Krankenpflege im Dritten Reich - · PDF fileDie gesellschaftspolitische Rolle der...

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Die gesellschaftspolitische Rolle der Krankenpflege im Nationalsozialismus Autor Markus Degner Institut Hans-Weinberger-Akademie, München Erschienen KPDL 1995/1997 Sonstiges Heimarbeit im Fach Berufskunde, Dozentin Martha Pfünder- Götz Inhaltsverzeichnis Einleitung Definitionen Geschichtliche Entwicklung vor 1933 Die Weimarer Republik Krankenpflege im Dritten Reich Die Umgestaltung der Organisation der Krankenpflege "Dienst am VolkAus der Geschichte lernen Literaturverzeichnis Einleitung 50 Jahre sind es jetzt seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch die Allierten und damit auch seit der Zerschlagung der Nationalsozialistischen Diktatur. Dies kann Anlaß genug bieten um die Rolle der Krankenpflege in dieser Zeit zu hinterfragen. Viele Aspekte müßten dabei aufgezeigt werden um sich ein ungefähres Bild über die damalige Situation erlauben zu können. Falsch wäre es nur mit erhobenen Zeigefinger die zu jener Zelt an der Pflege Beteiligten zu schelten. Dies führt uns in unserer Entwicklung nicht weiter. Richtiger wäre es allgemeingültige Zusammenhänge zu erkennen und aus der Geschichte für die heutige Zeit und die Zukunft zu lernen Was spricht also aus heutiger Sicht dafür, uns mit diesem Thema zu beschäftigen? Folgende Thesen lassen sich dabei aufstellen, die anhand der Situation der Krankenpflege im Nationalsozialismus beweisbar sind: - Die Krankenpflege hat hingegen weitläufiger Meinungen immer eine Verbindung mit der Politik. - Der Umgang einer Gesellschaftsordnung mir ihren Kranken und Behinderten und damit auch mit den Pflegenden ist Spiegelbild der jeweils vorherrschenden Moral und Ethik. - Die Wunschvorstellung nach einer einheithch und in sich geschlossenen wirkenden Pflege ist kritisch zu überdenken. Wie auch die Recherchen zu dieser Arbeit zeigten, gibt es recht wenige frei und leicht zugängliche Quellen zur Krankenpflege im Nationalsozialsmus und demonstriert im Gegensatz

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Die gesellschaftspolitische Rolle der Krankenpflege im Nationalsozialismus Autor Markus DegnerInstitut Hans-Weinberger-Akademie, MünchenErschienen KPDL 1995/1997

Sonstiges Heimarbeit im Fach Berufskunde, Dozentin Martha Pfünder-Götz

Inhaltsverzeichnis Einleitung Definitionen Geschichtliche Entwicklung vor 1933 Die Weimarer Republik Krankenpflege im Dritten Reich Die Umgestaltung der Organisation der Krankenpflege "Dienst am Volk“ Aus der Geschichte lernen Literaturverzeichnis

Einleitung 50 Jahre sind es jetzt seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch die Allierten und damit auch seit der Zerschlagung der Nationalsozialistischen Diktatur. Dies kann Anlaß genug bieten um die Rolle der Krankenpflege in dieser Zeit zu hinterfragen.

Viele Aspekte müßten dabei aufgezeigt werden um sich ein ungefähres Bild über die damalige Situation erlauben zu können. Falsch wäre es nur mit erhobenen Zeigefinger die zu jener Zelt an der Pflege Beteiligten zu schelten. Dies führt uns in unserer Entwicklung nicht weiter. Richtiger wäre es allgemeingültige Zusammenhänge zu erkennen und aus der Geschichte für die heutige Zeit und die Zukunft zu lernen

Was spricht also aus heutiger Sicht dafür, uns mit diesem Thema zu beschäftigen? Folgende Thesen lassen sich dabei aufstellen, die anhand der Situation der Krankenpflege im Nationalsozialismus beweisbar sind:

- Die Krankenpflege hat hingegen weitläufiger Meinungen immer eine Verbindung mit der Politik.

- Der Umgang einer Gesellschaftsordnung mir ihren Kranken und Behinderten und damit auch mit den Pflegenden ist Spiegelbild der jeweils vorherrschenden Moral und Ethik.

