Krematorium, Verwendung der Asche und Nachlass der...

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Seit Beginn der Errichtung des KZ Neuengamme starben Häftlinge durch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und durch den Terror der Konzentrationslager-SS. Der erste Häftling kam am 22. Februar 1940 ums Leben. Von da an stieg die Zahl der ermordeten und durch Entkräftung gestorbenen Häftlinge steil an. Gemäß der Anordnung der SS-Führung, alle verstorbenen KZ-Häftlinge einzuäschern, wurden die Toten anfangs zur Einäscherung in das städti- sche Krematorium auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg gebracht. Den Transport der Leichen übernahm das Berge- dorfer Beerdigungsunternehmen Ohlrogge. Bereits ab Februar 1941 bestanden Pläne für ein Lagerkre- matorium, die ab Februar 1942 in die großräumige Baupla- nung des KZ Neuengamme aufgenommen wurden. Die Errichtung eines massiven Krematoriumsbaus verzögerte sich jedoch, sodass die Verbrennung der Leichen ab Mitte 1942 in einer ersten, behelfsmäßigen Verbrennungsanlage erfolgte. Bei diesem ersten Krematorium handelte es sich wahrscheinlich um eine mobile Verbrennungsanlage. Krematorium, Verwendung der Asche und Nachlass der Häftlinge KZ-Gedenkstätte Neuengamme | Reproduktion nicht gestattet

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Seit Beginn der Errichtung des KZ Neuengamme starben Häftlinge durch die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und durch den Terror der Konzentrationslager-SS. Der erste Häftling kam am 22. Februar 1940 ums Leben. Von da an stieg die Zahl der ermordeten und durch Entkräftung gestorbenen Häftlinge steil an. Gemäß der Anordnung der SS-Führung, alle verstorbenen KZ-Häftlinge einzuäschern, wurden die Toten anfangs zur Einäscherung in das städti-sche Krematorium auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg gebracht. Den Transport der Leichen übernahm das Berge-dorfer Beerdigungsunternehmen Ohlrogge.

Bereits ab Februar 1941 bestanden Pläne für ein Lagerkre-matorium, die ab Februar 1942 in die großräumige Baupla-nung des KZ Neuengamme aufgenommen wurden. Die Errichtung eines massiven Krematoriumsbaus verzögerte sich jedoch, sodass die Verbrennung der Leichen ab Mitte 1942 in einer ersten, behelfsmäßigen Verbrennungsanlage erfolgte. Bei diesem ersten Krematorium handelte es sich wahrscheinlich um eine mobile Verbrennungsanlage.

Krematorium, Verwendung der Asche und Nachlass der Häftlinge

KZ-Gedenkstätte Neuengamme | Reproduktion nicht gestattet

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Ein stationär aufgebautes mobiles Krematorium der Firma Heinrich Kori, Berlin, stand unter anderem im polnischen Arbeitslager Trze-binia, einem Außenlager von Auschwitz. Die erste, behelfs-mäßige Verbrennungsanlage im KZ Neuengamme sah vermutlich ähnlich aus.

Aus: Jean-Claude Pressac: Les Créma-toires d’Auschwitz. La Maschinerie du Meurtre de Masse, Paris 1993, S. 128.

Die „behelfsmäßige Verbrennungsanlage“ östlich der Kläranlage

Der deutsche ehemalige Häftling Georg Fritz Merten, 1942

im KZ Neuengamme inhaftiert, berichtet:

[B]ei der Kläranlage hinter dem Lager waren [im Herbst 1942] zwei fahrbare Leichenverbrennungsöfen aufgebaut. Dort lag ständig ein Haufen von Leichen zum Verbrennen. Die Öfen konnten trotz ununterbrochener Arbeit ihre Auf-gabe nicht erfüllen. In dieser Zeit konnte man den Leichen-geruch lange riechen. Die Asche wurde auf den Kompost-haufen getan.

Georg Fritz Merten. Bericht „Erinnerungen aus meiner Haftzeit vom 2.1.1935–1.5.1945“, 27.3.1962. (ANg, HB 434)

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Deckblatt und erste Seite des Krematoriumsbuches des KZ Neuengamme mit dem ersten Eintrag vom 7. Juli 1942. Unter diesem Datum wurde erstmals die Verbrennung von drei ver-storbenen KZ-Häftlingen im lagereigenen Krematorium doku-mentiert. Auffällig ist die dann folgende dreimonatige Lücke. Erst ab dem 6. Oktober 1942 erfolgten dann weitere, regel- mäßige Einträge. Daher kann der 6. Oktober als tatsächlicher Be-ginn regelmäßiger Einäscherun-gen angesehen werden. Bei den drei ersten Einäscherun-gen handelte es sich vermutlich um eine Erprobung der Anlage.

