Kultur aus der Stadt Gießen Nummer 113 -Seite Auch Kom diantik … · 2013-05-22 · Freitag, 17....

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Auch Komödiantik ist harte Arbeit John von Düffel zu Gast in der Reihe »Georg Büchner – Literatur/Wissenschaft« Nicht immer lässt sich das unbere- chenbare Spiel der Natur positiv als Metapher für subjektive Zustandsbe- schreibungen fruchtbar machen – nein, die Natur macht einem, in der Realität anders als in der Literatur, manchmal einfach einen Strich durch die Rech- nung. So auch bei der Lesung mit John von Düffel, die wegen des Wetters von der Dachterrasse des Rathauses ins Atrium verlegt worden war. Der 1966 geborene Autor und Drama- tiker las aus zwei aktuellen Texten.Was diese allerdings mit dem in Gießen zum Büchner-Jahr 2013 geehrten Namensge- ber der literarischen Reihe gemeinsam haben sollten, wollte sich zunächst nicht so recht erschließen. Wer gekom- men war, weil der Titel des Abends »Über das Schreiben im Licht von Büchners ›Lenz‹« versprach, hier werde eben dieser Stoff aus gegenwärtiger Po- sition neu ausgeleuchtet, wurde zu- nächst enttäuscht. Von Düffel schaffte es bald, vom The- ma des Abends unterhaltsam und klug – zunächst ziemlich wegzuführen. Trotzdem sollte es in der kurzen Ein- führung, die von Düffel in die Texte aus »Goethe ruft an« (2011) und »Ostsee« (2013) selber gab, jedoch erst um Büch- ner gehen. »Ich bin aufgefordert«, so der Autor, »über Büchner und meinVerhält- nis zu ihm nachzudenken.« Diese Über- legungen führten offenbar zur Auswahl der zu lesenden Prosatexte; der erste von beiden, ein »komödiantenhafter Künstlerroman«, wie ihn Dr. Kai Bre- mer vom Institut für Germanistik nannte, beschreibt die Begegnung zwi- schen Autoren – vergleichbar mit der li- terarischen Begegnung, die der junge Büchner mit der Figur des Dichters J.M.R. Lenz, dem einstigen Freund Goe- thes, machte, als er in Straßburg über fünfzig Jahre später auf Aufzeichnun- gen zu dessen Leben stieß. »Man kann sich bei Büchners ›Lenz‹ fragen, inwie- weit ›Lenz‹ ein Alter Ego Büchners ist«, lautet ein Fazit von Düffels und er be- schreibt seine eigene Begegnung mit ei- nem historischenVorläufer wie auch die Autorenbegegnung in seinem Roman: »Hier ist es ein Goethe – das, was man als Au- tor vielleicht sein möchte.« Wird im Text mit dem Namen des Dichterfürsten stets as- soziativ gespielt, soll es sich bei seiner Roman- figur allerdings um ei- nen fiktiven zeitgenös- sischen Autor handeln. Aber kann man diese Hintergründe und Vor- lagen stets ausblenden, gerade, wenn es sich um Namen wie Goethe, Büchner und eben auch Lenz handelt? Sicher nicht und dies wäre bei von Düffel eher irre- führend, denn seine Methode artifiziellen Umdichtens literarhistorischer Kontex- te ist im besten Sinne zeitgenössisch. An dieser Stelle erschließt sich dem Zuhörer nun endlich auch, was Büch- ners »Lenz« mit von Düffels »Goethe ruft an« zu tun haben könnte. Es scheint also um mehr als um inhaltliche Gemeinsamkeiten wie bei den Naturbe- schreibungen zu gehen: Es geht ihm, wie im Titel der Lesung angekündigt, um das »Licht« als Erkenntnis für den Schreibprozess, kurz: um die Bedingun- gen literarischer Produktion. Dazu ge- hört zum einen die Ausleuchtung und Umformung vorgefundenen Textmateri- als, die sich im »Lenz«-Stoff findet, bei dem Büchner seinem historischen Pro- tagonisten so nahe auf den Leib rückt, dass es den Leser noch knapp 200 Jahre später schmerzen muss: »Die Welt, die er hatte nutzen wollen, hatte einen un- geheuren Riss«, be- schrieb Büchner den geistigen Zustand ›sei- nes‹ Lenz. Von Düffel seinerseits sagt über Büchner, dieser habe »eine große Zerrissen- heit in seinem Werk« ge- lebt. Und stellt die span- nende, auf Büchners kurzes Freidenker-Le- ben anspielende Frage: »Ob das wirklich eine runde Autorenbiografie geworden wäre?« Zum anderen, und damit will von Düffel das Bild des ›genialischen‹ Schrift- stellers aufbrechen, ge- höre neben der Einfüh- lung in die Figuren, wie der »geradezu merkwür- digen Empathie Büchners für Lenz«, unabdingbar schriftstellerische Erfah- rung und stilistisch-technische Sicher- heit zu gelungener Literaturprodukti- on. Bei aller amüsanten Unterhaltung, die der Literaturabend geliefert haben mag, wird hier transparent, was von Düffel meint, wenn er über sein eigenes Schreiben wie im Goethe-Text sagt: »Auch kommödiantisch sein ist harte Arbeit.« Sabine Wolfrum John von Düffel (swg)

