Kopfverletzungen im Sport - Spitta Medizin · Die beiden Torhüter Petr Cechund Carlo Cudicini...

9
44 Kopfverletzungen im Sport Kopfverletzungen im Sport Verletzungsgeschichten 14.10.2006 Chelsea muss Sieg teuer bezahlen München – Manchester United behauptete in der englischen Premier League die Tabellen- führung. Punktgleich Zweiter ist der FC Chelsea, der für den 1:0-Sieg beim FC Rea- ding allerdings einen hohen Preis bezahlen musste. Die beiden Torhüter Petr Cech und Carlo Cudicini mussten nach Kollisionen mit Ge- genspielern in ein Krankenhaus eingeliefert werden. »Sie wurden ausgeknockt. Cech kann froh sein, dass er überlebt hat«, meinte ein aufge- wühlter Coach Jose Mourinho, der das Ein- steigen von Readings Stephen Hunt verur- teilte. Cudicini stieß in der Nachspielzeit mit Ibra- him Sonko zusammen. In der Schlussphase musste der englische Nationalmannschafts- kapitän John Terry ins Tor. Entwarnung bei Cudicini – OP bei Cech Cudicini, der auf dem Platz mit dem Sauer- stoffgerät beatmet werden musste und eine Gehirnerschütterung erlitt, konnte nach kur- zer Behandlung das Krankenhaus allerdings wieder verlassen. Nicht ganz so glimpflich kam Cech davon. Am Samstagabend noch wurde Tschechiens Nationaltorhüter in eine Spezialklinik in Ox- ford verlegt und musste sich wegen einer Schädelfraktur einem operativen Eingriff un- terziehen. »Die OP verlief erfolgreich, es ist aber noch zu früh, ein stichhaltiges Statement über sei- nen Zustand abzugeben«, hieß es in einer Mitteilung des Klubs. Ballack noch gesperrt Chelsea verdankte den Sieg einem Eigentor von Readings Iver Ingimarsson in der Nach- spielzeit der ersten Halbzeit. Michael Bal- lack saß am Samstag das letzte Spiel seiner Rotsperre ab. Beim 1:0 gegen den FC Liverpool am 17. September hatte der Mittelfeldstar Rot gese- hen und wurde für drei Spiele gesperrt. Im nächsten Heimspiel gegen den FC Ports- mouth steht Ballack wieder zur Verfügung. Chelseas John Obi Mikel sah in der 62. Mi- nute Gelb-Rot. Auch Readings Andre Stefan Bikey musste vorzeitig vom Platz (83.). (Quelle: www.sport1.de) 20.12.2005 Entschädigung für Trainer Anwander Der deutsche Ski-Trainer Markus Anwander erhält von den französischen Trainern Xavier Fournier und David Fine sowie dem franzö- sischen Skiverband 112.000 Euro Schadens- ersatz. Das Oberlandesgericht Innsbruck sprach Anwander damit im Fall der vor vier Jahren im Pitztal bei einem nicht abgespro- chenen Trainingslauf tödlich verunglückten französischen Rennläuferin Regine Cava- gnoud von jeglicher Schuld frei. Cavagnoud war bei Tempo 80 auf Anwander geprallt. Der Coach erlitt damals lebensgefährliche

Transcript of Kopfverletzungen im Sport - Spitta Medizin · Die beiden Torhüter Petr Cechund Carlo Cudicini...

44

Kopfverletzungen im Sport

Kopfverletzungen im Sport

Verletzungsgeschichten

14.10.2006

Chelsea muss Sieg teuer bezahlen München – Manchester United behauptete inder englischen Premier League die Tabellen-führung. Punktgleich Zweiter ist der FCChelsea, der für den 1:0-Sieg beim FC Rea-ding allerdings einen hohen Preis bezahlenmusste.Die beiden Torhüter Petr Cech und CarloCudicini mussten nach Kollisionen mit Ge-genspielern in ein Krankenhaus eingeliefertwerden. »Sie wurden ausgeknockt. Cech kann frohsein, dass er überlebt hat«, meinte ein aufge-wühlter Coach Jose Mourinho, der das Ein-steigen von Readings Stephen Hunt verur-teilte.Cudicini stieß in der Nachspielzeit mit Ibra-him Sonko zusammen. In der Schlussphasemusste der englische Nationalmannschafts-kapitän John Terry ins Tor.

