein Belastungstraining. Theorie und Praxis:Am Abend Kriseninterventionen mit Patienten, umwerktags eineinhalb Tage fürs Studium in Frankfurtfrei zu bekommen und am Wochenende lernen undschreiben. Nach zwei Jahren konnte Wehde sichDiplompädagoge nennen. Seine Diplomarbeitschrieb er zum Thema: „Suizidales Verhalten unterbesonderer Berücksichtigung des Kindes- und Ju-gendalters.“ In Heidelberg gab es „zur Belohnung“für den sehr guten Abschluss die angestrebte wis-

Kompass Gesundheit 4/2014

Führung muss so gelebt werden,dass die Mitarbeiter sowohl aktivbeteiligt sind, als auch mitgenom-men werden, um die Entwicklungdes Unternehmens mitzutragen.

Page 40: Kompass Gesundheit 4/2014

40

senschaftliche Stelle. Zwei Jahre blieb er nochdort; dann sehnte er sich wieder nach einer neuenHerausforderung. Der Weg war weit: Er führte ihnnach Norddeutschland. Wehde wurde Therapielei-ter des Heinrich Sengelmann Krankenhauses derEvangelischen Stiftung Alsterdorf in Hamburg.Bald übertrug man ihm zusätzlich auch die Verant-wortung für eine Abteilung des Krankenhauses mitrehabilitativem Schwerpunkt. Besondere Umstän-de brachten ihn wieder in Richtung Neuland: DieVerwaltungsdirektorenstelle wurde immer wiedervakant und in den Vakanzzeiten schloss Wehde dieLücke. In juristischen Dingen – dem Sozialgesetz-buch – kannte er sich aus, wusste, wie Pflegesätzeverhandelt werden und wie man Geld für die For-schung beschafft, Organisation, Strukturierungund vor allem auch Wachstum zu schaffen, lagenihm. Irgendwann wurde er gefragt, ob er nicht dieStelle des Verwaltungsdirektors übernehmen wolle.

Acht Jahre lang hielt es ihn bei der Evangeli-schen Stiftung Alsterdorf. Zusätzlich zu seinen soli-den therapeutischen und sozialrechtlichen Kennt-nissen hatte er nun auch die Herausforderungen ei-nes Managementjobs gemeistert. Das war die opti-male Voraussetzung für die nächste Station seinerKarriere: Wehde hatte erfahren, dass die Landes-krankenhäuser in Schleswig-Holstein zu Anstalten

öffentlichenRechts ver-selbststän-digt werdensollten undbewarb sicher folgreichals Ge-

schäftsführer des Landeskrankenhauses Neustadtin Holstein, zu dem auch eine große Klinik für foren-sische Psychiatrie gehört. Dazu kam die Positiondes Geschäftsführers des Landesverbandes derFachkliniken in Schleswig-Holstein. So war er im-mer mehr ins Management hinein gewachsen unddas mit großem Erfolg: Er übernahm ein defizitäresHaus und brachte es auf gutem Weg in schwarzeZahlen.

Ökonomie und Ethik: keine unvereinbaren GegensätzeUm die Wende zum Jahr 2000 erfuhr BernhardWehde, dass das Christophsbad in Göppingen –

eine damals bereits 150 Jahre in privater Träger-schaft bestehende Klinik, die er bisher nur vom Hö-rensagen kannte – einen Geschäftsführer suchteund bewarb sich dort. In den ersten Gesprächenhier ging es unter anderem auch um die Frage, wiesich Ökonomie mit Ethik vereinen lässt. 2001 wur-de er Geschäftsführer der großen Klinik in Göppin-gen, bis 2003 noch gemeinsam mit einem ge-schäftsführenden Gesellschafter als Kollegen.