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Freitag, 17. Mai 2013 Nummer 113 - Seite 29Kultur aus der Stadt Gießen

Musik als AuswegBenefizkonzert für Hilfsprojekt »Musik statt Straße«

Seit der Geiger Georgi Ka-laidjiev vor gut drei Jahrenin seiner bulgarischen Hei-matstadt Sliven das Kinder-hilfsprojekt »Musik stattStraße« ins Leben rief, hat erviele Mitstreiter für die guteSache gewinnen können. DasEngagement für Lebensper-spektiven und Auswege ausunverschuldeter Armut trägtbereits erstaunliche Früchte.Misho und Elias, zwei derehemaligen Straßenkinderaus den Slums in Sliven,wurden im Musikkonserva-torium aufgenommen. Weite-re 29 junge Menschen zwi-schen fünf und 17 Jahrenkönnen derzeit gefördertwerden.

Von Beginn an unterstütztauch das von Kalaidjiev ge-gründete und geleitete Kam-merorchester Studio Konzer-tante das Projekt. AmPfingstsonntag, 19. Mai, gibtdas Ensemble ein Benefiz-konzert zugunsten der Stra-ßenkinder. Beginn der Mati-nee im Rathaus ist um 11Uhr. Auf dem Programm ste-hen Werke von Händel,Vival-di, Bach, Mozart und Piaz-zolla. Neben den Instrumen-tal-Solisten (Violine: Ji-YeonShin und Georgi Kalaidjiev,Gitarre: Arne Kühr, Oboe:Thomas Siebert, Klavier:Christoph Ulrich, Cembalound Moderation: HermannWilhelmi) – wird aus Hanno-ver Sopranistin Anna Dierlanreisen. Sie singt aus demMessias-Oratorium von Hän-del das »Rejoyce greatly«und aus Händels Oper »Giu-lio Cesare« die Arie der Cleo-patra »Piangero la sortemia«. Mit Händels »Passaca-glia« und zwei der vier Jah-reszeiten von Vivaldi eröff-nen die Musiker das Pro-gramm – mit Augenzwin-kern, wählten sie doch fürdas Frühlingskonzert Vival-dis Herbst und den Winter.Johann Sebastian Bach wirdmit einem Konzert für Violi-ne und Oboe vertreten sein,Mozart mit einem Klavier-konzert und Piazzolla mitdem furiosen »Nightclub1960« für Violine und Gitar-re.

Als Kalaidjiev kürzlich inSliven war, überzeugte ersich zum wiederholten Mal

vor Ort von den Fortschrittenseines Projektes, sprach mitden Kindern, Eltern undLehrern und brachte Ge-schenke mit, er suchte Politi-ker auf, knüpfte Kontakteund schmiedete Pläne. Na-türlich wurde auch viel mu-siziert und gefeiert.

