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    KORONA Nr. 94 1

    ASTRONOMISCHER ARBEITSKREIS KASSEL E.V.

    32. Jahrgang Nummer 94 Januar 2004

    Marsopposition 2003

    Die Realitt der Quantenwelt JupiterbeobachtungenSonnenfleckenbeobachtungen Astronomieunterricht im Museum

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    Abb. 4: Marsfotos des Teams Baader, 2003, ToUCam, 10 Zoll-Maksutov.Mit Registax und Photoshop wurden visuelle und Infrarotbilder berlagert.Linkes Bild: Groe Syrte, Hellas, Noachis, Sinus Sabaeus und MargaritiferSinus. Rechtes Bild: Sinus Sabaeus, Noachis, Argyre, Margaritifer Sinus,Aurorae Sinus, Thaumasia und im Norden (unten) das Mare Acidalium.(aus Astronomie heute 5/2003, S. 72/73)

    Abb. 5: Marsfotos des Hubble Space Teleskops zur Zeit der grtenErdnhe. Linkes Bild: ZM 323,8, mit Groer Syrte,Hellas, Noachis undSinus Sabaeus. Rechtes Bild: ZM 124,7, mit Thaumasia und Mare Sirenum(WFPC 2. NASA, J. Bell und M. Wolff; aus Fischer 2003, S. 117)

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    Inhaltsverzeichnis

    Klaus-Peter Haupt

    Liebe Mitglieder.......................................................................................................4

    BeobachtungenRoland HedewigDie Marsopposition 2003..........................................................................................5

    Manfred ChudySonnenfleckenbeobachtungen 2003......................................................................16

    Roland HedewigJupiterbeobachtungen 2003...................................................................................17

    BerichteKlaus-Peter HauptDie Realitt der Quantenwelt................................................................................23

    Wulfried Heidrich

    Astronomieunterricht im Museum.......................................................................39

    Verschiedenes

    Einladung zur 23. Planeten- und Kometentagung in Violau..............................45

    Christian HendrichBeobachtungshinweise............................................................................................49

    Friedrich BaumPressespiegel............................................................................................................46

    Klaus-Peter HauptEinladung zum Workshop: Evolutionre Systeme.............................................48

    Christian HendrichMars macht mobil...................................................................................................52

    Unser Programm von Januar bis April 2004.......................................................53Titelbild: Marskarte von Kasimir Graff 1924 und die Marssonden Exploration Rover(links) und Beagle 2 (rechts)

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    Liebe Mitglieder.....

    Eigentlich sollte die Sternwarte schon lngst ans Stromnetz angeschlossen sein.Aber es gab noch echt tierische Probleme und erst eine Spende zur Untersttzung dereinheimischen Bevlkerung bescherte uns den Vertrag zum Stromanschlu. Jetzt ist es imMrz soweit und immerhin werden wir zum dreiigjhrigen Jubilum der SternwarteCalden ans ffentliche Stromnetz angeschlossen sein.

    In der letzten KORONA war ein interessanter Artikel ber evolutionre Erkenntnistheorie.Meine Einwnde zu dieser Theorie habe ich in einem Vortrag zum Ausdruck gebracht. Ichmchte hierzu nur noch den Frankfurter Neurologen Wolf Singer zitieren, er ist Direktordes Max-Planck-Institutes fr Hirnforschung:

    Die moderne Physik hat uns vorgefhrt, dass die Welt ganz anders ist als sie unsererPrimrerfahrung erscheint.Sie hat die fr unverrckbar gehaltenen Koordinaten von Raumund Zeit relativiert und Zweifel an der allgemeinen Gltigkeit des Kausalgesetzesnahegelegt. Zweifel an der Erkenntnisfhigkeit unseres Gehirnes werden von der modernenHirnforschung weiter verstrkt.Sie begreift Nervensysteme als Produkte einesevolutionren Vorgangs, dessen Auswahlkriterium die erfolgreiche Weitergabe von Genenist. Die Funktion unserer Gehirne kann also nur daraufhin optimiert worden sein, den sietragenden Organismus bei dieser Aufgabe zu untersttzen. Da es whrend der Evolutionvermutlich keinen Selektionsdruck dafr gegeben hat, Gehirne herauszubilden, derenkognitive Eigenschaften so beschaffen sind, dass sie eine mglichst objektive Beschreibungvon Welt liefern, ist es sehr unwahrscheinlich, dass unsere kognitiven Fhigkeiten geradedafr optimiert wurden.Damit stellt sich die drngende Frage nach der Verlsslichkeit unserer Wahrnehmungenund Erinnerungen. Was wir wahrzunehmen in der Lage sind und wie wir wahrnehmen, istdurch die Natur der kognitiven Prozesse in unserem Gehirn festgelegt Es ist jedochkeine Garantie dafr, dass die Systeme daraufhin optimiert wurden, eine mglichstobjektive Beurteilung der Welt zu liefern. Unsere Sinnessysteme whlen aus dem breitenSpektrum der Signale aus der Umwelt ganz wenige aus und dabei natrlich solche, die frdas berleben in einer komplexen Welt besonders dienlich sind. Aus diesen wenigen wirddann ein kohrentes Bild der Welt konstruiert, und unsere Primrwahrnehmung lsst unsglauben, dies sei alles was da ist. Wir nehmen nicht wahr, wofr wir keine Sensoren haben,

    und ergnzen die Lcken durch Konstruktionen. Erst die Verwendung knstlicher Sensorenlehrt uns, dass es da weit mehr wahrzunehmen gbe.(aus Wolf Singer, Der Beobachter im Gehirn, suhrkamp Taschenbuch wissenschaft, 2002,S.78 und S.197)

    Ich wnsche Ihnen viel Spa und interessante Erfahrungen bei und mit unserem neuen undabwechslungsreichen Programm.

    Ihr KP Haupt

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    Die Marsopposition 2003

    von Roland Hedewig

    2003 ein Jahr der Mars-Euphorie

    Seit der totalen Sonnenfinsternis von 1999 fand in Deutschland kein astronomischesEreignis so groes Interesse wie die Mars-Opposition vom 26. August 2003.Beflgelt wurde dieses Interesse noch durch den Start der europischen Mars-Sonde Mars-Express der ESO mit einer Sojus-Trgerrakete am 2. Juni 2003, die seit 1. DezemberBilder vom Mars zur Erde funkt und am 25. Dezember 2003 bei Mars ankommen und dieLandesonde Beagle 2 absetzen soll. Der Name Beagle 2 erinnert an das ForschungsschiffBeagle, mit dem Charles Darwin 1831-1836 die Welt umsegelte. Parallel zur europischen

    Sonde sind zwei NASA-Marssonden unterwegs, die am 11.6. und 7.7.2003 starteten undam 3. bzw. 25.1.2004 je einen rollenden Mars-Rover auf dem Mars absetzen sollen.

    Die Presse teilte mit, dass Mars am 27. August 2003, 11:51 MESZ der Erde so nahekomme wie seit fast 60 000 Jahren nicht mehr, andere Berichte sprachen von der grtenErdnhe seit 80 000 Jahren. Schon Wochen vorher erfolgte in den USA und in Asien einenRun auf Teleskopfachgeschfte. In Deutschland fllten sich rund um den 26.8. dieVolkssternwarten. Bereits am Samstag, 23.8., den man zum Astronomietag deklariert hatte,sollen nach Schtzungen der Vereinigung der Sternfreunde (VdS) rund 20 000 Besucherherbeigestrmt sein (vgl. Fischer 2003).Dabei handelt es sich bei einer Marsopposition nicht um ein Ereignis, das nur an einemoder an wenigen Tagen zu sehen ist. Mars war von Anfang August bis Mitte September2003 sechs Wochen lang mit einer Helligkeit von 2,5 bis 2,9 und einem scheinbarenDurchmesser von 23 bis 25 als hellstes Objekt (nach dem Mond) am Nachthimmel zusehen und auch vor und nach diesem Zeitraum noch gut zu beobachten.

    Wann erscheint Mars besonders gro?

    Mars erreichte am 27.8.2003, 11:51 Uhr MESZ die scheinbare Gre von 25,11, am 12. 8.1971 24,91 und am 27. 8. 1924 25,10, so dass wir sagen knnen, dass die Mars-Opposition 2003 ebenso gnstig war wie 1924 und nur wenig besser als 1971.

    Vor 59.540 Jahren erschien der Mars mit 25,14 Winkeldurchmesser etwa ebenso gro wie2003 und vor 81.244 Jahren mit 26,16 etwas grer als 2003 (s. Tabelle 1). Wie kommt eszu den starken Unterschieden der Erde-Mars-Entfernungen bei Mars-Oppositionen?Auf Grund der elliptischen Form seiner Bahn steht Mars in jedem Marsjahr (686,9Erdtage) je einmal in Sonnennhe (Perihel) und Sonnenferne (Aphel). Aber nur alle 18Jahre stehen sich Erde und Mars gerade dann gegenber, wenn Mars besonders sonnennahund damit auch erdnah steht. Es kommt dann zur Perihel-Opposition. Da jedoch dieExzentrizitt der Marsbahn im Laufe von Jahrtausenden unter dem Einfluss der anderen

    Planeten schwankt, fllt der Abstand Erde - Mars bei Perihel-Oppositionen unterschiedlichaus (s. Abb. 1). Der minimale Abstand Erde-Mars betrgt bei Perihel-Oppositionen 53,6Mio km (scheinbarer Durchmesser 26, 1), bei Aphel-Oppositionen dagegen 101,6 Mio km(13,5). Die Werte der meisten Marsoppositionen liegen zwischen diesen Extremen.

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    Tabelle 1: Gnstige Marsoppositionen nach neueren Berechnungen (ausFischer 2003, S. 118, Durchmesser ergnzt nach Stoyan 2003, S. 12/13)

    Abb. 1: Abstnde Erde-Mars bei Perihel-Oppositionen der Jahre von 1500bis 2500 (nach J. Laskar aus Fischer 2003, S. 117)

    Leider steht Mars bei den meisten gnstigen Oppositionen wegen seiner negativenDeklination (z.B. am 29.8.2003 De = -15,8) in Deutschland relativ niedrig ber demHorizont, so dass die Luftunruhe sehr strt und die Anzahl der Beobachtungsstunden proNacht gering ist. Bei den meisten ungnstigen Oppositionen steht Mars dagegen relativhoch. So betrgt z.B. zur Oppositionszeit am 24.12. 2007 die Deklination + 26,8 bei einemMarsdurchmesser von nur 15,5. Glcklicherweise gibt es Ausnahmen von dieser Regel:Zur Marsopposition im Jahre 2020 betrgt der Marsdurchmesser 22,3 bei einerDeklination von immerhin + 5,4.

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    Informationen ber Untersuchungen, die Amateure bei Marsoppositionen vornehmenknnen und neuere Ergebnisse der Marsforschung teilte ich am 17. Juli 2003 im AAK inmeinem Vortrag Was kann man auf Mars beobachten? mit. Hierzu seien auch dieVerffentlichungen vom Schambeck (1998) und Stoyan (2003) empfohlen.

    Beobachtungsbedingungen 2003

    Von Juli bis September 2003 betrug die Deklination des Mars 13,0 bis 16,5. Am 27.August, dem Tag der grten Erdnhe, stand Mars bei einer Deklination von 15 40 zurKulminationszeit in Kassel nur 23 ber dem natrlichen Horizont, so tief wie die Sonneam 6. November. Damit wurde die Bildqualitt durch die horizontnahe Luftunruhe starkbeeintrchtigt und die Beobachtungszeit auf wenige Stunden pro Nacht eingeengt. Wer alsoden Mars 2003 bei guter Sicht beobachten wollte und es sich leisten konnte, reiste in den

    Sden. Optimal waren die Sichtbedingungen im sdlichen Afrika. So entstand z.B. diebeste im Internet verffentlichet Amateuraufnahme des Mars am 30.8.2003 in Namibia.Von Juli bis September war das Wetter in Kassel recht gnstig, so dass in vielen NchtenBeobachtungen mglich waren. Leider erlaubte die Bewlkung vom 27.8. bis 2.9. keineBeobachtungen.

    2003 erwartete Ereignisse auf Mars

    Auf Grund frherer Marsbeobachtungen waren 2003 folgende Ereignisse zu erwarten.

    Wie bei Perihel-Oppositionen blich, war 2003 die Sdpolregion des Mars der Erdezugewandt. Zur nchsten Opposition 2005 wird es die Nordpolregion sein. Am 5.5. begannauf der Sdhalbkugel der Frhling. Zu dieser Zeit lst sich die Polhaube (eine Wolkenhlleber der Polregion) auf. Die aus einer nur maximal 2 m dicken Schicht von Kohlendioxid-Schnee bestehende Sdpolarkappe SPC ist maximal gro und reicht bis ca. 65 . Darunterliegt die wesentlich kleinere Wassereiskappe mit einer 3-4 m dicken Decke ausKohlendioxid-Eis (Trockeneis), deren Gre sich im Jahreslauf nicht verndert (s. SuW12/2003, S. 6).Ende Mai ist die Sdpolhaube verschwunden und in der Sdhemisphre herrscht hoheWolkenaktivitt. Anfang Juni liegt der SPC-Durchmesser bei ca. 56. Ende Juni sind darin

    Teilungen und evtl. Inseln sichtbar. Die Groe Syrte ist breit. Anfang Juli hat die SPC nochca. 53 Durchmesser, Ende Juli schmilzt sie schnell auf 35 Durchmesser.