Die Eigentümergesellschaft besteht aus rund 70Personen. Wehde gefiel die Unternehmensstrate-gie, die auf Nachhaltigkeit setzt und vor allem dieMöglichkeiten konsequenten und schnellen Han-delns wie es im Rahmen der privaten Trägerschaftmöglich ist. „Manager sollten möglichst auch nochdie Folgen ihres Handelns erleben – sei es, um ih-ren Job künftig noch besser zu machen, oder umetwas, das nicht so gut lief, wieder ins Lot zu brin-gen“, meint Wehde. „Man sollte den Generations-wechsel bei leitenden Mitarbeitern – vor allem beiden Ärzten und Geschäftsführern – sehr bedacht-sam einfädeln, um Nachhaltigkeit, Innovation undTradition zu garantieren. Der Unternehmerfamilie,die das Ganze über den Verwaltungsrat kontrolliert,ist dies ein sehr wichtiges Anliegen.“

Der „Generalist“ Bernhard Wehde ist nun seit2001, ohne wie die meisten seiner Kollegen Be-triebswirtschaft studiert zu haben, für heute über1300 Mitarbeiter verantwortlich und auch wirt-schaftlich im anspruchsvollen Krankenhaussektorerfolgreich: Das Christophsbad hat sich in den letz-ten Jahren stattlich entwickelt. Das Faszinierendean diesem Mann ist nicht nur seine Dynamik, seinePräsenz, sondern auch seine offensichtliche Lei-denschaft für diese Aufgabe. Dabei hat dermenschliche Aspekt für ihn einen höheren Stellen-wert als der wirtschaftliche: „Zahlen und Organisa-tion sind sicher wichtig; sie sind das Fundament ei-nes funktionierenden Unternehmens. Aber Zahlenkommen doch erst nach dem Menschen: Manmuss miteinander reden, sich austauschen, sichdem anderen verständlich machen und ihn begrei-fen. Ich bin ein kommunikativer Mensch und disku-tiere gerne. Führung muss so gelebt werden, dassdie Mitarbeiter sowohl aktiv beteiligt sind, als auchmitgenommen werden, um die Entwicklung desUnternehmens mitzutragen.“

Natürlich muss sich der KrankenhausmanagerBernhard Wehde mit hohem Zeitanteil mit Budget-

Kompass Gesundheit 4/2014

Manager sollten möglichst auch nochdie Folgen ihres Handelns erleben – seies, um ihren Job künftig noch besser zumachen, oder um etwas, das nicht sogut lief, wieder ins Lot zu bringen.

Das Christophsbadist ein Plankranken-haus mit Versor-gungsaufträgen fürdie psychiatrische,psychosomatischeund neurologischeVersorgung. Darüberhinaus bestehen Versorgungsverträgein den Bereichen geriatrische, ortho-pädische, und rheu-matologischen Rehabilitation, sowiefür ein Pflegeheimmit integrierten Teilhabeleistungenfür Menschen mitschweren Erkran-kungen psychiatri-scher oder neurolo-gischer Genese.

Page 41: Kompass Gesundheit 4/2014

Moderation: Dr. med. Suso Lederle, Stuttgart

Diskussionsteilnehmer:

Dr. Christian Altschuh (Manager Gesundheitspolitik MSD)Johannes Bauernfeind (Geschäftsführer AOK Neckar-Fils)Dr. med. Wolfgang Bosch (Stv. Vorsitzender Kreisärzteschaft Esslingen)Dr. Axel Döß (Direktor Market Access Europe, ResMed Germany Inc.)Dr. med. Klaus Kraft (Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Kreiskliniken Esslingen)Klaus-Peter Friedrich (Personalchef Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen)Prof. Dr. med. Matthias Leschke (Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Klinikum Esslingen)Christof Mühlschlegel (Vorsitzender der Region Neckar-Fils des Landesapotheker-verbandes BaWü)Bernhard Wehde (Geschäftsführer Klinikum Christophsbad, Göppingen)

Konzeption: Dr. med. Ernst Bühler

Die Gesundheitsdiskussion

Unsere medizinische Versorgung:Können wir auf sie zählen oder nur noch dafür zahlen?

