Kugeln im Computer - mi.fu-berlin.de · durch −2 ≤ x ≤ 2 gegeben ist: denn mit b 2 ist auch b...
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Kugeln im ComputerDie Kepler-Vermutung
Martin Henk Gunter M. Ziegler
Eine ganz harte Nuß
Wie so oft begann alles ganz harmlos, vorsehr langer Zeit – es ist fast vierhundert Jahreher. Im Jahre 1611 veroffentlichte der Astro-nom und Mathematiker Johannes Kepler [6]ein Buchlein mit dem interessanten Titel
”Vom
Sechseckigen Schnee“, das er seinem Freundund Gonner, dem Prager Hofrat Wackher vonWackenfels, als Neujahrsgabe widmete.
Johannes Kepler”Vom Sechseckigen Schnee“
Er diskutierte darin in der Natur auftreten-de Formen und Muster, darunter nicht nurSchneeflocken, sondern auch die Kerne vonGranatapfeln, von denen sehr viele auf sehrkleinen Raum
”gepackt“ sind. Dies fuhrte ihn
zur Betrachtung verschiedener Anordnungen(Packungen) sich nicht uberlappender, kongru-enter Kugeln im 3-dimensionalen Raum. Erverglich den Anteil des von den Kugeln je-weils uberdeckten Raumes am Gesamtraum:die Dichte der jeweiligen Packung.
Eine dieser Packungen ist heute als die fla-chenzentrierte kubische Gitterpackung, die fcc-
Packung, bekannt. Sie laßt sich auf ganz unter-schiedliche Weisen konstruieren und beschrei-ben, beispielsweise folgendermaßen:
Zunachst wird eine Grundschicht von Kugelnkonstruiert, in der jede Kugel von sechs an-deren Kugeln beruhrt wird – eine hexagona-
le Packung in der Ebene. Nun wird eine Ko-pie dieser Schicht so auf die Grundschicht ge-legt, daß die Kugeln in die
”Lucken“ der ersten
Schicht fallen.
Stapeln von hexagonalen Schichten
Die zweite Schicht entsteht also aus der Grund-schicht durch Translation um einen gewissenVektor t. Im weiteren werden nun Kopien derGrundschicht
”nach unten und nach oben“ ge-
stapelt, so daß jede Schicht aus der Grund-schicht durch Translation um ein Vielfaches desVektors t entsteht.
Betrachtet man einen pyramidenformigen Aus-schnitt dieser Packung, so erinnert die Anord-nung an einen Haufen Kanonenkugeln oder anzum Verkauf aufgeschichtete Orangen.
1
Pyramidenformiger Ausschnitt der fcc-Packung
Dasselbe Packungsmuster kommt aber auchin besonders dichten Kristallen vor: so kannman mit dem Rastertunnelmikroskop direkt
”sehen“, daß zum Beispiel in reinem Gold die
einzelnen Atome nach einem fcc-Muster”an-
einandergepackt“ sind.
Gold (111)
Mittels der fcc-Packung wird der 3-dimen-sionale Raum recht dicht durch Kugeln aus-gefullt, das heißt, die nicht uberdeckten Zwi-schenraume erscheinen klein. Man kann nunleicht ausrechnen – und wir werden dies im fol-genden auch tun – daß die fcc-Packung gut 74%des Raumes ausfullt. Genauer gesagt betragtdie Dichte der fcc-Packung π√
18≈ 0, 74048... .
Sie ist nur eine unter unendlich vielen ver-schiedenen Packungen der Dichte π√
18. Kep-
ler war jedoch davon uberzeugt, daß es keinePackung mit einer großeren Dichte geben kann:die Kepler-Vermutung war geboren!
Die Geschichte dieser Vermutung ist spannend,umfaßt inzwischen fast vier Jahrhunderte, undist durchaus noch nicht zu Ende. Die großtenHelden der Mathematikgeschichte haben sich
mit dem Problem beschaftigt – darunter CarlFriedrich Gauß, der den Spezialfall einer 3-dimensionalen
”Gitterpackung“ loste, und Da-
vid Hilbert, der es in seine legendare Problem-liste aufnahm, die er im Jahr 1900 auf demInternationalen Mathematikerkongress in Parisprasentierte. Dies hat dem Problem viel Auf-merksamkeit und Prominenz gebracht – aberkeine schnelle Losung.
“It’s one of those problems that tells us that we
are not as smart as we think we are.”
(D. J. Muder)
Die folgenden Ausfuhrungen sollen an das Pro-blem heranfuhren. Dabei hangeln wir uns anden einzelnen Fortschritten entlang, die imLaufe der Jahrhunderte von Legendre, Gauß,Thue, Fejes Toth und anderen in Richtung aufeine Losung des Problems gemacht wurden.Fur die einfacheren Resultate wollen wir dieBeweise andeuten, fur die komplizierteren denAnsatz zumindest skizzieren. Im Laufe der Dis-kussion wollen wir sehen,
”wo eigentlich das
Problem liegt“ und vielleicht ein Gefuhl dafurentwickeln, warum das Problem so bosartig ist,und so kontrovers. Nicht umsonst hat es umdie Losung des Problems in den letzten JahrenStreit gegeben (der auch noch nicht ganz vorbeiist . . . ).
In der Ebene
Kreisscheiben gleicher Große (zum Beispielvom Radius 1 und Flacheninhalt π) lassen sichziemlich dicht in der Ebene anordnen. Das Bildzeigt einen Ausschnitt aus einer hexagonalen
Packung Khex, in der jeder Kreis von sechs an-deren Kreisen beruhrt wird.
2
Hexagonale Packung Khex von Kreisscheiben
Diese Packung ist sehr regelmaßig – sie ist eineGitterpackung. Wir geben jetzt eine Definitionvon Gitterpackungen die in beliebiger Dimensi-on funktioniert, was spater dann noch nutzlichsein wird:
Definition 1 (Gitterpackungen)Die Menge aller ganzzahligen Linearkombina-tionen von d Vektoren, die den d-dimensionalenRaum aufspannen (einer Basis) heißt Gitter.Eine Gitterpackung von Kugeln ist dadurchcharakterisiert, daß die Kugelmittelpunkte einGitter bilden.
Die Menge der Linearkombinationen der Basis-vektoren eines Gitters mit Koeffizienten zwi-schen 0 und 1 heißt Fundamental-Parallelotop
des Gitters.
