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KRÖNERS TASCHENAUSGABE BAND 209

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Karl Marx

Die Frühschriften

Herausgegeben vonSiegfried Landshut

7. AuflageNeu eingerichtet von

Oliver Heins und Richard Sperl

Geleitwort von Oskar Negt

ALFRED KRÖNER VERLAG STUTTGART

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Karl MarxDie FrühschriftenHerausgegeben mit Einleitung von Siegfried Landshut7., von Oliver Heins und Richard Sperl neu eingerichtete AuflageMit einem Geleitwort von Oskar Negt Stuttgart: Kröner 2004(Kröners Taschenausgabe; Band 209)ISBN Druck: 978-3-520-20907-8ISBN E-Book: 978-3-520-20991-7

Unser gesamtes lieferbares Programm sowie viele weitere Informationen finden Sie unter www.kroener-verlag.de

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INHALT

Geleitwort zur 7. Auflage von Oskar Negt 7Einleitung zur 1. Auflage von Siegfried Landshut 20

Marx’ Brief an seinen Vater vom 10. November 1837 69

Aus den Epikureischen Heften und derDoktordissertation (1839/40) 80

Der Kommunismus und die Augsburger »AllgemeineZeitung« (1842) 89

Aus: Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843) 94

Aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern (1843/44) 220A. Ein Briefwechsel von 1843 220B. Zur Judenfrage 237C. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.

Einleitung 274

Ökonomisch-Philosophische Manuskripte (1844) 292

Aus: Die Heilige Familie (1844/45) 379

Thesen über Feuerbach (1844) 402

Die Deutsche Ideologie (1845/46). Erster Band:Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihrenRepräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner 405

A. Vorrede 405B. Feuerbach. Gegensatz von materialistischer

und idealistischer Philosophie 406C. Sankt Max 486

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6 Inhalt

Aus: Das Elend der Philosophie (1847) 555

Manifest der Kommunistischen Partei (1848) 594

Anhang

Editorische und überlieferungsgeschichtlicheAnmerkungen 631Verzeichnis der von Marx zitierten Literatur 653Personenregister 659

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ZUM GELEIT

D ieser von siegfried landshut 1953 herausgegebene Bandder Frühschriften hat Marx von einer Seite bekannt gemacht,

die in den vom Sowjet-Marxismus geprägten Interpretationenweitgehend unterschlagen war. Es ist eine Sammlung von Selbst-verständigungsschriften bis hin zum Kommunistischen Manifestvon 1848, die Marx bis zu seinem 32. Lebensjahr verfaßt hat. Be-sondere Aufmerksamkeit in dieser Zusammenstellung erregtendie sogenannten »Pariser Manuskripte« mit dem Titel Natio-nalökonomie und Philosophie. Über den Zusammenhang derNationalökonomie mit Staat, Recht, Moral und bürgerlichemLeben (in der vorliegenden 7. Auflage unter dem inzwischen ge-läufigeren Titel Ökonomisch-Philosophische Manuskripte), dieerst 1932 entdeckt wurden. Der Kröner-Verlag hatte bereits da-mals diese Manuskripte in einer zweibändigen Ausgabe der frü-hen Arbeiten erstmalig publiziert. Das ganze Selbstverständnisder marxistischen Intellektuellen – von K. Kautsky, E. Bernstein,R. Luxemburg und Lenin – war zwar bestimmt vom Materia-lismus der Deutschen Ideologie, der Heiligen Familie; insofernwaren auch diese frühen Schriften schon Gegenstand der Aus-einandersetzung, aber erst die »Pariser Manuskripte« schufeneinen neuen Zugang zur materialistischen Geschichtsauffassung,der sich an der Hegelschen Methode der Dialektik orientierte.Das Kennzeichnende dieses Zugangs ist die ökonomische Mate-rialisierung der Dialektik: Geld, Tausch, Arbeitsteilung, Kapitalund lebendige Arbeit werden in einer präzisen Dialektik entfal-tet.