- Die Wunschvorstellung nach einer einheithch und in sich geschlossenen wirkenden Pflege ist kritisch zu überdenken.

Wie auch die Recherchen zu dieser Arbeit zeigten, gibt es recht wenige frei und leicht zugängliche Quellen zur Krankenpflege im Nationalsozialsmus und demonstriert im Gegensatz

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zu der doch ins Laufen gekommenen Aufarbeitung der Medizin in dieser Zeit, den Nachholbedarf im Bereich Pflege deutlich. Mehr ist die Auseinandersetzung mit dieser Materie wenigen Engagierten vorbehalten, wobei aber gerade an Krankenpflegeschulen (je nach Träger) ein Umdenkungsprozeß stattzufinden scheint. Das läßt für die Zukunft hoffen.

Aus der Erkenntnis heraus, daß eine umfassende Aufarbeitung der Krankenpflege im Nationalsozialismus im Rahmen dieser Arbeit nicht einmal ansatzweise möglich ist, wird manches unvollständig bleiben müssen und einzelne Probleme nur kurz angesprochen werden können. Sinn dieser Arbeit soll sein, anhand der damaligen Entwicklung darzustellen, in welchem Maße Politik und Krankenpflege zusammenhängen und ein waches Bewußtsein dafür zu schaffen.

Definitionen Zum besseren Verständnis der Worte, die im Titel aber auch immer wieder im Inhalt dieser Arbeit Verwendung finden, ist es sinnvoll deren Bedeutung aufzuzeigen.

● Unter Stichwort Sozialpolitik: "... Auch finanz-, wirtschafts-, bildungs- und gesundheitspolitische Auswirkungen haben; zielen diese Maßnahmen auf eine Änderung der Gesellschaftsstruktur (Sozialreform) ab, werden sie in ihrer Gesamtheit als Gesellschaftspolitik bezeichnet. (1)

● Krankenpflege: Betreuung eines Kranken durch Krankenpflegepersonal oder Familienangehörige. Die Krankenpflege besteht in der Unterstützung bei Körperpflege, Ernährung, Ausscheidung u.a., ferner in der Krankenbeobachtang (z. B. Messen von Temperatur und Puls) und in Maßnahmen der Krankheitsbehandlung (Verabreichen von Arzneimitteln, Injektionen, u.a.). (2)

● Nationalsozialismus: nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland aufgekommene, radikal völkisch-nationale, extrem chauvinistische und rassistische politische Bewegung sowie die darauf basierende faschistisch-diktatoriche Herrschaft im Dritten Reich 1933-45 (---> deutsche Geschichte). (3)

1.Quelle: Meyers neues Lexikon in 10 Bänden, 9. Band Seite 276, Redaktionsschluß 9. Band 5. Juli 1993; hrsg. u. bearb. von Meyers Lexikonredaktion. Meyers Lexikonverlag Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1993

2.Quelle: Der Brockhaus in fünf Bänden; achte, neu bearbeitete Auflage, Dritter Band Seite 248, hrsg. u. bearb. von Autorenkollektiv unter Ltg. von Dr. Annette Zwahr; F. A. Brockhaus-Verlag Mannheim/Leipzig 1993

3.Quelle: Siehe 2. Quelle Seite 682

Geschichtliche Entwicklung vor 1933 Die Weimarer Republik Nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges kam es in Deutschland 1918 zur Novemberrevolution, in deren Folge die Weimarer Republik entstand. Aus der Tatsache heraus, daß die Krankenpflege durch ihre Wurzeln im Bürgertum und in der Kirche geprägt war, nahm man die revolutionären Gedanken eher mit gemischten Gefühlen oder aber leisen Protest auf.

So sagte Agnes Karll, eine noch heute teils verehrte Krankenschwester (zum Beispiel durch den Deutschen Berufsverband für Krankenpflege) 1919: " Jetzt in der Überstürzung und dem Chaos des Augenblicks den Acht-Stunden-Tag zu velangen und unvernünftige Geldforderungen zu stellen, wie das in der Privatpflege der Großstädte geschieht, ist unseres Berufes unwürdig." (4) Allein dieser noch gemäßigte Satz zeigt den starken Einfluß

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bürgerlicher Moralvorstellungen die von Dienen, Selbstlosigkeit. Loyalität und Gehorsam geprägt waren. Dennoch entwickelte sich mit dem Beginn der Weimarer Republik eine Änderung des Kräfteverhältnisses zwischen einerseits kirchlich und berufsständischen Verbänden sowie andererseits den freien Gewerkschaften.