    Ende Juli bildet sich auf der Nordhalbkugel, auf der jetzt Herbst ist, die Nordpolhaube, undder Ostrand der Groen Syrte zieht sich zurck. Zur Zeit des Perihels Ende August beginntdie klassische Staubsturmsaison. Anfang September betrgt der SPC-Durchmesser 22 unddie Staubstrme befinden sich auf ihrem Hhepunkt. Am 29.9. beginnt der Sommer auf derSdhalbkugel, andauernde Staubsturmaktivitt ist mglich, und die Nordpolhaube kann bis50N reichen. Anfang Oktober ist die SPC ein kleiner isolierter Fleck, whrend sich dieNordpolhaube vergrert hat. Andauernde Staubsturmaktivitt ist mglich. Die Groe

    Syrte ist schmal (nach Stoyan 2003, S. 66/67).

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    Beobachter, Instrument und Anzahl der Zeichnungen

    Beobachter: Roland Hedewig, Kassel-Nordshausen, 926 E, 51 17N, 200 m . NNInstrument: 150 mm-Refraktor (FH), Brennweite 2250 mm, Vergr. 150, 180, 250

    Filter: Orange, grn_________________________________________________________________________Monat Juli 2003 August 2003Tag 13 14 15 1 3 8 9 10 14 16 19 20 22 24 25Zeichnungen 1 1 1 3 3 2 1 1 2 2 1 1 3 2 2Mars-Durchm. 19.0 19.2 19.4 22.5 22.7 23.6 23.8 23.9 24.3 24.6 24.8 24.8 24.9 24.9 25.0_________________________________________________________________________

    September 2003 Oktober 2003Tag 3 7 8 13 20 21 24 15 16 17 Summe: 25 TageZeichnungen 3 2 3 3 3 3 2 1 2 2 Summe: 50 Zeichn.

    Mars-Durchm. 24.9 24.5 24.3 23.9 22.7 22.5 22.0 17.7 17.6 17.4_________________________________________________________________________

    Tabelle 2: Daten der Marsbeobachtungen von R. Hedewig. Bei derZuordnung zu Tagen wird die Weltzeit (UT) verwendet, z.B. 26.8. 00:10MEZ = 25.8. 23:30 UT.

    Leider erlaubte die Bewlkung keine Beobachtungen in der Zeit vom 27.8. bis 2.9. Die Zeitvom 17. bis 31.7. fiel wegen einer Reise als Beobachtungszeit aus.

    Beobachtungsergebnisse

    Juli: Mars hatte noch eine deutliche Phase. Der beleuchtete Teil betrug am 13.7. 92 % (k =0.92). Die Sdpolkappe SPC erschien noch sehr gro. Die dunklen Albedostrukturen derSdhalbkugel waren 15.7. (ZM 352) nur als undeutlicher , groer dunkler Fleck zu sehen,der sich von der SPC bis zum quator erstreckte. Am Sdrand erschien eine schmaleAufhellung, mglicherweise der Rand der Nordpolhaube.1. - 4. August: Die SPC verkleinerte sich kontinuierlich bis Monatsende. Deutlich erschiendas dunkle, von OSO nach WNW verlaufende Mare Cimmerium, das die Zonen Hesperiaund Eridania sdlich umschliet. Auer dem Rand der hellen Nordpolhaube war am

    Ostrand des Mars ein schmaler heller Saum zu sehen, wahrscheinlich Randdunst.8. 19. August: In dieser Zeit konnte ich bei starker Luftunruhe auer der SPC und einergroen, unscharfen, dunklen Flche zwischen SPC und quator keine Strukturen wahr-nehmen. Mglicherweise wurde die Sicht nicht nur durch irdische Luftunruhe, sondernauch durch Staub in der Marsatmosphre getrbt.Mitte August: Vom 20. bis 22.8. waren Sabaeus Sinus, Meridiani Sinus, Pandorae Fretum,der stlich davon liegende Margaritifer Sinus mit seinen beiden Nordspitzen und dasstlich anschlieende dunkle Aurorae Sinus kontrastreich zu sehen. Der schmale Rand derNordpolhaube war weit ausgedehnt am Nordrand der sichtbaren Marsseite zu erkennen.Ende August: Vom 24. bis 25.8. befand sich auer Meridiani Sinus und Sabaeus Sinus

    auch die Groe Syrte im Gesichtsfeld. Die Syrte hatte die Form eines langgestrecktenDreiecks, im Gegensatz zur breiten Form der Syrte mit stumpfem Nordende in der Viking-Marskarte (Beilage zu SuW Special 3: Mars, 1998, und Stoyan 2003, S. 70/71). Dasentspricht dem erwarteten Zurckziehen des Ostrandes der Syrte ab Ende Juli.

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    Abb. 3: Marszeichnungen von R. Hedewig in der Reihenfolge der Zentral-meridiane 1 Sinus Sabaeus, 2 Deucalionis, 3 Pandorae Fretum, 4 Hellas, 5Noachis, 6 Margaritifer Sinus, 7 nrdliche Polhaube, 8 Mare Erythraeum, 9Argyre, 10 Aurorae Sinus, 11 Thaumasia, 12 Mare Cimmerium, 13Electris/Eridania

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    Abb. 3, Fortsetzung: 114 Aethiops, 15 Hesperia, 16 Syrtis Minor, 17 Syrtis

    Mayor, 18 Solis Pons, 19 Hellespontus

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    Deutlich hell und sehr schmal erschien der Zwischenraum Solis Pons zwischen dem SO-Rand der Syrte und Sinus Sabaeus. Solis Pons bildete eine helle Verbindung zwischen dersehr hellen Region Hellas und der etwas weniger hellen Region Aeria.Am 25. / 26.8. erschienen auch Pandorae Fretum, Serpentis und Hellespontus sehr dunkel.

    3. 9. September: Die SPC war auf ein Viertel ihres Umfangs von Mitte Juli geschrumpft.Dunkel und kontrastreich erschienen die Groe Syrte und die westlich anschlieendenStrukturen Mare Tyrrhenum mit Syrtis Minor und Mare Cimmerium mit Sinus Gomer. Diezwischen beiden Maren liegende Zone Hesperis erschien nur wenig heller als die Mare.21. 24. September: Die SPC erschien so klein wie Anfang September. Dunkelerschienen die im Gesichtsfeld liegenden Strukturen (v. O n. W) Mare Sirenum, SolisLacus und Aurorae Sinus, hell die Region Thaumasia. Am 24.9. war die helle ZoneAgathadaemon zwischen Solis Lacus im Osten und Aurorae Sinus im Westen gut sichtbar.Thaumasia erschien hell.15. 17. Oktober: Wegen des nur noch geringen Durchmessers von 17,7 bis 17,4 und

    erheblicher Luftunruhe waren die Grenzen der Albedostrukturen nur unscharf zu sehen. Am15. und 17.10. waren Mare Cimmerium dunkel und Eridania hell zu erkennen. Die SPChatte nur noch 1/3 des Durchmessers von Mitte Juli.

    Vergleich der Zeichnungen mit verffentlichten Marsfotos von 2003Die Verwendung von Webcams mit nachtrglicher Bildbearbeitung, z.B. mit demProgramm Giotto, hat seit etwa drei Jahren zu einer wesentlichen Qualittssteigerung derPlanetenfotografie gefhrt (vgl. Davis/Staup 2003; Kowollik 2003; Internetbericht von Ralf

    Gerstheimer Videoastronomie mit einfachen Mitteln).Mit einer Webcam aufgenommene Marsfotos sind in Astronomiezeitschriften und imInternet verffentlicht. Dass dieses Verfahren der visuellen Beobachtung berlegen ist,zeigt das hervorragende Internet-Marsfoto, das am 30.8.2003 21:47 UT auf der 1832 mhoch gelegenen Hakos-Farm in Namibia mit einem Celestron 14 und einer ToUCam 740aufgenommen wurde. Das Bild wurde gemittelt aus 2 Registax und einer Giotto-Bearbeitung.Zwar kann die Bildschrfe solcher Marsfotos meist nicht mit der Bildschrfeentsprechender Jupiterfotos konkurrieren, weil Mars mit maximal 25 wesentlich kleinerals Jupiter mit maximal 49 scheinbarem Durchmesser erscheint. Aber Kontrast und

    Detailreichtum der Webcamfotos bertreffen deutlich die visuell beobachteten undgezeichneten Details bei Verwendung desselben Teleskops (vgl. Abb. 4, vordereUmschlagseite innen).Die in Sternzeit 4/2003 (S. 150) verffentlichte Marszeichnung von Siegfried Hgerich vom20.7.2003, ZM 354, stimmt weitgehend mit meiner Zeichnung vom 22.8.03 berein.Lediglich die Sdpolarkappe (SPC) war erwartungsgem am 22.8. wesentlich kleiner alsam 20.7. Die gleichen Strukturen sind in den Webcam-Aufnahmen von Silvia Kowollikvom 20.7.03 enthalten (Sternzeit 4/2003, S. 139), nur mit dem Unterschied, dass hier derSPC-Umriss nicht rund, sondern unregelmig erscheint.Noch besser eignen sich zum Vergleich natrlich die hervorragenden Marsfotos, die das

    Hubble Space Teleskop (HST) aufnahm. Solche Fotos vom 26.8.2003 und 27.8.2003. sindan mehreren Stellen verffentlicht (vgl. Abb. 5, vordere Umschlagseite innen, Schring2003 und Fischer 2003). Die beiden HST-Fotos zeigen Mars am 26.8.03 23:00 UT bei ZM323,8 von ca. 245 bis 40 Lnge und am 27.8.03 10:00 UT bei ZM 124,7 von ca. 45

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    bis 200 Lnge, so dass fast die ganze von der Erde aus sichtbare Marsseite abgebildet ist,mit Ausnahme je eines Streifens zwischen 200 und 245 bzw. zwischen 40 und 45Lnge. Es fehlen hier also Eridiani, der grte Teil des Mare Cimmerium und die Hlftevon Hesperia.

    Die Hubble-Fotos zeigen deutlich den am 27.8. bereits sehr unregelmigen Rand der SPCund die klassische Dreiecksform der Groen Syrte, die auch in meinen Zeichnungen vom24. und 25.8. zu sehen ist. Sie zeigen auerdem den blau abgebildeten Randdunst, vorallem nrdlich vom quator.

    Marskarten und ihre Widersprche

    Das Identifizieren der beobachteten und gezeichneten Strukturen der Marsoberflche nimmtman nach der Nomenklatur der verfgbaren Marskarten vor. Dabei gibt es aber Probleme.

    1. Die Marskarten von Antoniadi (1909), Graff (1924), Slipher u. a. (1941), des Lowell-Observatoriums (z.B. in Schambeck 1998) und Karten, die nach Sonden-Aufnahmenangefertigt wurden und gleichzeitig Albedo- und Reliefstrukturen zeigen (in Stanek /Pesek 1976; Atlas of Mars 1979; Heuseler u.a. 1998; Beilage zu SuW Special 3 Mars1998; Stoyan 2003, S. 70/71, Astronomie heute: Mars-Spezial 2003) unterscheiden sicherheblich in der Wiedergabe der Albedo-Merkmale.

    2. Die Marskarten unterscheiden sich z.T. auch in der Nomenklatur der Albedo-Merkmale.3. In den lteren Karten ist Sden oben, entsprechend der Sicht im umkehrenden Teleskop,

    whrend in den neueren Karten Norden oben ist. Entsprechend orientiert ist die

    Beschriftung.