Entwarnung bei Cudicini – OP bei CechCudicini, der auf dem Platz mit dem Sauer-stoffgerät beatmet werden musste und eineGehirnerschütterung erlitt, konnte nach kur-zer Behandlung das Krankenhaus allerdingswieder verlassen.Nicht ganz so glimpflich kam Cech davon.Am Samstagabend noch wurde TschechiensNationaltorhüter in eine Spezialklinik in Ox-ford verlegt und musste sich wegen einerSchädelfraktur einem operativen Eingriff un-terziehen.

»Die OP verlief erfolgreich, es ist aber nochzu früh, ein stichhaltiges Statement über sei-nen Zustand abzugeben«, hieß es in einerMitteilung des Klubs.

Ballack noch gesperrtChelsea verdankte den Sieg einem Eigentorvon Readings Iver Ingimarsson in der Nach-spielzeit der ersten Halbzeit. Michael Bal-lack saß am Samstag das letzte Spiel seinerRotsperre ab. Beim 1:0 gegen den FC Liverpool am 17.September hatte der Mittelfeldstar Rot gese-hen und wurde für drei Spiele gesperrt. Imnächsten Heimspiel gegen den FC Ports-mouth steht Ballack wieder zur Verfügung.Chelseas John Obi Mikel sah in der 62. Mi-nute Gelb-Rot. Auch Readings Andre StefanBikey musste vorzeitig vom Platz (83.). (Quelle: www.sport1.de)

20.12.2005

Entschädigung für Trainer AnwanderDer deutsche Ski-Trainer Markus Anwandererhält von den französischen Trainern XavierFournier und David Fine sowie dem franzö-sischen Skiverband 112.000 Euro Schadens-ersatz. Das Oberlandesgericht Innsbrucksprach Anwander damit im Fall der vor vierJahren im Pitztal bei einem nicht abgespro-chenen Trainingslauf tödlich verunglücktenfranzösischen Rennläuferin Regine Cava-gnoud von jeglicher Schuld frei. Cavagnoudwar bei Tempo 80 auf Anwander geprallt.Der Coach erlitt damals lebensgefährliche

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 44

45

Kopfverletzungen im Sport

Verletzungsumstände

Kopfverletzungen treten im Sport nach Stürzenoder auch nach Kollisionen mit dem Gegner,dem Pfosten oder mit Hindernissen auf. Beitödlichen Skiunfällen bei Kindern ist die Kolli-sion die hauptsächliche Todesursache (Xiang etal. 2004). Bei ihnen sind in 67 % der Todesfäl-le schwerste Schädel-Hirn-Verletzungen dieTodesursache auf der Skipiste. Der Anteil anKopfverletzungen beträgt bei Erwachsenen imVergleich unterschiedlicher Wintersportartenbeim Carving-Alpinskifahrer 8,4 %, beim Nor-malskifahrer 6,9 %, beim Snowbladefahrer5,3 % und beim Snowboarder 12,2 % (Köhne etal. 2005).

Verletzungssportarten

Kontaktsportarten wie Boxen, American Foot-ball, Eishockey, Fußball oder auch Rugby,Handball und Hockey sind häufig von Kopf-verletzungen betroffen. Stürze treten häufigbeim Radfahren, Reiten, Skifahren, Snow-

boardfahren, im Motorsport, beim Inline- undRollerskating, aber auch beim Gerätturnen nachSturz vom Gerät auf. Beim Inlineskating sindKopfverletzungen in rund 6 % aller Verletzun-gen angegeben (Pecht et al. 2005).

Im Radsport ist das Tragen von Radhelmenvon überlebenswichtiger Bedeutung. Die ernst-haftesten Verletzungen im Radsport betreffenden Kopf.

Obwohl schon im Jahr 1988 gezeigt wurde,dass durch das Tragen von Schutzhelmen imRadsport das Risiko tödlicher Schädelverlet-zungen deutlich reduziert wird, fehlt dennochdie flächendeckende und allumfassende An-wendung dieser Kenntnisse im täglichen Stra-ßenverkehr (Wasserman et al. 1988).

Die Traumaabteilung der University of BritishColumbia veröffentlichte 2006 eine 10-Jahres-Übersicht über die Verletzungshäufigkeit vonPatienten nach Mountainbike-Unfällen, diesich in dortigen Emergency Rooms vorgestellthatten (Kim et al. 2006). Es handelte sich umdie Umgebung von Vancouver mit einer Reihe

Schwere Schädel-Hirn-Traumen sind unmit-telbar für das Versterben nach einem Radun-fall verantwortlich.

