Kompetenz »Weiter bilden« mit der...

2
20 AiBplus 01 | 2011 Kompetenz »Weiter bilden« mit der EU Wenn sich die Sozialpartner zusammentun – Gewerkschaft und Arbeitgeberverband oder Betriebsrat und Unternehmer – fördert die EU betriebliches Lernen. Die Erzieherin übt im Rollenspiel, wie sie herausbekommt, was die nörgelnden Eltern wirklich wollen. Im Zementwerk prägt sich der Mitarbeiter anhand einer Computerani- mation ein, wie die neue Mahlanlage funktio- niert. Der Lagerist in einer Kartonagenfabrik lernt, nicht mehr auf Karteikarten, sondern auf dem PC Buch zu führen. Der mittelstän- dische Lebensmittelhersteller ermittelt erst- mals Altersstruktur und Qualifikationsstand der Beschäftigten. Vier Beispiele, die zeigen, was die »Initiati- ve weiter bilden« möglich macht. Insgesamt 140 Millionen Euro stellen der Bund und der Europäische Sozialfonds (ESF) für be- rufliche Qualifizierungsprojekte bereit, auf die sich die Sozi- alpartner geeinigt haben. Das können Arbeitgeber und Gewerkschaft(en) einer Branche sein oder einzelne Un- ternehmer, die ge- meinsam mit dem Betriebsrat einen Antrag stellen. »Fidelio« heißt das Pilotprojekt für Beschäftigte und Lei- tungen in Kindertages- stätten (Kitas). Es läuft im Gebiet zwischen Lüneburg, Wals- rode und Celle. Ver.di und die öffentlichen Arbeitgeber von 40 Einrichtungen mit etwa 500 meist weiblichen Beschäf- tigten wollen die ta- riflich verankerten Rechte auf Qualifi- zierung und betriebliche Gesundheitsförde- rung konkretisieren. Zunächst läuft in den Kitas eine Bedarfser- hebung, berichtet Projektleiterin Anja Kramer. Wie belastend erleben Mitarbeiterinnen und Leiterinnen ihren Alltag? Fühlen sie sich den gestiegenen pädagogischen Erwartungen ge- wachsen? Gibt es Gelegenheit, sich vom kör- perlich anstrengenden Umgang mit den Kin- dern zu erholen? Danach werden passende Formen von Weiterbildung, Beratung und Be- gleitung entwickelt und bis 2014 erprobt. »Dieser zeitliche Spielraum ist bei der Ge- sundheitsförderung wichtig«, sagt Kramer, »weil ich eingeschliffene Muster nicht in einem 3-Tages-Seminar auflösen kann.« Ab- sehbar ist, dass das Lernen arbeitsplatznah erfolgen muss – denn eine Kita lässt sich schlecht schließen – und dass kollegiales Coaching gut ankommt. Seit Beginn der »Initiative weiter bilden« hat die eigens eingerichtete Regiestelle in sechs Auswahlrunden 52 Projekte genehmi- gt (siehe Grafik). Das Spektrum ist breit. Es reicht vom Metallbetrieb, der die gesamte Belegschaft für ein neues integriertes Pro- duktionssystem trainieren will bis zu Bran- chenvereinbarungen über den Start in eine systematische Personalentwicklung. Und noch ist genug Geld für Neuanträge da. IG BAU-Sekretär Hartmut Koch redet Klar- text: »Die Zeiten, in denen gut ausgebildete Arbeitskräfte bestellt werden konnten wie Waren aus einem gut gefüllten Lager, sind vorbei.« Die Zementindustrie stehe vor groß- en Herausforderungen, sagt Koch: Hochau- tomatisierte Anlagen, die immer schneller arbeiten; der Anspruch, dass das Personal Projektleiterin Anja Kramer: »… eingeschliffene Muster können nicht in einem 3-Tages- Seminar aufgelöst werden.«

Transcript of Kompetenz »Weiter bilden« mit der...

20 AiBplus 01 | 2011

Kompetenz

»Weiter bilden« mit der EUWenn sich die Sozialpartner zusammentun – Gewerkschaft und Arbeitgeberverband oder Betriebsrat und Unternehmer – fördert die EU betriebliches Lernen.

