Krämer Derbetriebliche Entnazifizierungs- ausschuß der ... · Hans-Joachim Maaz,Der...

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Der betriebliche Entnazifizierungs- ausschuß der Firma Menck & Hambrock in Hamburg- Ottensen Gerd Krämer Seit der Wende in der DDR und vor allem seit der staatlichen Wiedervereinigung gibt es in Deutschland zum zweiten Mal in der Nachkriegszeit das Problem, wie mit denjenigen Menschen umgegangen werden soll, die sich schuldhaft mit einem unde- mokratischen System eingelassen haben. Die historisch einma- lige Menschenverachtung und brutale Gewalt des nationalso- zialistischen Staates ist mit dem KZ-System, der Zwangsarbeit, dem Holocaust und einem expansionistischen Krieg verbun- den. Die Gewalt des „real existierenden Sozialismus" in der DDR richtete sich ausschließlich nach innen. Dieses repressive Herrschaftssystem war geprägt von Rechtsunsicherheit, den Inhaftierungen und Ausbürgerungen von Kritikern, Repressa- lien und Indoktrination. 1 Die politisch moralische Frage, wie zwischen den „Guten" und den „Bösen" bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu unterscheiden sei, bedarf der Entschei- dungskriterien, da zum Beispiel eine Grenze zwischen Opfern und Tätern bei den „informellen Mitarbeitern" der Staatssi- cherheit anhand von Akten teilweise nur schwer zu ziehen ist. 2 Soll nur der „Tatort Politbüro" oder die jeweilige Verstrickung des einzelnen ein Kriterium sein? Wie soll zwischen Mitläufern und Verantwortlichen unterschieden werden? Wer soll urteilen? Werden die alten Kräfte als Fachleute für die Umstrukturie- rung der ostdeutschen Gesellschaft benötigt? Eine Parallele im Umgang mit solchen Fragen zur Geschich- te der letztendlich gescheiterten Entnazifizierung nach 1945 drängt sich auf, nicht zuletzt, weil im öffentlichen Dienst in den neuen Bundesländern eine Personalfragebogenaktion un- ter den zur Übernahme anstehenden Beamten und Angestell- ten durchgeführt wird. 3 Dieses bürokratisches Mittel wurde schon von den Alliierten angewandt, um die deutsche Bevölke- rung in Täter und Mitläufer des NS-Regimes einzuteilen. Wer damals als Mitläufer unbeschadet durch das Verfahren kam, konnte beruhigt sein und brauchte sich künftig nicht mehr mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Einen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung leistete der Fragebogen nicht, son- dern er gab der nachkriegszeitlichen „Verschweigensgemein- schaft" und einer bequemen Verdrängung des Nationalsozia- lismus Vorschub. Warum wird heute wieder zum Fragebogen gegriffen, wenn bekannt ist, daß er kein geeignetes Instrument zur Aufarbeitung von Geschichte bzw. eigener Schuld sein kann? Diese aktuellen Fragen bewogen mich, ein schon abgeschlos- senes Projekt zur Geschichte der Nachkriegszeit wiederaufzu- nehmen, um daran noch einmal exemplarisch zu untersuchen, wie zeitgenössische Aufarbeitung von Schuldfragen funktio- niert. 4 1984 hatte ich kurz vor dem Abriß in den Räumen der Ottenser Maschinenfabrik Menck & Harnbrock in einem Ar- chivordner Material zur Firmengeschichte in den Jahren 1942 bis 1948 gefunden. In diesem Zufallsfund war auch ein erster Hinweis auf die Existenz des betrieblichen Entnazifizierungs- ausschusses bei Menck enthalten. Eine weitere Spur fand ich Ende 1986, als mir Walter Stolte, ehemaliges Betriebsratsmit- glied in der Firma, bei der Nachfrage um ein lebensgeschicht- 1 Vgl. Hans-Joachim Maaz, Der Ge- fühlsstau. Ein Psychogramm der DDR, Berlin 1990. 2 Vgl. Joachim Gauck, Das unheimli- che Erbe der DDR. Die Stasi-Akten, Reinbek 1991, S. 27ff. Zu den Aufga- benfeldern der Staatssicherheit in der ehemaligen DDR siehe: Bürgerkomi- tee Leipzig (Hrsg.), STASI intern Macht und Banalität, Leipzig 1991 und Justus Werdin (Hrsg.), Unter uns: Die STASI. Berichte der Bürgerkomi- tees zur Auflösung der Staatssicher- heit im Bezirk Frankfurt (Oder), Ber- lin 1990. 3 Siehe: Schlechte Zeiten für Vergan- genheit, in: Erziehung & Wissenschaft 5/91, S. 22f. In Berlin sind ca. 8.000 Fragebögen mit Auffälligkeiten einge- gangen, die von einer Kommission um den Bürgerrechtler Werner Fischer überprüft werden, um ehemalige STA- Sl-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst herauszufiltern. Entlassen wurden bisher neben einigen „gewendeten" Referatsleitern in der Verwaltung hauptsächlich Schreibkräfte, Köchin- nen, Boten etc. Siehe: Süddeutsche Zeitung vom 2./3. Oktober 1991. 4 Gerd Krämer: Der Fragebogen des Herrn V. Entnazifizierung in einem Ottenser Betrieb, in: Geschichtswerk- statt 13 (1987), S. 21-27. Vgl. auch: Inge Döll-Krämer, Gerd Krämer, An- dreas Rieckhof: Zwischen Hunger und Hoffnung. Nachkriegsalltag und Politik in Altona, in: Stadtteilarchiv Ottensen (Hrsg.) „Ohne uns hätten sie das gar nicht machen können." Nazi- Zeit und Nachkrieg in Altona und Ottensen, Hamburg1985 S. 172-201. Schleswig-Holstein heute 153

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Der betrieblicheEntnazifizierungs-ausschuß der FirmaMenck & Hambrockin Hamburg-Ottensen

Gerd KrämerSeit der Wende in der DDR und vor allem seit der staatlichenWiedervereinigung gibt es inDeutschland zum zweiten Mal inder Nachkriegszeit dasProblem, wiemit denjenigen Menschenumgegangen werden soll, die sich schuldhaft mit einemunde-mokratischen System eingelassen haben.Diehistorisch einma-lige Menschenverachtung und brutale Gewalt des nationalso-zialistischen Staates ist mit dem KZ-System, der Zwangsarbeit,dem Holocaust und einem expansionistischen Krieg verbun-den. Die Gewalt des „real existierenden Sozialismus" in derDDR richtete sich ausschließlich nach innen. Dieses repressiveHerrschaftssystem war geprägt von Rechtsunsicherheit, denInhaftierungen und Ausbürgerungen von Kritikern, Repressa-lien und Indoktrination.1 Die politisch moralische Frage, wiezwischen den „Guten" und den „Bösen"bei der Aufarbeitungder DDR-Geschichtezuunterscheidensei, bedarf der Entschei-dungskriterien, da zum Beispiel eine Grenze zwischen Opfernund Tätern bei den „informellenMitarbeitern" der Staatssi-cherheit anhand von Akten teilweise nur schwer zu ziehen ist.2Soll nur der „Tatort Politbüro" oder die jeweilige Verstrickungdes einzelnen einKriterium sein? Wie soll zwischen Mitläufernund Verantwortlichen unterschieden werden? Wer soll urteilen?Werden die alten Kräfte als Fachleute für die Umstrukturie-rungder ostdeutschenGesellschaft benötigt?

Eine Parallele im Umgang mit solchen Fragen zur Geschich-te der letztendlich gescheiterten Entnazifizierung nach 1945drängt sich auf, nicht zuletzt, weil im öffentlichen Dienst inden neuen Bundesländern eine Personalfragebogenaktion un-ter den zur Übernahme anstehenden Beamten und Angestell-ten durchgeführt wird.3 Dieses bürokratisches Mittel wurdeschon vonden Alliierten angewandt,um die deutsche Bevölke-rung in Täter und Mitläufer des NS-Regimes einzuteilen. Werdamals als Mitläufer unbeschadet durch das Verfahren kam,konnteberuhigt sein und brauchte sich künftig nicht mehr mitseiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Einen Beitrag zurVergangenheitsbewältigung leistete der Fragebogen nicht, son-dern er gab der nachkriegszeitlichen „Verschweigensgemein-schaft" und einer bequemen Verdrängung des Nationalsozia-lismus Vorschub. Warum wird heute wieder zum Fragebogengegriffen, wenn bekannt ist, daß er kein geeignetes Instrumentzur Aufarbeitung von Geschichte bzw. eigener Schuld seinkann?

Diese aktuellen Fragenbewogenmich, ein schon abgeschlos-senes Projekt zur Geschichte der Nachkriegszeit wiederaufzu-nehmen, um daran noch einmal exemplarisch zu untersuchen,wie zeitgenössische Aufarbeitung von Schuldfragen funktio-niert.4 1984 hatte ich kurz vor dem Abriß in den Räumen derOttenser Maschinenfabrik Menck & Harnbrock in einem Ar-chivordner Material zur Firmengeschichte in den Jahren 1942bis 1948 gefunden. In diesem Zufallsfund war auch ein ersterHinweis auf die Existenz des betrieblichen Entnazifizierungs-ausschusses bei Menck enthalten. Eine weitere Spur fand ichEnde 1986, als mir Walter Stolte, ehemaliges Betriebsratsmit-glied in der Firma, bei der Nachfrage um ein lebensgeschicht-

1 Vgl. Hans-Joachim Maaz, Der Ge-fühlsstau. Ein Psychogramm derDDR,Berlin 1990.2 Vgl. Joachim Gauck, Das unheimli-che Erbe der DDR. Die Stasi-Akten,Reinbek 1991, S. 27ff. Zu den Aufga-benfeldern der Staatssicherheit in derehemaligen DDR siehe: Bürgerkomi-tee Leipzig (Hrsg.), STASI intern —Macht und Banalität, Leipzig 1991und Justus Werdin (Hrsg.), Unter uns:Die STASI. Berichte der Bürgerkomi-tees zur Auflösung der Staatssicher-heit im Bezirk Frankfurt (Oder), Ber-lin 1990.3 Siehe: Schlechte Zeiten für Vergan-genheit, in: Erziehung & Wissenschaft5/91, S. 22f. In Berlin sind ca. 8.000Fragebögen mit Auffälligkeiten einge-gangen, die voneiner Kommission umden Bürgerrechtler Werner Fischerüberprüft werden, um ehemalige STA-Sl-Mitarbeiter im öffentlichen Dienstherauszufiltern. Entlassen wurdenbisher neben einigen „gewendeten"Referatsleitern in der Verwaltunghauptsächlich Schreibkräfte, Köchin-nen, Boten etc. Siehe: SüddeutscheZeitungvom2./3. Oktober1991.4 Gerd Krämer: Der Fragebogen desHerrn V. Entnazifizierung in einemOttenser Betrieb, in: Geschichtswerk-statt 13 (1987), S. 21-27. Vgl. auch:Inge Döll-Krämer,Gerd Krämer, An-dreas Rieckhof: Zwischen Hungerund Hoffnung. Nachkriegsalltag undPolitik in Altona, in: StadtteilarchivOttensen (Hrsg.) „Ohne unshätten siedas gar nicht machen können." Nazi-Zeit und Nachkrieg in Altona undOttensen, Hamburg1985 S. 172-201.

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liches Interview mitteilte, daß sich in seinem Besitz noch wei-tereUnterlagendieses Ausschussesbefänden.5

Entlangdes vorgefundenen Materials will ich versuchen,dasEntnazifizierungsverfahren gegen den WehrwirtschaftsführerAdolfVogler, der von 1935 bis 1946 Geschäftsführer bei Menck&Harnbrock war,zu rekonstruierenund dieEntscheidungsmo-tive des Entnazifizierungsausschusses zu untersuchen. Insbe-sondere wird dabei der Frage nachgegangen, welche Rolle dietraditionelle „Betriebsloyalität" der Arbeiterschaft bei Menckspielte. Um die Bedeutung des Betriebsklimas in solchen Ver-fahren zu verdeutlichen,werdendie inHamburg weithinbeach-teten Vorgänge um die Entnazifizierung des Miteigentümerseines nationalsozialistischen Musterbetriebes in Ottensen her-angezogen.Bei fast vergleichbarer „Schuldfrage" des Inhaberswurde von der Belegschaft dieses Betriebes im Rahmen derEntnazifizierung völlig anderes gehandelt alsbei Menck.Beidefür diesen Aufsatz zentralen Beispiele sind zugleich Belege für

5 Das Interview wurde am 17. und30. 4. 1987 zusammen mit Hans-KaiMöller geführt. Unser inzwischen ver-storbene Gesprächspartner WalterStolte (1905-1988) lernte nach demBesuch der Volksschule den Beruf desMaschinenbauers. 1921 trat er in denDeutschen Metallarbeiterverband ein,wurde Mitglied der SPD undengagier-te sich bei den Altonaer Naturfreun-den. Nach einer längeren Zeit derErwerbslosigkeit, begann er 1935 beiMenck & Harnbrock als Maschinen-bauer zu arbeiten. 1939 wurde er Ter-minverfolger (ab 1944 im Angestellten-status). Von 1945 bis zu seiner Pensio-nierung 1971 war er Mitglied des Be-triebsrates undder SPD-Betriebsgrup-pe. Alle in diesem Aufsatz zitiertenInterviewsunddie Akten des Entnazi-fizierungsausschusses sind im Archivder Geschichtswerkstatt Stadtteilar-chivOttensen e.V. zugänglich.

