Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit

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Sonderdruck aus Peter-AndrØ Alt / Volkhard Wels (Hg.) Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit Mit 22 Abbildungen V&R unipress ISBN 978-3-89971-635-1

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Sonderdruck aus

Peter-Andr� Alt / Volkhard Wels (Hg.)

Konzepte des Hermetismusin der Literatur der Frühen Neuzeit

Mit 22 Abbildungen

V&R unipress

ISBN 978-3-89971-635-1

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Inhalt

Peter-Andr¤ Alt und Volkhard WelsEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Esteban LawDie hermetische Tradition. Wissensgenealogien in der alchemischenLiteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Carlos GillyVom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus. Wandlungen desHermetismus in der paracelsistischen und rosenkreuzerischen Literatur . 71

Ralph HäfnerSpuren des Hermetismus in Jean Bodins Colloquium heptaplomeres . . . 133

Volkhard WelsPoetischer Hermetismus. Michael Maiers Atalanta fugiens (1617/18) . . . 149

Rosmarie ZellerHermetisches Sprechen in alchemischen Texten. Die Jäger-Lust vonThomas Rappolt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Anne EusterschulteHermetische Spiele der Natur und der ludische Charakter des Wissens . 213

Joachim TelleJohn Dee in Prag. Spuren eines elisabethanischen Magus in derdeutschen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

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Kristine HannakPymander als inneres Wort. Sebastian Francks Übersetzung des CorpusHermeticum in der Tradition mittelalterlicher Logosmystik . . . . . . . . 297

Dietmar TillHermetische Texturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Peter-Andr¤ AltDas Imaginäre und der Logos. Hermetische Grundlagenfrühneuzeitlicher Poetiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Philipp TheisohnAmor complacentiae. Zur wissenschaftlichen und literarischenSäkularisierung der hermetischen Liebeskonzeption um 1700 . . . . . . 373

Hans-Georg KemperHermetisch-poetischer Liebes-Zauber. Von der mystischen»Jeßus-wollust« zur ›Passion‹ der Liebesehe . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

Inhalt6

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Carlos Gilly

Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus.Wandlungen des Hermetismus in der paracelsistischen undrosenkreuzerischen Literatur

1. Hermes – Paracelsus – Rosenkreutz

Während der Name Hermes Trismegistus in den Manifesten der Rosenkreuzer,Fama und Confessio Fraternitatis R.C. , überhaupt nicht vorkommt, erscheint erin der Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreütz. Anno 1459 zwar nur eineinziges Mal, dafür aber an ganz prominenter Stelle. Er steht ganz oben auf derTafel mit der lateinischen Inschrift, die zu Beginn des 4. Tages von einem Löwenbei dem Brunnen gehalten wird, an dem sich Rosenkreutz und die anderenProbanden zu waschen und anschließend daraus zu trinken hatten:

Hermes Princeps. Post tot illata generi hvmano damna, Dei consilio: artisqve admi-nicvlo, Medicina salvbris factvs heic flvo. Bibat ex me qui potest : lauet, qui vult: turbetqui audet: Bibite Fratres et vivite. (Hermes der Fürst: Nach so viel dem menschlichenGeschlecht zugefügten Schaden, durch göttlichen Ratschluß und mit Hilfe der Kunstbin ich zur heilsamen Arznei geworden und fließe aus diesen Brunnen: Trinke aus mir,wer kann; wasche sich, wer mag; trübe mich, wer es wagt. Trinket, Brüder, und lebet).1

Dann folgt ein einzeiliges Kryptogramm in Schriftholzschnitt mit der kodiertenJahreszahl 1378, d. h. das in der Confessio Fraternitatis angegebene Geburtsjahrvon Christian Rosencreutz.2

1 [Johann Valentin Andreae]: Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreütz. Anno 1459.Straßburg 1616, S. 74.

2 Nach vielen vergeblichen Versuchen (z. B. des Paracelsisten Carl Widemann, um 1620, vgl.Hannover NLB, Ms. IV 431, S. 713) gelang erst 1926 die endgültige Entzifferung des Kryp-togramms, vgl. Richard Kienast: Johann Valentin Andreae und die vier echten Rosenkreutzer-Schriften (Palaestra 152). Leipzig 1926, S. 68.

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Damit wird durch die Inschrift ein Vergleich gezogen, Rosenkreutz tritt an Stelledes Hermes in ähnlicher Weise, wie Paracelsus Jahrzehnte nach seinem Tod zumdeutschen Hermes und Trismegistus Germanus gemacht wurde.

Letzteres wird bei der Beschreibung der Inschriften an dem Kessel zur Er-wärmung des Phönix-Eis während des 6. Tages der Chymischen Hochzeit be-stätigt durch ein zweites, ebenfalls in Schriftholzschnitt gedrucktes Krypto-gramm

mit der kodierten Jahreszahl der Hochzeit selbst (1459) und dem verstecktenAkronym des »Paracelsus Hohenheimensis medicinae doctor« (P#Md).3

Diese Art von »traditio lampadis« oder Fackelübergabe über die Jahrhun-derte hinweg wurde von Christoph Hirsch, einem Vertrauten des Johann Arndt,in seiner Antwortschrift an die Rosenkreuzer Bruderschaft Pegasus Firmamentivon 1618 einigermaßen offizialisiert, indem er die drei für ihn hervorragendstenInterpreten der Natur wie folgt auserkor :

Der erste sei der Ägypter Hermes Trismegistus, Vater der Philosophen ge-nannt, der wegen seiner wunderbaren Naturkenntnisse und der Größe seinerWeisheit in seiner Heimat als der dreimal Größte (Ter Maximus) galt und indessen königlicher Schule der junge Moses alles von ihm lernte.4 Der zweiterechte Interpret der Natur war der Deutsche Theophrastus Paracelsus, »derobwohl kein Mitglied Eurer Fraternität R.C. geworden ist«, dennoch sowohl inseinem Wappen wie auch in seinen Schriften sehr präzise Weissagungen von der

3 Ebenda, S. 90. Bei dem von Kienast nicht aufgelösten Schlußsymbol handelt es sich wohl umeine Kombination von den magischen Charakteren der zweier Planetenregenten (›Och‹ für dieSonne und ›Hagith‹ für Venus), die laut dem Buch Arbatel für die Verwandlung von Metallenin Gold zuständig waren, vgl. Arbatel De Magia vetervm. Summum Sapientiae Studium. Basel:[P. Perna] 1575, S. 24, 28 – 30. Während Christian Rosenkreuz unter dem Präsidium von Och(von 921 bis 1410) das Licht der Welt erblickt haben soll, ist Paracelsus während der Re-genzjahre von Hagith (von 1411 bis 1900) geboren worden. Die Zeitangaben nach der Re-gentenzeiten des Arbatel war eine beliebte Datierungsart bei Paracelsisten, so bei BenedictusFigulus: Thesaurinella Olympica aurea tripartita. Straßburg: Anno TrIsMegIstI RegIs etDoCtorIs GratIae nobIs natI [1608], S. 9: »Hagenaw, den 3. Octobris, anno reparatae salutis(I).I) CVII (1607) sub regimine vero Gubernatoris Olympici, Angeli Hagith, anno centesimoXCII etc.«.

4 Josephus Stellatus [Christoph Hirsch]: Pegasus Firmamenti. Sive Introdvctio brevis in Ve-terum Sapientiam, quae olim ab Aegyptiis et Persis Magia, hodie vero […] Pansophia rectevocatur. o.O. 1618, S. B8v. Vgl. Lynn Thorndike: History of Magic and Experimental Science,vol. VII. New York 1958, S. 167.

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Bruderschaft hinterlassen habe. Das Wappen zeigt acht Kreuze mit Rosen, wo-durch stillschweigend »die acht ersten Mitglieder Eures Collegii oder GebäuSancti Spiritus gemeint zu sein scheinen«.5 Als dritter »genuinus Naturae Libriinterpres« kommt eigentlich nur »Euer Vater« [Christian Rosenkreuz] (imDruck steht irrtümlich »Basilius Valentinus«), auch deutscher Abstammung, inFrage, der nach erfolgreichen Reisen in Arabien und Spanien die in die Heimatmitgebrachten Schätze der orientalischen Weisheit freigiebig mitgeteilt hat, undzwar zunächst seinen ersten vier Mitbrüdern, für die er ein Collegium gründete,wie in der Fama zu lesen steht. Es sei nur zu wünschen, so Hirsch in seinemPegasus, dass alle Schriften von diesem Höchsten unter den Philosophen bald imDruck erscheinen mögen.6 Das Buch schließt mit der Aufforderung des HermesTrismegistus an seinen Sohn Tat: »Pius esto, o fili, qui vere pius est, summephilosophatur«7 und dem Spruch am Schluss der Chymischen Hochzeit:»Summa scientia, nihil scire«.

Auf diese vermeintliche Ahnenreihe und die folgerichtige Abhängigkeit derParacelsisten und Rosenkreuzer von den Schriften, die unter dem Namen desHermes Trismegistus liefen, haben sowohl ihre jeweiligen Befürworter wie be-sonders auch ihre Gegner oft hingewiesen. Allen zuvor tat dies schon 1615 derschärfste Kritiker von beiden Bewegungen, Andreas Libavius, in seinem ExamenPhilosophiae Novae, quae Veteri abrogandae opponitur, das in eine rabiate Ge-neralabrechnung mit sämtlichen Erscheinungen des Hermetismus – außer derreinen Alchimia transmutatoria – ausartete. Laut Libavius wandten Rosenkreuzund Paracelsus die gleichen Principia oder vielmehr »deliramenta« an wie jener»impius et ethnicus« Magier Hermes Trismegistus, den Libavius kurzerhandzum Begründer der von ihm bekämpften mystischen Alchemie erklärte (»abHermete quidem autore et parente Alchymiae mysticae«) und dessen Poeman-der und Asclepius vor Irrtümern, Gotteslästerungen und Dummheiten nur sostrotzten (»in primis Hermetici Dialogi sunt errorum pleni«; »ex tot impietati-

5 Ebenda, S. B8v-C2r.6 Ebenda, S. C2r-C2v: »Utinam hujus summi philosophi tota Cyclopaedia typis evulgata ex-

taret«. Die Verwechslung des Christan Rosenkreutz mit Basilius Valentinus ist übrigensdemselben Hirsch in einem 1641 entstandenen Werk noch einmal unterlaufen: »Neben die-sem befordern und dienen/ das Liecht der Natur wahrhafftig zu erkennen/ die göttlicheSchrifften des Hermetis, Paracelsi und Basilii fast sehr/ wann sie öffters mit Verstand gelesenwerden«, vgl. [Pseudo-] Abraham von Franckenberg [Christoph Hirsch]: Gemma Magica oderMagisches Edelgestein/ Das ist/ Eine kurtze Erklärung des Buchs der Natur. Amsterdam 1688,S. A3r.

7 Hirsch zitiert das Corpus Hermeticum nach der Ausgabe von Francesco Patrizi am Schluß vondessen Nova de universis philosophia. Ferrara 1591 (Hermetis Trismegisti Libelli integri XX),S. 4. Patrizi hatte bekanntlich seine Ausgabe des CH mit dem Fragment II B des Stobäus (Depietate et philosophia liber I) eröffnet, wo sich das Zitat befindet. Dieses und andere Frag-mente sind auch ins Deutsche übersetzt worden, vgl. Abraham von Frankenberg: Via VeterumSapientium. Das ist: Der Weg der Alten Weisen. Amsterdam 1675, S. 241 – 250.

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bus et stultitiis Pimandri et Asclepii«; »Theologemata stulta in Pimandro etAsclepio«):8 »Repetunt Paracelsistae suam sapientiam ex Aegypto, vbi ter ma-ximus Hermes fuit in flore; repetunt [fratres de Rosea Cruce] ex Arabia etMauretania, ubi Magi Saraceni Mahometicolae.«9

Und in seiner darauf folgenden Exercitatio paracelsica sowie in seinemWolmeinendes Bedencken von der Fama Fraternitatis warf Libavius den Rosen-kreuzern sowohl auf Lateinisch wie auf Deutsch vor, ihre vermeintlich neuePhilosophie bloß aus den Schriften von Paracelsus und Hermes entliehen zuhaben:

Negatis vestram Philosophiam esse novam? At repudiatis Academicam. Quae ergo etqualis est? Nimirum ea, quam pater vester [Rosenkreuz] a magis didicit, et Paracelsusfundamentaliter complexus perhibetur. At Paracelsus se sequi iubet Monarchamomnes veteres et nouos. Si Paracelsica est, noua est. Nisi fallimur, erit Hermetis Tri-smegisti. Si hoc, non noua quidem, verum non sine multis absurdis […].10

Wer den Grund dieses Ruhms verstehen wil/ hat den nächsten Weg darzu/ daß er mitPimandro vnd Asclepio Hermetis Trismegisti: Item Philosophia Sagace Paracelsi/ vnndPrefation deß Crollij in seiner Basilica lese, da wird er finden/ wie der Microcosmus solauß dem Macrocosmo gezogen seyn […] Da habt jhr das Centrum, radios, periphe-riam, vnd Mittelspacia alle beysamen. Da liegt Theologia, Medicina, Physica, Astro-nomia, etc. doch ist von Juristischer Materi wenig darbey […].11

8 Andreas Libavius: Examen Philosophiae novae, quae Veteri abrogandae opponitur, Frank-furt 1615, S. 6, 12, 94. Zu Libavius’ zwiespältigem Verhältnis zur hermetischen Tradition vgl.Carlos Gilly : La ›quinta colonna‹ nell’ermetismo / The ›fifth column‹ within Hermetism:Andreas Libavius, in: Magia, alchimia, scienza dal ’400 al ’700. L’influsso di Ermete Tris-megisto / Magic, Alchemy and Science 15th-18th centuries. The influence of Hermes Tri-smegistus. Hrsg. von C. Gilly & Cis van Heertum. Florence 2004, S. 399 – 415; zum Kontrastvgl. die allzu positive Bewertung des merkwürdigen Hermetismus ohne Hermes des Libaviusdurch Bruce T. Moran: Andreas Libavius and the Transformation of Alchemy. SeparatingChemical Culture with Polemical Fire. Sagamore Beach 2007, S. 155 ff. , 231 ff. und passim;vgl. auch die viel nüchternere Darstellung des Libavius durch Wilhelm Kühlmann: Para-celsismus und Hermetismus. Doxographische und soziale Positionen alternativer Wissen-schaft in postreformatorischen Deutschland. In: Antike Weisheit und kulturelle Praxis.Hermetismus in der frühen Neuzeit, hrsg. von Anne-Charlot Trepp u. Hartmut Lehmann.Göttingen 2001, S. 17 – 39 (bes. 34 – 39).

9 Libavius: Examen Philosophiae novae (wie Anm. 8), S. 254.10 Libavius: Exercitatio Paracelsica nova de notandis ex scripto Fraternitatis de Rosea Cruce. In

ders.: Examen Philosophiae novae (wie Anm. 9), S. 262 – 306 (zit. 278).11 Andreas Libavius: Wolmeinendes Bedencken/ Von der Fama vnd Confession der Brüder-

schafft deß RosenCreutzes. Frankfurt 1616, S. 159 f. Libavius zielt hier auf die Definition derPhilosophie der Rosenkreuzer im 2. Kapitel der Confessio Fraternitatis: »Wir haben keineandere Philosophie als die, welche ist Haupt und Summe aller Fakultäten, Wissenschaftenund Künste, welche, wenn wir auf unser Jahrhundert sehen, viel von der Theologie undMedizin, wenig aber von der Jurisprudenz begreift« (»Theologiae ac Medicinae plurimum,Jurisprudentiae minimum habeat«).

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Aber auch die Vertreter der lutherischen Orthodoxie, wie etwa der Senior desGeistlichen Ministeriums in Hamburg, Johannes Schellhammer, in seiner Wi-derlegung der Predigten Valentin Weigels von 1621, verfehlten es nicht, mitkräftigen Farben eine direkte genealogische Linie von Hermes bis auf Paracelsusund die Rosenkreuzer zu ziehen:

Von Hermete Mercurio Trismegisto vnd vielen anderen Zauberern so im Papsthumb,sonderlich vnter den Minoriten gewesen, hat Paracelsus seine Kunst vnd Theologiam,vnd Weigelius von jhnen allen gelernet/ von denen sind auch entsprossen die obge-dachten hocherleuchteten (mit verlaub zu reden) fratres Rosae C[rucis]. Der HermesTrismegistus, ihr aller Praeceptor vnd Meister/ ist gewesen ein Famosus Magus, einberuffener Zauberer in Egypten/ nach Mosis Zeiten […].12

Und ähnlich verfuhr noch 1690 der wohl bekannteste Widersacher des ganzenHermetismus, der Greifswalder Theologe Ehregott Daniel Colberg, als er dieAhnenreihe von Hirsch einfach übernahm und noch hinzu fügte:

Da berühmen sich nun die heutigen Fanatici, daß sie ihre Wissenschafft vom Hermeteher haben. Vom Paracelso und den Rosenkreutzern bezeuget es Stellatus [Hirsch], inbemeldtem Buch, c. 1 [S. A6r]: »Seqvuntur autem Paracelsistae genuini HermetemTrismegistum, Philosophorum parentem, in Alchymia potissimum, quibus mirabiliDei consilio accedunt hodie venerandi Fratres R.C. Pansophiae perfectum circulumdignis offerentes«. Daß auch vornehme Medici den Paracelsum Mysteriarcham etMusarum Mechanicorum Trismegistum Germanicum nennen/ bekräfftiget Fraerise-nius, l. cit.13

Es fehlte aber auch nicht an neutralen Autoren, welche die enge Verwandtschaftzwischen Hermetismus einerseits und Paracelsismus und Rosenkreuzertumanderseits durchaus anerkannten, doch den Abhängigkeitsgrad stark herab-stuften bis hin zu einer gemeinsamen Geschmacksrichtung oder zu einer

12 Johann Schellhammer: Widerlegung der vermeynten Postill Valentini Weigelij : Jn welcherder Satan/ in diesem letzten Seculo, seine Hellische Gifft und Grundsuppe aller Lesterungund Lügen/ wider Christum/ sein Wort/ Sacramenta/ und Diener/ gar stoltz/ frech undubermütig außgeschüttet hat. Hamburg, Leipzig 1621, S. 12. Laut Schellhammer habe WeigelHermes und Paracelsus gleichermassen in den Stand von Propheten und Evangelisten ge-hoben: »Diesen Heydnischen Mercurium oder Hermetem allegiret vnd zeucht Weigel offt anals einen authenticum Autorem, bewährten Propheten vnd Apostel Gottes […] Gleichergestalt/ zeucht Weigel offt an als einen grossen Evangelisten vnd hohen Apostel/ beklaget sichsehr/ daß seine Theologische Bücher vnd Scripta nicht müssen gedrücket werden […]«.Ebenda, S. 14.

13 Ehregott Daniel Colberg: Das Platonisch-Hermetisches Christenthum, Begreiffend DieHistorische Erzehlung vom Ursprung und vielerley Secten der heutigen FanatischenTheologie, unterm Namen der Paracelsisten, Weigelianer, Rosencreutzer, Quäcker, Böh-misten, Wiedertäuffer, Bourignisten, Labadisten, und Quietisten, Frankfurt und Leipzig,1690 – 1691, Teil 1, S. 90. Zum Hinweis auf »Fraerisenius« vgl. Isaac Froereisen: Anatomiasive Exenteratio Draconis Fanatici. Straßburg 1623, p. A4r, wo allerdings »TrismegistumGermanum« steht.

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symbolischen Gemeinschaft hervorragender Geister. Ersteres tat 1737 derHelmstedter Orientalist Hermann van der Hardt in einer seiner sieben Gruß-adressen zur Inauguration der Göttinger Universität, die dem Mythos desHermes Trismegistus und der Auslegung des Poemander gewidmet war :

Apud Theophrastum Paracelsum, Rosae crucis fratres, chimicos et mysticos, magnumpretium nominis Hermetis Trismegisti, qui venditatur dux et autor profundae arcan-aeque doctrinae theosophicae et pneumaticae; quod illorum gustui dandum.14

Johann Ludwig Hannemann seinerseits gab 1694 seinem Kommentar über na-türliches und künstliches Gold den Titel Ovum Hermetico-Paracelsico-Tris-megistum aber lediglich, wie er selber erklärte, zu Ehren der zwei hervorra-gendsten Figuren aus der Geschichte der Chemie, nämlich des Hermes ausÄgypten (»Vater der Alchemiker und Oberkünstler der Goldverwandlung«) unddes Schweizers Theophrastus Paracelsus, der in Deutschland als der wiederlebendig gewordene Hermes und Oberhaupt der alchemischen Geheimnissegalt:

Inscribitur autem opus Hermetico-Paracelsico-Trismegisticum. Sicque huic nostroTractatui duorum Magnorum Virorum nominibus autoritatem aliquam conciliarevoluimus. Primo dicitur Hermeticum ab Hermete olim Aegyptio Sacerdote, qui om-nium Chemicorum salutatur Pater et Chrysopeae Artifex primarius, qui et Mosi diciturfuisse coetaneus. Secundo dicitur Paracelsicum, quo respicimus Theophrastum Pa-racelsum Helvetum, qui in Germania nostra fuit redivivus Hermes ac omnium mys-teriorum Chymicorum Monarcha.15

2. Die Wandlung Hohenheims zum Mercurius Redivivus,Hermes Secundus und Trismegistus Germanus

Hermes redivivus, Trismegistus Germanus … Wie kam der Hohenheimer zudiesem Namen? Dass Paracelsus, bar aller Bescheidenheit, wie er nun einmalwar, sich selbst zum »Monarcha Medicorum« emporhob, ist aus seinen Schriftenbekannt, besonders aus dem Buch Paragranum von 1529 – 1530, in dem er seinstolzes »Mir nach und nicht euch nach« und sein provokatives »Mein wird dieMonarchei sein« verkündigte. Und wenn er im gleichen Buch an dem Beinamen»Lutherus medicorum« Anstoß nahm, geschah dies nur deshalb, weil ihm dieservon seinen Gegnern verliehene Titel zu gering erschien. Ob er sich mit dem

14 Hermann von der Hardt: Antiqvitatis Fulgor : Mercvrii Trismegisti Aegyptii Poemander,svbtilis et nitidvs Orientis mythvs de mente et conscientia, Academiae Regiae GeorgiaeAvgvstae qvae Gottingae est […] prospero avgvrio nvncvpatvs. Helmstedt 1737, S. 2.

15 Johann Ludwig Hannemann: Ovum Hermetico-Paracelsico-Trismegistum. Frankfurt 1694,S. D5r-v.

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Beinamen »Hermes secundus« oder »Trismegistus Germanus« anfreundenkonnte, ist aus den wenigen Erwähnungen des Hermes in den echten paracel-sischen Schriften nicht erkennbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er, wieim Falle des Vergleichs mit Luther, zur Antwort gegeben: »Meint ir, ich sei alleinLutherus?« »Ich bin Theophrastus und mehr als die, den ir mich vergleichent.Ich bin derselbig und bin monarcha medicorum darzu«.16

Auf den Titelseiten seiner zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften trat Para-celsus allerdings viel bescheidener auf. So in der Basler Vorlesungsankündigungvon 1527, wo er sich als »Vtriusque Medicinae Doctor ac Professor, MedicaeArtis Studiosus« bezeichnete oder in den Syphilis-Schriften von 1529 – 1530, indenen das Adjektiv »Hochgelerter« verwendet wird. Auf den Titelblättern derGrosse Wund-Artzney von 1536 erfährt der Beiname eine Steigerung als »deshochberümptesten vnd weiterfarnesten« bzw. »des Ergründeten vnd bewerten,bayder Artzney Doctors Paracelsi«, und in der astrologischen Prognosticationdes gleichen Jahres wird Paracelsus noch einmal als »hochgelehrter« bezeichnet,was in der lateinischen Übersetzung in »per eximium dominum ac DoctoremParacelsum« umgewandelt wurde.17 Man ist von den hochtrabenden Benen-nungen wie »magnum Monarcham, ter maximum, instauratorem Philosophiaeet Medicinae« noch weit entfernt, die spätere Gegner als übertrieben und ab-wegig denunzierten.18

Die Lage änderte sich aber bald, als in den 1560er Jahren die Flut von Para-celsuspublikationen einsetzte, die man seit Thorndike als »the Paracelsan re-vival« zu bezeichnen pflegt. Schon 1562 und 1563 bezeichnet Adam von Bo-denstein Paracelsus in zwei lateinischen Ausgaben als »Medicorum et Philo-sophorum facile Princeps«, »Monarchen der gewissen gegründten Medicin« und»Medicorum et Philosophorum Summus«, während für den anonymen Her-ausgeber der Philosophia ad Athenienses von 1564 »mag der fürst Theophrastusein wegweiser aller Philosophia genant werden/ vnd ein anzeiger der Philoso-phischen wahrheit/ mit gantzem natürlichen grundt/ dann er allein die bewe-

16 Entwürfe und erste Ausarbeitung der Vorrede zu den ersten zwei Büchern des Paragranum(1529–1530) in Paracelsus: Sämtliche Werke I. Abteilung. Medizinische, naturwissenschaft-liche und philosophische Schriften. Hrsg. von Karl Sudhoff. München, Berlin 1922–1929, Bd.VIII, S. 43, 63. Zu den seltenen Erwähnungen des Hermes in den echten Schriften des Para-celsus vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I. Der Frühparacelsismus. Erster Teil. Hrsg. von WilhelmKühlmann und Joachim Telle. Tübingen 2001, S. 172; Walther Pagel und Marianne Winder :Paracelsus, Traditionalism and Mediaeval Sources. In: Medicine, Science, Culture: HistoricalEssays in Honor of Owsei Temkin. Baltimore 1968, S. 51 – 75.

17 Karl Sudhoff: Versuch einer Kritik der Echtheit der Paracelsischen Schriften, I. Teil:Bibliographia Paracelsica. Besprechung der unter Theophrast von Hohenheim’s Namen1527–1893 erschienenen Druckschriften. Berlin 1894, S. 3–39. Zu der Reputation von Para-celsus aufgrund solcher Titel vgl. Charles Webster: Paracelsus – Medicine, Magic and Missionat the End of Time. New Haven, London 2008, S. 62 f.

18 So z. B. Andreas Libavius: Singularium Pars Prima. Frankfurt 1599, S. 293.

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rung setzt zu der warheit gnugsam zu sein«.19 Ein weiterer Paracelsist namensLambert Wacker war der Ansicht, dass Paracelsus nicht nur »ein monarcha etprinceps medicorum« gewesen, sondern darüber hinaus auch ein »König unterden Theologen« und ein »Haupt der Jurisprudenz«: »ich dorfte auch woll sagen:theologorum rex et iurisconsultorum caput, also hat er gar in allem dem zielnahener geschossen denn bisher keiner«.20

In der zu Krakau 1569 erschienenen Ausgabe der Archidoxa in lateinischerSprache wird der Hohenheimer zum ersten Mal auf einem Titelblatt »ParacelsusMagnus« genannt und am Anfang eines jeden der zehn Archidoxenbücher stehtdie Überschrift »ex Theophrastia Paracelsi Magni liber […]«,21 doch schonsieben Jahre früher war dieser Beiname, der an Albertus Magnus erinnerte, inzwei wirkungsmächtigen Lobbriefen von zwei bis heute nicht identifiziertenPseudonymen, Valentius de Retiis und Valentius Antrapassus Sileranus, fürParacelsus geprägt worden. Im ersten hatte de Retiis in einem rätselhaften Satzerklärt, wie Theophrastus Bombast de Hohenheim zu dem Beiname »ParacelsusMagnus« gekommen war (»A Stoicis Paracelsus magnus vocatus«), ohne näherzu erläutern, wer mit den »Stoicis«, bzw. »Atheniensibus« gemeint sein könnte.22

Antrapassus seinerseits war voll des Lobes für »die Lateinischen Bücher deßteüren großen Philosoph und Medici Theophrasti inn der artzney vnd in derPhilosophey«, welche sich »als gründtlicher und gewarsamlicher« erwiesenhätten, als diejenigen der »Arabischen vnnd Chaldeischen Doctores/ auch derGriechischen«. Deshalb, so Antrapassus nicht minder rätselhaft über den Ruhmvon Paracelsus, hätten ihn »die Athenischen« »für ein destructorem allerjrrungen« gehalten, »die Hebreischen den andern Rabbi Moysen« genannt undschließlich die Pessularischen (d. h. die medizinische Schule in Montpellier) zum»deutschen Hyppocratem, vnd newen Aeskulapium« auserkoren.23 Von HermesTrismegistus ist noch keine Rede.