Die Erzieherin übt im Rollenspiel, wie sie herausbekommt, was die nörgelnden Eltern wirklich wollen. Im Zementwerk prägt sich der Mitarbeiter anhand einer Computerani-mation ein, wie die neue Mahlanlage funktio-niert. Der Lagerist in einer Kartonagenfabrik lernt, nicht mehr auf Karteikarten, sondern auf dem PC Buch zu führen. Der mittelstän-dische Lebensmittelhersteller ermittelt erst-mals Altersstruktur und Qualifikationsstand der Beschäftigten.

Vier Beispiele, die zeigen, was die »Initiati-ve weiter bilden« möglich macht. Insgesamt 140 Millionen Euro stellen der Bund und der

Europäische Sozialfonds (ESF) für be-rufliche Qualifizierungsprojekte

bereit, auf die sich die Sozi-alpartner geeinigt haben.

Das können Arbeitgeber und Gewerkschaft(en) einer Branche sein oder einzelne Un-ternehmer, die ge-meinsam mit dem Betriebsrat einen Antrag stellen.

»Fidelio« heißt das Pilotprojekt für

Beschäftigte und Lei-tungen in Kindertages-

stätten (Kitas). Es läuft im Gebiet zwischen Lüneburg, Wals-

rode und Celle. Ver.di und die öffentlichen Arbeitgeber

von 40 Einrichtungen mit etwa 500 meist weiblichen Beschäf-tigten wollen die ta-riflich verankerten Rechte auf Qualifi-

zierung und betriebliche Gesundheitsförde-rung konkretisieren.

Zunächst läuft in den Kitas eine Bedarfser-hebung, berichtet Projektleiterin Anja Kramer. Wie belastend erleben Mitarbeiterinnen und Leiterinnen ihren Alltag? Fühlen sie sich den gestiegenen pädagogischen Erwartungen ge-wachsen? Gibt es Gelegenheit, sich vom kör-perlich anstrengenden Umgang mit den Kin-dern zu erholen? Danach werden passende Formen von Weiterbildung, Beratung und Be-gleitung entwickelt und bis 2014 erprobt.

»Dieser zeitliche Spielraum ist bei der Ge-sundheitsförderung wichtig«, sagt Kramer, »weil ich eingeschliffene Muster nicht in einem 3-Tages-Seminar auflösen kann.« Ab-sehbar ist, dass das Lernen arbeitsplatznah erfolgen muss – denn eine Kita lässt sich schlecht schließen – und dass kollegiales Coaching gut ankommt.

Seit Beginn der »Initiative weiter bilden« hat die eigens eingerichtete Regiestelle in sechs Auswahlrunden 52 Projekte genehmi-gt (siehe Grafik). Das Spektrum ist breit. Es reicht vom Metallbetrieb, der die gesamte Belegschaft für ein neues integriertes Pro-duktionssystem trainieren will bis zu Bran-chenvereinbarungen über den Start in eine systematische Personalentwicklung. Und noch ist genug Geld für Neuanträge da.

IG BAU-Sekretär Hartmut Koch redet Klar-text: »Die Zeiten, in denen gut ausgebildete Arbeitskräfte bestellt werden konnten wie Waren aus einem gut gefüllten Lager, sind vorbei.« Die Zementindustrie stehe vor groß-en Herausforderungen, sagt Koch: Hochau-tomatisierte Anlagen, die immer schneller arbeiten; der Anspruch, dass das Personal

Projektleiterin Anja Kramer: »… eingeschliffene Muster können nicht in einem 3-Tages-Seminar aufgelöst werden.«

AiBplus 01 | 2011 21

Kompetenz

flexibel ist und fast alle Produktionsabläufe beherrscht; der Umstand, dass junge Leute nach der Ausbildung oft in attraktiver wir-kende Branchen abwandern und die Beleg-schaften immer älter werden.