(ANg, Ng. 4.4.5.)

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Benachrichtigung über die Ein-äscherung der Leiche von Richard Gellert am 1. Februar 1943. Die Anschrift „Hausdeich 60“ wurde oft als Adresse für das Kremato-rium angeben.

(Studienkreis Deutscher Widerstand Frankfurt, AN 1006)

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Plan für den Bau eines Kremato-riums im KZ Neuengamme. Aus-schnittvergrößerung aus dem „Lageplan des K. L. Neuen-gamme“ vom 5. März 1942. Die Bezeichnung „Sezierraum“ ver-schleiert die eigentliche Funktion. Der Raum diente u. a. dazu, den Leichen der Häftlinge das Zahn-gold zu entfernen.

(CChIDK; Kopie: ANg, 1996-331)

Blick aus nördlicher Richtung auf das Krematorium. Rechts im Hintergrund ist das Klärwerk zu sehen. An der Fassade des Kre-matoriums ist der noch unfertige Zustand erkennbar.

Foto: Louis Schakenburg, nicht datiert. (ANg, 1981-746)

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Der Standort der „behelfsmäßigen Verbrennungsanlage“ wurde im Herbst 1942 in den Norden der Kläranlage verlegt und das Krematorium von diesem Zeitpunkt an als festes Gebäude in Lageplänen des KZ aufgeführt. Nachdem die Zahl der Toten immer weiter anstieg, war ab 1943 ein neu-es, größeres Krematorium geplant. Im Herbst 1944 wurde dieses neue Krematorium südlich des östlichen Klinkergebäudes errichtet und noch im Dezember 1944 in Betrieb genommen.

Verlegung der „behelfsmäßigen Verbrennungsanlage“

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Die Krematoriumsöfen am 5. Mai 1945. Auf dem Bild sind (v. l.) die ehemaligen Häftlinge Arthur Lange, Bernard Morey und Marinus Jaubertie zu sehen. Sie führten den belgischen Com-mandant Etienne Hans am 5. Mai 1945 durch das drei Tage zuvor von der SS verlassene Konzentra-tionslager und demonstrierten die Funktionsfähigkeit der rechten Leichenwanne und der Ofentü-ren. Standfoto aus einem Film des britischen Sergeanten Whitaker vom 5. Mai 1945.

(TNA (PRO), FO 1060-4036)

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Über das SS-Personal des Krematoriums ist nur wenig be-kannt. Leiter des lagereigenen Krematoriums und zugleich der Standesbeamte im KZ Neuengamme war der SS-Un-terscharführer Wilhelm Brake. Anhand der Unterschriften in Nachweisen über Einäscherungen ließen sich noch zwei weitere im Krematorium beschäftigte SS-Männer identifi-zieren: ein SS-Oberscharführer Müller und ein SS-Mann namens Heide.

Über die in diesem Arbeitskommando eingesetzten Häft-linge ist noch weniger bekannt. Es gibt keine Berichte von Häftlingen, die unmittelbar an den Verbrennungsöfen gearbeitet haben. Dieses Fehlen von Berichten kann darin begründet sein, dass die Betreffenden nicht über ihre Betei-ligung sprechen wollten, es kann aber auch bedeuten, dass sie von der SS ermordet wurden, damit sie ihr Wissen nicht preisgeben konnten.

In einer Vernehmung vom 17. März 1966 gab der Leiter des Krematoriums, Wilhelm Brake, an, dass ein Häftling das Krematoriumsbuch habe führen müssen, das Brake kon-trolliert habe. Drei weitere Häftlinge hätten an den beiden Öfen des Krematoriums gearbeitet.

Das Personal des Krematoriums

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Nach dem Krieg angefertigte Tuschzeichnung des ehemaligen sowjetischen Häftlings W. Petrow. Sie vermittelt einen Eindruck vom Inneren des Krematoriums.

(ANg, Ng. 2.5.5.)

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Neben dem im Krematorium eingesetzten Sonderkomman-do hatten weitere Häftlinge unmittelbar mit dem Krematorium verbundene Arbeiten zu leisten. So gab es das Kohlenkom-mando, das die Kohlen vom Lagerplatz im Industriehof zu den Öfen des Krematoriums brachte, und das Leichenkom-mando, das die Verstorbenen zum Krematorium transpor-tierte. Andere Häftlinge mussten wiederum die Asche ihrer verbrannten Kameraden abtransportieren.