Im Gegensatz zur Zeit des Ersten Weltkrieges erfuhren nun die Gewerkschaften einen rapiden Zuwachs an Mitgliedern. Durch deren mutiges Auftreten und den stark gesunkenen Einfluß der Kirche ist es zu verdanken, daß die Zeit der Weimarer Republik zum Auftakt der Durchsetzung erster Berufsrechte in der Krankenpflege wurde. Wichtigste Forderung war die Einführung des Acht-Stunden-Tages, welche gerade auch unter den Pflegenden selbst zu heftigsten Diskussionen führte, weil mancher meinte, daß die Pflege der Patienten bei solch kurzen Arbeitszeiten nicht mehr in vollen Umfang gewährleistet werden könne. Ein vom Reichsarbeitsministerium 1920 eingesetzter Ausschuß lehnte mit neun gegen sechs Stimmen den Acht-Stunden-Tag ab. Im Jahr 1924 entstand daraus die bis vor kurzer Zeit noch gültige KRAZO (Verordnung über die Arbeitszeit in Krankenpflegeanstalten). Sieht man mal von einem Tarifvertrag eines Berliner Privat-Sanatoriums ab, der schon vor Beginn des Ersten Weltkrieges bestand, so ist die Weimarer Republik auch die Zeit der ersten Tarifvertäge in der Krankenpflege Deutschlands.

4.Quelle: Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7.völlig überarb. und erw. Auflage, Seite 41, hrsg. Hilde Steppe. Mabuse-Verlag Frankfurt 1993.

Erwähnenenswert ist, daß seit dem Beginn der Tarifgebundenheit männliche Pflegepersonen im Gegesatz zu den Frauen in der Pflege bei gleicher Quaiifikation ca. 30% mehr verdienten. Dabei waren 80% aller Pflegenden damals Frauen. Trotz der in berufspolitischer Hinsicht wichtigen eingeleiteten Neuerungen hatte sich an dem Rollenverständnis der Krankenpflege nicht viel geändert. Sie war in sich uneins, von der Ärzteschaft als billige Handlanger ausgenutzt und an der ldeologie des 19. Jahrhunderts festhaltend. Eine große Chance zur inneren Erneuerung wurde damit vertan. Durch das Ansteigen der Inflation, die damit zusammenhängende Erhöhung der Arbeitslosenzahlen und durch die We!twirtschaftskrise wurde erst recht jedes Streben nach Neuerung zum Mißlingen verurteilt. Letztlich scheiterte auch die Weimarer Republik an teils politischer Zersplitterung in kleine Parteien, an der überwiegend unpolitischen Haltung der Bevölkerung und vor allem am wirtschaftlichen Zusammenbruch der Regierung.

Krankenpflege im Dritten Reich Die Umgestaitung der Organisation der Krankenpflege

Nachdem Adolf Hitler am 30.1.1933 von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde, begann das eigentliche Unheil. Doch die Veränderungen in der Krankenpflege wurden bereits im Jahr 1932 eingeleitet, als die NS-Volkswohlfahrt (NSV) gegründet wurde, die die einflußreichste Organisation in der Krankenpflege werden sollte. Schon aus deren Zielsetzungen heraus zeigen sich die nach unserem Verständnis menschenverachtenden nationalsozialistischen Prinzipien und der Bruch zum bis dahin bestandenen Wohlfahrtsgedanken

1. Die Wohlfahrtspflege wird nicht bestimmt durch das Wohl des einzelnen, sondern durch das der Gemeinschaft.

2. Art und Maß der Unterstützung bestimmt sich nach der Würdigkeit des Unterstützten gemäß seiner Leistung für die Gesellschaft. (5)

Einen Tag vor der Aufnahme der NSV in die NSDAP, die auf persönliche Anordnung Hitlers geschah, wurden die freien Gewerkschaften (die geschichtlichen Vorläufer der heutigen ÖTV) aufgelöst und verboten. Dabei wurden viele Funktionäre verhaftet (2.5.1933).