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die Schwierigkeit und das letztendliche Scheiternder Entnazifi-zierung.

Da das formale Verfahrender Entnazifizierung in Hamburgvon dem in der übrigen britischen Zone abwich, ist es notwen-dig, ausführlicher auf deren besondere Rahmenbedingungeneinzugehen, denneineDarstellung der Geschichteder Entnazi-fizierung in Hamburg liegt im Gegensatz zu einigen anderenBundesländern bisher nochnicht vor.6

Vom Kriegsziel zurbürokratischenMaschinerie

Zu den wichtigstenKriegszielen der Alliierten gehörtedie For-derung, daß die nationalsozialistische Ideologie im deutschenVolk beseitigt werden sollte. Die Entnazifizierung wurde alseine notwendige Voraussetzung angesehen, um die demokrati-sche Neuordnung des öffentlichenLebens und der Wirtschaftdurchzusetzen. Diesem Verfahren sollten deshalb nicht nurBeamte, Militärs und NSDAP-Mitglieder, sondern auch Indu-strielle unterzogen werden, damit ehemalige Nazis aus ihren

6 Zu diesem Thema vgl.: WernerSkrentny, Was aus Hamburgs Naziswurde, in: Maike Bruhns u.a. (Hrsg.),„Hier war doch alles gar nicht soschlimm" Wie die Nazis in Hamburgden Alltag eroberten, Hamburg 1984,S. 138-145; ders., Es ist Zeit für dieganze Wahrheit" Aufarbeitung derNS-Zeit in Hamburg: Die nicht veröf-fentlichte Senatsbroschüre (Hrsg.:GAL-Fraktion in der Hamburger Bür-gerschaft), Hamburg 1985. Die Staat-liche Pressestelle der Hansestadt gabdiese 1984 in ihrem Auftrag geschrie-bene Broschüre nicht heraus, weil sieu.a.„zukonfliktträchtig" sei.

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Strafen und Sanktionen, die von denenglischen Militärbehörden oder dendeutschen Ausschüssen im Entnazifi-zierungsverfahren ausgesprochen wer-den konnten, (nach: Hamburger All-gemeine Zeltung vom 11. Februar1947).

Ämtern in der Verwaltung und den Positionen in der Wirt-schaft entfernt werden konnten. Obwohl es mit denKontroll-ratsdirektiven eine einheitliche Richtlinie gab, wurde die Ent-nazifizierung in den einzelnen Besatzungszonen mit unter-schiedlicher Intensität betrieben. Die Briten sahen in ihrerZone nicht die Umerziehung der Deutschen, sondern die Ver-sorgung der Bevölkerung als ein Hauptproblem der Nach-kriegszeit an. Verhinderung eines „Chaos" und die Senkungder Beatzungskosten waren die Prämissen ihrer Politik. Im er-sten Jahr der Besatzung orientierten sich die Briten noch anden relativ weitgehenden Entnazifizierungsvorstellungen derAmerikaner,ohne jedoch den Umfang der Säuberung in derenZone zuerreichen. Alle Mitglieder der NSDAP, die sich mehrals rein nominell in der Partei betätigt hatten, sollten von öf-fentlichen und halböffentlichen Ämtern sowie aus verantwort-lichen Stellungen wichtiger Privatunternehmen entfernt wer-den. Sie sollten durch Personen ersetzt werden, die aufgrundihrer politischen undsittlichenEinstellung geeignet erschienen,die Entwicklung echter demokratischer Einrichtungen inDeutschland zu fördern.7 Die Amerikaner hatten im Septem-ber 1945 mit dem Gesetz Nr. 8 ein Verbot der Beschäftigungvon ehemaligen Nationalsozialisten in Betrieben ihres Besat-zungsgebietesverkündet. Nur als einfache Arbeiter sollten die-jenigen arbeiten, die „durch ihre aktive Tätigkeit für dieNSDAP unmittelbar an der Schuld der Partei einen vergleich-bar größeren Anteil tragen als der Durchschnitt ihrer Mitbür-ger"" Die Anwendung des Gesetzes und die mit ihm verbunde-ne Entlassungspraxis führte bald zu Behinderungenbeim Auf-baudes deutschen Verwaltungsapparates „undparalysierte dasManagement der stagnierenden Wirtschaft"9Mit der DirektiveNr. 24, die der Alliierte Kontrollrat am 12.1.1946 erließ, sollte

7 Justus Fürstenau, Entnazifizierung.Ein Kapitel deutscher Nachkriegsge-schichte,Darmstadt 1969, S. 43.8 Rundschreiben Nr.ls/1945 vom1. November 1945. Zur Entstehungund Geschichte des Gesetzes Nr. 8vgl.: LutzNiethammer, DieMitläufer-fabrik. Die Entnazifizierung am Bei-spiel Bayerns, Berlin/Bonn 1982,S. 240ff.9 Niethammer,Mitläuferfabrik,S. 248.

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ein einheitlicher Rahmen für die Entnazifizierung in den vierBesatzungszonen geschaffen werden. Es war geplant, die an-stehenden Verfahren am 31. Dezember 1947 zu beenden. ImOktober 1946 wurde mit der AnweisungNr. 38 die Einstufungder Nazis in Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mit-läufer undEntlastete von den Alliierten eingeführt und mit ei-ner Zonenexekutivanweisung von der britischen Militärregie-rung übernommen.

Von den Engländern wurde in ihrer Besatzungszone nichtder letztendlich gescheiterte Versuch der Amerikaner wieder-holt, die gesamte Bevölkerung zu registrieren. In Hamburgführte die Militärregierung nur eine Meldepflicht für ehemali-ge Nationalsozialisten ein.10 Die Entnazifizierung erstrecktesich fast ausschließlich auf Beamte undPersonen, diebesonde-re Positionenin der Wirtschaft innehattenoder sich aufsolchebewarben. Ein Nationalsozialist,der sich nach 1945 nicht umeine dieser Positionen bewarb, konnte ungehindert durch dieMaschen des Verfahrens schlüpfen." Der Kommandant derenglischen Militärregierung in Hamburg, Colonel Armytage,betonte imFebruar 1946,daß Direktoren, Ingenieureund Tech-niker, welche Nationalozialisten gewesen seien, selbst dannnicht auf ihren Posten bleiben dürften, wenn ein wichtiges be-triebliches Bedürfnis vorliege.12 Bis zum Januar 1946 warenvon den englischen Besatzungsbehördenin Hamburg 8.893Personen wegen ihrer Verbindung zur NSDAP aus Amt undBerufentfernt worden. Von 27.713Bewerbern für einewichtigeStellung wurde bis zu diesem Termin die Einstellung von 546Personen abgelehnt.13 DieProbleme der Verwaltungund Wirt-schaft mit ihren Sachzwängenveranlaßten diebritischen Besat-zungsbehördenaber häufig zu eher pragmatischen Entschei-dungen, wenn Fachleute aus diesem Bereich entnazifiziert wer-densollten. Die Erfahrung, daß diebritischenMilitärbehördenteilweise äußerst willkürlich vorgingen, machten die Deut-schen, die, wie der ehemalige Altonaer Arbeitersportler ArieBijl, aus antifaschistischer Überzeugung in den Entnazifizie-rungsausschüssen mitarbeiteten.„Unschuldige Lammer waren siefast alle. Es gab wenige, diezugeben wollten, daß sie irgendmal was anderes gemacht undwas anderes gedacht haben. Und die nun da rauszufischen, daswar schwer ... Wir waren nur Handlanger. Wir mußten die Sa-chen mit Anmerkungen weitergeben. Und wie ich einen kras-sen Fallmal vorgetragenhabe, da wollte er [der englischeOffi-zier, G.K.] nichtsdavonhören."'4

Aufgrund der alliierten Vorbehalteentwickelten sich auch inHamburg die Ausschüsse zu „Spezialisten für Zweitrangiges"(Lutz Niethammer), weil sie nur für Minderbelastete,Mitläuferund für das Entlasten zuständig waren. Damit die Ausschüssesich „endlich den führenden Nazis zuzuwenden, die wegenUnmenschlichkeiten jeder Art, Verführung des Volkes, Berei-cherung usw. schnellsten ihrer Strafe zugeführt werden" könn-ten, wurde inden „NordwestdeutschenHeften" vorgeschlagen,die einfachen Parteimitglieder der NSDAP zu begnadigen.15

Die rechtlichen Bestimmungen für dasEntnazifierungsverfah-

111 Hamburger Verordnungsblatt vom4.10.1945. Die Frist sollte Ende Okto-ber 1945 ablaufen. Bei Nichtbefol-gung wurde eine Gefängnisstrafe an-gedroht.11 Clemens Vollenhals (Hrsg.), Entna-zifizierung. Politische Säuberung undRehabilitierung in den vier Besat-zungszonen 1945-1949, München1991, S. 28. Ähnlich bei J. Fürstenau,S. 121.12 Hamburger Nachrichten-Blatt(HNB), Nr. 140."

HNB vom 17.1.1946.14 Interview von Gerd Krämer mitArieBijlvom20.5.1985.15 Zit. nach: Charles Schüddekopf(Hrsg.), Vor den Toren der Wirklich-keit. Deutschland 1946-47 im Spiegelder Nordwestdeutschen Hefte, Berlin/Bonn1980, S.155.

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Ren waren wegender häufig wechselndenVerfahrensordnungender deutschen Bevölkerung zwischen 1945 und 1947 kaumtransparent.Erik Blumenfeld (CDU), ein Verfolgter des Nazi-regimes und Mitglied des „Zentralausschusseszur Denazifizie-rung" in Hamburg, kritisierte deshalb das unüberschaubareund vor allem bürokratische Verfahren als „Säuberungskrise"und forderte dazu auf, daß die Säuberung auf rechtlicherGrundlage, mit Gerechtigkeit, Objektivität und einem hohenMaß politischer Vernunft erfolgen müsse. 16 Die HamburgerBürgerschaftsfraktion der SPD stellte im April 1947 fest, daßdie Mängel der Denazifizierung zu einem entscheidenden Teilvon der Besatzungsmacht zu verantworten seien, denn die un-klareLinie der Denazifizierung gehe vor allem auf ihre Rech-nung.17

In Hamburg legten die britischen Behördenerstmals in ei-nem Teilder Zone die Entnazifizierung fast vollständig indeut-scheHände.18 DieHamburger Praxis der Entnazifizierung zwi-schen1945 und 1947,die vom Verfahrensweginder übrigen bri-tischenZone abwich, sah folgendermaßen aus:

Bis Herbst 1945 führten die Engländer die Entnazifizierungin der Hansestadt ohne deutsche Beteiligung durch. Danacharbeiteten deutsche Ausschüsse in zuarbeitender und beraten-der Funktion für die Besatzungsmacht mit. Bei Bewerbungenaufoder bei Beibehaltung einer als wichtigeingeschätztenPosi-tionmußte der bekannteFragebogen ausgefüllt werden. Dieserwurde einem deutschen Ausschuß übergeben. Bei Zweifelsfäl-len wurde die betreffende Person vorgeladen. Mit Anmerkun-genversehenreichte der Ausschuß denFragebogenan dienäch-ste Instanz weiter, die ihn dann mit ihrer Empfehlung an dieentsprechende Abteilung für öffentlicheSicherheit der Militär-regierung sandte. Seit 1946 baute die Besatzungsmacht einenInstanzenzug für die Entnazifizierung mit beratendem Aus-schuß, Fachausschuß und Berufungsausschuß auf. Die Ent-scheidung, ob eine Person entnazifiziert werden sollte odernicht, blieb immer noch bei den Engländern. Diese Befugniswurde den deutschen Ausschüssen erst eingeräumt, nachdemim Oktober 1946 die erste Bürgerschaft frei gewählt wordenwar und ein Verfahren zur Entnazifizierung beraten hatte. ImMai 1947berief dieHamburger Bürgerschaft einen „LeitendenAusschuß" unter einem Staatskommissar, der nun die Verant-wortung für die Verfahren übernahm. Wichtigste Neuerungwar vor allem die aufschiebende Wirkung, die für eine erstin-stanzliche Entscheidungbei einer Berufung durch denBetrof-fenen einsetzte. Über die Berufung entschied ab Mai 1947 inHamburg der zuständige Berufungsausschuß selbständig. Zu-vor hatte dieser nur eine Empfehlung an die Militärregierungabgegeben. Die Entscheidung dieses Ausschusses sollte in derRegel endgültig sein. Für ein mögliches Wiederaufnahmever-fahren waren strenge Richtlinien vorgesehen. Eigene Ermitt-lungen konnten die Ausschüsse nur sehr eingeschränkt vor-nehmen. Ein Eingriffsrecht indie Verfahren behielten die Be-satzungsbehördenmit ihrer „Public Saftey Branch" (Abteilungfür öffentliche Sicherheit) allerdings auch, nachdem die Ver-

16 DieZeit vom 2.1.1947.17 Hamburg zwei Jahre unter engli-scher Herrschaft. Bericht der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Hamburg 1947,S. 5.18 Vgl.: Clara Klabunde, Das neueEntnazifizierungsverfahren in Ham-burg, in: Hamburger Freie Presse,16.4.1947. C. Klabunde war Mitglieddes Leitenden Ausschusses.

