Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der...

8
Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing Beim Bonecondensing handelt es sich ebenfalls um eine nonablative, formkongruente Aufbereitung des Implantatbettes, bei der die verwen- deten Knochenkondensatoren – auch als Osteotome bezeichnet – die Spongiosa am Knochen-Implantat-Übergang verdichten. Diese Tech- nik wurde zur Verbesserung des Implantatlagers entwickelt (Summers 1994a) und hat sich in der klinischen Routine etabliert (Glauser et al. 1998). Ziel ist die Knochenverdichtung an der Knochen-Implantat-Schnitt- stelle, die, besonders im Knochen der Klassen D 3 und D 4 (nach Misch), eine Primärstabilität des Implantates ermöglichen oder ver- bessern kann. Haupteinsatzbereich dieser Technik ist somit der Ober- kiefer. Für die Aufbereitung der Implantatkavität sind die Unterschiede der Knochenmorphologie mit geringer und umfangreicherer Kortikalis resp. Spongiosa zu beachten (Abb. 1.19). Das Vorgehen und die Instrumente entsprechen in weiten Teilen denen des Bonespreadings. Im Unterschied zum Bonespreading werden allerdings nur der Implantatform angepasste Kondensatoren genutzt und somit keine ovalen oder D-förmigen Instrumente eingesetzt, wenn zylindrische Implantate inseriert werden sollen. Ein weiterer Einsatzbereich mit etwas modifiziertem Vorgehen ist der interne Sinuslift. Hier dient die Kondensation auch der Anhebung des Sinusbodens durch die Implantatkavität und erfordert somit keinen lateralen Zugang (s. Kapitel „Sinuslift“). Primäres Ziel des Bonecondensings ist die Verdichtung des vorhan- denen Knochens. Der Übergang hin zur Alveolarkammextension bei transversal geringem Knochenangebot ist jedoch fließend. 28 Modifikation des ortsständigen Knochens Nonablative, formkongruen- te Aufbereitung Ziel Knochen- unterschiede beachten Der Implantat- form angepass- te Konden- satoren !

Transcript of Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der...

Page 1: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

Kondensation des Kiefer-knochens/Bonecondensing

Beim Bonecondensing handelt es sich ebenfalls um eine nonablative,formkongruente Aufbereitung des Implantatbettes, bei der die verwen-deten Knochenkondensatoren – auch als Osteotome bezeichnet – dieSpongiosa am Knochen-Implantat-Übergang verdichten. Diese Tech-nik wurde zur Verbesserung des Implantatlagers entwickelt (Summers1994a) und hat sich in der klinischen Routine etabliert (Glauser et al.1998).

Ziel ist die Knochenverdichtung an der Knochen-Implantat-Schnitt-stelle, die, besonders im Knochen der Klassen D 3 und D 4 (nachMisch), eine Primärstabilität des Implantates ermöglichen oder ver-bessern kann. Haupteinsatzbereich dieser Technik ist somit der Ober-kiefer.

Für die Aufbereitung der Implantatkavität sind die Unterschiede derKnochenmorphologie mit geringer und umfangreicherer Kortikalisresp. Spongiosa zu beachten (Abb. 1.19).

Das Vorgehen und die Instrumente entsprechen in weiten Teilen denendes Bonespreadings. Im Unterschied zum Bonespreading werdenallerdings nur der Implantatform angepasste Kondensatoren genutztund somit keine ovalen oder D-förmigen Instrumente eingesetzt, wennzylindrische Implantate inseriert werden sollen.

Ein weiterer Einsatzbereich mit etwas modifiziertem Vorgehen ist derinterne Sinuslift. Hier dient die Kondensation auch der Anhebung desSinusbodens durch die Implantatkavität und erfordert somit keinenlateralen Zugang (s. Kapitel „Sinuslift“).

Primäres Ziel des Bonecondensings ist die Verdichtung des vorhan-denen Knochens. Der Übergang hin zur Alveolarkammextension beitransversal geringem Knochenangebot ist jedoch fließend.

28 Modifikation des ortsständigen Knochens

Nonablative,formkongruen-te Aufbereitung

Ziel

Knochen-unterschiede

beachten

Der Implantat-form angepass-

te Konden-satoren

!

