Korrektur zur Kristallstruktur von „Cs4PbO3” und die Strukturverwandtschaft zwischen den...

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Z. anorg. allg. Chem. 612 (1992) 143-148 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie 0 Johann Ambrosius Barth 1992 Korrektur zur Kristallstruktur von ,,Cs,PbO," und die Strukturverwandtschaft zwischen den Modifikationen von Cs,PbO, Ulrich Miiller Marburg, Fachbereich Chemie der Universitat Kirsten Bernet und Rudolf Hoppe" GieDen, Institut fur Anorganische und Analytische Chemie der Universitat Bei der Redaktion eingegangen am 5. September 1989, erganzt am 9. August 1991 Inhaltsiibersicht. Bei der fruher als Cs,PbO, beschriebe- Daten wie auch mit neuen Daten eines unverzwillingten nen Substanz handelt es sich tatsachlich um Cs,PbO,. Kristalls verfeinert. Die Bezeichnung P-Cs,PbO, dient Dieses kristallisiert nicht, wie angenommen, in der zur Unterscheidung von einer bereits bekannten Modifi- Raumgruppe P2,, sondern in P2,/c. Die beobachtete kation (a-Cs,PbO,). Beide Strukturen, a-Cs,PbO, und scheinbare Verletzung des Ausloschungsgesetzes fur die P-Cs,PbO,, lassen sich von der des y-Plutoniums ablei- c-Gleitspiegelebene ist auf Verzwillingung zuruckzufuh- ten, wenn bei dieser bestimmte Lucken mit Sauerstoff- ren. Die Struktur wurde sowohl mit den ursprunglichen atomen besetzt werden. Correction of the Crystal Structure of "Cs,PbO," and the Structural Relationship between the Modifications of Cs,PbO, Abstract. The compound that has been described as Cs,PbO, really is Cs,PbO,. It does not crystallize in the space group P2,, as assumed, but in P2,/c. The observed fictitiuos violation of the extinction law for the c glide plane is due to twinning. The structure was refined using the original data as well as new data from an untwinned crystal. The denomination P-Cs,PbO, is used to distin- guish this structure from another known modification (a- Cs,PbO,). Both structures, a-Cs,PbO, and P-Cs,PbO,, can be derived from the sphere packing of y-plutonium when certain voids in its packing are occupied with oxy- gen atoms. Key words: Caesium tetraoxoplumbate; crystal structure Bei der Reaktion von Cs,O mit PbO bei 450 "C und an- schliefiendem Tempern unter Sauerstoff bei 450 "C wird das Blei oxidiert und Cs,PbO, entsteht [I]. Dagegen war eine Reduktion des Bleis angenommen worden, wenn Cs,O und PbO, im Beisein von unteroxidiertem Natri- umoxid bei der gleichen Temperatur unter Argonatmo- sphare reagieren, wobei sich eine als Cs,PbO, beschrie- bene Verbindung bildet [2]. Die Produkte beider Synthe- sewege wurden durch Kristallstrukturanalysen charakte- risiert. Wie nachstehend ausgefuhrt wird, handelte es sich auch bei der zweiten Probe urn Cs,PbO,, jedoch um eine neue Modifikation. Zur Unterscheidung wird im folgen- den die Bezeichnung a-Cs,PbO, fur die fruher bekannte [I] Modifikation verwendet; sie ist isotyp zum Cs,ZrO, [3]. Die bislang fur Cs,PbO, gehaltene Modifikation [2] wird P-Cs,PbO, genannt. Die auffallige Ahnlichkeit der Rontgendiagramme von P-Cs,PbO, mit denen des erst kurzlich in Form von Einkristallen hergestellten Cs,SnO, [4] war einer der Grunde, die Strukturuntersuchung von P-Cs,PbO, noch einmal aufzunehmen. Wir haben dam sowohl die alten Daten als auch neue MeBdaten von neu gezuchteten Einkristallen von P-Cs,PbO, herangezogen.