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fahren in deutsche Hände gelegt worden waren.19 Vor allemblieben dieMilitärbehörden für die Verfolgung von Kriegsver-brechern und hohen NS-Funktionären selbst zuständig.20 InHamburg wurden die Wachmannschaften des KZ Neuengam-me von einem britischen Militärgericht in den Curio-Haus-Prozessen1946 bis 1948 abgeurteilt.

Ein Spruchgericht, dem zehn Spruchkammern angegliedertwaren, beriefen die Engländer in Hamburg-Bergedorf.2l DieseEinrichtung war für die strafrechtliche Aburteilung der imehemaligen KZ Neuengamme internierten mehreren tausendNazis zuständig. Die Spruchgerichtsbarkeit in der britischenZoneist nicht mit der inder amerikanischen Zone gleichzustel-len.Beider letzterenging es um die Ausschaltungvonehemali-gen Nationalsozialisten aus dem politischen, wirtschaftlichenund kulturellen Leben mit Hilfe der Sühnemaßnahmen. DieSpruchgerichte inder britischen Zone sollten dagegen mit derAburteilung von internierten Mitgliedern der im NürnbergerUrteil von 1946 als verbrecherisch erklärten Gliederungen derParteiundder Wehrmacht beschäftigt werden.Es handelte sichalso um einen kriminellen Straftatbestand, der verhandelt wur-de und der mit Geld- oder Gefängnisstrafen geahndet werdenkonnte.Die Spruchkammern waren juristischeOrgane, die voneinem politisch unbelasteten [!] Berufsrichter geleitet werdenmußten. Als Beisitzer füngierten zwei Laienrichter,dieals Anti-faschisten bekannt waren.22 Bruno Fritz, ehemaliger SPD-Kreissekretär in Altona und zeitweise Mitglied einer Spruch-kammer, erinnert sich an seine Tätigeit indieser InstitutionderEntnazifizierung:

„Ichfand das völlig unbefriedigend ... wenn einer ein biß-chen schärfer werden wollte:Na also entlasten? Dann kamendie Juristen und sagten: Was haben wir in den Händen? Wirkönnendoch nicht das Recht beugen!Es war unbefriedigendundman verbrauchtefurchtbar vielZeit"13

Das von Bruno Fritz angesprocheneProblem sah der Ham-burger LandgerichtsdirektorMartin Zander 1948 im Hambur-gerEcho eherunter rechtlichen Gesichtspunkten:

„Undda sitzt nun derarme Richter mit seinen beiden Schöf-fen und bemüht sich, zu einem gerechten Urteil zu kommen.Entlastungsmaterial genug, Belastungsmaterial null. Sollen sienach dem Motto: ,Tut nichts, der Jude wird verbrannt!' diewohlbeleumundeten NS-Größen nach zweieinhalb Jahren In-ternierung noch auf Jahre und Monate ins Gefängnis stecken,nur weil sie Mitglieder waren und ihnen mühsam die Kenntniseiniger Übeltaten ihrer Organisation nachzuweisen ist? Daswäre eine politische Sühne, aber keine strafrechtliche Ahn-dung. ...[Es können] keine Vergeltungmaßnahmen verhängtwerden, ohnedenBodeneinesStrafverfahrens zu verlassen."14

Daß dieneuen Befugnisseder Berufungsausschüsse inHam-burg die Entnazifizierung nicht unbedingt erleichterten, kriti-sierte die kommunistische Hamburger Volkszeitung, da indennichtöffentlichen Verfahren die meistenNazis schließlich reha-bilitiert würden. Die Berufungsausschüsse seien deshalb „Re-habilitierungsausschüsse" geworden.25 Da sich die Ausschüsse

" Fürstenau, S.108.211 Vollenhals, S. 32.21 Vgl. die Erinnerungen von Hel-muth Warnke, „810ß keine roten Fah-nen" Auskünfte über schwierige Zei-ten 1923-1954, Hamburg 1988, S. 98ff.Das KPD-Mitglied Warnke war Schöf-fe an einer Bergedorfer Spruchkam-mer und schildert in seiner Autobio-graphie den Ablauf einer Verhandlungvor der Kammer.22 Heiner Wember, Umerziehung imLager. Internierung und Bestrafungvon Nationalsozialisten in der briti-schen Besatzungszone Deutschlands,Essen 1991, S. 276ff. Zeitgenössischwird auf den strafrechrechtlich wichti-gen Unterschied der Spruchkammernin der britischen und amerikanischenZone vom Hamburger Echo vom21.3.1947verwiesen.23 Interview von Andreas Rieckhofmit Bruno Fritz (SPD)vom14.2.1985.24 Hamburger Echo (HE) vom3.2.1948.25 Hamburger Volkszeitung (HVZ)vom 15.11.1947.

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zunächst der Masse der „kleinen Nazis" zugewandt hatten,kamen die „schwerenFälle" erst zueiner Zeit zur Verhandlung,in der die Entnazifizierung kurz vor dem Ende stand und dieUrteile aufgrund zunehmenden öffentlichen Drucks mildegeworden waren. So wurde z. B. 1948 der ehemaligeLeiter derAltonaer NSDAP-Ortsgruppe „Münzmarkt", Steuernagel, ineinem Spruchkammerverfahren feigesprochen.26 Ein weiterer„alter Kämpfer" aus Altona,Max Böge,der sich im Verlauf der„Arisierung" ein jüdisches Bekleidungsgeschäft angeeignethatte und NS-Magistratsmitglied in der Stadt gewesen war,wurde 1948 als Mitläufer entnazifiziert. Die zunächst vorhan-dene öffentliche Zustimmung zur Entnazifizierung sank auf-grund solcher immer üblicher werdenden Entscheidungen inder deutschen Bevölkerungbis 1949 ständig, weil der Eindruckentstand,daß die „Großen" sowiesonichtbestraft würden. 27

Bis 1949/50 bearbeiteten die Hamburger Entnazifizierungs-behörden 327.157 Fälle. Von diesen Fällen wurden 1.084 alsMinderbelastete,15.052 als Mitläufer und 131.119 als Entlasteteeingestuft. Dierestlichen Personen (179.902) galtenals von derEntnazifizierung nicht betroffen. Zahlen über die Kategoriender „Hauptschuldigen" und „schuldig Belasteten" meldete diebritischeMilitärregierungnicht.28

Am 10. Mai 1950 wurde in Hamburg das Gesetz zum Ab-schluß der Entnazifizierung verkündet. Ein weiteres Gesetzvom Juli 1953 beendete auch die letzten Verfahren in diesem

26 HE vom 16.3.1948.27 Vollenhals,S. 59f.28 Fürstenau, S. 228ff.29 Vgl. zu diesem Aspekt: BerndWunder, Geschichte der Bürokratie inDeutschland, Frankfurt a. Main 1986,S. 164ff.

Der große PG: „Mir tut er nichtsmehr! Der ist längst von den Kleinensatt..." (Karikatur aus: Neue Zeitungvom 16. September 1948).

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Bereich. Mit Art. 131 des Grundgesetzes und seinen Ausfüh-rungsbestimmungen war zudem eine Rechtslage geschaffenworden, die den nach 1945 entlassenenBeamten zu Beginn der1950er Jahre die Rückkehr in den Staatsdienst ermöglichte.29

Schon ab 1948 fandensich inHamburg immer mehr der natio-nalsozialistisch belasteten und deshalb aus ihren Ämtern ent-fernten Personen als wichtige Fachleute auf ähnlichen Posten

Karikatur aus der Hamburger Volks-zeitung vom2.Juni1948.

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Luftaufnahme von Menck & Har-nbrock Ende der 1920er Jahre. DieFir-ma war damals einer der größten In-dustriebetriebe in Altona-Ottensen(Foto: W. Cordes).

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wieder.30 Als Beispiel sei hier auf den in der Hamburger Ge-sundheitsbehörde für die Euthanasie mitverantwortlichen Dr.Kurt Struve hingewiesen. 1945 aus den Staatsdienst entlassen,wurde er 1951 als Oberregierungsrat inder Finanzbehördewie-der eingestellt und gelangtebis indenPlanungsstabder Senats-kanzlei. Die Ermittlungsverfahren gegen denPensionär Struvewurden 1975 eingestellt.31 Auchinder Industriemachten Nazi-verbrecher in den fünfziger Jahren Karriere. Der ehemaligeSS-General und zeitweise Hamburger Gestapo-Chef, BrunoStreckenbach, arbeitete nach seiner Rückkehr aus russischerGefangenschaft im Jahre 1955 als Abteilungsleiter beiden Ot-tenser Eisenwerken. Wegen „Verhandlungsunfähigkeit" wurdedas Verfahrengegen Streckenbach1974eingestellt.32

30 Vgl. Werner Jochmann (Hrsg.),Hamburg. Geschichte der Stadt undihrer Bewohner, Hamburg 1986,S. 402.31 Zu Struve vgl.: Angelika Ebbing-haus, u.a\, Heilen und Vernichten imMustergau Hamburg, Hamburg 1984,S. 156ff.32

Ein Rüstungsbetriebentnazifiziert seinenGeschäftsführer

Die Ottenser Baumaschinenfabrik Menck & Harnbrock hattesich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges zu einembedeutendenRüstungsproduzenten entwickelt,der fast zu 100% Militärauf-träge erfüllte. Der Betrieb produzierte seit ca. 1935 Haubitzenund ab 1939 auchBomben undBaugeräte für denmilitärischenEinsatz. DieMilitäraufträgehalfenMenck aus denEinbrüchender Weltwirtschaftskrise heraus. Folgerichtig stieg der Umsatzvon 3,2 Millionen im Jahre 1932 auf 20,6 Millionen Mark imJahre 1942 an.33 Für diese Produktion wurden zum Teil ehema-lige Pionieroffiziere eingestellt. Beruflich aufsteigen konntennach 1933 in der Firma fast ausschließlich Nationalsozialisten,denn nur Parteimitglieder hätten angeblich „Führungsquali-tät" gehabt, erinnert sich der ehemalige MontageinspektorGössing,dem diesenicht zugestandenwurde.34

Die Baggerfertigung war während des Krieges fast völlig indie tschechischen Skoda-Werke ausgelagert, die schon vorKriegsausbruch einen Lizenzvertrag mit Menck abgeschlossenhatten. Auch in anderen besetzten Ländern versuchte die Fir-ma ihre zivilenProdukte herstellenzu lassen.35

Menck & Harnbrock gehörtezu denerstenFirmen, denenimHamburger Raum Ausländer undKriegsgefangene als Arbeits-kräfte zugewiesen wurden. Von 1942 an waren von den ca.2.000 Beschäftigten bei Menck & Harnbrock durchschnittlich400 Fremd- oder Zwangsarbeiter.36 Auf dem Firmengeländeentstand ein eigenes Lager für sogenannte „Zivilrussen", dieaus Rostow verschleppt waren. Über die Ankunft dieser Men-schenund dieReaktionen der „Mencker" im Betrieb berichteteWalter Stolte:

„Ich weiß noch, als die Russen ankamen. Wir kriegten vor-her einen Vortrag!Das sind friedliche Menschen usw. Diesinddann gekommen und hatten wohl auch ein bißchen Hunger,und unsere Leute haben denen was zu essen gegeben. Da sindunsere Nazis dann rausgestürmt und haben gesagt: So ist dasnatürlich nicht gemeint. Da könnennatürlich auch Kommissa-re dazwischensein..." 31

Die Zeit zwischen 1933 und 1945 wird in der FirmengeschichtevölligunterdenGesichtspunktender Ökonomie dargestellt:

„Der große Umbruch erfolgte im Jahre 1933 durch die Über-nahme der Machtdurch dienationalsozialistischePartei... Die-

„Esist Zeit..:', S.4lf.

33 Stadtteilarchiv Ottensen, BestandMenck & Harnbrock (StO, M&H),Umsatz Hauptbuch. Zur Rüstungs-produktion inAltona-Ottenser Betrie-ben vgl.: Hans-Kai Möller, Ein ver-drängtes Kapitel. Rüstungsproduktionund Zwangsarbeit in der Metallindu-strie, in: Stadtteilarchiv Ottensen(Hrsg.), „Ohneuns...", S.74-98.34 Interview E. von Dücker/T. Beh-rens mit den Herren Stadermann undGössingvom19.1.1981.35 Interview des Autors mit WalterCordes vom 22.10.1987 und StO, Be-stand M&H, Entnazifierungsaus-schuß, Anlage zum Fragebogen vonAdolf Vogler.36 StO, M&H, Betriebliches Vor-schlagwesen 1942-1955.37 Interview Hans-Kai Möllermit Wal-ter Stolte, 17.2.1982.