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:06 Seite 28

Page 2: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

Planung

Anders als beim Bonespreading muss beim Bonecondensing eineInsertion des Implantates ohne die transversale Erweiterung des Kno-chens möglich sein. Ein Aufbau der Rugae alveolaris sowie eine Ver-änderung der Weichgewebssituation werden durch diese Techniknicht erreicht, da die vorhandenen äußeren Knochenkonturen nichtverändert werden.

Die Notwendigkeit eines Bonecondensings ist nicht immer vorherseh-bar. Oftmals stellt sich erst während des Eingriffs heraus, dass Kno-chen von geringer Dichte vorliegt und sich eine Knochenkondensationempfiehlt, um eine Primärstabilität der Implantate erreichen zu kön-nen.

Chirurgisches Vorgehen

Das chirurgische Vorgehen beginnt mit einer leicht nach palatinal ver-setzten Schnittführung und der Schaffung eines Mukoperiostlappens,welcher in den vestibulären Sulcus gingivae der Nachbarzähne fortge-setzt wird.

Bevor mit der Aufbereitung des Implantatlagers begonnen wird, mussder Insertionsort des Implantates mithilfe einer Bohrschablone mar-kiert werden. Danach erfolgt die Bohrung mit einer Lindemannfräseoder die Pilotbohrung mit dem Pilotbohrer des jeweiligen Implantat-systems (Abb. 1.19a–c). Handelt es sich nicht um einen Sinuslift, beidem der Boden der Kieferhöhle angehoben werden soll, so erfolgtdiese Bohrung bereits bis zu der geplanten Aufbereitungstiefe.

In der Folge werden die Osteotome in aufsteigender Größe durchleichte und kontrollierte Schläge in axialer Richtung eingebracht. DasEintreiben der Osteotome sollte durch Ruhephasen unterbrochen wer-den, da der Knochen eine Dehnungszeit von mindestens 10 Sekundenbenötigt (Saadoun u. Le Gall 1996).

Ein auf das jeweilige Implantat abgestimmtes Instrument muss alsletztes eingesetzt werden, weil es nun die optimale Passung zwischenImplantatlager und Implantat schafft (Abb. 1.19d). Es empfiehlt sich,

Kondensation des Kieferknochens/Bonecondensing 29

Knochenkontu-ren bleibenunverändert

Palatinal ver-setzte Schnitt-führung

Bohrschablone

Nutzung derOsteotome inaufsteigenderGröße

Osteotome aufdas Implantatabgestimmt

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:06 Seite 29

Page 3: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, umeine Überlastung des Knochens zu vermeiden.

Das Implantat kann anschließend primärstabil inseriert werden (Abb.1.19e). Je nach Protokoll des Implantatherstellers ist zu beachten, obein Gewinde geschnitten werden muss. Da das Bonecondensing beiKnochen geringer Dichteklassen eingesetzt wird, ist der Einsatz vonGewindeschneidern in vielen Fällen nicht oder nur im krestalenBereich notwendig.

Der Nahtverschluss kann mit Einzelknopf- oder Matratzennähten erfol-gen. Eine spannungsfreie Adaptation der Wundränder lässt sich, wennnicht sofort möglich, z.B. mit einer Periostschlitzung erreichen.

Eine Antibiotikaprophylaxe wird, ebenso wie beim Bonespreading,nicht für erforderlich gehalten. Die Ausnahmen bilden lokale oderallgemeinmedizinische Risikofaktoren, ein allgemeines Infektionsrisiko(z.B. Diabetes mellitus) bzw. hohe Folgerisiken einer intraoperativmöglichen Bakteriämie oder eine auftretende Infektion (z.B. Endokar-ditisrisiko). Sie erfordern immer eine begleitende antibiotische Prophy-laxe (s. Kapitel-Abschnitt „Begleitmedikation“).

Ein zu hoher Widerstand beim Inserieren des Implantates sollte ver-mieden werden. Es kann hierbei sowie beim zu kräftigen Kondensie-ren des Knochens zu einer zu starken Kompression des Knochensund der ihn versorgenden Blutgefäße kommen, was zu einer Kno-chennekrose und einem verstärktem lokalen Knochenabbau führenkann (Verborgt et al. 2000). Die Osseointegration des Implantates istdadurch gefährdet.