Der wohl erste ausdrückliche Vergleich von Paracelsus mit Hermes Trisme-gistus steht in einem Gedicht, das Hans Kilian, Bibliothekar und Verwalter der

19 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 70, 81, 101 f.; vgl. auch CorpusParacelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 211, 268, 275, 305. Paracelsus: Philosophiae ad Athe-nienses drey Bücher. Köln 1564, S. A2v (ed. Huser, Bd. VIII, S. 1; ed. Sudhoff, Bd. XIII, S. 389).

20 Paracelsus: Sämtliche Werke. Theologische und religionsphilosophische Schriften, bearbeitetvon Kurt Goldammer. Supplement: Religiöse und sozialphilosophische Schriften in Kurzfas-sungen, Wiesbaden 1973, S. 170–171; Vgl. auch Carlos Gilly : »Theophrastia Sancta«. DerParacelsismus als Religion im Streit mit den offiziellen Kirchen. In: Analecta Paracelsica.Studien zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im deutschen Kulturgebiet der frühenNeuzeit. Hrsg. von Joachim Telle. Stuttgart 1994, S. 425 – 488 (488 f.); Webster: Paracelsus(wie Anm. 17), S. 62.

21 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 170–172, 189.22 Zu Valentius de Retiis vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 585–599.23 Zu Valentius Antrapassus Sileranus vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16),

S. 600–620.

Carlos Gilly78

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»theophrastischen Bücher« am Hof des pfälzischen Kurfürsten Ottheinrich inNeuburg/Donau, 1562 für den Paracelsisten Georg Fedro verfasste. Hier wird derhervorragende Arzt Paracelsus auch als hervorragender Chemiker und Magiergefeiert, der gleich dem König und Philosophen Mercurius/Hermes Trismegis-tus und dem König Salomon den Gipfel in den alchemischen, aber auch in denmagischen Künsten erklommen hat:

Wie dann die warhafft erkanntnusMedicinae, Theophrastus,

Von Hohenheim Philips genandtDen jhm gleich begnadten bekandt/

In teütscher Nation landeBewissen hat mancher hande.

Die ander gnad ist dermassenWas die Medicin verlassen/

Bringt in höhere grad subtil

Chemia, wie vns erweist vilMercurius Trismegistus

Ein Künig vnd Philosophus.Wer dann noch höher will schleichen

Vnd etwas merers erreichen /Was die baid nit mögen geben /

Das vndernimbt sich/ merckt eben /Magia, aller künsten kron /

Wie vns zeügt der weiß Salomon.24

Dem Bibliothekar Kilian folgte fünf Jahre später Balthasar Flöter aus Sagan inSchlesien mit einem weiteren Vergleich Hohenheims mit Hermes, wiederum ineinem (diesmal lateinischen) Gedicht, das er jeweils zu Eröffnung von zwei vonihm 1567 in Frankfurt herausgegebenen Schriftensammlungen des Paracelsus,Medici libelli und Astronomica et Astrologica, gleich zwei Mal abdruckte alsAuslegung und Beschreibung eines dort abgedruckten Paracelsus-Porträts:

In Theo. Paracelsi Icona, Carmen: Auf das Bildnis des TheophrastusParacelsus:

Corpore talis erat Theophrastus, is alter Apollo:Haud feret Apelles, pectore qualis erat.Ipse Lepram; Phthisin, Podagram, Hydropem, abtulit :Ceu Hermes, Dium fundere nouit Azoth:Doctor Doctorum doctissimus, arte medendi,Qualibet ac Sophia, quam Philotechne colis.25

Ein zweiter Apollo war dieserTheophrastus dem Körper nach,doch den Geist in seinemInneren hätte nicht einmal dergroße Maler Apelles darstellenkönnen. Lepra, Schwind- undWassersucht hat er geheilt undwie Hermes verstand er es auch,den göttlichen Azothhervorzubringen. Unter allenDoktoren war er der gelehrtesteDoktor und dies sowohl in derMedizin wie auch in jeglicherWissenschaft, die Du, oLiebhaber der Künste, betreibst.

24 Joachim Telle: Paracelsus im Gedicht. Theophrastus von Hohenheim in der Poesie des 16. bis21. Jahrhunderts, Hürtgenwald 2008, S. 19 – 20, 232; vgl, auch Corpus Paracelsisticum Bd. II.Der frühe Paracelsismus. Hrsg. von Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle. Tübingen 2004,S. 529 ff., 545 ff.

25 Telle: Paracelsus im Gedicht (wie Anm. 24), S. 23 – 26, 235 – 237. Dort auch eine Aufzählung

Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus 79

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Eine weitere und viel wichtigere Zusammenführung von Hermes und Paracelsusist dem unbekannten Paracelsisten zu verdanken, der um das Jahr 1568 zweiwirkungsträchtige Pseudo-Paracelsica verfasst hat. Es handelt sich dabei um denvon Toxites 1570 in Straßburg edierten Liber de Tinctura Physicorum und um dieerst 1603 gedruckte Apocalypsis Hermetis, die aber bereits in De Tinctura aus-drücklich als Werk desselben Verfassers erwähnt wird (»als ich in ApocalypsiHermetis anzeygt hab«).26 Schon im Titel der erstgenannten Schrift wird Para-celsus, außer als Philosoph, Monarch und spagyrischer Fürst, auch als großerAstrologe und Paradoxer Arzt gelobt und dann als der Trismegistus der gehei-men mechanischen Künste vorgestellt, der gegen alle Sophisten seit der Sintflutzu Felde gezogen ist. Der Titel lautet in dem Straßburger Erstdruck:

Philippi Theophrasti Bombast, ab Hohenheim, Philosophi, Monarchae, SpagyriPrincipis, Astronomi maximi, medici Paradoxi, Arcanorum mechanicorum Trisme-gisti liber De Tinctura Physicorum contra Sophistas natos postdiliuium in seculoDomini nostri Iesu Christi Filii Dei.27

In dem einleitenden Text stellt unser Pseudo-Paracelsus die alten Hermes undArchelaus als die maßgebenden Spagyriker und Astrologen »in der ersten Welt«dar und erinnert an die »alt Smaragdinisch tafel«, welche seiner Meinung nach»noch mehr kunst vnd erfahrung der Philosophei/ der Alchimey/ der Magic/ vndder gleichen« enthält, als der ganze Haufen der Sophisten zusammen. Doch »inder mittlern Welt«, ist es Paracelsus allein, der als rechtmäßiger Nachfolger zugelten hat:

Jetzt volgt in der mittlern Welt die Monarchey aller künsten an Theophrastum denFürsten langent/ in welche ich von Gott dem Allmechtigen erkoren/ alle fantasey/ vnnderdichte werck/ der vermeinten wort vnterdrucken. Er heysse Aristoteles, Galenus,Auicenna, Mesue, oder wie er wölle/ sampt jhren Anhengern […] Daher ist HermesTrismegistus der Egypter/ nach seinem sinn zuwerck gangen […] Aber jetzt hat nuh diegöttlich gaab an Philippum Theophrastum Bombast/ der Arcanen Monarchen gelangt/das forthin jedermann/ der sich des höchsten wercks der Physic vnterstehet/ wird mirnach müssen […].28

der vielen Nachdrucke des Gedichts. Zu Flöter vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wieAnm. 24), S. 584–586.

26 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 189 –190, 445; ders.: Versuch einer Kritikder Echtheit der Paracelsischen Schriften, II. Teil: Paracelsus-Handschriften. Berlin 1899,S. 708 f., 713 f.

27 Paracelsus: Archidoxa. Von heymligkeiten der Natur, Zehen Bücher. Item I. De TincturaPhysicorum […]. (ed. Michael Toxites). Straßburg 1570, S. 325 – 354; vgl. Sudhoff: Versucheiner Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 166.

28 Paracelsus: De Tinctura Physicorum (wie Anm. 27), S. 327 – 329, 332 – 333; vgl. dazu CorpusParacelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 30.

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In der ebenfalls 1570, jedoch in München erschienenen Ausgabe der Archidoxaex Theophrastia, welche den Liber de Tinctura Physicorum aus einer anderenhandschriftlichen Vorlage wiedergibt, steigerte der Herausgeber Johann Al-brecht in seiner Widmungsvorrede an Herzog Albrecht V. von Bayern dieGleichsetzung von Paracelsus und Hermes zusätzlich mit den Worten:

Aber nit die warheit/ sonder die hoffart vnd vnwissenheit zuhandhaben/ mit wölchenTheophrasti widersacher an gefült sein/ wird Theophrastus so geschmecht: so dievermainten grosse Doctores sehen/ wann dises Trismegisti Artzney ein fortgang ge-wönne/ daß jhre Authoritet zu boden gieng.29

Während aber dem Liber de Tinctura Physicorum eine breite Wirkung be-schieden war (der Traktat ist allein zwischen 1570 und 1574 in acht deutsch-sprachigen Ausgaben und einem lateinischen Abdruck erschienen),30 blieb diezweite oben erwähnte pseudoparacelsische Schrift, Apocalypsis Hermetis, alsWerk des Hohenheimers bis 1603 ungedruckt. Doch der Text an sich, untereinem anderen Titel und keineswegs als Erzeugnis des Paracelsus, war bereits1566 mit einem italienischen Kommentar in London erschienen.31

Je mehr vermeintliche oder authentische Werke des Hohenheimers auf denMarkt kamen und je öfter diese zum Gegenstand erbitterter Kontroversenwurden, desto stärker nahm man, besonders im Kreise seiner Anhänger, diegeistige Nähe und enge Verwandtschaft der Schriften von Paracelsus mit den-jenigen des Hermes Trismegistus wahr, wie etwa im Falle des Michael Toxites,der 1574 seine Onomastica zur Deutung von Hohenheims eigentümlichem Vo-kabular mit den Worten einleitete:

Qvi in Hermetis Trismegisti, et similium Philosophorum, inprimisque TheophrastiParacelsi nostri scriptis versantur : ijs propemodum euenire video, quod olim Semifilijs in aedificanda turre confusionis accidit (Wer sich mit den Schriften des HermesTrismegistus und ähnlicher Philosophen, besonders aber mit denen unseres Paracelsusbeschäftigt, der hat, wie ich sehe, fast mit einer ähnlichen Verwirrung zu kämpfen wieeinst die Söhne des Sem bei ihrem Turmbau von Babel).32

Anderthalb Jahre später, im August 1575, erhielt Paracelsus den hermetischenRitterschlag und wurde zum ersten Mal zum »Trismegistus Germanus« unddeutschen Hermes erkoren. Dies geschah allerdings ganz unauffällig, nämlich inder lateinischen Überschrift zu einer beim Basler Drucker Pietro Perna er-

29 Paracelsus: Archidoxa zwölff Bücher/ darin alle gehaimnüs der Natur eröffnet […] Auchnoch vier andere Büchlein. (ed. Johann Albrecht Wimpinaeus). München 1570, S. +4r.Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 119; Corpus Paracelsisticum Bd. II (wieAnm. 24), S. 1017.

30 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 319, 1008.31 Vgl. unten Anm. 54.32 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 323 f.

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schienenen deutschen Kompilation von paracelsischen Texten über die Pest,Vom vrsprung der Pestilentz :

Philippus Theophrastus Bombast Hohenheimensis, Svevorum ex panegyricis nobili-um Arpinas, Confoederatorum Eremita, Philosophus Paradoxus, Mysteriarcha, Arti-um magister, Medicinarum profeßor, Musarum mechanicarum trismegistus Germ-anus. De Peste et accidentibus eius.33

Doch was sich damals dem Gedächtnis der Anhänger und Gegner des Paracelsusam stärksten einprägte, war nicht so sehr diese neue Titulatur des Hohenheimerssamt dessen neuer Stilisierung als »Trismegistus Germanus«, sondern viel mehrder gewaltige Skandal um die undifferenzierte Vermengung von Hermes, Pa-racelsus und dem Apostel Paulus in einer weiteren Publikation aus dem gleichenJahr. Und dabei denke ich nicht so sehr an den gewagten pseudoparacelsischenTraktat De secretis creationis, welcher das wohl ausführlichste Bekenntnis zum»vnser Vatter Hermes« des ganzen echten und unechten paracelsischenSchrifttums enthält34 und zu dem Toxites eine apologetische Widmungsvorredebeitrug, um Paracelsus ausgerechnet aufgrund von dieser Schrift völlige Über-einstimmung mit der Paulinischen Auferstehungslehre zu bescheinigen.35 DenSkandal verursachte vielmehr die Veröffentlichung einer anonymen SchriftArbatel De Magia Veterum – Summum Sapientiae in Pernas Druckerei ebenfalls1575, in der Paulus und Hermes gemeinsam als Zeugen der Verderbnis derWissenschaften und Befürworter der Geistermagie auftreten:

Aphorismus XII: […] Hoc modo vocali verbo omnes tradebantur disciplinae perSanctos Dei angelos sicut ex Aegyptiorum patet monumentis. Et hae postea humanissunt depravatae opinionibus […] sicut manifestum est ex diuo Paulo et HermeteTrismegisto. Et non est alia Instaurandi Artes Ratio, quam ex doctrina SanctorumDei Spirituum: quia vera fide est ex avditv.36 (Solcher Gestalt sind anfangs mündlichalle Künste durch die heiligen Engel gelehret worden, wie aus der Egypter Monumentenzuersehen. Diese Künste sind mitlerweil durch menschliche Opinionen […] verfälschtvnd verunreiniget worden, wie offenbar ist aus dem Heiligen Paulo vnd HermeteTrismegisto, vnd ist forthin kein beßer Weg noch Weise, die Künste wieder in ihrenalten Stand vnd Vollkommenheit zu bringen, denn durch die heiligen Gottes Engel vndMeister ; denn der wahre Glaube kommt aus dem Gehör).37

33 Paracelsus: Vom vrsprung der Pestilentz vnd jhren zufallenden Kranckheiten. Basel 1575, S.b5v. Zu dieser von Bartholomäus Scultetus kompilierten und von Bodenstein ediertenAusgabe vgl. Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 167 (S. 288 – 291); CorpusParacelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 528–533.

34 (Pseudo-)Paracelsus: De secretis creationis. Von Heimlichkeit der Schöpffung aller dingen.Vor nie im truck außgangen (ed. Michael Toxites). Straßburg 1575, S. 67 – 68.

35 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 462–476.36 Arbatel. De Magia Veterum. Summum Sapientiae studium. o.O. [Basel] 1575, S. 16 – 17.37 Zitiert nach der handschriftlichen deutschen Version, Das Buch Arbatel, in Darmstadt LB,

Ms. 1720/2, S. 1 – 32 (hier 5 – 6). Zum Arbatel und dessen Überlieferung handschriftlich oder

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Ebenso wurde Paracelsus, gemeinsam mit Hermes Trismegistus, feierlich zumInbegriff aller Geheimnisse und Verwalter aller Geheimkräfte der Natur erklärt:

Es ist auch ein ander vnd gemeiner Weg, dadurch die Geheimnüß, auch ohne deinWissen von Gott oder von den Geistern (in deren Gewalt die Geheimnüß sind) könnenoffenbaret werden […] Hermes Trismegistus, der billig genannt wird aller SecretenVater, mit dem Theophrasto Paracelso, die begreiffen in sich alle Kräffte der Ge-heimnüße.38

Oder wie es im lateinischen Original noch knapper heißt :

Aphorismus XXVI: Alia via est communior, vt tibi reuelentur, etiam te inscio, decreta aDeo vel Spiritibus, qui secretum in sua potestate habent […] Hermes Trismegistvsest Secretorvm Pater cvm Theophrasto Paracelso et in se omnes vires habentsecretorum.39

Der Druck des Arbatel (›mirum libellum Basileae publice editum de Magia‹)verursachte in der Stadt einen gewaltigen Skandal. Der Antistes Simon Sulzerprangerte das Buch von der Kanzel in zwei oder drei Predigten scharf an; derdamals in Basel weilende Bonaventura Vulcanius forderte die reformiertenTheologen Goulart und Daneau auf, das Arbatel zu widerlegen und übergabTh¤odore de Bºze sein Exemplar. Bºze, der gerade auf der Durchreise in Baselwar, denunzierte in einem empörten Brief an den Theologen Grynaeus dieses›verbrecherische Buch‹ mit seinen satanischen Charakteren und der ungeheu-erlichen Gleichstellung von Paulus und Hermes Trismegistus (›Paulumne cumTrismegisto isto collatum feremus?‹) und verlangte die Bestrafung sowohl desVerfassers wie auch des Druckers. Eine gerichtliche Untersuchung hat jedochwohl nicht stattgefunden, denn sonst hätte ein anderer Basler Drucker, ThomasGuarin, nicht vier Jahre später in den Opera Agrippas das Arbatel wieder auf-gelegt.40

Was den Verfasser dieses einflussreichen Büchleins betrifft, so ist dieser

im Druck vgl. C. Gilly : Il primo prontuario di magia bianca in Germania / The first book ofwhite magic in Germany, in: Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wieAnm. 8), S. 199 – 217. Einen ähnlichen Skandal verursachte 125 Jahre später der radikalePietist Johann Conrad Dippel, als er die Lehren des Hermes Trismegistus für identisch mitder Lehre des Apostels erklärte, vgl. Kristine Hannak: Theologie als Theosophie, oder :Hermes Trismegistos und die Wiedergeburt im radikalen Pietismus um 1700. In: Pietismusund Neuzeit 34 (2008), S. 135 – 166 (zit. 141 f.).

38 Das Buch Arbatel (wie Anm. 37), S. 16.39 Arbatel. De Magia Veterum (wie Anm. 36), S. 45.40 Zu den heftigen Reaktionen auf die Publikation des Arbatel in Basel vgl. Antonio Rotondý:

Pietro Perna e la vita culturale e religiosa di Basilea fra il 1570 e il 1580. In ders.: Studi ericerche di storia ereticale del Cinquecento, 2 Bde. Firenze 22008, Bd. II, S. 479 – 576 (565 –575). Vgl. auch Correspondance de Th. de Bºze, XVI (1993), S. 265 f. , aber unter Berück-sichtigung unserer in Il primo promptuario / The first book (wie Anm. 37), S. 205/214geäußerten Kritik.

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immer unbekannt geblieben, und es ist sehr zu bedauern, dass Jean JacquesBoissard, der zur Zeit des Erscheinens von Pernas Druck ebenfalls in Baselweilte, in seiner posthum erschienenen Kritik des Arbatel nicht namentlich »dieGelehrten und vermeintlich frommen Männer« nannte, »welche die gottlosenScheußlichkeiten in diesem Buch gefördert hatten«.41 Dies scheint aber keinProblem für die Leser der unterschiedlichen deutschen Übersetzungen bedeutetzu haben, denn bald wurde die Autorschaft des Arbatel ohnehin Paracelsuszugeschrieben, wodurch dieser indirekt zum Spezialisten aller dort angekün-digten Arten der Magie wurde: von der »Magia Olympica« bis auf die »MagiaHermetica« oder »Aegyptiaca«, welche laut dem Arbatel der göttlichen Magienicht unähnlich ist (»non multum abest a Divina Magia«).42

Eine parallele Steigerung auf dem Weg der Stilisierung Hohenheims zumdeutschen Trismegistus erfolgte auf den Titelseiten des eigenwilligen Überset-zers und Herausgebers Gerard Dorn, der mit seinen Basler und StraßburgerKollegen in Konflikt geraten war, weshalb seine späteren Paracelsus-Ausgaben inLyon und Frankfurt am Main erscheinen mussten. Zuerst wurde das AttributGermanus abgesondert und betont (Theophrastus Germanus),43 dann wurde eszum Begleitwort für den Philosophen und Arzt (Germanus Philosophus acMedicus).44 Schließlich wurde der Terminus Germanus fallen gelassen, dafürerhielt Paracelsus zwei Mal hintereinander den Ehrentitel eines »Magni, Terquemaximi Philosophi ac Medici rarissimi« bzw. »prae cunctis excellentissimi«,45

der wegen der herausragenden Behandlung der Astralkörper der Dinge zu-sammen mit Hermes Trismegistus der »dreimal Größte« genannt werden müsse:

41 Jean Jacques Boissard: De divinatione et magicis praestigiis. Oppenheim 1615, S. 27 – 31, 38 –39.

42 Von den vier deutschen Übersetzungen bzw. Bearbeitungen des Arbatel scheint die von mirgenannte »versio c« die ältere und viel verbreitetere deutsche Version zu sein. Sie bietet die 49Aphorismen in anderer Reihenfolge und mit zahlreichen Zusätzen aus Agrippa und wird(unter verschiedenen Titeln wie »Magia Veterum«, »Magiae Theophrasti neun Bücher«) stetsParacelsus zugeschrieben (Erlangen UB, Ms. 1508, S. 1 – 60; Kopenhagen KB, Thoth. 48 630;Darmstadt LB, Hs. 1720/1, S. 1 – 61; Oranienbaum HStA, Abt. Köthen, A 17a Nr. 105c1, S. 1 –119; teilweise Abdruck bei Gottfried Arnold: Kirchen- und Ketzerhistorie, ed. 1740, Bd. I,S. 1522 – 1525). Ausgerechnet diese letzte Version wurde Ende des 16. Jahrhunderts ins La-tein rückübersetzt (London, BL, Ms. Harleian 514).

43 Gerard Dorn: Theophrasti Germani, Paracelsi, Medicorum et Philosophorum omnium, inuniversum facile Principis De restituta utriusque Medicinae vera Praxi. Lyon 1578.

44 Gerard Dorn: De Naturae Luce physica, ex Genesi desumpta, iuxta sententiam TheophrastiParacelsi, Germani Philosophi ac Medici prae cunctis excellentissimi, Tractatus. Frankfurt a/M 1583.

45 Gerard Dorn: Commentaria in Archidoxorvm libros X. D. Doctoris Theophrasti ; vgl. Sud-hoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 200.

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De sidereo rerum et firmamentali corpore domiciliove stellarum suarum, nemo hac-tenus (quod sciam) inter Christianos, imo nullus Ethnicorum et Gentilium scripsit,quam magnus ille Philosophus nostri temporis Theophrastus Paracelsus, nationeHelvetius. Quapropter […] ob insignem eius rei tractationem, Termaximus cumTrismegisto non immerito foret appellandus. Tam sublimia sunt enim ea, quae scribitin omnibus ferme facultatibus, vt humani captum ingenij superent, ac non nisi adiuinitus illustratis queant intelligi.46

In dem Argumentum an den Leser bei dieser letzten Publikation, De Naturaelucis Physica ex Genesi desumpta, worauf wir noch zurückkommen werden,führte Dorn den Hermetismus und die Kabbala in das paracelsische System ein,indem er die Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistus und die Unarius-Binarius-Theorie des Trithemius als »spagirische« Auslegungen des mosaischenSchöpfungsberichts der Interpretation von Paracelsus an die Seite stellte:»Testes adfero Hermetem Trismegistum atque Jo[hannem] Trithemium, quo-rum scripta prorsum a Genesi desumpta, pro viribus ingenij luculenter acdiuersimodi, iam physice, modo spagirice, et subinde moraliter explicui.«47

Durch die Aufnahme dieser und anderer Bücher in den ersten Band vonZetzners Theatrum Chemicum und einigen daraus entstandenen Übersetzungenhalf Dorn entscheidend mit, die Gestalt des Paracelsus als die Stimme vonHermes auch in anderen Sprachgebieten zu propagieren. So schrieb z. B. derberühmte Astrologe John Gadbury 1657 in einem an den Übersetzer RobertTurner gerichteten Gedicht:

I’ve wondred oft, why Scholars those should hate,That into English, Latine do translate;But now the Reason’s plain: for every manMay learn the length of Paracelsus span […]Go on, good Friend, to other things; for weBy this thy Book are able to foreseeGreat Paracelsus Learning, Hermes Skill,Shall English speak by thy ingenious Quill.48

Die endgültige Inthronisierung des »Thewren Teutschen Philosophi vnd Medici«Paracelsus als neuer Hermes Trismegistus, der »die gantze Philosophey vndMedicin restauriret hat«, erfolgte dann an prominenter Stelle in der ersten Ge-samtausgabe der Bücher vnd Schrifften in zehn Teilen, die Johann Huser aufKosten des Kölner Kurfürsten und Erzbischofes Ernst von Bayern 1589 – 1591 in

46 Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 918, 921, 926.47 Dorn: De Naturae Luce physica (wie Anm. 44), S. 12.48 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 584; Abdruck in: Paracelsus in der

Bibliotheca Philosophica Hermetica Amsterdam. Ausstellung zum 500. Geburtstag desTheophrastus Bombast von Hohenheim, Paracelsus genannt, bearb. von C. Gilly. Amsterdam1993, S. 45.

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Basel bei Pernas Nachfolger Konrad Waldkirch veranstaltete. Auf der Rückseiteder Frontispize und unmittelbar vor dem Porträt des Paracelsus verwendete derDrucker im zweiten, dritten, vierten, sechsten und zehnten Teil der Bücher vndSchrifften eine volle Seite, um die 1575 entstandene Inschrift-Titulatur zurVorstellung Hohenheims, diesmal mit großen Buchstaben, erneut zu formulie-ren:

PHILIPPVS THEOPHRASTVS BOMBAST HOHENHEIMENSIS: SVEVORVM ex Pa-naegyricis Nobilium ARPINAS: Confoederatorum Eremi EREMITA: PHILOSOPHVSPARADOXVS: MYSTERIARCHA: ARTIVM MAGISTER: MEDICINARUM PROFES-SOR: Musarum Mechanicarum TRISMEGISTVS GERMANVS.49

Diese Titulatur mit der Bezeichnung TRISMEGISTUS GERMANUS wiederholtesich jeweils auf der Rückseite des Titelblattes des dritten bis zehnten Teils vonder Frankfurter Quarto-Ausgabe, die 1603 bei den Erben Johann Wechels er-schien sowie in dem Operum […] Tomus Quintus der lateinischen Quarto-Ausgabe von Palthenius aus dem gleichen Jahr ; ferner in Husers posthumerFolio-Ausgabe der Chirurgische Bücher vnd Schriften von Straßburg 1605 sowiein dem ebendort erschienenen Nachdruck von 1618.50

Kurioserweise fehlt die Titulatur in der für den Verleger Lazarus Zetzner inBasel von Waldkirch gedruckten Folio-Ausgabe von 1603, wo sie aber durch einkunstvolles Frontispiz mit einem breiten Holzschnittrahmen ersetzt wurde, mitden Standbildern des »Vergilius« und »Hermes Trismegistos« links und rechtsund einem Brustbild des Paracelsus oben in der Mitte.51 Auf die BezeichnungTrismegistus Germanus wurde eingangs des ersten Bandes zwar verzichtet;dafür finden wir sie noch verstärkt in den neu hinzugefügten Anhängen imzweiten Band. Denn hier erscheint zum ersten Mal die oben erwähnte Apoca-lypsis Hermetis mit dem Untertitel »Ab illustrissimo viro Aureolo Helvetio, quifuit Hermes Secundus« und der editorischen Bemerkung »ex manuscripto Ex-emplari Theophrasti«.52 Nun ist es fraglich, ob in der handschriftlichen Über-

49 Paracelsus: Erster – Zehender Theil Der Bücher vnd Schrifften, ed. J. Huser. Basel 1589 –1590; Friedrich Mock: Theophrastus Paracelsus. Eine kritische Studie. Würzburg 1876,S. 86 – 88; Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 217, 218, 219, 221, 225.