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se Zeit brachte auch unserer Firma eine spürbare Besserung,denn die Ausführung der großen Bauvorhaben bedingte dieBeschaffung vieler Bagger, Rammen, Transportgeräte usw...Um den erhöhten Anforderungen zu genügen, mußte der in-zwischen ziemlich veraltete Maschinenpark aufgefrischt unddas Werk durch den Erwerb eines weiteren benachbartenGrundstückes ... erweitert werden ... Dann begann im Jahre1939 der Zweite Weltkrieg, der zwar am Anfang erfolgreichwar, aber im Jahre1945 mit einer vollständigen deutschenNie-derlage, wie sie noch niezuvor zu verzeichnen war, undschließ-lich im Chaos endete ... Für unsere Firma, die während desKrieges durchwegs gut beschäftigt war

—u.a. mit Kriegsmate-

rial — bedeutete das Kriegsende einen vollständigen Still-stand."3"

Die Erinnerung an denNationalsozialismus ist in der Chro-nik mit einer Besserung der wirtschaftlichen Situation unddem Stolz auf die Erfüllung der neuen Anforderungen, dieschließlich zur Firmenerweiterung führte, besetzt.Das deutlichhervortetende traditionelle Denkmuster der Nachkriegszeit,läßt denNationalsozialismus als etwas zunächst Gutes erschei-nen, das sich erst mit der Niederlage im Kriegdiskredierte.DerNationalsozialismus hatte dem Betrieb wirtschaftlichen Auf-schwung und eine Modernisierung des Maschinenparks ge-bracht. Dagegen muß das „Chaos" und der „Stillstand" derNachkriegszeit für viele „Mencker" bedrohlichgewirkthaben.

Am 3. Mai 1945, an diesem Tag wurde Hamburg kampflosnan die Engländer übergeben, bildete sich bei Menck & Har-

38 StO, M&H, W. Schattiger, 100 Jah-re Menck & Harnbrock, unv. Manus.1968, S. 14f.

Bagger aufderPrüfstrecke im Werks-gelände. Die Baggerfertigung warnach dem Ersten Weltkrieg zum wich-tigsten Produktionszweig vonMenck& Harnbrock geworden (Foto: W.Cordes).

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brock spontanein Betriebsausschuß der Arbeiter.DieInitiativedazu ging von dem Kommunisten Max Radtke und dem So-zialdemokraten Ernst Hauck aus, die aber keinerlei Verbin-dung zur gleichzeitig zentral für Hamburg gegründeten „Sozia-listischen Freien Gewerkschaft" hatten.39 Radtke, der späterauch aktiv im Deutschen Metallarbeiterverband mitarbeitete40,wurde Vorsitzender des Ausschusses. Schon am Morgen des3. Mai war noch vor demEinmarsch der Engländer in der Fir-ma von Betriebsangehörigenein Warenlager „beschlagnahmt"und Kleidung anausgebombte Kollegenverteilt worden.41

Da im Betrieb bekannt war, daß Walter Stolte vor 1933 inderSPD gewesenwar, nahmman ihnals sozialdemokratischen Ver-treter der Angestellten in den Betriebsausschuß auf. Das Ver-fahren schildert er: „Ich bin rübergerufen [worden] ... Du bistjetzt hier mit in den Betriebsausschuß eingebaut, und wir müs-sen jetzt sehen, daß wir den Laden aufbauen."41 Mit dieserformlosen Verständigung knüpften die Aktivisten,die die In-itiative ergriffen hatten, untereinander an die Zeit vor 1933 an,in der sie schon politisch und gewerkschaftlich tätig gewesenwaren. Sie betrachteten sich deshalb auch ohne demokratischeAbstimmung als genügend legitimiert, um die Interessen derArbeiter zu vertreten.43

Bei Menck & Harnbrock wurde der Betriebsausschuß voneiner Konferenz gewählter Delegierter der einzelnen Abteilun-gen unterstützt. Die Delegiertenkonferenz trat zunächst wö-chentlich undspäter inunregelmäßigen Abständen zusammen.Anhand der ersten Protokolle des Gremiums ist nicht zu erse-hen, ob ein betrieblicher Entnazifizierungsausschuß von derBelegschaft gleich nach dem Ende des Krieges gebildet wurde.Um die dringlicheren Probleme des Nachkriegsalltags zu lösen,wählten die Arbeiter im Juni 1945 eine Küchenkommission,eine Unfallkommission, eine Krankenkassenkommission undeine Wohnungskommission. Das Problem, das Nazis im Be-trieb darstellen könnten,wurde 1945 nur einmal in Fragen derLehrlingsausbildung behandelt. Die Versammlung wies daraufhin, daß belastete Nationalsozialisten keine Ausbilder mehrsein sollten. Im von Walter Stolte verfaßten Protokoll dieserSitzung heißt es:

„Im Anschluß heran gab es eine erregteDebatte gegen dieNazis ... Kollege Ewers gab der Sache besonders dadurch Aus-druck, indem er meinte, es könnedoch nicht angehen, daß un-ser Betrieb alsbesondersnazifreundlich verschrien würde. "44

An die eigentliche Gründung des betrieblichen Entnazifizie-rungsausschusseserinnert sich Walter Stolte:

„Dann erschien eines Tages ein Major, und der hat sich denRadtke gekauft, und der wollte jetzt einen Entnazifizierung-sausschuß haben."45

Zuvor hatten schon die bekanntesten Nationalsozialisten inder Firma, wie z.B. der DAF-Betriebsobmann L., ohne einförmliches Verfahren ihre Entlassung erhalten. „Also die unsbekannten Oberspitzel [wurden] sofort rausgeschmissen."46

Ihnen wurde Hausverbot erteilt. Einige weniger belastete Mit-arbeiter blieben von selbst dem Arbeitsplatz fern oder wurden

linke Seite:Dieser Aufruf aus dem Jahre 1944 lagin den 1984 bei Menck & Harnbrockgefundenen Unterlagen. Erstaunlichist, daß die Waage — „Jeder Verbesse-rungs-Vorschlag einBeitrag zum Sieg"— trotzdemnicht zugunstendes Deut-schen Reiches ausschlägt (Original:StadtteilarchivOttensen).

39 Zur Geschichte der SFG: HolgerChristier: Sozialdemokratie undKommunismus. Die Politik der SPDund KPD in Hamburg 1945-49, Ham-burg 1975; WulfD. Hundt, Die Sozia-listische Freie Gewerkschaft, in: Mar-xistische Studien 8, Frankfurt 1985,S. 165 IT.40 1946 gehörteer als eine der wenigenKommunisten zum 12köpfigen Ham-burger Ortsvorstand der Gewerk-schaft. Siehe: Andreas Rieckhof, DieSPD-Betriebsorganisation in Ham-burg 1945/46-1949/50. Gründung,Struktur und Arbeitsweise. Mag.ar-beit, Hamburg 1986, S. 2674i Archiv der Thälmann-Gedenkstät-te, Protokoll der 1. Parteiarbeiterkon-ferenz der KPD-Wasserkante, 1.und 2.Dezember 1945.42 Interview Stolte, 30.4.1986.45 Vgl. Michael Fichter, Aufbau undNeuordnung: Betriebsräte zwischenKlassensolidarität und Betriebsloyali-tät, in: M. Broszat, K.-D. Henke,H. Woller (Hrsg.): Von Stalingrad zurWährungsreform. Zur Sozialgeschich-te des Umbruchs in Deutschland,München 1988,S. 487.44 StO, M&H, Berichte von den Dele-giertenversammlungen 1945/46. Hier12.7.1945.45 Interview Stolte, 17.4.1986.46 Interview Stolte, 30.4.1986. Im Pro-tokoll der Parteiarbeiterkonferenz derKPD heißt es, daß bei Menck & Har-nbrock schon am 3. Mai 1945 mit der Ent-nazifizierung begonnen wurde (Anm.41). In seinem „Fragebogen" gibt derDAF-Betriebsobmann L. allerdings den31.12.1945 als Entlassungsdatum beiMenck & Harnbrock an.Der Fragebogenbefindet sich im Besitz des Sohnes vonL., der ihn mir freundlicher Weise zurVerfügung stellte.

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infolge des schnellen Belegschaftsabbaus noch 1945 entlassen.Zusammenkünfte vonbelasteten Personen wurdenmißtrauischbeobachtet.Als sichL.und zwei weitere Personen,diewährendder Nazizeit politische Positionen im Betrieb innehatten,mehrmals auf der Straße trafen, meldete ein Arbeiter dies demBetriebsrat. Er befürchtete, daß diese Zusammenkünfte derBildungeiner nationalsozialistischenZelle dienenkönnten.47

Mit der Einrichtung des Entnazifizierungsausschusses wur-de das zunächst spontane Verfahren im Verlauf des Jahres 1946formalisiert. Gegenstand der Prüfung war nun weniger die ei-gene Erfahrung mit der Person, sondern der Fragebogen undsonstiges dem Ausschuß vorliegendes Material, das Beweis-kraft hatteund mit Anmerkungen bzw. einer Empfehlung ver-sehenan diebritischen Behördenweitergereicht werden mußte.Dem Entnazifizierungsausschuß gehörtenneben Walter Stoltenoch drei weitere Mitglieder an. Das wichtigste Verfahren, dasvon diesem Ausschuß geführt wurde, war das gegen den Ge-schäftsführer von Menck & Harnbrock Adolf Vogler. DieserVorgang fällt indiePhase der Entnazifizierung inHamburg, inder die Engländer damit begannen,deutsche Ausschüsse bera-tendzubeteiligen.

Adolf Vogler (1890-1963), ein Schwiegersohn von CarlMenck (1876-1935), gehörte seit 1930 als Betriebsleiter zumManagement der Firma. Zuvor hatte er als kaufmännischerund technischer Sachverständiger bei seinem Vater, einem Bü-cherrevisor,gearbeitet und beimBankrott der Firma nach eige-nen Angabensein ganzesVermögenverloren.48 Nachdem Todeseines Schwiegervaters wurde Vogler Geschäftsführer vonMenck & Harnbrock. In die NSDAP trat er am 1. Mai 1933 einund wurde von der Partei zum Stadtrat in Altona ernannt.49

Zwischen 1933 und 1945 engagierte sich Vogler vor allem in derReichsgruppe der Industrie. 1941 saß er inderem „Großen Bei-rat" und leitete lange die Fachgruppe „Aufbearbeitungs- undBaumaschinen" der Wirtschaftsgruppe Maschinenbau. Aufregionaler Ebene war er nach 1938 Vorsitzender der Indu-strieabteilung und Mitglied des Beirates der Gauwirtschafts-kammer Nordmark. Nach 1941 wurde Vogler Wehrwirtschafts-führer. 50 Als persönlich haftender Gesellschafter war er ab1939Miteigentümer der Gußstahlwerke Wolgast inPommern.

Aufgrund der Verbandstätigkeiten und des Führungsstilsvon Vogler wäre es zu erwarten gewesen, daß der betrieblicheEntnazifizierungsausschuß den Anweisungen aus der Verord-nung Nr. 24 des alliierten Kontrollrates und der Auffassungvon Colonel Armytage gefolgt wäre und sich für die Entfer-nung des Geschäftsführers aus dem Betrieb ausgesprochenhät-te. Von seiner Position als Leiter der ArbeitsgemeinschaftTransportmaschinen in der Wirtschaftsgruppe Maschinenbauwar Vogler aufgrund einer Anweisung der britischen Militärbe-hörden schon im November 1945 abberufen worden.51 Ge-schäftsführer bei Menck & Harnbrock blieb er aber zunächstmit Einverständnis der Besatzungsmacht. Im Sommer 1946wurde diese Tatsacheaufeiner öffentlichenKPD-Versammlungin Altona von Gustav Gundelach, dem damaligen Vorsitzen-

47 StO, M&H, Entnazifizierungsausschuß, Schreiben von17.5.1944 (?).48 StO, M&H, Entnazifizierungsausschuß, Entnazifizierung Vogler, Anla-ge zumFragebogen Vogler." Berlin Document Center (BDC),Mitgliedsnummer 2729264. Außer derMitgliedskarte in der Hauptkartei gibtes in diesem Archiv keine Unterlagenüber eine Parteitätigkeit Voglers.i0Zu Voglers Verbandstätigkeit: Werleitet? Die Männer der Wirtschaft undder einschlägigen Verwaltung ein-schließlich Adreßbuch der Direktorenund Aufsichtsräte 1941/42. Dort wirdVogler ohne den Titel „Wehrwirt-schaftsführer" geführt.■" StO, M&H, Entnazifizierungsausschuß, Entnazifizierung Vogler, Schreiben vom 5.11.1945.

Adolf Vogler (1890-1963) (Berlin Document Center)

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den des KPD Bezirks Wasserkante, als einBeleg für die Lang-samkeit der EntnazifizierunginHamburgherangezogen.

„Als ein Beispiel führte er den Fall Adolf Vogler an ... DerRedner hatte einen von Vogler unterschriebenen Originalbriefvom 3. Juli 1944 vor sich, den er den Zuhörern vorlas. Indie-semBrief, gerichtet an die Arbeiter und Angestellten, die in derWehrmacht dienten, schildert Vogler in zündenden Worten ei-nen Besuch beiHitler aufdem Obersalzberg und die anregendeUnterhaltung mit ihm. Man kann nicht verstehen, warum soein Mann noch an der Spitze einer der größten HamburgerFirmen ist. (Pfui-Rufe)"52

Was hatte Vogler an die „lieben Kameraden und Soldaten"geschrieben? Nachdem er auf die kurz zuvor erfolgte Invasionvon alliierten Truppen in der Normandie eingegangen war,fuhr Vogler fort, daß „wir inder Heimat schwer schaffen müs-sen, um die materielle Überlegenheit des Gegners soweit wiemöglichdurchqualitative Leistungenauszugleichen.