Mit von der Partie warauch ein Team der Filmhoch-schule München, um einenDokumentarfilm über die Si-tuation der Kinder in Slivenvorzubereiten. Zu den aktu-ellen Aufgaben gehöre derEinsatz für ehemalige Stra-ßenkinder, damit sie die Re-gelschule besuchen dürfen,berichtet Kalaidjiev. Auchwürde man gerne größereRäume für den Musikunter-richt und die Nachhilfestun-den anmieten. »Sie findennoch in einer ausgebautenGarage und dem kleinenHaus meinesVaters statt.«

Die Projektkinder bekom-men neben dem professionel-len Musikunterricht täglicheNachhilfestunden und einenImbiss. Zur musischen Erzie-hung gehören Malstundenund natürlich werden auchInstrumente, Kleidung, Me-dikamente oder Heizmittelgebraucht. Neue Interessen-ten kommen stets dazu. Wieim letzten Sommer bei Kon-zerten der Kinder mit Kin-derliedermacher FredrikVahle, der Kalaidjiev nachSliven begleitete.

»Im nächsten Jahr wollenwir die Kinder wieder nachDeutschland einladen«, freutsich Kalaidjiev – und istglücklich über jede helfendeHand. Inzwischen habe mansechs Paten gefunden, diemit 30 Euro im Monat einemKind einen Platz im Projektsichern. Dankbar ist Kalaid-jiev, dass nun auch der neueOberbürgermeister von Sli-ven und die neue Kulturde-zernentin der humanitärenund kulturellen Projektar-beit Interesse schenken. Dasser, der selbst durch Musikden Weg aus Armut schaffte,im vergangenen Herbst zumEhrenbürger seiner Heimat-stadt ernannt wurde, vergisstKalaidjiev in seiner beschei-denen Art zu erzählen. Infosunter www.musik-statt-strasse.jimdo.com. hau

Freude bei Georgi Kalaidjiev (2. v. l.) in Sliven: Die sechsjäh-rige Franzi beeindruckt nach drei Monaten Unterricht mitihrem Kindercello, ihre große Schwester Zwetelina wartetnach zwei Jahren Unterricht mitViolinspiel auf. (Foto: pv)

»Nachgefragt«Am Sonntag Publikumsgespräch zu »Agrippina«

Drunter und drüber geht esim alten Rom: Kaiser Clau-dio gilt als verschollen undseine Frau Agrippina setztalles daran, ihren Sohn Nerozum neuen Kaiser von Romausrufen zu lassen. Im letz-ten Moment kehrt Claudiounerwartet zurück und prä-sentiert den Feldherrn Otto-ne als seinen Nachfolger.Agrippina spinnt eine Intrigemithilfe der jungen Poppea,in die sowohl Ottone alsauch Nero und Claudio ver-liebt sind – doch Poppea ver-folgt plötzlich ganz eigenePläne.

Im Anschluss an die Vor-stellung der Oper »Agrippi-na« von Georg Friedrich

Händel am Sonntag, 19. Mai,um 19.30 Uhr im GroßenHaus des Stadttheaters ha-ben alle Interessierten dieGelegenheit, in einem vonMusikdramaturg ChristianSchröder moderierten Ge-spräch mit dem RegisseurBalázs Kovalik, dem musika-lischen Leiter Michael Hof-stetter sowie Sängerinnenund Sängern der Produktion,ins Gespräch zu kommen.

Die letzte Gelegenheit, inden Genuss der Barockopermit ihrer hochkarätigen so-listischen Besetzung undeinfallsreichen Inszenierungzu kommen, bietet sich dannam Freitag, 7. Juni, um 19.30Uhr im Großen Haus. pm

Auch Komödiantik ist harte ArbeitJohn von Düffel zu Gast in der Reihe »Georg Büchner – Literatur/Wissenschaft«

Nicht immer lässt sich das unbere-chenbare Spiel der Natur positiv alsMetapher für subjektive Zustandsbe-schreibungen fruchtbar machen – nein,die Natur macht einem, in der Realitätanders als in der Literatur, manchmaleinfach einen Strich durch die Rech-nung. So auch bei der Lesung mit Johnvon Düffel, die wegen des Wetters vonder Dachterrasse des Rathauses insAtrium verlegt worden war.

Der 1966 geborene Autor und Drama-tiker las aus zwei aktuellen Texten. Wasdiese allerdings mit dem in Gießen zumBüchner-Jahr 2013 geehrten Namensge-ber der literarischen Reihe gemeinsamhaben sollten, wollte sich zunächstnicht so recht erschließen. Wer gekom-men war, weil der Titel des Abends»Über das Schreiben im Licht vonBüchners ›Lenz‹« versprach, hier werdeeben dieser Stoff aus gegenwärtiger Po-sition neu ausgeleuchtet, wurde zu-nächst enttäuscht.