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Z. anorg. allg. Chem. 612 (1992) 143-148

Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie 0 Johann Ambrosius Barth 1992

Korrektur zur Kristallstruktur von ,,Cs,PbO," und die Strukturverwandtschaft zwischen den Modifikationen von Cs,PbO,

Ulrich Miiller

Marburg, Fachbereich Chemie der Universitat

Kirsten Bernet und Rudolf Hoppe"

GieDen, Institut fur Anorganische und Analytische Chemie der Universitat

Bei der Redaktion eingegangen am 5 . September 1989, erganzt am 9. August 1991

Inhaltsiibersicht. Bei der fruher als Cs,PbO, beschriebe- Daten wie auch mit neuen Daten eines unverzwillingten nen Substanz handelt es sich tatsachlich um Cs,PbO,. Kristalls verfeinert. Die Bezeichnung P-Cs,PbO, dient Dieses kristallisiert nicht, wie angenommen, in der zur Unterscheidung von einer bereits bekannten Modifi- Raumgruppe P2,, sondern in P2,/c. Die beobachtete kation (a-Cs,PbO,). Beide Strukturen, a-Cs,PbO, und scheinbare Verletzung des Ausloschungsgesetzes fur die P-Cs,PbO,, lassen sich von der des y-Plutoniums ablei- c-Gleitspiegelebene ist auf Verzwillingung zuruckzufuh- ten, wenn bei dieser bestimmte Lucken mit Sauerstoff- ren. Die Struktur wurde sowohl mit den ursprunglichen atomen besetzt werden.

Correction of the Crystal Structure of "Cs,PbO," and the Structural Relationship between the Modifications of Cs,PbO,

Abstract. The compound that has been described as Cs,PbO, really is Cs,PbO,. It does not crystallize in the space group P2,, as assumed, but in P2,/c. The observed fictitiuos violation of the extinction law for the c glide plane is due to twinning. The structure was refined using the original data as well as new data from an untwinned crystal. The denomination P-Cs,PbO, is used to distin-

guish this structure from another known modification (a- Cs,PbO,). Both structures, a-Cs,PbO, and P-Cs,PbO,, can be derived from the sphere packing of y-plutonium when certain voids in its packing are occupied with oxy- gen atoms.

Key words: Caesium tetraoxoplumbate; crystal structure

Bei der Reaktion von Cs,O mit PbO bei 450 "C und an- schliefiendem Tempern unter Sauerstoff bei 450 "C wird das Blei oxidiert und Cs,PbO, entsteht [I]. Dagegen war eine Reduktion des Bleis angenommen worden, wenn Cs,O und PbO, im Beisein von unteroxidiertem Natri- umoxid bei der gleichen Temperatur unter Argonatmo- sphare reagieren, wobei sich eine als Cs,PbO, beschrie- bene Verbindung bildet [2]. Die Produkte beider Synthe- sewege wurden durch Kristallstrukturanalysen charakte- risiert. Wie nachstehend ausgefuhrt wird, handelte es sich auch bei der zweiten Probe urn Cs,PbO,, jedoch um eine

neue Modifikation. Zur Unterscheidung wird im folgen- den die Bezeichnung a-Cs,PbO, fur die fruher bekannte [I] Modifikation verwendet; sie ist isotyp zum Cs,ZrO, [3]. Die bislang fur Cs,PbO, gehaltene Modifikation [2] wird P-Cs,PbO, genannt. Die auffallige Ahnlichkeit der Rontgendiagramme von P-Cs,PbO, mit denen des erst kurzlich in Form von Einkristallen hergestellten Cs,SnO, [4] war einer der Grunde, die Strukturuntersuchung von P-Cs,PbO, noch einmal aufzunehmen. Wir haben dam sowohl die alten Daten als auch neue MeBdaten von neu gezuchteten Einkristallen von P-Cs,PbO, herangezogen.

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Kristallstruktur und Zusammensetzung von P-Cs,PbO,

Bei einer sorgfaltigen Durchsicht der Daten zur Kristall- struktur von ,,Cs,PbO," [2] fielen gewisse ,,Aufspaltun- gen" von Reflexen auf, die seinerzeit auf eine geringe Qualitat der Kristalle zuruckgefuhrt wurden. Die ,,Auf- spaltungen" folgen einem gesetzmafiigen Muster. Wertet man die ,,aufgespaltenen" Reflexe jeweils als einen Re- flex, so zeigt sich ein anomales Ausloschungsgesetz: aus- geloscht sind die Reflexe h01, bei denen sowohl h = 2n + 1 als auch 1 = 2n + 1 ist.