25. November 2014 19.00–21.00 Uhr

Salemer Pfleghof Untere Beutau 8–10 73728 Esslingen a. N.

Eine Veranstaltung der Zeitschrift „Kompass Gesundheit – das Magazin für Baden-Württemberg“in Zusammenarbeit mit

ANMELDUNG: MEDITEXT Dr. Antonic; Fax: 0711 7656590; E-Mail: [email protected]

Page 42: Kompass Gesundheit 4/2014

Kompass Gesundheit 4/201442

verhandlungen, Fallpauschalen, Personalproble-men und Tarifverträgen herumschlagen – mit Bilan-zen, Investitionen und all den anderen betriebswirt-schaftlichen Herausforderungen eines Klinikchefs.Das ist ihm auch wichtig, aber er achtet strikt dar-auf, dass der Mensch und nachhaltiges Handeln anerster Stelle stehen, insbesondere auch bei seinerHauptaufgabe: der zukunftssicheren Weiterent-wicklung des Christophsbads. An dieser Stelle istWehde besonders froh über seinen langjährigenGeschäftsführungskollegen Oliver Stockinger, diegute Zusammenarbeit mit der Pflegedirektion, denChefärzten, dem Betriebsrat, die mit ihrer Arbeitdie Stimmung und den Erfolg des Hauses wesent-lich mitbestimmen.

Wehde berührt vor allem der Mensch. Der krankeMensch und auch die Frage, wie es zu der Krank-heit kommt – wie Psyche und Körper zusammen-hängen und sich gegenseitig beeinflussen. „Wie-viel Krankheit beginnt im Kopf? Ich glaube, dassetwa Bildung in gewissem Maße vor Krankheitschützen kann“, meint er. „Kultur ist eine Vorausset-zung für aktiven Gesundheitserhalt. Wir bieten inunserer Klinik viele kulturelle Veranstaltungen anund öffnen sie damit auch. Dabei geht es uns abernicht um Kultur um der Kultur willen. Kultur bewirktetwas in uns. Musik, Malerei und Dichtung könnendem Menschen neue Wege zeigen, ihn zu sichselbst führen, oder über den Tellerrand gucken las-sen. Kultur tut gut und entspannt. Das gilt für Ge-sunde ebenso wie für Kranke.”

Medizin muss ganzheitlich seinAuf dieser Einstellung gründet auch Wehdes An-sicht darüber, was Medizin heute leisten muss:„Ganzheitliche Medizin ist eine psychosomatischeMedizin. Man muss kranken Menschen neben ei-ner notwendigen medizinischen Intervention helfenherauszufinden, ob ihre Erkrankung im Zu-sammenhang mit ihrer Lebens-und Erlebnisweiseoder ihrem Umfeld steht.“

Welche Parallelen bestehen zwischen der Aufga-be des Geschäftsführers eines Industrieunterneh-mens und der Verantwortung eines Krankenhaus-geschäftsführers? „Da gibt es sehr viele Gemein-samkeiten“, meint Wehde. „Beides bedarf mög-lichst perfekter Organisation. In beiden Berufenmuss man den Markt berücksichtigen. In der Medi-zin nennt sich dieser Markt Bedarf. Ich muss auf

dem aktuellen Stand der Entwicklung sein undmeine Leistungen ständig verbessern. Ich mussTechnik und stringente Ablauforganisation mit denBedürfnissen der Menschen vereinbar machen –sie kommunikativ erreichen. Ich muss wirtschaft-lich arbeiten. Das gilt für Industrie und Klinik gleich-ermaßen. Ohne Ertrag ist die Entwicklung aus ei-gener Kraft blockiert."