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Um die in den Gewerkschaften organisierten PfIegenden in den beginnenden NS-Staat einzugliedern, wurden diese in der ,,Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) in die ,,Reichsbetriebsgemeinschaft öffentliche Betriebe" eingebunden. Dies geschah im Mai 1933.

Etwa zum selben Zeitpunkt wurde die "Reichsarbeitsgemeinschaft der Berufe im sozialen und ärztlichen Dienst eV." (RAG} gegründet. Sie war direkt dem Reichsinnenministerium unterstellt. In der RAG wurde unter anderem die "Reichsfachschaft Deutscher Schwestern und Pflegerinnen" sowie die ,,Reichsfachschaft für Krankenpfleger" geschaffen. Im Gegensatz zur DAF, die die arbeitsrechtlichen und tarifpolitischen Belange der Organisierten vertreten sollte, war die Aufgabe der Reichsfachschaft die Repräsentation berufsspezifischer Angelegenheiten. Gruppen von Schwestern, die keiner der beiden Organisationen beitreten wollten, lösten sich in der Regel selbst auf. Der Reichsfachschaft schlossen sich in recht kurzer Folge alle wesentlichen Schwesterngemeinschaften an, so daß sich innerhaib eines Jahres fünf große Gruppen der bis dahin nur selbständig tätigen Schwesternverbände herausbildeten.

5.Quelle: Die Schwester/Der Pfleger, 29. Jahrgang, Heft 5, Seite 363, Autor Hilde Steppe (Zitat nach Leitz, Gerstner, u.a.: Beitrag zum Thema Krankenpflege im deutschen Faschismus, unveröffentlichte Arbeit, Frankfurt 1983), Bibliomed-Medi- zinische Verlagsges. mbH, Melsungen 1990.

Diese Gruppen sind:

1. Berufsgemeinschaft (weltliche Schwestern, städtische Schwestern, Privatpflegerinnen). Die komissarische Leitung lag hier in den Händen der Reichsfachschaftsleiterin Schwester Amalie Rau, Mitglied der Berufsorganisation Agnes Karll

2. Diakoniegemeinschaft (Leiterin Schwester Auguste Mohrmann). In der Diakoniegemeinschaft waren sieben verschiedene Schwesternschaften der evangelischen Kirche zusammengefaßt.

3. Katholische Schwesterngemeinschaft Deutschlands (Leiterin Oberin Hollstein).

4. Rot-Kreuz-Schwesterngemeinschaft (Hier sind die Quellen widersprüchlich. Einige schreiben noch 1935, daß die Rot-Kreuz-Schwesternschaft nicht Mitglied der Reichsfachschaft sei.)

5. Schwesterngemeinschaft der NS-Volkswohlfahrt beziehungsweise NS-Schwestenschaft (6)

Durch diesen unvorstellbaren und noch nie in der Geschichte der Pflege dagewesenen Konzentrationsprozeß hatte nun die Regierung Hitlers über das Reichsinnenministerium aber bald auch über die Parteiebene der NSDAP direkten Zugang zu allen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens Deutschlands. Dabei spielten auch die vorhandenen Medien eine große Rolle. Innerhalb des Jahres 1933 haben nämlich die bis dahin bestehenden Fachzeitschiiften ihre Publikationen eingeste!lt und an deren Stelle traten die Zeitschriften der Reichsfachschaft. Sie hießen bis 1935 ,,Dienst am Volk“ und danach "Die deutsche Schwester“. Aus heutiger Sicht ist es schwer vorstellbar, wie die doch oftmals teils gegensätzlich in ihren ideologischen Auffassungen geprägten Schwesterngemeinschaften unter einem großen Dachverband existiert haben sollen.

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6.Quelle: Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7. völlig überarb. und erw. Auflage, Seite 64, hrsg. Hilde Steppe, Mabuse-Verlag Frankturt 1993.