Diese Beobachtungen lassen sich durch das Vorliegen von Zwillingen nach (101) erklaren (Abb. 1). Danach fal- len die Reflexe hkh beider Zwillingsindividuen exakt zu- sarnmen, und Reflexe hkl des einen Individuums liegen nahe bei Reflexen lkh des anderen Individuums. Die Um- rechnung der Indices (und der Basisvektoren) erfolgt uber folgende Transformationsmatrix:

1 . 0 - 1 - u \

1

Je groRer der Betrag der Differenz I h - 1 I , desto mehr lie- gen die Reflexe voneinander getrennt.

Abb. 1 Links: relative Orientierung der Elementarzellen der beiden Zwillingsindividuen von b-Cs,PbO,. Rechts: Ausschnitt aus den zugehorigen, iiberlagerten reziproken Gittern. Rezipro- ke Gitterpunkte hkh beider Individuen fallen exakt zusammen, je grofier I h - 1 I , desto groaer die Trennung in der im Bild hori- zontal verlaufenden Richtung

Das erwahnte Ausloschungsgesetz ergibt sich aus der Uberlagerung der Reflexe beider Zwillingsindividuen wenn die Reflexe h01 mit 1 = 2n + 1 ausgeloscht sind. Zusammen rnit den Ausloschungen der Reflexe OkO rnit

Tabelle 1 Kristalldaten und Angaben zur ROntgenstrukturanalyse von P-Cs,PbO,

Verfeinerung mit Daten Neue Daten, des Zwillingskristalls [2] unverzwillingter Kristall

Gitterparameter

Raumgruppe Z Vierkreisdiffraktometer Strahlung (Graphit-Monochromator) Menbereich Abtastung Absorptionskorrektur Linearer Absorptionskoeffizient p Transmissionsfaktoren Anzahl der Reflexe

gemessen davon symmetrieunabhangig beriicksichtigt

Verfeinerung durch Minimieren vonb) Rechenprogramme Atomformfaktoren, f ' , f ' ' R = ZIIF,I - IFcII/'ZIFoI

a = 1 188,1(2) pm b = 734,4(1)pm c = 1176,2(2) pm b = 111,52(2)" P 2 , k 4 Philips PW 1100 AgKa 3" I 0 I 26" w-scan; d w = 2,1° Nicht ausgefuhrt 110,l cm-' ?

4 240 3 663 1019 mit F > 5a(F) und Ih-ll < 13") ZW[F, - (F& + tF$,)l'Z]Z 17, 81 t10, 111 7,6%

a = 1 188,0(6) pm b = 732,8(7)pm c = 1176,8(8)pm f l = 111,6(5)" P 2 , k 4 Siemens AED2 MoKa 3" I 0 I 30" w-scan ,,empirisch" nach cc/-scans 204,5 cm-I 0,026 bis 0,069

8 921 2 737 1669 mit F > 4a(F)

WR = Z[W( I F,I - I F,I)2/Z~F@"2 8 3 %

") Reflexe rnit I h - 1 I > 12 wurden vorsichtshalber nicht berucksichtigt, weil sich nicht mehr rekonstruieren la&, ob bei deren Mes- sung [2, 51 immer die Reflexe beider Zwillingsindividuen erfafit wurden b, F,,, F,,, = Berechnete Strukturfaktoren der Zwillingsindividuen I und 11; Volumenverhaltnis der Zwillingsindividuen = 1 : t, w = 1/02(F)

U. Miiller u. a., Zur Kristallstruktur von CssPbO, 2 45

k = 2n + 1 folgt daraus die Raumgruppe P 2 , k an Stelle von P2,, wie fruher angenommen [2]. Die bei [2] ange- gebenen Ortsparameter der Atome erfullen die Symme- trie der Raumgruppe P 2 , k wenn je zwei als unabhangig angenommene Atomlagen symmetrieaquivalent sind. Fur zwei Atome, O(2) und O(6) bei [2], fehlen allerdings die iiber die Gleitspiegelebene symmetrieaquivalenten Ato- me; da sie in P2Jc vorhanden sein mussen, ist pro For- meleinheit ein zusatzliches Sauerstoffatom erforderlich, d. h. die tatsachliche Zusammensetzung ist nicht Cs,PbO,, sondern Cs,PbO,

Mit Hilfe eines Rechenprogramms zur Verfeinerung der Strukturen verzwillingter Kristalle [7, 81 lafit sich die Struktur rnit den alten Mendaten [5] verfeinern. Der R- Wert verbessert sich von 11,35070 [2, 51 auf 7,6070 (bei al- lerdings etwas verkleinertem Datensatz, vgl. Funnote ") in Tab. 1).