Wenn wir dies fur die Ebene spezialisieren, sowird aus dem Parallelotop ein Parallelogramm,das von zwei Basisvektoren aufgespannt wird.Betrachten wir etwa das Gitter A2 mit den bei-den Basisvektoren b1 = (2, 0), b2 = (1,
√3),
so erhalten wir als zugehorige Gitterpackungdie hexagonale Gitterpackung Khex. Wir sehen,daß die Translate eines Fundamental-Paralle-lotops bezuglich der Vektoren im Gitter einePflasterung des Raums ergeben.
b1
b2
0
Ein fundamentales Parallelogrammund seine Translate
Man beachte, daß die Basis des Gitters und so-mit die Form eines Fundamental-Parallelotopsnicht eindeutig sind. Man kann jedoch zeigen,daß das Volumen vol(P ) des Fundamental-Par-allelotops P immer dasselbe ist.
Weil eine Gitterpackung K in jedem Funda-mental-Parallotop P
”gleich aussieht“, kann
man ihre Dichte δ(K) wie folgt definieren:
δ(K) :=vol(K ∩ P )
vol(P ),
also der Anteil des Volumens einesFundamental-Parallelotops, der durch die Ku-geln der Packung uberdeckt wird. Man uber-zeugt sich recht leicht, daß der erhaltene Wertnicht von der Wahl des Fundamental-Paralle-lotops abhangt; dies liegt daran, daß es fur jedeGitterpackung immer genau
”eine Kreisscheibe
pro Parallelotop“ gibt.
Fur eine hexagonale Kreispackung Khex istdie Dichte jetzt leicht zu berechnen: das inder Zeichnung gewahlte Parallelogramm hatGrundlinie a = 2 und Hohe h =
√3, al-
so Flache vol(P ) = ah = 2√
3 =√
12. Esenthalt vier Kreissegmente, die sich gerade zueiner vollstandigen Kreisscheibe zusammenset-zen lassen. Damit erhalten wir eine Dichte von
δ(Khex) =π√12
≈ 0, 9068... .
Also uber 90%: ziemlich gut!
3
Quadratische Packung Kquad von Kreisscheiben
Man vergleiche dies mit der Dichte einer qua-
dratischen Packung Kquad, fur die die analogeRechnung ergibt:
δ(Kquad) =π
4≈ 0, 7853... .
Satz 2 (Legendre 1773)Eine Gitterpackung von Kreisscheiben hathochstens die Dichte π√
12, und dieser Wert
wird nur durch hexagonale Gitterpackungen er-reicht.
Beweis. Erst mussen wir uns das Gitter”zu-
rechtrucken“. Zunachst suchen wir uns einenkurzesten Vektor b1 in unserem Gitter und dre-hen dann unsere gesamte Gitterpackung so,daß dieser Vektor auf der positiven x-Achseliegt. Die Lange von b1 ist sicherlich minde-stens 2, da sich ja die beiden Kreisscheiben mitMittelpunkt 0 und b1 nicht uberlappen durfen.Wir konnen sogar annehmen, daß die Langevon b1 gleich 2 ist: andernfalls wurden sich inunsere Gitterpackung keine zwei Kreischeibenberuhren, und dann ware sie bestimmt nichtoptimal. Damit haben wir einen ersten Basis-vektor b1 = (2, 0) zur Verfugung.
0
0 ≤ x ≤ 2
b1
b2
Den zweiten Basisvektor wahlen wir uns wie-derum
”so kurz wie moglich“. Daraus folgt au-
tomatisch, daß er in dem Streifen liegt, derdurch −2 ≤ x ≤ 2 gegeben ist: denn mit b2
ist auch b2 + kb1 ein moglicher zweiter Basis-vektor, fur beliebiges ganzzahliges k. Wenn wirjetzt auch noch ausnutzen, daß wir b2 durchsein negatives ersetzen durfen, und auch dieganze Packung an der x-Achse spiegeln konnen,dann ergibt sich, daß b2 auf einen Punkt (x, y)in dem Streifen zeigt, der durch 0 ≤ x < 1,y ≥ 0 gegeben ist. Und weiter: der Punkt hatvon 0, und von b1, mindestens den Abstand 2.
0 ≤ x ≤ 1
b2
0 b1
Dann folgt aber schon aus unsere Zeichnung,daß die Hohe (y-Koordinate) des Punktes, aufden b2 zeigt, mindestens
√3 ist, was einem
gleichseitigen Dreieck entspricht. Und der Mi-nimalwert y =
√3 wird nur fur x = 1 er-
reicht, was genau einer hexagonalen Packungentspricht.
Damit ist alles gezeigt: die Flache des Fun-damental-Parallelogramms ist namlich genaudurch vol(P ) = ah = 2y gegeben, und diesemussen wir minimieren, um maximale Dichtezu erreichen!
4
Fur allgemeine Packungen, fur die die Kugel-mittelpunkte nicht entlang eines Gitters angeo-ordnet sind, konnen wir die bisher verwendetenKonzepte von
”Basis“ und
”Fundamental-Par-
allelotop“ nicht definieren, und nicht verwen-den.
Eine unregelmaßige Packung von Kreisscheiben
Es stellt sich heraus, daß schon die geeigne-te Definition der
”Dichte“ einer allgemeinen
Kreispackung in der Ebene Probleme aufwirft.Im folgenden betrachten wir nur eine mogli-che Definition: den oberen Grenzwert uber eine
”zentrierte Schachtel“.
Definition 3 (Dichte einer Kugelpackung)Die Dichte δ(K) einer Kugelpackung K im Rd
ist der großte Haufungspunkt des Anteils,zu dem sie die
”große zentrierte Schachtel“
[−T, T ]d ausfullt, also
δ(K) := lim supT→∞
vol(K ∩ [−T, T ]d)
vol([−T, T ]d),
wobei fur das Volumen der Schachtel gilt:vol([−T, T ]d) = (2T )d.
(−T
−T
)
(−T
T
)
(
T
−T
)
(
T
T
)
0
Die Dichte der Kreisscheibenpackungin einer großen Schachtel gemessen
Benutzt man anstelle der”zentrierten Schach-
tel“ eine andere Menge zum”Ausschopfen des
Raumes Rd“ (z. B. eine große Kugel mit Radi-us T ), oder ersetzt man den oberen Grenzwertder Folge durch den unteren, dann kommen furgeeignete Beispiele unterschiedliche Werte her-aus. Man kann aber fur all die verschiedenenDefinitionen zeigen, daß es optimale Packun-gen gibt, fur die die Grenzwerte wirklich exi-stieren und ubereinstimmen. Im Falle einer Git-terpackung liefern alle diese Definitionen den-selben Wert wie die Definition, die wir vorhinangegeben haben.