Ich selber hatte das Glück, in der vergangenen Woche aufdem Obersalzberg mit unserem Reichsminister Speer undande-ren Herren beimFührer empfangen zu werden. Der Führer warvollkommen unerschütterlich für den Endsieg. Er drückte dasso aus: ,Ich glaube nicht, daß wir siegen werden, ich weiß es!'und ich muß sagen, daß seine Ausführungen so überzeugendwaren, daß wir alle mit dem felsenfesten Zutrauen gegangensind, auch diese schwere Aufgabe wird gemeistert undder Siegwird unser sein. ... Also wollen wir weiter unsere Pflicht erfül-len in der Hoffnung, daß je eiserner wir durchhalten, umsoeher derSiegbeidendeutschenFahnensein wird."53

Walter Stolte erinnert sich auchan Hinweise von Betriebsrä-ten anderer Altonaer Firmen, Voglerdoch fallen zu lassen.

„Der Paul Eppelmann von Conz ... hat uns immer gewarntund gesagt, also wir sollten den Vogler fallen lassen ... Dashabe ich behalten, diese Worte, er sagte: Das ist Herr Vogler.Das istnicht irgendso'nKümmelkopp, das istHerr Vogler."54

Trotz des öffentlichenProtestes undkritischer Hinweise vonKollegen, setzte sich der betriebliche Entnazifizierungsaus-schuß bei Menck & Harnbrock nach mehrmaliger Prüfung dervon Vogler eingereichten Unterlagen dafür ein, daß der Ge-schäftsführer im Betrieb zu belassen sei. Nach der Entschei-dungdes Ausschusses vom 28. August 1946, daß Vogler für dieFirma tragbar sei, schickten die Besatzungsbehördendie Unter-lagen zur erneuten Bearbeitung zurück. Daraufhin verfaßteder Ausschuß eineausführliche Begründung für seinePosition.Nach einigen allgemeinen Bemerkungen zur Tätigkeit einesEntnazifizierungsausschusses und zur Verordnung Nr. 24kommen die Entnazifizierer darin am 30. September 1946 zu-nächst zu dem Schluß, daß Vogler aufgrundder Parteimitglied-schaft und seiner Ämter aus der betrieblichen Stellungentferntwerden müsse (§ 10 der Verordnung Nr. 24). Danach werdendieEntlastungsargumente dargestellt:

„Voglers Ernennung zum Stadtrat und Wehrwirtschaftsfüh-rer beweist noch nicht, daß er mehr als ein bedeutungsloserTeilnehmer an den Angelegenheiten der Partei war, denn diese

■:StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Bericht von der KPD-Versamm-lung am 12.7.1946. Ohne sich auf ei-nen speziellen Fall zu beziehen, kriti-sierte auch der Altonaer kommunalpo-litische „Beratende Ausschuß" das zulangsame Fortschreiten der Entnazifi-zierung. Siehe: Staatsarchiv Ham-burg, Protokoll des kommunalpoliti-schen Ausschusses in Altona vom6.9.1946.» StO, M&H, Schreiben der Ge-schäftsführung.54 Interview Stolte, 17.4.1986.

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Ämter bekleideten auch Nichtparteigenossen und beruhen die-se Ernennungen aufseiner Stellung in der Wirtschaft als aufseinerParteizugehörigkeit.

Ausder Tatsache, daß Vogler bereits 1934 in dieParteieinge-treten ist und in derselben nie ein Amt bekleidet hat, ist zummindesten zu entnehmen, daß er kein besonders aktiver Partei-genössewar

Den Einwand, daß die Kleinen entlassen werden und dieGroßen bleiben, muß in diesem Falle der Betriebsausschußzurückweisen, denn auch bei den Kleinsten bei der FirmaM&Hzur Entlassung gekommenen, ist ausreichendes Bela-stungsmaterial aus der Belegschaft heraus vorhanden gewesen,während im vorliegenden Fall dem Betriebsausschuß nur Ent-lastungsmaterialzur Verfügung gestellt wurde.

Der Fragebogen ,Action Sheet' wird daher wie folgt ausge-füllt:

Vogler istpolitisch vorbelastet, da er vor1937 in die NSDAPeingetreten ist, Wehrwirtschaftsführer und Stadtrat war undmuß nach der Verordnung 24 entlassen werden. Aufgrund sei-ner charakterlichen Haltung kann aber der § 5 angewendetwerden und wird die Belassung von Vogler im Betrieb befür-wortet."55

Wegen seiner „charakterlichen Haltung" wollte der Aus-schuß auf Vogler § 5 (Ausnahmen) der VerordnungNr. 24 an-gewandt wissen. Dieser Paragraph sollte dazu dienen, die Ent-lassung derjenigen zu vermeiden, die nur bedeutungslose Teil-nehmer an den Angelegenheiten der Partei wären seien undden Zielen der Alliierten nicht feindselig gegenübergestandenhätten. Die Anwendung des Paragraphen erforderte jedochunzweifelhafte Beweise, die sich auf Nachforschungen stützensollten,daß die inBetracht kommende Person nur demNamennach Mitglied der NSDAP sei.56 Vogler hatte die Anwendungdieser Argumentation in einer Anlage zu seinem Fragebogenschonselbst angedeutet.

„Ich glaube, meinen Betrieb anständig geführt zu haben.Verfolgungen aus rassischen, religiösen oder politischen Grün-den haben von der Firma Menck & Harnbrock aus nicht statt-gefunden. Männer, die im KZ gewesen sind, wurden neu bzw.wieder eingestellt. Es gelang, allen Schwierigkeiten zum Trotz,einen einzigen Volljuden in der Werkstatt durch all die Jahrehindurchzubringen. (Siehe anliegendes Schreiben dieses Ge-folgschaftsmitgliedes)."51

Die von Vogler dem Ausschuß vorgelegten Entlastungs-schreiben bezogen sich auf den Schutz von Mitarbeitern desBetriebes. Rudolf Cohn, ein jüdischer Arbeiter, der bei Menck&Harnbrock bis 1945 beschäftigt blieb,schrieb :

„Bin ungefähr 38 Jahre bei der Firma Menck & Harnbrockals Fräser beschäftigt und habe während dieser Zeit eine Be-triebsführung gehabt, aufdie ich stolzsein kann.

Bin Volljude und obgleich verschiedene Nachfragen durchdie Partei, ob noch Juden im Betrieb sind, gehalten wurden,war es Herrn Vogler möglich, mich im Betrieb zu behalten.Dieses war sehr schwer für den Betriebsführer und ich bin ihmdankbar, daß er esmöglichgemacht hat.

51 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Entnazifizierung Vogler vom30.9.1946.56 Vgl.: Alliierte Kontroll-Behörden,VerordnungNr. 24.57 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Anlage zum FragebogenVogler.

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Auch in privater Hinsicht habe ich Vorzüge gehabt im Be-trieb, z.B. bin ich einmal bei der Maifeier nach Hause geschicktworden auf Anordnung des Herrn Vogler, damit ich keineUnannehmlichkeiten hatte. Bei einem Betriebsunfall zu Weih-nachten hatHerr Vogler mir durch dieBetriebsschwester einenGeldbetrag ganz privat geschickt mit einem Begleitschreiben.Darüber habe ichmich sehrgefreut." 5"

Robert Wagner, in der Sprache der Nazis ein sogenannter„Halbjude", der als Auslandsmonteur bei Menck & Harnbrockarbeitete, bescheinigte Vogler, daß dieser kein Anhänger derRassenpolitik des NS-Regimes gewesen sei und er deshalb vonihm unterstützt worden wäre und ihn vor Verfolgung bzw.Zwangsarbeit gerettethätte.59

Von W. Haider, einem Angestellten der Firma, kam die Er-klärung, Vogler habe „verhindert, daß ich von unserem dama-ligen Betriebsobmann der Gestapo wegen Defätismus und Un-tergrabung der Kriegsmoral angezeigt wurde."60 Als wichtig-stes Beweismittel für denbetrieblichen Ausschuß ist aber wohlanzusehen, „daß er einen ehemaligen Häftling (Max Radtke)in Arbeit genommen hat und dadurch dafür gesorgt hat, daßderselbe aus dem Konzentrationslager entlassen wurde."6' Ei-nen wenig aussagekräftigen „Persilschein",den Vogler von ei-nem Geschäftspartner bei den Gußstahlwerken Wolgast erhal-ten hatte,berücksichtigte der Ausschuß nicht.

Den vorgelegten Beweisen und der Argumentation des be-trieblichen Entnazifizierungsausschusses schlössen sich dieBesatzungbehördenan. Vogler blieb mit einer Anstellungsbe-schränkung in der Firma. Seine Funktion als Geschäftsführermußte er deshalb im November 1946 an den politisch unbela-steten Walter Cordes, einen Enkel des Firmengründers, abge-ben. Cordes, der während des Krieges das Berliner Verkaufsbü-ro der Firma geleitet hatte, wurde mit Zustimmung des Be-triebsrates neuer Geschäftsführer bei Menck & Harnbrock,weil er sich vor dem Krieg gegenüber einem jetzigen Ratsmit-gliedeinmal abfällig über dieNazis geäußert hatte.62 Die eigent-liche Leitung von Menck & Harnbrock blieb aber weiterhinbeidem erfahreneren Adolf Vogler. Die Mitwirkung der Betriebs-räte bei den Entnazifizierungsmaßnahmen richtete sich nichtnur bei Menck, sondern allgemein fast ausschließlich gegenunmittelbare Vorgesetzte, diebelastet waren. Daß sich die Akti-vität nur selten und verhalten gegen die Kapitaleigner wandte,ist angesichts der „Beheimatung der Betriebsräte im politischgewerkschaftlichen Lager des Sozialismus besonders bemer-kenswert."63

Die charakterlichenEigenschaften Voglers, auf die man sichim Verfahren berufen hatte, zeigen Voglers Spürsinn für lang-fristige Rückversicherungen, um sich den Status als Unterneh-mer zu erhalten. Die Leumundszeugnisse weisen meiner An-sicht nach auch darauf hin,daß Vogler wußte, wie er denMa-kel seiner Beteiligung am NS-Regime vor allem gegenüber derBesatzungsmacht mindern konnte. Die angeführten Umständewerden sicherlich der Wahrheit entsprochen haben, da sie sichauf betriebliche Vorgänge bezogenund deshalb für denEntna-

58 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Entnazifizierung Vogler, Schrei-benvonR. Cohnvom 27.7.1945." StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Entnazifizierung Vogler, Schrei-benvonR. Wagner vom 31. 7.1946.60 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Entnazifizierung Vogler, Schrei-ben W. Haider vom4.8.1946.61 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Entnazifizierung Vogler, Schrei-ben vom30.9.1946.62 Interview Cordes,22.10.1987.63 Gerhard Hetzer, Unternehmer undleitende Angestellte zwischen Rü-stungswirtschaft und politischer Säu-berung; in: Broszat, Henke, Woller(Hrsg.), S.589.

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zifizierungsausschuß, hätte er an ihnengezweifelt, leicht nach-zuprüfen gewesenwären.64 Rudolf Cohnschildert die Geschich-te seiner Rettungdurch Adolf Vogler nach meinem Empfindenaber merkwürdig undramatisch. Ein quasi im Untergrund le-bender Jude stand nach 1943 in Deutschland vor wesentlichexistenzielleren Alltagsproblemen als dem, von einer Maifeier„nach Hause geschickt" zu werden. Woher bekam er die zumÜberleben notwendigenLebensmittel- und Kleiderkarten? Werverschaffte ihm einen Ausweis ohne den verräterischenZwangsvornamenund das hineingestempelte J? 65 Einen gewis-sen Schutz vor der Verfolgunghatte Cohn, weil er in einer so-genannten „privilegierten Mischehe" lebte. In der Sprache derNazis bedeutetedies: Er war der jüdische Ehemann einer deut-schen Frau und aus dieser Ehe war ein Kind hervorgegangen,das als Mischling 1. Grades galt.66 Deshalb war Cohn von eini-gen diskriminierenden Bestimmungen gegen die jüdische Be-völkerung, wie z.B. dem Tragen des „Judensternes"und Ablie-ferung der Kleiderkarte, ausgenommen. Mit der Deportationder jüdischen Ehepartner aus den„Mischehen" wurde in Ham-burg im Februar 1945 begonnen.67 Aufgrund seiner für einenJuden „privilegierten" Positionkonnte Rudolf Cohn weiter beiMenck & Harnbrock arbeiten, ohne daß Vogler ihn deshalbbesonders schützen mußte. Die angeführte Befreiung von derMaifeier entsprach den Vorschriften des Reichsarbeitsministeriums, denn Juden galten nicht als Teil der „deutschen Be-triebsgemeinschaft". Da die Zahlung von Gratifikationen anJuden verboten war, erfolgte sie wahrscheinlich auf der be-schrieben halbprivaten Basis und war für Vogler zwar nichtnotwendig, aber in seiner Stellung ungefährlich. Vogler hatsich gegenüber dem loyalen Arbeiter Cohn der patriachali-schen Betriebstradition seiner Firma entsprechend verhalten,was zwischen 1933 und 1945 nicht unbedingt selbstverständlichgewesen ist. Da Cohn ihm dies gleich nach KriegsendeimMai1945 bescheinigte, also bevor Voglers Position überhaupt ge-fährdet war, liegt die Vermutungnahe, daß der Geschäftsführerauch schon zuvor ein „Rückversicherer" war, der seine künfti-geEntlastung vorbereitet.