Die Sammlung von Landshut, die trotz betriebsamster Marx-Forschung seit ihrem Erscheinen in keinem wesentlichen Punktkorrigiert oder ergänzt werden mußte, setzt mit dem berühmtenBrief an den Vater vom 10. November 1837 ein. Hier skizziertMarx seine Studienerfahrungen und entwirft einen Plan fürein juristisches Werk, der nicht besonders originell ist und vie-le Aspekte Kantischer Rechtsphilosophie aufgreift. Bekanntgeworden ist vor allem das Wort von der Hegelschen Philoso-

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phie als der »grotesken Felsenmelodie«, die Marx nicht behagte(S. 75). Der zweite Text enthält Auszüge aus seiner Doktordis-sertation von 1840. Hier taucht zum ersten Mal der Gedankeeiner Verwirklichung der Philosophie auf. Thema der Abhand-lung ist die epikureische Philosophie. Aber auch hier in derDissertation ist zu spüren, wie Marx sich an der HegelschenPhilosophie reibt. Die epikureische und die stoische Philoso-phie sind das »Glück ihrer Zeit; so sucht«, sagt Marx, »derNachtschmetterling, wenn die allgemeine Sonne untergegangenist, das Lampenlicht des Privaten« (S. 83).

Die vierte Schrift ist die Kritik der Hegelschen Rechtsphiloso-phie (1843). Marx nimmt hier die Hegelschen Staatskonstruk-tionen und das System der Sittlichkeit zum Anlaß, um die Ver-drehungen der idealistischen Logik einer Kritik zu unterziehen:Subjekt und Prädikat werden vertauscht. Ihm ist deutlich, daßHegel sehr wohl einen klaren Begriff von der bürgerlichen Ge-sellschaft hatte, aber diese ist gleichsam nur Ableitungsresultatder Staatssubstanz. Sie ist Prädikat des Subjekts »Staat«. Miteinem Wort: Der Unterschied zwischen idealistischer und ma-terialistischer Logik spiegelt sich in der Verdrehung von Staatund Gesellschaft. Was das Erste ist, nämlich die bürgerlicheGesellschaft, wird zum Abgeleiteten, und das eigentlich Abge-leitete, der Staat, wird zum alleine agierenden Subjekt. In dieserStaatskritik ist bereits ein Vorgriff festzustellen in Richtung aufeine materialistische Analyse der bürgerlichen Gesellschaft aufder Grundlage ihres ökonomischen Fundaments, dem »Kapital,als der alles beherrschenden Macht der modernen Gesellschaft.«

Zwei weitere kleine Schriften spitzen Problemzusammenhän-ge zu, die existentielle Situationen des Menschen betreffen. Dasist zum einen die 1843 in der Judenfrage (einer Kritik der SchriftB. Bauers) thematisierte Beziehung zwischen den Menschen-rechten und dem Privateigentum. Die Menschenrechte werdenverstanden als das enthüllte Geheimnis der Privateigentümer.Wichtigste Aussage der Schrift ist, daß die Emanzipation derJuden keine partielle sein kann, sondern sich nur vervollstän-digen kann, wenn es eine Emanzipation des Menschen gibt.Die politische Emanzipation müsse sich zu einer menschlichenEmanzipation weiterentwickeln. Marx kritisiert die Sonderan-

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sprüche der jüdischen Bürger, die für sich das politische Eman-zipationsrecht beanspruchen. Die zweite kleine Schrift enthälteinen zentralen Gedanken der »Aufhebung« von Religion, dienicht durch atheistische Propaganda zu vollziehen ist, sonderndurch Beseitigung der Selbstzerrissenheit des Daseins und desirdischen Jammertals. Marx bestimmt Religion als etwas Dop-peldeutiges. Sie ist zum einen die phantastische Verwirklichungdes menschlichen Wesens und sie ist zum anderen die Beruhi-gung, das »Quietiv« über das irdische Jammertal. »Das religiöseElend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elends undin anderem die Protestation gegen das wirkliche Elend. DieReligion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüteiner herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.Sie ist das Opium des Volkes. Die Aufhebung der Religion alsdes illusorischen Glücks des Volkes ist die Förderung seineswirklichen Glücks.« Zweiter wesentlicher Punkt dieser kurzenAbhandlung ist die Marxsche Feststellung, daß die Waffe derKritik die Kritik der Waffen nicht ersetzen könne. Denn radikalsein bedeute, die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel fürden Menschen sei aber der Mensch selbst. Insoweit formuliertMarx Kants »Kategorischen Imperativ« um: Es gilt »alle Ver-hältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«