Es gibt nun ganz verschiedene Hinweise dar-auf, daß die Situation fur allgemeine Packungensehr viel komplizierter ist als fur Gitterpackun-gen. Zum Beispiel: wenn wir aus einer belie-bigen Packung eine, oder endlich viele, Kreis-scheiben entfernen, dann andert sich die Dich-te nicht! Und man kann ganz leicht Packungenkonstruieren, die nicht hexagonal sind, und indenen sich gar keine Kreisscheiben beruhren,die aber trotzdem die Dichte δ(Khex) der hexa-gonalen Packung haben! Also kann zumindestdie
”Eindeutigkeit der Optimallosung“ aus Le-
gendres Satz nicht mehr gelten.
Trotzdem: besser als hexagonal geht’s nicht!Dies hat
”im Prinzip“ der norwegische Ma-
thematiker Axel Thue als erster bewiesen. Erkundigte dieses Resultat im Jahre 1892 an,veroffentlichte aber erst im Jahre 1910 eine Ar-
5
beit dazu. Der dort angegebene Beweis enthaltjedoch eine Lucke, die um 1940 unabhangig vonFejes Toth und von Segre und Mahler geschlos-sen wurde.
Satz 4 (Thue 1892, . . . )Eine beliebige Packung von Kreisscheiben inder Ebene hat hochstens die Dichte π√
12, und
dieser Wert wird (unter anderen) durch hexa-gonale Gitterpackungen erreicht.
Die Haupt-Idee, oder jedenfalls der erste we-sentliche Schritt, liegt darin, daß man sich vonder
”großen Schachtel“ lost, denn wir haben
ja keine Kontrolle daruber, wo und wie dieKreisscheiben in einer großen Schachtel liegen.Stattdessen betrachtet man die Zerlegung desRaumes in Voronoı-Zellen: eine Konstruktionaus der Kristallographie, die sich inzwischenauch in ganz anderen Gebieten wie der Algo-rithmischen Geometrie (“Computational Geo-metry”) als ungemein nutzlich herausgestellthat. Die folgende Formulierung ist wieder aufden Fall allgemeiner Dimension zugeschnitten.
Definition 5 (Voronoı-Zerlegung)Sei Ω = Ω(K) eine diskrete Menge von Punk-
ten im Rd, beispielsweise die Menge der Mit-telpunkte einer Kugelpackung.
Fur jeden Punkt v ∈ Ω ist die Voronoı-Zel-
le Vor(v) die Menge derjenigen Punkte im Rd,fur die v ein
”nachster Punkt“ aus Ω ist, das
heißt,
Vor(v) := x ∈ Rd : dist(x,v) ≤ dist(x,Ω).
Die Voronoı-Zellen einer Kreisscheibenpackung
Die Voronoı-Zelle Vor(v) ist immer ein kon-vexer Polyeder. Wenn Ω wirklich die Mengeder Mittelpunkte einer Packung von Kugelngleicher Große ist, dann enthalt Vor(v) auchdie Kugel mit Mittelpunkt v. Fur eine Git-terpackung sind alle Voronoı-Zellen kongruent,und im Falle von Khex sind alle Voronoı-Zellenregulare Sechsecke mit dem Flacheninhalt 2
√3.
Mit diesen Konzepten zur Hand reicht es zumBeweis des Satzes von Thue aus, das folgendezu zeigen.
Satz 6In einer ebenen Packung von Kreisscheibenvom Radius 1 hat jede Voronoı-Zelle minde-stens die Flache 2
√3.
Der Beweis dafur ist trickreich (siehe [3, Sei-ten 62-63]) und wir geben deshalb hier nur einekleine Plausibilitatsuberlegung.
Sei K eine Kreisscheibe vom Radius 1. Wennnun P ein konvexes n-Eck ist, das die Kreis-scheibe K enthalt, dann hat P mindestensden Flacheninhalt eines regelmaßigen K um-beschriebenen n-Ecks, das heißt,
vol(P ) ≥ n tan(πn).
Dies gewinnt man daraus, daß offenbar
6
ϕ5
ϕ2
ϕ3
ϕ4
ϕ1
mit den Bezeichungen der Abbildung
vol(P ) = tan(ϕ1
n) + . . . + tan(ϕn
n)
gilt, die Tangens-Funktion im Bereich0 ≤ ϕ < π
2 konvex ist (ein bißchen Analysis. . . ), und ϕ1 + . . . + ϕn = π gilt. Daraus folgtdann, daß ein konvexes Dreieck, Viereck, Funf-eck oder Sechseck, das eine Kreisscheibe K
enthalt, immer mindestens den Flacheninhalt2√
3 hat. Es bleiben also die Voronoı-ZellenVor(v) zu betrachten, die mehr als sechs Eckenaufweisen. Da ja auch die Mittelpunkte derNachbar-Zellen von Vor(v) untereinander min-destens den Abstand 2 besitzen, konnen aber indiesem Fall nicht alle Kanten der Voronoı-Zel-le den Mindestabstand 1 zu dem Mittelpunktder Zelle haben. Dies laßt sich nun wiederummit einigem Aufwand dazu ausnutzen zu zei-gen, daß solche Zellen großeren Flacheninhalthaben als 2
√3.
In die dritte Dimension
Wir machen jetzt den Sprung in die dritte Di-mension! Wie wir wissen, handelt es sich beider fcc-Packung Kfcc, die wir in der Einleitungbeschrieben haben, um eine Gitterpackung: DieGrundschicht von Kugeln wurde gerade von ei-ner hexagonalen Packung gebildet, und diesehaben wir dann um Vektoren zt, z ∈ Z, ver-schoben, so daß die Kugeln einer oberen Schichtin die Lucken fallen, die von Kugeln der dar-unter liegenden Schicht frei gelassen werden.Wahlen wir etwa die Vektoren a1 = (2, 0, 0)und a2 = (1,
√3, 0) als Basisvektoren eines Git-
ters, welches die hexagonale Gitterpackung vonKugeln mit Radius 1 in der Grundschicht be-
schreibt, so konnen wir t = (1,√
13 ,
√
83) setzen.