Wenn bei den Mitgliedern des Entnazifizierungsausschussesvielleicht doch das Gefühl vorhanden gewesen sein mag, daßsich Vogler mit seiner Tätigkeit inder Kriegswirtschaft und sei-ner Verbindung zur NSDAP diskreditiert hätte, so kapitulier-ten sienun vor der unentbehrlichenFachkraft für den Wieder-aufbau, die die Firma Menck schon einmal — nämlich zwi-schen 1930 und 1935 —

aus der Krise geführt hatte. Die Fol-gen,die eine völligeEntfernung Voglers aus der Firma gehabthätte,schätzte Walter Stolte noch1987 folgendermaßen ein:

„Menck hätte dicht machen müssen, wenn wir ihn nichtfrei-kriegen konnten. Wir haben ihn freigekriegt. Er durfte aller-dings nur als untergeordneter Betriebsangehöriger arbeiten,nicht wahr. Aber washeißt dasschon?"6"

Und noch ein weiteres wichtiges Argument, warum mannicht auf die Kompetenz von Vogler als Geschäftsführer ver-zichten wollte,nanntWalter Stolte:

64 Walter Stolte konnte sich im Inter-view von 1987 an die in den schriftli-chen Aussagen genannten Einzelhei-tennichtmehr erinnern.65 Zu diesem Fragenkomplex vgl.:Wolfgang Benz (Hrsg.), Die Juden inDeutschland 1933-1945. Leben unternationalsozialistischer Herrschaft,München 1988, S. 545ff.66 Zur rechtlichen Diskriminierungder Juden nach 1933 vgl.: JosephWalk (Hrsg.): Das Sonderrecht für dieJuden im NS-Staat, Heidelberg 1981.Zum Personenstand von RudolfCohn:StAH,Jüdische Steuerkartei.67 Die jüdischen Opfer des National-sozialismus in Hamburg, Hrsg..Staatsarchiv Hamburg, Hamburg1965, S. 102. Die ersten 194 in „Misch-ehe" lebenden Juden wurden am14.2.1945 mit dem letzten Transportvon Hamburg nach Theresienstadtdeportiert61 Interview Stolte, 17.4.1986.

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„Trotzdem man genau wußte, irgendwie hat er uns doch wie-der geschlagen. Aber als Geschäftsmann mit seinen riesigenVerbindungen, wie gesagt, das hätte ja kaum einer fertigge-bracht, zuerst fertiggebracht ... schon so schnell in Englandeinzusteigen."69

Die Verbindungen nach England hatten für Vogler Tradi-tion.Noch im Juni 1939hatte der Leiter der Firma Ransome &Rapier in Ipswich, Richard Stokes, Menck & Harnbrock be-sucht.70 Stokes war Labour-Abgeordneter im englischen Parla-ment und hatte in der Nachkriegszeit aufgrund seines großenEngagements für die besiegten Deutschen den Spitznamen„MP for Hamburg". Auch für Menck soll sich Stokes einge-setzt haben. Walter Cordes berichtete, daß nach der Interven-tion des Unterhausabgeordneten der Betrieb von der russi-schen Demontageliste, auf der er angeblich stand, gestrichenwurde. Allerdings wurden nun 105 Werkzeugmaschinen vondenEngländerndemontiert.71

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71 StO, M&H, Geschäftsbericht fürdas Jahr 1948/49. Für die Maschinenwurde in der ersten DM-Bilanz einWert von412.412DM verbucht.

Der Betriebs-obmann L. — Ein„unanständiger" Nazi

Verfolgungen, die der Geschäftsführer Vogler geduldete hatte,waren auch bei Menck & Harnbrock vorgekommen. Im Mai1945 hatten mehrere Arbeiter den ehemaligen NS-Zellenob-mann R. beim Betriebsrat wegen Mißhandlung des holländi-schen Arbeiters Johannes de Fries anzeigt. Der Holländer seinach den Mißhandlungen vom DAF-Betriebsobmann L. derGestapo übergeben worden, berichteten die Arbeiter.72 Im Ver-lauf des Krieges gewann die Drohung mit oder die wirklicheAuslieferungan die GestapobeiProblemenmit der Arbeitsmo-ral in den Betrieben immer stärker an Bedeutung. Schon 1936hatte L. mehrere Sozialdemokraten, die bei Menck illegaleFlugschriften verteilt hatten und von einem Kollegen denun-ziert worden waren, bei der Gestapo angezeigt.Die drei Sozial-demokraten wurden im März 1937 vom Hanseatischen Ober-landesgericht wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu je 2 1/2JahrenZuchthaus verurteilt.73

Vor allem über die üblichen „freiwilligen" Spenden kam esbei Menck & Harnbrock zwischen Arbeitern und den DAF-Ver-tretern, die diese eintrieben, häufiger zum Streit.Der ArbeiterDübler, der sich zweimal hintereinander weigerte, für das RoteKreuz zu spenden, wurde auf Betreiben des DAF-Betriebsob-manns L.hin zum Militär eingezogen. Dübler war zuvor wegenseiner Tätigkeit in der Rüstungsindustrie unabkömmlich ge-stellt und fiel imNovember 1942 inRußland. 74

Der DAF-Betriebsobmann L. galt als einer der überzeugte-sten Nationalsozialisten bei Menck & Harnbrock. Der ausbäuerlichen Verhältnissen in Dithmarschen stammende L. ar-beitete seit 1927 zunächst als Konstrukteur und dann als Be-triebsingenieur inder Firma. Im September 1932 trat er indieNSDAP ein.75 Seit 1934 gehörte L. dem Vertrauensrat vonMenck an und war im Krieg für denSchutz des Werkes mitver-antwortlich. Aufgrund seines Einsatzes für die DAF wurde erim März 1943 mit dem Kriegsverdienstkreuz Erster Klasse aus-gezeichnet. Von 1935 bis zum Inkrafttreten des Groß-Ham-burg-Gesetzes 1937 war L. vom Altonaer Kreisleiter der

Zone ein

72 StO, M&H, Entnazifizierungsausschuß, Schreiben vom16.5.1945.73 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Schreiben vom 22.3.1946 undeidesstattliche Erklärung vom14.5.1946.'" StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Schreiben vom 6.6.1945 undSchreiben vom17.12.1946.75 BDC, Mitgliedsnummer 1.328.055.Außer der Mitgliedskarte in derHauptkartei gibt es keine weiterenUnterlagenüber L.im Archiv.

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NSDAPHeinrich Piwitt zum Ratsherrn inder Gemeindevertre-tung ernannt. Das Betriebsratsmitglied Willi Musa führte ineinem Bericht an,daß L. für allesBöse,was impolitischen Sin-ne bei Menck & Harnbrock geschehen war, verantwortlich ge-wesen sei. Sämtliche Verfolgungen und Maßregelungen wärenihm zuzuschreiben. Der Betriebsrat forderte deshalb seinestrengste Bestrafung.76 Nicht nur, daß L. ein überzeugter Na-tionalsozialist gewesen war, sollte geahndet werden, sondernauch, daß er den „Betriebsfrieden" gebrochen hatte, indem ersich außerhalb der Kollegialität bewegte.77 So setzte sich derBetriebsrat von Menck & Harnbrock 1946 gegenüber dem Al-tonaer Wohnungsamt erfolglos dafür ein, die Familie L. ausihrer Dreizimmerwohnung in Ottensen auszuweisen. Aller-dingsbelegte das Wohnungsamt nun einZimmer mit einer aus-gebombten Hamburger Familie. Walter Stolte erinnerte sich,daß eine Spruchkammer L. für seine Tätigkeit mit einem hal-ben Jahr Gefängnis bestrafte. Außerdem erhieltL. ein lOjähri-ges Berufsverbot als Ingenieur, das später auf dem Gnadenwe-ge herabgesetzt wurde. Ab 1946 arbeitete L. mehrere Jahre alsLandarbeiter aufdem GutLindenhofbei Ahrensburg.78

Einem Mitglied der Familie Menck, Hans Martin Menck,der als kaufmännischer Prokurist inder Firma arbeitete, wurdevon der Besatzungsmacbt- die-^Arbeitserlaubnis entzogen.Menck soll während des Krieges die Aufgabe gehabt haben,Fabriken in Rußland auf deren möglicheEingliederung in dieHermann-Göring-Werke hin zu untersuchen. Walter Cordesschildert Hans Martin Menck als „einen strammen Vertretermit Schaftstiefeln", der, obwohl er nicht Mitglied der Parteiwar, nun wegen „nazihaften Verhaltens" aus dem Betrieb inOttensen entfernt werden mußte. Ihm wurde deshalb von derFamilie die Leitung des Verkaufsbüros in Düsseldorf angebo-ten. Menck ließ sich allerdings lieber seine Geschäftsanteileauszahlen.79

76 StO, M&H, Entnazifizierungsausschuß, Schreiben vom 14.11.1946.77 Vgl. Hetzer,S. 589f.78 Der 1938 geborene Sohn vonL. be-stätigte die Charakterisierung seinesVaters als überzeugten Nationalsozia-listen, der sehr unbeherrscht und auto-ritär gewesen sei. Er erinnerte sich,daß sein Vater kurz nach Kriegsendelängere Zeil „verreist" gewesen sei.Seine Eltern hätten kaum über dieZeit zwischen 1933 und 1945 gespro-chen. Die Entlassung bei Menck habesein Vater allerdings nicht verstehenkönnen,da er doch —

so wurde demSohn erzählt — vom Schutz einigerJuden bzw. Kommunisten im Betriebgewußt und trotz seiner Positionnichts dagegenunternommen hätte.79 Interview Stadermann/Gössing,19.1.1981 und Interview Cordes,22.10.1987.

linke Seite:Für das Entnazifizierungsverfahrenausgefüllter Fragebogen des DAF-Be-triebsobmannesL.. Insgesamt mußten132Fragen nach derpersönlichenundpolitischen Vergangenheit beantwor-tet werden (PrivatbesitzFamilie L.).

„Kruse ist da, Ma-schinen aus"80 —Ein Streik für eineandere Entnazifizie-rung

Nicht für alle Ottenser Industrielle war dieEntnazifizierung soproblemlos wie für Adolf Vogler. Als im Juli 1947 der von denEngländern und einem deutschen Berufungsausschuß entnazi-fizierte Mitbesitzer der Präzisionswerkzeugfabrik Fette denVersuch machte, seinen Betrieb wieder zu übernehmen, streik-ten die Arbeiter dieses ehemaligen nationalsozialistischenMu-sterbetriebes fünf Tage gegen die Wiedereinsetzung. Dem Ei-gentümer Hans Kruse warf die Belegschaft vor, daß auf seineVeranlassung hin mehrfach Arbeiter wegen sogenannter „Ar-beitsverweigerung" an die Gestapo übergeben worden waren.Zudem habe er die Mißhandlungen von Zwangsarbeitern ge-duldet und die Vergewaltigung einer ausländischen Arbeiterinin seinem Betrieb nicht geahndet. Der „Betriebsführer" vonFette war also teilweise selbst — anders als Vogler, der dies demDAF-Betriebsobmann überlassen hatte — bei der Disziplinie-rungseiner „Gefolgschaft" tätig geworden.

Erreicht wurde mit dem Streik, der starken Widerhall fand,die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Kruse. So war u.a.die Belegschaft von Menck & Harnbrock mit denForderungen

80 HVZ, 14.4.1948.

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bei Fette solidarisch. Die Hamburger Werftarbeiter beschlos-sen, einenhalben Stundenlohn für die Streikkasse zu spenden.Die Altonaer SPD und KPD sandten Solidaritätsadressen, indenenbeideParteien die endgültige Entfernung vonKruse for-derten. Die Vertreterversammlung der IG Metall in Hamburgsah den Streik als berechtigt an und bezeichnete ihn als Bei-spiel für einen Erfolg durch Solidarität.81 Im März 1948 ver-suchte Kruse erneut, obwohl er immer noch nicht entnazifi-ziert war, dieLeitung des Betriebes zu übernehmen. Mit einemeinmonatigen Streik gelang es der Fette-Belegschaft, Krusebiszum Berufungsspruch aus dem Betrieb fernzuhalten.82 Offen-sichtlich fiel dieser Spruch für ihn positiv aus, denn 1949 warKruse wieder inderLeitung seinerFirma tätig.B3

Politisch war die Belegschaft, wenn man die Parteizugehö-rigkeit der gewähltenBetriebsratsmitglieder betrachtet,bei Fet-te genau wie die von „Menck" sozialdemokratisch orientiert.Ausschlaggebend für das Verhalten einer Belegschaft in einemEntnazifizierungsverfahren gegen Unternehmer scheint dem-nach nicht die parteipolitische Neigung der Arbeiter, sondernstark das „Betriebsklima" gewesen zu sein. Dieser These sollim folgenden Abschnitt am Beispiel Menck & Hambrocksnachgegangen werden.