Die Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte (1844) habenviele Facetten. Diese Schrift macht den Versuch, die sinnlicheWelt als eine geschichtliche Welt zu begreifen, sie bereitet dieFeuerbach-Rezeption vor. Historische Formen lebendiger Ar-beit, Arbeitsteilung, Privateigentum, sinnliche Ausdruckskräfteder anthropologischen Grundausstattung der Menschen wer-den in zweierlei Richtung weitergeführt: Sie bewegen sich ineinem dialektischen Milieu der Zuspitzung von Widersprüchenund sie werden zurückgeführt auf eine Wirklichkeit, in derenZentrum die industrielle Produktion steht. In diesen »PariserManuskripten« wird die menschliche Existenzweise entfaltetunter geschichtlichen Bedingungen einer Welt des Privateigen-tums, wodurch mannigfache Formen der Entfremdung undSelbstentfremdung zustande kommen, aber auch im Blick aufdie Aufhebungsmöglichkeiten dieser Entfremdung. Immer wie-

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der spricht Marx von der Emanzipation der menschlichen Sinne.»Der Sinn des Habens« hat uns einseitig und dumm gemacht.Durch die Anerkennung gegenständlicher Tätigkeit arbeitetsich der Mensch aus dieser Entfremdung heraus, ohne daß er zueinem Geistwesen werden müßte. Im Schlußkapitel nimmt erHegels Phänomenologie des Geistes auf. Hegel hat einen Begriffder Arbeit als Moment der Selbstkonstitution des Menschenentwickelt. Arbeit ist so etwas wie die Selbsterzeugung des Men-schen als eines körperlich-gesellschaftlichen Lebewesens. DerMensch kann nicht aus der Natur herausspringen, aber seineganze Natur ist zutiefst geschichtlich geprägt.

In Die Heilige Familie (1844/45) präzisiert Marx, was für ihndieser durch den Feuerbachschen Materialismus angestoßeneHumanismus ist. Er geht die moderne Philosophie unter Ge-sichtspunkten ihrer materialistischen Perspektiven durch. Hierwerden Helvétius, Holbach, Diderot, Descartes und andere dis-kutiert, wobei die Beziehungen zwischen Geschichte und Naturdas zentrale Thema sind.

Dem schließen sich die berühmten Thesen über Feuerbach(1844) an mit der elften, die das ganze Untersuchungsprogrammder künftigen Marxschen Philosophie bezeichnet: »Die Philo-sophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmtdrauf an, sie zu verändern« (S. 404).

Die Deutsche Ideologie (1845/46) kreist um die Frage der In-teressenbedingtheit geistiger Gebilde und darum, was eigentlichWirklichkeit ausmacht. »Die Produktion der Ideen, Vorstellun-gen des Bewußtseins, ist zunächst unmittelbar verflochten indie materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Men-schen, Sprache des wirklichen Lebens« (S. 416). Ideologie istdie Verschränkung von wahrem und falschem Bewußtsein, abernur verständlich auf der Grundlage der Lebensproduktion derMenschen. Geschichte beginnt dort, wo die Menschen ihre eige-nen Lebensverhältnisse produzieren. So ist Teilung der Arbeitein wesentliches Element des zivilisatorischen Fortschritts undgleichzeitig ein Moment der Entfremdung. Wo die unmittelbareNot aufhört, beginnen die Menschen die verselbständigten Sphä-ren ihrer Berufstätigkeit wieder aufzubrechen. Arbeit wird auseinem bloßen Lebensmittel zu einem Mittel allseitiger menschli-

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cher Entwicklung. So sieht die Utopie einer kommunistischenGesellschaft aus, wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreisder Tätigkeit hat, »sondern sich in jedem beliebigen Zweigeausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion re-gelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgenjenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abendsViehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ichgerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zuwerden« (S. 429). Dieses Rückgängigmachen von Arbeitstei-lungen ist jener kreative Akt, den Marx im Auge hat, wenn ervon der Humanisierung der Natur und der Naturalisierung desMenschen spricht. Der Kommunismus wächst nicht auf demBoden verallgemeinerter Armut, sondern ist Produkt reichhal-tig fließender Quellen des Reichtums, den aber die bestehendekapitalistische Herrschaftsordnung nicht menschlich verteilenund gerecht organisieren kann.