Das von diesen drei Basisvektoren erzeugte Git-ter
A3 := z1a1 + z2a2 + z3t : z1, z2, z3 ∈ Zwird auch als Tetraeder-Gitter bezeichnet, dadie Basisvektoren zusammen mit 0 die Eckeneines regularen Tetraeders der Kantenlange2 bilden. Dies kann man auch dadurch aus-drucken, daß die Basisvektoren paarweise einenWinkel von 60 einschließen. Das Volumen ei-nes Fundamental-Parallelotops von A3 betragt4√
2. Da das Volumen einer Kugel mit Radi-us 1 gleich 4
3π ist, konnen wir nun mit unsereFormel fur die Dichte von Gitterpackungen ausDefinition 3 die Dichte der fcc-Packung
”wirk-
lich“ ausrechnen:
δ(Kfcc) =43π
4√
2=
π√18
.
Dies ist aber nicht die einzig mogliche Dar-stellung einer fcc-Packung als Gitterpackung,und im folgenden wird unser erstes Anliegensein, das der fcc-Kugelpackung zugrunde lie-gende Gitter (das fcc-Gitter) in seinen verschie-denen Darstellungen besser zu verstehen.
Eine wichtige Version des fcc-Gitters ist dassogenannte D3-Gitter. Dafur startet man mitdem kubischen Gitter Kcubic = Z3, in deman jedem Gitterpunkt mit ganzzahligen Ko-ordinaten eine Kugel des Radius 1
2 sitzt, al-so mit Volumen V = (1
2)3 43π = π
6 . Dabeiwird der Einheitswurfel [0, 1]3 zum Fundamen-tal-Parallelotop, und der zentrierte Einheits-wurfel [−1
2 , 12 ]3 bildet eine Voronoı-Zelle, beide
vom Volumen 1. Somit hat die kubische Gitter-packung die Dichte
δ(Kcubic) =π
6.
7
Kugeln im kubischen Gitter
Diese kubische Gitterpackung kann man leichtverbessern: wenn man namlich jede zweite Ku-gel entfernt (also beispielsweise diejenigen Ku-geln, deren Koordinatensumme ungerade ist),so bleibt viel Luft. Der kleinste Abstand zwi-schen Kugelmittelpunkten ist jetzt
√2. Also
haben wir nur noch jede zweite von den ur-sprunglichen Kugeln, konnen aber die verblie-benen alle um den Faktor
√2 vergroßern, was
ihr Volumen um den Faktor 2√
2 vergroßert.Mit anderen Worten: die Gitterpackung, derenMittelpunkte durch die Menge
D3 := z ∈ Z3 : z1 + z2 + z3 ist gerade
gegeben ist, hat Dichte 2√
22 δ(Kcubic) = π√
18=
δ(Kfcc).
Kugeln im D3-Gitter
Aber wir hatten die kubische Gitterpackungauch ganz anders verbessern konnen; zum Bei-spiel, indem man in die kubische Gitterpackung
neue Kugeln einsetzt, und zwar immer an dieMittelpunkte der (2-dimensionalen) Flachender Einheitswurfel. Man uberzeugt sich schnell,daß dann Kugeln genau an den Punkten mithalb- und ganzzahligen Koordinaten sitzen, de-ren Koordinatensumme ganzzahlig ist. Dies istaber gerade die Punktmenge D3, um den Fak-tor 1
2 verkleinert.
Kugeln im fcc-Gitter
Auch wenn die beiden beschriebenen Gitter A3
und D3 ”unterschiedlich aussehen“, so sind sie
doch”mathematisch gleich“; wir konnen sie
mittels einer Drehung und Streckung ineinan-der uberfuhren. Dazu beobachtet man, daß dieVektoren d1 = (1, 1, 0), d2 = (1, 0, 1) undd3 = (0, 1, 1) eine Basis von D3 bilden undpaarweise einen Winkel von 60 miteinanderbilden. Folglich konnen wir die Menge von Vek-toren
√2 di : i = 1, 2, 3 so drehen, daß sie mit
den Basisvektoren a1,a2, t von A3 uberein-stimmen.
In einer”Anzeige“ (was wir heute eine Rezen-
sion nennen wurden) eines Buches von Lud-wig August Seeber bewies Carl Friedrich Gauß1831 eine Aussage uber ternare quadratischeFormen, die er dann noch geometrisch inter-pretierte und aus der sich leicht die Optima-litat der fcc-Packung innerhalb der Familie derGitterpackungen ergibt.
Satz 7 (Gauß 1831)Eine Gitterpackung von Kugeln im R3 hathochstens die Dichte π√
18, und dieser Wert wird
nur durch fcc-Gitterpackungen erreicht.
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Beweis. Wir gehen ahnlich vor wie im 2-di-mensionalen Fall, und suchen uns im gegebenenGitter zunachst einen kurzesten Basisvektor b1,dann einen zweit-kurzesten Basisvektor b2, undabschließend einen dritt-kurzesten b3. Seien diequadrierten Langen dieser Basisvektoren mit‖b1‖2 = a, ‖b2‖2 = b, ‖b3‖2 = c und ihre Ska-larprodukte mit 〈b2, b3〉 = a′, 〈b1, b3〉 = b′ und〈b1, b2〉 = c′ bezeichnet. Es ist nun leicht zusehen, daß wir annehmen durfen, daß die Zah-len a′, b′, c′ entweder alle nicht-negativ oder allenicht-positiv sind. Der Einfachheit halber be-handeln wir hier nur den Fall a′, b′, c′ ≥ 0 –die andere Konstellation kann
”fast genauso“
behandelt werden.
Wir betrachten nun das von den drei Vekto-ren aufgespannte Fundamental-Parallelotop P ,und verschaffen uns irgendwoher die Volumen-formel
vol(P )2 = abc − a(a′)2 − b(b′)2 − c(c′)2 + 2a′b′c′.
Nun gilt, weil wir ja eine Basis mit kurzestenVektoren gewahlt haben, daß bi − bj jedenfallsnicht kurzer sein darf als bi (fur 1 ≤ i 6= j ≤ 3),weil man ja mit
”bi − bj statt bi“ ebenfalls ei-
ne Basis erhalten wurde. Also erhalt man sechsUngleichungen vom Typ
b + a − 2c′ = ‖b2 − b1‖2 ≥ ‖b2‖2 = b,
und damit
a − 2c′ ≥ 0, a − 2b′ ≥ 0, b − 2a′ ≥ 0, usw.