30 Modifikation des ortsständigen Knochens

Inserieren desImplantates

Nahtverschluss

Antibiotika-prophylaxe

!

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:06 Seite 30

Page 4: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

a) Aufbereitung der Implantatkavität bei Knochen mit geringer Kortikalis und umfang-reicher Spongiosa (Misch-Klassen D 3 und D 4), Vorbohrung und Aufbereitung durchKondensatoren

b) Nutzung der Kondensatoren bis zur geplanten Implantatgröße. Es erfolgt meist keine Endbohrung und kein Gewindeschneiden vor der Insertion, die Bonekonden-satoren sollten auf die Implantatform abgestimmt sein.

c) Aufbereitung der Implantatkavität bei Knochen mit umfangreicherer Kortikalis(Misch-Klassen D 1 und D 2), Pilotbohrung und anschließende Schwächung derKortikalis durch den nächstgrößeren Bohrer

d) Kondensation des spongiösen Knochens und Erweiterung der Kompakta durchImplantatbohrer

e) Der spongiöse Knochen wurde durch den Einsatz der Kondensatoren weiter ver-dichtet. Die Kortikalis, die sich aufgrund ihrer Struktur kaum verdichten lässt, wurderotierend abgetragen. Insertion des Implantates

a b

c d

Abb. 1.19a–eDas Prinzip der Knochenkondensationbesteht darin, mit konischen Instrumen-ten aufsteigenden Durchmessers dasImplantatbett zu schaffen und den Kno-chen um die Osteotome zu verdichten.

e

Kondensation des Kieferknochens/Bonecondensing 31

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:07 Seite 31

Page 5: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

Bei umfangreichen Eingriffen mit geplanter Kondensation ist es abzu-wägen, ob die Eingriffe in Intubationsnarkose stattfinden sollten. Post-operative Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schwindel sind abertrotzdem möglich.

Für ein Bonecondensing bei zusätzlich sehr schmalem Kiefer mussder Operateur entscheiden, ob ein Bonespreading bzw. ein anderesAugmentationsverfahren durchgeführt werden soll oder ob die Inser-tion ohne Augmentation möglich ist (Abb. 1.20).

Abb. 1.20a–fBonecondensing bei zusätzlich sehr schmalem KieferAbb. 1.20a–da) Ausgangssituationb) Knochenangebot in regio 14, 15c) Insertion der Kondensatoren nach Vorbohrung bis auf die Größe von 3,0 mmd) Weitere Aufbereitung der Implantatkavität durch Einsatz von Kondensatoren

a b

c d

Sowohl beim Bonespreading als auch beim Bonecondensing ist esnotwendig, den Patienten bereits im Vorfeld darauf hinzuweisen,dass die durchzuführenden Hammerschläge aufgrund der Knochen-leitung oft als unangenehm empfunden werden. Während des Ein-griffs sollten die Hammerschläge immer angekündigt werden. Trotzvorsichtigen Vorgehens kann der Patient nach dem Eingriff vorüber-gehend an Kopfschmerzen leiden.

32 Modifikation des ortsständigen Knochens

Intubations-narkose

!

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:07 Seite 32

Page 6: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

Abb. 1.20a–f (Fortsetzung)Abb. 1.20e–fe) Insertion der Implantatef) Nahtverschluss

Abb. 1.21a–cKnochenkondensation im Oberkieferseitenzahnbereich. Der Eingriff erfolgt in Sedie-rung.a) Nach der anfänglich rotierenden Aufbereitung des Implantatbettes wird in diesem

Fall lediglich eine Kondensation anstatt der letzten Bohrung zur Erhöhung derPrimärstabilität des Implantates vorgenommen.

b) Einbringen des Bonekondensators für das erste Implantatc) Aufbereitung der zweiten Implantatkavität nach der Implantatinsertion

Die Effektivität des Bonecondensing wird in der Literatur vielfach dis-kutiert. Die bisherigen Erfolge dieser Technik wurden vor allem in klini-schen Studien beschrieben (Meier et al. 1999, Hororwitz 1997). Ver-schiedene Studien haben sich mit den langfristigen Auswirkungen desBonecondensing z.B. auf die Knochen-Implantat-Kontaktrate be-schäftigt.

a b c

e f

Kondensation des Kieferknochens/Bonecondensing 33

Boneconden-sing in der Literatur

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:07 Seite 33

Page 7: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

In experimentellen Studien an Ratten konnten bei nach Knochenkon-densation eingebrachten Implantaten in den ersten Wochen eine Ver-besserung der Knochenqualität, eine Erhöhung der Knochenanlage-rungsfläche und eine Verbesserung in der Einheilphase gegenüberkonventionell eingebrachten Implantaten erzielt werden (Nkenke et al.2002b). Auch beim internen Sinuslift zeigte sich nach Kondensationeine erhöhte Dichte des periimplantären Knochens (Yildirim et al.1998).