Die Organisation der Krankenpflege stellte sich 1933 wie folgt dar:

(7)

Wie schon erwähnt,sollte die NSV zur mächtigsten Organisation in der Pflege werden. So erhebte sie seit dem Bestehen der eigenen Parteiorganisation innerhalb der NSDAP den Anspruch, das Sozial- und Gesundheitswesen vollständig aufeinander abzustimmen und damit auch zu kontrollieren. Diesem Ziel kam sie bereits 1933 schon ein ganzes Stück näher, indem sie die erste NS-Schwesternschule in Hannover eröffnete.

Abb. 1 nach 7.Quelle: Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7. völlig überarb. und erw. Auflage, Seite 63, hrsg. Hilde Steppe, Mabuse-Verlag Frankfurt 1993. Die Abbildung zegt aus Gründen der Übersicht nur einen Ausschnitt aus der damaligen Organisation der Pflege.

Dabei durfte schon zu damaliger Zeit die militärische Komponente in der Ausbildung nicht fehlen. So wurden während der dreijährigen Ausbildung neben der Erb-und Rassenlehre auch Luftschutz und Nachrichtendienst unterrichtet. Schon 1934 wurde innerhalb des NSV das Amt für Volkswohlfahrt mit der Gründung einer

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eigenen NS-Schwesternschaft beauftragt. Aus diesem Grund wurden die bis dahin bereits vorhandenen nationalsozialistischen Schwesternschaften, wie zum Beispiel die "Braunen Schwestern“ und die ,,Roten Hakenkreuzschwestern“ aufgelöst.

Eine weitere Phase der Gleichschaltung der Pflege begann, indem die Leiterin der nun noch recht neuen NS-Schwesternschaft Erna Mach, zu einer weiteren komissarischen Leiterin der "Reichsfachschaft deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ ernannt wurde. Dadurch hatte die NSDAP jemand in der Führung der Reichsfachschaft, der sein ganzes Tun darauf konzentrierte, die Position der NSV stetig auszubauen.

Folgende Worte von Erna Mach aus dem Jahr 1934 belegen das deutlich:

"Das Primat, Schwestern im Sinne Adolf Hitlers auszubilden und zu einer nationalsozialistischen Gemeinschaft zusammenzuschweißen, liegt deshalb einzig und allein bei der Schwesternschaft des NSV. Alle Schwesternarbeit der Zukunft wird sich deshalb nach den Gedanken und Methoden dieser Schwesternschaft zu richten haben.“ (8)

Erstmals erhielt die bis dahin "gelungene“ Gleichschaltung einen empfindlichen Rückschlag. Innerhalb der RAG kam es Anfang 1935 zum Gerangel um Kompetenzen, was schließlich zur Auflösung der Reichsarbeitsgemeinschaft führte.

Doch der Konzentrationsprozeß ließ sich dadurch nicht aufhalten. So wurden alle Fachschaften in die ,,Deutsche Arbeitsfront“ eingebunden und gleichzeitig aus der ,,Reichsfachschaft deutscher Schwestern und Pflegerinnen“ entstand der ,,Fachausschuß für Schwesternwesen in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfatrtspflege", der nun direkt der NSV unterstellt war. Es waren die gleichen Berufsverbände wie in der Reichsfachschaft vertreten.

Weiter wurde 1936 aus der ,,Berufsgemeinschaft der freien Verbände“ der "Reichsbund freier Schwestern“. Diese wurden auch bis dahin "Blaue Schwestern“ genannt. Im Gegensatz dazu hatten die Schwestern der NSV-Schwesternschaft den Beinamen "Braune Schwestern“. Erst im Jahr 1942 wurden NSV-Schwesternschaft und der Reichsbund freier Schwestern“ zum "NS-Reichsbund Deutscher Schwestern" zusammengelegt.

8.Quelle: Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7. völlig überarb. und erw. Auflage, Seite 62,hrsg. Hilde Steppe, Mabuse-Verlag Frankfurt 1993.

So stellte sich die Organisation des "Fachausschuß für Schwesternwesen" ab 1936 dar:

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Damit war im wesentlichen der Prozeß des Zusammenlegens der Berufsverbände abgeschlossen. Es war nun der NSDAP möglich, ihre Vorstellungen in allen Bereichen durchzusetzen.