81 HVZ vom 7., 11. und 30.7.1947.Auch das Mitteilungsblatt der sozial-demokratischen Betriebsgruppen inHamburg, der „Weckruf" berichteteam 10.4.1948 über Fette.82 HVZ, 17.3.und 14.4.1948.83 HVZ, 22.2.1949. Kruse wird hierals Ansprechpartner des Betriebsratesbei Fettegenannt.

„Wir waren ganz,ganzstark damals"oder „Das Wohl derFabrik und der Beleg-schaft, das wardochimmer unser Streben"

Ähnlich wie es Alexander vonPlato in seiner Untersuchung fürdie sozialdemokratischen Betriebsräte im Ruhrgebiet ermittelthat84,nutzte auch der Betriebsrat bei Menck & Harnbrock sei-ne Position dazu, die für die Nachkriegszeit wichtigen Versor-gungsfragen der Arbeiterschaft zu regeln. Solche „Kartoffelbe-triebsräte" (v. Plato) hatteninaller Regel starken Rückhalt undgenossen das Vertrauen der Belegschaft. Bei denersten regulä-ren Wahlen zum Betriebsrat im Jahre 1946 wurdenbei Menck& Harnbrock fünf Sozialdemokraten, ein Kommunist und einParteiloser von der Belegschaft gewählt.85 Nach der Erinne-rung von Walter Stolte waren dies alles qualifizierte Arbeiterund Angestellte, die schon länger beiMenck gearbeitet hatten.Obwohl dieKommunisten 1945 die ersteInitiativeergriffen hat-ten, hielt die Dominanzder Sozialdemokraten unter der Arbei-terschaft bei den folgenden Wahlen an. Das Verhältnis zwi-schen SPD- und KPD-Anhängern war, so erinnerte sichWalterStolte, in den Jahren der Nachkriegszeit kollegial.B6 Sozialde-mokraten und Kommunisten hatten Ende 1945 bei Menck ei-nen Aktionsausschuß für die Einheitsbewegung gegründet, indem sie zusammenarbeiteten.87 Die Bestrebungen der KPD, inHamburg eine „Einheitspartei" zu gründen, stießen allerdingsbei der sozialdemokratischen Mehrheit imBetrieb ab 1946 wiefast überall in Hamburg auf wenig Resonanz. Beide Parteienhatten in der Firma Betriebsgruppen für ihre Mitglieder unterder Belegschaft ins Leben gerufen. Die Betriebsgruppe derKPD hatte zusätzlich zum Betriebsausschuß und der Delegier-tenkonferenz noch einen eigenen Produktionsausschuß in derFirma gebildet, der ständig überwachen sollte, „daß die vor-handenen Möglichkeiten voll für die Friedensproduktion aus-genutzt werden.""" EineBetriebsgruppe der SPD, zuderen spä-

84 Alexander von Plato, Nachkriegs-sieger. In: Lutz Niethammer (Hrsg.),„Hinterher merkt man, daß es richtigwar, daß es schiefgegangen ist." Nach-kriegserfahrungen im Ruhrgebiet, Ber-lin/Bonn 1983,S. 311-359.85 HVZ vom3.7. und21.8.1946.86 Vor 1933 hatte die Betriebsgruppeder KPD mit der Verbreitung der So-zialfaschismusthese in ihrer Betriebs-zeitung eher einen Konfrontations-kurs gegen die SPD bei Menck ge-steuert. Vgl.: StO, Bestand M&H, DerroteBagger Nr. 4 vomJuli 1930.87 Rieckhof, 5.45; zu den Bestre-bungen für eine sozialistische Ein-heitspartei in Hamburg 1945/46 vgl.:Walter Tonnin, Der Traum von derEinheit, Hamburg 1990 (Hrsg.: Land-eszentrale für politischeBildung).88 Die Kader entscheiden alles! Nr. 3vom 29.1.1946, Hrsg.: KPD-Bezirkslei-tung Hamburg Wasserkante, Kaderab-teilung (Flugblätter im Besitz des Ver-fassers).

rechte Seite:Demonstration der KPD in Altonawährend des Hamburger Bürger-schaftswahlkampfesim Oktober 1946.Hinter dem Friedenstransparentgingdie Betriebsgruppe von Menck &Harnbrock. (Foto: Ernst ThalmannGedenkstätte).

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teren monatlichen Treffen 60-70 Personen kamen, wurde ver-mutlich Ende1945 inder Firmagegründet. B9

Die „große Politik" blieb bei Menck im Hintergrund. Eswurden vom Betriebsrat Kompensationsgeschäfte zugunstender Belegschaft initiiert und die Kantinenangelegenheiten imBetrieb geregelt. Probleme der Lohnzahlung — ob wöchentlichoder monatlich — löste man mit der Geschäftsführung. BeiEinstellungen und Entlassungen aus betrieblichen Gründenwurde mitgesprochen. Die Fürsorge für die Belegschaft beiMenck & Harnbrock scheint recht erfolgreich gewesenzu sein,denn die Abwesenheitsquote der Arbeiter lag nach einer Um-frage desDeutschen Metallarbeiterverbandes im Juli 1946 weitunter dem Durchschnitt der Hamburger Metallbetriebe. Nurinsgesamt 17°/ o der Belegschaft waren wegen Krankheit(8-9%), Urlaub (4%) oder aus sonstigen Gründen (4°70) abwe-send. Bei der Bahrenfelder Elektromotorenfabrik Conz warenes dagegen 38% der Belegschaft, die aus den dreiangegebenenGründen nicht am Arbeitsplatz waren.90 Im Krisenjahr 1947,in dem sich die Versorgungslage der Bevölkerung dramatischverschlechterte, stieg der Arbeitsausfall aber auchbei Menck &Harnbrock auf täglich 25°70 an. Vom Arbeitsplatz abwesendmußten diejenigen sein, die die üblichen Alltagsprobleme derNachkriegszeit individuell lösen wollten. Das gemeinschaftli-che Organisierenmit Hilfe desBetriebes war dagegen meist ef-fektiver. Hätte es aus dieser Erfahrung heraus nicht nahege-standen,dieBetriebeindieeigeneRegie zu übernehmen?

„Und dann war jadamals gleich zu Anfang, davon sprecheich jetzt, auch das Problem der Sozialisierung. Ja, also die an-deren wußten jaauch nicht genau, was wird ... Unddann wur-den wir beiden, Hermann Arnecke und ich, gefragt, ob wir

89 Rieckhof, S.45 und9190 Archiv der Forschungsstelle für dieGeschichte des Nationalsozialismus inHamburg, Bestand 554-2-2. Zu Pro-blemen des Alltags und der Versor-gung in Hamburg siehe: MichaelWildt, Der Traum vom Sattwerden.Hunger und Protest, Schwarzmarktund Selbsthilfe in Hamburg 1945--1948,Hamburg 1986.

Die Ottenser SPD am 1.Mai1946, aufdem Weg zur ersten freien Maikund-gebung in Hamburg seit 1933 (Foto:G.Ehrlich).

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denn auch dafür wären, daß Menck & Harnbrock sozialisiertwürde. Ja, haben wir gesagt, warum nicht? Da gab es keineandere Antwort drauf. Ja aber wieso? Und dann wollte mannun genau wissen, wie wir uns das vorstellen. Ich sag, wir stel-len uns gar nichts vor. Wir lassen die Dinge auf uns zukom-men, und wenn sich dieMöglichkeitbietet undes muß so sein,dann wirdsozialisiert."9'

Wenn die Sozialisierung von Industriebetrieben wie Menck& Harnbrock nach 1945 eine Alternative unter den Bedingun-gen der Besatzungspolitk gewesen wäre,hätten aber Betriebsratund Entnazifzierungsausschuß einen anderen Weg als den derKooperation und des Konsenses mit der Geschäftsführung ein-schlagen müssen. Analogzu den amerikanischenEntnazifizie-rungsvorstellungen hätte imFall Vogler der Vorwurf der Nutz-nießerschaft am NS-System erhoben werden können. Auf-grund der Rüstungskonjunktur waren die persönlichen Ein-künfte des Geschäftsführers von 13.800 RMim Jahre 1933 auf244.120 RM im Jahre 1943 gestiegen. Als Grund für diesenAnstieg gab Vogler seine Beteiligung an den GußstahlwerkenWolgast an.92 Der soziale Tatbestand des „Kriegsgewinnler-tums" spielte aber selbst bei den Verfahren in der amerikani-schen Zone eine nur untergeordneteRolle, daß es unrealistischwäre, die Nichtanwendungdieser Argumentationden „Menckern"heute vorzuhalten.93

Der geschäftsführende Gesellschafter Adolf Vogler wußte,daß er nach dem Ende des Nationalsozialismus 1945 den Be-triebsausschuß, obwohl dessen Macht zunächst nicht legiti-miert war, als Vertretung der Arbeiter anerkennen und mit ihmzusammenarbeiten mußte, um möglichen Angriffspunkten derArbeiter gegen ihn zuvorzukommen. 1946 wurde die Grün-dung von Betriebsräten und deren Rechte im KontrollratsgesetzNr. 22 geregelt.94 Die präzise Ausformulierung blieb dabei denbesonderen Betriebsvereinbarungen überlassen. In einem Ent-wurf für die Übereinkunft bei Menck & Harnbrock, den Vogler1946 vorlegte, sollte dem Betriebsrat — wie es der Kontrollratin seinen Rahmenbedingungen vorgesehen hatte — das Recht-gegeben werden, „mit den Behörden zur Verhinderung einerRüstungsproduktion und bei der Denazifizierung zusammen-zuarbeiten."95 Fragen der Entnazifizierung waren für Voglervon Bedeutung, wenn es darum ging, qualifizierte Kräfte in derFirma zu halten. So setzte er sich für einen belasteten Abtei-lungsleiter ein, den der Entnazifizierungsausschuß entlassenwollte. Vogler erreichtenoch im Oktober 1946 in Übereinstim-mung mit dem Ausschuß, daß den englischen Behördennureine dienstlicheMaßregelung empfohlen wurde.96

Die im Januar 1947 schließlich abgeschlossene Vereinbarunghat den zitierten Passus nicht mehr. Dies weist darauf hin,daßder Entnazifizierungsausschuß vom Betriebsrat als nicht mehrnotwendig angesehen wurde, da er seine Aufgabe zu diesemZeitpunkt scheinbar erfüllt hatte. Dafür war von der Arbeit-nehmervertretung durchgesetzt worden, daß sie ein grundsätz-liches Mitwirkungsrecht „an der Planung und Entfaltung derProduktionsweise, sowie der Preiskalkulation des Betriebes

91 InterviewStolte, 30.4.1986.92 StO, M&H, Entnazifizierungsaus-schuß, Anlage zumFragebogen Vogler.93 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik,S. 591.94 Zum Kontrollratsgestz Nr. 22 vglFichter,533ff.95 StO, M&H, Akten des Betriebsra-tes, Entwurf/Vg/Ib.M StO, M&H, Entnazifizierungsausschuß, Schreiben vom 1.10.1946.

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[habe].Ferner ist dem Betriebsrat die Jahresbilanz zugängigzumachen und zu erklären [!]" Außerdem durfte der Betriebsratzu Informationszwecken mit zwei Vertretern an der Gesell-schafterversammlung teilnehmen.97 Über denRahmendesKon-trollratsgesetzes Nr. 22 gingen aber weder Voglers Entwurfnochdie schließlich getroffene Betriebsvereinbarunghinaus.

Um zu verstehen, warum sich das Verhältnis zwischen Be-triebsrat und Geschäftsführung nach 1945 fast konfliktfreientwickelte, istes sinnvoll,dieEinschätzung von Walter Cordesüber seine „Gegner" zuhören:

„Meine erste Betriebsversammlung, die ichals Geschäftsfüh-rer hatte, dasmuß imNovember 1946 gewesensein. Da war deralte Ewers Betriebsratsvorsitzender und der hielt dann seinenSpeech und dann kam ich als Geschäftsführer. Ich mußte daeinen Geschäftsbericht abgeben. Das tat ich, so gut ich konnteund dann kam der Radtke. Und der pöbelte da oben rum.Dannging ich mit ihm durch die Halle raus undsagte: ,SagenSiemal Herr Radtke, was ist denn dasbloß? Warum haben Siedenn so ... aggressiv reden müssen?' Da sagt er: .Lieber HerrCordes, dasmuß ich sagen, aber Sie brauchen sich nichts dabeizu denken!' Und das war also für mich sehr aufschlußreichund das habe ich auch nie vergessenund deswegen, wenn dannspäter das mal etwas ausfallend war, dann habe ich mir dabeiauch nichts mehr gedacht. Nein, aber Radtke war im Grundegenommen ein doch ganz honorigerMann. Insofern, wenn er

97 StO, M&H, Akten des Betriebsra-tes,Betriebsvereinbarung vom14.1.1947.

Der Betriebsrat von Menck & Har-nbrock mit einer englischen Gewerk-schaftsdelegation im Jahre 1950. MitAusnahme von Paul Kniep, der derKPD angehörte, waren alle BR-Mit-glieder Sozialdemokraten. Von links:Paul Kniep, Robert Ewers (Vorsitzen-der), Artur Dose, engl. Gast, WalterStolte, engl. Gast, Hermann Hanne-man, Wilhelm Musa, Peter Brüning,Hermann Arnecke (stellv. Vorsitzen-der)(Foto: W. Stolte).