Von Düffel schaffte es bald, vom The-ma des Abends – unterhaltsam undklug – zunächst ziemlich wegzuführen.Trotzdem sollte es in der kurzen Ein-führung, die von Düffel in die Texte aus»Goethe ruft an« (2011) und »Ostsee«(2013) selber gab, jedoch erst um Büch-ner gehen. »Ich bin aufgefordert«, so derAutor, »über Büchner und mein Verhält-nis zu ihm nachzudenken.« Diese Über-legungen führten offenbar zur Auswahlder zu lesenden Prosatexte; der erstevon beiden, ein »komödiantenhafterKünstlerroman«, wie ihn Dr. Kai Bre-mer vom Institut für Germanistiknannte, beschreibt die Begegnung zwi-schen Autoren – vergleichbar mit der li-terarischen Begegnung, die der jungeBüchner mit der Figur des Dichters

J.M.R. Lenz, dem einstigen Freund Goe-thes, machte, als er in Straßburg überfünfzig Jahre später auf Aufzeichnun-gen zu dessen Leben stieß. »Man kannsich bei Büchners ›Lenz‹ fragen, inwie-weit ›Lenz‹ ein Alter Ego Büchners ist«,lautet ein Fazit von Düffels und er be-schreibt seine eigene Begegnung mit ei-nem historischen Vorläufer wie auch dieAutorenbegegnung in seinem Roman:»Hier ist es ein Goethe– das, was man als Au-tor vielleicht seinmöchte.« Wird im Textmit dem Namen desDichterfürsten stets as-soziativ gespielt, soll essich bei seiner Roman-figur allerdings um ei-nen fiktiven zeitgenös-sischen Autor handeln.Aber kann man dieseHintergründe und Vor-lagen stets ausblenden,gerade, wenn es sichum Namen wie Goethe,Büchner und eben auchLenz handelt? Sichernicht und dies wäre beivon Düffel eher irre-führend, denn seineMethode artifiziellenUmdichtens literarhistorischer Kontex-te ist im besten Sinne zeitgenössisch.

An dieser Stelle erschließt sich demZuhörer nun endlich auch, was Büch-ners »Lenz« mit von Düffels »Goetheruft an« zu tun haben könnte. Esscheint also um mehr als um inhaltlicheGemeinsamkeiten wie bei den Naturbe-schreibungen zu gehen: Es geht ihm,wie im Titel der Lesung angekündigt,um das »Licht« als Erkenntnis für den

Schreibprozess, kurz: um die Bedingun-gen literarischer Produktion. Dazu ge-hört zum einen die Ausleuchtung undUmformung vorgefundenen Textmateri-als, die sich im »Lenz«-Stoff findet, beidem Büchner seinem historischen Pro-tagonisten so nahe auf den Leib rückt,dass es den Leser noch knapp 200 Jahrespäter schmerzen muss: »Die Welt, dieer hatte nutzen wollen, hatte einen un-

geheuren Riss«, be-schrieb Büchner dengeistigen Zustand ›sei-nes‹ Lenz. Von Düffelseinerseits sagt überBüchner, dieser habe»eine große Zerrissen-heit in seinem Werk« ge-lebt. Und stellt die span-nende, auf Büchnerskurzes Freidenker-Le-ben anspielende Frage:»Ob das wirklich einerunde Autorenbiografiegeworden wäre?« Zumanderen, und damit willvon Düffel das Bild des›genialischen‹ Schrift-stellers aufbrechen, ge-höre neben der Einfüh-lung in die Figuren, wieder »geradezu merkwür-

digen Empathie Büchners für Lenz«,unabdingbar schriftstellerische Erfah-rung und stilistisch-technische Sicher-heit zu gelungener Literaturprodukti-on. Bei aller amüsanten Unterhaltung,die der Literaturabend geliefert habenmag, wird hier transparent, was vonDüffel meint, wenn er über sein eigenesSchreiben wie im Goethe-Text sagt:»Auch kommödiantisch sein ist harteArbeit.« Sabine Wolfrum

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