So verständigten sich IG BAU und IG BCE mit den Arbeitgebern des Wirtschaftszweigs auf die gezielte Förderung der beruflichen Wei-terbildung. Vorarbeit ist gemacht in Form von Onlinekursen zu Themen wie Rohmaterialge-winnung, Klinker- und Zementproduktion, Betonanwendung und Qualitätssicherung. Nun muss in den Betrieben ein verlässlicher Rahmen fürs Lernen geschaffen werden. Und das beginnt damit, sagt IG-BAU-Sekretär Koch, die Betriebsräte für das Thema Qua-lifizierung zu sensibilisieren, sie bei der Bildungsbedarfserhebung zu unterstützen sowie bei der Regelung von Arbeits- und Lernzeiten.

Der »Initiative weiter bilden« nach der Sozi-alpartnerrichtlinie der EU liegt der Gedanke zugrunde, dass es bei der Personalentwick-lung viele gemeinsame Interessen von Ar-beitnehmern und Arbeitgebern gibt. Sie zu gestalten, lernen daher Führungskräfte und Betriebsräte, Beschäftigte und ihre Chefs gleichermaßen.

In der Ernährungswirtschaft gibt es neben den bekannten internationalen Konzernen viele mittelständische Unternehmen. Sie können sich nun bei der systematischen Per-sonalentwicklung unterstützen lassen. Mit der Rahmenvereinbarung »Spill« haben die Arbeitgebervereinigung Nahrung und Ge-nuss und die Gewerkschaft NGG die Grund-lagen dafür geschaffen.

Gestartet hat das Projekt im Norden der Republik. Michael Andritzky, Hauptge-schäftsführer des Verbandes der Ernäh-rungswirtschaft Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt e. V. beschreibt die Aus-gangslage: »Führungskräfte und Betriebs-räte werden beraten, wie sie den Bildungs-bedarf im Unternehmen feststellen können, wie beispielsweise Altersstruktur- und Quali-fikationsanalysen gemacht werden.«

Anders ist die Ausgangslage in der Druckin-dustrie: Hier existiert seit gut 60 Jahren der

Zentralfachausschuss Berufsbildung, in dem die Gewerkschaft – jetzt ver.di – und der Bun-desverband Druck gemeinsam die Aus- und Weiterbildung steuern. Außerdem gilt seit 1990 ein Tarifvertrag für Fortbildung und Um-schulung. Der soll nun richtig mit Leben er-füllt werden, und zwar zunächst modellhaft in kleinen Betrieben im westlichen Westfa-len.

Magnus Bussmann ist Betriebsratsvorsit-zender bei der STI Schräder Verpackungen GmbH in Greven und hat sich bereits bei der Antragstellung für das Projekt stark ge-macht. »Ich will Struktur und Ordnung in die Fortbildung bei uns reinbringen. Dass alle eine Chance kriegen, die sie brauchen. Dass klar wird, es ist nicht nur eine Sache des Ein-zelnen, ausreichend qualifiziert zu sein. Das Unternehmen muss auch Zeit und Geld dafür vorsehen.«

Bussman steht einem fünfköpfigen Be-triebsrat vor; niemand ist freigestellt; da ist jede fachkundige Unterstützung von außen willkommen. Wie überzeuge ich lernmüde Kollegen? Wie bekomme ich die nötigen In-formationen vom Arbeitgeber? Wie lassen sich fachliche und persönliche Weiterbil-dung kombinieren? All das lässt sich jetzt branchenbezogen klären: Die regionalen Bil-dungsinstitute von ver.di und Verband stel-len im Projekt ihr Know-how zur Verfügung. (hbf )

Mehr dazu

Alle Informationen und Beratungsmöglichkeiten für potenzielle Antrag-steller: www.initiative-weiter-bilden.de

»Initiative weiter bilden«:52 Projekte verteilt auf 13 Branchen

Quelle: Regiestelle Weiterbildung, Eigene Berechnungen.

Metall

Öffentlicher Dienst

Gesundheit

Chemie

Ernährung

Textil

Dienstleistungen

Baustoffe-Steine-Erden

Einzelhandel

Bildung

Bau

Druck

Logistik

AiBplus

208

54

32222

1111