Aber natürlich gibt es auch große Unterschiede.„Im Gegensatz zur Industrie müssen wir im Ge-sundheitswesen keine Nachfrage schaffen“, sagtBernhard Wehde. „Der Schrei nach immer wiederneuen Handys ist nicht von selbst entstanden. Dahaben sich viele Leute eine Menge Gedanken ge-macht, wie man den Menschen beibringt, dass sol-che Produkte unverzichtbar sind. Bei der Gesund-heit ist das anders. Menschen werden krank; undsie wollen wieder gesund und trotz Krankheit altwerden. Insofern hat die Gesundheitsbranche eseigentlich leichter. Auf die Nachfrage kann mansich verlassen. Es kommt darauf an, wie man mitihr umgeht: Ist man ehrlich und fair zu seinen Pa-tienten? Oder verkauft man Illusionen?“

Als Klinikgeschäftsführer hat man natürlich einer-seits wirtschaftliche Zwänge und andererseits ethi-sche Forderungen eines Unternehmens, das keineProdukte herstellt, sondern sich um leidende, kran-ke Menschen kümmert. Wie bekommt man diesenSpagat hin? „Für mich sind kranke Menschen be-sondere ,Kunden‘, die man Patienten nennt“, sagtWehde. „Natürlich birgt jeder Patient Aspekte einesKunden in sich; aber er ist doch in erster Linie Pa-tient. Von einem Kunden unterscheidet er sich vorallem dadurch, dass er zwar auch kundengleicheWünsche und Rechte hat; aber die Frage ist, ob erdiese Rechte auch wahrnehmen kann. Es kommtdarauf an, wie kundig der Kunde ist. Und das ist imGesundheitswesen nur bedingt möglich; denn werHilfe in einem Krankenhaus sucht, ist erstens oftschon allein durch seine Erkrankung hilflos undzweitens hat er sich von Berufs wegen vielleicht aufganz andere Gebiete spezialisiert. Wenn ich ein tol-ler Bäcker bin, muss ich nicht unbedingt wissen,welche Behandlung bei einem Beinbruch oderSchlaganfall am besten für mich ist. Da kommt dievertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arztund Patient ins Spiel und bei Not- und Unfällen istdie Wahlmöglichkeit in der Regel nicht gegeben.

Gute Vernetzung, Information und Mit-gestaltung der Ge-sundheitslandschaftals Ganzes – auchfür andere Träger –verschaffen Über-blick, deshalb istWehde die Ver-bandsarbeit, trotz ihres zeitlichen Aufwands, wichtig.Wehde ist seit Jah-ren u. a. stellvertre-tender Vorsitzenderdes „Verbands priva-ter Krankenanstal-ten“ (VPKA) in Ba-den-Württembergals auch Präsidiums-und Vorstandsmit-glied der „Baden-WürttembergischenKrankenhausgesell-schaft“ (BWKG).

Page 43: Kompass Gesundheit 4/2014

Kompass GesundheitDAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

AbonnementJa, ich möchte „Kompass Gesundheit“ regelmäßig lesen. Bitte senden Sie mir die „Kompass Gesundheit“-Ausgaben nach Erscheinen zu. „Kompass Gesundheit“ erscheint 4-mal jährlich.Ich übernehme die Abo-Kosten in Höhe von 12,- Euro pro Jahr.Ich kann diese Vereinbarung jederzeit widerrufen.Bitte keine Vorauszahlung! Sie erhalten von uns eine Rechnung.

Frau / Herr

Vorname

Nachname

Straße und Hausnummer

PLZ

Ort

Tel.

E-Mail

Datum / Unterschrift

Widerrufsrecht: Mir ist bekannt, dass ich die Verein barung innerhalb einer Woche beiMEDITEXT DR. ANTONIC (Leser-Service, Postfach 3131, 73751 Ostfildern) widerrufen kann.Die Frist beginnt mit Absendung dieses Formulars.