    Offiziell gltig sind gegenwrtig in Strukturen und Nomenklatur die nach Mariner 9-Fotoshergestellten Karten. Nachdem die Sonde Mariner 9 am 13.11.1971 in ihrerMarsumlaufbahn angekommen war, nahm ihre Kamera 7329 Fotos auf. Daraus erarbeitetedas US Geological Survey in Flagstaff (Arizona) einen gezeichneten Marsatlas im Mastab1:25 Millionen sowie 30 Karten noch besserer Auflsung im Mastab 1:5 Millionen mitden Polregionen (Batson/Bridges/Inge 1979) und eine bersichtskarte. Ab 1976 bildetenViking-Kameras die gesamte Marsoberflche mit sogar 100 m Auflsung ab. Die aus denViking-Bildern erarbeitete, sehr detailreiche Mars-Karte hat den Mastab 1:2 Millionen,

    d.h. 1 cm auf der Karte entspricht 20 km auf dem Mars.Whrend man bei terrestrischen Beobachtungen nur die unterschiedlich hellen Albedo-merkmale sieht, die mit dem Relief nichts zu tun haben, wird durch die Kameras derSonden auer den Albedomerkmalen auch das Relief mit Ebenen, Gebirgen, Grben undKratern aufgenommen. Etwa 200 Krater von mehr als 100 km Durchmesser wurden nachWissenschaftlern und anderen hervorragenden Persnlichkeiten aus 21 Nationen benannt(Engelhardt 1990).Wie die kombinierten Albedo-Relief-Karten zeigen, sind Albedomerkmale nur Farbflchen,die zum groen Teil nicht Reliefstrukturen entsprechen. Ausnahmen sind die hellen EbenenHellas und Argyre (vgl. Marskarte in Astronomie heute: Mars-Spezial 2003, S. 22/23).Gebirgsgrenzen verlaufen also berwiegend anders als die Grenzen der dunklen Flchen.Bei der Groen Syrte stimmen Albedo-und Reliefmerkmale nur an wenigen Stellenberein. Das dunkle Mare Acidalium liegt in einer Ebene, die beiderseits des Mares ebensotief und flach ist wie das Mare selbst. Fr das Marsrelief haben also solche Farbflchen

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    keine Bedeutung ganz im Gegensatz zu den zahlreichen Kratern und Gebirgen, die manvon der Erde aus nicht sieht. So ist z.B. der 27 km hohe und 600 km breite VulkankomplexOlympus Mons, der mit seiner Wolkenbildung das Marsklima beeinflusst, von der Erde ausunsichtbar.

    Reine Reliefkarten sind deshalb fr die Identifikation von Albedomerkmalen, die man beiterrestrischen Beobachtungen sieht, ungeeignet. Aber auch kombinierte Albedo-Reliefkarten erschweren mitunter die Identifizierung der beobachteten Objekte, weil dieseKarten z.T. auer dunklen Albedoflchen auch dunkle Schatten des Reliefs enthalten, diekeine Albedomerkmale sind.

    Wie entstehen die Formvernderungen der Groen Syrte ?

    Die Groe Syrte (Syrtis Major) ist die bekannteste und markanteste Albedostruktur, die

    man bei terrestrischen Marsbeobachtungen sieht. Vergleicht man ihre Form aufverschiedenen Marskarten, so fallen gravierende Formunterschiede auf (s. Abb. 6 ).Die Unterschiede der Abbildungen gehen auf unterschiedliche Mars-Jahreszeiten zurck, indenen die Beobachtungen bzw. Fotoaufnahmen erfolgten. Die Groe Syrte unterliegtnmlich saisonalen nderungen.Antoniadi fand, dass ab 285 Lnge (= 200 planetozentrische Lnge Ls) bis zum Periheldie Groe Syrte betrchtlich an meridionaler Ausdehnung (Breite in O-W-Richtung)verliert, d.h. dass sich im Sd-Frhling die Ostgrenze der Syrte in westlicher Richtungverschiebt. Im Sdherbst stellen sich dann die alten Verhltnisse wieder ein.hnliches gilt fr Pandorae Fretum. Diese zuvor helle Region verdunkelt sich erst im

    Sommer. Zu Beginn des Winters verliert sie wieder ihre dunkle Frbung.Solche saisonalen Albedo-nderungen sind das Resultat einer Staubablagerung auf demBoden der betroffenen Gebiete. Aufgewirbelte Staubpartikel von meist nur 0,1 mmDurchmesser werden am ehesten in Suspension gehalten, haben aber, wenn sie nach einemSturm am Boden abgelagert wurden eine hhere Albedo, so dass das Ablagerungsgebiethell erscheint. Polari- und photometrische Studien von Pollack und Sagan belegen diesenZusammenhang zwischen Partikeldurchmesser des Bodenmaterials und der Albedo derbetreffenden Region. Wenn sich also Staub auf den Ostteil der Syrte niederschlgt, wirddieser Teil heller. Folglich erscheint der dunkle Teil der Syrte , der allein von der Erde aussichtbar ist, schmaler (wie in Abb. 6-2). Wird der Staub im Herbst weggeweht, erkennt

    man den darunter liegenden dunklen Boden , und die Syrte erscheint wieder breit (wie inAbb. 6-8; vgl. Schambeck 1998, S. 185).

    Weshalb erscheint die Marsoberflche rot ?

    Zu diesem Problem gibt es neue Forschungsergebnisse durch Untersuchungen mit derSonde Mars Global Surveyor, die den Mars seit dem 12.9.1997 bis 2004 umkreist undkartiert.Bisher nahm man an, dass sich das viele Eisenoxid, das die Marsoberflche rot frbt,bildete, indem Eisen von Wasser aus dem Gestein gelst und nach oben gebracht wurde,

    wo das Wasser verdunstet, das gelste Eisen sich mit Sauerstoff verbindet, als Eisenoxidausfllt und sich auf der Bodenoberflche niederschlgt. So entstanden z.B. die dickenEisenkrusten auf Tafelbergen in wechselfeuchten tropischen und subtropischen Gebietender Erde.

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    Abb. 6: Darstellung der Groen Syrte in Marskarten. (1, 3, 7 aus Stoyan

    2003, S. 68-70; 2 aus Wattenberg 1956, S. 72; 5 aus Schambeck 1998, S.174; 6 aus Stanek/Pesek 1976, S. 14; 8 aus Astronomie heute: Mars-Spezial2003, S. 23; 9 aus Fischer 2003, S. 117)

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    Die Daten der Mars-Pathfinder-Mission, die mit der Landung am 4.7.1997 begann, zeigen,dass sich der rote Marsstaub deutlich vom Marsgestein unterscheidet. Albert Yen vom JetPropulsion Laboratory in Pasadena vermutet deshalb, dass der rote Marsstaub nicht durchVerwitterung festen Marsgesteins entstand, sondern dass das Eisen aus dem Weltall

    stammt und in einem Meteoritenregen auf die Marsoberflche niederging. berJahrmillionen lagerte sich wahrscheinlich Eisen auf dem Mars ab und machte ihn zumroten Planeten. Auch der Magnetismus des Marsstaubes spreche fr diese Theorie.Im Labor simulierten Forscher der NASA hierzu Bedingungen der Marsatmosphre ineinem Testbehlter und senkten die Temperatur darin auf 60 C ab. Das im Gasgemischent-haltene Eisen bestrahlten sie erst mit UV-Licht. Innerhalb von nur einer Woche frbtesich das Eisen rot, ohne dass Wasser beteiligt war. Das Eisen aus den berwiegendstaubfreien Meteoriten knnte also auf dem Mars ohne Wasser gerostet sein, d.h. sichmit dem im Staub gebundenen Sauerstoff zu Eisenoxid verbunden und ihm so seineRotfrbung verliehen haben (Schring 2003; Fischer 2003).

    Literatur

    Astronomie heute: Mars-Spezial (2003). Spektrum, HeidelbergBatson, R.M./ Bridges, P.M./ Inge, J.L. (1979): Atlas of Mars. The 1:5.000.000 Map

    Series. NASA, WashingtonBriggs, G. / Taylor, F. (1985): Cambridge Fotoatlas der Planeten. Franckh, StuttgartDavis, M. / Staup, D. (2003): Mit Webcams Planeten fotografieren. Astronomie heute

    5/2003, S. 76-80Engelhardt, W. (1990): Planeten, Monde und Kometen. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt

    Fischer, D. (2003): Die Mars-Sensation 2003 das steckte dahinter. Mega Lithos 3/2003,117-119Hedewig, R. / Teichert, G. (2002): Mars 2001. KORONA 89, 4-13Kowollik, S. (2003): Marsbeobachtung mit der Webcam. Sternzeit 4/2003, 143-147Mars. Der rote Planet in 3D. CD-ROM .(2003) United Soft Media Verlag, Mnchen, ISBN

    3-8032-1780-6Parker, D.C. / Beish, J.D. (2003): Sturmwarnung fr den Roten Planeten. Astronomie heute

    4/2003, 56-58Schambeck, C.M. (1998): Mars. In: Roth, G.D. (Hrsg.): Planeten beobachten. Verlag Sterne

    und Weltraum, Mnchen, 170-200

    Schring, J. (2003): Frbten Meteoriten den Mars rot ? Astronomie heute 5/2003, 12Stanek, B. /Pesek, L. (1976): Neuland Mars. Hallwag, Bern / StuttgartStoyan, R. (2003): Mars. Unser Wissen vom Roten Planeten mit Anleitung zur eigenen

    Beobachtung und Fotografie. Oculus, ErlangenWattenberg, D.(1956): Mars. Der Rote Planet. Urania, Leipzig / Jena

    Prof. Dr. Roland Hedewig, Am Krmmershof 91, 34132 Kassel, [email protected]

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    Sonnenfleckenbeobachtungen 2003

    von Manfred Chudy

    Im Mai und Juni 2003 konnten bei guter Sicht an fast allen Tagen Sonnenflecken- beobachtungen durchgefhrt werden. Die beiden Abbildungen zeigen die von ManfredChudy gezhlten Felcken im Vergleich zu den Werten der BeobachtungsgemeinschaftSonne-Netz.

    0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30

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    Sonnen f lec k en M a i 2003

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    Jupiterbeobachtungen 2002 / 2003

    von Roland Hedewig

    Beobachtungsbedingungen

    Dieser Bericht enthlt die Ergebnisse meiner Jupiterbeobachtungen in dem Zeitraum vom7. Januar bis 29. Mai 2003, ergnzt durch die Auswertung der Jupiterfotos von Ralf Gerst-heimer und Jrg Meyer der Zeit von September 2002 bis Mai 2003. Die in diesem Artikelerwhnten Zeichnungen wurden bereits in der letzten KORONA Nr. 93 verffentlicht.

    Jupiter konnte von September 2002 bis Mai 2003 beobachtet werden. Seine grte Erdnheerreichte er am 31.Januar 2003. Die Deklination des Planeten betrug am 13.9.02 + 1827,er-reichte ihr Minimum mit 1603 am 2.12.02 und das Maximum mit + 1906 am 1.4.03

    und sank dann bis zum 21.5.03 auf +1812. Damit stand Jupiter whrend dieser Beobach-tungszeit etwas tiefer ber dem Horizont als 2001/2002 mit einer maximalen Deklinationvon +2327 am 7.3.2002.Der scheinbare quator-Durchmesser des Planeten lag am 13.9.02 bei 32,92, erreichtesein Maximum am 31.1.03 mit 45.49 und sank bis zum 21.5.03 auf 35.31. Damiterschien Jupiter 2003 etwas kleiner als zu den Oppositionszeiten der Jahre 2001 (46.99)und 2000 (48.58, vgl. KORONA 90, S. 4 und 86, S. 5).Die ungnstige Witterung lie im November und Dezember 2002 leider nur wenige Beo-bachtungen zu. Im Januar 2003 verbesserte sich die Situation, und im Februar 2003 warenan vielen Tagen Beobachtungen mglich.

    Beobachter und Instrumente

    Roland Hedewig 150 mm-Refraktor, Brennweite 2250 mm, Vergrerungen 150, 180,250. Filter: orange; Beobachtungen in Kassel-Nordshausen, 926E, 5117N.

    Ralf Gerstheimer 320 mm-Reflektor, Brennweite1520 mm, Newton auf einer azimutalenDobson-Montierung, Okular 10 mm Plssl, Okularprojektion, Aufnahme vonVideobildern mit einem Digitalcamcorder und 200 mm-Schaer-Refraktor der AAK-Sternwarte in Calden, gleiches Auf nahmeverfahren

    Jrg Meyer 390 mm-Reflektor, Brennweite 3900 mm (Celestron 14) der Schulsternwartein Gudensberg sdlich von Kassel, Aufnahme von Videobildern

    Vorteile der Digitalfotografie von Planeten

    Ralf Gerstheimer und Jrg Meyer nahmen Jupiter mit Digital-Videokameras auf undwerteten sie mit dem Programm Giotto am Computer aus. Dabei werden z.B. fr einJupiterfoto 2000 Bilder aufgenommen und die 10% besten Bilder addiert (Komposit-verfahren). Durch die elektronische Lichtverstrkung der Kamera werden Belichtungszeitenvon 1/50 sec mglich, so dass sich die Luftunruhe viel weniger negativ auf die Bildschrfeauswirkt als bei der mehrere Sekunden dauernden Belichtung mit einem chemischen Dia-oder Negativ-Film. Durch das Kompositverfahren werden auch blasse Strukturen krftigerund kontrastreicher abgebildet.

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    Beide Beobachter stellten ihre Jupiterfotos ins Internet. Jrg Meyer schickte mir auerdemzahlreiche Fotos von Januar bis April 2003 per E-Mail.