Fur das relative Volumenverhaltnis der Zwillingsindividuen er- gibt sich 1 : 0,139(7). Die Richtigkeit des Strukturmodells zeigt sich auch beim Berechnen einer Differenz-Fouriersynthese rnit gegebenen Schweratomlagen: alle vier Sauerstoffatome kom- men klar zum Vorschein. Eine abschliedende Differenz-Fourier-

synthese mit Vorgabe aller Atome zeigt nur Abbruchmaxima und -minima in unmittelbarer Nahe von Schweratomen. Die Fouriersynthesen wurden mit den Strukturfaktoren des grode- ren Zwillingsindividuums gerechnet (aus den gemessenen Inten- sitaten abziiglich des Anteils des kleineren Individuums).

Auch bei neu hergestelltem b-Cs,PbO, war die Mehrzahl der Kristalle wieder verzwillingt, doch konnte nach lange- rem Suchen auch ein unverzwillingtes Exemplar isoliert und neu vermessen werden. Die Verfeinerung der Struk- tur rnit dem neuen Datensatz bestatigt den geschilderten Sachverhalt. Bei der Verfeinerung als Zwilling mit dem neuen Datensatz ergab sich kein besserer R-Wert und ein Volumenverhaltnis der Zwillingsinduviduen von 1 : 0,04, d. h. der neu vermessene Kristall war tatsachlich nicht (oder nur rnit einem sehr kleinen Zwillingspartner) ver- zwillingt . Die Kristalldaten und Angaben zur Messung und Auswertung sind in Tab. 1 aufgefuhrt, die erhaltenen Atomparameter sind in Tab. 2 zusammengestellt.

Das erhaltene Strukturmodell belegt die Zusammenset- zung von b-Cs,PbO,. Einige interatomare Abstande und Winkel sind in Tab. 3 aufgefiihrt (Daten nach der Verfei- nerung fur den unverzwillingten Kristall). Die Pb0:--

Tabelle 2 Atomparameter fur /l-CsaPbO, (P2Jc) nach der Verfeinerung am unverzwillingten Kristall. Die Numerierung der Atome entspricht der bei [2], wobei folgende, bei [2] als unabhangig angesehene Atomlagen jeweils symmetrieaquivalent sind: Cs(l) und Cs(2); Cs(3) und Cs(4); Cs(5) und Cs(6); Cs(7) und Cs(8); Pb und Pb(2); O(1) und O(4); O(3) und O(5). Temperaturfaktor: exp[ - 2n2(Ul,h2a*2 + . - * + UI2hka*b*)] bzw. (0-Atome) exp( - 8nzU,,sin28/L2). U-Werte in A2 (10-I-fache Werte in pm')

Atom x Y 2 u11 U22 U33 U*3 u13 ui, CS( 1) 0,1570(2) 0,6143(4) 0,0793(2) 0,027( 1) 0,024( 1) 0,032( 1) - 0,002( 1) 0,007( 1) 0,@33(1) Cs(3) 0,4235(2) 0,3220(4) 0,2914(2) 0,035(1) 0,044(2) 0,029(1) 0,002( 1) 0,016( 1) 0,001(1)

Cs(7) 0,6297(2) 0,3314(4) 0,1067(2) 0,031(1) 0,031(2) 0,030(1) 0,002(1) 0,00S(I) 0,003(1) Cs(5) 0,0637(2) 0,0862(4) 0,2052(2) 0,033(1) 0,043(2) 0,030(1) - 0,001(1) 0,014(1) -0,002( 1)