Faxen Sie Ihre Bestellung an 0711 7656590

oder senden Sie diese in einem Briefumschlag an:MEDITEXT DR. ANTONICPostfach 313173751 Ostfildern

Der nächste Kompass Gesundheit erscheint im Januar 2015

Gesundheit beginnt im Kopf TREFFPUNKT Rotebühlplatz StuttgartRotebühlplatz 28; 70173 Stuttgart

12.11.2014 20.00 UhrHerz aus dem Takt – Was ist zu tun?Dr. med. Suso Lederle im Gespräch mit Prof. Dr. med. Thomas Nordt

Unser Herz schlägt 60 bis 80 Mal in der Minute, doch

gelegentlich tickt es unregelmäßig. Fast jeder hat

schon einmal gemerkt, dass sein Herz stolpert, rast

oder aus dem Rhythmus gerät. Doch es besteht eine

große Unsicherheit darüber, ob dies harmlos oder ge-

fährlich ist.

Eine Veranstaltung im Rahmen der durch die Deutsche

Herzstiftung organisierten Herzwochen.

28.01.2015 20.00 UhrMedizin ohne Maß? –Heilkunde zwischen Wissen und GewissenDr. med. Suso Lederle im Gespräch mit Prof. Dr. med. Giovanni Maio (Institut für Ethik undGeschichte der Medizin/Uni Freiburg)

Die Medizin braucht die Naturwissenschaft und moder-

ne Technologien. Doch nicht alles, was machbar ist, ist

für jeden Patienten human und ethisch verantwortbar.

Zudem darf die Sorge um den kranken Menschen nicht

dem Diktat der Ökonomie geopfert werden. Eine zu-

kunftsweisende Medizin kann nur die gesunde Verbin-

dung von fachlichem Können und gelebter Zwischen-

menschlichkeit sein. Die Ärzte sollen nicht nur Macher,

sondern auch verstehende Begleiter ihrer Patienten

sein.

25.02.2015 20.00 UhrLebe Balance – Ein Programm für innere Stärkeund AchtsamkeitDr. med. Suso Lederle im Gespräch mit Dipl. Psych. Lisa Lyssenko (Klinik für Psychiatrie undPsychosomatik, Uni Freiburg) und Dietrich Duncker(Sportpädagoge AOK)

Das Lebenstempo steigt, der Alltag nimmt einen fast

pausenlos in Beschlag. Doch wer sich ständig beeilt,

verliert irgendwann stressgeplagt seine innere Balance.

Dann hilft nur, die eigene Haltung zu überprüfen und

achtsamer mit sich umzugehen.

Eine Veranstaltung im Rahmen der AOK-Gesundheits-

wochen.

Termine

Page 44: Kompass Gesundheit 4/2014

Mehr als Medikamente. Es geht um Gesundheit. Im Mittelpunkt stehen die

Seit über 150 Jahren haben wir eine Mission: Unser Ziel ist die

Entwicklung von innovativen Medikamenten in den Bereichen

Herz-Kreislauf, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, chronisch-

entzündliche Erkrankungen von Gelenken, Haut und Darm sowie

degenerative Gelenkerkrankungen und Osteoporose, Infektions-

krankheiten, Erkrankungen der Atemwege und des Nervensystems

sowie in der Schmerz- und Krebstherapie, Augenheilkunde und in

der Frauengesundheit.

Wir unterstützen Patienten und Betroffene im Umgang mit ihrer

Erkrankung, indem wir aufklären, Patientenprogramme durch-

führen und die Gebrauchsinformationen unserer Medikamente

verständlich gestalten. Mit vielen Partnern arbeiten wir an gemein-

samen Lösungen für mehr Gesundheit.

Durch nachhaltige Förderprogramme übernehmen wir Verantwor-

tung für einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und

Medikamenten weltweit und engagieren uns für unsere Gesell-

schaft vor Ort.

www.msd.de

www.msd.de | www.univadis.de

MSD SHARP & DOHME GMBHLindenplatz 1, 85540 Haar Tel. 0800 673 673 673, Fax 0800 673 673 329

CORP-1090108-0000 07/13