    Je ein auf diese Weise gewonnenes Jupiterfoto verffentlichte Ralf Gerstheimer auch auf

    derTitelseite der KORONA 85 (Januar 2001) und in KORONA 92 (April 2003) auf S. 23. Erbeschreibt seinen Weg zu solchen Planetenfotos in KORONA 85.Die mit digitalen Kameras und relativ kleinen Teleskopen aufgenommenen Fotos erreichenheute die Leistungen bester chemischer Fotos, die frher in groen Observatorien aufge-nommen wurden. Eine Gegenberstellung entsprechender farbiger Marsfotos verffentlichtRonald Stoyan in seinem kleinen Buch Mars (2003, ISBN 3-9807540-5-7) auf S. 56. Noch bessere Ergebnisse erzielt man mit einer CCD-Kamera, allerdings zu einemwesentlich hherer Anschaffungspreis und bei hohen Anforderungen an die Montierung.Seit Einfhrung der Digitalfotografie werden in Sternwarten keine Planetenfotos mehr mitchemischen Filmen angefertigt.

    Anzahl und Auswertung der Beobachtungen

    Tabelle 1: Anzahl der Zeichnungen und Fotos der drei Beobachter. DieTabelle enthlt alle Jupiter-Zeichnungen von R. Hedewig und alle von R.Gerstheimer und J. Meyer im Internet verffentlichten Jupiterfotos

    Fr das Anfertigen der 6 Jupiter-Gesamtkarten verwendete ich einen Teil der Einzelzeich-nungen und diejenigen Fotos, die in meinem Beobachtungszeitraum von Januar bis Mai2003 aufgenommen wurden.Beim Zeichnen der Gesamtkarten mssen die Positionen der in die Karte zu

    bernehmenden Details in Einzelzeichnungen und Fotos mit einer Jupiter-Gradnetz-Schablone bestimmt werden. Zu diesem Zweck druckte ich die im Internet verfgbarenFotos von Gerstheimer und Meyer aus. Von einem groen Teil dieser Fotos fertigte ich am

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    Bildschirm zustzlich Farbdias an, weil auf diesen mehr Details als auf den Ausdrucken zusehen sind. Verwendet wurde eine Nikon FM auf Stativ mit Makroobjektiv und dem FilmFuji Velvia (50 ISO). Das Ergebnis dieser mhevollen Auswertung zeigen die 6Gesamtkarten der Jupiteratmosphre, wobei die Bereiche, die auf die an groen

    Instrumenten gewonnenen Fotos zurckgehen, detailreicher sind als diejenigen, die aufvisuellen Beobachtungen am 150 mm-Refraktor beruhen.

    Beobachtungsergebnisse

    Wichtigste Ergebnisse- Das Nrdliche gemigte Band (NTB) verschwand im Dezember 2002 und blieb ab

    Januar 2003 unsichtbar.- Der Groe Rote Fleck (GRF) setzte seine Drift entgegen der Rotationsrichtung des

    Planeten fort und bewegte sich von 77 Lnge im Februar 2002 nach 85 Lnge imFebruar 2003.

    - Die Strukturen im Sdlichen quatorband (SEB) stlich vom GRF waren turbulent undvernderten sich innerhalb weniger Tage.

    Bnder und Zonen von der Sdpolarregion bis zum STBDie Sdpolarregion (SPR, in den Karten oben) erschien stets sehr dunkel, reichte vom Pol bis etwa 60 Sd und war unscharf gegen die nrdlich davon liegende hellere Zoneabgegrenzt. Das Band SSTB war stets gut zu erkennen.. Von seinem Nordrand aus ragtenmehrere weie ovale Flecken (WOS) in die Zone zwischen SSTB und STB hinein. Diese

    WOS (White Oval Spots) wanderten whrend des Beobachtungszeitraumes inRotationsrichtung des Planeten, also entgegen der Driftrichtung des GRF. Dies zeigt einVergleich der Karten 1 bis 6: Whrend sich der groe, stlichste WOS am 10.-12.2.03 bei98 jovigraphischer Lnge befand, lag er am 18.-20.2. bei 85, am 13.-15.3. bei 70 und am20.-23.4. bei 32 Lnge. Das ist eine Ost-West-Wanderung von 66 in 70 Tagen, also 0,94pro Tag.Die Anzahl der auf den Fotos erkennbaren WOS lag zwischen 6 (Karte 2) und 3 (Karten 5und 6). Hier muss betont werden, dass die Aussage, dass ein Objekt im Teleskop bzw. aufdem Foto nicht zu sehen ist, nicht bedeutet, dass es nicht vorhanden ist. Wenn auf einigenFotos nur 3 WOS abgebildet sind, kann die Ursache ein schlechtes Seeing infolge

    Luftunruhe sein. Im 150 mm-Refraktor konnte ich die WOS niemals deutlich erkennen.

    Das Sdliche Gemigte Band (STB)Typisch fr das STB war die extrem unterschiedliche Helligkeit (Albedo). Im Bereich desGRF war es stets sehr dunkel. Die dunkle Strecke lag am 10.-12.2. bei 68 bei 108, am13.-15.3. bei 54 bis 110 und am 20.-23.4. bei 24 bis 95 Lnge. Von Mitte Februar bisMitte April verlngerte sich also der dunkle Teil des STB und driftete nach Westen.Vereinzelt waren an anderen Stellen kleine dunkle Flecken (SPOT) zu sehen (s. Karten 1, 3und 5).Gelegentlich traten auch kleine Lcken im STB auf. Am 13.-15.3 war das STB bei 320 bis30 Lnge fast unsichtbar (s. Karte 4).

    Sdliche Tropische Zone (STrZ) und Groer Roter Fleck (GRF)Die STrZ war dei hellste Zone der Wolkenoberflche des Planeten. Ihre Breite wurde

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    stellenweise eingeengt durch Strukturen, die vom Sdrand des SEB in die STrZhineinragten (s. Karte 4).Der GRF erschien blass gelb bis orange. Sein Rand war im Sden (auf den Karten oben)und im Osten stets dunkel, dagegen im Norden, auf der Seite der GRF-Bucht im SEB

    auffallend hell. Im Zentrum des GRF befand sich ein ovaler dunkler Fleck. An manchenTagen ragten vom Sdrand nach Westen und Osten je eine dunkle Fahne in die STrZhinein, z.T. mit Anschluss an den Sdrand des SEB (s. Karten 4 und 6).

    Datum 2002 15.9. 2003 10.2. 12.2. 18.2. 20.2. 13.3. 16.3. 23.3.Hedewig 83.4 85.1 85.6 83.6 85.5Meyer 83.0 85.7 85.3

    Tabelle 2: Positionen des GRF in jovigraphischer Lnge im System II.

    Als mittlerer Wert der GRF-Position kann demnach fr Februar und Mrz 2003 diePosition von 85,5 Lnge angenommen werden. Damit setzte sich die seit vielen Jahren beobachtete Westwanderung des GRF, die in KORONA 90 (August 2002), S. 7,beschrieben und mit Positionsdaten von 1991 bis 2002 belegt ist, fort.

    Sdliches quatorband (SEB)Das Band war durchweg geteilt in ein sdliches SEB(S), die hellere Innenzone SEB(C) unddas nrdliche SEB(N). Am deutlichsten erschien diese Teilung stlich der GRF-Bucht.Das SEB(S) zeigte an mehreren Stellen deutliche Ausbuchtungen nach Sden in die STrZ

    hinein (s. Karten 2, 3, 4, 5).Die interessantesten Strukturen befanden sich stlich der GRF-Bucht. Zwischen 90 und170 Lnge war die Innenzone des SEB, also SEB(C), in mehrere helle Zellen mit dunklenZwischenwnden gegliedert. Im Bereich von 90 bis 130 nderte sich diese Strukturwhrend des Beobachtungszeitraumes mehrfach (Karten 1, 2, 4, 6).Die GRF-Bucht erschien im Februar 2003 wie ein Kerbtal mit der Spitze im Nordteil desSEB (s. Karten 1, 2), von Mrz bis Mai dagegen wie ein halbes Oval (s. Karten 3 bis 6).Der Rand der GRF-Bucht erschien stets sehr dunkel.Zahlreiche dunkle Flecken befanden sich in der Mittelzone stlich vom GRF in denWnden zwischen den hellen Zellen (s. Karten 1, 2).

    Am 20.-23.4.03 war das SEB(S) bei 30bis 40 Lnge unterbrochen (s. Karte 6).Beiderseits dieser Lcke setzte sich der dunkle Teil des SEB(S) bogenfrmig in die Mittedes SEB hinein fort.

    quatorzone (EZ) und quatorband (EB)Die quatorzone war in einen sdlichen, schmalen und hellen Streifen, das darananschlieende, dnne quatorband (EB) und eine breitere, etwas dunklere Zone gegliedert.Das EB ist auf den Karten 1, 3 und 6 berwiegend deutlich, dagegen auf den Karten 2, 4und 5 nur undeutlich zu erkennen. Stellenweise lag nrdlich vom EB noch ein zweitesschmales Band (s. Karte 2 bei 180 bis 10 und Karte 5 bei 150 bis 180 Lnge).Girlanden, die vom NRB ausgehend in die EZ hineinragten und an einem der beidenschmalen Bnder endeten, waren berwiegend im Bereich zwischen 0 und 180 gut zuerkennen, z.T. auch bei 240 bis 0 ( Karte 4).

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    Nrdliches quatorband (NEB)Das NEB war, wie in den Jahren vorher, das dunkelste Wolkenband der Jupiteratmosphre.Eine Dreiteilung wie beim SEB war entweder nur sehr schwach oder gar nicht zu erkennen.Der Sdrand erschien wellig mit Ansatzstellen der Girlanden und zahlreichen dunkleren

    Flecken (Karten 4, 6) und Kerben (Karten 2, 6).Auch am Nordrand des NEB zeigten sich dunkle Flecken, am strksten zu sehen auf Karte2. Hier ist auch bei 70 Lnge ein Baren zu erkennen.

    Der dauerhafteste Fleck befand sich bei 95 Lnge. Er war auch im 150 mm-Refraktorwhrend der gesamten Beobachtungszeit gut zu erkennen und verursachte eine kleineAusbuchtung des NEB nach Norden.

    Das Verschwinden des Nrdlichen Gemigten Bandes (NTB)Jahrelang war das NTB als schmales, aber dunkles Band deutlich zu sehen, auch noch im

    Oktober 2002. Aber im Januar war es verschwunden. Wir haben das Glck, dass derProzess des Verschwindens in die Sichtbarkeitsperiode des Planeten fllt, so dass allePhasen des Verschwindens beobachtet werden konnten. Allerdings war Jupiter von Oktoberbis Dezember nur in der zweiten Nachthlfte zu sehen, zu einer Zeit also, in der jedernormale Mensch schlft, wenn er am nchsten Tag wieder fit sein will.Den Sternfreunden in der Schulsternwarte Gudensberg, vor allem Jrg Meyer, ist es zuverdanken, dass von September bis Dezember 2002 an 11 Tagen insgesamt 29 Fotos vonJupiter aufgenommen und ins Internet gestellt wurden, so dass das Verschwinden (Fading)des NTB gut untersucht werden kann:

    - 24.10.02: Das NTB ist noch sehr dunkel, ca. 2 breit und ohne Unterbrechungen in ganzerLnge sichtbar.- 27.11.02: Das NTB ist etwas schmaler geworden und an einigen Stellen deutlich heller als

    im Oktober. Auch die dunkelste Stelle ist etwas aufgehellt.- 13.12.02: Das NTB ist auf einem Teil seiner Lnge noch aufgehellt zu erkennen.

    Dazwischen liegen lange Strecken mit starker Aufhellung bis hin zum vlligenFehlen des Bandes.

    - 20.12.02: Das NTB ist bis auf einen kleinen Rest fast vllig verschwunden.- 07.01.03: Das NTB fehlt vllig. Es taucht auch bis zum Tag der letzten Beobachtung, dem

    29.5.03 nicht mehr auf.

    Auf den Fotos von Gerstheimer und Meyer ist lediglich zu erkennen, dass nrdlich derhellen NTrZ mit einer relativ scharfen Grenze eine etwas dunklere Zone beginnt. Diesesehr schmale Kante erscheint auf den Fotos geringfgig dunkler als die brige dunklereZone. Man kann sie als Rest des NTB ansehen.Ob das NTB wirklich verschwunden ist oder seine dunklen Substanzen verloren hat unddeshalb so hell wie die angrenzende Zone erscheint, ist nicht zu entscheiden. In hnlicherWeise ist vor einigen Jahren schon einmal das breite SEB verschwunden, ein Jahr spterwar es wieder da. Das Wiederauftauchen (Revival) eines Bandes erfolgt auf Jupiter meistdurch Neubildung von kurzen Stcken des Bandes, die sich allmhlich verlngern und sichdann zu einem durchgehenden Band verbinden.