Verletzungen – darunter einen Schädelbasis-bruch, einen Kieferbruch und innere Verlet-zungen. (Quelle: www.sport1.de)

Abb. 16 a–d: Die moderne dreidimensional-reformierte Computertomographie kann schwere Mittelgesichtsver-letzungen, wie sie auch bei Radunfällen auftreten können, nachweisen und in ihrem Ausmaß beurteilen helfen. Hiereine Serie von 4 sagittalen Schnitten ohne Nachweis von Mittelgesichtsverletzungen

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 45

46

Kopfverletzungen im Sport

von Mountainbike-Parks und Mountainbike-Trails. Insgesamt wurden 1037 Unfälle mit Rädernidentifiziert, wobei 399 Patienten insgesamt1092 Verletzungen beim Mountainbikefahrenerlitten.

Junge Männer waren am häufigsten von Mountainbike-Unfällen betroffen. Die häufigs-ten Verletzungen waren Gelenkverletzungen(47 %), gefolgt von Verletzungen des Schädels(12 %), der Wirbelsäule (12 %), des Brustkorbs(10 %), des Gesichts (10 %) und des Bauches(5 %). 38 % der Verletzungen und 66 % allerPatienten wurden operiert.

Ein Patient verstarb an seiner Verletzungskom-bination. Im Mittel waren die Mountainbiker6 ± 13 Tage im Krankenhaus. 4 % aller mit dem

Über die Studiendauer von 10 Jahren wurdeeine Verdreifachung der Verletzungsrate von2/100.000 Einwohner auf 6,7/100.000 Ein-wohner festgestellt.

Num

ber

of

Pat

ient

s

80

70

60

50

40

30

20

10

01992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Calendar Year

Inci

den

ce p

er 1

00.0

00 P

opul

atio

n 8

7

6

5

4

3

2

1

01992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Calendar Year

A

B

Abb. 17: Anzahl der in ein kanadisches Trauma -center in British Columbia zugewiese -nen Patienten (A) mitschweren Verletzungen(blauer Balkenanteil,AIS >3) und leichterenVerletzungen (weißerAnteil, AIS <3) sowiedie Verletzungsinzidenzvon Mountainbike-Unfällen pro 100.000Einwohner im Zeit -raum1992 bis 2002 (B)

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 46

Mountainbike Verunfallten wurden auf der In-tensivstation im Mittel 5 ± 5 Tage betreut. Aufgrund dieser alarmierenden Zahlen wurdeein Präventionsprogramm iniitiert. Es erfolgtedie Zusammenstellung eines 30-Sekunden-Spots für das Fernsehen sowie das Herstelleneiner DVD mit Vorstellung der vier wesentli-chen Überlebenskriterien beim Mountainbiken:ü Tragen eines Helmsü Kenntnis seiner eigenen Fähigkeiten im Ge-

ländeü Ausreichendes Training, insbesondere vor

herausfordernden Tourenü Kenntnis der Umgebung

Diese Informationen sind noch unter www.inju-ryfreezone.com nachzulesen. Insbesondere dieHelmpräsenz ist unter den Mountainbikern hö-her als z. B. bei Straßen- oder Freizeitradfah-rern. In der kanadischen Studie lag die Helm-tragerate bei 85 % bei Verletzungen des Kopfesoder auch der Wirbelsäule. Am häufigsten wardie Halswirbelsäule betroffen, wenn der Moun-tainbiker über den Lenker stürzte und auf demKopf landete.

Klinik der Verletzung

Der Grad der Bewusstseinsstörung bestimmtunmittelbar die Prognose einer Schädel-Hirn-Verletzung. Ein Score, der häufig Anwendungfindet, ist die Glasgow Coma Scale (GCS).Dieser Score beurteilt die bestmögliche Ant-wort eines Patienten bezogen aufü Augen öffnenü beste verbale Reaktionü beste motorische Reaktion

Die Schwere einer Schädel-Hirn-Verletzungkann anhand der Summe der Punkte der Glas-gow Coma Scale abgeschätzt werden:GCS 13-15 Punkte: leichtes Schädel-Hirn-