Nun schreibt man sich die Volumenformelnochmal (etwas trickreich . . . ) geeignet hin:
2 vol(P )2 = abc +
+ aa′(b − 2a′) + bb′(c − 2b′) + cc′(a − 2c′)
+ a′(a − 2b′)(b − 2c′) + b′(b − 2c′)(c − 2a′)
+ c′(c − 2a′)(a − 2b′)
+ (a − 2b′)(b − 2c′)(c − 2a′) ≥ abc
und sieht daraus sofort
vol(P )2 ≥ abc
2.
An dieser Stelle sei bemerkt, daß Seeber zwardiese Ungleichung vermutete, aber in seinem
Artikel nur den Faktor 3 beweisen konnte. Diesveranlaßte Gauß zu seinem Beweis, welchen ermit den Worten einleitet
”[...] hier, um auch
unsererseits in dieser Anzeige einen Beitrag
zur Vervollkommnung der Theorie zu geben,
einen sehr einfachen Beweis beifugen.“ – furden Faktor 2.
Nun haben wir es hier aber mit einer Gitter-packung zu tun, also sind a, b, c ≥ 4 und so
vol(P ) ≥√
12abc ≥ 4
√2 .
Mit anderen Worten, das Volumen ei-nes Fundamental-Parallelotops einer Kugel-Gitterpackung ist stets großer als 4
√2, dem
Volumen eines Fundamental-Parallelotops ei-ner fcc-Packung. Wann tritt Gleichheit auf?Dafur unterscheiden wir zwei Falle: im erstenwird angenommen, daß a′, b′ und c′ alle dreinicht Null sind. Dann muß fur Gleichheit of-fensichtlich a = b = c = 2a′ = 2b′ = 2c′ = 4gelten, und die Basisvektoren bilden zusam-men mit 0 die Ecken eines regularen Simplexder Kantenlange 2. Unsere Abbildung zeigt ei-ne entsprechende Basis im fcc-Gitter – dies istgerade die zuvor erwahnte Basis d1,d2,d3.
d1 d2
d3
Eine kurzeste Basis im fcc-Gitter
Im zweiten Fall durfen wir annehmen, daßa′ = 0 ist. Dann kann aber nicht noch b′ = 0oder c′ = 0 sein, sonst bekamen wir in dergroßen Summe mindestens einen zusatzlichenSummanden. Damit folgt fur den Gleichheits-fall aber sofort, daß c = 2b′, a = 2c′, b = 2c′
und a = 2b′ gilt, also a = b = c = 2b′ = 2c′.
9
Noch eine kurzeste Basis im fcc-Gitter
Diese Parameter beschreiben ebenfalls ein fcc-Gitter. Man uberzeuge sich an unserer Abbil-dung, daß die dort eingezeichneten Vektoren ei-ne Gitterbasis bilden, alle gleich lang sind, undeinen rechten sowie zwei 60-Winkel einschlie-ßen.
Eine skandalose Situation
Und fur allgemeine Kugelpackungen? Die Fra-ge nach einer dichtesten Kugelpackung im 3-di-mensionalen Raum hat viele Mathematiker inihren Bann gezogen. Nicht zuletzt fand sie alsein Teil des 18. Problems auch Eingang in dieListe der Hilbertschen Probleme. Obwohl, wieC. A. Rogers 1958 schrieb, “[. . . ] many mathe-
maticians believe, and all physicists know”, daßdie Vermutung richtig ist, hielt sie sehr langeallen Beweisbemuhungen Stand. Der beruhm-te amerikanische Topologe John Milnor kom-mentierte 1967 die Kepler-Vermutung mit denWorten: “[. . . ] the corresponding problem in 3
dimensions remains unsolved. This is a scan-
dalous situation [. . . ]. All that is missing is a
proof.”
Aber auch wenn bis vor kurzem kein Beweisder Kepler-Vermutung vorlag, so hat es dochim Laufe der letzten vier Jahrhunderte zahlrei-che wichtige Fortschritte gegeben. Eine ersteobere Schranke fur die Dichte einer optimalen3-dimensionalen Kugelpackung findet sich beiH. F. Blichfeldt im Jahre 1919. Seitdem ist dieSchranke immer wieder verbessert worden. WerStatistiken und Tabellen mag, kann das
”Ren-
nen“ folgendermaßen zusammenfassen:
0,884 Blichfeldt 19190,835 Blichfeldt 19290,828 Rankin 19470,7797 Rogers 19580,77844 Lindsey 19860,77836 Muder 19880,7731 Muder 1993
Kommen wir damit der richtigen Antwort na-he? Die Ziellinie liegt ja bei
π√18
= 0, 74048048... .
Und was steckt hinter den Zahlen? Gibt es daeine Methode?
Ein Kochrezept?
Zunachst sollten wir an dieser Stelle vielleichtfesthalten, daß
”der offensichtliche“ Ansatz im
3-dimensionalen Fall nicht funktioniert. DasAnalogon zum Satz 6 ist da namlich glattfalsch. Berechnet man namlich das Volumender Voronoı-Zellen des Gitters Ω = D3, so istdieses gleich 2: weil alle Voronoı-Zellen kongru-ent sind, und sich das Volumen der Zellen beimWeglassen
”jeder zweiten Kugel“ aus dem ku-
bischen Gitter verdoppelt.
Die Voronoı-Zelle des fcc-Gitters: einRhombendodekaeder
Das Kepler-Problem ware nun gelost, wennman zeigen konnte, daß in keiner Kugelpackungvon Kugeln des Radius 1√
2Voronoı-Zellen von
10
kleinerem Volumen auftreten konnen. Aber dasist falsch! Es konnte namlich ein regelmaßigesDodekaeder als Voronoı-Zelle auftreten, unddessen Volumen ist – um knappe 2% – kleiner.
Ein Dodekaeder als Voronoı-Zelle
Fejes Toth hat vermutet, daß das Dodeka-eder den schlimmsten Fall, also die Voro-noı-Zelle minimalen Volumens, ergibt. Die-se sogenannte dodekaedrische Vermutung isteng verbunden mit dem Kugelpackungspro-blem und erst kurzlich haben Thomas C. Halesund Sean McLaughlin einen Beweis dafur an-gekundigt (siehe [4]).
Ein Gegenbeispiel zur Kepler-Vermutung lie-fern die Dodekaederzellen aber (zunachst)nicht. Mit regelmaßigen Dodekaedern laßt sichder Raum namlich nicht parkettieren. Und des-halb, so scheint es, konnen so
”unverschamt
kleine“ Voronoı-Zellen zwar auftreten, abernicht ungestraft: die Nachbarzellen mussendann umso großer sein. Also muß man Mittel-werte bilden; aber wie?