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    Bereiche vom NTB bis zur Nordpolarregion (NPR)In der Zeit vom 18.24.2.03 (Karten 2 und 3) war bei 300 bis 320 Lnge ein 20 langerdnner Barren (Bandstck) zu erkennen, und zwar deutlich weiter nrdlich als diejovigraphische Breite des sonst vorhandenen NTB. Das weiter nrdlich gelegene NNTB

    war am 10. - 12.2. (Karte 1) bei 100 bis 180 erkennbar. Am 18. - 20.2. (Karte 2)existierten fnf Teile des NNTB bei 20bis 110 Lnge. Vom 22.2. bis 23.4. war ein rechtdunkler Teil des NNTB von anfangs 42 bis 82 Lnge (Karte 3) bis schlielich 62 bis118 Lnge (Karte 6) vorhanden. Die nrdlich vom NNTB liegende Nordpolarregion NPRwar meist deutlich gegen die sdlich davon liegende hellere Zone abgesetzt und erschienfast ebenso dunkel wie die Sd-polarregion SPR.

    Literatur

    Gerstheimer, R.: Videoastronomie mit einfachen Mitteln. KORONA 85, Januar 2001, S. 4Roth, G. D. (Hrsg.): Planeten beobachten. Verlag Sterne und Weltraum, Mnchen 1998,

    Kapitel Jupiter von H.-J. Mettig, R.C. Stoyan,Nikolai, Chr. Kowalec und G.Hahn, S. 225-289

    Internetadressen: http://www.gerstheimer.de/astromania/galerie/jupiter/jupiter.htmlhttp://www.schulsternwarte-gudensberg.de

    Prof. Dr. Roland Hedewig, Am Krmmershof 91, 34132 Kassel; [email protected]

    Impressum

    Die KORONA wird herausgegeben vom Astronomischen Arbeitskreis Kassel e.V. (AAK)und kostenlos an die Mitglieder und befreundete Vereine im Austausch mit derenMitteilungen verteilt.

    Redaktion: alle AutorenZusammenstellung: C. Hendrich

    Druck: Druckerei Ausdruck Heppner und Ziegler GbR, KasselAuflage: 300Redaktionsschlu dieser Ausgabe: 19.12.2003Redaktionsschlu der kommenden Ausgabe: 15.04.2004

    Die Artikel knnen an den Vereinsabenden in der Albert-Schweitzer-Schule abgegebenoder an Christian Hendrich, Klnische Strae 52, 34117 Kassel, Tel. 0178-7772666 bzw.0561-7015680 gesendet werden. Es werden nur Dokumente in elektronischer Formuntersttzt, die entweder per e-Mail an: [email protected] oder per Diskette oderCD-Rom an obige Anschrift gesandt werden. Als Dateiformate werden Richtext (.rtf), MS

    Word (.doc), Staroffice (.sdw) sowie Openoffice untersttzt. Als Seitenformat mu DIN A5und als Schriftgre 9 Punkt gewhlt werden. Abbildungen sollten idealerweise mit 300dpi eingescannt werden, alle gngigen Bild-Dateiformate (mit ausreichender Qualitt)werden akzeptiert.

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    Die Realitt der Quantenwelt

    Klaus-Peter Haupt

    Noch immer gibt es zahlreiche Interpretationen der Quantenmechanik und fr viele Naturwissenschaftler und Philosophen erscheinen die Formeln der Quantenmechanik

    letztlich unverstanden. In diesem Aufsatz soll ein neuer Blickwinkel eingenommen werden: Nicht unsere

    Alltagswelt ist die Realitt sondern die Welt des Mikrokosmos, die Quantenwelt. Dann

    mssen wir die Eigenschaften der Quantenwelt akzeptieren und aus ihnen unsere

    alltgliche Welt konstruieren.

    Fr diesen Weg bieten Quantenmechanik und Philosophie interessante Konzepte.

    Wellen kontra Teilchen?

    Der mathematische Formalismus der Quantenmechanik ist vor fast 80 Jahren in kurzer Zeitauf zwei verschiedenen mathematischen Wegen entwickelt worden: Heisenberg hat dieMatrizenmechanik und Schrdinger die Wellenmechanik entwickelt. Spter kam nochFeynmans Pfadintegralmethode hinzu. Da hatte Schrdinger aber schon gezeigt, dass dieMatrizen- und die Wellenmechanik zueinander quivalent sind.Die Wellenmechanik ist natrlich besonders anschaulich, arbeitet sie doch mit einer bildlichen Vorstellung der Welle, wie sie in der klassischen Alltagsphysik entwickelt

    wurde.Fr Mikroobjekte ist aber das Bild des Teilchens entwickelt worden und das steht nun malim Widerspruch zu dem Wellenbild.So entstand der Dualismus Welle-Teilchen, dessen Kenntnisnahme heute noch die Krnungder Schulphysik darstellt. Ist der Hhepunkt des Deutschunterrichtes etwa auch dieDiskussion ob sich ein Gedicht besser auf Papier oder Schiefer schreiben lsst?Der mathematische Formalismus ist ein Modell, das in weitestgehender bereinstimmungmit den Messwerten der realittsbezogenen Experimente Aspekte der Realitt beschreibensoll. Wir haben nicht zu entscheiden, ob Quantenobjekte Wellen sind, genau so wenig wiewir uns fragen, ob sie Matrizen sind. Wir halten nur fest, dass das Verhalten derQuantenobjekte mathematisch durch Wellenmodelle beschrieben werden kann.Welcher Widerspruch zu unserer alltglichen Teilchenvorstellung entsteht, zeigt am besteneine ausfhrliche Diskussion von Doppelspaltexperimenten mit Quantenobjekten.

    Interferenz am DoppelspaltSchickt man Licht durch zwei nebeneinander liegende enge ffnungen, einen Doppelspalt,so entsteht das bekannte Interferenzbild, das man auch erhlt, wenn man zwei Steinenebeneinander gleichzeitig ins Wasser wirft.In der Tat kann man dieses Interferenzbild durch eine Wellenvorstellung leicht erklren:Der ankommende Lichtstrahl erzeugt (sehr vereinfachend gesagt) in jeder ffnung einekugelfrmige Lichtwelle (Beugung). Beide Wellen breiten sich aus und treffen anverschiedenen Orten unterschiedlich aufeinander: Jeder Punkt auf der Mittelsenkrechtenzum Doppelspalt ist gleich weit von den beiden ffnungen entfernt, hier treffen also immer

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    Wellenberge der einen ffnung auf entsprechende Wellenberge der anderen ffnung.Entsprechendes gilt natrlich auch fr die Wellentler. So verstrken sich auf derMittelsenkrechten die beiden Wellen und es gibt das sog. 0. Maximum. Zu entsprechendenPunkten links und rechts von der Mittelsenkrechten sind die Laufzeiten von den beiden

    ffnungen unterschiedlich. Deswegen kann es sein, dass ein Wellenberg von der einenffnung auf das nachfolgende Wellental der anderen ffnung trifft und sich somit diebeiden Wellen auslschen (Interferenz). Wir erhalten dann ein

    Abb1: Der Doppelspalt

    Interferenzminimum. Da die Form der Wellenzge sich in einer Welle periodischwiederholt, gilt dies auch fr die Interferenzbedingungen, wenn man sich immer weiter vonder Mittelsenkrechten entfernt. Auf einem hinter dem Doppelspalt aufgestellten Schirmsieht man somit eine Folge von Minima und Maxima.Ein solches Interferenzbild aber erhlt man auch, wenn man nicht Lichtwellen, sondernElementarteilchen, also z.B. Elektronen oder Protonen oder gar ganze Atome oder auchRiesenmolekle wie aus 70 Kohlenstoffatomen bestehende Fullerene auf den Doppelspaltschickt.Diese klassischen Teilchenobjekte verhalten sich beim Durchgang durch den Doppelspaltalso wie Wellen. Nach de Broglie kann man einem Teilchen der Masse m, das sich mit derGeschwindigkeit v bewegt die Wellenlnge = h / (mv) zuordnen (h ist die PlanckscheKonstante). Ein sich mit 1000 km/sec bewegendes Elektron hat eine der Gammastrahlungvergleichbare Wellenlnge von 0,73 nm und ein im Schritttempo gehender Mensch dieWellenlnge 910-35 m, weshalb sich die Welleneigen-schaften des Menschen nichtbemerkbar machen.

    Individuum gegen Kollektiv

    In den Anfngen der Quantenmechanik dachte man noch, dass das Interferenzbild letztlichein kollektives Phnomen ist, also durch eine Wechselwirkung vieler gleichzeitig durch denDoppelspalt gehender Teilchen entsteht. Elementare, aber nicht leicht zu realisierende

    0.Maximum

    1.Minimum

    1.Maximum

    2.Minimum

    1.Minimum

    1.Maximum

    2.Minimum

    Doppelspalt

    Schirm

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    Versuche zeigen, dass Interferenzphnomene Ein-Objekt-Prozesse sind.Wenn man Atome, Elementarteilchen oder Molekle einzeln, nacheinander auf denDoppelspalt zufliegen lsst und ihnen die Mglichkeit gibt durch die eine oder die andereffnung zu fliegen, so taucht in der Nachweisapparatur jedes dieser Objekte wieder an

    einem Punkt auf. An welcher Stelle lsst sich aber nicht vorhersagen. Die Strke desbekannten Interferenzbildes gibt lediglich die Wahrscheinlichkeit dafr an, dass das Objektan einer bestimmten Stelle erscheint.Macht man den Versuch nun mit Millionen einzelner Objekt, die nacheinander durch denDoppelspalt gehen, so entsteht aus der statistischen Verteilung hinter dem Doppelspaltlangsam das bekannte Interferenzbild.Entsprechende Versuche gelingen natrlich auch fr Licht, wenn die Intensitt derLichtquelle so herabgeregelt wird, dass nur einzelne Photonen nacheinander durch denDoppelspalt gehen.

    Abb. 2: Interferenzbilder aus einer lngeren Aufsummierung der Photonen

    Fr das Eintreten von Interferenzen ist es also nicht notwendig, dass sich gleichzeitig

    mehrere Mikroobjekte im Bereich des Doppelspaltes aufhalten. Interferenz ist einindividuelles und kein kollektives Phnomen.In der Abb.2 sieht man die Interferenzbilder, die man nach nacheinander durch immerlngere Aufsummierung der Photonen erhlt. Hier wird das scheinbare Problem Welleoder Teilchen deutlich:Jedes Objekt wird als vollstndiges Einzelobjekt hinter den Doppelspalt nachgewiesen,verhlt sich aber auf seinem Weg durch den Doppelspalt so, als wenn es durch eineWelle gefhrt wrde.Welchen Weg hat das Mikroobjekt durch den Doppelspalt genommen? Insbesondere wrdees uns interessieren, durch welche der beiden ffnungen es gegangen ist? Denn eigentlich

    kann ein Objekt nur durch eine der beiden ffnungen gehen. Lsst man aber jede Hlfteder Objekte gezielt (z.B. durch Schlieen der jeweils anderen ffnung) nur durch jeweilseine ffnung gehen, so erhlt man kein Interferenzbild eines Doppelspaltes, sondern daszweier nebeneinander liegender Einzelspalte. Etwas Entsprechendes wrden wir aucherwarten, wenn die Objekte nicht sortiert sondern unsortiert durch die beiden gleichzeitigoffenen Spalte hindurchgehen. Nach unserem Verstndnis der Welt kann ein Objekt ja nurdurch eine von zwei ffnungen gehen, es kann ja nicht gleichzeitig in zwei verschiedenenffnungen sein. Wenn es aber nur durch eine ffnung geht, erhlt es dann eine Informationdarber, ob die andere ffnung offen ist (dann muss es statistisch verteilt auf einemDoppelspaltinterferenzbild erscheinen) oder ob sie geschlossen ist (dann muss es statistisch

    verteilt auf einem Einzelspaltinterferenzbild erscheinen)?Die Frage nach dem Weg der Mikroobjekte bringt uns an die Grenzen unsererVorstellungen.

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    Frage nie nach dem Weg!