Trauma

GCS 9-12 Punkte: mittleres Schädel-Hirn-Trauma

GCS 3-8 Punkte: schweres Schädel-Hirn-Trauma

Man unterscheidet geschlossene von offenenSchädel-Hirn-Verletzungen, abhängig von derTatsache, ob die Dura (harte Hirnhaut) durchden Unfall eröffnet wurde oder nicht. Beim ge-schlossenen Schädel-Hirn-Trauma unterschei-det man:ü Kompressions-/Impressionstraumaü Akzelerations-/Dezelerationstrauma

Akzelerationstraumen, bei denen es zu einerGewalteinwirkung auf den frei beweglichenKopf kommt, wie bei einem Sturz oder Schlag,sind im Sport häufiger als Kompressionstrau-men. Während der Schädel in seiner Bewegunggestoppt wird, bewegt sich das Gehirn mit dervorherigen Geschwindigkeit weiter. Dadurchschlägt das Gehirn an der knöchernen Hülle anund entwickelt einen Coup-Herd. Der größereSchaden ist jedoch auf der unmittelbaren Ge-genseite vorhanden, wo es durch den Unter-druck zum Kollisionszeitpunkt zu Gefäß- undGewebszerreißungen im Sinne eines Contre-Coup-Herdes kommt. Zentrale Hirnschädenim Bereich des Balkens, der Stammganglienund im Marklager treten bevorzugt nach sagit-taler Gewalteinwirkung auf und verursachendabei diffuse axonale Schädigungen. Rotations-traumen, wie nach einem Schlag gegen dasKinn, führen dagegen zu einer starken Relativ-bewegung zwischen Schädel und Gehirn underzeugen auf diese Weise Gefäß- und Gewebs-zerreißungen mit intrazerebralen Blutungen(Reuter 2006).

Bei einer Punktzahl < 9 wird die Empfehlungzur Intubation eines Notfallpatienten gege-ben.

47

Kopfverletzungen im Sport

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 47

Aus nach Sportverletzung?

Ein Sportler, der bewusstlos war, muss aus demWettkampf genommen werden. Jeder Athlet,der nach einem Schädel-Hirn-Trauma verlang-samt oder unkonzentriert erscheint und demWettkampfgeschehen nicht in gewohnter Artund Weise folgt, muss aus dem Wettkampf ge-nommen werden. Schließlich sollte man beden-ken, dass ein Athlet auch nach einem leichterenSchädel-Hirn-Trauma ohne Bewusstlosigkeitein erhöhtes Risiko hat, ein erneutes Schädel-Hirn-Trauma zu erleiden.

Eine Analyse aus Denver, Colorado, aus demJahr 2003 analysierte insgesamt 274 tödlicheSkiunfälle in den Jahren von 1980 bis 2001 inColorado (Xiang & Stallones 2003). Von den174 getöteten Alpinskifahrern erlitten 74 eineschwere Schädel-Hirn-Verletzung. 59 starbeninfolge von stumpfen Traumen als Polytrauma.65 % der Todesfälle waren Folge einer Kollisi-on:ü 91/113 kollidierten tödlich mit einem Baumü 7/113 kollidierten tödlich mit einem ande-

ren Skifahrerü 4/113 kollidierten mit einem Markierungs-

pfosten

Bei tödlich verletzten Skilangläufern in Colora-do lagen in 16 % der Todesfälle schwere Kopf-verletzungen vor. Überwiegend wurden Ski-langläufer von Lawinen (84 %) getötet, wäh-rend nur 5 % der alpinen Skifahrer in ColoradoLawinen zum Opfer fielen.

Arztvorstellung?

Eine Bewusstseinsstörung ist zwingend einenotärztliche Indikation. Bei traumatischer Her-kunft der Bewusstlosigkeit ist zwingend derRettungsdienst zu alarmieren, der dann dennächstgelegenen Notarzt unmittelbar zur Un-

fallstelle schickt. Bei jeder Bewusstlosigkeit istdie ärztliche Vorstellung zu empfehlen, da auchnoch Stunden nach dem Unfall eine Bewusst-seinseintrübung auftreten kann. Diese kanndurch eine intrazerebrale Blutung bedingt durchein epidurales oder auch subdurales Hämatomauftreten, welches unmittelbar eine neurochi-rurgische Intervention im Sinne einer operati-ven Trepanation erfordert.