Theoretische und experimentelle Studien fanden heraus, dass es sehrschwierig ist, nach Verlust einer signifikanten Anzahl von Trabekeln dieursprünglichen Eigenschaften des Knochens zurückzugewinnen (Guou. Kim 2002). Eine andere Studie an Göttinger Minischweinen unter-suchte den zeitlichen Verlauf der Stabilität der nach Kondensationinserierten Implantate (Büchter et al. 2004). Hier zeigte sich, dass diemaximale Ausdrehkraft für die konventionell inserierten Implantatesignifikant höher war als bei denjenigen Implantaten, die mit Konden-sation eingebracht wurden. Histologisch war die Implantat-Knochen-Kontaktrate bei den mit Kondensation eingebrachten Implantaten inden ersten 7 Tagen geringer, jedoch nicht statistisch signifikant. Zwi-schen dem 7. und 28. Tag hatten die herkömmlich inserierten Implan-tate eine signifikant höhere Implantat-Kontaktrate als die mit Konden-sation eingebrachten Implantate.

Die Erklärung für die periimplantäre Anordnung des Knochenserscheint kompliziert. Die Kompression des trabekulären Knochensverlegt und verengt Markräume. Zwar nimmt die Dichte des periim-plantären Knochens zu, jedoch wird auch die Blutversorgung durchKompression gestört. Ein Großteil der Zellen kann nicht vital erhaltenwerden und es kommt zu Mikrofrakturen im trabekulären Knochen.Demgegenüber werden durch die Fragmentierung der Trabekel ossäreRegenerationsprozesse der Knochenmatrix in Gang gesetzt, die mitZytokinen mitogen oder morphogen den Heilprozess und die Osseoin-tegration des Implantates begünstigen.

Das Implantatlager geometrisch exakt aufzubereiten wird durch Ver-kantung der Osteotome und somit Aufweitung des Lagers schwierig.Die dadurch möglicherweise auftretenden Passungenauigkeiten zwi-

34 Modifikation des ortsständigen Knochens

Erhöhte Dichtedes periimplan-tären Knochens

nach Konden-sation

ExperimentelleStudien

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:07 Seite 34

Page 8: Kondensation des Kiefer- knochens/Bonecondensing · bei der Nutzung der Osteotome keine der Größen zu überspringen, um eine Überlastung des Knochens zu vermeiden. Das Implantat

schen Implantat und Lager können die Osseointegration nachteiligbeeinflussen. Aus diesem Grunde müssen die Osteotome der Implan-tatform entsprechen, wie bereits im oberen Teil angeführt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Effektivität derKnochenkondensation zur mechanischen Verdichtung des Knochen-lagers während der Operation führt (Nkenke et al. 2002b). Eine primär-stabile Insertion der Implantate wird durch die implantatnahe Verdich-tungszone des Knochens gefördert. Im ersatzschwachen Lager kanndurch diese Technik eine Implantation erst möglich werden.

Der Kondensationseffekt im Knochen ist jedoch nur temporär undscheint nicht die Langzeitstabilität des Implantates zu verbessern.

Da das Bonecondensing meist in Knochen der Klasse D 3 oder D 4(nach Misch) durchgeführt wird und die initialen Umbauvorgängedes Knochens nach Kondensation schwer abzuschätzen sind, solltein diesen Fällen von einer Früh- oder Sofortbelastung abgesehenwerden.

Kondensation des Kieferknochens/Bonecondensing 35

Temporäre Ver-dichtung desperiimplantärenKnochenlagers

TemporärerKondensations-effekt

!

009-074_1Modifikation.qxp 19.03.2008 11:07 Seite 35