    Unser Naturverstndnis ist vom Vorhandensein genauer Bewegungsvorgnge und Bahnen bestimmt. Die aus Einzelbildern zusammengesetzte Wahrnehmung einer Bewegung

    interpretieren wir als einen kontinuierlichen, auf einer Bahn ablaufendenBewegungsablauf. So beobachten wir die Flugbahn eines Vogels, so hat schon das Gehirnunserer Vorfahren die Flugbahn eines Steines oder eines Speeres berechnet (anderenfallshtten die Speere unserer Vorfahren nie getroffen und sie htten nicht berlebt und unsgbe es nicht). Und schlielich berechnen moderne Computer die Flugbahnen unsererRaumsonden zu den Planeten Jupiter und Saturn. Aber alle diese Bahnen, d.h. derEindruck der Kontinuitt einer Bewegung sind das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses

    UnbestimmtheitenWir wollen wenigstens einen Bahnpunkt einer Bewegung beobachten und stellen deshalb

    eine ffnung in die erwartete Bahn. Alle Objekte, die durch die ffnung kommen, habenzumindest dann einmal diese bestimmte Position der ffnung als ihre eigene gehabt.Aber was passiert, wenn wir die ffnung so eng machen, dass sie der Wellenlnge desbewegten Objektes entspricht? In diesem Fall wird die Welle des Objektes gebeugt und dasObjekt kann an beliebigen Stellen hinter der ffnung aufkommen, die Wahrscheinlichkeitdes Auftreffens wird durch die Intensitt des zugehrigen Interferenzbildes bestimmt. Jestrker wir die Position durch eine immer engere ffnung bestimmen, desto weiter flietdas Interferenzbild auseinander und desto mehr kann das Objekt auerhalb der direktenBahn auf einem Schirm auftreffen.Diese einfache Beobachtung (das Interferenzbild der Beugung des Lichtes an einem Spalt

    wird umso breiter, je schmaler die Spaltffnung ist), hat Werner Heisenberg allein durchden Formalismus der Quantenmechnik vorhergesagt und auf eine breite theoretische Basisgestellt:Je genauer der Ort eines Objektes bestimmt ist (z.B. durch eine ffnung), desto ungenauerist die zugehrige Geschwindigkeit bestimmt (hinter der ffnung hat das Teilchen danneine zufllige zustzliche seitliche Bewegung).Das Produkt der beiden Genauigkeiten liegtz.B. bei einem Elektron bei 10-67 mkgm/sec. Ein genau bestimmter Ort (ein lokalisiertesElektron) wrde eine vollkommen unbestimmte Geschwindigkeit bedeuten: x v h/mund ein Objekt mit einer bestimmten Geschwindigkeit kann irgendwo sein.Damit greift Heisenberg das Prinzip der klassischen Mechanik an: Aus den Angaben fr

    Ort und Geschwindigkeit und den entsprechenden Orts-Zeit- und Geschwindigkeits-Zeit-Gesetzen kann die klassische Mechanik alle Bewegungen berechnen.Heisenberg zeigt aber, dass genaue Orts- und Geschwindigkeitsangaben nicht nur amAnfang sondern nirgends lngs der Bahn eines Objektes sinnvoll sind. Zumindest imMikrokosmos wirkt sich das so aus, dass man nicht mehr von einer Bahn einesMikroobjektes sprechen kann: Ein Mikroobjekt ndert seine Position nicht lngs einerBahn, auf der ihm wie in der klassischen Mechanik stndig Ort und Geschwindigkeitzugeordnet werden knnen. Im Mikrokosmos macht der Bahnbegriff keinen Sinn.

    Auf welchem Weg fliegt das Objekt durch den Doppelspalt?Die folgenden Beispiele zeigen, dass die theoretische Beschreibung der Natur durchHeisenbergs Quantenmechanik nicht im Widerspruch zur Beobachtungsmglichkeit derNatur steht:Schicken wir erst einmal ein Elektron auf einen Doppelspalt und berlassen wir es dem

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    Zufall, durch welche der beiden ffnungen es fliegt. Dann trgt es mit einem Punkt zurStatistik des Interferenzbildes bei.Nun wollen wir das Elektron auf dem Weg vom Doppelspalt zum Schirm beobachten undbeleuchten den Bereich mit Licht, das natrlich aus Photonen besteht, die einen eigenen

    Schwung (Impuls) besitzen (der umgekehrt proportional zur Wellenlnge ist).Benutzen wir zu dieser Beobachtung langwelliges Licht, so werden die langenWellenlngen die kleinen Elektronen nur ungenau beobachten. Bei kurzwelligem Licht istdie Beobachtung der Elektronenpositionen viel prziser mglich (eigentlich msste manRntgenstrahlung verwenden). Wir kennen das aus der Optik: Je kurzwelliger die Strahlungist, desto grer ist das Auflsevermgen des Fernrohres oder Mikroskops. Damit einRadioteleskop bei den langen Radiowellen so scharf wie unser Auge bei den kurzenLichtwellen sieht, msste es einen Durchmesser von 1 km haben. Erst die aufverschiedenen Kontinenten stehenden und zu einem Teleskop zusammen geschaltetenRadioteleskope erreichen die extrem hohe Auflsung moderner Radiobilder (Very Large

    Baseline Intererometrie).Also: Je krzer wir die Wellenlnge des Lichtes whlen, desto genauer knnen wir diePosition des Elektrons messen. Je kurzwelliger das Licht ist, desto hher ist aber derSchwung, den die Photonen haben. Damit wir das Elektron nachweisen knnen, mssen diePhotonen auf das Elektron treffen. Und wenn die Photonen viel Schwung haben (wir alsoeigentlich die Elektronenposition gut bestimmen knnen), dann boxen die schwungvollenPhotonen das Elektron so zur Seite, dass es irgendwo anders auf dem Schirm ankommt, nurnicht mehr da, wo es laut Interferenzbild sein sollte.Was heit das? Wenn wir die Elektronen nach dem Durchgang durch den Doppelspalt vorihrem Eintreffen auf dem Schirm beobachten wollen, dann boxen wir sie so in andere

    Richtungen, dass das Interferenzbild nicht mehr zu Stande kommt. Je genauer wir dieElektronenpositionen bestimmen, desto strker verschwimmen die Konturen desInterferenzbildes.Was passiert also, wenn wir nach dem Weg fragen? Je prziser die Antwort ist, desto mehrverschwindet die Interferenzfhigkeit der Elektronen.Das passiert auch, wenn wir vor die beiden ffnungen desDoppelspaltes unterschiedlich orientierte Polarisationsfolienkleben und damit anhand der Polarisation erkennen knnen,durch welche der beiden ffnungen z.B. Licht gegangen ist.Auch hier wrden wir eine przise Antwort nach dem Weg

    des Lichtes (zumindest an der Stelle des Doppelspaltes) bekommen, aber wir erhalten kein Interferenzbild mehr,denn Licht unterschiedlicher Polarisationsrichtungen kannnicht interferieren. Interferenzmuster entstehen also nur,wenn die unterschiedlichen Ausbreitungsmglichkeitendurch nichts unterschieden werden knnen.Selbst einem Genie wie Albert Einstein ist es nicht gelungen, diese Eigenschaft der realenWelt auszutricksen.In einem 1927 verffentlichtem Gedankenexperiment wollte er einen Doppelspalt an zweiFedern so aufhngen, dass der Rcksto den das Objekt auf den Doppelspalt ausbt, wennes wie und wodurch auch immer statistisch abgelenkt wird, messbar wird. Da Objekte, diean einem Punkt auftreffen, unterschiedlich stark abgelenkt sein mssen, je nach dem durchwelche ffnung sie gehen, kann man anhand des Rckstoes den Weg durch denDoppelspalt rekonstruieren.

    Abb. 3

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    Der Rcksto bestimmt aber przise den Impuls, den der Doppelspalt bekommt. Dadurchwird die Unbestimmtheit der Position des Doppelspaltes so gro, dass das Interferenzbildvollstndig verschmiert, also nicht mehr sichtbar ist.Die Botschaft ist klar: Frag nie nach dem Weg, denn den gibt es nicht. brigens hat

    Herbert Walther 1991 gezeigt, dass man Interferenzbilder durch Beobachtungen des Wegesauch zum Verschwinden bringen kann, wenn es keine Mglichkeit gibt, dieUnbestimmtheit als Erklrung heranzuziehen. Hier spielt die Verschrnkung vonMikroobjekten eine Rolle, die wir aber besser am doppelten Doppelspalt erklren knnen:

    Der doppelte DoppelspaltNoch grundlegender zeigt sich die Antwort der Naturauf eine Nach dem Weg Frage, wenn wir einAtom zwischen zwei Doppelspalte setzen und dasAtom dazu bringen, immer zwei Photonen

    gleichzeitig auszusenden, die in genau entgegengesetzte Richtungen fliegen.Im ersten Fall ist nur der rechte Doppelspaltvorhanden. Auf der linken Seite steht ein Detektor,der feststellen kann, aus welcher Richtung das linkePhoton kommt. Ist der Detektor nicht eingeschaltet,so erfahren wir nichts ber den Weg des linken unddamit auch des rechten Photons und alle rechtenPhotonen erzeugen mit Hilfe des rechtenDoppelspaltes ein Interferenzbild.

    Schalten wir den Detektor ein, so erfahren wir ber die linken Photonen den Weg derrechten Photonen (also durch welche Spaltffnung sie geflogen sind) und schon baut sichkein Interferenzbild auf.Das Interferenzbild bleibt auch weg, wenn wir den Detektor erst einschalten, wenn diebeiden Photonen schon unterwegs sind. Ohne jede Strung des rechten Photons und ohnedass eine Information ber die zuknftige Wegmessung beim Aussenden vorliegen konnte,bleibt das Interferenzbild verschwunden. Und selbst wenn wir vollkommen zufllig denDetektor mal einschalten und bei anderen Photonenpaaren ausschalten, tragen nur dierechten Photonen zur Interferenz bei, fr die der Detektor ausgeschaltet war, fr die alsokeine Weginformation vorliegt.

    Fr unsere klassische Vorstellung ist das unmglich! Woher soll denn das rechte Photonnach der Ausfhrung erfahren, dass am linken Photon eine Wegmessung gemacht wurde?Die Antwort der Quantenmechanik widerspricht erneut unserer Alltagsvorstellung: Diebeiden Photonen sind nie getrennt, auch wenn sie rumlich voneinander entfernt sind,bleiben sie immer eine gemeinsame Einheit, ein Objekt. Sie sind miteinander verschrnkt.Die Verschrnkung von Mikroobjekten widerspricht also unserer rumlichen Separierung,unserer lokalisierten Wahrnehmung der Objekte unserer Welt. Sie ist aber ein gewaltigesWerkzeug der Quantenmechanik. Mit ihr erklrt man u.a. die Supraleitung (dieverschrnkten Paare von Elektronen heien Cooper-Paare) und mit ihr ist das ersteBeamen eines Mikroobjektes gelungen.

    Wird nun an Stelle des Detektors der linke Doppelspalt eingebaut, so zerstrt dessenInterferenzbild die Weginformation fr das linke und damit auch das rechte Photon. Undschon entsteht auf der rechten Seite ebenfalls ein Interferenzmuster. Wenn das linke Photon

    Abb. 4: Der doppelte Doppelspalt

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    durch Wechselwirkungen mit der Umgebung erfhrt, ob ein ein- oder ausgeschalteterDetektor oder ein Doppelspalt im Weg ist, dann hat diese Information auch gleichzeitig dasrechte Photon und verhlt sich beim Aufbau oder Nichtaufbau des Interferenzbildesentsprechend. In der Praxis muss man die miteinander verschrnkten Photonenpaare ber

    die gemeinsame Ankunftszeit auf den jeweiligen Schirmen identifizieren.

    Das QuantenradiergummiWird die Information wieder ausgelscht (wegradiert), so kann man das Interferenzmusterrekonstruieren. Diese erstaunliche Eigenschaft der Quantenwelt soll an einem einfachenBeispiel erlutert werden.Wir betrachten einen Doppelspalt, bei dem wir Informationen ber den Weg des Lichtesdurch zwei senkrecht zueinander stehende Polarisationsfolien an den Spaltffnungenerhalten haben. Untersucht man die Polarisation des auf dem Schirm ankommendenLichtes, so kann erkannt werden, durch welche ffnung das Licht gegangen ist. Bei diesem

    Experiment erhlt man kein Interferenzmuster.Nun kann man aber die Weginformation, die ja in der Polarisationsrichtung enthalten ist,durch einen weiteren Polarisationsfilter lschen, dessen Einstellung genau zwischenderjenigen der ersten beiden Filter ist (also 450 gegenber 00 und 900). Dieser dritte Filter behandelt nun die beiden ankommenden senkrecht zueinander polarisierten Lichtwellenidentisch, er lsst jeweils nur 50% der Intensitt durch, die andere Hlfte wird reflektiert.Durchgehendes und reflektiertes Licht besitzen dann die Polarisationsrichtung 450,unabhngig davon durch welche ffnung das Licht gekommen ist.Es versteht sich von selbst, dass nun keine Information mehr vorhanden ist, durch welcheder beiden ffnungen das Licht gekommen ist. Der dritte Polarisationsfilter ist unser

    Quantenradiergummi.Reflektiertes und durchgelassenes Licht zeigen nun wieder, allerdings entgegengesetzte,Interferenzmuster. Legt man die beiden Muster bereinander, so entsteht ein gleichmigesGrau. Die beiden Interferenzmuster heben sich zusammen genommen auf.