"Dienst am Volk" Die Pflege im Krankenhaus blieb natürlich weiterhin die Hauptaufgabe der Krankenschwestern, wobei der Rückgang der Privatpflege zu dieser Zeit, die Notwendigkeit der stationären Pflege noch erhöhte. Dabei hatte sich an den Arbeitsbedingungen nicht viel geändert. Weiterhin hatten die Pflegekräfte überlange Dienstzeiten, bei oft katastrophal schlechter Besetzung. Die Höhe der Entlohnung richtete sich nicht nach Tarifverhandlungen, sondern wurde durch Verordnungen bestimmt. Ebenso hatten die Pflegenden meist keinen eigenen Arbeitsvertrag, sondern waren durch einen "Dienstleistungsvertrag" ihres jeweiligen Berufsverbandes an die Heilanstalt gebunden. Die Aufgabe der Krankenschwester nur allein Kranke zu pflegen, trat aber mit dem Aufkommen der NS-Schwesternschaft für die faschistische Regierung in den Hintergrund.

Abb. 2 nach 9.Quelle: Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7. völlig überarb. und erw. Auflage, Seite 63,hrsg. Hilde Steppe, Mabuse-Verlag Frankfurt 1993.

Vielmehr wurde sie zum ausführenden Organ, zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Vorstellungen in der Gesundheitsführung des deutschen Volkes, So wurde sie zur Gesundheitserzieherin besonders in der Gemeindeebene. Sie wachte über die Gesunderhaltung der Bevölkerung.

In dieser Aufgabe arbeitete sie oftmals sehr eigenständig und hatte eine wichtige Funktion inne. Sie gab unter anderem Ratschläge zur gesunden Lebensweise, mahnte zur Sparsamkeit, lehrte Hausfrauen das Kochen oder entschied zum Beispiel mit über die Vergabe von Kuren und mögliche Kinderlandverschickung. Doch dessen nicht genug hatte sie in dieser Position die Pflicht, Mißbildungen bei Kindern und ,,Verhaltensabnormitäten“ von Personen den übergeordneten Dienststellen mitzuteilen. Damit erlangte die Gemeindeschwester eine wichtige gesellschaftspolitische Rolle im NS-Staat,

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da sie in ihrer täglichen Arbeit inmitten der Bevölkerung direkten Zugang zu allen für die "Volksgesundheit“ relevanten Informationen hatte. So war die Gemeindeschwester mittelbar beteiligt an der ,,Erb- und Rassenpflege“, die letztlich dazu führte, daß eine ,,Auslese" zwischen "Werten und Unwerten Leben“ getroffen wurde. Dazu ist festzustellen, daß fast ausnahmslos Schwestern der NS-Schwesternschaft die Aufgabe einer Gemeindeschwester zugeteilt wurde und die NS-Schwestern trotz großer Propagandaanstrengungen 1939 gerade 9,2% der Gesamtschwesternzahl ergaben. (10)

Eine weitere wichtige Aufgabe war die Krankenpflege im Kriegsfall. Da das DRK personell stark mit dem Parteiapparat der NSDAP verstrickt war, lies man eine gewisse Eigenständigkeit des DRK zu. Wie bereits im Ersten Weltkrieg, hatte daher das DRK in der Kriegspflege eine Monopolsteltung. Dies änderte sich erst nach der Ausweitung der Kriegsgebiete, wobei nun auch ,,germanisch-freiwillige" (ausländische zum ,,Deutschtum“ bekennende) Schwesternhelferinnen zum Kriegspflegedienst zugelassen wurden. Ab 1942 wurde sogar jeder Berufswechsel von Krankenschwestern verboten.

Das Pflegepersonal im Kriegsdienst war von Anfang an voll überlastet und es gab auch kaum Möglichkeit den Dienst zu quittieren. Die zuvor geplante Bettenbelegung in Kriegslazaretten war besonders in der Zeit ab 1941- 42 um das zwei- bis vierfache überbelegt. Dementsprechend hoch war die Zahl der Selbstmorde und Kranken unter dem Pflegepersonal selbst.

10.Quelle: Bundesarchiv Koblenz, NS 37-1940, aus Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7. völlig überarb. und erw. Auflage, Seite 65, hrsg. Mabuse-Verlag Frankfurt 1993.