50 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 254, 255, 263, 267, 302.51 Wohl Anspielung auf einen Passus im 5. Buch des De Natura rerum, ed. Huser (wie Anm. 49),

VI, S. 297: »Vnd also nach disem Proceß/ haben sich beyde Hermes vnd Virgilius vnder-standen/ mit hülff der Nigromantia, nach jhrem Todt widerumb zu Renouieren vnd Res-ucitiern/ vnd wider zu einem Kind new geboren zu werden […]«. Paracelsus wird hier alsoals Dritter in diesen Bund aufgenommen. Das Bild stammt von dem Zürcher Maler undKupferstecher Christoph Murer und dem ebenfalls in Zürich wohnenden FormschneiderLudwig Fryg.

52 Paracelsus: Opera Bücher vnd Schriften, Ander Theil. Straßburg [Basel, K. Waldkirch] inVerlegung Lazari Zetzners Buchhändlers, 1603, S. 668 – 671, vgl. Sudhoff: Versuch einerKritik, Teil I (wie Anm. 17), Nr. 257 (S. 444 – 445).

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lieferung der Apocalypsis Hermetis bis 1603 die Bezeichnung »Hermes secun-dus« oder auch nur der Name des Paracelsus stand.53 Denn es handelt sich beidieser Schrift um die Übersetzung und Bearbeitung eines lateinischen alche-mischen Traktats, der unter den beiden Titeln Apocalypsis spiritus secreti undApocalypsis Hermetis bereits vor der Abfassung des De Tinctura Physicorumhandschriftlich und im Druck zirkulierte.54 Die oben erwähnte Notiz despseudoparacelsischen Verfassers des De Tinctura (»als ich in Apocalypsi Her-metis anzeygt hab«) muss den späteren Herausgeber dazu verleitet haben, inParacelsus den »Compositor« oder den »Dolmetscher« zu sehen. So lautet derTitel in einem Kasseler Manuskript aus dem Besitz des bekannten Sammlersparacelsischer Handschriften Johannes Scultetus Montanus in Striegau:

Liber Apocalypsis Hermetis id est Theophrasti, qui fuit Hermes secundus. Die Of-fenbarung der verborgnen Geysts. Ab illustrissimo viro Aureolo Theophrasto Heluetioet Heremita Prudentissimo Philosopho et vtriusque Medicinae Doctore praestantis-simo Compositus,55

während auf dem Frontispiz des Nachdrucks in der Pandora Magnalium na-turalium des Benedictus Figulus von 1608 der Titel lautet:

Apocalypsis des Hocherleuchten Aegyptischen Königs und Philosophi, HermetisTrismegisti; von vnserm Teutschen Hermete, dem Edlen/ Hochthewrem Monarchenund Philosopho Trismegisto, A. Ph. Theophrasto Paracelso &c. Verdolmetschet.56

In seiner Vorrede zur Pandora hatte Figulus übrigens auch seine Absicht an-gekündigt, all die damals noch unveröffentlichten »thewren Schrifften Theo-phrasti, vnsers Hocherleuchten Teutschen Philosophi vnnd Hermetis vere Tri-

53 Von den mir bekannten deutschen Handschriften der Apocalypsis Hermetis enthält nur einedie Bezeichnung »Hermes secundus«, nämlich das unten zu besprechende Kasseler Ms. 48Ms. chem. 60 VII, Heft 2, S. 1r-6r.

54 Vgl. Lynn Thorndike/Pearl Kibre: A Catalog of Incipits of Mediaeval Scientific Writings inLatin. Cambridge 1963, Sp. 612. Die lateinischen Incipits lauten: »Hermes, Plato, Aristoteleset ceteri philosophi per tempora […]«, bzw. »Hermes, Plato, Aristoteles reliquique anti-quiores philosophi […]«. Bei einer »dritten« Apocalypsis Hermetis, die der bekannte Kopistvon paracelsischen Texten Karl Widemann 1593 in Augsburg abschrieb (Leiden, Ms. Voss.chem. 48 21, S. 140r-158v), handelt es sich um eine gekürzte Kopie der bekannten Septemtractatus aurei des Hermes Trismegistus, die in der Ars Chemica, Straßburg 1566, S. 7 – 31zum ersten Mal im Druck erschienen sind. Die erste Ausgabe erfolgte durch den VenezianerGiovanni Baptista Agnello: Espositione sopra un libro intitolato Apocalypsis spiritus secreti.London 1566. Hier ist von Paracelsus keine Rede, vgl. Florian Ebeling: Das Geheimnis desHermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus. München 2005, S. 107 – 109.

55 Kassel, LBMB, Ms. 48 chem. 60 VII, Heft 2, S. 1r-6r. Diese Kasseler Kopie war ursprünglichim Besitz des Johannes Scultetus Montanus (1531 – 1604), wie es in einer Notiz über dem Titelsteht: »Disen tractatum hat mir der herr Johannes Montanus verheret, den 3, Martij etc.«Leider fehlt die Jahresangabe.

56 Benedictus Figulus: Pandora magnalium naturalium aurea et benedicta. Straßburg 1608,S. 1 – 16.

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smegisti« demnächst ans Licht kommen zu lassen, weil »dieselben bißhero soteufflischer arglistiger weiß vndergetruckt/ vnd die wenigsten vnd allerschlechtesten zurechnen nur in truck kommen sind: derer er etlich 1000 Bücherbeschrieben in Astronomia, Philosophia, Chymia, Cabala, vnnd TheologiaGratiae hinderlassen«.57

Von nun an ist die Identifikation des Paracelsus als neuer Hermes undInbegriff arkan-hermetischer Naturweisheit vollzogen und wird durch weitereBekundungen seiner Anhänger immer stärker bekräftigt. So zum Beispieldurch Figulus’ vertrauten Freund Adam Haslmayr, der in all seinen Schriftennicht nur eine neue Religion, die »Theophrastia Sancta«, verkündigte, sondernParacelsus auch, als »Secretarius Gottes«, in einem Atemzug mit den dreianderen »secretarii Gottes« in Sachen Magie erwähnte :

Als Hermes Trismegistus, Alfonsus Magnus, Salomon Jsraelita vnd TheophrastusEremita Germanus. Dise haben Jhr gemüets, das ist sich selbst erkenent in ChristoMagice. Darumb seindt sie vnsterblich worden, vnd seindt Secretarij Gottes, denenGott alß seinen Ausserwehlten seine heilige Mysteria vnd Regni dei magnalia gezaigtvnd geoffenbarth hatt.58

Doch in Bezug auf die Kabbala ließ Haslmayr den kastilischen König Alfons X.bald wieder fallen, so dass der von ihm vergötterte »Trismegistus Germanus«und »Hermes Secundus« als einzig berechtigter Erklärer der Naturweisheitund Geheimkämmerer Gottes für die nachchristliche Zeitrechnung übrigbleibt :

Diese Cabala erkhlert khein sterblicher bißhero vnter den Menschen Khindern seitder Apostel Zeitten, alß der hochselige weise man, vnd Teutsche TrißmegistusPhilippus Theophrastus. Ein Stella signata des werden Germaniae derwegen ge-nandt, vnd als Monarcha perpetuus von Gott in dise letzte weltt gesanndt, dessen

57 Ebenda, S. **6r. Zu der angeblich hohen Anzahl der Schriften des Paracelsus – welche die vonManetho und Seleucus überlieferten Zahlen von 36.525 bzw. 20.000 Hermes zugeschriebe-nen Büchern bei weitem nicht erreichen – vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16),S. 593 f. Als aber Figulus ein Verzeichnis von Büchern anlegte, »so Theophrastus geschribenvnd noch nitt herfür alle seind kommen«, überstieg er nicht die Zahl von 300, vgl. K. Wide-mann: Sylva scientiarum et artium laudabilium. Hannover NLB, Ms. IV 341, S. 537. Widemannseinerseits kam mit seiner eigenen Liste (»Vnausgegangene Büecher Theophrasti et aliorum,denen nachzuefragen, die Ich zum Thail hab«, nicht einmal auf die Hälfte, nämlich 144 Titel,vgl. ebenda, S. 538–539bis. Zu Figulus vgl. Joachim Telle: Benedictus Figulus. Zu Leben undWerk eines deutschen Paracelsisten, in: Medizinhistorisches Journal 22 (1987) 303 – 326; C.Gilly : On the Genesis of L. Zetner’s Theatrum Chemicum in Straßburg. In: Magia, alchimia,scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. I, S. 451 – 467 (bes. 458 – 461).

58 [Adam Haslmayr]: Extractus et Theophrastiae Cabalisticae Jsagoge, das ist : Die Anleittungder heiligen gehaimen Khunst vnd Weißheit der Propheten. Weimar HAAB, Ms. Q 286/20,S. 1v.

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gleichen die Erden nicht gebohren hatt, derowegen ist aller vernunfft ausser seinerCabala für nichts zuachten, alß für Jrthumb, Ehrgeitz vnnd betrug des Teuffels.59

Wiederholt hat Haslmayr sowohl in seinen gedruckten wie auch ungedrucktenSchriften den dreimalgroßen Vater der Philosophen als den einzigen unter dengelehrten Heiden (»ausser Hermetem Trismegistum«, »außer Hermetem«) be-zeichnet, der Christus und die Propheten nicht verachtet, sondern angenommenhabe,60 aber er ist nicht so weit gegangen, aus Hermes einen biblischen Pro-pheten zu machen oder ihn Moses gleichzusetzen. Diese Rolle hat er aus-schließlich für Paracelsus reserviert, den er für einen Propheten Gottes oder gareinen zweiten Moses hielt und für den er gegen alle Gegner zur Feder griff,welche

doch so ehrvergeßen ketzerisch vnd verrätherisch wider den gewaltigen Teutschenedlen Eremiten vnd andern Mosen Paracelsum Magnum, denn ihm Gott zu einemsondern gfeß, wie den Salomonem oder Paulum etc. erwhelt auf die lesten Zeiten […].61

Die übrigen Paracelsisten hingegen trieben es mit der Stilisierung des Hohen-heimers zur Leit- und Kultgestalt nicht so weit wie Haslmayr und blieben bei denbereits standardisierten Formulierungen wie »Hermes Germanicus« (JoachimTanke),62 »Trismegistus Germanus« (Paul Nagel),63 »Trismegisti Germani verba«(Christoph Hirsch)64 »our German Trismegistus« (Nicholas Le F¤vre),65 »Bom-bast ab Hohenheim Trismegistus Germannicus« (Andreas Luppius),66 »Hermes

59 Ebenda, S. 2r. Zu der Handschrift vgl. C. Gilly : Adam Haslmayr. Der erste Verkünder derManifeste der Rosenkreuzer. Amsterdam 1994, S. 209 f. Vgl. auch Sudhoff. Versuch einerKritik, Teil II (wie Anm. 26), S. 635 f. (ohne Identifizierung des Verfassers).

60 »[…] sondern all jhre Weißheit vnd Philosophey von Narristotele vnd andern vnglaubigenHeyden/ so die Propheten nicht angenomen/ sondern verachtet haben/ ausser HermetemTrismegistum, etc. entlehnet haben/ als an der Philosophia Alberti, Thomae, RaymundiLullii, Arnoldi Villanouani, vnd anderer vermeinten Theologen/ etc. zu sehen ist […]«, vgl.[Adam Haslmayr]: Theologia Cabalistica de perfecto homine. In: Philosophia Mystica,Darinn begriffen Eilff vnterschidene Theologico-Philosophische/ doch teutsche Tractätlein/zum theil auß Theophrasti Paracelsi, zum theil auch M. Valentini Weigelii. Newstadt[Frankfurt a/M] 1618, S. 40 – 53 (zit. 40); vgl. auch [Adam Haslmayr]: AmphitheatrvmChimicvm Sacrvm Wider die Sophistischen Spötter vnd vnuerstendigen Mercatänter, welcheihnen traumen laßen, die Alt Spagyrische Scienz sei nur ein gedicht der Betrüger. In: Kassel,LBMB, 28 ms. Chem. 15, S. 206r-212v (zit. 210v).

61 Adam Haslmayr : Oratio reuelatoria An die Regenten des Vatterlandts Tyrol vnd lob[lichen]O[ber] Ö[sterreichischen] Regierung zu Innsprug, Innsbruck. Tiroler Landesarchiv, Pest-archiv VIIIa, S. 34r-39v (zit. 38r).

62 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil II (wie Anm. 26), S. 658.63 Paul Nagel: Chiromantia Meganthropi Sive Signatura Macrocosmi. Leipzig 1611, S. K2r.64 Josephus Stellatus [Christoph Hirsch]: Pegasus Firmamenti (wie Anm. 4), S. C7r.65 Nicholas Le F¤bvre: Trait¤ de Chymie, Paris 1663, zitiert nach der engl. Ausgabe A compleat

Body of Chymistry. London 1664, S. 14.66 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 625.

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redivivus« (Hannemann)67 oder auf Englisch »The Trismegistus of Switzerland«(Francis Barret),68 wobei der von Figulus 1608 geprägte »Teutscher Hermes«,wohl dank dem berühmten Epigramms des Quirinus Kuhlmann von 1671, bis inrecht spätere Zeiten in Lexika und Medizinhistorien die dominierende blieb:

Grab Arnoldus Theophrastus Paracelsus/des Teutschen Hermes.Der Leichen hat beseelt/ Metall in Gold verklährt/Und der Planeten Krafft in Sigeln dargewehrt/Erlegt der Tod und sprach: wo du möchst ferner leben/So würden noch auff mich die Menschen wenig geben.69

Paracelsus und Hermes waren nun unzertrennlich geworden, und dies nicht nurin den Texten, sondern auch in Bildern, zur Freude der Augen (»quae et oculosmeos artificiosa figura recrearet«), wie Daniel Stoltzius von Stoltzenberg inseinen zwei alchemo-allegorischen Bilderbüchern Chymisches Lustgärtlein oderViridarium Chymicum von 1624 bewies. Er ließ für beide Ausgaben eine Titel-einfassung in Kupfer mit den auf zwei Sockeln stehenden Figuren von Hermesund Paracelsus stechen, um die Besucher am Tor des hermetisch-spagyrischenGartens in Empfang zu nehmen.70 Was wiederum an einen Satz des französi-schen Paracelsisten Israel Harvet erinnert, der in seinem Kommentar zumTractatus aureus des Hermes Trismegistus von 1610 lapidarisch geschriebenhatte: »Hermes plantat: Paracelsus rigat: Deus autem dat benedictionem etincrementum.« (Hermes pflanzt, Paracelsus bewässert, Gott aber gibt seinenSegen und bewirkt das Wachstum).71

67 Siehe oben Anm. 14.68 Francis Barret: The lives of Alchemystical Philosophers. London 1815, S. 52; Richard Alfred

Davenport Sketches of imposture, deception, and credulity. London 1837, S. 322; ManlyPalmer Hall: Secret Teachings of All Ages. San Francisco 1927 (zit nach ed. London 2005),S. 321, 628.

69 Telle: Paracelsus im Gedicht (wie Anm. 24), S. 85, 274 f.70 Daniel Stoltzius von Stolzenberg: Viridarium Chymicum Figuris cupro incisis adornatum, et

poeticis picturis illustratum. Frankfurt a/M 1624; ders: Chymisches Lustgärtlein/ Mitschönen in Kupfer geschnittenen Figuren gezieret/ auch mit Poetischen Gemälden illustrirtvnd erleuchtet. Frankfurt a/M 1624.

71 Hermetis Trismegisti Tractatus vere Aureus: De Lapide Philosophici secreti, in capitulaseptem divisus, nunc vero a quodam Anonymo [Israel Harvet] scholijs […] illustratus.Leipzig 1610, S. 73 (Theatrum Chemicum, IV, S. 622).

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3. Weitere zeitweilige deutsche Hermetes

Der Beiname Hermes Trismegistus blieb dennoch im Laufe des 17. und 18.Jahrhunderts nicht allein Paracelsus vorbehalten, sondern wurde gelegentlichauch auf andere Personen übertragen. Allen voran – laut zahlreichen Nach-schlagewerken des 19. und 20. Jahrhunderts – dem deutschen Kaiser RudolphII. , den man immer wieder – auf Deutsch, Englisch und Französisch – als den»Fürsten der Alchemie, den deutschen Hermes Trismegistos«72 bzw. »the Princeof Alchemy, also called the German Hermes Trismegistus«73 oder »the Hermes ofGermany« und »l’Hermes allemand«74 zu bezeichnen pflegte. Oder auch aufLateinisch und Niederländisch, als »Hermes Trismegistos Germaniae« bzw.»Hermes Trismegistos van het Duitse Rijk«, wie es eine moderne Historikerin inihrem Aufsatz über Rudolph und die arkanen Wissenschaften vorgezogen hat.75

Aber, trotz ostentativer Anwendung von Anführungszeichen, handelt es sich beiall diesen Beinamen um imaginäre Konstrukte ohne direkten Bezug auf allfälligeDokumente aus der rudolphinischen Zeit.

Die einzigen Autoren, die eine echte zeitgenössische Formulierung überlie-ferten (»Unserer Zeit Hermes Trismegistus, Käyser Rudolphus II.«), sind der

72 Eduard Vehse: Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation, 9. Bd., 2. Abth. Oes-terreich, III. Th. Hamburg 1851, S. 16; für den Ausdruck »den deutschen Hermes Trisme-gistos« allein vgl. ferner : Karl Christoph Schmieder : Geschichte der Alchemie, Halle 1832,S. 301; Hermannn Kopp: Geschichte der Chemie. Braunschweig 1844, S. 195 – 196; J.R.Wagner: Die Geschichte der Chemie. Leipzig 1655, S. 22; Eduard Maria Oettinger : Aus demHradschin, oder Kaiser Rudolph II. und seine Zeit. Historisch-romantisches Gemälde, Prag,Leipzig1856, 1. Bd. S. 144; Brockhaus: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die ge-bildeten Stände. Conversations-Lexikon, 11. Ausg., 1. Bd. Leipzig 1864, S. 448 (s.v. Alche-mie); Josef Sv�tek: Culturhistorische Bilder aus Böhmen (bes. das Kap. Die Alchemie inBöhmen). Wien 1879, S. 43 – 94 (zit. 54). Carl Kiesewetter : John Dee, ein Spiritist des 16.Jahrhunderts. Leipzig 1893, S. 51. In seinem Roman Tycho Brahes Weg zu Gott hat Max Brodnicht Rudolph II. , sondern John Dee und Edward Kelley »jeder gar als neuer Hermes Tri-smegistos« in Prag auftreten lassen.

73 Eduard Vehse: Memoirs of the Court Aristocracy of Austria (übers. von Franz Demmler), Bd.I. London 1856, S. 239; Ebenezer Cobham Brewer : The reader’s handbook of allusions,references, plots and stories. Philadelphia 1880, S. 792; Germans: Webster’s Quotations,Facts and Phrases. San Diego 2008, S. 589; vgl. jetzt auch das Kapitel »The new HermesTrismegistus« in: Peter H. Marshall: The magic circle of Rudolf II: Alchemy and Astrology inRenaissance Prague. New York 2006, S. 129 – 149.

74 The Eclectic review, NS. I (1857), S. 217; Edward Thorpe: History of Chemistry, vol. I.London 1909, S. 40; Louis Figuier : L’alchimie et les alchimistes. Paris 1854. S. 223, 238.

75 M. E. H. N. Mout: Hermes Trismegistos Germaniae: Rudolph II en de arcane wetenschappen.In: Leids kunsthistorisch Jaarboek (1982), S. 161 – 189, mit Verweis auf Robert J.W. Evans:Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History 1576 – 1612. Oxford 1973, S. 230 »enpassim«, wo aber außer allgemeiner Redewendungen (»the identification of Rudolf with thenew Hermes Trismegistus« (S. 212); »souverain Hermes Trismegistus« (230) nichts derar-tiges steht.

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Tübinger Mathematikprofessor J. K. Creiling in seiner Edelgeborne Jungfer Al-chymia von 1730 sowie der Bochumer Arzt K. A. Kortum in seiner Verteidigungder Alchemie gegen Wiegleb von 1789.76 Beide übernahmen wortwörtlich dieFormulierung aus der posthum erschienenen Warhaffte Beschreibung der Uni-versal Medicin des adligen Alchemoarztes Matthaeus Erbe von Brandau, derjahrelang am Prager Hof beschäftigt war :

Unser Zeit Hermes Trismegistus, Keyser Rudolphus II. Hochlöblichen Gedächtnis/ hatdiese rechte Keyserliche Kunst nicht um sonst geliebet: denn S. M. nicht öffters derenSpecimena nur gesehen/ sondern auch endlich selbst eine Tinctur erlanget/ die manauff die 40000 Ducaten geschätzet.77

Im Gegensatz zu Rudolph II. wurde der als Hermetiker kaum auffallende KönigJakob I. von England an einer viel prominenteren Stelle mit Hermes Trisme-gistus verglichen, nämlich in der Vorrede zur ersten Ausgabe von Francis BaconsThe Advancement of Learning von 1605:

So as your Maiestie standeth inuested of that triplicitie, which in great veneration, wasascribed to the ancient Hermes; the power and fortune of a King; the knowledge andillumination of a Priest; and the learning and vniuersalitie of a Philosopher.78

Mit weit größerer Berechtigung als der britische König hatte sich vermutlichKaiser Ferdinand III. den Beinamen des mythischen dreimal Größten verdient.Doch nicht wegen seiner regen Förderung der Alchemie oder der angeblich inseiner Gegenwart erfolgreich durchgeführten Goldtransmutationen,79 sondernausschließlich aufgrund seiner breiten Sprachkenntnisse glaubte ihn der JesuitAthanasius Kircher in den Präliminarien zum ersten Band des Oedipus Aegyp-tiacus von 1652 – 1654 mindestens sieben Mal und in unterschiedlichen Spra-chen als den neuen Hermes Trismegistus feiern zu müssen:

»Rex Trismegistus«, »Basileos Trismegistos«, »Caesar Ter Maximus«, »ErmÞs Trism¤-gistos ka� neos«, »Mercurius Trismegistus redivivus, triplici Regno, nec non Imperio,

76 Johann Conrad Creiling: Die Edelgeborne Jungfer Alchimia. Tübingen 1730, S. 77; KarlArnold Kortum, der Arzneiwiss. Doktor und Arzt in Bochum, Verteidiget die Alchemiegegen die Einwürfe einiger neuen Schriftsteller besonders des Herrn Wieglebs. Duisburg1789, S. 155.

77 Matth. Erbe von Brandau: Warhaffte Beschreibung von der Universal Medicin und GüldnenTinctur Ursprung/ Anfang/ Mittel und Ende. Aus des Seel. Herrn Autoris Manuscripto zumDruck befördert und communiciret durch T.P.G.L.M.S. Leipzig 1689, S. 12.

78 The tvvoo bookes of Francis Bacon. Of the proficience and aduancement of learning, diuineand humane To the King. London 1605, S. A3v. Zu dieser Stelle vgl. besonders David G.James: The Dream of Prospero. Oxford 1967, S. 70 – 71.

79 Wie etwa ein gewisser Paracelsist R.F.T.M.S. tat als er seine Schrift »Saturnia regna siveMagisterium per Hermeticas positiones« 1649 dem »Ferdinando Trismegisto Imperatorisemper Augusto« dedizierte, vgl. Wien, OeBN, cod. vindob. 11291.

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Potentia, Religione Termaximus«, »[…] Trismegist, a righter Hermes […] of ’s triplegrandure«.80

Viel treffender war hingegen der Vergleich von Hermes Trismegistus mit demLandgrafen von Hessen-Kassel, Moritz dem Gelehrten, der nicht nur 1614 – 1615den Erstdruck der Manifeste der Rosenkreuzer an seiner Hofdruckerei gestat-tete, sondern 1619 auch mit dem Fürsten August von Anhalt in Verbindung trat,um eine Art hermetische Gesellschaft zu gründen. Kein Wunder, dass ein Jahrspäter einer seiner Hofärzte, der Marburger Professor Heinrich Petraeus wäh-rend eines akademischen Vortrags über Gifte und Gegengifte in einem rheto-rischen Höhenflug zum Lobe der göttlichen Kunst der Chymia in Hessen derenHauptförderer, Landgraf Moritz, nicht nur mit Hermes verglich, sondern ihndarüber hinaus als noch berechtigter als selbst Hermes befand, den Namen einesDreimal-Größten als den eigenen zu tragen:

Hermes ille, Philosophorum pater, Trismegisti sive Termaximi nomen apud Aegyptiossuos obtinuit ob triplicis Philosophiae peritiam, vel quod triplici munere fungeretur,Philosophi, Sacerdotis et Regis. Quanto majore merito titulum hunc; non ex assenta-tione, sed rei veritate MAURITIO nostro termaximo assignabimus, qui Princeps opti-mus maximus, patriaeque pater mitissimus virtutes subditorum excitat, premiisqueaccendit et alit, vitia severis poenis co×rcet et exterminat, cives fideles protegit, hostiumet rebelium tumultus et insultus fortiter retundit, ac fundit. Idem Princeps est viko-sovij¾tator, consumatissimusque Philosophus, moralis, naturalis, rationalis. IdemPrinceps Philosophus et Philosophus Princeps est solidissimus Theologus, et fidelissi-mus Archiepiscopus […]. Quis igitur est, qui non Principem termaximum humillimaanimi devotione colat, et deveneretur? Quis non libentissime obtemperet? Quis non teroptimum et benignissimum patriae Patrem, verumque humani generis delitium me-dullitus amet et diligat? Quis non ter optimum maximumque Principem omnibuslaudum encomiis ad coelum usque extollat? […] Faxit hoc Rex Regum, Dominus do-minantium, Deus ille super omnes ter Optimus Maximus […].81

80 Athanasius Kircher : Oedipus Aegyptiacus. Hoc est Vniversalis Hieroglyphicae VeterumDoctrinae temporum iniuria abolitae instauratio. Rom 1652 – 54, Bd. I. , S. (+)2r, ++++1r,1v, 2r, +++++2v. Zu Ferdinand III. als Alchemieliebhaber vgl. Wolf-Dieter Müller-Jahnckeund Joachim Telle: Numismatik und Alchemie. In: Die Alchemie in der europäischen Kultur-und Wissenschaftgeschichte. Hg. v. Christoph Meinel. (Wolfenbütteler Forschungen Bd. 32)Wiesbaden 1986, S. 229 – 275 (bes. 243 – 251); zur Alchemie am Wiener Hof vgl ferner Pa-mela H. Smith : Alchemy as a Language of Mediation at the Habsburg Court. In: Isis 85(1994), S. 1 – 25; zu Athanasius Kircher als Totengräber des Hermetismus vgl. Magia, al-chimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 483 – 507.

81 Henricus Petraeus: Nosologia Harmonica Dogmatica et Hermetica. Marburg 1620, S. 33 – 35.Diese wichtige Stelle entging sowohl Bruce T. Moran: The Alchemical World of the GermanCourt. Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hessen (SudhoffsArchiv, Beiheft 29). Stuttgart 1991, wie auch den Herausgebern des schönen Ausstellungs-katalogs Moritz der Gelehrte. Ein Renaissancefürst in Europa. Hrsg. von Heiner Borggrefe (etalii). Eurasburg 1997, denn hier wird auf S. 390 als »Deutscher Hermes Trismegistos« zwarKaiser Rudolf II. , nicht aber auch Landgraf Moritz erwähnt.