    Verschrnkung wegen der Beschrnkung?Damit haben wir an dem konkreten Beispiel der in unserem Alltag so wichtigen Flugbahngezeigt, dass sich die Mikrowelt nicht nur unerwartet verhlt, sondern sich auch nicht mitden Begriffen beschreiben lsst, die wir in unserer Alltagssprache verwenden. NeueBegriffe, wie der der Verschrnkung mssen erfunden werden und alte Begriffe wie der der

    Bahn haben keine Bedeutung mehr.Unsere Alltagssprache ist natrlich im Rahmen der biologischen und geistigen Evolutionaus den Fortpflanzungs- und berlebensbedrfnissen heraus entstanden. Sie hat sich ausder Notwendigkeit entwickelt, in Sozialgemeinschaften eine komplexere Kommunikationzu ermglichen. Die Sprache hat sich natrlich nicht entwickelt, um eine (von uns sowiesonicht vollstndig erkennbare) Realitt zu beschreiben. Nur die fr unser berlebenwichtigen Aspekte der Realitt, so fern sie in unserem Wahrnehmungssystem auftauchen,knnen durch unsere Alltagssprache beschrieben werden.(Die Vollmersche Evolutionre Erkenntnistheorie ist als unwissenschaftliche, weil nichtberprfbare Meinung, unhaltbar!).Diese, evolutionr eingeschrnkte Fhigkeit unserer Sprache, Aspekte der Realitt zubeschreiben, erschwert natrlich unser Verstndnis von der Realitt. Sprache hat sichursprnglich an den Bedrfnissen der Sozial- und Kulturgemeinschaft orientiert und nichtan erkenntnistheoretischen Bestrebungen.

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    Wittgensteins Worber man nicht sprechen kann, darber sollte man schweigen wollenwir uns aber nicht zu eigen machen und versuchen, Eigenschaften der Realitt mit der unszur Verfgung stehenden Sprache zu charakterisieren. Es gelingt uns teilweise durchErfindung neuer Begriffe und teilweise nur, in dem wir festhalten, welche Alltagsbegriffe

    nicht zur Beschreibung der Realitt verwendet werden drfen.

    Die Realitt der Quantenwelt

    Im Folgenden wollen wir versuchen, Aspekte der Quantenrealitt ihn Worte zu fassen.

    ZufallQuantenmechanische Prozesse finden zufllig statt. Wir kennen das von der Radioaktivitt:In einer Ansammlung radioaktiver Kerne knnen wir nicht sagen, wann welcher Kernzerfllt, sondern nur angeben, nach welcher Zeit (der Halbwertszeit) die Hlfte der vor-

    handenen Kerne zerfallen ist.In unserem Alltag kennen wir auch den Begriff Zufall, aber hufig versteckt sich dahintereigentlich nur die Unkenntnis vielfltiger und hochkomplexer Ursachen fr einen Vorgang.Der Zufall quantenmechanischer Prozesse dagegen scheint echt zu sein. Wie Bell mit Hilfeseiner berhmten Ungleichung zeigen konnte, ist keine innere Eigenschaft fr das Ver-halten von Quantenobjekten verantwortlich. Ebenso wenig kann man bisher dieKorrelationen der Teile eines verschrnkten Systems durch tiefer liegende, verborgeneParameter erklren.Damit mssen wir ein in unserer Wirklichkeit zum berleben wichtiges Prinzip derWahrnehmung aufgeben, nmlich das Kausalittsprinzip. Das schmerzt natrlich auch die

    Naturwissenschaften, denn eine Prmisse naturwissenschaftlichen Arbeitens ist natrlichdie Annahme, dass es feste, berprfbare und wiederholbare Kausalbeziehungen gibt.Feste, determinierte Beziehungen gibt es auch innerhalb einer quantenmechanischenBeschreibung, z.B. bei der Entwicklung einer Wellenfunktion oder eines quanten-mechanischen Zustandes aber eben nur innerhalb des statistischen Begriffsystems derQuantenmechanik und nicht beim bergang zur klassischen Welt.In dieser klassischen Welt verknpft unsere Wirklichkeitskonstruktionsmaschine Gehirnzeitlich aufeinander folgende Wahrnehmungen durch kausale Beziehungen, unabhngigdavon, ob sie durch natrliche Prozesse verbunden sind oder nicht. Das kann schlielichzum Totalausfall logischer berlegungen fhren. So bilden sich viele Menschen ein, dass

    zwischen dem Ereignis A (Geburtstermin) und dem Ereignis B (Stellung eines Planeten)eine Beziehung existieren muss. Diese Einbildung ist so tief in die kognitiven Struktureneingebrannt, dass man mit Astrologieglubigen eigentlich nicht darber reden kann.Entsprechendes gilt natrlich auch im religisen Bereich, z.B. bei der Beobachtung sog.Wunder und Erscheinungen. Sie sind ein Phantasieprodukt unserer Wirklichkeits-konstruktion, angelegt zur Rettung des Kausalprinzips, mit dem wir ja so gut in derEvolution unsere Welt verstehen und in ihr berleben konnten.Der quantenmechanische Zufall zeigt uns, dass die Kausalitt unserer Alltagswelt keinerrealen Eigenschaft der Mikrowelt entspricht.Kants berhmtes Kausalgesetz ist nicht auf die Realitt anwendbar, denn es setzt diegenaue Kenntnis einer Ursache voraus. Aber dies verhindert die Unbestimmtheitsrelation.Wre es anwendbar, so wrde das Zufallsverhalten von quantenmechanischen Prozessendas Kausalprinzip als ungltig erweisen. Kants Kausalgesetz ist also in der Realitt wederanwendbar noch gltig!

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    VerschrnkungEin System, von dem wir annehmen, dass es aus Teilsystemen besteht, kann trotz derMglichkeit, die Teilsysteme separiert wahrzunehmen, durch eine einzige Wellenfunktionbeschrieben werden. Unsere Wahrnehmung tuscht uns also, das System besteht eigentlich

    nicht aus den Teilsystemen. Die getrennte (auch begriffliche!) Wahrnehmung ist dasErgebnis der Konstruktion unseres Gehirnes. Sie dient der Vereinfachung und derleichteren Prognostizierung berlebenswichtiger Verhaltensweisen. Deswegen mssen wirdiesen sprachlichen Zirkelschluss durchfhren: Das Objekt besteht nicht aus den beidenTeilobjekten, aus denen wir es zusammensetzen. Durch die Erfindung des neuen WortesVerschrnkung umgehen wir das sprachliche Problem. Wir nennen die Teilobjekte zueinem Gesamtobjekt verschrnkt.Der rumliche Abstand, und nach dem orientiert sich unsere Wirklichkeitskonstruktion ja,hat nichts mit der Separierung von Objekten zu tun. Noch ber eine Stecke von 10 km istdie Verschrnkung von Mikroobjekten experimentell nachgewiesen. Schlielich mssen

    wir auch eine Verschrnkung der Elektronen im Atom zum Objekt Elektronenhlleannehmen, nur so lassen sich die Energiezustnde der Atome genau berechnen. Elektronen,die wie die Planeten um die Sonne um ihren Atomkern kreisen, die gibt es nicht.

    SuperpositionQuantenmechanische Zustnde knnen sich zu neuen Zustnden berlagern. Dieswiderspricht unserer zweiwertigen, entweder-oder Logik. Die Katzen unserer Alltagsweltkommen entweder nur tot oder nur lebendig vor. Eine Katze, die in einemberlagerungszustand von tot oder lebendig ist, hat es in der Evolution nie gegeben unddeswegen gibt es in unserer konstruierten Alltagssprache auch keinen Begriff dafr. In der

    mathematischen Sprache der Quantenwelt kann man aber ein Symbol fr diesen Zustandangeben:Wir wollen dies am Beispiel von Schrdingers Katzenexperiment verdeutlichen, an demder Unterschied zwischen Wirklichkeit und Realitt deutlich wird (aber von Schrdinger benutzt wurde um die Quantenmechanik abzulehnen, da er der konstruierten Wirklich-keitsvorstellung des Menschen einen hheren Wahrheitsgehalt als der Realitt zuordnenwollte, so wie es in der Evolutionren Erkenntnistheorie heute immer noch der Fall ist).In einem Kasten befindet sich eine Katze, vollstndig im Zustand lebendig, den wir

    durch die Zustandsfunktion Lbeschreiben wollen. Dazu gibt es ein radioaktives Prparat,

    das mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% innerhalb eines Tages einen Zerfall hat, einen

    Hammer und eine Blausurekapsel. Zerfllt das radioaktive Prparat, so wird ber einenGeiger-Zhler der Hammer auf die Kapsel geschlagen, so dass die Blausure ausstrmt unddie Katze garantiert ttet. Der tote Zustand der Katze wird durch die Funktion (dassprachliche Symbol) T beschrieben.Der Kasten ist verschlossen, und deshalb wissen wir am Ende des Tages nicht, ob dasradioaktive Prparat einen Zerfall hatte oder nicht. Um zu wissen, ob die Katze noch lebt,mssen wir den Kasten ffnen. Springt uns die Katze in die Arme, so wissen wir (lautunserer Alltagsvorstellung), dass sie auch schon vor dem ffnen des Kastens gelebt habenmuss.In der Mikrowelt ist das anders. Das Quantenobjekt Katze befindet sich am Ende des Tages

    in einem Superpositionszustand aus lebendig und tot, der durch das Symbol = cLL + cTTbeschrieben wird. Die Vorfaktoren cL

    und cT

    beschreiben die Wahrscheinlichkeiten, mit derdie beiden Teilzustnde im Superpositionszustand enthalten sind, hier sind beide Zahlen

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    50%. Fr diesen Superpositionszustand haben wir in unserer Alltagssprache kein Symbol,er existiert aber, jedenfalls so lange, bis ein Beobachter im Kasten nachsieht und dasSystem dadurch z.B. in den Zustand lebendig (cL = 1, cT = 0) bergeht.

    Wir werden noch sehen, dass dazu kein Beobachter im klassischen Sinn notwendig ist,

    sondern dass das quantenmechanische System durch Wechselwirkungen mit anderenSystemen diesen bergang in einen der klassisch mglichen Zustnde von allein erzwingt(Dekohrenz).Zustnde, die sich berlagern knnen, nennt man kohrent. Nicht mehrberlagerungsfhige, klassische Zustnde dagegen dekohrent. Je einfacher das System istund je besser es gegen andere Systeme isoliert ist, desto lnger dauert der bergang vonkohrenten zu dekohrenten Zustnden.Unsere makroskopische Katze in seiner nicht isolierten Umgebung ist natrlich nur eineunvorstellbar kurze (fr uns nicht messbare) Zeit in der Superposition aus tot und lebendig.Anders sieht es bei einzelnen isolierten Atomen aus, hier vergehen messbare und im

    Experiment auch nachgewiesene Zeiten, bevor sie aus der Superposition mglicherZustnde in einen bestimmten Zustand bergehen.Wie schwierig unsere Sprache das Denken gestaltet (weil sie eben an der Wirklichkeit undnicht an der Realitt orientiert ist), sieht man am Beispiel der Neutrinos. Wir kennen dreiNeutrinosorten, die wir mit Elektronenneutrino, Monenneutrino und Tauneutrino be-zeichnen. Im Zentrum der Sonne entstehen durch die Kernfusion Elektronenneutrinos. Alses vor 20 Jahren gelang diese Neutrinos nachzuweisen, stellte man fest, dass wir nur ca.67% der erwarteten Menge registrieren konnten. Seit etwa einem Jahr wissen wir, dass dieUrsache in einer Umwandlung der Elektronenneutrinos (die ausgesandt werden und die nurnachgewiesen und untersucht wurden) in Monenneutrinos liegt. Inzwischen wurden auch

    die bisher nicht beachteten Monenneutrinos registriert und die Anzahl aller von der Sonneregistrierten Neutrinos stimmt mit der erwarteten Menge berein. (Unser Modell der Sonnewar also richtig, das Standardmodell der Elementarteilchenphysik aber nicht). DieseUmwandlung ist aber keine Wechselwirkung im klassischen Sinn, sondern liegt daran, dassdie Neutrinoarten eigentlich nur in einer Superposition aus den drei Arten existieren: =c

    1

    1+ c

    2

    2+ c

    3

    3. Bei der Entstehung ist c

    1= 1 und c

    2= c

    3= 0. Durch Wechselwirkung

    whrend des Fluges, vor allem beim Durchqueren der Erde, verndern sich dieWahrscheinlichkeiten fr die anderen Zustnde, so dass bei einer Wechselwirkung mit der Nachweisapparatur die Superposition nicht immer in den dekohrenten Zustand desElektronenneutrinos bergeht, sondern manchmal eben als Monen- oder Tauneutrino

    auftaucht und somit von der Registrierung frher nicht erfasst wurde.

    Die Superposition wird auch bei mglichen Quantencomputern eine wichtige Rolle spielen.Zu ihr gehrt nmlich eine mehr als zweiwertige Logik, so dass in der Superposition allemglichen Zustnde gleichzeitig vorhanden und damit berechnet sind. Leider kann man nureinen der mglichen Zustnde als dekohrenten Zustand auslesen.

    Die Superposition ist auch die Ursache dafr, dass man einen quantenmechanischenZustand nicht kopieren kann. Die Superposition besteht aus unendlich vielenMglichkeiten der berlagerung (die durch alle Kombinationen der c1 und c2, deren

    Summe 1 ergibt, beschrieben werden), und eine unbegrenzte Anzahl von Dingen kann inendlicher Zeit nicht kopiert werden.