Pb 0,2409(1) 0,3764(2) 0,491 l(1) 0,0217(6) 0,0221(6) 0,0193(6) 0,0000(6) 0,0091(4) -0,0016(6) 0(1) 0,366(2) 0,165(4) 0,510(2) 0,049(7) O(2) 0,072(2) 0,266(4) 0,472(2) 0,040(7) O(3) 0,313(2) 0,538(4) 0,647(2) 0,038(7) O(6) 0,210(2) 0,521(4) 0,333(3) 0,046(7)

Tabelle 3 Metall-Sauerstoff-Abstande bis 370 pm und die 0-Pb-0-Bindungswinkel in P-Cs4Pb04. Die Symbole 1, 2, bzw. c deuten symmetrieaquivalente Lagen fur die Casiumionen an. Standardabweichungen: Abstande 3 pm, Winkel 2"

Abstande/pm

Cs(1; c)-O(1) 354 CS( 1; ~)-0(3) 308 Pb-O(1) 210 Cs(3)-0( 1 ) 313 Cs(3; ~)-0(3) 31 1 Pb-0(2) 210 Cs(3; c)-O( 1) 311 Cs(3; ?)-0(3) 315 Pb-0(3) 208 Cs(7; c)-O(1) 292 Cs(5; ~)-0(3) 341 Pb-0(6) 205 Cs(7; 21)-0(1) 281 Cs(7; 1)-0(3) 289 Cs( 1; c)-O(2) 307 Cs(1)-0(6) 290 Cs(1; 2,)-0(2) 279 C~(3)-0(6) 312 Cs(5)-0(2) 337 C~(5)-0(6) 367 Cs(5; c)-O(2) 299 Cs(5; 2,)-0(6) 315 Cs(5; 2,)-O(2) 316 Cs(7; 2,)-0(6) 289

Winkel/Grad

O( 1)-Pb-0(2) 1 10 0(1)-Pb-0(3) 106 O( I)-Pb-0(6) 1 1 I 0(2)-Pb-0(3) 113 0(2)-Pb-0(6) 105 0(3)-Pb-0(6) I12

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Ionen haben erwartungsgernafl einen tetraedrischen Auf- bau. PCs,PbO, ist isotyp zu Cs,SnO, [4] und Rb,NaPbO, [6] .

Die Strukturverwandtschaft zwischen a- und P-Cs,PbO,

a- und /3-Cs4PbO, haben verschiedene Raumgruppen, gehoren aber dern gleichen Raumgruppentyp an (die Un- terscheidung von Raumgruppe und Raumgruppentyp ist hier von Bedeutung [12]). Zur Verrneidung von Verwechs- lungen wird im folgenden fur a-Cs,PbO, eine andere Achsenaufstellung als bei [I] verwendet, namlich P112,/a an Stelle von P12Jcl (cyclisches Vertauschen der Basisvektoren).

Der Aufbau beider Strukturen laiRt sich von der Kugelpackung des y-Plutoniums [I 31 herleiten. In der Terminologie nach Hell- ner ist das der Gitterkornplex (d)hC [14]. pPlutonium ist aus hexagonalen Schichten aufgebaut, deren Stapelung sich von der einer dichtesten Kugelpackung unterscheidet, indem die Kugeln einer Schicht nicht uber den Dreieckslucken, sondern iiber den Verbindungslinien zwischen je zwei Kugeln der vorhergehenden Schicht angeordnet sind; es sind vier Schichtlagen vorhanden (Abb. 2). Dieses Packungsprinzip ist auch bei TiSiz bekannt [15]. Zwei Sorten von Lucken zwischen den Kugeln sind zu nen- nen: Rautenliicken und Disphenoidlucken (Abb. 2). Wenn die Kugeln Einheitsdurchmesser haben, dann betragen die Abstan- de von einer Rautenliicke zu den Mittelpunkten der umgeben- den Kugeln 2~0 ,612 und 2~0,696; zwei etwas fernere Kugeln haben einen Abstand von 0,791. Die entsprechenden Abstande fur die Disphenoidlucke (tetragonales Disphenoid) sind 4~0,661; es folgen vier ubernachste Kugeln irn Abstand 0,968. Besetzt man urn eine Kugel zwei Rauten- und zwei Disphenoid- lucken, so wie in Abb. 3 links oben gezeigt, so resultiert ein ver- zerrtes Tetraeder als Koordinationspolyeder (Winkel am Zen- tralteilchen: 1 x90°, 1 x99,8", 4x1 17,6').