Der Zweite Weltkrieg zog nicht nur die Kriegskrankenpflege nach sich, sondern auch die Krankenpflege in den besetzten Gebieten. Hierbei waren Krankenschwestern auch in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen tätig. Dabei sollten sie deutsch-nationalsozialistische Werte vermitteln.

Das dunkelste Kapitel ist mit Sicherheit die Beteiligung der Krankenpflege an der "Euthanasie" des Dritten Reiches. Hier hatte sich Krankenpflegepersonal an unterschiedlichsten Orten der Mittäterschaft schuldig gemacht, wenn auch in der Regel dies auf Anforderung des jeweiligen Arztes geschah. So wurden Krankenschwestern in Anstalten eingesetzt, die man extra für die Vergasung umgebaut hatte. Hier wurden innerhalb kürzester Zeit tausende von psychisch kranken Menschen, darunter auch viele Kinder ermordet. Das gleiche Personal beteiligte sich später auch an der Judenvernichtung. In etwas größerem Ausmaß wurde Pflegepersonal in der Phase der "wilden Euthanasie" als Mittäter mißbraucht. Dies war ab 1941 der Fall. "Wild" bezeichnet man die Phase, weil sie im Gegensatz zur geplanten Vernichtungsaktion "T4" (benannt nach Tiergartenstr. 4 in Berlin - Sitz der Zentrale dieser Aktion) eher ungeplant vonstatten ging und sich in jeder Heilanstalt abspielen konnte. Dort wurden Menschen unter anderem durch Eingabe von Medikamenten, Spritzen von Luft in die Vene oder durch langsamen Hungertod umgebracht. Der Satz der angeklagten Krankenschwester Luise Erdmann im Münchner Schwesternprozeß aus dem Jahr 1965, die selbst zugab an der Tötung von min. 200 Patienten dabeigewesen zu sein, beschreibt die Situation des beteiligten Pflegepersonals an der "Euthanasie" deutlich: "Aber wir hatten doch gehorsam zu sein und die Anordnungen des Arztes auszuführen." (11) Die traditionelle Rolle der Krankenpflege in ihrer untergeordneten und dienenden Position gegenüber dem Beruf des Arztes mußte hier herhalten , um eine Entschuldigung für die begangenen Verbrechen zu haben. Mit Luise Erdmann waren es 14 Krankenschwestern, die angeklagt waren, in einer Heilanstalt in Obrawalde (im heutigen Polen) sich an Patiententötungen beteiligt zu haben. Nach neueren Untersuchungen geht man davon aus, daß in dieser Heilanstalt über 10.000

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Menschen getötet wurden. Alle 14 Angeklagten wurden freigesprochen und arbeiteten größtenteils in der Pflege weiter.

11.Quelle: Die Schwester/Der Pfleger, 29. Jahrgang, Heft 5, Seite 374, Autor Peter Jacobs, Bibliomed-Medizinische Verlagsges. mbH Melsungen 1990.

Aus der Geschichte lernen Viele Fakten, die in der Zeit der Weimarer Republik und Im Nationalsozialismus entstanden, bestimmen heute noch fast unbemerkt unser Arbeitsumfeld. So werden die meisten von uns noch nach Kr-Gruppen entlohnt. Kindergärten, die damals zur Freistellung der Mütter für die Arbeit in der Pflege im großen Stil entstanden gibt es, wenn auch zahlenmäßig zu knapp bemessen, heute weiterhin. Mancher von uns arbeitet sogar noch in Krankenhausbauten, die in dieser Zeit entstanden. Ebenso fordert man zumindestens im öffentlichen Dienst ein strenger angelegtes Führungszeugnis und legt einen Eid ab. Im Dritten Reich verlangte man, sicher unter anderen Vorzeichen als heute, die Bestätigung der politischen Zuverläßigkeit durch die Verwaltungsbehörden und den Schwur auf die Regierung.