Ein Meilenstein in der Geschichte der Kepler-Vermutung ist Laszlo Fejes Toths Zugang zumKugelpackungsproblem, 1953 in der ersten Auf-lage von [3] publiziert. Fejes Toth schlug vor,bis zu 13 Voronoı-Zellen auszuwahlen und ih-re lokale Dichte durch ein gewichtetes, durch-schnittliches Volumen zu messen. Damit redu-zierte er das Problem auf ein Optimierungspro-blem in endlich vielen Variablen.
Auch die Versuche zur Losung des Kepler-Problems der letzten Jahre, von Hsiang undvon Hales, von denen gleich die Rede sein wird,basieren auf dem Ansatz von Fejes Toth. In der
Tat, kurzlich hat Jeffrey C. Lagarias [7] ein all-gemeines
”Kochrezept“ zur Losung des Kepler-
Problems angegeben, in das sich die Ansatzevon Fejes Toth, Hsiang und Hales einordnenlassen. Dieses werden wir hier nur skizzenhaftwiedergeben; die genauen Bedingungen sind in[7] zu finden.
Satz 8 (Ein Kochrezept nach Lagarias [7])Die erste Zutat besteht aus einer Zerlegungsre-
gel R fur beliebige gesattigte Kugel-PackungenK (dies sind Packungen, zu denen man keineweitere Kugel dazupacken kann): Sei Ω = Ω(K)die Menge der Kugelmittelpunkte von K. Dannsei R(Ω) eine Zerlegung des R3 in konvexe Po-lytope, so daß jedes Polytop R ∈ R(Ω) nurdurch eine begrenzte Anzahl von Kugelmittel-punkten bestimmt ist (man denke etwa an dieZerlegung in Voronoı-Zellen).
Die zweite Zutat (ein scharfes Gewurz) bestehtaus einer Gewichtsfunktion, die jedem PolytopR ∈ R(Ω) und jedem Mittelpunkt v ∈ Ω einereelle Zahl σ(R,v) zuordnet, und zwar so, daßes positive Zahlen A,B,C, θ (nur abhangig vonR) gibt mit σ(R,v) = 0 falls dist(R,v) > C,und fur jedes Polytop R ∈ R(Ω) gilt
∑
v∈Ω
σ(R,v) = A · vol(R ∩ K) − B · vol(R),
(∗)
und fur jeden Punkt v ∈ Ω gilt
∑
R∈R(Ω)
σ(R,v) ≤ θ < 43πA. (∗∗)
Unter diesen Bedingungen gilt dann die obereSchranke
δmax ≤ B
A − 3θ4π
fur die Dichte von Kugelpackungen im R3.
Der Beweis dieses Satzes ist ein bißchen tech-nisch (weil man den Grenzubergang T → ∞sauber durchfuhren muß), aber letztlich nichtschwierig. Auch Zerlegungsregeln lassen sichleicht angeben. Die eigentliche Schwierigkeitliegt im Nachweis, daß die Bedingung (∗∗) fur
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ein gegebenes θ stimmt. Aber fur eine gege-bene Zerlegungsregel stellt dies ein endlich-
dimensionales nichtlineares Optimierungspro-blem dar. Endlich-dimensional, weil es ja nachder Definition der Gewichtsfunktion eine Kon-stante N geben muß, so daß σ(R,v) vonhochstens N
”benachbarten“ Polytopen aus
R(Ω) abhangt.
Wir haben inzwischen schon mehrere Beispie-le fur Zerlegungsregeln gesehen! In der Tat,fur Gitterpackungen mit Gitter Ω liefert dieZerlegung in Translate w + P , w ∈ Ω, desFundamental-Parallelotops P des Gitters einesolche Regel. Nun setzen wir A := 1, B := π√
18und
σ(w + P,v) :=
0, fur w 6= v,43π − B · vol(P ), fur w = v.
Wie wir aus dem Satz von Gauß wissen, istvol(P ) fur jede Gitter-Kugelpackung nicht klei-ner als 4
√2 und somit konnen wir θ = 0 setzen.
Dies ergibt dann naturlich die obere Schrankeδmax ≤ π√
18.
Und es gibt, wie Lagarias ausfuhrt, derzeit viermogliche Kandidaten fur Zerlegungsregeln undGewichtsfunktionen, die insgesamt δmax ≤ π√
18
auch fur allgemeine Kugelpackungen im R3 be-weisen konnten.
Die erste wurde von Fejes Toth 1953 vorge-schlagen. Sie basiert auf der Voronoı-Zerlegung.Wieder setzt man die Konstanten auf A := 1und B := π√
18, und definiert nun
σ(Vor(w), v) := ω(w,v)(
43π − π√
18vol(Vor(w))
)
,
wobei ω(w,v) auf 112 gesetzt wird, wenn v und
w”nahe beieinander liegen“ (der Abstand von
v und w zwischen 2 und 2, 0534 liegt). An-dernfalls ist ω(w,v) = 0 fur w 6= v, und dieWerte ω(v,v) ergeben sich dann aus der Be-dingung (∗) des Kochrezeptes. Und dann wareda noch die Bedingung (∗∗) nachzuprufen:
”Ob-
wohl eine exakte Berechnung des Minimumpro-
blems recht kompliziert zu sein scheint, kann
sie keineswegs als hoffnungslos angesehen wer-
den.“ (Fejes Toth [3, S. 181])
Eine zweite Zerlegungsregel wurde von demchinesisch-amerikanischen Mathematiker Wu-Yi Hsiang angegeben. Sie basiert wieder aufder Voronoı-Zerlegung, und kann ganz ahnlichwie die Regel von Fejes Toth formuliert werden(siehe [7]). Ein wesentlicher Unterschied: Hsi-ang veroffentlichte 1993 eine Arbeit mit demTitel “On the sphere packing problem and theproof of Kepler’s conjecture” [5] in der er be-hauptet(e), (∗∗) bewiesen und damit das Pro-blem gelost zu haben. Die Arbeit enthalt vieleDetails, Zwischenschritte und Rechenergebnis-se. Es ist aber schwer zu sehen, wie in der Ar-beit die rechnerische Komplexitat des Problemswirklich
”in den Griff bekommen“ wird. Diese
ist unter anderem deshalb so groß, weil Voro-noı-Zellen sehr kompliziert sein konnen: bei-spielsweise konnen sie bis zu 44 Seitenflachenhaben, und vielleicht sogar mehr (49 ist einebewiesene obere Schranke). Die Begeisterunguber Hsiangs Arbeit hielt deshalb nicht langean. Es entbrach eine zum Teil hitzig gefuhr-te Diskussion um die Korrektheit des Bewei-ses, die Gabor Fejes Toth 1996 mit den Wor-ten resumierte: “This cannot be considered as
a proof. The problem is still open.” Der Standder Diskussion im Herbst 1996 ist in [2] nach-zulesen.