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A propos »Deus Ter Optimus Maximus« (oder auch »Deus Ter Maximus«): DieBezeichnungen »Trismegistus« und »Ter Maximus« wurden zwischen 1600 und1630 von Paracelsisten und Hermetikern nicht nur auf Gott

Ab hoc Trismegisto Theophrastus Paracelsus edoctus, scivit, quicquid in rerum naturafuit scibile (Von dem Dreimal Größten [Gott] unterrichtet, lernte Paracelsus alles, wasman wissen kann)82

sondern auch auf Christus angewandt. Dies taten unter anderem Michael Maier :»Summus OPT. MAX. et vnice TRISMEGISTVS ille animae et corporis MedicusIHESVS CHRISTVS,«83 vor allem aber Benedictus Figulus, der die Formel sogarals Datierung verwendete

»Sey hiemit deß Trismegisti Spagyri großmächtigen Gnaden Schutz befohlen«; »ANNOTrIs MegIstI RegIs et DoCtorIs GratIae nobIs natI« [1608]; »ANNO TrIsmegIsto Be-neDICtIonIs et gratIae nobIs genItae [1608]«; »Actum in Altera Feria Natalitia I. ChristiTrismegisti nostri Spagyri«; »Ex ore Spagyri Trismegisti I[ESU] CHRISTI Domini etRedemtoris nostri«; »Laus trismegisto Regi Gratiae et naturae«.84

Doch nicht nur göttliche Wesen oder gekrönte Häupter wurden mit dem Titeleines Trismegistus beehrt. Abgesehen von Reuchlin, den der Verfasser der R.C.Manifeste Johann Valentin Andreae den »Trismegistus der guten Literatur«nannte,85 finden wir ihn vor allem bei Liebhabern der Hermetik und der Al-chemie: So wurde 1607 der Alchemiker Peter Amelung von Marcus Rorscheidtund Joachim Tanckius wegen seine Angriffe auf die »Turba Galenica« als»Teutonicum Hermetem« und »Patriae Hermetem« gefeiert.86

Den Rekord an Hermes-Vergleichen brach jedoch der berühmte AlchemikerJacob Alstein, der zwar zu Lebzeiten kaum etwas publizierte, dennoch »nichtallein in Frankreich, sondern auch in England, den Niederlanden, der Schweiz,

82 Henning Scheunemann: Hydromantia Paracelsica, Hoc est, Discvrsvs philosophicvs Denovo fonte […] circa oppidvm Annebergam reperto. Frankfurt 1613, S. 2v. Ich zitiere nachdem Exemplar von Christoph Besold in Salzburg, der die Stelle kräftig unterstrichen hat.

83 Michael Maier: Arcana arcanissima. o.O. 1614, S. 285; vgl. Hereward Tilton: The Quest forthe Phoenix. Spiritual Alchemy and Paracelsism in the Work of Count Michael Maier (1569 –1622). Berlin, New York 2003, S. 86.

84 Heinrich Khunrath: De igne magorum philosophorumque secreto (hrsg. von B. Figulus).Straßburg 1608, S. 126; B. Figulus: Thesaurinella Olympica (wie Anm. 3), A1r ; B. Figulus:Rosarivm novvm Olympicvm. o.O. [Basel] 1608, a1v ; B. Figulus, Pandora (wie Anm. 56), S.*8v ; B. Figulus: Thesaurinella Alchimiae. Kassel LBMB, 88 Ms. chem. 25, S. 1r. ; ders.(Übersetzer): Liber Proverbiorum […]. Hamburg SUB, Ms. Cod. Theol. 2009a; vgl. C. Gilly :Adam Haslmayr (wie Anm. 59), S. 99, 199.

85 Johann Valentin Andreae: Gesammelte Schriften, Bd. 2. Stuttgart-Bad Cannstatt 1995,S. 202 – 203.

86 Petrus Amelungius: Tractatvs nobilis primvs, In quo Alchimiae seu Chemicae Artis […] cuminventio et progreßio, obscuratio et instauratio, tum dignitasm neceßitas et utilitas de-monstratur. Leipzig 1607, S. 30, 31.

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Italien, Böhmen, Mähren, Ungarn, Polen und in ganz Deutschland« unbestrittenals einer der besten Köpfe in alchemicis galt. Mit der Anrede »Philosopho terMaximo. Theosopho: Jurisperito: Medico« hatte ihm zwar Dominicus GnosiusBelga (d.i. Israel Harvet) seinen berühmten Kommentar zum Tractatus vereAureus des Hermes Trismegistus von 1610 gewidmet, doch erst in den zu seinenEhren 1617 in Prag gedruckten Elogia ac Iudicia Doctorum nostri seculi homi-num wurde Alstein auf dem Titelblatt zum »altero seculi nostri HERMETETRISMEGISTO« erkoren. Mehr noch: Es wurden, zum Teil von prominentenHermetikern wie Raphael Eglin oder Johannes Staritius, weitere kaum zuüberbietende Vergleiche angestellt, die ihn sogar über Hermes und auf diegleiche Ebene wie Paracelsus erhoben:

»Vt virtute sua, Ter maximus ille [Hermes] vocatus/ sic tu ter gemino nomine dignuseris« (Wie Hermes wegen seiner Tugend, so verdienst Du auch den Namen einesdreimal Geborenen); »Qualia non animo cudit Ter maximus Hermes« (was nichteinmal der dreimal Große Hermes zu denken wagte); »Jacobus ille sitne dicendus mihi/Mercurius, an Termaximus?« (Ob ich mir nun Jacob [Alstein] als Mercurius oder alsden dreimal Größten vorzustellen habe?); »Hermetem […] teutonico positum solo«(Ein auf deutschen Boden verpflanzter Hermes) [S. C2v)], »Philosophum Trismegi-stum« (ein dreimal größter Philosoph), »Hermete major tu quoque maximo/ CedisPhilippo nil Hohenheimio« (Du bist größer als dem größten Hermes und und stehstdem Paracelsus in nichts nach); »Ille Trismegisto est Hermete peritior arte/ In Chy-mica, vel quam Lullius inde tulit« (Alstein ist in der Chemie erfahrener als Hermes undhat darin mehr als Raymundus Lullius geleistet).87

In der Folgezeit (abgesehen von dem Fall Jacob Böhme) scheinen in der alche-mischen und hermetischen Literatur solche ephemeren und übertriebenenVergleiche von mehr oder weniger bekannten Autoren mit Hermes und Para-celsus immer seltener geworden zu sein, wenngleich Abraham von Francken-

87 Zu Alstein vgl. Julian Paulus: Alchemie und Paracelsismus um 1600. In: Analecta Paracelsica(wie Anm. 20), S. 384. Alsteins Hauptwerk, De tribus lapidibus bzw. De triplice lapide vonetwa 1606 hat sich nicht erhalten und man weiß nicht einmal, ob es überhaupt je im Druckerschienen ist. Mehrere Briefe von ihm oder über ihn befinden sich in Basel, Erlangen,Kassel, Marburg und Leipzig. Raphael Eglin empfahl ihn im März 1615 an Landgraf Moritz inKassel: »Adfui hesterno die in superiori Farmacopolio Doctori Jacobo Alstein, Magdebur-gensi Medico et Chymico, omnium quot mihi videre contigit, maxime admirando. Is notusest a multis annis tum in Gallia, ubi Medicus fuit Regius, tum Pragae in aula Imperatoris,Angelo ab Engelsperg, qui mihi multa de homine mira retulit. Magnatibus et Principibus inEuropa plerisque innotuit; quo nomine animadverti, si occasionem nancisci queat, cupereeum Illae. Excelsitati vestrae quoque commendari«, vgl. Kassel LBMB, Ms. 28 chem. 19, Bd.1,S. 78r-v. Lambertus Thomas Schenckelius (ed.): Elogia ac Ivdicia doctorum nostri seculihominum Domino Jacob Alsteinio Patritio ac cive Romano, Equite Aurato, Comite Palatino;Caesarum, regum, Principumque Medico Doctore; altero seculi nostri Hermete Trismegisto.Ad obturanda vel redarguenda calumniatorum ora. Praga 1617, S. B2r, B2r, B4v, C2v, C4r,D1r, B5r. Die Elogia stammen aus der Zeit, als Alstein in Rom (1606) und in Marburg (1615)weilte.

Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus 95

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berg in einem Brief aus dem Jahr 1641 seinen Freund Johann Bureus als den»Hermes aus dem hohen Norden« (HyperBoreus) bezeichnet hatte, und dieswohl nicht allein, weil Bureus ihm seine chiliastische Smaragdina TabvlaChronologiae Chervbinicae hactenvs Sigillatae pro assertione Veritatis Evange-licae ex vngvibus Bestiae (Uppsala 1639) geschenkt hatte, die mit Hermes garnichts zu tun hat, sondern viel mehr weil Franckenberg von Werdenhagenwusste, dass Bureus durch seinen Einfluss auf König Gustav Adolph den Einzugder hermetischen und paracelsischen Philosophie an der Universität Uppsalaermöglicht hatte: »E contra autem verae Philosophiae Trismegisti, et Theo-phrasti in sua Academia Vpsaliensi iste Rex ambas aperuit portas, ut ex eo fomeveritas doctrinarum in natura fundatarum rectius pateat.«88

Sonst zeichnete die Academia Naturae Curiosorum zwischen 1673 und 1693drei ihrer Mitglieder (Christian Adolph Balduin, Johann Paul Wurffbein undJohann Kunckel von Löwenstern) wegen etlicher hermetischer Publikationenmit den ehrenhaften Beinamen Hermes I. , Hermes II. und Hermes III. aus.89 Undnoch im Jahre 1781 stellte ein hervorragender Kenner dieser Literatur wie AdamMichael Birkholz seinen Vorgänger Hermann Fictuld wegen dessen »fürtrefli-chen und gleichsam symbolischen Schriften« als den »wahrhaftig deutschenHermes Trismegistus« dar.90

Mit Jacob Böhme hingegen war eine philosophische Persönlichkeit in Er-scheinung getreten, die mit zur Legende gewordenen Gestalten wie Hermes undParacelsus auf die gleiche Stufe gestellt werden durfte. So schrieb 1688 der

88 Abraham von Franckenberg: Briefwechsel. Eingeleitet und herausgegeben von Joachim Telle.Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, S. 135 – 136. Zu Bureus’ Smaeragdina Tabvla vgl. ThomasHofmeier : Exotic variations of the Tabula Smaragdina, in: Magia, alchimia, scienza / Magic,Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 509 – 562, bes. 528 ff. , 559 ff. , und die Abbildung aufS. 538 – 539; zur Aussage des Werdenhagen vgl. Sten Lindroth: Paracelsismen i Sverige till1660-Talets mitt. Uppsala 1943, S. 387.

89 Christiani Adolphi Balduini, Acad. nat. Curiosor. Colleg. cognom. Hermetis : Aurum Supe-rius et Inferius Aurae Superioris et Inferioris Hermeticum, Frankfurt u. Leipzig 1675, S.)(10v : »cum sit mihi [ab Academia] decretum Hermetis nomen«; Johannis Pauli Wurffbainii,Academiae Natur. Curios. Colleg. Hermetis II dicti: Salamandrologia, Nürnberg 1683; Jo-hann Kunckel von Löwenstern: Collegium Physico-Chymicum Experimentale, Oder Labo-ratorium Chymicum, hg. Johann Caspar Engelleder. Hamburg und Leipzig 1716, S. )( )(5v :»Auch hat er die Ehre gehabt, daß ein Hochedles Collegium Naturae Curiosorum ihn zueinem Mitgliede ihrer Societät aufgenommen, und ihm den wohlverdiensten namen HermesIII. beygelegt«.

90 Adamah Booz [Adam Michael Birkholz]: Von der Natur und Kunst. Ein Danksagung-schreiben an den erleuchteten Verfasser des hermetischen A.B.C. […] Nebst einem Auszugeaus etlichen Werken Hermann Fictulds. Leipzig 1781, S. 61. Zu Fictuld vgl. Antoine Faivre inDictionary of Gnosis and Western Esotericism. Hg. v. Wouter J. Hanegraaff. Leiden 2005, Bd.I, S. 367 – 370, wo aber das von Fictuld verschlüsselte achtzeilige Kryptograph, in dem Fic-tuld seine Identität preisgab, nicht dechiffriert wurde! vgl. meinen Aufsatz: Ein Wirrwarr fürBibliographen. In: Heinrich Khunrath: Amphitheatrum sapientiae aeternae – Schauplatz derewig allein wahren Weisheit (Clavis Pansophiae 6), Anm. 108 (im Druck)

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radikale Spiritualist Friedrich Breckling in seiner Entgegnung auf das Buch Anti-Böhmius des ultraorthodoxen Lutheraners Abraham Calovius, der die Schriftenund die Anhängerschaft Jacob Böhmes als den letzten Dreck der Hölle (»no-vissima excrementa daemonis infernalis«) bezeichnet hatte:

Die rechte Theosophi/ Medici und Chymisten/ welche durch die Experimental-Philo-sophiam und Chymiam biß zum Centro/ Grund und Wurtzel aller Dinge durchdringen[…] die finden mehr in J. Böhmen Schrifften/ als ihnen bißher durch aller Chymistenund Rosen-Creutzer Bücher je geoffenbahret ist/ nach dem Hermete Trismegisto/ undwissen sich dessen wol zu gebrauchen […] Unsere Academien-Priester und Doctores[…] sind sie ihm so feind/ daß sie auch seine und des [Aegidius] Gutmans Bücher soweit sie können verdächtig machen/ widerlegen und confisciren/ ja wol gar in Verhafftund Gefennüß einsperren wollen/ wie die Herren Leipziger solches gethan/ so gar daßkaum ein Buchführer oder Drucker unsere Bücher in Deutschland mehr drucken oderoffentlich verkauffen darff/ damit sie allein Meister bleiben/ und frey im finsternmausen/ lästern/ wiederlegen/ und mit dem Druck verfolgen mögen/ solche denen siedas Maul verbinden/ und ihnen alles Drucken und Verantworten verbieten […].91

Kein Wunder, dass der Philosophus Teutonicus Böhme bald darauf zu einem»Hermes Trismegistus Teutonicus redivivus« stilisiert wurde, wie dies der un-bekannte Verfasser einer Metallurgia Böhmiana 1695 tat, indem er seine Vorredemit den Worten anfing:

Gelehrter Leser anjetzo theilen wir dir mit Metallurgiam Böhmianam, das ist eineBeschreibung der Metallen/ noch die Principia deß Hermetis Trismegisti TeutoniciRedivivi (also den theuren Mann zu nennen haben wir wichtige Ursachen/ welcheanderswo sollen angeführet werden) […].92

Inwieweit dann Böhme Paracelsus als philosophische Leitfigur in der hermeti-schen und theosophischen Literatur des 18. Jahrhunderts ersetzt hat, wie dies beiWellings Opus Mago-Cabbalisticum et Theosophicum von 1735 der Fall ist,wollen wir hier nicht mehr untersuchen.93 Wir begnügen uns mit der Feststel-lung, dass auch hier eine geistige Linie von Hermes über Paracelsus zu Böhmehergestellt wurde, ähnlich wie diejenige, die ein Franciscus Rottman für den von

91 Abraham Calovius: Anti-Böhmius, In quo docetur, Qvid Habendum de Secta Jacobi Böh-men/ Sutoris Gorlicensis. Wittenberg 1684, S. A1r; Friedrich Breckling: Anticalovius siveCalovius cum Asseclis suis prostratus et Jacob Böhmius Cum aliis testibus veritatis defensus.O. O. [Amsterdam?] 1688, S. E2r-v.

92 Metallurgia Böhmiana, Das ist: Eine Beschreibung der Metallen […] Nach deß Jacobi BöhmiiPhilosophi Teutonici principiis. Amsterdam 1695, S. )(2r.

93 Zu Welling vgl. Joachim Telle: Zum »Opus mago-cabbbalisticum et theosophicum« vonGeorg Welling. In: Euphorion 77 (1989), S. 359 – 379; Petra Jungmayr: Georg von Welling(1655 – 1727). Studien zu Leben und Zeit. Stuttgart 1990; zu neu entdeckten Hss. Wellings inDarmstadt vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd. II,S. 198 – 201.

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Paracelsus prophezeiten »Elias der Künste« nach der Epocheneinteilung desJoachim von Fiore im Jahre 1680 formuliert hat.

Denn der Elias Artista Seculi Patris, Hermes Trismegistus, Pater Philosophorum, istschon vorlängst der Welt ein vergessen Wunder worden/ ausser den wahren Kindernder Weißheit/ die ihn lieben und folgen. So ist auch der Elias Artista Seculi Filii,Theophrastus Paracelsus, Monarcha Medicorum, der Welt ein Spectakel, und […]Wunder Welt-Mirakel der folgenden Welt […]. Jm herabbrechenden Seculo SpiritusSancti erwarten die Kinder der Lilien und Rosen/ den dritten Eliam Artistam, derselbewird allen andern mit Weißheit und Kunst übertreffen/ wie Salomon alle andere weisenvor und nach ihm übertroffen hat.94

Mit den Kindern der Lilien und Rosen-Zeit sind natürlich die Schüler JacobBöhmes gemeint,95 nur dass unser Rottman hier nicht den Philosophus Teuto-nicus, sondern einen anderen Theosophen im Kopf hat, nämlich den heute kaumbekannten Amsterdamer Alchemiker Erich Pfeffer aus Itzehoe, dessen beein-druckenden handschriftlichen Nachlass Rottman zum ersten Mal der Nachweltvorstellte. Darunter befand sich, außer mehreren paracelsisch und rosenkreu-zerisch tingierten Schriften, ein angeblich definitiver Kommentar zur Smarag-denen Tafel mit dem Titel: Auslegung über die itzund erst recht-erfundene Ta-bulam Hermetis Trismegisti nach Magischen/ Cabalistischen und Philosophi-schen Grund.96

Ob Hermes/Rosenkreuz/Paracelsus, ob Hermes/Paracelsus/Böhme oder wieauch immer die überlieferte Namenskette heißen soll – diese klangvollen Namenwurden in der alchemo-hermetischen Literatur so oft zu den alleinigenHauptgestalten stilisiert, dass man sie allmählich wie untereinander aus-tauschbare Synonyme zu benutzen anfing; ein untrügerisches Zeichen dafür,dass sich der Hermetismus in Deutschland völlig paracelsiziert hatte und zumgemeinsamen Nenner für Paracelsismus, Rosenkreuzertum und Böhmismusgeworden war.

So braucht es nicht zu verwundern, dass die Autorschaft von ausgesprochenhermetischen Traktaten wie dem berühmt-berüchtigten Buch Picatrix in deut-scher Übersetzung unter dem frommen Titel Zwey unerschetzliche kostbarliche

94 Franciscus Rottman: Treuhertzige Vermahnung Jn diesen itzigen gefährlichen/ doch wun-derbarlichen Zeiten/ an alle und jede Sucher des sonst heiligen und gerechten Arcani Arc-anorum. Hamburg 1680, S. A2r-v ; Nachdruck von Pfeffers Catalogus vieler raren undsonderlichen Manuscripten in: Georg E.A. Reger. Gründlicher Bericht Auff einige Fragen/Bekräftiget durch drey übereinstimmende Zeugen/ als Der Heiligen Schrifft/ Dem Buch derNatur/ und Dem Buch der Menschheit. Hamburg 1683.

95 Vgl. das Kapitel »Jakob Böhmes Rosen- und Lilienzeit« bei Wilhelm Schmiedt-Biggemann:Apokalypse und Philologie. Wissensgeschichten und Weltentwürfe der Frühen Neuzeit.Göttingen 2007, S. 173 – 176.

96 Zu Pfeffer vgl. Ferguson: Bibliotheca Chemica. Glasgow 1906, vol. I, S. 32; II, S. 186 f.Schmieder. Geschichte der Alchemie (wie Anm. 72), S. 419.

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Büecher Von der ewigen Heimlichkeit und der heimlichen Ewigkeit97 Paracelsuszugeschrieben wurde, oder dass in einer der Abschriften in englischer Sprachevon der Chymischen Hochzeit der Titel geändert wurde, so dass nicht mehrChristian RosenCreutz, sondern Hermes Trismegistus, der »trice great Hermes«,zum Hauptdarsteller geworden ist:

Hermetis Trismegisti Sponsalia celeberrima: or The famous celebrated Nuptials of thetrice Great Hermes. Allegorically describing the Mystical Union and Communion ofChrist with every Regenerate Soul: Composed By C. R. a German of the Order of theRosie-Cross about 255 years past, and from the Latin Manuscript faith fully Translatedinto English by Peter Smart Master of Arts. 1714.98

4. Der Einzug von Hermes in das paracelsische Schriftencorpus

Paracelsus wurde also durch seine Anhänger als »Trismegistus Germanus« ge-feiert, und dies mit vollem Recht. Denn dank ihm fand der Hermetismus inDeutschland eine viel stärkere Verbreitung als in anderen Ländern; mehr noch,er schuf auch die Sprache und die Terminologie, die diese Verbreitung erstmöglich machte.

Erstaunlich, dass die geistige Verwandtschaft zwischen Paracelsus und Her-mes zu Lebzeiten des Hohenheimers und auch während der ersten großen Wellevon Paracelsuspublikationen in den 1560er Jahren offensichtlich kein zentralesThema war. So sprach etwa ein späterer Kritiker, Hermann Conring, 1648 ineiner vergleichenden Studie über die alte hermetische und die neue paracelsi-sche Medizin der »Schule des Paracelsus« das Recht ab, sich Hermetiker zunennen oder sich irgendwie auf eine hermetische Tradition zu berufen: Dennnicht einmal Paracelsus und seine ersten und bedeutendsten Anhänger hättensich selber zu Hermes bekannt, wie Conring in der Überschrift zu einem Kapitelschrieb:

97 Zur deutschen Version des Picatrix von etwa 1580, die sich in drei Handschriften erhalten hat(Erlangen UB, Ms. B 242, S. 1r-60v (datiert 1597); Halle UB, Ms. 21 A 10, S. 149r-223v ;Leiden UB Cod. Voss. Chym. 28 14, S. 410r-458r, vgl. Marsilio Ficino e il ritorno di ErmeteTrismegisto / and the Return of Hermes Trismegistus, ed. Sebastiano Gentile/Carlos Gilly).Firenze 1999, S. 302 – 306; Sudhoff. Versuch einer Kritik, Teil II (wie Anm. 26), S. 686–688,beschrieb das Leidener Ms. als pseudoparacelsisches Werk (»an Echtheit ist nicht zu denken«),aber ohne Identifizierung der ersten eineinhalb Bücher des Picatrix.

98 London BL, Ms. Harl. 6486, S. 1r-164v. Es handelt sich nicht um eine Version aus dem Latein,sondern um eine Kopie von Ezechiel Foxcrofts gedruckter englischer Übersetzung TheHermetic Romance or the Chymical Wedding. Written in high Dutch By Christian Rosen-creutz. London 1690. Nur die »Table containing all the memorable points of Philosophie andHistory in that learned Treatise of Hermes Nuptials«, S. 165r-168v, ist neu.

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Caput XV: Paracelsum se noluisse haberi Hermeticum, nec veteris sapientiae Her-meticae fuisse peritum; dubiae porro fidei esse eius quae ferentur scripta, nec illum velsecum vel cum discipulis consentire (Paracelsus wollte nicht als Hermetiker geltennoch war er ein Experte der alten hermetischen Weisheit ; außerdem hegt man großeZweifel hinsichtlich der ihm zugeschriebenen Schriften, da er weder mit sich selbstnoch mit seinen Schülern übereinstimmt).

Oder wie er noch in dem gleichen Kapitel weiter erklärte:

Ante omnia vero est observandum, non Paracelsum ipsum, nec primos ejus discipulosHermeticorum nomen ambijsse: sed de Hermete apud illos, nisi forte quando perichrysopoietikes est sermo, altum esse silentium (Es muss vor allem festgestellt werden,dass weder Paracelsus noch seine ersten Schüler nach dem Namen der Hermetikergehascht und dass bei ihnen über Hermes – abgesehen von alchemotechnischen Ar-beiten – großes Stillschweigen herrscht).99

Wir wollen es uns hier aber nicht so leicht wie Conring machen, und in mög-lichster Kürze auf zwei grundlegende Fragen zu antworten versuchen, nämlichwie und wann der Hermetismus in Hohenheims Schriften und in das CorpusParacelsicorum eingegangen ist und um was für eine Art Hermetismus es sichbei dieser Vermischung handelt.

Dabei muss erstens festgestellt werden, dass wir hier – und im Einklang mitder neuesten Forschung – die von Festugiºre aufgestellte scharfe Trennungzwischen »philosophischen« und »technischen« Hermetica für irreführend undvöllig obsolet halten; und ferner, dass man für die Zeit der Renaissance ei-gentlich zu Unrecht von der »Return of Hermes Trismegistus« spricht, denn diemythische Gestalt des Hermes war nach dem Ende der Antike aus der euro-päischen Kulturlandschaft keineswegs ganz verschwunden, wie die Überliefe-rungsgeschichte des Asclepius zeigt.100 Ab dem 12. Jahrhundert, zunächst dankder zahlreichen Übersetzungen aus dem Arabischen und anderen Sprachen,

99 Hermann Conring: De Hermetica Aegyptiorum Vetere et Paracelsicorum Nova MedicinaLiber vnvs. Quo simul in Hermetis Trismegisti omnia, ac universam cum Aegyptiorum tumChemicorum doctrinam animadvertitur. Helmstedt 1648, S. 177 f. Vgl. auch Ebeling: DasGeheimnis des Hermes Trismegistos (wie Anm. 54), S. 133 – 137.

100 Carlos Gilly : Die Überlieferung des Asclepius im Mittelalter. In: From Poimandres to JacobBöhme. Gnosis, Hermetism and the Christian Tradition. Hg. v. Roelof van den Broek & Cisvan Heertum. Amsterdam 2000, S. 335 – 367; Loris Sturlese: Saints et magiciens: Albert leGrand en face d’Hermºs Trism¤giste. In: Archives de Philosophie 43 (1980), S. 615 – 634;ders.: Proclo ed Ermete in Germania da Alberto Magno a Bertoldo di Moosburg. Per unaprospettiva di ricerca sulla cultura filosofica tedesca nel secolo delle sue origini (1250 –1350). In: Vom Meister Dietrich zu Meister Eckhart. Hrsg. von Kurt Flasch. Hamburg 1984,S. 22 – 33; ders.: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert demGroßen (784 – 1280), München 1993, S. 360 – 363, 376 – 377, 383 – 388; ders.: PhilosophischeProjekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse. Stuttgart 2007;Paolo Lucentini und Loris Sturlese: Platonismo, ermetismo, eresia nel Medioevo (Textes et¤tudes du Moyen ffge, 41). Louvain-la-Neuve 2007.

Carlos Gilly100

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wurde Hermes Trismegistus in allen seinen Namensvarianten (Hermes, Her-mogenes, Mercurius, Utarid von Babylon, Germa von Babylon, Toz Graecus,Tozigeus, Teizolius) zu einem der maßgebenden Autoren auf dem Gebiet derKosmologie, Astrologie, Alchemie, Magie, Medizin, Naturphilosophie und nichtzuletzt der so genannten »Deutschen Mystik«, deren Hauptvertreter sich alsbegeisterte Leser von Hermes erwiesen und die den »heidenschen kunig« Her-mes ganz provokativ in einen christlichen Heiligen verwandelten: »ein heiligschribet: ›Got ist ein vinsternisse nach allem liechte, sunder dem vinsternissesiner unbekantheit« (Tauler).101

Will man aus den echten Schriften des »Trismegistus Germanus« erfahren,was er von dem Hermes aus Ägypten hielt, so wird man zunächst ziemlichenttäuscht. Paracelsus hat Hermes kaum zitiert, und wenn ja, geschah dies oft,um ihn zurecht zu weisen (Paragranus, ed. Sudhoff VII, 148). Aber er kritisierteauch diejenigen, die Hermes aus Ignoranz nicht verstünden (»egregii scilicethomines, qui Hermetem ex eorum inscitia iudicant« (De vita longa, II 2, ed.Sudhoff III, 263).102 Wahr ist, dass die namentlichen Hermeszitate bei Paracelsusausschließlich aus alchemischen, astrologischen oder medizinischen Traktatenstammten und nicht aus dem Poemander oder dem Asclepius, denn diese er-wähnte er mit keinem Wort. Mit keinem Wort hat er allerdings auch die TabulaSmaragdina erwähnt, was aber nicht heißt, dass er sie nicht kannte, denn, wieWalter Pagel schrieb, »the doctrine fundamental of the Tabula is equally fun-damental to Paracelsus, namely the analogy of the ›above‹ to the ›below‹«.103

Direkt oder indirekt gehen zentrale Grundgedanken des Paracelsus auf denHermetismus des Mittelalters und der Renaissance und auf dessen Umfeld zu-rück. Pagel konnte nachweisen, dass die Lehre der drei Substanzen bei Para-

101 Paolo Lucentini und Vittoria Perrone Compagni: I testi e i codici di Ermete nel Medioevo:Firenze 2001; vgl. auch die Darstellung von hermetischen mittelalterlichen Handschriftenaus all diesen Gebieten in: Marsilio Ficino e il ritorno di Ermete Trismegisto (wie Anm. 97),S. 83 – 112, 183-83-265; Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wieAnm. 8), Bd. II, S. 59 – 84.