Häftlingsarbeit im Zusammenhang mit dem Krematorium

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Das Leichenkommando hatte die toten Körper mit dem Karren von der Leichenkammer im Bereich des „Schutzhaftlagers“ zum au-ßerhalb gelegenen Krematorium zu transportieren. Die Leichname wurden direkt neben den Öfen und im Zuge der ständig steigen-den Zahl von Toten auch im Hof vor dem Krematorium gestapelt. Die Kohlezeichnung des däni-schen ehemaligen Häftlings Harry Bugge Horgen zeigt die Leichen-kammer im April 1945.

Aus: Paul Thygesen: Som läkare i Neuen-gamme, Stockholm 1946, S. 69.

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Die Arbeitskraft der Häftlinge wurde bis zum Tode ausge-nutzt, doch auch über den Tod hinaus waren sie für das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) „wertvoll“. Die Toten wurden in die Leichenkammer gebracht und nach dem Entfernen des Zahngoldes, das an das WVHA abzu liefern war, eingeäschert. Ihre Asche wurde nach Häft-lingsberichten als Dünger in der Lagergärtnerei verwendet. Der Nachlass verstorbener Häftlinge wurde zum Teil einge-zogen.

Mehrere ehemalige Häftlinge berichten davon, dass die Asche der Verstorbenen im Bereich der KZ-Gärtnerei als Dünger verstreut oder an Bauern in der Umgebung des Lagers verkauft wurde. Ob die Asche tatsächlich zu Dün-gungszwecken verwandt oder ob sie zur „Entsorgung“ ver-graben wurde, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären. Nachweisbar ist aber, dass ein Teil der Asche in unmittelba-rer Nähe des Krematoriums vergraben wurde.

Leichenverwertung und Verwendung des Nachlasses

Über die Verwendung der Asche von verstorbenen Häft-

lingen berichteten die ehemaligen Häftlinge des KZ Neuen-

gamme Einer Mellerup aus Dänemark und Georg Fritz

Merten aus Deutschland:

Bei einer Gelegenheit sollten wir zum Krematorium, um eine große Tonne mit Menschenasche zu transportieren. Die Tonne wurde in einem Beet mit Küchenkräutern abge-liefert, und am nächsten Tag sahen wir, dass die Asche als Dünger über einige Riesenbeete mit Kohlrabi und Wurzeln ausgestreut worden war.

Einer Mellerup: Fange Nr. 76.605, in: Danmarks Ufredsaar, Kopenhagen 1947. S. 34–52, hier S. 47,

Der Rest der Verbrannten wurde in Tüten getan, und wie ich glaube, von der SS an […] Bauern als Dünger verkauft. Jedenfalls standen des Öfteren am Häftlingslagertor eine große Menge solcher Tüten, in der Art von Zementtüten mit diesem Inhalt, die dann auch von Bauern abgeholt worden waren.

Georg Fritz Merten. Bericht „Erinnerungen aus meiner Haftzeit vom 2.1.1935–1.5.1945“, 27.3.1962. (ANg, HB 434)

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Die Verwendung der Asche

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Auch nach ihrem Tod waren die Häftlinge für die SS noch „wert-voll“: Ihnen wurde das Zahngold entfernt. Mitteilung an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, vom 8. Oktober 1942, dass bereits über 50 kg Zahn-bruchgold von verstorbenen Häft-lingen zur Verfügung stehe.

(BArch, NS 19/3926)

Leichenverwertung und des Nachlasses verstorbener Häftlinge

Mit diesem Schreiben wurden die Kommandanten der Konzentra-tionslager darauf hingewiesen, dass das Zahngold der verstor-benen Häftlinge nicht den Ange-hörigen zu übergeben sei.

(BArch, NS 3/426)

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Schreiben des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes betref-fend den Nachlass verstorbener Häftlinge, 7. Januar 1943. Mit Ausnahme der polnischen und jüdischen Häftlinge sowie der Häftlinge aus den besetzten sowjetischen Gebieten sollte der Nachlass der Verstorbenen an die Angehörigen übersendet werden.

(Nürnberger Dokumente, NO-393)

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Geheimes Schreiben des Reichs-ministeriums des Innern vom 17. Februar 1944 betreffend die Einziehung des Nachlasses ver-storbener KZ-Häftlinge.

(BArch, NS 4)