Diagnostik

Neben der klinischen Einschätzung und Be- urteilung des Patienten, u. a. anhand der Glas- gow Coma Scale, führt die Erfassung des ge-samten Verletzungsausmaßes eines ggf. mehr-fach verletzten Patienten zur genauen Situati-ons abschätzung. Der Computertomographiekommt akut nach Schädel-Hirn-Verletzungendie wesentliche diagnostische Bedeutung zu,um Hirnparenchymverletzungen, intrazerebraleBlutungen oder auch Schädelfrakturen nachzu-weisen. Die Computertomographie wird nach 6Stunden wiederholt, da trotz Schädigung diesofort nach dem Unfallereignis durchgeführteUntersuchung den Befund unterschätzen lassenkann, da der tatsächliche Zustand gravierendersein kann, als er in der sofort nach dem Unfal-lereignis durchgeführten Untersuchung er-scheint.

Ein Epiduralhämatom tritt bei ca. 6–10 % al-ler Schädel-Hirn-Traumen auf, in 90 % liegtgleichzeitig eine Schädelfraktur vor. Das epidu-rale Hämatom entsteht durch Zerreißung derArteria meningea media, meist unilateral tem-poral. Abhängig vom Ausmaß der Blutung miteventueller Mittellinienverlagerung und Ein-klemmung, aber auch in Abhängigkeit vom Al-ter des Patienten und den Begleitverletzungenliegt die Letalität bei 35–50 %. Bei epiduralenBlutungen infratentoriell erhöht sich die Sterb-lichkeitsrate auf über 70 %. Der oftmals ge-

48

Kopfverletzungen im Sport

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 48

49

Kopfverletzungen im Sport

schilderte Verlauf mit initialer Bewusstlosig-keit, gefolgt von einem symptomfreien Inter-vall und nachfolgend rascher Eintrübung bishin zum Koma des verletzten Patienten ist nurin 20 % der Fälle vorhanden.

Ein Subduralhämatom ist in 15 % aller Schä-del-Hirn-Traumen anzutreffen, meist unilateralfrontoparietal gelegen. Es entsteht durch Ein-riss von Brückenvenen, einer kortikalen Gefäß-

verletzung oder durch eine durchbrechende, intrazerebrale Blutung. Häufig kommen Subdu-ralhämatome bei Rotationstraumen durch Ein-wirkung eines Schlags vor. Ein Subduralhäma-tom tritt in 70 % der Fälle isoliert und in 10 %der Fälle kombiniert mit einem Epiduralhäma-tom auf. 60 % der Patienten mit einem sub du ra-len Hämatom werden innerhalb der ersten6 Stunden nach dem Unfall klinisch auffälligdurch Bewusstseinsstörungen oder andere neu-rologische Ausfälle, 11 % erst nach 24 Stunden.

Intrazerebrale Blutungen des Hirnparen-chyms treten in 10–45 % aller Schädel-Hirn-Traumen auf, vorwiegend im Frontal- und Tem-porallappen. Zentrale Blutungen in Marklager,Stammganglien und Kleinhirn treten häufigerohne Kontusionsblutungen auf und sind nichtselten Folge von direkten Schlägen. Kontusi-onsblutungen liegen bei bis zu 95 % aller tödli-chen Hirnverletzungen vor.

Therapie: konservativ oder operativ?

Bei jedweder Bewusstlosigkeit erfolgt für ge-wöhnlich die stationäre Aufnahme und Vigi-lanzkontrolle über 24 Stunden. In diesem Zeit-

Akutes Subdural-hämatom

Chronisches Sub-duralhämatom

Bewusstseins -störung 80 %

Kopfschmerzen 80 %

Anisokorie 51 % Bewusstseins -störung 53 %

Papillenödem 16 %

Hemiparese 45 %

Hemiparese 49 % Papillenödem 24 %

Abduzensparese 5 %

Okulomotorius -parese 11 %

Tab. 10: Symptome des akuten und chronischen sub-duralen Hämatoms

Abb. 18 a–c: Verlauf eines Schädel-Hirn-Traumas nach einem unbehelmten Radunfall bei einer 70-jährigen Rad-fahrerin nach Aufprall auf einen PKW mit einem initialen GCS von 12. (links) Eine diskrete Blutung aus dem rech-ten Ohr ist neben einer Verwirrtheit und einer retrograden Amnesie das einzige Symptom. (Mitte) Computertomo-graphie des Schädels unmittelbar nach Aufnahme der spontan atmenden Patientin in das Krankenhaus mit Nach-weis einer diffusen intrazerebralen Blutung mit Anprall von rechts und Coup sowie Contre-coup-Herden. (rechts)Kontroll-CCT 3 Stunden nach Aufnahme der nunmehr ateminsuffizienten Patientin mit notwendiger maschinellerBeatmung und jetzt schon ausgeprägteren intrazerebralen multifokalen Blutungen

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 49

raum können auch nach initial unauffälliger ze-rebraler Schnittbildgebung noch Blutungenauftreten, die zur Eintrübung führen können.