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    UnbestimmtheitenDas Modell der Quantenmechanik ergibt, dass bestimmte Gren nicht gleichzeitig genauexistieren.Heisenberg hat dies zuerst in der Unbestimmtheitsrelation UBR zwischen Ort x und Impuls

    p = mv formuliert, die sich unmittelbar aus der Beschreibung der Mikroobjekte durchWellenpakete ergibt. Die Unbestimmtheiten x und p hngen voneinander ab, fr ihrProdukt gilt: x p > h/2. Je bestimmter der Ort ist, desto unbestimmter ist der Impulsdes Objektes und umgekehrt.Durch kein Experiment lsst sich die UBR umgehen, trotzdem ist sie nicht die Folge einesexperimentellen Einflusses oder einer Strung sondern eine ontologische Eigenschaft einesMikroobjektes. Wir haben schon die Folgerung diskutiert, dass es deswegen keinen Sinnmacht von einer Bahn oder Bewegung eines Mikroobjektes zu sprechen. Das scheint auchden Versuch, die Quantenmechanik auf ein chaotisches Subsystem zurckzufhren,unmglich zu machen.

    Solche Unbestimmtheiten gibt es auch zwischen anderen Gren: Es existieren zumBeispiel nicht bestimmte Drehimpulskomponenten eines Objektes zur gleichen Zeit. Sehrweitreichende Konsequenzen hat auch die Unbestimmtheit von Energie E und Zeit t:E t > h/2. Fr den Zeitraum t ist die Energie eines Mikroobjektes unbestimmt, d.h.fr beliebig kurze Zeitrume kann ein beliebig hoher Energiebetrag E aus dem Nichtsauftauchen.Der in der makroskopischen Physik so bedeutende Energieerhaltungssatz ist im Mikro-kosmos nur gltig, wenn makroskopische, also klassische Eigenschaften beschriebenwerden.Mit der UBR von Energie und Zeit kann man die Struktur des Vakuums erklren: Das

    Vakuum enthlt, selbst nach dem Entfernen smtlicher Materie und Strahlung, ein Meeraus Teilchen- und Antiteilchenpaaren, die unter Verletzung des Energieerhaltungssatzesund mit Erlaubnis der UBR auftauchen und verschwinden. Diese sog. virtuellen Teilchenwerden natrlich auch durch Wellen beschrieben. Schrnkt man z.B. durch dicht beieinander stehende Platten die Mglichkeit fr solche Wellen ein, so erzeugt dasauerhalb der Platten befindliche Vakuum, in dem eine grere Vielfalt virtueller Teilchenmglich ist, einen Druck, der die Platten zusammenfhrt. Zwischen den Platten knnen nurdie virtuellen Teilchen auftauchen, deren Wellenlngen ganz zwischen die Platten passen.Es sind also weniger virtuelle Teilchen zwischen den Platten als auerhalb, und das erklrtden Druckunterschied. Dieser sog. Casimir-Effekt ist experimentell berprft worden. Die

    Kraftwirkung liegt im Bereich von mN!An dem Wort virtuell erkennt man auch das sprachliche Problem. Die virtuellen Teilchensind ganz normale Objekte. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Substanz einesElektrons, das virtuell und das nicht virtuell ist. Mit dem sprachlichen Konstrukt virtuellbeschreiben wir keine Objekteigenschaft sondern die nicht mgliche Objekteinordnung inklassische Vorstellungen.ReduktionismusMit Erfolg beschreiben wir die Funktion der makroskopischen Welt dadurch, dass wir siein kleine Einheiten zerlegen, deren Prinzip wir verstehen knnen.Dies gelingt bei quantenmechanischen Objekten nicht. Sie sind immer mehr als die Summeihrer Teile. Ein Cooper-Paar aus zwei Elektronen zum Beispiel ist ein Objekt, das sichreibungsfrei durch ein Metallgitter bewegen kann (Supraleitung). Und miteinanderverschrnkte Photonen bilden eine neue Einheit, ein rumlich ausgedehntes, aus nicht

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    lokalisierbaren Teilen bestehendes Objekt.Letztlich gilt Entsprechendes natrlich auch in unserer Makrowelt: Ein Tisch z.B. bestehtnicht aus Atomen, er kann nur in Atome zerlegt werden. Seine Eigenschaften als Tisch aberknnen auf der Basis der Atome nicht formuliert werden.

    Auch ein lebender Organismus besteht aus Atomen, das Leben aber ist eine emergenteEigenschaft des Organisationsprinzips der Atome, genau wie unser Bewusstsein eineemergente Eigenschaft des neuronalen Netzes ist.Die reduktionistische Vorgehensweise der Physik erkennt man am Bestreben, dievorhandene Substanz des Kosmos auf wenige elementare Objekte und die vorhandenenWechselwirkungen auf eine grundlegende Kraft zurckzufhren. Aber lsst sich wirklichmit der Urkraft und den Elementarteilchen der Kosmos verstehen?

    WechselwirkungenDie Wechselwirkungen zwischen Objekten knnen nicht beliebig klein gemacht werden, es

    gibt eine durch das Plancksche Wirkungsquantum h beschriebene kleinstmglicheWechselwirkung, so etwa wie es das Bit als kleinstmgliche Informationseinheit gibt.

    Wellen als WerkzeugeDie Beschreibung der Mikroobjekte durch Wellen erfordert Wellenpakete, d.h.berlagerungen unendlich vieler Wellen verschiedener Wellenlngen. Diese Wellenpaketesind aber nicht stabil, fr ein Elektron flieen sie schon nach 10-15 Sekunden auseinander(der Mensch als klassisches Objekt wird durch Wellenpakete beschrieben, die 1010 Jahrestabil sind). Deswegen sollte man den Wellen keine reale Bedeutung zuordnen, siescheinen nur Werkzeuge zur Beschreibung der Realitt zu sein. Die Frage, ob Licht

    Teilchen oder Welle ist, ergibt somit keinen Sinn.

    Diskrete EnergieniveausDurch Krfte eingesperrte Quantenobjekte knnen wegen der Welleneigenschaften nichtmehr jede beliebige Energie annehmen, sondern nur die Energien, deren zugehrigeWellenlngen in den Bereich der Einsperrung passen (Stehende Wellen). Die diskretenEnergiezustnde der Mikroobjekte erkennt man z.B. an den diskreten Emissions- undAbsorptionslinien der Atome. Diskrete Energieniveaus gestatten auch nur die Aussendung bestimmter (gequantelter) Energiebetrge. Diese Idee hatte Max Planck 1900. Sieermglichte ihm die Erklrung der spektralen Energieverteilung (Plancksche Kurven).

    DekohrenzWenn quantenmechanische Objekte miteinander, d.h. mit ihrer Umgebung inWechselwirkung treten, dann verlieren sie ihre Eigenschaften und entwickeln klassischesVerhalten. Mit dieser Dekohrenz werden wir uns gleich noch nher beschftigen. Umklassische Eigenschaften zu erhalten, reicht fr ein Quantenobjekt mit der Ausdehnung 1m die Wechselwirkung mit Photonen der allgegenwrtigen kosmischen 3K-Strahlung!

    Warum wir die Quantenmechanik nicht verstehen knnen

    Viele Physiker und Philosophen haben unterschiedliche Konzepte und Ideen zurInterpretation der Quantenmechanik verffentlicht, die teilweise widersprchlich undmanchmal noch unverstndlicher als der Formalismus der Quantenmechanik sind.

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    Diese Schwierigkeit ist darin begrndet, dass nicht mit ausreichender Przision zwischenWirklichkeit und Realitt unterschieden wird.

    Wirklichkeit und Realitt

    Ich mchte hier noch einmal die wichtigsten Thesen der konstruktivistischenErkenntnistheorie zusammenfassen.Unser Wissen ist kein Abbild einer externen Realitt, sondern eine Konstruktion, die durchden Erkenntnisprozess und der sinnlichen Wahrnehmung ermglicht wird. Da wir auslogisch trivialen Grnden ja nicht entscheiden knnen, ob und wie weit die so konstruierteWirklichkeit mit der Realitt bereinstimmt, bleibt uns nur die innere Wirklichkeit,whrend uns die externe Realitt letztlich nicht zugnglich ist.Konstruktivisten gehen natrlich von einer real existierenden Welt aus, sie sindontologische Realisten. In der realen Welt gibt es Objekte, die verschiedene Eigenschaftenhaben. Aspekte dieser Eigenschaften, die im Rahmen unserer Evolution fr die

    Fortpflanzung und das berleben Bedeutung hatten bzw. haben, knnen wir sicherbestimmten Aspekten unserer Wirklichkeitskonstruktion zuordnen.brigens, meine Wirklichkeit ist nicht die Konstruktion meines Ichs, denn mein Ich istselbst eine Konstruktion meines Gehirnes.Auch Wissenschaften sind unter sozialen und kulturellen Gegebenheiten konstruierteVorstellungen und somit sind ihre Aussagen ja bestmglich an die von uns konstruierteWirklichkeit angepasst. Ich sage bestmglich, weil wir im Bereich derquantenmechanischen Eigenschaften schon deutliche Abweichungen gesehen haben.Dadurch, dass wissenschaftliche Aussagen widerlegbar sein mssen und nur so langeBestand haben, wie sie nicht durch Beobachtungen widerlegt sind, unterscheiden sie sich

    von allen esoterischen, astrologischen und religisen Aussagen. Und deswegen ist fr michdas wissenschaftlich konstruierte Weltbild immer noch realittsnher als andereWeltbilder.Beschftigt man sich mit der Evolution unseres Gehirnes, so entsteht die These, dass unserGehirn nicht als Organ zum Erkennen der Welt entstanden ist, sondern sich alsSozialorgan aus den Notwendigkeiten eines sozialen, gemeinschaftlichen Lebens in denersten vormenschlichen Gemeinschaften entwickelt hat. Vielleicht bildet es letztlich nur dieAspekte der Realitt ab, die wir zum sozialen Leben und berleben bentigen. Unserestammesgeschichtlich erworbene Wirklichkeit reicht nicht aus, die reale Natur von Licht,Elektronen, Vakuum, Feldern kurz eines groen Teiles unserer Welt zu erfassen.

    Verstehen und ErklrenInzwischen sind wir schon von der genetischen zur kulturellen Evolution gewechselt. Diesermglichen die Prgungsmglichkeiten, die unser Gehirn vor allem in den erstenLebensjahren besitzt und natrlich unsere Fhigkeit, Objekte der Wirklichkeit durchSymbole zu bezeichnen und mit diesen Symbolen in einer eigenen geistigen Weiseweitere Konstruktionen vorzunehmen. Ich spreche von der Entwicklung der Sprache alsallen Menschen gemeinsame Form, Objekte und Eigenschaften durch Symbole zureprsentieren. Hierzu gehrt aber auch die, nur wenigen Menschen zugngliche,Mathematik, die eine eigene, nicht immer sprachlich zu erfassende Symbolik besitzt undeigene Spielregeln, mit denen aus diesen mathematischen Symbolen neue Symbolekonstruiert werden.Unsere Sprache allein kann die Realitt nicht erfassen, und deshalb darf sie nachWittgenstein, auch nicht zur Beschreibung der Realitt missbraucht werden. Schon an den

  • 8/8/2019 Korona 94

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    Begriffsbildungen zu Gefhlen und Moral wird deutlich, dass unsere Sprache nur inunserer Wirklichkeit konstruiert und von Bedeutung ist. Wir vergessen dies, und ordnenunseren Gefhlen und unseren moralischen Stzen eine eigene, von uns unabhngige,Existenz zu. Dies lehnte Wittgenstein schon vor ber 80 Jahren ab und die moderne

    Forschung scheint ihm Recht zugeben: Gefhle sind, teilweise auch in der frhen Kindheiterlernte, konstruierte Selbstwahrnehmungen einer Abweichung zwischen verschiedenenIST- und SOLL-Zustnden unseres Organismus (einschl. unserer Selbstwahrnehmung).Unsere moralischen Regeln sind konstruierte, intersubjektive Selbstwahrnehmungensozialer Funktionsablufe und Beziehungen, die wir schon in frher Kindheit internalisiertbekommen, so dass es uns nahezu unmglich ist, sie als Scheintatsachen zu entlarven.Viele philosophische Probleme kommen letztlich nur dadurch, dass wir die Funktion derSprache bei der Beschreibung und Wahrnehmung der Welt nicht richtig hinterfragen. Undletztlich bestimmt die Sprache unsere Fhigkeit, die Welt zu verstehen und zu erforschen.Menschen sind eigentlich nicht gleich. Ihre Sprache bestimmt jeweils ihre Welt und die

    Grenzen ihrer Sprache sind die Grenzen ihrer Welt!

    Nach diesem Ausflug in die Welt des Konstruktivismus wird jetzt auch der Unterschiedzwischen Verstehen und Erklren deutlich:

    - Etwas verstehen heit, es in den Sinnzusammenhang unserer Spracheeinzuordnen.

    - Etwas erklren bedeutet, es auf allgemeine, grundleg