In Das Elend der Philosophie (1847) findet sich eine Auseinan-dersetzung mit Proudhons Philosophie des Elends (1846). Schondiese Umkehrung des Titels bezeichnet den kritischen Gehalt.Mit dem Elend ist nicht philosophisch umzugehen; es muß inseinen ökonomischen Grundlagen verstanden werden. In die-ser Schrift, die kurz vor dem Kommunistischen Manifest (1848)entstand, nehmen die ökonomischen Kategorien eine für dieAnalyse der Wirklichkeit immer bestimmtere und präzisereForm an. Der Philosoph Marx taucht seine philosophischenKategorien, die wesentlich aus dem Hegelstudium stammen,immer kräftiger in die ökonomischen Zusammenhänge ein. In-sofern ist die Beziehung zwischen dialektischer Logik und poli-tischer Ökonomie, wie sie in den Wissenschaften von A. Smithbis D. Ricardo vorliegt, Hauptthema der sogenannten Früh-schriften. Wenn Marx später erklärt, diese Schriften hätten derSelbstverständigung gedient und sie wären von ihm und Engelsbereitwillig der »nagenden Kritik der Mäuse« überlassen wor-den, dann trifft das durchaus zu. Im Entwicklungsgeschehendes Marxschen Gesamtwerkes mögen es durchaus Zwischensta-dien der geistigen Entwicklung sein. Vom heutigen Standpunktaus betrachtet, enthalten sie jedoch eine ganz eigentümlicheund philosophisch später keineswegs fortgeführte Substanz.

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Das macht den charakteristischen geschichtlichen Humanismusdieser Schriften aus.

Landshut hat am Ende seiner Kröner-Ausgabe das Kommu-nistische Manifest von 1848 aufgenommen. Es markiert in derTat einen Einschnitt, weil es eine programmatische Schrift mithandhabbaren politischen Formeln ist. Das Apodiktische, daskeinen Widerspruch duldet, kennzeichnet die ganz andere At-mosphäre der Analyse im Vergleich zu den vorherigen Schriften.So der Satz: »Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft istdie Geschichte von Klassenkämpfen.« Darin liegt nichts Argu-mentierendes, kein reflektierendes Wenden und Bewegen derVerhältnisse. Selbst das Wort »Gesellschaft« wird als Substanzgenommen. Es sind nicht die bisherigen Gesellschaften, vondenen er spricht. Es ist »die« Gesellschaft. Das Kommunisti-sche Manifest enthält die Linie der Polarisierung der zwei dieGegenwart bestimmenden Klassen, Bourgeoisie und Proleta-riat. Sie werden zu entscheidenden Bewegungselementen dermodernen Gesellschaft. Zwischen und neben ihnen werdendie gesellschaftlichen Kräfte nach der einen oder anderen Sei-te aufgerieben. In dieser Hinsicht bereitet das KommunistischeManifest die Arbeit am Hauptwerk Das Kapital vor.

DIE WIRKUNGSGESCHICHTE DER›FRÜHSCHRIFTEN‹

Es ist ein bemerkenswerter Tatbestand, daß die Frühschriften,soweit sie in Auszügen oder auch vollständig bekannt waren,im Spektrum der Marxismus-Diskussionen der ersten zwei Jahr-zehnte des 20. Jahrhunderts selbst für diejenigen keine nen-nenswerte Rolle spielten, die aus den Hörigkeitsgehäusen dermarxistischen Orthodoxien auszubrechen suchten; weder fürRosa Luxemburg noch für den frühen Lukács oder für KarlKorsch. Mit den 1932 gefundenen und unter dem Titel »Natio-nalökonomie und Philosophie« veröffentlichten Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten ändert sich das schlagartig. DieReflexionen des jungen Marx, in ihren vielfältigen Ausprägun-gen, bekommen ein Eigengewicht, weil in ihnen ein philoso-phischer Begründungszusammenhang erkennbar wird, der in

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den späteren Werken von Marx verlorengeht oder nur nochin dialektischen Formeln auftritt. Der erste große Kommen-tar der »Pariser Manuskripte« ist der des Heidegger-SchülersHerbert Marcuse, der entschieden betont, daß Marx in keinemder Reflexionsstadien die Notwendigkeit einer philosophischenBegründung verneint; es ist kein Verabschieden der Philosophie(in diesem Ablauf früher Selbstverständigung) zugunsten derÖkonomie, sondern umgekehrt: In den dialektischen Prozes-sen der Gesellschaft ist die Arbeit des Begriffs unabdingbar aufdie konkrete Subjekt–Objekt-Vermittlung gerichtet, ohne dieÖkonomie zu einem ideologisch verbrämten Herrschaftsmit-tel wird, das mit suggestiven Zügen subjektverlassener Gesetz-mäßigkeiten bestückt ist.1932, als die »Pariser Manuskripte« entdeckt wurden, standen