102 Die Stellen über Hermes hat als erster Ole Borch: Hermetis Aegyptiorum, Et ChemicorumSapientia ab Hermanni Conringii animadversionibus Vindicata, Kopenhagen 1674, S. 280 –283 (»Paracelsi judicium der Hermete« und »Paracelsus an vere Hermeticus«), zusam-mengestellt ; vgl. ferner Wilhelm Ganzenmüller : Paracelsus und die Alchemie des Mittel-alters. In: Angewandte Chemie 54 (1941), S. 427 – 431, zusammengestellt. Vgl. aber jetztCorpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 172.

103 Pagel und Winder : Paracelsus, Traditionalism (wie Anm. 16), S. 56. Die relativ häufigengemeinsamen Erwähnungen von »Hermes und Archelaus« weisen darauf hin, dass Para-celsus den Kommentar von Archelaus zur Tabula Smaragdina (»De corporibus et spiriti-bus«) kannte, vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), Bd.II, S. 66, 70. Zur lateinischen und deutschsprachigen Präsenz der Tabula Smaragdina imSpätmittelalter siehe besonders den Beitrag »Tabula smaragdina«, in: Die deutsche Lite-ratur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 9, Berlin 1995, Sp. 567 – 569 (J. Telle).

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celsus – Tria Prima: Salz, Schwefel und Quecksilber, aus denen alle Dinge be-stehen – aus den Septem tractatus des Hermes stammt. Er wies auch den Einflussdes ›italorum medicorum optimus‹ Marsilio Ficino auf Paracelsus in dessenBuch De peste und De vita longa nach. Und schließlich äußerte Pagel auch dieVermutung, dass die Lehre der ungeschaffenen Urmaterie auf das Argument vonFicino (eigentlich von Lefºvre d’Etaples) zum Asclepius 7 zurückgeht.104 Den-noch befinden sich die zwei eindrücklichsten Stellen, in denen Paracelsusdeutlich zu Hermes Stellung nimmt, im ersten der Bücher De natura rerum(Basel 1572),105 deren Authentizität nicht ganz gesichert ist, und in dem ihmuntergeschobenen De secretis creationis (Straßburg 1575).106

Bei den Paracelsisten hingegen galt die Bewunderung für Paracelsus glei-chermaßen für Hermes. So konnte der anonyme Verfasser des magischen BuchesArbatel, wie oben gezeigt wurde, im Aphorismus 26 den Satz schreiben: »Her-mes Trismegistus secretorum pater cum Theophrasto Paracelso«. Aber auch hierhat eine Entwicklung stattgefunden.

Schon in einer der ersten paracelsischen Publikationen Adam von Boden-steins aus dem Jahr 1562 ist von Hermes’ Entdeckung von zwei steinernen Tafelnnach der Sintflut die Rede, »auf denen die Spuren der alten Medizin und derganzen Naturwissenschaft überdauerten«. Allerdings mit dem Vorbehalt, dassauch dort die wahrhafte Kunst nicht vollständig aufgeschrieben war, wodurch siedie Menschen seit Noahs Zeit an nicht richtig lernen konnten.

Hermes quidem dicitur postea duas lapideas tabulas reperisse, in quibus veteris me-dicinae et totius naturalis scientiae vestigia restabant, sed ars vera, nec illis erat inscripta,nec homines eam a Noe aliijsque recte didicerunt. Ideo destituti vera arte […].107

Auf die gleiche Legende von den »Columnis Hermetis« und den Mythos der beider Sintflut verlorenen Weisheit griff auch der Paracelsist Gerard Dorn imzweiten Teil seines Chymisticum Artificium naturae von 1569 zurück, nur dass erhier den »Hermetem Mercurium Trismegistum« als den ersten Befreier undWiederhersteller der göttlichen Kunst (»primus post Deum uindex et restaura-tor) darstellte, einen zweifachen Kommentar zur Smaragdenen Tafel hinzufügteund mit einem Lob des zweiten Wiederherstellers der Künste und Wissen-schaften, Theophrastus Paracelsus, abschloss: Denn diese »hermetica doctrina«,

104 Walter Pagel: Das medizinische Weltbild von Paracelsus. Seine Zusammenhänge mitNeoplatonismus und Gnosis, Wiesbaden 1962, S. 107 – 108; Webster : Paracelsus – Medi-cine, Magic, and Mission (wie Anm. 16), S. 132 – 139.

105 Paracelsus: De Generatione rerum naturalium. In: Sechster Theil Der Bücher vndSchrifften, ed. J. Huser (wie. Anm. 48), S. 264 – 266; ed. Sudhoff XI, S. 317 – 318.

106 (Pseudo-)Paracelsus: De secretis creationis (wie Anm. 34), S. 67 – 68.107 Paracelsus: De Gradibus, de compositionibus et dosibus receptorum ac naturalium libri

septem (ed. Adam von Bodenstein). Mülhausen 1562, S. *2v, vgl. Corpus ParacelsisticumBd. I (wie Anm. 16), S. 151, 159, 171 f.

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so schrieb Dorn, sei von keinem Arzt verstanden worden bis auf die Zeit vonParacelsus, der sie selber experimentell nachvollzogen und in zahlreichenSchriften, besonders in deutscher Sprache (»germanice potissimum«), sowohlfür die Gelehrten wie auch die des Latein unkundigen Leute dargestellt habe.108

Als begeisterter Bewunderer von Hermes erwies sich aber auch Alexandervon Suchten, der bereits in seiner ersten paracelsischen Publikation, De SecretisAntimonii liber vnus von 1570, Hermes nicht nur den Vorrang und Primat »inmysteriis naturae« zugestand, sondern auch dessen »Naturkündigkeit« als Ve-hikel einer natürlichen Erkennung der wahren Religion gegenüber der Gottlo-sigkeit Galens und anderer Heiden stellte:

Sagt mir eins: Trismegistus, wenn ist er gebohren? nun hat er mehr von Christo gewust,denn vielleicht einer unter euch. Wer hat ihm Christum zu erkennen geben? DieCreaturen Gottes, die Galeno so wol für den Augen gelegen, als Hermeti.109

In Gegensatz zu andere Paracelsisten gab Suchten kein einziges Buch Hohen-heims heraus, sondern machte es sich zur Aufgabe, die Lehren des Paracelsus aufihren magischen und hermetischen Kontext zurückzuführen. Dies tat er zuerstin seinem literarisch hochstehenden Buch De Tribus facultatibus von ca. 1563 –1569110 und dann erneut in einem gegen Erastus gerichteten Dialogus vonca. 1574/1577, wo er Hermes mit Noah und Hermogenes identifiziert und Pa-racelsus zu dessen erstem Nachfolger erkor :

Dan der Fromme Noha/ welchen etlichen Hermogenem nennen/ oder Hermetem, demdie Antiquitas scientiam omnium Coelestium et terrestrium attribuirt; derselbe Nohahat die Artzney vor seinem todt beschrieben […] Nach seinem Todt ist die kunst derArtzney wieder zu Gott gefahren/ vnd also durch die Sündfluß vnd Todt Noe demMenschlichen Geschlecht entzogen […]. Jedoch sucht ein jeder dieselbige an dem Ort/Ein anderer an eim Andern Ort/ dann wie in Columnis ! [in den Säulen Mercurii =

Hermetis] verzeichnet ist […]. Aber Gott/ der nicht ewig mit dem Menschen zürnet/hat zu vnsern Zeiten Philippum Theophrastum Bombast von Hohenheim erwehlet/daß durch jhn das Liecht Scientiae Medicinae, wider an tag kommen/ vnd der Betrugoffenbar würde […]. Von den zeiten Nohae hat kein Artzt verstanden/ woher dieKranckheiten/ so jhr Incurabiles nennet/ entsprungen/ Dann Paracelsus Allein […]

108 Gerard Dorn: Artificii Chymistici Physici, Metaphysici, Secunda pars. [Frankfurt] 1569,S. )(4r, 1 – 91 (bes. 78 – 79).

109 Alexander von Suchten: De secretis Antimonij liber vnus. Das ist/ Von der grossen he-ymlichkeit/ des Antimonij die Artzney belangent. Straßburg 1570, S. 82; vgl. dazu CorpusParacelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 582 f.; zu Suchtens Hermetismus vgl. Magia, alchi-mia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 185 – 198.

110 Alexander von Suchten: De tribus facultatibus: Kurtzer Bericht von der Wahrheit undSophisterei dreyer der furnembsten Faculteten, nemlich Theologiae, Astronomiae et Me-dicinae. Erstdruck in Figulus: Pandora (wie Anm. 56), S. 112 – 142. Zur Überlieferung desDe tribus facultatibus vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wieAnm. 8), S. 185, 193.

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Paracelsus ist der erste Medicus Microcosmi gewesen/ vnd vor jhm keiner/ Darumbnennet er sich billich Monarcham Medicorum, ob welchem Tittel Erastus der Ca-lumniator möchte zerspringen.111

Gegen solche Verherrlichung Hohenheims durch Suchten hatte bereits 1570 inseiner Christliche Widerlegung der Philosophia ad Athenienses der GalenistBartholomäus Reusner aus Zittau heftigen Protest erhoben, und deshalb Para-celsus gleich wie Hermes Trismegistus zu Werkzeugen des Teufels degradiert:

Es mus ein jeder hertz/ darinne frömigkeit ist/ erschrecken/ für des Paracelsi Lügen/vnd kleglich beklagen der letzten Welt blindheit/ das der Teufel vngehindert/ nu durchdieses sein Werckzeug darff sagen/ vnd so viel Menschen das glauben/ das für demersoffenem neidischen vnflat Paracelso/ die weißheit Gottes in der Natur von keinemMenschen/ erkant vnd beschrieben sey/ als von diesem Gottslesterer/ vnd zuuor vomHermete Trismegisto.112

Reusner ging indessen nicht so weit wie der Heidelberger Mediziner ThomasErastus, der in seinen zwischen 1571 und 1573 bei Perna in Basel erschienenenDisputationes de Medicina Nova Philippi Paracelsi für die Anhänger des Para-celsus sogar die Todesstrafe gefordert hatte. Was Hermes und die Hermetikerbetrifft, so äusserte sich Erastus kaum anders als über Paracelsus und die Pa-racelsisten. Ficino musste sich sagen lassen, dass er kein Priester Gottes gewesensei, sondern vielmehr der Oberpriester einer ägyptischen Religion und einer dergrößten Anbeter des Teufels; seine Lehre stehe in totalem Widerspruch zurBibel, sodass sie keine Widerlegung, sondern bloß Verachtung verdiene. HermesTrismegistus wurde von Erastus kaum viermal und – mit Ausnahme eines Zitatesaus Paracelsus über Hermes und Vergil – nur generisch erwähnt; seine Lehrenwerden aber als originär paracelsisch widerlegt. Erastus betrachtete mit Rechtdie Lehre des Microcosmus als »das Fundament und höchste Prinzip der Me-dizin des Paracelsus«.113 Ob Astrologie, Magie oder Alchemie, all die Bücher, dieunter den Namen des Hermes liefen, enthielten für Erastus nichts anderes alsBetrug und Phantastereien und keines von ihnen war für ihn mehr als drei- bisfünfhundert Jahre alt. Zu solchen Fälschungen zählte Erastus an erster Stelle die

111 Dialogus Alexandri a Suchten. In: Benedictus Figulus: Pandora (wie Anm. 56), S. 49 – 111(59 – 60, 63 – 64, 67); verbesserter Nachdruck in: Alexander von Suchten: ChymischeSchrifften Alle. Frankfurt a/M 1680, S. 305 – 356.

112 Bartholomaeus Reusner : Ein kurze Erklerung vnd Christliche widerlegung/ Der vnerhör-ten Gotteslesterungen vnd Lügen/ welche Paracelsus in denn dreyen Büchern Philosophiaead Athenienses hat wider Gott/ sein Wort/ vnd die löbliche Kunst der Artzney außge-schüttet. Görlitz 1570, S. C.7r.

113 Thomas Erastus: Dispvtationum de Medicina Nova Philippi Paracelsi. Pars Prima(-Quarta). Basel [1571]-1573. (in der Reihenfolge der Zitate: Pars I, S. 117 f. ; Pars III, S. 224,S. 59 ff). Zu Erastus im Zusammenhang mit Paracelsus und Hermes vgl. Magia, alchimia,scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), I, S. 241 – 251; II, S. 130 – 133.

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Tabula Smaragdina, von der er hochnäsig behauptete, »dass kein Mensch, der sieaufmerksam lese, so dumm sein könne, dass er die Fiktion und Fälschung nichtbemerkt«.114

Als Mahnung für die Nachwelt ließ Erastus auf seinen Grabstein in der Pe-terskirche in Basel folgendes Epitaph einmeißeln:

Non Hermes heic Trismegistus, sed acutus Philosophus, elegans Medicus, sincerusTheologus, Heidelbergensis Acad. Columen, Basiliensis Lumen […] (Kein HermesTrismegistus liegt hier begraben, sondern ein scharfsinniger Philosoph, ein geschickterArzt, ein echter Theologe, eine Säule der Universität Heidelberg und ein Licht seinerBasler Alma mater […])115

Es scheint, als wollte Erastus (oder wer auch immer dieses Epitaph für den 1583verstorbenen Professor entworfen hatte) den gegen Paracelsus geführten Kampfin alle Ewigkeit fortsetzen. Es sei denn, es handelte sich um die posthumeAntwort eines Verehrers des Aristoteles – wie Erastus es war – auf eine derInschriften für das Grab von Paracelsus, die im zweiten Band der Operum latineredditorum gestanden hatte:

Hic est mirifici Theophrasti corpus in vrnis. j Non fuit aequus ei clarus Aristoteles.(Hier in den Urnen ruhet der Leib des wundertätigen Paracelsus j Der berühmteAristoteles kam ihm nicht gleich.)116

Der streitsüchtige Heidelberger Professor hatte offensichtlich eine große Ent-täuschung erlebt, als sich der wohl hellste philosophische Kopf unter den Pa-racelsisten, der Däne Peter Sørensen alias Severinus, ostentativ geweigert hatte,auf die durch Erastus erfolgte aristotelische Kritik seiner Idea Medicinae phi-losophicae von 1571 überhaupt einzugehen und sogar die persönlichen Be-schimpfungen (»impudens iactantia cuiusdam Paracelsici«) unbeantwortetließ.117 Doch in seinen Briefen an Theodor Zwinger in Basel beklagte sich Se-verinus über die antihumanistische (›illiberalis‹) Methode des Erastus, seine inder Idea vorgetragenen Lehren, die ja jenseits der Philosophie des Aristoteles

114 »Nugae sunt indignae quarum fere mentio tanta fiat«; »Si rem pressius consideremusomnes huius generis libros ante tria, quatuor aut quinque circiter secula scriptos reperi-emus«; »Haud existimo quenquam sic esse stupidum, qui, cum attente legit, quae de TabulaHermetis Smaragdina fabulantur, non olfaciat falsa et ficta esse«, vgl. Thomas Erastus:Explicatio quaestionis famosae illius, utrum ex metallis ignobilioribus aurum verum etnaturale arte conflari possit. Basel 1572, S. 101 – 103.

115 Johannes Gross: Urbis Basileae epitaphia et Inscriptiones. Basel 1625, S. 135.116 Telle: Paracelsus im Gedicht (wie Anm. 24), S. 43, 248.117 Erastus hatte 1572 den zweiten Teil seiner Disputationum de medicina nova Paracelsi (Basel

1572) fast ausschließlich gegen Severinus gerichtet, ohne diesen jedoch beim Namen zunennen, vgl. Jole Shackelford: Early Reception of Paracelsian Theory : Severinus andErastus. In: Sixteenth Century Journal 26 (1995), S. 123 – 135; ders.: A Philosophical Pathfor Paracelsian Medicine. The Ideas, Intellectual Context, and Influence of Petrus Severinus:1540 – 1602. Copenhagen 2004, S. 217 – 222.

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lagen (»cui tamquam censori mea non submisi«), allein nach den aristotelischenGrundsätzen geprüft und verdammt zu haben. Aber leider sei es so, klagteSeverinus: die in den aristotelischen Dogmen erzogen wurden und sich aus-schließlich davon ernähren, vermögen offensichtlich nicht, in anderen Katego-rien zu denken; nimmt man ihnen den Aristoteles weg (»ubi Aristotelica dog-mata eripueris«), so verlieren sie die Orientierung und bewegen sich bloß imKreis. Um diesen Teufelskreis ein für allemal zu durchbrechen (»proinde nesterilis illa petitio principii toties nobis sit cum taedio et molestia occursura«)entschloss sich Severinus dann in einem – heute leider verlorenen – Compen-dium physicae zum direkten Angriff auf die Aristoteliker, und zwar durch densystematischen Vergleich seiner »mosaischen« (lies: hermetisch-paracelsi-schen) Physik mit der gesamten aristotelischen Physiologie.118

Der Begriff Mosaische Physik oder Philosophia Mosaica ist fundamental, umden Prozess der Hermetisierung der paracelsischen Naturphilosophie (was denInhalt betrifft) wie auch der Paracelsisierung des Hermetismus (in Bezug auf dieSprache) verstehen zu können.119 Denn entgegen einer landläufigen Meinunggeht es bei dem Begriff »Philosophia« bzw. »Physica Mosaica« bei den Anhän-gern des »Trismegistus Germanus Paracelsus« weder um eine »Physica sacra«oder »christiana« (wie man ihr bei Levinus Lemnius, Lambertus Danaeus,Francisco Vall¤s oder Johann Heinrich Alsted begegnet)120 noch um eine frommefundamentalistische Rückbesinnung auf die Bibel im Zeichen einer »pia phi-losophia« oder »philosophia christiana«. Es sei denn, wir interpretieren die zweiletzten Begriffe nicht im Sinne des Augustinus, sondern im Sinne von MarsilioFicino und seiner Academia platonica, wonach lediglich die dort gelungeneSymbiose von Platonismus, Hermetismus und Christentum als »pia philoso-phia« definiert wird, und zwar im Kontrast »with what he considered the im-pieties of scholastic Aristotelism«.121 Zu diesem Ergebnis waren übrigens schonPhilosophiehistoriker des 18. und 19. Jahrhunderts wie etwa Jacob Friedrich

118 Carlos Gilly : Paracelsianism for Philosophers: Petrus Severinus. In: Magia, alchimia, sci-enza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 219 – 240.

119 Zum weiteren Zusammenhang vgl. Wilhelm Kühlmann: Der Hermetismus als literarischeFormation. Grundzüge seiner Rezeption in Deutschland. In: Scientia Poetica. Jahrbuch fürGeschichte der Literatur und der Wissenschaften 3 (1999) S. 145 – 157; ders. : Paracelsismusund Hermetismus (wie Anm. 8), S. 23 – 32.

120 Kathleen M. Crowther : Sacred Philosophy, Secular Theology : The Mosaic Physics of Le-vinus Lemnius (1505 – 1568) and Francisco Valles (1524 – 1592). In: Nature and Scripture inthe Abrahamic Religions: Up to 1700. Hg. v. Jitse M. van der Meer und Scott Mandelbrote.Leiden 2008, S. 397 – 428.

121 James Hankins: Marsilio Ficino as a Critic of Scholasticism. In: Vivens Homo 5 (1994),S. 325 – 334; Ann Blair : Mosaic Physics and the Search for a Pious Natural Philosophy in theLate Renaissance (wie Anm. 126), S. 32 f. ; Dieselbe: Natural Philosophy. In: The CambridgeHistory of Science: Early modern science, vol. 3. Hg. v. Roy Porter u. a. Cambridge 2006,S. 374.

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Reimmann oder auch Albert Stöckl gelangt, der über Fludds Philosophia Mo-ysaica nüchtern urteilte: »Er will uns in derselben auf die Philosophie des Moseszurückführen. Dabei beruft er sich auf Hermes, auf die Cabbalisten, den Para-celsus, den Nicolaus von Cusa und die ganze Schaar der Auctoritäten, welche imMunde der neuern Platoniker und Theosophen waren.«122

Zur Rückbesinnung auf die Mosaische Kosmogonie gesellten sich bald zweikomplementäre Erscheinungen – die sich ebenfalls mit Aussagen von Paracelsusbelegen ließen, jedoch inzwischen von radikalen Spiritualisten wie Schwenck-feld, Franck oder Castellio noch schärfer formuliert worden waren: Die erste wardie radikale Ablehnung der »papierenen« Gelehrsamkeit und des bloßenBuchwissens (anstatt Erfahrung und Wirken) als einzigem Kriterium zur Be-urteilung eines guten Arztes, Naturphilosophen oder Theologen; eine Ableh-nung, die in zwei herrlichen Abhandlungen des frühen Paracelsismus, De Tribusfacultatibus von Alexander von Suchten (ca. 1563 – 1569) und De antiqua Phi-losophia von Johann Arndt (1580)123 ihren höchsten literarischen Ausdruckfand. Die zweite bestand in der unerbittlichen Bekämpfung der Autorität derantiken »heidnischen« Autoren, allen voran Aristoteles, nach der sich blindlingsnicht nur die Philosophen und Mediziner an den Hochschulen, sondern selbstdie Theologen und Prediger in den Kirchen glaubten richten zu müssen.

Abgesehen von den durchaus religiös-fundamentalistischen Zügen, welchedie Ablehnung der »heidnischen Autoren« in den zwei anonymen TraktatenOffenbahrung Göttlicher Majestät (1575) und Cyclopaedia Paracelsico Christi-ana (1585) tatsächlich annahm, würde ich die scharfe und langwährende Kritikvon Hermetikern und Paracelsisten an den »pagoischen« und heidnischen Au-toren keineswegs als Ausdruck einer »christlichen Revolte des 16. Jahrhundertsgegen den Paganismus der antiken Kultur«124 auffassen, sondern vielmehr alseine zeitgemäße und in der Tat wirkungsvolle Strategie, um das starre auf Ari-stoteles und Galen aufgebaute Wissenschaftsgebäude, das jeglichen Fortschrittverhinderte, bis in die Grundfesten zu erschüttern. Diesen grundsätzlichenKonflikt, der schon seit den 1570er Jahren des 16. Jahrhunderts im Gange war,können wir noch Jahrzehnte später rückblickend veranschaulichen am Beispiel

122 Jacob Friedrich Reimmann: Versuch einer Einleitung in die Historiam literariam dererTeutschen, Bd. III,1. Magdeburg 1709, S. 598; Albert Stöckl: Geschichte der Philosophie.Kircheim 1866, S. 472. Zum Topos Moses als »Jüdischen Trismegistos« um 1700 vgl.Hannak: Theologie als Theosophie (wie Anm. 37), S. 136.

123 Zu Suchten vgl. Anm. 108; zu Arndt vgl. Carlos Gilly : Hermes oder Luther. Der philoso-phische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift »De antiqua philosophia et divinaveterum Magorum Sapientia recuperanda«. In: Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndtund die »Vier Bücher vom wahren Christentum«. Hrsg. v. Hans Otte und Hans Schneider.(Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 40) Göttingen 2007, S. 163 – 199; vgl. auchunten, Anm. 191.

124 Corpus Paracelsisticum Bd. I (wie Anm. 16), S. 582 f.

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des ideologischen Grabens zwischen dem Verfasser der Fama Fraternitatis R.C.und seinem gefürchtetsten Gegenspieler, Andreas Libavius.

Während sich Johann Valentin Andreae schon am Anfang dieses ersten Ro-senkreuzer-Manifests von 1614 darüber beklagte, dass die Gelehrten in Europaüberhaupt nicht gewillt waren, einmal zusammen zu kommen, um die moder-nen Errungenschaften in der Philosophie und der Naturwissenschaft unter-einander zu kommunizieren und den Fortschritt voranzutreiben:

[…] ist auch bey den Gelehrten der Stoltz und Ehrgeitz so hoch, daß sie nicht mögenzusammen tretten und auß allem, so Gott in unserm Seculo reichlich mitgetheilet, einlibrum Naturae oder Regulam aller Künsten samblen möchten, sondern je ein theil demandern zuwider thut, bleibt man doch bey der alten Leyren und muß Bapst, Aristotelesund Galenus, ja was nur einem [papierenen] Codice gleich siehet, wider das helleoffenbahre Liecht gelten, die ohn zweifel selbsten, so sie lebten, mit grossen Freudensich corrigirten.125

antwortete Libavius in seinem Examen Philosophiae Novae quae Veteri abro-gandae opponitur von 1615 mit einem schrillen Bekenntnis zum akademischenAristotelismus, das er wie ein fünftes Evangelium in alle Richtungen verkündete,und mit einem erneuten Angriff auf die »principia Paracelsi, Seuerini, Hermetisimpii et Ethnici […]«, zu denen er neuerdings auch den Magier Christian Ro-senkreuz (»Magus pater Ch. a Rosea Cruce«) gesellte. Denn wie überhaupt fürdie Konservativen seiner Zeit waren auch für Libavius alle Künste und Wis-senschaften zu ihrer höchsten Vollkommenheit gelangt. Wenn es etwas Neues zuvollbringen gab, so wäre dies höchstens, die Teile der Wissenschaft, »welche dieAlten noch kannten und ihre Nachfahren verloren, wieder ans Licht hervorzu-bringen«.126 Auf Libavius’ Kritik der paracelsischen Auffassung der PhilosophiaMosaica müssen wir vorläufig verzichten und uns erneut mit Severinus und demBeginn der Hermetisierung des Paracelsismus beschäftigen.

In einem fiktiven Brief an Paracelsus (Epistola scripta Theophrasto Paracelso,in qua ratio ordinis et nominum adeoque totius Philosophiae Adeptae Methodus

125 Johann Valentin Andreae: Fama Fraternitatis. Das Urmanifest der Rosenkreuzer Bruder-schaft zum ersten mal nach den zeitgenössischen Manuskripten bearbeitet durch Pleun vander Kooij. Haarlem 1998, S. 58 – 65.

126 Libavius: Examen Philosophiae novae, quae Veteri abrogandae opponitur (wie Anm. 8),S.289 f. Bei der Stilisierung seines Helden zu einem großartigen »learned Chymicus« undVorkämpfer einer Aufwertung der »art of Chymia as an academic discipline« übergehtBruce T. Moran (vgl. Anm. 8) diese und andere negativen Seiten des Libavius und ver-schweigt unter anderem die Tatsache, dass Libavius seinen ganzen Ruhm in der Geschichteder Chemie nicht eigenen Experimenten verdankt, sondern allein der fleißigen Kompilations-arbeit aus den Schriften eben derjenigen, die er auf der allgemeinen weltanschaulichenLinie mit unerbittlicher Härte und Gehässigkeit zu vernichten trachtete und deren »ket-zerische« Bücher er auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen wollte: »nos ignibus ad-dicimus haereticis«, ebd. S. 62.