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Kommunist war, na ja. ... Die Sozis ... ich muß sagen, mit de-nen konnte man doch immer gut auskommen ... [Sie] warendoch alles honorige Leute, die sicher ihre Weltanschauung hat-ten, die ein bißchen anders war, aber sie waren doch für denBetrieb genauso da ... Das Wohl der Fabrik und der Beleg-schaft, das war doch immer unser Streben. Und ich meine, mitArnecke [Patentingenieur und zeitweise Betriebsratsvorsitzen-der, G.K.] hatte ich viele Gespräche unter vier Augen unddannhaben wir gesessen, was machen wir nun? Wie lösen wir dasProblem am besten? Und ich weiß, Arnecke hat mir dann maleinen Tip gegeben ... Also da waren nicht irgendwelche Bösar-tigkeiten dabei ... Ernste oder verbissene, verbitterte Auseinan-dersetzungen haben wir eigentlich nie gehabt. Der Kern derBelegschaft waren teilweise zweite oder dritte Generation. DerVater war da, der Großvater war da. Das war ja doch imGrunde genommen auch ein bißchen die Hefe in der Beleg-schaft?9*

Deutlich wird, daß der heimliche Lehrplan der Nachkriegs-zeit im Betrieb schonauf diesozialpartnerschaftlich ausgerich-tete „Menck-Familie" der 50er und 60er Jahre hinauslief. DasPrinzip der leistungsbezogenen Betriebsgemeinschaft aus derNS-Zeit wurde fast bruchlos übernommen und von derStammbelegschaft für den Wiederaufbau akzeptiert. MichaelFichter kommt inseiner Untersuchung über dieBetriebsräte imStuttgarter Raum zu dem Schluß, daß vor allem die Identifika-tion mit dem Betrieb eine wesentliche Voraussetzung für den„Wiederaufbaupakt" zwischen Facharbeiter und Betriebslei-tunggewesen sei.99 Die Einschätzung von W. Cordes über seineAnsprechpartner aus der Arbeiterschaft weist schon auf Fich-ters Einschätzung hin. Der Geschäftsbericht von Menck &Harnbrock für das Jahr 1948/49 bestätigt diese These. Dortheißt es:

„Diefür denBerichtsabschnitt zu verzeichnende Wiederher-stellung des Werkes und damit die Rückkehr zur Rentabilitätdes Unternehmens wurden ermöglicht durch die interessierte,gelegentlich auch zu Opfern bereite Mitwirkung der Beleg-schaft, und durch den Willen zur positiven Leistung, mit demdie Belegschaftsvertretung an die zu lösenden Fragen heran-ging, so daß auch ernstere Differenzen immer durch gütlicheEinigungbereinigt werdenkonnten."'00

Zwanzig Jahre später, zur 100-Jahrfeier vonMenck & Har-nbrock schrieb Walter Cordes ineiner Jubiläumsschrift:

„Die dritte Generation inder Gründerfamilie und vielerMit-arbeiter erbte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Trümmerhau-fen. Die Einsatzbereitschaft der noch lebenden Belegschaft gabdenMut, unddie Verantwortungfür die treu zum Werk halten-den Mitarbeiter gab die Kraft, den Wiederaufbau und dieModernisierung von Werkstätten und Büro in Angriff zu neh-men, nachdem die Gefahr einer Demontage zu Gunsten derRussen abgewendet war."'0'

Daß der für den Wiederaufbau wichtige Stamm an qualifi-zierten Facharbeitern in der Nachkriegszeit loyal zu Menck &Harnbrock hielt,ist einTeilder damals80jährigen Firmentradi-

98 Interview Cordes,22.10.198799 Fichter, S. 549.100 StO, M&H, Geschäftsbericht fürdas Jahr 1948/49. Der wirtschaftlicheErfolg zeigt sich in der Bilanzsummevon über 14,2 Millionen DM, darinenthalten sind 8,6 Millionen DM fürVerkaufserlöse.101 StO, M&H, Walter Cordes, 100Jahre Menck & Harnbrock,S. 3f.

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"Wegen des Treibstoffmangels mußtendie Firmenwagen in der Nachkriegs-zeit mit Holzgas angetrieben werden.(Foto: W. Cordes).

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tion. Die Arbeiter der Firma hatten immer Bewußtsein als„Mencker" und waren seit der Gründung des Betriebes zumeinen durch Sozialleistungen und zum anderen aber auchdurch eine Aussiebung nach Leistungsfähigkeit, Fleiß, Diszi-plin und politischer Zuverlässigkeit an den Betrieb gebunden

Betriebsbesichtigung durch die Otten-ser und die Familienmitglieder derArbeiter anläßlich der Jubiläumsfeier„50 Jahre Menck — Löffelberg"imJahre 1951.(Foto: StadtteilarchivOttensen e.V.).

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worden. Das Prinzip von „Zuckerbrot und Peitsche" stammtevon Johannes Menck, dem Firmengründer. Als Multifunktio-när der Arbeitgeberverbände im Kaiserreich hatteer bis zu sei-nem Tode 1919 einen harten Kampf gegen GewerkschaftenundSozialdemokraten geführt. 102 In seinem eigenen Betrieb gab esschon seit 1872 die „Beamten- und Arbeiter-Unterstützungs-kasse", eine Krankenkasse,die den Arbeitern für damalige Zei-ten vorbildliche Leistungen gewährte.Diese Firmenpolitik wur-de von seinen Söhne Carl und Hans Menck in der WeimarerRepublik fortgesetzt. Als „Betriebsführer" bzw. Wehrwirt-schaftsführer konnte Adolf Vogler bruchlos an diese Traditionanknüpfen und die „Gefolgschaft" seines Rüstungsbetriebesmit Freistellung vom Kriegsdienst an sich binden. Bescheidenesoziale Aufstiege wurden diesen Arbeitern ermöglicht: Nichtnur Walter Stolte wurde vom Lohn- zum Gehaltsempfänger„befördert".

Die zivile Produktion war nach 1945 nur langsam angelau-fen. Bagger konnten zunächst nur wenige hergestellt werden,da die Firma aufgrund der Rüstungsproduktion dafür fast kei-ne Teilemehr aufLager hatte.103 Die vonknapp 1.900Mitarbei-tern bei Kriegsende auf durchschnittlich 850 Personen im Jah-re 1948 geschrumpfte Belegschaft war mit Aufräumarbeiten,der Reparatur beschädigter Werkzeugmaschinen und der Her-stellung von Fleischereimaschinen beschäftigt. Hinzu kamenAufträge zur Reparatur von Baggern. Im besonders hartenWinter 1946/47 mußte die Arbeit im Werk wegen der großenKälte eingestellt werden. Um die Jahreswende 1948/49 wurdebei Menck dieAkkordarbeit wieder eingeführt und Ende 1949war das infolge von Luftangriffen zu 60°70 zerstörte Werk fast

102 Vgl.: Hans-Kai Möller, Schützen-grabenlöffelbagger und Schrebergär-ten. Rüstungsproduktion und Kriegs-fürsorge der Ottenser Maschinenfa-brik Menck &Harnbrock währenddesErsten Weltkrieges, in: Ingwer E.Mommsen (Hrsg.), Schleswig-Hol-steins Weg in die Moderne, Neumün-ster 1988,S. 195-218."u Interview Cordes, 22.10.1987.

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völlig wiederhergestellt. Die Einführung der DM am 20. Juni1948 gilt inder Firmengeschichte, wie im Bewußtsein fast allerZeitgenossen, als die große Wende, „die der Firma wieder einsinnvolles Arbeiten ermöglichte."'04 Fünf Jahre später wurdeMenck & Harnbrock im Altonaer Tageblatt als ein „Spiegelbilddes deutschen Wunders" bezeichnet.

„DirektorAdolf Voglerführte uns durch seinen Betrieb, des-sen Chronik der letzten 85 Jahre die Geschicke unseres Volkeswiderspiegelt. Was dem Fremden ein .deutsches Wunder' er-scheint, hier wird es deutlich, wieviel Kleinarbeit, Organisa-tionskunst, Fleiß und Talent nötig waren, um DeutschlandswirtschaftlichenRuf wiederherzustellen.

Nahezu 1500 Angestellte und Arbeiter finden bei Menck &Harnbrock Lohn und Brot. Saubere, helle Arbeitsräume undzweckmäßige Anlage der Betriebseinrichtungen erleichtern dieoft harte Arbeit der Männer an Drehbank und Schraubstock.Der Lohn blieb nicht aus: Rund 45% der OttenserErzeugnissewerden inalleTeile der Welt exportiert.

Und was sind das für Menschen, die hier unermüdlich schaf-fen? Wir haben einen der Männer herausgegriffen, weil er undseine Haltung Zeugnis ablegen kann für all die anderen 1500.Es ist Willy Bank, mittelgroß, kräftig, untersetzt. Durch diestarken Brillengläser blicken ein paar kluge braune Augen indie Welt. Das dunkleHaar beginnt schütter zu werden. Mit ru-higer Souveränität führt diekraftvolle Hand die Feile. Er mag50Jahre alt sein.

Seit 32 gehört er dem Betrieb an. 1922 begann er amSchraubstock. Vertrauen gegen Vertrauen ist seine unausges-procheneLosung. Vertrauenführte ihnauch indenBetriebsrat, wo er die Interessen der Arbeiterschaft vertritt. Als wirihnnach dem Betriebsklima fragten, antwortete er nur: ,Die32Jahresagengenug!'"'° 5

104 StO, M&H, W. Schattiger, 100 Jah-re Menck & Harnbrock, unv. Manus.1968, S. 16. Walter Cordes betonte imInterview die Beständigkeit der vorder Währungsreform produziertenSachwerte auch über den 20. Juni1948 hinaus.105 Zit. nach: Asmus Henkel,Die 50erJahre in Ottensen, Hamburg 1989(Hrsg.: Kulturbehörde Hamburg, Re-ferat Stadtteilkultur).

Zusammenfassung Von einer öffentlichen politischen Tätigkeit für die NSDAPoder eine ihrer Organisationen hielt sich Vogler im Betriebfern. Die „Peitsche" zur Diziplinierung der Arbeiter inder Fir-ma konnte im Gegensatz zu anderen Industriellen zwischen1933 und 1945 in Ottensen den DAF-Betriebsobmann L., ei-nem „unanständigen" Nazi, überlassen. Bei der Entnazifizie-rung führte diese Arbeitsteilung in einen „anständigen" undeinen „unanständigen"Nationalsozialisten,die z.T.der Lebens-erfahrung unter der totalitären Herrschaft entsprach, zur be-schriebenen Entscheidungdes Ausschusses.106 Das Beispiel derFirma Fette zeigt, daß Belegschaften unter bestimmten Bedin-gungendurchaus bereit waren, sich gegenUnterneemer zu weh-ren.Bei Menck & Harnbrock vertrauten die mit der Entnazifi-zierung beauftragten Arbeiter beim notwendigen Wiederauf-bau des Betriebes auf die Kompetenz und die traditionellenBeziehungen Voglers zur Besatzungsmacht. Die Entnazifizie-rung des „anständigen" Voglers wurde von einem Ausschußdurchgeführt, der im Betrieb erst 1946 von den Engländern,also den Siegern, eingesetzt worden war. Diese betrieben dievon den Alliierten vorgesehene politische „Säuberung" gegen-106 Vollnhals, S. 60.

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über den benötigtenFachleuten trotz anderslautender Bekun-dungen halbherzig. Warum sollten also Deutsche, selbst wennsie als politisch bewußte Arbeiter eine partielle Resistenz ge-genüber der Volksgemeinschaftsidelogie des Nationalsozialis-mus gewahrt hatten, moralisch rigoroser verfahren, wenn der„Chef" zudem nach dem Prinzip der „human relations" aufihre nachkriegszeitlichen Alltagsbedürfnisse einging undschwer anzweifelbare „Persilscheine" vorlegte? Das bei derStammbelegschaft von Menck & Harnbrock zum Teil übermehrere Generationenhin geprägte Bewußtsein von der Loyali-tät zum Betrieb war eher auf die Zukunft und die Mentalitätdes Wiederaufbaus als auf klassenkämpferische Aktionen zurTransformationder Gesellschaft ausgerichtet.

Eine Neuordnung bzw. Demokratisierung der gesellschaftli-chen Verhältnisse über den Weg der Entnazifizierung ist nichtnur „von oben", zunächst durch die Interessen der jeweiligenBesatzungsmachtund nach Gründung der Bundesrepublik mitder Intergrationspolitik gegenüber belasteten Nazis, sondernauch „von unten" verhindert worden.

Für Hinweise bedankeich michbei I.Döll-Krämer,K. Dom-scheit,P. Freimark,K.-J.Lorenzen-Schmidt und A.Rieckhof.

Die erfolgreiche „Menck-Familie":1955 wird der Entnazifizierer WalterStolte, nun als Betriebsrat, zumDienstjubiläum des ehemaligenWehrwirtschaftsführers Adolf Vogler

eingeladen.(Original: Stadtteilarchiv Ottensen c.V.).

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