die Zeichen in Europa auf Sturm; der Faschismus warf seineSchatten voraus, und in der Sowjetunion bereitete man sichauf den Terror der Schauprozesse vor. So hatten diese philoso-phisch-ökonomischen Manuskripte keinerlei Chance, den in-tellektuellen Horizont der an Marx orientierten Intellektuellenpolitisch zu erweitern. Marcuse hatte ja den Versuch gemacht,die Manuskripte zu nutzen, um die materialistische Dialektikin den Traditionsstrom der Philosophie (durch eine Art Hei-degger-Marxismus) zurückzuführen. Dieser Rettungsversuchmißglückte; auch die im Kröner Verlag bereits im gleichen Jahrin einer zweibändigen Ausgabe der frühen Arbeiten erstmaligpublizierten Manuskripte eroberten sich kein nennenswertesLesepublikum. In einer Atmosphäre von Niedertracht und ge-walttätiger Menschenverachtung haben Widerstand und Kritikganz andere Dimensionen als die differenzierter Analysen.

Daß die Frühschriften in der hier vorliegenden Auswahl undZusammenstellung 1953 herauskamen, also nur acht Jahre nachEnde des Zweiten Weltkriegs, wo doch die Ruinenlandschaftender Städte keineswegs schon vollständig beseitigt waren, magviele Gründe haben. Drei will ich kurz benennen:

Es war erstens der Versuch, das Autoren und Büchern angeta-ne Unrecht wiedergutzumachen. Es war noch nicht die Zeit ei-ner breiteren Willensanstrengung, Vergangenheit aufzuarbeiten;aber einzelne Intellektuelle nahmen abgerissene Traditionsfäden

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wieder auf, indem sie die vertriebenen oder vernichteten Schrif-ten erneut zugänglich machten. Man dachte neu über die Be-deutung der Buchkultur für ein demokratisches Gemeinwesennach; denn schließlich war Heines Satz aus seiner Tragödie Al-mansor, den er dem Mohammedaner Hassan in den Mund legt,als der über die Koran-Verbrennung auf dem Marktplatz vonGranada bestürzt ist: »Das war ein Vorspiel nur, dort wo manBücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen« –nach gut hundert Jahren massenhaft bluttriefende Wirklichkeitgeworden. Daß Bücher- und Menschenverbrennungen in die-sem ungeheuren Ausmaß so eng miteinander verflochten sind,das war am geschichtlichen Horizont noch nicht wahrgenom-men worden. Der ewige Emigrant Marx zu seinen Lebzeiten– und nach seinem Tode in seinen Schriften – gehört zu denHauptbetroffenen.

Zweitens ließ das Klima des Kalten Krieges 1953 durch Sta-lins Tod Vorboten des politischen Tauwetters im sowjetischbestimmten Imperium erkennen; der Aufstand am 17. Juni 1953war ein Signal, aber auch in den anderen Ländern, wie Polen,Ungarn, der Sowjetunion, waren Risse im Herrschaftssystemspürbar, die einzelne Intellektuelle ermutigten, die partei- undstaatsoffiziellen Zitierkartelle leninistisch verbogener Marxtextein Frage zu stellen. Nichts bedrohte ihre gebrechliche Legitima-tionsform von Herrschaft mehr als Schriftzeugnisse von Marx,in denen die menschliche Würde Zentrum seines Denkens ist.Was dann nach dem XX. Parteitag der KPdSU in Ungarn zueinem Aufstand, in der DDR zu einer intellektuellen Rebel-lion führte, war 1953, als die Frühschriften im Kröner Verlagerschienen, atmosphärisch bereits vorgezeichnet.

Drittens hatten viele selbstbewußte Christen das Bedürfnis,den spektakulären Wiederaufbau mit einer seelischen und geisti-gen Erneuerung zu verbinden, also christliche Wertvorstellun-gen mit der demokratisch-humanistischen Tradition innerwelt-licher Veränderungen der Lebensbedingungen zu verbinden.Kaum zufällig wurde die Kritik des irdischen Jammertals, wiesie Marx übt, mit der existentiellen Not der Christen in Verbin-dung gebracht, die Kierkegaard gegenüber dem verbürokrati-sierten Christentum zur Sprache bringt. Das Bestreben, Marx