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compendiose et erudite ostenditur), der als Vorbote seiner Idea MedicinaePhilosophicae Ende 1570 bei Sixtus Henricpetri in Basel erschien, beklagte sichSeverinus, dass Paracelsus durch seinen unbändigen Drang nach Originalität(»alterius non sit, qui suus esse potest«) und das willkürliche Austeilen von Lobund Kritik auch an die Adresse der »priscorum sapientum« wie Hermes, Ar-chelaus, Plato und Hippokrates, seinen Schülern eine schwere Aufgabe aufge-bürdet hatte (»nobis onus illud imposuisti«), nämlich, selber zu entdecken undden anderen beweisen zu müssen, dass »die Ordnungsprinzipien, die mannig-faltigen Deutungen und die Methode der lebendigen Astrologie«, die Paracelsusnach eigener Aussage aus Moses’ Schöpfungsbericht gewonnen hatte und inseiner ganzen Philosophie und Medizin anwandte,127 nichts anderes waren alseine Wiederherstellung der Lehre von Hermes Trismegistus sowie von anderen»prisci philosophi« und »abditioris Naturae interpretes«.128

Der Begriff ›Philosophia Mosaica‹ wurde durch Severinus in der Idea Me-dicinae Philosophicae von 1571 geprägt, als er – aufgrund von Aussagen desParacelsus selbst – diesen als »Mosaicae Philosophiae discipulus« bezeichnete.129

Doch eine erste praktische Anwendung eben dieses Begriffs fand sich bereits einJahr zuvor in dem 1570 entstandenen pseudoparacelsischen Traktat De secretiscreationis, Von Heimlichkeit der Schöpffung aller dingen, der aber erst 1575durch Michael Toxites in Straßburg veröffentlicht wurde.130 Der Traktat gehörte(zusammen mit der ebenfalls pseudoparacelsischen Philosophia ad Atheniensesvon 1564) zu den originellsten und meist bekämpften Erzeugnissen des CorpusParacelsicorum und eröffnete eine eindrucksvolle Reihe von hermetischenAuslegungen der biblischen Schöpfungsgeschichte, die in kürzester Zeit ent-standen waren, darunter die 1575 redigierte Offenbahrung Göttlicher Majestät

127 In seiner Vorrede zu Paracelsus: Philosophiae Magnae […] Tractatus aliquot. Köln 1567,S. A2v-4r , hatte Balthasar Flöter als erster auf einige Aussagen von dem »Theodidacto acPhilosopho Viro Theophrasto« hingewiesen, wonach dieser seine eigene »Philosophey« und»Doctrina« »nur auff die Schrifft gegründt« haben wollte, vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II(wie Anm. 24), S. 319 –324; weitere diesbezügliche Aussagen finden sich in Paracelsus:Philosophia Sagax (ed,. Huser, wie Anm. 49), Teil X, S. 28 – 29: »Auff dz so merkend/ wie derGrundt auß der Bibel kommt/ auff den die Philosophey gesetzt soll werden/ vnd das gantzLiecht der natur […].«

128 Petrus Severinus: Epistola scripta Theophrasto Paracelso, in qua ratio ordinis et nominumadeoque totius Philosophiae Adeptae Methodus compendiose et erudite ostenditur. Basi-leae 1570, S. b2r-v ; vgl. auch ders.: Idea Medicinae Philosophicae, Fundamenta Continenstotius doctrinae Paracelsicae, Hippocraticae, et Galenicae. Basel 1571, S. b4r : »Etenimordinum rationem, interpretationum uarietatem, et uitalis Astrologiae Methodos, quibus intota sua Philosophia et Medicina utitur Paracelsus, [antiqui abditiores Naturae interpretes]explicarunt«.

129 Petrus Severinus: Idea Medicinae Philosophicae (wie Anm. 129), S. 41.130 Paracelsus: De secretis creationis (wie Anm. 34), S. 67 – 68. Zur Wirkung vgl. Gottlieb Ch.

Adolf von Harless: Jacob Böhme und die Alchymisten. Leipzig 1882, S.61 f. ; Walter Pagel:William Harvey’s Biological ideas. Basel 1967, S. 26 f.

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des Aegidius Gutmann und die zwischen 1577 und 1582 verfasste NatürlicheAuslegung von der Schöpfung und Viererlei Auslegung von der Schöpfung desValentin Weigel.131 Im De secretis creationis werden die einzelnen Sätze desmosaischen Schöpfungsberichts zu einem philosophischen Kommentar über die»Sieben Wirkungen Gottes« umgestaltet, der mit der traditionellen christlichenExegese nichts gemeinsames aufweist, dafür aber umso mehr mit den Lehren der»alten Heidnischen Meister vnd Philosophen« (Gott als »sexta essentia vnd dasmedium aller dingen«; »des menschen Seel […] begabet mit der sechsten es-sentia«). Trismegistus wird hier als »vnser Vatter Hermes« angesprochen und zueinem Propheten »durch eingebung Gottes/ des heyligen Geistes« stilisiert, derdie Wechselbeziehungen zwischen allen Kräften des oberen und dem unterenFirmaments wie kein zweiter erklärt hatte.132

Das Thema der »Philosophia Mosaica« wurde dann 1583 auch von GerardDorn in seinem Buch De Natvrae lvce physica, ex Genesi desvmpta, iuxta sen-tentiam Theophrasti Paracelsi wieder aufgenommen, als »Physica Genesis«weiter entwickelt und mit einem neuen Kommentar zur Tabula Smaragdina(»Physica Hermetis Trismegisti«) ergänzt, da Dorn der festen Überzeugung war,dass Hermes Trismegistus seine gesamte kosmogonische Lehre – samt der in derSmaragdenen Tafel eingemeißelten spagirischen Physik – von dem mosaischenSchöpfungsbericht aus der Genesis hergeleitet hatte: »Hermes ille Trismegistuscognomine Mercurius, in doctrina Genesis per Moysen tradita non vulgariterinstructus, hanc posteritati Physicam spagiricam inde sumptam reliquit.«133

Ihm folgte der französische Arzt und Diplomat Pierre Asselinau, der ab 1593in den Briefen an seine Freunde von Paracelsus nur als »Theophrastus, mosaicaedisciplinae sectator« sprach und der dessen Schüler Severinus als den Wieder-hersteller und besten Ausleger jener uralten und unverdorbenen Philosophie(»primigeniae, et incorruptae philosophiae restauratorem, fidelemque huiusinterpretem«) über alles verehrte.134 Auch Oswald Crollius bezeichnete in seinerüberaus wirkungsvollen Praefatio admonitoria zur Basilica Chymica von 1609Hohenheim als »der Mosaischen und lebendigen Philosophie einzigen Schüler«,der von den Geheimnissen der Natur und den Wundern Gottes geschrieben undGottes Wort in den Geschöpfen gefunden hätte; er sah ihn als Kontrast zu den an

131 Vgl. unten, Anm. 186 und 187.132 Paracelsus: De secretis creationis (wie Anm. 34), S. 67 – 68.133 Dorn: De Natvrae Lvce Physica, ex Genesi desumpta. Iuxta sententiam Theophrasti Para-

celsi (wie Anm. 44). Die drei Traktate führen jeweils die Überschriften »Physica Genesis«,»Physica Hermetis Trismegisti« und »Physica Trithemii«, die laut Dorn der Lehre desHohenheimers entsprachen. Zu Dorn vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24),S. 30–31, 823–963; Didier Kahn: Alchemie et Paracelsisme en France (1567–1625), Genºve2007, S. 114 ff., 143 ff.196 ff. 207 ff.

134 Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy and Science (wie Anm. 8), S. 226, 239.

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den Hochschulen herrschenden »Nachfolgern der Heydnischen Philosophen/auß welcher Heydnischen Philosophia alle Jrrthumb hergeflossen« (»nostrisPhilosophiae Ethnicae sectatoribus, a qua Gentili Philosophia omnis errorpromanavit«).135 Diese Formulierung Crolls, »vnicus Paracelsus Mosaicae etviventis Philosophiae discipulus [qui] verbum incarnatum in creaturis reperit«empörte einen Libavius so sehr, dass dieser Croll als »gottlosen Deliranten«beschimpfte, der genau wie die Rosenkreuzer die sakrosankten Worte der Bibelin die Dinge der Natur und der Kunst hineinzwang, um sie nach den paracel-sischen Träumen zu interpretieren (»sanctissima verba […] accomodare rebusnaturae et artis somniisque Paracelsicis«).136

Auf Paracelsus und die Philosophia Mosaica haben sich trotz vielfältigerModifikationen bis ins 18. Jahrhundert noch viele Autoren berufen, wie derschwäbische Schwenckfeldianer, Paracelsist und Chiliast Helisaeus Röslin inseiner De opere Dei creationis sev de mundo von 1595,137 der norwegischeTheologe und Naturphilosoph Cort Aslakssøn in seiner De natura caeli triplicislibelli tres von 1597 und noch intensiver in der Physica et Ethica Mosaica von1613;138 ferner Robert Fludd in dem De Theosophico, Cabalistico et Physiolo-gico utriusque Mundi discursu von 1621139 und dann besonders in seiner

135 Oswald Croll : Basilica Chymica continens Philosophicam propria laborum experientiaconfirmatam descriptionem et usum remediorum Chymicorum Selectissimorum e LumineGratiae et Naturae desumptorum. Frankfurt a. M., Claude de Marne und Erben des JohannAubry [aber gedruckt in Hanau, in der Officina Wecheliana], 1609, S. 46; 69; vgl. auchStephan Meier-Oeser : Hermetisch-platonische Naturphilosophie. In: Ueberweg – Grund-riss der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts 4/1, Basel 2001,S. 12 f.

136 Libavius: Examen Philosophiae novae (wie Anm. 8), S. 7 – 8. Zu Crolls Interpretation derSchöpfungsgeschichte vgl. Hiroshi Hirai: Le concept de semence dans les th¤ories de lamatiºre � la Renaissance: de Marsile Ficin � Pierre Gassendi. Turnhout 2005, S. 295 – 323. ZuLibavius’ entgegengesetzter Interpretation vgl. Andraes Libavius: De Vniversitate, et Ori-ginibvs rervm conditarvm Contemplatio singularis, Theologica, et Philosophica, ivxtaHistoriam Hexa×meri Mosaici in Genesi propositam instituta. Frankfurt 1610, S. 76 – 77;vgl. zu dieser Stelle auch Moran: Andreas Libavius and the Transformation of Alchemy (wieAnm. 8), 228 – 230.

137 Helisaeus Röslin: De opere Dei creationis. Ristampa anastatica dell’edizione Francoforte1597 a cura di Miguel Angel Granada. Lecce 2000, S. 29 – 41; zu Röslin vgl. Gilly : »The-ophrastia Sancta« (wie Anm. 20), 440–446; Kühlmann, Paracelsismus und Hermetismus(wie Anm. 8), S. 29.

138 Kort Aslakssøn: De natura caeli triplicis libelli tres. Siegen 1597; ders.: Physica et EthicaMosaica, vt antiquissima, ita vere christiana, dvobvs libris comprehensa. Hanau 1613. BeideTexte sind in Faksimile und mit Transkription in The Digital Library of Classic ProtestantTexts im Netz verfügbar. Zu Aslakssøn vgl. Shackelford: A Philosophical Path (wieAnm. 117), 318 – 323, und die klassische Monographie von Oskar Garstein: Cort Aslakssøn:studier over dansk-norsk universitets- og laerdomshistorie ombrik är 1600. Oslo 1953.

139 Robert Fludd: De Theosophico, Cabalistico et Physiologico utriusque Mundi discursu. In:Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica atqve Technica Historia.Frankfurt 1617 – 1623, II, 2, S. A2r-B2v, 1 – 199.

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posthum erschienenen Philosophia Moysaica von 1638, wo die ganze MosaischeSchöpfungsgeschichte auf einen spagyrischen Akt des göttlichen Wortes zu-rückgeführt wird: »Doctrina Mosayca, quae in creatione et ordinatione mundiper spagyricum divini verbi actum consistit«.140 Comenius seinerseits griff inseiner Physicae Sypnosis von 1633 auf die Physica Mosaica von Aslakssøn zu-rück, ergänzte sie aber in der Ausgabe von 1663 mit neuen Zusätzen über die»Mosaica Mundi principia«.141 Von Comenius abhängig war Johannes Sophro-nius Koz�k aus Böhmen in seiner Physica Mosaica von 1637142 und zum Teil auch,aber in viel radikalerer Form, der aus Pommern stammende und in Schwedenexilierte Historiker, Antitrinitarier und Spiritualist Friedrich Menius, den StenLindroth treffend als »en entusiastik anhängere av den hermetiska fysiken i dessmosaiska form« charakterisiert.143

Menius verfasste 1639 für Königin Christina eine Pandora Sophica generalisde rerum omnium principiis, die ungedruckt geblieben ist, und veröffentlichte1644 unter dem Pseudonym Salomon Maius in Stockholm seinen ConsensusHermetico-Mosaicus, worauf er kurz danach ins Gefängnis geworfen wurde.Beide Schriften handeln »von dem Beginn vndt Ersten Anfange aller dingen […]dieser siechtbaren, obern vndt vntern Weldt«. In dem Consensus Hermetico-Mosaicus, der als Fortsetzung von Comenius’ Pansophia konzipiert wurde, legtMenius den mosaischen Schöpfungsbericht aus dem ersten Kapitel der Genesisganz detailliert als eine »Relatio Mosaica de Principiis Universalibus« in para-celsischer Nomenklatur aus, die er dann mit einem letzten Kapitel (»ConfirmatioHermetica«) beschließt, das aus dem Text der Tabula Smaragdina sowie seinemeigenen Kommentar dazu besteht.144

140 Robert Fludd: Philosophia Moysaica. In qua Sapientia et scientia creationis et creaturarumSacra vereque Christiana […] explicatur. Gouda 1638, S. 15. Zu Fludd vgl. u. a. JohannesRösche: Robert Fludd. Der Versuch einer hermetischen Alternative zur neuzeitlichen Na-turwissenschaft. Göttingen 2008, bes. S. 325 – 338.

141 J.A. Comenius: Physicae ad lumen divinum reformandae Synopsis. In: J.A. Komensky :Opera omnia, Bd. 12. Prag 1978, S. S. 70 – 264, Abb. 25; vgl. Ann Blair : Mosaic Physics andthe Search for a Pious Natural Philosophy in the Late Renaissance. In: Isis 91 (2000), S. 32 –58.

142 J. S. Koz�k: Physica Mosaica, oder Natürlicher Discurs, von den geschäpfen welche von demGeiste des Herrn/ auf Gottes befehlich in den ersten sechs tagen aus der geschaffenenMateri/ nach der relation Mosis formieret. Bremen 1637 (mir unzugänglich). Zu Koz�k alsParacelsist vgl. Walter Pagel: The Smiling Spleen. Paracelsianism in Storm and Stress. Basel1984, S. 37 – 54.

143 Lindroth: Paracelsismen i Sverige (wie Anm. 88), S. 489 – 490: Zu Menius vgl. auch T.Nörlin: Fredrik Menius, en svensk antitrinitarie i det sjuttonde �rhundradet. In: Theologisktidskrift 8 (1868), S. 48 – 60.

144 Salomon Maius [Friedrich Menius]: Consensvs Hermetico-Mosaicus Von dem wahrenAnfange aller siechtigen vndt vnsiechtigen dingen/ Sodan auch Von der warhafften einigenUniversal Materi des (so woll zur Natur als Kunst gehörigen) höhesten Arcani der gantzenWeldt. Zu einem Vortrab vndt Muster der grossen Lateinischen Historiae Pansophicae, oder

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Was die Pandora sophica betrifft, so stützt sich Menius ausdrücklich aufAutoren wie Hermes, Paracelsus, Dorn, Crollius und Comenius, lobt ganz be-sonders den »schönen und herrlichen« [pseudo-]paracelsischen Traktat Dearcanis [secretis] creationis« und stellt ganz feierlich die Forderung auf, dieSchriften des »Hermetis et Mercurii Trismegisti«, nämlich den Poemander undden Asclepius, neben der heiligen Schrift an den Universitäten studieren zulassen:

Ja, es hatt derselbige Askenaz, sonst Hermes, Theuto, Mercurius (vmb seiner grossenWeissheit willen Trismegistus von den Griechen genennet) nit alleine mündtlich sol-ches gelehret, sondern auch seinen Posteris zur Nachricht, schriftlich hinterlassen.Gestalsam dan solches aus der Original Sprache, schon vor langen vnd teckligen Jahrenvndt zeiten, ins Griechische, vndt von dannen entlich ins Latin transferiret worden;welche beide den noch vorhanden: Es wäre aber sölches Buch, meines Erachtens, wollwerth, das nebst der heiligen Schrifft, allen anderen Heidnischen Scribenten vorge-zogen würde, vndt das mans den studierenden Jugent in Schulen vndt auff Vniversi-täten proponierte. Weshalben auch ich gesonnen bin, sölches Buch […] in vnseredeutsche Sprache zu bringen, vnd mit notwendigen Erclärungen an den tag zu geben.145

Man könnte die Reihe so genannter »mosaisch-hermetischer« Bücher von demErstdruck von Jakob Böhmes Mysterium Magnum oder Erklärung über Das ErsteBuch Moses im Jahr 1640146 bis auf Georg Friedrich Retzels Der Sechs Tage-Wercke dieser Welt Geheime Bedeutung von 1722147 und darüber hinaus fort-führen, ohne den Janitor Pansophus am Schluss des Musaeum Hermeticum von1678 zu vergessen, wo die vier schönen Kupferstiche aus der Basilica Philoso-phica von Johann Daniel Mylius wieder abgedruckt wurden, um den Besucherdes Musaeum eine Art illustrierten Führer zur »Mosaisch-Hermetischen Wis-senschaft des Oben und des Unten« an die Hand zu geben.148

Pansophiae Practicae, Vorangeschicket. Aus beiden Liechtern/ der Natur vndt Gnaden.[Stockholm] 1644.

145 Friedrich Menius: Pandora Sophica Generalis. De rervm omnivm principiis, das ist All-gemeiner Schatzkasten von dem Beginn vndt Anfang aller dingen. Uppsala UB, Ms. P8,S. 1 – 62.

146 Zur Geschichte der Ausgabe vgl. die Publikation der BPH: Jacob Böhmes Weg in die Welt.Zur Geschichte der Handschriftensammlung, Übersetzungen und Editionen von AbrahamWillemsz van Beyerland. Hg. von Theodor Harmsen. Amsterdam 2007, passim.

147 Georg Friedrich Retzel: Der Sechs Tage-Werke dieser Welt Geheime Bedeutung Jm Spiegelder uhralten/ und Mosaischen Philosophie entdecket. Blankenburg 1722.

148 Janitor Pansophus: Figura Aenea Quadripartita Cunctis Museum hoc Introentibus, Supe-riorum ac Inferiorum Scientiam Mosaico-Hermeticam, analitice Exhibens. In: MusaeumHermeticum Reformatum et Amplificatum. Hg. v. Karl R.H. Frick (PhotomechanischerNachdruck der Ausg. Frankfurt 1678). Graz 1970, unpaginiert.

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5. Die Verschmelzung der hermetischen und paracelsischenPhilosophie

Doch wir wollen zu unserer oben gestellten zweiten Aufgabe zurückkehren undeine Antwort auf die Frage versuchen, welche Art von hermetischem Traditi-onsgut es eigentlich war, das die Lehren des Paracelsus und seiner Anhängerallmählich durchdrang, so dass man bald kaum noch zu unterscheiden wusste,ob eine »Hermetisierung« des Paracelsismus oder eine »Paracelsierung« desHermetismus stattgefunden hatte.

Für Hermann Conring, wie schon oben gezeigt, lautete die Antwort ganzschlicht: aus dem ganzen hermetischen Schriftencorpus seien nur die alche-motechnischen Texte von den Paracelsisten zu Kenntnis genommen worden. Fürden Poemander und die anderen hermetischen philosophischen Traktate hättensich die frühen Anhänger des Paracelsus kaum interessiert.149 Diese Meinung istauch unter den Chemiehistorikern mit wenigen Ausnahmen (Peuckert, Pagel)bis vor Kurzem die vorherrschende gewesen. Selbst in einer kürzlich erschie-nenen Geschichte des Hermetismus (2005) wird die »Konversion« des Alchemo-Paracelsismus zum Hermetismus im Zusammenhang mit der Veröffentlichungdes pseudoparacelsischen Apocalypsis Hermetis dargestellt und auf die Jahre1603 – 1608 datiert,150 obwohl bereits die Herausgeber des Corpus Paracelsisti-cum eine ganze Reihe von Hinweisen auf eine viel frühere Einwirkung derhermetischen Ideen bei den Anhängern des Paracelsus zusammengestellt hat-ten.151 Aber auch hier fehlen wesentliche Beweise für die Verwendung des demHermes zugeschriebenen philosophischen Schriftencorpus im Umfeld des frü-hen Paracelsismus – als ob die diesbezüglichen hermetischen Publikationeneines Sebastian Franck in den 1560er Jahren in Deutschland gänzlich ohneWirkung geblieben wären.

Dem ist aber nicht so. Denn ein mit den frühen Paracelsisten eng vertrauterSchwenckfeldianer und Tübinger Professor veröffentlichte 1564 eine lateinischeakademische Rede über Entstehung und Einteilung des Himmels, in der Moses’Schöpfungsbericht vornehmlich durch die Kosmogenese des »TermaximusMercurius« ergänzt und ausführlich ausgelegt wurde: »Spectaculi Hermetisexplicatio, et cum Moyse collatio […]. Haec diuina est Hermetis historia, aMoyse, si quis recte iudicet, nihil discrepans.«

In dieser akademischen Rede De usu partium coeli oratio werden ausführlicheTextpassagen aus dem Poemander und anderen Traktaten des Corpus Herme-

149 Siehe oben Anm. 99.150 Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos (wie Anm. 54), S. 107 – 109.151 Kühlmann, Paracelsismus und Hermetismus: Doxographische und soziale Positionen (wie

Anm. 8), S. 24 – 32; Corpus Paracelsisticum Bd. II (wie Anm. 24), S. 29 –33.

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ticum wiedergegeben, zumeist auf Lateinisch in der Übersetzung des MarsilioFicino, zum Teil aber auch auf Griechisch, nach der von Sebastian Franck 1542 inBasel edierten De perenni Philosophia von Agostino Steuco, wo bekanntlichgroße Teile des griechischen Textes zum ersten Mal in der Originalspracheveröffentlich worden waren.152 Der Verfasser dieser akademischen Rede, SamuelSiderocrates,153 galt zwar aufgrund seiner früheren Publikationen als Fachmannin anderen Sparten des Hermetismus wie Astrologie und Iatromathematik, er-wies sich hier aber als hervorragender Kenner und Ausleger der verzweigtenÜberlieferung des hermetischen Schriftencorpus, denn ihm entgingen weder diebei Kirchenvätern wie Kyrill erhaltenen Fragmente des Asclepius in griechischerSprache154 noch die mittelalterlichen hermetischen Texte etwa aus dem LiberXXIV Philosophorum, den Siderocrates aber nicht Hermes Trismegistus, son-dern einem anonymen Philosophen zuschrieb: »Quare philosophus quidam nonineleganter Deum definiuisse putandus est: circulum esse indescriptibilem,cuius centru sit ubique; circumferentiam uero nusquam.«155

Von dieser durch und durch hermetischen Rede De usu partium coeli desSiderocrates – und im besonderen von der hier erstmals seit der Antike gewagtenUmwandlung (Wasser statt Himmel) des fünften Bibelwortes – führt eine direkteLinie nicht nur zu der von Siderocrates 1585 posthum herausgegeben Cyclo-paedia Paracelsica Christiana von 1585,156 sondern vor allem zu der bereits obenerwähnten Offenbahrung Göttlicher Majestät, die laut Angaben des anonymen

152 Samuel Eisenmenger (Siderocrates): De usu partium coeli oratio […] habita Tubingae insolenni Collegij facultatis Philosophicae festo, Anno a Christo 1563. [Straßburg 1564](http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00021004/images/). Die Zitate ausdem Corpus Hermeticum auf S. 24, 29, 33, 38 – 43, 47, 49, 50, 51, 54 – 57, 133. Dass diegriechischen Zitate nicht aus der editio princeps graeca von Adrien Turnºbe (Paris 1554),sondern von Steuco stammen, erweist sich aus der Art, die Traktatentitel des CorpusHermeticum zu zitieren (»Mercurius Termaximus in libro, quo Deum inuisibilem exoperibus manifestum fieri docet« ebd. S. 57), vgl. Agostino Steuco: De perenni philosophialibri X. Basileae 1542, S. 568 (»Trismegistus latius […] scripsit in eo qui inscribitur, quodDeus inuisibilis, sit ex operibus manifestus«).

153 Zu Siderocrates auch als Hohenheims Anhänger vgl. Corpus Paracelsisticum Bd. II (wieAnm. 24), S. 879–894.

154 Eisenmenger (Siderocrates): De usu partium coeli oratio (wie Anm. 152), S. 41, 42, 51; vglTestimonium 31 in: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Hg. von Carsten Colpe und JensHolzhausen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1997, Bd. 2, S. 597, mit den Hinweis auf den grie-chischen Text in den Ausgaben von Scott und Nock-Festugiºre. Zu Kyrill als Überlieferervon hermetischen Texten siehe: Marsilio Ficino and the Return of Hermes Trismegistus(wie Anm. 97), S. 168 – 170.

155 Eisenmenger (Siderocrates): De usu partium coeli oratio (wie Anm. 152), S. 53.156 Sudhoff: Versuch einer Kritik, Teil I (wie Anm. 17), S. 352–355; Stephan Rhein: Die Cy-

clopaedia Paracelsica Christiana und ihr Herausgeber Samuel Siderocrates: Enzyklopädieals anti-humanistische Kampfschrift. In: Enzyklopädien der frühen Neuzeit. Beiträge zurErforschung. Hrsg. v. F.M. Eybl, W. Harms, H.-H. Krummacher u. W. Welzig. Tübingen1995, S. 81 – 97.

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Verfassers »in die 1575. Jahr nach Christi Geburt« redigiert worden war, und zuderen Urheber gelegentlich auch Siderocrates gemacht worden ist.157

Dieses gewaltige Werk stellt den wohl ausführlichsten hermetischen Kom-mentar des mosaischen Schöpfungsberichts dar und zwar in Gestalt einer na-turphilosophischen und alchemischen Auslegung der ersten fünf Verse im erstenKapitel der Genesis von beinahe 1100 Quarto-Seiten (370000 Worte!), die mitdem Titel Opus der 24 Bücher, Buch der Geschöpff Gottes oder OffenbahrungGöttlicher Majestät zunächst nur im Manuskript in kleinen Kreisen vonSchwenkfeldianern und Paracelsisten zirkulierte, bis sie 1619 in Hanau imDruck erschien.158 Von dem angeblichen Verfasser, einem Aegidius oder Eu-charius oder Eutychyus Gutman oder Guettermann weiß man nur (und dies bloßgerüchteweise), dass er »in Schwaben gelebt/ viel etlichen zu Augspurg wolbe-kant gewesen/ […] wie er dann vmb Anno 1580 vnd 84 (als noch jemandenbewust) daselbsten sich auffgehalten«.159

Doch eine Episode aus der Vorgeschichte des Druckes mahnt uns eindring-lich, bei der Identifizierung des Verfassers nicht nach einer phantasmagorischenPerson namens Gutman, sondern viel eher nach einem bekannten Autor ausdem Kreis der Schwenckfeldianer um Siderocrates zu suchen.

Bekanntlich hat das Opus der 24 Bücher bis zu dessen Veröffentlichung 1619kaum Verbreitung gefunden. Der relativ große Ruhm, der das Manuskript ingewissen Kreisen umgab, war vielmehr den vielen Kopien des umfangreichen»Register Vber das Buch der Geschöpff Gottes vnd der Offenbahrung Göttlicher

157 Dass die Offenbahrung Göttlicher Majestät mit der Cyclopaedia Paracelsica Christiana »inauffälligem Einklang« steht (J. Telle in W. Killy, Literaturlexikon, Bd. 4, Berlin 2009,S. 536 f.), wussten schon um 1700 sowohl der radikale Dissident Friedrich Breckling, der inseinem »Catalogus Testium veritatis post Lutherum« in Aegidius Gutman auch den Ver-fasser der Cyclopaedia vermutete (vgl. Gottfried Arnold: Unpartheyische Kirchen- u.Ketzer-Historie. Bd. 2, Schaffhausen 1741, S. 902), wie auch der orthodoxe Kirchenhisto-riker Ludwig Melchior Fischlin, der in seiner Memoria Theologorum WirtenbergensiumResuscitata, Ulm 1710, S. 196, die Identität von Siderocrates und Gutman festgestellt zuhaben glaubte: »Eisenmenger Aegidium Guttmennum esse in exemplari vetusto inveni«.