Bei Epiduralblutungen und häufig auch beiSubduralblutungen erfolgt, insbesondere wenndiese raumfordernden Charakter haben, dieneurochirurgische Anlage von einem oder meh-reren Bohrlöchern mit einem Trepan.

Bei maligner Hirnschwellung kann sogar dieKraniektomie ein- oder beidseitig erfolgen. Dabei werden große Teile der Schädelkalotteentfernt und eingefroren, um das pathologischegeschwollene Gehirn zu entlasten. Nach Ab-schwellung kann dann der Knochendeckel wie-der replantiert und mit Knochenzement einge-passt werden. Dies sind jedoch schwerste Schä-del-Hirn-Verletzungen.

Rehabilitation

In Abhängigkeit des Schweregrades einer Schä-del-Hirn-Verletzung kommt, ähnlich wie beiden Wirbelsäulenverletzungen, bei neurologi-schen Ausfällen in der Rehabilitation der neu-rologischen Frührehabilitation eine entschei-dende Bedeutung für den weiteren Genesungs-prozess zu.

Rückkehr zum Sport

Sportler, die ein Schädel-Hirn-Trauma mit Be-wusstseinsstörung erleiden, sind aus dem Wett-kampf zu nehmen. Auch sollte am selben Tagkein Sport mehr getrieben werden. Kontakt-sport sollte mindestens eine Woche pausiertwerden, bei längerer Bewusstlosigkeit auchlänger. Nach zwei Schädel-Hirn-Traumen mitBewusstlosigkeit länger als 1 Minute muss derSportler für mindestens einen Monat vom Wett-kampfsport pausieren. Sport darf erst wiederbei vollständiger Beschwerdefreiheit in Ruheund unter Belastung erfolgen. Hat ein Sportlermehr als 2 Schädel-Hirn-Traumen erlitten, soll-te eine Saison vorzeitig beendet werden, umweiteren Schaden abzuwenden.

Im Fußball korrelieren kognitive Defizite mitder Anzahl der Kopfbälle und Schädel-Hirn-Traumen. Ein mittelhart geschossener Ball aus10 m Entfernung besitzt eine Wucht von100 kPa. Eine schwedische Studie aus Umea inMittelschweden untersuchte 44 Elitefußball-spielerinnen vor und nach einem Wettkampf-spiel und bestimmte die Anzahl der Kopfbällewährend des Spiels sowie die Konzentrationender Neuroproteine S-100 und NSE (Stalnackeet al. 2006). Die S-100-Konzentration stiegnach dem Spiel signifikant an (0,11 ± 0,05 µg/lauf 0,18 ± 0,11µg/l, p = 0.000), genauso wiedas NSE (9,05 ± 1,6 µg/l auf 10,14 ± 1,7 µg/l, p= 0,001). S-100 korrelierte signifikant mit der

Abb. 19: Mittellinienverlagerung nach einem schwerenepiduralen Hämatom mit verstrichenem Hirnventrikel

50

Kopfverletzungen im Sport

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 50

Anzahl der Kopfbälle während des Spiels (r =0,430, p= 0,004) wie auch mit der Anzahl trau-matischer Ereignisse während des Spiels imSinne von Kollisionen mit einem Gegenspielerund Stürzen (r = 0,517, p < 0,001). In einemkontrollierten Experiment aus München mitKopfballtraining über 55 Minuten konnte dieThese einer erhöhten S-100-Konzentration biszu 360 Minuten nach Kopfbällen untermauertwerden (Mussack et al. 2003).

Veränderungen des S-100-Proteins konntenauch bei 26 männlichen Eishockeyspielern und18 Basketballspielern von derselben schwedi-schen Arbeitsgruppe aus Umea zuvor herausge-arbeitet werden (Stalnacke et al. 2003). Bei ei-nem Eishockeyspieler, der während des Spielseine Gehirnerschütterung davontrug, wurde einerhöhter S-100-Wert gegenüber den unverletz-ten Spielpartnern nachgewiesen. Möglicher-weise kann in der Zukunft die Bestimmung desS-100 Proteins eine Aussage über den gegen-wärtigen Status des Zentralnervensystems lie-fern.