Abb. 2 Ausschnitt aus der Kugelpackung des y-Plutoni- um-Typs. Links unten: Elernentarzelle (Raurngruppe Fddd). Zahlen in Kreisen: Koordinaten (Hohe) in Blickrichtung in Ach- teln der zugehorigen Gittertranslation. Das Netzwerk der hexa- gonalen Schicht von Atomen in Hohe 1/8 ist eingezeichnet. Quadrate rechts: je eine Rauten- und eine Disphenoidlucke in Hohe 4/8 bzw. 2/8 mit Angabe der Abstande zu den nachsten Kugelmittelpunkten

Ausgehend vom Strukturtyp des y-Plutoniums, kommt man wie folgt zu den Cs,PbO,-Strukturen. Zunachst wird ein Gittervektor verfunffacht (c, in Abb. 3); da- durch kann ein Funftel der Atomlagen von Blei-, der Rest

von Casiumatomen eingenornmen werden. Der Raurn- gruppentyp Fddd der y-Pu-Struktur kann bei diesem Schritt beibehalten werden, da es von Fddd die isomor- phe Untergruppe vom Index 5 gibt. Die Besetzung von je vier Lucken urn jedes Bleiatorn rnit Sauerstoffatornen in der in Abb. 3 gezeigten Art hat zwei Konsequenzen: 1. Zweizahlige Symrnetrieachsen konnen nur noch in ei- ner Richtung beibehalten werden; 2. Die hexagonalen Schichten der Metallatome werden verzerrt, urn den Platzbedarf der 0-Atome gerecht zu werden und urn moglichst regulare Koordinationstetraeder urn die Bleia- tome zu erreichen; aus den geradlinigen Strangen von Metallatomen in Richtung c, werden Wellenlinien (Abb. 3, a,, b, und c, symbolisieren die Basisvektoren

P 11 24a0 a-C sLP bOL

Abb. 3 Oben: ideale Packung von Cs- und Pb-Atornen rnit Packung wie im y-Pu mit verfunffachter Gitterkonstante co (Aristotyp). Die Besetzung von vier Liicken um ein Pb-Atom ist angezeigt (wenn die Lucken besetzt sind, trifft die Raurngruppe Fddd nicht rnehr zu). Zahlen in Kreisen: Koordinaten xo (in Blickrichtung) ma1 100. Das Netzwerk der hexagonalen Atom- schicht in % = 12,5/100 ist eingezeichnet. Von den Syrnmetrie- elernenten sind nur die 2,-Achsen bezeichnet. Mitte und unten: Packung im a- bzw. pCs4Pb0,, jeweils einge- zeichnet in eine zentrierte Elernentarzelle, die derj enigen des Aristotyps entspricht

U. Miiller u. a,, Zur Kristallstruktur von Cs4Pb04 147

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Tabelle 4 Vergleich der Gitterparameter fur a- und P-Cs,PbO,. Jeweils linke Spalte: Parameter entsprechend der angegebenen Zel- lenaufstellung. Jeweils rechte Spalte: Achsenrichtungen a,, bo, co wie im Aristotyp. Zu den Zellentransformationen siehe auch Abb. 4

a, b, 5c

a-CS4PbO4 /3-Cs,PbO, Aristotyp P112Ja (a, = 2a + b) P12,/cl (a, = a + c; co = a-c) Fddd

a = 717,8 a. = 1335,5 a = 1188,l = 1330,3 = 1333pm b = 722,5 bo = 722,5 b = 734,4 bo = 734,4 bo = 727pm c = 2004,l CO = 2004,l c = 1176,2 co = 19543 co = 1975pm a = 90,O a. = 90,O a = 90,o 010 = 90,O a, = 90"