158 Offenbarung Göttlicher Mayestat/ Darinnen angezeygt wird/ Wie Gott der Herr Anfänglich/sich allen seinen Geschöpffen/ mit Worten vnd Wercken geoffenbaret/ vnd wie Er alle seineWerck/ derselben Art/ Eygenschafft/ Krafft vnd Wirckung/ in kurtze Schrifft artlich verfaßt/vnd solches alles dem Ersten Menschen/ den Er selbst nach seiner Bildnus geschaffen/vberreycht/ welches dann biß daher gelangt ist. (Hrsg. von dem Monogrammisten M. B. M.F. C.) Hanau 1619, S. 18.

159 Will Erich Peuckert: Das Rosenkreutz. Mit einer Einleitung herausgegeben von RolfChristian Zimmermann. 2, neugefaßte Auflage. Berlin 1973, S. 22 – 26, 31 – 32, 354 – 356;Carlos Gilly : Johann Valentin Andreae 1586 – 1986. Die Manifeste der Rosenkreuzerbru-derschaft. Katalog einer Ausstellung in der Bibliotheca Philosophica Hermetica. Amster-dam 1986, S. 29 – 31; ders.: Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel derzwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke. Ausstellung der Bi-bliotheca Philosophia Hermetica Amsterdam und der Herzog August Bibliothek Wolfen-büttel. Amsterdam 1995 (2. verb. Aufl.), S. 11.

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Majestät« zu verdanken, von dem sich Exemplare in deutscher, lateinischer undenglischer Sprache erhalten haben.160 Auch fleißige Sammler von alchemischenRezepten bemühten sich, in den Besitz von Abschriften von ausgewählten Ka-piteln (aus dem 4. und 5. Buch) zu gelangen, denn das Buch scheint zu einemhorrenden Preis angeboten worden zu sein.161 Das erste vollständige Exemplar,von dem wir wissen, gehörte dem Paracelsisten und Schwenckfeldianer KarlWidemann in Augsburg, der es in den Katalogen seiner Handschriften so be-schrieb: »In das 1. capitel Geneseys 24 Büecher, da yedes Wortt durch ainbsonderbar Buech ausgeleget wirtt, unzehlich viler und grosser Mysteriorumgedacht wirtt. Proprio libro in 4 Bunden. Eucharii Guettermanni«.162 AnfangsApril 1611 ließ Widemann seinem neu gewonnenen Gönner, dem Fürsten Au-gust von Anhalt, zuerst das Register zukommen

Es wurd auch ein Catalogus von büchern, die offenbahrung göttlicher Majestet, ausdem Genesi, communicirt, welches ein Volumen sein muß von vielen nützlichenDingen, welches so es der Herr gesehen, mir mit gelegenheit unbeschwert vermeldenwoll.163

und dann gleich danach das ganze Manuskript, worauf der Fürst den Plan fasste,das Buch auf eigene Kosten drucken zu lassen, doch nur unter der Bedingung,dass er zuvor den Verfasser der Offenbahrung der Majestet in seiner Residenz zuZerbst persönlich kennen lerne. Dieser scheint sein Einverständnis gegeben zuhaben, worauf der Fürst bei seinem Nürnberger Agenten sofort 100 GuldenReisegeld für den Verfasser bereitstellte und Ende Mai an Widemann berichtete:

befinde auch ein gutt vergnügen aus den büchern der Majestät Gottes […] ist mir einTrost, das sie in dem Jahr geschrieben worden, in welchem mich Gott auf diese Weltbracht hett [1575], so ist noch ubrig, sich wegen der Zusammenkunft zu resoluiren,darüber und wegen voriger vrsachen ich den Authoren gerne vernehmen möcht, je-

160 Vgl. unten Anm. 169.161 Zu den frühen Lesern solcher Fragmente gehörten außer Widemann (Auslegung auf den

Lapiden Philosophorum aus den 24. Büchern in das erste Kapitel Geneseos des EuchariusGuettermann, vgl. Gilly : Johann Valentin Andreae (wie Anm. 158), S. 30) auch Gegner wieAndreas Libavius (vgl. seinen Brief an S. Schnitzer vom 9.X.1605, in: Johannes Hornung:Cista Medica, qua in Epistolae familiares Clarissimorum Germaniae Medicorum […] as-servantur. Nürnberg 1626, S. 177). Zu dem angeblich hohen Verkaufspreis (»um etlicheTausend Gulden an den Hertzog von Würtemberg«, vgl. Arnold: Unpartheyische Kirchen-u. Ketzer-Historie (wie Anm. 156), Bd. 2, S. 323; (»umb 1000 Reichstaler angedragen undnachmalen zu 200 R verkummert […] an Landtgraff Moritz zu Hessen«, vgl. Widemann,Sylva scientiarum (Hannover, NsLB, Ms. IV 341, S. 535). Beide Landesherren lehnten aberdas Angebot ab.

162 Karl Widemann: Index librorum quorundam manuscriptorum secretorum. Hactenusnunquam visorum, in: Kassel, LBMB, 28 Ms. Chem. 7, S. 63r-94v, Nr. 454.

163 Brief von August von Anhalt an Widemann aus Zerbst vom 12. April 1611 in: Landes-hauptarchiv Sachsen-Anhalt–Abteilung Dessau (ehem. Oranienbaum), Abteilung Köthen,A 17a N8 100, S. 85r-87r.

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doch da es ihm geliebte die Lande zu besuchen, und mich deswegen alhier, weill dieDruckerei verhanden, zwischen dato und Jacobi zu sprechen, sol es mir ein freud undgantz nicht zuwider sein […] zu welchem Ende ich meinen factorem in Nürnbergk denViatischen befehlen laßen, damit solche Reise befördert werde, den Herren ehesthundert gutte gulden in Augspurg auszuzahlen, selbige dem Authori wiederumb darzuzuentrichten.164

Im nächsten Brief von Ende Juni schlug der Fürst Widemann vor, den Verfasserauf der Reise nach Zerbst zu begleiten, aber wegen der Pestgefahr mit der Reiseso lange zu warten, bis er es anordne.

ob mir zwar nicht zweiffelt, auch sei nunmehr die für dem von mir genomner resolutionals ordinans der reise halber zukommen, so hab ich im doch wol menilich andeutenwollen, dass ich nochmals darbei bewenden laß, zu seiner gutten eignen beliebungstellend, ob er den Autoren selbst begleitten woll [Widemann schreibt am Rand desBriefes: »Mein vnd Doctors Röslini Rais zu Jhren Fürstlichen Gnaden«], dieweill aberdie infection (wie vberall dieser landen) sich alhier was mercken lest, wollen sie mirihre glückliche Ankunft von Leibzig anmelden, und daselbsten meiner resolutionferner abwartten. Die scripta hab ich woll entpfangen und, so viel die Zeid wollenleiden, selbige gerne gelesen, befinde daraus ein gutten grund, beides die Theologicaals physica, wie man sie in gemein nennt, betreffend, vnd thut der author der offen-bahrung genug, dass er, neben seiner logic vnd discurs, viel falscheitten, so vnter denChristen stecken, zugleich mit entdeckt, vnd gleichwoll zu dem principalen weg weiset,wohin vnser heiland vns selbst geleittet hatt, einen punct den ehr berüret, von derinwonung gottes und wie got mit den seinigen rede, auch sein wort in unsern mundliege, selbiger ist mir etwan angedeutet, glaub es sei der welt kaum anders fürzugeben,doch mein ich meiner wenigkeit nach, der grund sei zu schlechtlich attingirt, mir istder autor benambt worden [Widemann schreibt am Rande eines Abschrift diesesBriefes »Eucharius Guettermann, also hab inn hören nennen«], und were sich dochsehr woll zuerkundigen, ob er keine fernere praxin oder clauem über solche büchergelaßen [Widemann am Rande: »Gabriel Örtel ruembt sich dessen«], wo er de aquamundificativa schreibt, wodurch die metalla von ihrem aussen gereinigt werden, da-selbst schreibt er fast zu viel, dieweil aber ein sehr genauer und geschwinder handgriffdarbei, zweifflt mir, ob in jemand leicht Treffen werd, Zerbst, den 29/17 Juni anno1611.165

Der Besuch der beiden Freunde bei dem Fürsten fand am Ende doch nicht stattund das Manuskript der Offenbahrung nahm der Fürst zu seiner neuen Residenzin Plötzkau mit, wo sie der Theosoph und Chiliast Paul Nagel 1616 zu lesenbekam, noch bevor das Manuskript zur Edition nach Frankfurt abgeschickt

164 Brief von August von Anhalt an Widemann aus Zerbst vom 28. Mai 1611, ebenda, S. 88r.165 Brief von August von Anhalt an Widemann aus Zerbst vom 29. Juni 1611, ebenda, S. 108r-v.

Als Fürst August 1620 die Landesregierung übernehmen musste, forderte er seine Origi-nalbriefe von den Briefpartnern zurück, was die dort eingetragenen Notizen der Empfängererklärt. Dies hinderte aber Widemann nicht, Exzerpte aus diesen Briefen in seiner Sylvascientiarum (Hannover, NsLB, Ms. IV 341, S. 520 – 550) aufzuzeichnen.

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wurde.166 Aber eines darf aufgrund der obigen Ausführungen festgestellt wer-den: Widemann hat offenbar dem Fürsten August von Anhalt seinen langjäh-rigen Freund Helisaeus Röslin als den Verfasser der Offenbahrung GöttlicherMajestät vorgestellt – ob zu Recht oder nicht, will ich hier nicht entscheiden –wodurch wir aber wieder in die Nähe von Samuel Siderocrates gelangt wären:von »D. Samuelem Eisinmengern« also, den Röslin 1569 nach seiner Promotionin Tübingen am Hof des Markgrafen Karl von Baden-Durlach aufsuchte, zuseinem einzigen und verehrten »Praeceptor in Astronomicis und daneben in derAlchimia« [und wohl auch in Schwenckfeldicis!] annahm und dem er bis zudessen 1585 erfolgten Tod auch verbunden blieb.167

Wo liegt aber das Hermetische in der Offenbahrung Göttlicher Majestät, in derweder Hermes noch Paracelsus ein einziges Mal erwähnt werden, obwohl man indiesem Buch so oft auf die Grundgedanken von beiden Autoren stößt, dass derHerausgeber der zweiten Ausgabe von 1675, Heinrich Ammersbach, den Titelauf dem Frontispiz mit Sprüchen von Ficino und Paracelsus einrahmte? DieLösung zu diesem Rätsel fand ein späterer Kritiker, Samuel Pomarius, als er inseiner Schutzschrifft wider den Guttmanischen Offenbahrungs-Patron von 1679auf die wirkliche Neuigkeit in dem Buch hinwies: »Caput primum Geneseos inTabulam Revelationis lapideam transformando, in dem er aus dem 1. Capitel desersten Buchs Mosis eine steinerne Offenbahrungstaffel aller Dinge machet.«168

In der Tat wurde sowohl in der ersten Ausgabe von 1619 wie auch (und nochviel deutlicher) in der zweiten von 1675 der »Textus der 24. Bücher diesesWercks«, das heißt vierundzwanzig Stichworte aus den ersten fünf Versen des

166 Brief von Paul Nagel an Arnold Kerner in Leipzig vom 24. Juni 1619: »Des Gutmans Bücherhab ich für [vor] 3 Jahren beim Illustrissimo Augusto Fürsten zu Anhalt gesehen undgelesen, gefielen mir wol«, Leipzig, Universitätsbibliothek, Ms. O 356, 8r. Dass es sich beider handschriftlichen Vorlage zu dem Druck von 1619 um das Exemplar von August vonAnhalt gehandelt haben muss, ergibt sich aus der Tatsache, dass von den fünf Wid-mungsträgern (Friedrich V. von der Pfalz, Ernst von Holstein-Schauenburg, Christian vonAnhalt und Moritz von Hessen) August der einzige war, der das Manuskript tatsächlichbesaß.

167 Vgl. Röslins autobiographische Notizen in: Heliseus Röslin: Historischer/ Politischer vndAstronomischer Discurs Von heutiger zeit Beschaffenhait/ Wesen vnd Standt der Chris-tenheit/ vnd wie es ins künfftig in derselben ergehn werde. Straßburg 1609, S. a2v-a3r ; vgl.auch Röslins kürzlich edierten intellektuellen Lebenslauf in: Miguel Angel Granada: He-lisaeus Röslin on the eve of the appearance of the nova of 1604: his eschatological expe-ctations and his intellectual career as recorded in the Ratio studiorum et operum meorum(1603 – 1604). In: Sudhoffs Archiv 90 (2006) S. 75 – 96.

168 [Samuel Pomarius]: Abgenöthigte Lehr- und Schutz-Schrifft/ Wider den GuttmanischenOffenbahrungs-Patron: Worinnen Die Haupt-Frage von denen so gerühmten neuen Of-fenbahrungen eigentlich gefasset/ das Fanatische Buch des Aegidii Guttmanni, tit. Offen-bahrung Göttlicher Majestät […] kürtzlich widerleget. Hamburg, Ratzeburg a.D. 1677 –1679, S. 405.

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ersten Kapitels der Genesis, von dem übrigen Textkorpus als eine Tafel mitfolgender Inschrift abgetrennt:

Taffel der Offenbarung Göttlicher Mayestät/ die in dem Capitel deß Buchs der Ge-schöpff Gottes beschrieben ist: Darinnen angezeigt wird/ wie Gott der Herr anfänglich/sich allen seinen Geschöpffen/ mit Worten vnd Werken geoffenbaret/ vnd wie Er alleseine Werck derselben Art/ Eygenschafft/ Krafft vnd Wirckung/ in ein kurtze Schrifftartlich verfaßt/ vnd solches alles dem ersten Menschen/ den Er selbst nach seinerBildnus erschaffen/ vberreicht/ welches dann biß daher gelangt ist.

In der Ausgabe von 1619 folgt auf S. e1r-v in größeren Frakturtypen der »Textus«der Tafel. In der Ausgabe von 1675 wird auf S. *****2v der Titel der Tafel zwarabgekürzt, dafür aber der »Textus« der Tafel mit einer Nummerierung der ein-zelnen Stichworte versehen, nach denen die vierundzwanzig Bücher jeweils aufHebräisch, Latein und Deutsch genannt und dann ausführlich thematisiertwerden.

(1) Anfangs, (2) hat geschaffen, (3) Gott der Herr, (4) das Gewässer, (5) und die Erde,(6) unbeziert und (7) unbehauset. Und es waren (8) Finstere ob der (9) Gestalt der (10)Tiere. Und der (11) Geist Gottes (12) schwebet ob dem Ansehen des Gewässers. Und(13) Gott hat gesprochen (14) Es werde (15) Licht. (16) Und es ward Licht. Und (17) Gotthat gesehen / daß das Licht (18) gut war. Und Gott (19) hat geschieden das Licht von derFinsternüß. Und Gott (20) hat genant das Licht (21) Tag / und die Finsternuß (22)Nacht. Und da ward aus (23) Abend und (24) Morgen der erste Tag.169

Die ganze Schöpfungsgeschichte wurde also nur auf den kurzen Text auf einerTafel reduziert, die übrigens, nach Meinung des Verfassers, gar nicht von Mosesstammen konnte, da sie Gott selbst dem ersten Menschen »mit seinem heiligenGöttlichen Finger geschrieben gegeben hat«.170 Diese drastische Reduzierungdes gesamten Schöpfungsprozesses auf nur eine steinerne Tafel musste bei denParacelsisten unweigerlich die Erinnerung an die steinernen Tafeln wecken, dieHermes nach der Sintflut entdeckt haben soll, wenn nicht gar an die auch vonHermes stammende Tabula Smaragdina, auf der ebenfalls in wenigen Sätzeneine ganze Kosmogenese beschrieben worden war.

169 Von den vier mir bekannten Handschriften des »Register Vber das Buch der GeschöpffGottes vnd der Offenbahrung Göttlicher Majestät« auf Deutsch, Lateinisch oder Englisch,steht der volle Titel samt Textus der Tafel ähnlich wie in der Ausgabe von 1619 nur in derKopie aus Tübingen, Evangelisches Stift, Ms. [ohne Signatur], S. 1r-16v, und in der ausAugsburg stammenden Kopie, heute Leiden UB, Ms. Voss. Chym. 37, 1r-19v. In der latei-nischen Kopie, Tabvla Revelationis Magestatis Divinae Comprehensa Capite primo Gene-seos (Edinburgh, Royal Coll. of Physicians, Ms. Z.9.2, S. 36r-55v) und in der englischenTable of contents of the Revelation of the Divine Majestie in 24 Books (London, BL, Ms.Royal 18 B. XXX, S. 12 – 21) erscheinen als Tafel nur die zwei ersten Verse des Textes,während der Rest stückweise am Anfang eines jeden Kapitels folgt, wodurch die ur-sprüngliche Funktion der Tafel verlorengeht.

170 Offenbarung Göttlicher Mayestat (wie Anm. 157), S. 511 – 512.

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Dies um so mehr, als der anonyme Verfasser hier bei der Wiedergabe desersten Verses der Bibel das Wort »Schamajim« nicht durch den traditionellen»Himmel«, sondern durch »Gewässer« oder großes Wasser (»Maim«) über-setzte, und zwar im Sinne des Urwassers, der Urmaterie oder Urmutter allerDinge (Iliaster) des Paracelsus,171 aber zugleich auch im Sinne der »natura hu-mida« aus der kosmogonischen Vision des Hermes Trismegistus: »Ich bin dasLicht, der Nous, der vor der feuchten Natur existiert, das aus der Dunkelheithervor steigt« (CH I 6), »aus welcher feuchten Natur sind die Körper entstandenin der sinnlich wahrnehmbaren Welt« (CH I 20).172 Oder wie Samuel Siderocratesin seiner De usu partium coeli oratio von 1563 beim Kommentar zu diesemPassus des Poemander mit einer gewissen sprachlichen Anlehnung an die Ta-bula Smaragdina auch ausführlich beschrieb:

Triplicem ergo ortum Moyses et Termaximus Hermes nobis describunt. Primum terraeet aquae ex nihilo: secundum, duorum ex his elementorum, ignis coelestis et aeris:tertium, ex his omnibus rerum omnium ex terra et aqua, ut materia, ex igni coelesti, utpatre gignente et gubernante, et aere, ut matre nutriente, alente, multaque alia prae-stante. Haec est uera rerum omnium coelestium et terrestrium generatio literis sacrisomnino confirmata et tradita.173

Auf diese Interpretation des Himmels als Wasser griff zwanzig Jahre später deranonyme Verfasser der von Siderocrates herausgegebenen Cyclopaedia Para-celsico-Christiana zurück, der das Wort »Himmel« im ersten Bibelvers auch stetsals »Wasser« auffasste:

Jnn diesem ersten Geschöpff/ so Himmel vnd Erden genant worden/ finden wir zweystuck/ nämlich Erd vnd Wasser […]. So mag derhalb nichts anders darauß geschlossenwerden/ dann das der Himmel/ das Wasser sey geweßt/ wie dann solches die heyligeGöttliche sprach mit dem Wort Schammaim mit sich bringet. Darauß dann Gott dieVeste gemacht/ vnnd dieselb den Himmel genannt hat/ […]. Dabey bleibt es/ das derHimmel oder die Standueste ein Wasser ist/ würt auch nicht vmb sonst ein Standueste

171 Paracelsus: Das Buch Meteororvm […] Liber Qvartvs Paramiri de Matrice. Köln 1566,S. 76v-77r; vgl. ed. Sudhoff: Bd. IX, S. 191; ed. Huser : Bd. I, S. 202: »Vor dem vnd Himmelvnd Erden beschaffen wardt/ da schwebet der Geist Gottes auff dem Wasser/ vnd wardt objhm tragen/ diß Wasser war Matrix: Da in dem Wasser ward beschaffen Himmel vnd Erden/vnd in keiner andern Matrix nicht […] Da nun also die Welt nichts war/ sondern einWasser/ vnd der Geist des Herren war auff dem Waser/ so wardt das Wasser zu der Welt/ dasist nun Matrix der Welt/ vnd in jhm weiter alle geschöpff« […] »vnnd das Wasser ist einbehalter des Samens«. Zu dieser und ähnlichen Stellen vgl. Pagel: Das medizinischeWeltbild von Paracelsus (wie Anm. 104), S. 77 – 85. Zu Iliaster / Yliadus vgl die Deutungendes Paracelsus in dessen Basler Vorlesung (ed. Sudhoff, Bd. IV, S. 91, 106, 124 f. , 129; ed.Huser, Bd. VII, S. 346, 357, 382, 387).

172 Hermes Trismegistus: Pymander. Hg. v. Ficino. Basel 1532, S. A6v-7r : »Lumen illud egosum, mens, deus tuus, antiquior quam natura humida, quae ex umbra effluxit«; B2r : »[…]tristis umbra, ex hac quidem natura humida, ex hac uero corpus in mundo constitit«.

173 Siderocrates: De usu partium coeli oratio (wie Anm. 152), S. 39 – 40 und S. 49.

Vom ägyptischen Hermes zum Trismegistus Germanus 121

Page 56: Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit

genannt/ dann Gott hat das Wasser in der runde vmb die Erde gar vest vnd starckgemacht […]. Bey diesem allen wöllen wir es mit den worten des Herren vnsers Gottesbeständiglich bleiben lassen/ das der Himmel wesen ein starcks/ hart vnnd vest Wasserist wie ärzt/ wöllen vns keinen Heidnischen Kopf dauon dringen lassen/ mit jhren loseneygensinnigen erdichten träumen/ dann das Wort Gottes bleibet ewiglich/ die Heydenaber/ mit allen jhren lehrnungen vnnd wercken werden vertilget.174

Wir wollen hier auf die mittelalterlichen Theorien von den »aquae supercelestes«als Hülle des Universums, wie sie Augustinus Hibernicus (oder wer auch immerder Verfasser von De mirabilibus sacrae scripturae gewesen sein mag), be-schrieb, nicht eingehen.175 Nur ganz kurz sei auf die zeitgenössische lateinischeBibel eines Sebastian Castellio verwiesen, der das hebräische Wort Rachia (Gen.I, 7, 9) nicht durch das lateinische »Firmamentum« oder das griechische»ster¤oma« (extensum) übersetzte, sondern durch »liquidum« und »coelumliquidum«, was Tycho Brahe dann dazu benutzte, seine bahnbrechende Theorieder Fluidität und Durchlässigkeit der Sphären (die zu ihrer endgültigen Ab-schaffung führte) zusätzlich zu illustrieren176. Denn es war ausgerechnet derParacelsist und Bewunderer von Castellio, Helisäus Röslin, der sich TychosTheorie am stärksten widersetzte, bis er dann schließlich 1609 seine bei Side-rocrates gelernte Vorstellung vom undurchdringlichen Himmel aus »starckem/hartem vnnd vestem Wasser« aufgab, ohne jedoch auf seine frühen hermeti-schen Positionen zu verzichten.177

Uns interessiert vielmehr die Tatsache, dass nicht alle Paracelsisten den zu-weilen schroffen und fundamentalistischen Stil der Cyclopaedia Paracelsica

174 Cyclopaedia Paracelsica Christiana. Drey Bücher von dem waren vrsprung vnd herkommender freyen Künsten/ auch der Physiognomia,obern Wunderwercken vnd Witterungen/darin auß der H. Schrifft mit beständigen grund nach notturfft dargethan würt/ dass allefreye Kunst/ als Schreiberey/ Rednerey/ Rechnung/ Singkunst/ Erdmesserey/ Gestirnkunstsampt der Naturkündigkeit vnd Artzneykunst/ nit auß menschlichen vermeinten erfin-dungen/ sonder allein von Gott dem Allmächtigen/ als vom reichen vberquellendenBronnen herkommen/ daß auch solche Kunst allein bey Gott durch den Glauben gesucht/vnd inn den Büchern Gottes vnnd seiner Diener bezeuget/ vnnd gelehrt sollen werden.Erstlichen von einem Anonymo liebhaber der warheit zusammen getragen vnd gestellt/ vndjetzt vbersehen/ corrigiert/ gebessert vnnd in Truck verfertiget von Samuele SyderocrateBrettano Fürstlichem Speirischen Medico zu Brüssel [Bruchsal]. [Straßburg, B. Jobin] 1585,S. 62.

175 Pierre Duhem: Le systºme du monde. Histoire des doctrines cosmologiques de Platon �Copernic. T. III, Paris 1915, S. 14 – 16; Marina Smyth: Understanding the Universe in Se-venth-Century Ireland. Woodbridge 1996, S. 94 – 103.

176 Tycho Brahe: Opera omnia, ed. I.L.E. Dreyer, Hauniae 1913 – 1929, Bd. III, S. 151; Bd. VI,S. 231 – 233, vgl. Miguel Angel Granada: Sfere solide e cielo fluido. Momenti del dibattitocosmologico nella seconda mett� del Ciquecento. Milano 2002, S. 175 – 178.

177 Helisäus Röslin: Historischer/ Politischer vnd Astronomischer Discurs Von heutiger zeitBeschaffenhait (wie Anm. 166), S. D1r; vgl. M. A. Granada: Sfere solide e cielo fluido (wievorige Anm.), S. 180 – 181.

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Christiana goutierten, wie einer der schärfsten Beobachter der paracelsico-hermetischen Szene während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts inDeutschland, der Anhaltiner Calvinist Christian Beckmann, vermerkte:

Superiori tempore exiit liber hoc titulo insignitus: Encyclopaedia Paracelsica Chris-tiana. Verum a Weigelio repudiatur, quod nimium aberret a lumine Naturae et Gratiae.In 3. parte tou gnothi seauton, pag. 10 et 11.178

In der Tat, der Verfasser von diesem Dritter Theil deß Gnothi seavton von 1588,der nicht Weigel selbst, sondern sein Diakon Benedict Biedermann war, schriebsehr abschätzig über die »vor zwey oder drey Jahren vngefährlich […] in Druckaußgangene Encyclopaedia Paracelsica Christiana«:

fuhret einen grossen Tittel/ ist aber nichts dahinter/ will auch weisen allein zur HeiligenSchrifft/ das man alle Weißheit darauß lernen soll/ welches nicht vnrecht were/ so mandie gar nützlichen Heydnischen Bücher nicht ganz verwürffe. Der Author will dieheilige Biblia vnd den Theophrastum gar hoch erheben, meinets gut/ macht es abernicht gut. Denn der Biblia vnd Theophrasto sehr viel dinge zugeschrieben werden/ dassich im grunde viel anderes befindet/ dann dasselbe Buch Encyclopedia jrret beydes imLicht der Natur vnd auch im Liecht der Gnaden. Solte Theophrastus in Philosophia etTheologia nicht besser geschrieben haben/ denn wie in demselben citirt wird/ er werenicht einer Nuß werth […].179

»Das sag ich allein darumb/ nicht das ich lust habe diesen Authorem zuschelten/oder anderer Leute Arbeit zu tadeln«, so Biedermann in seinem Plädoyer. Erwollte aber unbedingt den von ihm in der Cyclopaedia vermissten HermesTrismegistus wieder an die Seite des Paracelsus erheben; dies erlaubte ihm dann,den letzten Teil seiner Schrift (S. 39r-45v) vorwiegend mit Entlehnungen ausdem I. und XIII. Traktat des »Pymander« von »Mercurio Trismegisto« auf La-teinisch oder zuweilen auch auf Deutsch zu gestalten:

Kennestu dem/ so kennestu alle ding/ bistu in deme/ so bistu in allen dingen/ vnd mussvns mit dem Tatio bey dem Mercurio Trismegisto billich sprechen: Video me in om-nibus, et omnia in me. Ego sum in mari et mare in me. Ego sum in coelo et coelum in

178 Christian Beckmann: Exercitationes theologicae. In quibus De argumentis pro vera DeitateChristi Servatoris nostri Contra Fausti Socini, Valentini Smalcii, Christophori Ostorodi,Johannis Crellii Franci, Ut et De argumentis pro vera humana Natura Christi ejusdem,Contra Mennonem Simonis, Theophrastum Paracelsum, Valentinum Weigelium, PaulumFelgenhauerum et alios huius notae: Necnon De multis aliis […] agitur. Amsterdam 1644,S. 360.