Die dritte und die vierte Regel wurden vonThomas C. Hales vorgeschlagen, der jahrelangam Kepler-Problem gearbeitet hat. Beide ba-sieren primar auf sogenannten Delaunay-Zerle-
gungen des R3 in Simplexe, in der jeder Sim-plex die Eigenschaft hat, daß sich im Innerendes Umkreises eines Simplex keine Kugelmittel-punkte befinden durfen. Diese sind in verschie-dener Hinsicht dual zur Voronoı-Zerlegung. Un-ser Bild illustriert den 2-dimensionalen Fall.
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Delaunay-Zerlegung einer Kreisscheibenpackung
Hales arbeitete zunachst mit A := 4, B := 4δoct
und einer Gewichtsfunktion vom Typ
σ(R,v) := vol(R ∩ K) − δoct vol(R),
wobei R ein Delaunay-Tetraeder sein soll, v
eine Ecke davon, und δoct ≈ 0, 7209 denFlachenanteil eines regularen Oktaeders derKantenlange 2 wiedergibt, der von 6 Einheits-kugeln an den Ecken uberdeckt wird. Es gibtaber Konfigurationen (insbesondere eine be-sonders eklige: ein regulares Funfecksprisma),in denen diese Regel nicht funktioniert. Des-halb wird diese in den Hales-Ansatzen nur furbestimmte Delaunay-Tetraeder verwendet, undfur andere wird unter Hinzunahme der Voronoı-Zerlegung weiter unterteilt und bewertet. Diedaraus erhaltenen Zerlegungsregeln und Ge-wichtsfunktionen sind kompliziert und unuber-sichtlich, aber . . .
Computer versus Kepler
Anfang August 1998 kundigte Thomas C. Ha-les von der University of Michigan an, daß sei-ne mehr als funf Jahre andauernden Untersu-chungen zur Kepler-Vermutung erfolgreich zumAbschluß gekommen sind. Der von ihm vorge-legte, fast 250 Seiten umfassende Beweis ist infunf Abschnitte untergliedert, wobei der funf-te Abschnitt die Doktorarbeit seines Doktoran-den Samuel Ferguson enthalt. Die ersten beiden
Teile sind bereits 1997 publiziert worden; dieverbleibenden Teile sind uber Internet zugang-lich [4].
Der Beweis beruht auf der komplizierten undunubersichtlichen vierten Regel fur das Kochre-zept. Danach hangt die Bedingung (∗∗) fur eingegebenes v von bis zu 50 weiteren Kugelmit-telpunkten w
”in der Nahe“ ab. Das daraus
resultierende Optimierungsproblem (in ca. 150Variablen) ist extrem komplex und mit heuti-gen Standardmethoden der nichtlinearen Opti-mierung nicht losbar. Trotzdem: Hales und Fer-guson konnten das Problem wohl computerge-recht bearbeiten, unterteilen und aufbereiten.Im vorliegenden Beweis gilt deshalb aber: “[...]nearly every aspect of the proof relies on com-
puter verifications.” (T. C. Hales, [4])
Mit Hilfe des Computers werden unter Verwen-dung von Intervall-Arithmetik ca. 5000 ebe-ne Graphen klassifiziert, die zu den
”relevan-
ten Polyedern“ der Zerlegungsregel korrespon-dieren. Jeder dieser Graphen fuhrt zu einemnichtlinearen Optimierungsproblem, von denendie meisten mit Hilfe von linearen Relaxatio-nen gelost werden konnen. Insgesamt werdenungefahr 100 000 lineare Optimierungsproble-me betrachtet, jedes ist in etwa 100 bis 200Variablen formuliert und besitzt 1000 bis 2000Restriktionen. Die verbleibenden nichtlinearenOptimierungsprobleme werden mit Branch and
Bound-Methoden aus der globalen Optimie-rung behandelt. Die Inputdaten all dieser Opti-mierungsprobleme sowie die verwendeten Pro-gramme sind ebenfalls auf dem WWW einzu-sehen [4]. Ein Kraftakt: “The Hales-Ferguson
proof, assumed correct, is a tour de force of
nonlinear optimization.” (J. C. Lagarias [7])
Es sei hier auch festgehalten, daß die mehr alsfunf Jahre dauernden Untersuchungen von Ha-les durch eine große Transparenz gekennzeich-net waren. Hales berichtete auf Konferenzenstets freizugig uber den aktuellen Stand sei-ner Forschung und dokumentierte zudem diewesentlichen Fortschritte auf seiner Homepage.Uber die Korrektheit seines Beweises ist damitnaturlich nichts gesagt, und es wird noch ei-nige Zeit vergehen, bevor die Arbeit abschließ-end beurteilt werden kann. Aber es besteht wie-
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der Hoffnung, daß zukunftig, neben dem Beweisdes Fermatschen Satzes, auch die Losung derKepler-Vermutung im mathematischen Ruck-blick auf das 20. Jahrhundert zu nennen seinwird.
“The current status of the Hales-Ferguson proof
is that it appears to be sound – no serious er-
rors have been found so far. Some linear pro-
gramming computations will have to be do-
ne over to guarantee their absolute correct-
ness, but no surprises are expected in this.
However the proof has not been completely
checked and it is so long and complicated that
it seems difficult for any one person to check
it.” (J. C. Lagarias [7])
Probleme, Probleme
Ein Zoo (ein Bestiarium) von ungelosten Pro-blemen findet sich im Umkreis des Kepler-Problems. Manches Problem laßt sich dabeimit modernen mathematischen Methoden so-gar in hohen Dimensionen losen – andere sinddagegen im Moment nicht mal in der Ebene zuknacken . . .
Kreisscheiben naherschieben
Nicht einmal in Dimension 2, in der Ebe-ne, ist man vor ungelosten Problemen sicher.Man betrachte zum Beispiel zwei Anordnun-gen K1, . . . ,Kn und L1, . . . , Ln von n
Einheitskreisscheiben in der Ebene. Diesmaldurfen sie sich uberlappen – was die Flacheder Vereinigung zu einer interessanten Großemacht. Nehmen wir an, daß die KreisscheibenLi ”
naher beieinander liegen“, so daß der Ab-stand der Mittelpunkte von Li und Lj immerkleiner oder gleich ist dem der Mittelpunktevon Ki und Kj , so daß also
vol(Li ∪ Lj) ≤ vol(Ki ∪ Kj)
gilt fur alle i < j. Muß dann automatisch
vol(L1 ∪ · · · ∪ Ln) ≤ vol(K1 ∪ · · · ∪ Kn)
gelten? Das ist immer noch nicht klar [1].