Präventionsmöglichkeiten

Das Tragen eines Helms ist von außerordentlichwichtiger präventiver Bedeutung für Kopfver-letzungen und kann nicht genug betont werden.In vielen Sportarten gibt es Beweise, wie sehrHelme Kopfverletzungen reduzieren helfenkönnen. Exemplarisch seien einige Sportartenkurz genannt.

Im alpinen Skilauf ist der Gebrauch von Ski-helmen in den letzten Jahren deutlich anstei-gend, wobei diese Bewegung im Wesentlichenaus den USA nach Europa importiert ist. In 29nordamerikanischen Skiresorts wurden 3525erwachsene Skifahrer und Snowboarder in derSaison 2002 und 2978 Skifahrer und Snow-boarder in der Saison 2001 befragt. Die Helm-

tragequote ist zunehmend und bei Snowboar-dern höher als bei Skifahrern. In einer Fall-Kontroll-Studie aus Quebec an1082 alpinen Skifahrern und Snowboardern mitKopf- und HWS-Verletzungen sowie 3295 ge-sunden Kontrollwintersportlern wurde dieOdds ratio für das Helmtragen bestimmt (Hagelet al. 2005). Für Wintersportler mit Kopfverlet-zung ergab sich eine Odds ratio von 0,71, waseine 29 % Reduktion von Kopfverletzungenbeim Helmtragen anzeigt. Wenn eine schwereKopfverletzung vorlag, die die medizinischeBergung durch den Rettungsdienst aus demSkigebiet nach sich zog, erhöhte sich die Re-duktion auf 56 % (Odds ratio 0,44).

51

Kopfverletzungen im Sport

Prädiktor Prävelenz desHelm tragens

18–25 Jahre 23,4 %

25–35 Jahre 19,4 %

36–45 Jahre 16,9 %

46–55 Jahre 15,8 %

> 55 Jahre 27,1 %

Männer 21,3 %

Frauen 16,4 %

Anfänger 10,3 %

Moderater Fahrer 14,3 %

Experte 27,9 %

Snowboarder 30,6 %

Alpiner Skifahrer 17,0 %

Colorado 22,4 %

USA-Südwest 16,5 %

USA-Nordwest 23,2 %

Kalifornien 15,0 %

Tab. 11: Helmtragequote in nordamerikanischen Ski-gebieten im Jahr 2002 mit statistisch signifikanten uni-variaten Prädiktoren (Andersen et al. 2004)

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 51

52

Kopfverletzungen im Sport

Unter Kindern und Jugendlichen ist die trauma-tische, schwerste Schädel-Hirn-Verletzung in67 % der Fälle die Todesursache auf der Skipis-te (Xiang et al. 2004). Kollisionen sind diehauptsächliche Todesursache. In italienischenSkigebieten wurde für Kinder unter 14 Jahreneine generelle Helmpflicht verhängt, was inmeinen Augen nur zu begrüßen ist. Aufgrundder vorliegenden überzeugenden Beweise istauch für die deutschsprachigen Alpen nicht nurfür Kinder unter 14 Jahren, sondern auch für al-pine Skifahrer und Snowboarder jeden Altersdas Helmtragen zur Prävention schwerer Schä-del-Hirn-Verletzungen zu empfehlen.

Im Radsport ist das Tragen von Radhelmenvon überlebenswichtiger Bedeutung. Die ernst-haftesten Verletzungen im Radsport betreffenden Kopf.

Die Anstrengungen der Industrie an das Helm-design des Radfahrerhelms sind immens voran-getrieben worden. Moderne Radhelme leiten

den Luftstrom in kühlender Weise über denKopf. Die aerodynamische Form, wie sie ins-besondere z. B. beim Straßenzeitfahren bei derTour de France beobachtet wird, kann sogar dieStromlinienverhältnisse und damit die Leistungdes Radsportlers erhöhen. Näheres zur Präven-tion von schwersten Kopfverletzungen findenSie im Kapitel über das Polytrauma im Sport.

Schwere Schädel-Hirn-Traumen sind unmit-telbar für das Versterben nach einem Radun-fall verantwortlich.

Abb. 20: Eine Kampagne der schweizerischen SuvaLiv

05_Kopfverletzungen 11.06.13 11:30 Seite 52