= 90,O P o = 90,O /3 = 111,52 /3o = 89,38 /3o = 90" y = 112,67 yo = 82,72 y = 90,o 70 = 90,O yo = 90" V = 9,59 Vo = 19,18 v = 935 V, = 19,08 V, = 19,14nrn3

der Fddd-Zelle). Wegen der vier Lagen von hexagonalen Schichten gibt es mehrere Varianten zur Stapelung der de- formierten Schichten. Bei a-Cs,PbO, sind die Wellen- linien in x, = 1/8 und 5 / 8 einerseits sowie die in 3/8 und 7/8 andererseits jeweils in Phase; diese zwei Sorten von Wellen sind zueinander in Antiphase. Dabei bleiben die 2,-Achsen in Richtung c, erhalten. Bei P-Cs,PbO, bleiben die 2,-Achsen in Richtung b, erhalten; die Wellen in x, = 1/8 und 5 / 8 sind zueinander in Antiphase, eben- so wie die in 3/8 und 7/8; die Phasen des ersten Paars un- terscheiden sich um n/2 von denen des zweiten Paars (Abb. 3).

Die 0-Atome befinden sich nicht in den Mitten der Lucken, sondern sind auf die Pb-Atome zugeruckt. Au- nerdem ergibt die Verzerrung der Lucken eine Annahe- rung von jeweils zwei der Casiumionen, die in der unver- zerrten Kugelpackung etwas weiter von der Luckenmitte entfernt sind; jedes 0-Atom ist so von einem Pb-Atom und von funf Cs+-Ionen umgeben (vgl. Tab. 3). Beim P-

Cs,PbO, haben Cs(i) und Cs(3) jeweils fiinf nachste 0- Atome (mittlere Cs-0-Abstande 308 bzw. 312 pm); Cs(5) hat ein Nachbaratom mehr und dementsprechend etwas groaere Cs-0-Abstande (im Mittel 329 pm), wah- rend Cs(7) mit nur vier nachsten 0-Atomen kurzere Ab- stande zu diesen hat (im Mittel 288pm). Die Lage des Cs(7) ist diejenige, die in Rb,NaPbO, [6] vom Natrium- ion eingenommen wird.

Die Strukturverwandtschaft 1aRt sich in der von Burnighamen entwickelten Art [ 161 rnit einem Stammbaum von Gruppe-Un- tergruppe-Beziehungen verdeutlichen (Abb. 4). Der Aristotyp fur die beiden Modifikationen des Cs,PbO, ist eine hypotheti- sche Cs,Pb-Packung in der Raurngruppe Fddd. Beirn Symme- trieabbau unter Erhalt von Symmetrieachsen in Richtung co bzw. bo kommt man zunachst zu translationengleichen Unter- gruppen vom Index 2 (in Abb. 4 mit t2 markiert). Wie bekannt [ 161, sind damit beide Cs,PbO,-Modifikationen dazu pradesti- niert, Zwillinge zu bilden. Da die Verzerrung des Gitters beim Ubergang zur monoklinen Symmetrie im Falle des j3-Cs4Pb04 geringer ist (vgl. Winkel yo bzw. Po in Tab. 4), ist bei diesern die Tendenz zur Zwillingsbildung starker ausgepragt.

F 2 / d 2 / d 2 / d I T 1

1

Abb. 4 Stammbaum von Gruppe-Untergruppe-Beziehungen zwischen dem y-Pu-Qp, a-Cs,PbO, und /3-Cs4Pb04

Experimentelles

CSO,,,~? und Na00,44 wurden durch gezielte Oxidation [I71 von Cs- bzw. Na-Metal1 erhalten; die Metalle wurden aus CsCl (Merck, p. a.) dargestellt [18] und durch Seigern gereinigt. Sie wurden zusamrnen mit PbO, (Merck, p. a.) im Stoffrnengenver- haltnis Cs : Na : Pb = 4,O : 1 ,O : 1 ,O innig verrieben und im Ag- Tiegel 20 Tage lang getempert indem mit 50 "C/d bis 540 "C aufgeheizt und dann ebenso langsam abgekiihlt wurde. Die ent- standenen kleinen gelben Kristalle sind extrem feuchtigkeits- empfindlich.

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Korrespondenzanschrift :

Prof. emer. Dr. Dr. h.c. mult. R. Hoppe Institut fur Anorganische und Analytische Chemie der Universitat Heinrich-Buff-Ring 58 W-6300 GieSen, Bundesrepublik Deutschland