Schlecht packbare Korper
Nicht einmal in der Ebene weiß man, welcher 0-symmetrische konvexe Bereich die schlechtestePackungsdichte hat.
”Abgerundete“ regelmaßi-
ge Achtecke sind beispielsweise schlechter zupacken als Kreisscheiben – das haben Rein-hardt und Mahler vor langer Zeit beobachtet[3, S. 104]. Fur beliebige konvexe Korper wirddie minimale Packungsdichte von einem Drei-eck realisiert.
Gitterpackungen
Die besten Gitterpackungen von Kugeln ken-nen wir fur alle Dimensionen d ≤ 8 (und zwarbereits seit 1929); fur d = 2 ist es die hexago-nale Packung, fur 3 ≤ d ≤ 5 sind die optima-len Packungen durch das Gitter Dd, der Punk-te in Zd mit gerader Koordinatensumme gege-ben. In Dimensionen d = 6, 7, 8 sind die
”exzep-
tionellen“ Gitter E6, E7 und E8 besser – undbestmoglich. Aber man interessiert sich auchfur noch viel hohere Dimensionen: unter ande-rem deshalb, weil sich aus guten Gitterpackun-gen gute
”Kodes“ gewinnen lassen, die fur die
Kodierungstheorie (und damit fur effektive undfehlergeschutzte Datenubertragung) von Nut-zen sein konnen. Wir verweisen dazu auf denAufsatz von J. van Lint in diesem Band!
Dabei ist weder bewiesen, noch widerlegt, daßin allen Dimensionen die optimale Packungs-dichte durch eine Gitterpackung erreicht wird.Zumindest fur Dimension 9 kennt man eine
”Nicht-Gitterpackung“, die besser ist als die
beste bekannte Gitterpackung. Fur sehr exzen-trische Ellipsoide, die man fur’s Packen auchnoch drehen darf, ist bereits fur d ≥ 3 gezeigtworden, daß es Packungen gibt, die dichter sindals Gitterpackungen.
Endliche Packungen
In popularwissenschaftlichen Berichten uberdie Kepler-Vermutung wird gerne darauf ver-wiesen, daß ein Beweis der Kepler-Vermutungimpliziere, daß die pyramidenformige Anord-nung von Orangen, wie in der Abbildung auf
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Seite 2 dargestellt, am”platzsparendsten“ ist.
Jeder Obsthandler weiß, und die meisten Ma-thematiker glauben, daß dies richtig ist; bishergibt es aber keinen Beweis dafur. Es handeltsich nun hierbei um ein endliches Packungspro-
blem! Eine wesentliche Fragestellung in diesemZusammenhang ist das Problem eine Packungvon endlich vielen Kugeln zu finden, so daß dasVolumen der konvexen Hulle der Kugeln mini-mal ist – auch deshalb interessant, weil es hel-fen kann, Kristallformen und Kristallwachstumzu erklaren. Eine bemerkenswerte Vermutungvon Fejes Toth, die Wurstvermutung , besagt,daß in Dimensionen d ≥ 5 eine
”wurstformige“
Packung von Kugeln am Besten ist.
Wurstformige Packung von 6 Kugeln
Oktaedrische Packung von 6 Kugeln
Die Wurstvermutung ist inzwischen fur Dimen-sionen ≥ 42 bewiesen worden, aber fur die rest-lichen 37 Dimensionen in das Problem offen.Wir verweisen in diesem Zusammenhang aufdas Buch von Max Leppmeier [8]. Ubrigens: dieoben dargestellte wurstformige Packung von 6Kugeln ist besser als die oktaedrische!
Das Kußproblem
In Dimension 2 konnen hochstens k2 = 6 Kreis-scheiben eine gegebene Kreisscheibe gleichzei-tig beruhren ohne sich zu uberlappen. In Di-mension 3 sind dies k3 = 12, wie schon New-ton vermutete. Man sagt, daß die Kugeln sichkussen – das ist Billiardsprache. Bemerkens-werterweise kann man in den Dimensionen 8und 24 die Kußzahlen kd exakt bestimmen:k8 = 240 und k24 = 196560. Der Beweis kannin [9] nachgelesen werden. Das entsprechendeProblem in Dimension 4 ist allerdings immernoch offen: wir wissen nur daß 24 ≤ k4 ≤ 25gilt. (Hsiang hat allerdings auch schon behaup-tet, daß er beweisen konne, daß die Kußzahl 24sei.)
Literatur
[1] M. Bern & A. Sahai: Pushing disks together – The continuous motion case, DiscreteComput. Geometry 20 (1998), 499-514.
[2] K. Bezdek: Kepler’s conjecture and the dodecahedral conjecture, DMV-Mitteilungen 4-1996, 52-54.
[3] L. Fejes Toth: Lagerungen in der Ebene, auf der Kugel und im Raum, Springer, Berlin,erste Auflage 1953; zweite Auflage 1972.
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[4] T. C. Hales: The Kepler conjecture, 1998.http://www.math.lsa.umich.edu/~hales/countdown/
[5] W.-Y. Hsiang: On the sphere packing problem and the proof of Kepler’s conjecture, Inter-national J. Math. 93 (1993), 739-831.
[6] J. Kepler: Vom Sechseckigen Schnee, Strena, Frankfurt/Main, 1611 (Faksimile-VerlagBremen, 1982).
[7] J. Lagarias: Notes on the Hales approach to the Kepler conjecture, Preprint 1999.
[8] M. Leppmeier: Kugelpackungen von Kepler bis heute, Vieweg, Wiesbaden 1997.
[9] C. Zong: Sphere Packings, Springer-Verlag, New York 1999.
Dank
Herzlichen Dank an Jeff Lagarias fur die Arbeit [7], aus der so viel zu lernen war, und an BiancaSpille fur hilfreiche Kommentare.
Martin HenkFB Mathematik/IMOUniversitat Magdeburg39106 [email protected]
Gunter M. ZieglerFachbereich Mathematik, MA 7-1Technische Universitat Berlin10623 [email protected]
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