179 Valentin Weigel [Benedict Biedermann]: Dritter Theil Deß Gnothi Seavton Oder CognosceTe Ipsum genandt. Das Newe Erkenne dich selbst]. Sonsten Philosophia Antiquissima,ideoque verissima (hg. von Johann Staricius). »Newstadt« 1618, S. 11r-v. Zu der Zu-schreibung an Biedermann vgl. Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Neue Edition. Hrsg.von Horst Pfefferl: Band 3: Vom Gesetz oder Willen Gottes. Gnothi seauton. Stuttgart-BadCannstatt 1996, S. XX.

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me. Ego sum in inferno et infernus in me. Ego sum in terra et terra in me. Ego sum inarboribus et arbores in me. Das geschah dem Tatio da ihn seyn Vater Hermes auff denBerg führete/ vnnd die regenerationem eröffnen wollte: Daß ein jeder Mensch mußzum Andermal geboren werden/ darumb ließ weiter im Pymandro, libro 13.180

Aber auch Weigel erweist sich in seinen echten Schriften als begeisterter Lesernicht nur des Paracelsus, sondern auch von Hermes Trismegistus. ChristianBeckmann hatte vollkommen Recht, als er die Schriften von Hermes Trisme-gistus als eine Hauptquelle der Theosophie von Valentin Weigel bezeichnete:

Equidem tam certo novi, quam ungues meos, ea omnia, quae Weigelius et alii prosingularibus et arcanis habent, desumpta esse ex Hermete Trismegisto, ex Platone, exPhilone Judaeo, ex Synesio, ex Proclo, ex Origene et similibus (Ich weiß es so genau, wieich meine Fingernägel kenne: all dies, was Weigel und die Seinen für Sonderideen oderGeheimnisse haben, haben sie Hermes Trismegistus, Plato und den Neuplatonikernentnommen).181

In seinen gegen Tauler, Paracelsus, Weigel, Khunrath, Fludd und Boehme ge-richteten zwei Kapiteln der Exercitationes theologicae von 1644 verwies Beck-mann mehrmals auf die Äußerungen Weigels über Hermes (»Hermes illeSanctus est, illuminatus est«, »ille Hermes admodum illuminatus«, »in Mercurioetiam fuit Christus«). Beckmann identifizierte im Asclepius (III) den Ursprungvon Weigels Behauptungen wie »creatura est Deus, coelum est Deus« und fandim Corpus Hermeticum (V 11) auch den Grund für den gegenteiligen Satz »Deusest creatura«, »Gott ist ein Wesen aller creaturen«; »was Gott schaffet, das ist erselber«; »en tibi reseratum fontem, e quo fluunt Weigelianae sordes« (ich zeigeDir den Brunnen an, woraus der weigelianische Unrat floss); »quomodo olimHermes Trismegistus ad filium Tatium, libro 5. scriptum reliquit«).182 Von derAbhängigkeit Weigels von Hermes war auch der hessische Calvinist LudwigCrocius überzeugt, auch wenn es ihm in seinem Anti-Weigelius von 1650 nichtgelang, eine von Weigel oft zitierte These von Trismegistus zu lokalisieren.183

Der Mensch ihme selbst gelaßen ist ein tunckel haus der finsternus, vnd aller betrubnus,den er hat in ihme 12 grundliche feinde oder Seelbrecher, Vltrices 12, welche sich mir den12 himmlischen Zeichen vergleichen oder vereinigen, so der mensch mit seinem willen

180 Weigel [Biedermann]: Dritter Theil Deß Gnothi Seavton (wie vorige Anm.), S. 40. Bei demZitat handelt es sich eher um eine Paraphrasierung der Version von Ficino, vgl. CH XIII 11.In den Handschriften (Cod. germ. monacensis 4416/2) befinden sich zusätzlich erklärendeRandbemerkungen wie »Tatius est filius Hermetis«.

181 Beckmann: Exercitationes theologicae (wie Anm. 178), S. 414.182 Ebenda, (in der Reihenfolge der Zitate) S. 343 – 460, 408, 412, 413, 390, 409.183 Ludwig Crocius: Anti-Weigelius, Id est, Theologiae, Quam Valentinus Weigelius, ex Para-

celsi potissimum et veterum haereticorum lacunis haustam, variis sparsit libellis […]confutatio. Kassel 1650, S. 198 – 205.

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bleibet, vnd nach den Sternen lebet, Solche Seelbrecher oder einwonende feinde desmenschen werden erzelet von dem hoherleuchtem Mercurio [Trismegisto]. Alls

WidderStierZwillingeKrebsLöweJungfrau

123456

IgnorantiaTristitiaInconstantiaCupiditasIniustitiaLuxuries

WaageSkorpionSchützeSteinbockWassermannFische

789

101112

DeceptioInuidiaFrausIraTemeritasMalitia

Bei dieser These handelt es sich aber um die Conclusio no. 10 »secundum pris-cam doctrinam Mercurii Trismegisti« aus den Conclusiones sive Theses DCCCCRomae anno 1486 publice disputandae von Giovanni Pico della Mirandola!184

Dank der vorzüglichen und rasch fortschreitenden neuen Edition derSämtlichen Schriften durch Horst Pfefferl sind wir heute in der Lage, weitere undbisher ungeahnte hermetische Einflüsse in Weigels authentischen Büchernaufzuspüren, so zum Beispiel bei der schönen Gegenüberstellung zwischenHermes und Paracelsus aus dem Jahr 1578:

Theophrastus saget, got brauchet nichts, wircket nichts, vbett nichts etc. So spricht derMercurius, got wirckett, vbett, brauchet alle dinge. Diese seint nicht wieder einander,dan einer redet von gott wie er ist absolute, für sich selbest verstanden. Do ist erwircklos, affectlos etc. Der ander redet von gotte, kegen der Creatur gehalten, der allesin allem wircket, vbett, vnnd brauchet, vnnd mag sich auch keyne Creatur ohne gottgeregen.185

Oder : bei der oben schon erwähnten Natürliche Auslegung der Schöpfung von1577, in der Weigel, unmittelbar nach einer Empfehlung der Bücher des Para-celsus (»dauon liese weiter das büchlein De Fundamento Sapientiae Theophrastivndt Sagacem Philosophiam der großen vndt kleinen welt«), »der lieben Jugent«einen sicheren Weg »zum rechten brunnen der philosophiae« zu zeigen ver-suchte, wie ihn Moses, Mercurius und Esdra »für etzlich tausent Jharen« bereitsbeschrieben hatten.186 Aber es war in der Vierten Auslegung der Viererlei Aus-legung von der Schöpfung, sonst auch unter dem Titel Vom Ursprung aller Dingebekannt, dass auch Weigel die oben besprochene paracelsische Gleichstellung

184 Die These von Weigel steht in De bono et malo in homine, s.l. 1618, p. 11; Philosophiamystica, ›Newstadt‹, L. Jennis, 1618, 196 – 215; Warumb Gott notwendig nur in einemwohne, Kopenhagen, Ms. Thott 48 119, 150r-160r ; Schleswig, StA, Abt. 7, n8 2059, [1r-17v])wie auch im Von der seligmachenden Erkenntnis Gottes (München, BSB, Cod. germ. 4416/31); ich folge dem Abdruck bei Ausgust Israel: M. Valentin Weigels Leben und Schriften.Zschopau 1888, S. 115.

185 Valentin Weigel; Der güldene Griff. In ders.: Sämtliche Schriften (wie Anm. 179), Bd. 8,1997, S. 69 – 70.

186 Valentin Weigel: Natürliche Auslegung von der Schöpfung. In ders.: Sämtliche Schriften(wie Anm. 179), Bd. 11, 2007, S. 192 – 193.

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von Himmel und Wasser mit dem Hinweis auf die »natura humida« am Anfangdes Poemander bekräftigte, wie der Herausgeber richtig gesehen hat:

Vnd diß Firmament wird genennet Himmel Schamaim ibi aquae, do seind die Wasser.Als spreche Gott: Bißanhero seint die Maim, das ist, das Wasser oder Himmel vnleiblichgewesen, vnd haben keines orts bedörfft […]. Aber die vntern Wasser oder Maimsollen leiblich, sichtbarlich, greifflich sein. die müssen einen Ort haben, auß den selbenmachte Jch Jhnen eine Feste Rakia, eine expansion, vnd nenne es Schamaim das ist ibiaquae […]. Do gott die vntern Wasser durch das Firmament einschloß als die primammateriam der sichtbaren Welt, do waren die Wasser wie eine dünne Lufft oder Athemder Menschen auf eine feuchte geneiget, wie Mercurius [Trismegistus] zeiget yrga yle,humens materia. Jn diesem Chaos waren begriffen die 4 Elementa mit Jhren Leibernvnd alle Elementata.187

So weit ich überblicken kann, stand der Meister Valentin Weigel in SachenHermetismus und Paracelsismus seinem Schüler Biedermann in nichts nach.188

Paracelsisten und Hermetiker zugleich waren aber auch zwei der Männer, dieaußerhalb von Weigels engsten Freundeskreis schon relativ früh den Kontakt mitdem verschrieenen Pfarrer zu Zschoppau gesucht und gefunden hatten. Von demersten, Johann Arndt, wusste Christian Beckmann in seinen Exercitationes von1644 offensichtlich mehr als die jüngeren Arndtanhänger, die jegliche Ge-meinschaft zwischen Arndt und Weigel bestritten (»Arndtiana nihil cum Wei-gelianis habere commune«):

Streite hier, wer will. Da aber Melchior Breler den älteren Arndt [jeglicher Gemein-schaft mit Weigel] heilig entschuldigt, so müsste man annehmen, dass dieser seinefrühere Meinung entweder simuliert oder ganz abgelegt habe. Denn nicht nur dieBücher, die ich einmal las, sondern auch seine eigenhändigen Briefe, die ich selbergesehen habe, bezeugen in aller Deutlichkeit, was für ein treuer Anhänger WeigelsArndt gewesen ist.189

Als weiteren Beweis für diese vermeintliche Anhängerschaft, die auch der ältereArndt öffentlich heftig bestritt, besitzen wir ein merkwürdiges und aus ver-ständlichen Gründen ungedruckt gebliebenes Zeugnis, das Johann AngeliusWerdenhagen 1642 – 43 an Matthäus Merian für die Biographie Arndts in derFrankfurter Ausgabe der Postillen geschickt hatte. Da steht ganz einfach, Arndt

187 Valentin Weigel: Viererlei Auslegung von der Schöpfung. Die Vierte Auslegung. In ders.:Sämtliche Schriften (wie Anm. 179) S. 366 – 367, 377 – 378.

188 Weitere Belege für Biedermanns Bestreben, Texte aus dem Corpus Hermeticum in dasCorpus Weigelianum zu integrieren vgl. Magia, alchimia, scienza / Magic, Alchemy andScience (wie Anm. 8), Bd. II, S. 136 – 141.

189 Beckmann: Exercitationes theologicae (wie Anm. 178), S. 353: »Litiget hic qui volet.Quando Brelerus tam sancte excusat Arndtum seniorem, sane hunc posteris annis velsimulasse, vel priorem sententiam abdicasse oportet. Nam non tantum libri, quos legi: sedetiam literae Arndti manu exaratae, quas ipsemet vidi, liquido testantur, ipsum Weigeliosatis fuisse addictum«.

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habe »gute Freundschafft mit dem Weigelio gepflogen, haben immer fortSchreiben in erclärungs sachen untereinander gewechselt, weil sie kaum5 Meilen von einander gewohnet«.190

Die Entfernung zwischen Weigels Wohnort, Zschoppau, und Ballenstedt bzw.Badeborn, wo Arndt zwischen 1583 und 1590 als Pfarrer tätig war, betrug al-lerdings nicht »5 Meilen«, sondern ca 31,5 deutsche Meilen = 205 Kilometer!Aber auch diese größere Entfernung war wohl kein Hindernis für einen brief-lichen Verkehr oder gar eine Beteiligung Arndts an der Entstehung einigerPseudoweigeliana. Aber dies hatte Arndt wohl auch nicht nötig, denn er hatteseinen Paracelsus und seinen Hermes schon als Student in Basel gut gelernt, wieseine eindrucksvolle (ungehaltene?) akademische Rede beweist, die er noch inder Rheinstadt zu Papier brachte: De Antiqua Philosophia: Et divina veterumMagorum Sapientia recuperanda deque Veritate Scientiarum et artium huiusSeculi Oratio. Von der lateinischen Originalfassung dieser bis vor Kurzem un-bekannt gebliebenen Oratio haben sich lediglich kurze Extrakte in den Werkenvon Gegnern erhalten; dafür existieren aber zwei unterschiedliche zeitgenössi-sche Übersetzungen, die sich heute in je einem Exemplar in Wolfenbüttel undMünchen befinden, und woraus ich zwei Passagen über Hermes und Paracelsuszitieren möchte:

Durch diese Göttliche Weißheit vndVhralten Philosophia hat der AegyptischeHermes vnd Mercurius TrismegistusChristum auch erkennet, von welchem, alßdem Sohne Gottes er heyliglichpropheceyet: Aus diesem brunnen hat Erdie erkenntnüß der gantzen Natur, wie auchalle Wissenschafften der bürgerlichenJustitiae geschöpffet, dahero er auchTrismegistus genennet worden, nemlich derGröste seiner Zeit vnd Vaterlands Theologus,der gröste Philosophus, vnd gröste König. Indieser Göttlichen Kunst seind vortrefflichgewesen vorzeiten die Chaldeer vnd Juden.Heutiges tages aber wissen die MeineydigenJuden vnd feinde Christlichen Glaubensgantz nichts darvon gewesen [cod.guelf. 912 Novi 48, S. 4v-5r]

Das ist die Göttliche vnd himlische Weißheitvnd Philosophej, durch welche dervortreffliche, grosse EgyptischePhilosophus Hermes MercuriusTrismegistus Christum erkennet, vonnwelchem Er auch als vonn dem Sohne Gottesklärlich vnd Gottsfürchtig gepropheceyethat [Am Rande: Vnde Hermeti Trismegistotanta sapientia in libro naturae et gratiae).Auß diesem Brunnen hat er die erkenndtnisaller Natürliche dinge vnd gantze WeltlicheRechte geschöpfet vnd vberkommen,dahero Er Trismegistus ist genennetworden, nemblich der gröste vndvortrefflichste Theologus, der gröstePhilosophus, vnd der gröste König vndPotentat. Dieser Künste wegen sein nachaussagung der Oraculi die Chaldeer vndJuden berühmt gewesen. Aber heuttigestages wissen die Juden, die Feindechristliches Glaubens weniger als nichtsdavon [cod. germ. mon. 4416/11, S. 5v].

190 Halle, Franckesche Stiftung, Ms. B 17a, 193r ; Carlos Gilly : Iter rosicrucianum. Auf derSuche nach unbekannten Quellen der frühen Rosenkreuzer. In: Das Erbe des ChristianRosenkreuz. Amsterdam 1988; S. 63 – 89 (zit. 80).

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Diese geheime, vnd im Geist der weißheitverborgene Magiam vnd Jhre eröffnunghaben die alten Cabalam genennet, inwelcher allein die gründtliche Erudition vndLehr begriffen; deren Schatten auch bißdato nit haben zu gesicht bringen könnenweder wir noch all die ienigen, welchesowohl zu vnserer, alß vnserer VorfahrenZeiten etwas von dieser Materi in bücherngeschrieben, außgenommen der deutzscheAesculapius Theophrastus: Dieser ist zuseiner Zeit derer heiligen Kunst Monarchavnd Fürst gewesen, welches seine Scriptagnugsam bezeugen [cod. guelf. 912 Novi 48,S. 5v-6r]

Diese heimliche vnd verborgene vnd inndem Geist der Weißheit ruhendeWissenschafft haben die altten Magiamgenennet, vnd Ihre offenbahrungenCabalam, in welcher alleine die Rechtebestendigkeit wohnet vnd hauset: Inwelches Schatten vns auch nicht bisßeroeinzusehen vergönnet worden ist, vnd allendenen, so etwas ohne den wahren TeutschenAesculapium [Paracelsus] vonn diesergeschrieben haben [Zwischen den Zeilen:Hic enim sanctae huius Artis sui seculiMonarcha, quod scripta ipsius loquuntur].Darumb ist die Zeit der Monarchi dieserheiligen Kunst verflossen, wie solches dieSchrifften von deroselben betzeügen [cod.germ. mon. 4416/11, S. 6v-7r].

Für die weiteren paracelsischen und hermetischen Stellungnahmen in den gutbekannten Schriften Arndts, wie etwa in den Vier Bücher von Wahrem Chris-tentum oder in der Evangelienpostille von 1615/16 verweise ich hier auf denkürzlich erschienenen Aufsatz über deren ursprünglichen philosophischenHintergrund Arndts, in dem von Luther kaum Notiz genommen wird, währendHermes und Paracelsus die Oberhand gewinnen.191 Ließ es Paracelsus bei dembekannten Spruch bewenden, »wann er anfieng zu schreiben, wollte [er] sy[Luther und Zwingli] und auch den Bapst erst recht in die Schül füren«,192

machte der Paracelsist Arndt diesen Wunsch zur Realität, indem er nicht nurzentrale lutherische Lehrsätze auf den Kopf stellte, sondern auch gewagte her-metische Lehren in das theologische System des Reformators einschmuggelte.Dieser konnte oder wollte nicht einmal den Namen des Hermes Trismegistusrichtig buchstabieren: Denn das einzige Mal, da Luther den Namen nannte,nämlich in der Disputatio de homine von 1536, verwendete er die Mischform»Hermegistus«: »Sed Hermegistus composuit istum librum Platonis et omniasurripuit ex Ioannis evangelio.«193 Was den Hermetismus betrifft, so hat der

191 Carlos Gilly : Hermes oder Luther (wie Anm. 123), S. 198 – 199.192 Carlos Gilly : Theophrastia Sancta (wie Anm. 20), S. 426.193 Luthers Werke, WA, Bd. 39 I, S. 179 – 180. Um den feinen hermetischen Unterschied zwi-

schen Arndt und Luther zu spüren, vergleiche man das erste Kapitel der Genesisvorlesungdes Reformators (WA, Bd. 42, S. 18a-22b: »Opus secundi diei«) mit den AusführungenArndts im zweiten Kapitel des vierten Buchs Vom wahren Christenthumb (»Vom andernTagwerk Gottes/ dem Himmel«, ed. Lüneburg 1666, S. 20 – 27 [http://books.google.com]),welche trotz der durch die Zensur gebotenen Vorsicht viel näher bei den Positionen vonParacelsus und Weigel liegen. Dies merkten allerdings sogleich auch Arndts radikale Leserwie etwa Fürst August von Anhalt, der ihn bereits 1610 durch eine dritte Person fragen ließ:»worumb er sich ain mahl mit andern federn schmucke, weil die sachen alle, so er ausgehenlaßen, ex Weigelio genommen wehren«, worauf Arndt geantwortet haben soll: »dass es nit

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»Reformator der Reformation«, wie Arndt oft genannt wurde, den Reformatorselbst weit hinter sich gelassen.

Abschließen möchte ich nun mit dem Paracelsisten und Theosophen Hein-rich Khunrath, zu dessen bevorzugten Autoren, neben Paracelsus, an ersterStelle Hermes Trismegistus gehörte. Khunrath hat nämlich in den zwei Ausga-ben seines Amphitheatrum Sapientiae Aeternae von 1595 und 1609 mehrereStellen aus dem Poemander (Nr. 35/205, Nr. 53/336, Nr. 230/294), aus den Sep-tem tractatus Hermetis (Nr. 43/317, Nr. 150/181, Nr. 240/299, Nr. 277/261) undaus der Tabula Smaragdina (Nr. 237/136, Nr. 277/261) zitiert oder kommen-tiert.194 So zum Beispiel bei der Definition des Begriffs »Theosophie« als höchsteWissenschaft und zugleich Inbegriff und Methode der wirklich wahren»Scientiae«. Diese »wahren Wissenschaften«, schreibt Khunrath unter Verweisauf Hermes Trismegistus, seien allein an der »Universität Gottes« zu lernen undzu erwerben, und zwar »durch theosophische mentale Praxis, dank göttlicherEingebung im Oratorio, und durch ständige eigenhändige Arbeit im Labora-torio«.

Sapientia acquiritur praxi tantum Theosophica mentale ex inspiratione divina inOratorio utroque; Sapientiae fructus non infimi nasciscuntur negotiatione laborummanualium Sapienti in Laboratorio. Hermes [Septem Tractatus]. cap. 1: »In tam longaaetate«, inquit, »non destiti experiri, nec Animae a labore peperci, artem et hancscientiam solius Dei inspiratione habui, qui mihi, famulo suo, pandere dignatus est«(Nr. 43/317).

Die Tabula Smaragdina wird von Khunrath sowohl in der ersten Ausgabe(Nr. 177, S. 21 – 22) wie auch in der zweiten (Nr. 261, S. 127 – 134) mit einem derlängsten Kommentare des ganzen Amphitheatrum bedacht, und zwar – wie nachSiderocrates, Gutman und Weigel zu erwarten war – eng verwoben mit derErklärung der mosaischen Schöpfungsgeschichte. Während aber der Verfasserder Offenbahrung Göttlicher Majestät in seiner »Taffel« die einzelnen ersten24 Bibelworte als Überschriften für die darin enthaltenen 24 Bücher auffasste,beschritt Khunrath den umgekehrten Weg, indem er die einzelnen Sätze der

sein[e], sonder des Weig[elii] sach[en] wehren, welches scripta, weil sie niemand wolt fastlaßen an Tag kommen, het er sich doch nunmehr […] in dise formam gebracht«. Und nochum 1625 bezeichnete sein ehemaliger Schüler, Johann Gerhard, Arndts gewagtere For-mulierungen als entschuldbare Ausrutscher eines Mannes, der in seiner Jugend viele Sätzevon Paracelsus und Weigel unverdaut aufgesogen hätte (»quod lectione librorum Paracelsiet Weigelii fuerit delectatus«,vgl. Carlos Gilly : Hermes oder Luther, wie Anm. 123, S. 165 –166).

194 Heinrich Khunrath: Amphitheatrum Sapientiae Aeternae. [Hamburg] [Jacob Lucius d. J.]1595; ders.: Amphitheatrum Sapientiae Aeternae. Hanau: Guilielmus Antonius 1609 (zi-tiert wird nach der unterschiedlichen Paragraphenzahl in der ersten und der zweitenAusgabe).

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Tabula Smaragdina durch die uns schon bekannte paracelso-mosaische Inter-pretation der ersten Verse der Bibel erklärte.

Primo, INFERIVS, indidit TERRAE et AQVAE, ut ibi esse non tantum sedes et vehi-culum ANIMAE Mundi, verum qvoque MEDIVM conjungens et VINCVLVM copulansatque uniens duo extrema, qvae sunt MATERIA prima et FORMA, hoc est HYLEnecnon ANIMA MUNDI, NATVRA, RVACH ELOHIM: ut latius videre est verso 48, 230et figura Amphitheatri huius tertiae Qvaestionibus 5 et 6 […].

Doch mit diesem Verweis auf die dritte Figur des Amphitheatrum von 1595 gabsich Khunrath nicht zufrieden, und für seine geplante zweite Ausgabe entwarf erschon 1602 eine neue, rechteckige Kupfertafel, die er auch sogleich stechen ließ,mit dem vollen Text der Tabula Smaragdina oder Verba secretorum Hermetis inlateinischer und deutscher Sprache. Der Text erscheint auf einem im Zentrumder Kupfertafel abgebildeten Berg oder gewaltigen Feuerstein, vor dem mehrereWeise und Gelehrte stehen, darunter Khunrath selber, und lebhaft diskutieren.

Unten am Fuße des Bergs sind die ersten Zeilen des Corpus Hermeticum in derVersion von Marsilio Ficino abgebildet (»Mercurius Trismegistus in Piman-dro«), als ob Khunrath die Zusammengehörigkeit der beiden hermetischenTexttraditionen – der alchemo-technischen und der philosophischen – nicht nurschriftlich, sondern auch graphisch und visuell ein für alle Mal dokumentierenwollte.195

Aber eigentlich wäre dies gar nicht mehr nötig gewesen, denn um 1600 warenbereits die meisten unter dem Namen des ägyptischen Hermes überliefertenGrundlehren von den Anhängern des Paracelsus in so starkem Masse assimiliertund verwandelt worden, dass der Hermetismus, besonders nördlich der Alpen,einen neuen Impuls, ein neues Gesicht und sogar eine neue Sprache und Ter-minologie erhielt. Der Angriff des Casaubon auf die Historizität der hermeti-schen Schriften von 1614 traf zunächst ins Leere, weil es inzwischen für dieParacelsisten und Theosophen völlig unerheblich geworden war, wann Hermestatsächlich gelebt und ob er ein Heide oder Christ gewesen war. So zitierte z. B.Arndts Nachlassverwalter Melchior Breler in seinem Mysterium IniquitatisPseudoevangelicae von 1621 ausführlich den Poemander und stellte dann fest:»Haec ille [Hermes] sive Ethnicus, sive (quod docet Isaac Casaubonus contraBaronium) Christianus«.196 Sie beharrten weiterhin auf der grundsätzlichenÜbereinstimmung der alten hermetischen Schule mit den Lehren des neuen

195 Zu Khunraths Ausgaben des Amphitheatrum und zur Bedeutung der einzelnen Figuren vgl.die beim Verlag Frommann-Holzboog demnächst erscheinende, kummulierte Faksimile-Ausgabe des Amphitheatrum sapientiae aeternae.

196 M. B. F. B. [Melchior Breler]: Mysterivm Iniqvitatis Pseudoevangelicae: Hoc est: DissertatioApologetica Pro Doctrina Beati Joannis Arnd […] Adversus Centauros Quosdam Pseu-doevangelicos et sophisticam illorum Theologiam. Goslar 1621, S. 135.

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Trismegistus Germanus, der von nun an – wie etwa durch Johann Baptista vanHelmont – nicht nur zu einem Schüler der mosaischen Weisheit erklärt,197

sondern auch zum alleinigen Wiederaufbauer und intellektuellen Gewährsmannder gesamten »Hermetica schola« erkoren wurde.198

197 »Paracelsus totius Germaniae decus […] sed Mosaica sophia instructus, igneum elemen-tum totam coelorum rempublicam comprehendere statuit«, vgl. Johann Baptista vanHelmont: Eisagoge in artem medicam a Paracelso restitutam, in: C. Broeckx: Le premierouvrage de J.-B. van Helmont, publi¤ par la premiºre fois. In: Annales de l’Academie Royaled’Archeologie de Belgique, Anvers 10 (1853), S. 327 – 392 (zit. 366).

198 »Hermetica schola, quam Theofrastus Paracelsus unus amplissime ditissimis scriptisexaravit, ac una opere confirmavit«, vgl. J. B. van Helmont: Eisagoge (wie Anm. 197), 11(1854), S. 119 – 191 (zit. 176). Auch Scheunemann stellt Paracelsus als den von Gott ge-sandten Erneuerer der hermetischen Lehre dar : »Germanum suscitauit Paracelsum, quiHermeticam et Hippocraticam doctrinam omnium primam, imperfecte et hieroglyphice adatauos nostros delatam compleret: quod peculiari spiritus sancti assistentia adeo praestitit,vt nihil amplius desiderari possit, ob nauatam operam Monarchae nomen adeptus, quodmundus immundus ferre non vult nec potest, in excesum et defectum vergens […] Her-meticam doctrinam a Paracelso auctam, illustratam et in lucem e tenebris productaminficiari, quid quaeso est, quam apertis etiam coecutire oculis, et cum ratione insanirevelit?«, vgl. H. Scheunemann: Hidromantia Paracelsica (wie Anm. 82), S. (:)(:)1r, 2r.

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