Es muß uns bewußt werden, daß wir im Unterschied zu der noch heute oft zu hörenden Meinung in der Krankenpflege eine Verbindung mit der Politik besitzen. Wenn wir auch heute das Glück haben, in einem auf Demokratie basierenden Land zu leben, so sollten wir im Interesse unseres Berufsstandes wachsam genug sein. Veränderungen in unserem Gesundheits- und Sozialsystem zu sehen und diese kritisch zu hinterfragen. Dies geschieht natürlich auch und nicht zuletzt im Interesse unserer Patienten.

Die Durchführung der "Euthanasie“ im Dritten Reich wurde damit begründet, daß die Pflege insbesondere psychisch Kranker und Behinderter für die Gemeinschaft eine finanzielle Last darstellt. Daß auch heute noch finanzielle Erwägungen die Arbeit in der Pflege stark prägen, läßt sich leicht aufzeigen und ist nur das Abbild vorhandener ethisch-moralischer Grundwerte einer Gesellschaft.

Es wird sich zum Beispiel zeigen, wie sich Pflegeversicherung und Gesundheitsstrukturgesetz für beide - Patienten und Pflegepersonal auswirken. Schon jetzt weisen Proteste von Behinderten und deren Betreuer drauf hin, daß die Versorgung in der arnbulanten Pflege mit dem Inkrafttreten der Pflegeversicherung nicht mehr im vollem Umfang gewährleisret werden kann. Die Zeit des Nationalsozialismus zeigt auf erschreckende Weise wie die Krankenpflege als Berufsstand manipuliert und zur Durchsetzung politischer Ziele mißbraucht werden konnte Die faschistische Regierung erreichte dies durch eine in der Krankenpflege einmalige Zusammenlegung der einzelnen Berufsverbände. Trotz des Wunsches vieler unserer Mitarbeiter nach einer Einheit in der Pflege, sollte man sich deren möglichen Gefahren - der leichteren Manipulation und Kontrolle - bewußt sein. Vielmehr sollte unter dem Dach der hoffentlich bald entstehenden Pflegekammer die Freiheit des Einzelnen das Maß aller Dinge sein.

Literaturverzeichnis Das folgende Verzeichnis enthält alle zur schriftlichen Ausarbeitung als Quellenmaterial und/oder unterstützend und weiterführend verwendete Fachliteratur zum Thema. Die Angabe erfolgt in alphaberischer Reihenfolge.

Die genauen Hinweise zu Zitatquellen entnehmen Sie bitte den jeweiligen Fußnotenbemerkungen im Text selbst.

Die Schwester/Der Pfleger, 29.Jahrgang, Heft 5, Titelthema ,,Krankenpflege im Dritten Reich". Seite 362-382, Bibliomed-Medizin. Verlagsgesel. mbH Melsungen 1990

Frauen in Konzentrationslagern: Bergen Belsen/Ravensbrück , 1 Auflage. hrsg. von Claus

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Füllberg-Stolberg, Verlag Edition Temmen 1994 Bremen.

Hexen, Hebammen und Krankenschwestern (Orig.- Titel The Witches Are Back 1). 14. Auflage 1988. Erstauflage 1975, Autorinnen: Barbara Ehrenreich und Deidre English, Erstveröffentlichung von ,The Feminist Press", New York: deutsche Übersetzung Verlag Frauenoffensive. München 1975.

Krankenpflege im Nationalsozialismus. 3. erw. Auflage; Autoren Hilde Steppe, Franz Koch, Herbert Weisbrod-Frey; Verlag und Herausgeber :Dr. med. Mabuse e.V., Zeitschrift im Gesundheitswesen Frankfurt 1986.

Krankenpflege im Nationalsozialismus, 7.völlig überarb. und erw. Auflage. hrsg, Hilde Steppe. Mabuse-Verlag Frankfurt 1993.

Medizin ohne Menschlichkeit - Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, Neuausgabe, Herausgegeben und kommentiert von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Fischer Taschenbuchverlag GmbH. Frankfurt am Main 978.

- Pflege - Die wissenschaftliche Zeitschrift für Pflegeberufe. 2.Jahrgang, Heft 2, Beitrag,"Krankenpflege im Nationalsozialismus - ein Thema für den Unterricht“, Seite 105-113, Autoren :B. von Germeten-Ortmann und B. Venhaus-Schreiber, Verlag Hans Huber, Bern/Stuttgart/Toronto Oktober 1989.